PANIK-Tournee-Ende

 

 

 

„Mille Grazie, Willi Karkoska, für das geile Buch. Das geht ja ab wie die Flummis! AhuuuuuuYeah.“

 

 

Udo Lindenberg

 

 

 

 

 

 

„Der bekannteste deutsche Rockmusiker wird entführt. Und wir rätseln und leiden bis zum Schluss mit ihm. Ein Psychothriller, der im wahrsten Sinne des Wortes fesselnd ist.“

 

 

Martin Weide

Journalist und Moderator


 

Panik!

 

Neuauflage von PANIK! Das hammerkrasse Tournee-Ende

 

 

Zwischen Leben und Tod

ein Psychothriller

 

 

 

 

 

Wilhelm Karkoska

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Töchter

 

Tanja, Inka und Ronja

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2019 Hunter Verlag

https:// hunter-verlag.de

 

 

 

 

Illustratin: Mike Müller-Reschreiter, Abtenau-Österreich

 

Coverdesign: Azrael ap Cwanderay

Korrektorat: Malte Eppert

Lektorat: Malte Eppert

 

 

 

 

Publisher: Hunter Verlag

Printed in Germany by Hunter-Print.de

 

ISBN-13: 978-3-947086-88-7


 

 

 

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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Erklärung des Verfassers

 

Rückschlüsse auf durch in diesem Buch genannte Personen sind vom Verfasser nicht beabsichtigt und rein zufällig.

 

Wilhelm Karkoska

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog 7

 

Samstag, 24. Mai 2014 09

Sonntag, 25. Mai, 7 Uhr 34

Montag, 26. Mai, 6 Uhr 41

Montag, 26. Mai, 9 Uhr 43

Dienstag, 27. Mai, 7 Uhr 53

Dienstag, 27. Mai, 6 Uhr 55

Mittwoch, 28. Mai, 11 Uhr 69

Donnerstag, 29. Mai, 9 Uhr 87

Freitag, 30. Mai, 14 Uhr 93

Freitag, 30. Mai, 19 Uhr 102

Samstag, 31. Mai, 7:15 Uhr 108

Samstag, 31. Mai, 6 Uhr 117

Samstag, 31. Mai, 7:55 Uhr 125

Samstag, 31. Mai, 20 Uhr 139

Samstag, 31. Mai, 21 Uhr 148

Sonntag, 1. Juni 154

Montag, 2. Juni, 7:45 Uhr 161

Dienstag, 3. Juni, 7 Uhr 172

Dienstag, 3. Juni, 8 Uhr 179

Dienstag, 3. Juni, 15 Uhr 189

Dienstag, 3. Juni, 16 Uhr 197

Mittwoch, 4. Juni, 5 Uhr 206

Donnerstag, 5. Juni, 8 Uhr 255

Donnerstag, 5. Juni, 18 Uhr 294

Freitag, 6. Juni, 5 Uhr 297

Freitag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 8 Uhr 305

 

Finale 309

Freitag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 10 Uhr 317

Freitag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 12 Uhr 321

Freitag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 16 Uhr 327

Freitag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 16 Uhr 334

Trauerspiel 345

Samstag, 6. Juni, 5 Uhr, Erste Kommissariat, 8 Uhr 345

Einige Stunden früher 356

Samstag, 6. Juni, Erstes Kommissariat Münster, 16 Uhr 358

 

Weitere Veröffentlichungen des Autors: 362

Prolog

 

Mai 2014, 21 Uhr. Im weiten Rund des MMC, Münsters angesagtem Kulturcenter, warten bereits mehr als 1.500 Musikhungrige auf den für 22 Uhr angesetzten Konzertbeginn von Jo and the Firewalls. Die Konzertbesucher aus dem näheren und auch weiteren Umland von Münster, viele auch in die Jahre gekommene Fans, sind früh angereist, wollen sich diesen Tournee-Abschluss vor ihrer Haustür nicht entgehen lassen. Die Firewalls mit ihrem Frontmann und Sänger Joachim Butol waren in der Vergangenheit immer mal wieder zu Gast im MMC. Joachim Butol und den Betreiber des MMC, Bob Lennartz, ebenfalls ein in Deutschland gefragter Musiker, verbindet seit Jahren eine innige Freundschaft. Die hatten sich vor zig Jahren mal in München bei einem gemeinsamen Konzert getroffen und vom ersten Augenblick an verstanden. Eine Begegnung der außergewöhnlichen Art, quasi ET-mäßig. Bestimmt für die Zukunft.

Seit über 30 Jahren begeistern Joachim Butol und seine Band ihr Publikum auf erfolgreichen Tourneen durch Deutschland und andere europäische Länder. Die Wände in Jo Butols Privatunterkunft, einer Hotelsuite im exklusiven 5-Sterne-Hotel Excelsior in Berlin, zeugen von diesem Erfolg, sind tapeziert mit Goldenen und Platin-Schallplatten. Das Konzert im MMC soll den Abschluss des Mega-Tournee-Spektakels 2014 „Immer weiter am Horizont“ bilden. Ein Tournee-Ende, das die Musiker mit 1.600 erwartungsvoll ausharrenden Gästen zusammen feiern wollen.

Unruhe macht sich breit im MMC. Der Beginn des Konzertes ist seit über einer Stunde überfällig. Die Musiker der Firewalls stehen spielbereit hinter der Bühne, warten darauf, dass Jo erscheint. Der Adrenalin-Spiegel in der zunehmend stickiger werdenden Konzertluft des MMC steigt. Wo ist Joachim Butol? Der Frontmann von Jo and the Firewalls, in der Szene JB genannt, wird vermisst. Zuletzt wurde er um 21 Uhr in der Künstlergarderobe backstage gesehen und wie er kurz darauf das MMC mit einer blonden Unbekannten verließ.

Die Suche nach ihm läuft seit einer Stunde auf Hochtouren, ohne Ergebnis. Das Idol ganzer Generationen scheint wie vom Erdboden verschluckt. Nach 90 unendlich lang erscheinenden Minuten wird das Konzert abgesagt, das verärgerte und enttäuschte Publikum kurz über den Grund informiert. Im Raum bleibt die Frage zurück: Was ist mit Joachim Butol passiert?

Auch am nächsten Tag gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Hat sich Jo Butol eigenmächtig vor dem Konzert entfernt, ohne die Bandmitglieder zu informieren? Seine Musikerkollegen glauben nicht an eine freiwillige Auszeit ihres Frontmannes und auch Freundes. Schon gar nicht an diesem besonderen Abend. Das Abschlusskonzert der überaus erfolgreichen Tournee 2014 hätte er sich niemals entgehen lassen. Und ganz bestimmt nicht die Mega-Party mit 1.600 erwartungsvollen Fans. JB liebt die Nähe zu seinen Fans.

Dazu kommt die Tatsache, dass es vor einem Konzert bisher niemals passiert war, dass ein Musiker sich klammheimlich verdrückte. Der Begriff Verbrechen fällt. Grund genug dafür, die Kripo in Münster einzuschalten. Hauptkommissar Benno Klöppel und seine Assistentin Oberkommissarin Lau nehmen am nächsten Tag die Ermittlungen auf, ohne konkrete Anhaltspunkte dafür zu haben, dass hier ein Verbrechen passiert sei. Ein prominenter, in ihren Augen auch leicht durchgeknallter Musiker ist seit nicht einmal 24 Stunden überfällig. Kein Grund zur Beunruhigung. Oder doch? Von JB fehlt jedes Lebenszeichen.

Das unerklärliche Verschwinden Jo Butols wird zum Presseereignis. Ganze Trupps von Journalisten belagern das Erste Kommissariat in Münster, immer darauf aus, aktuelle Informationen zu erhaschen. Spekulationen füllen die Titelseiten zahlreicher Zeitungen.

Derweil läuft der Polizeiapparat auf Hochtouren. Suchstaffeln mit Hunden werden eingesetzt, um im Umland von Münster nach dem beliebten Musiker zu suchen – zunächst ergebnislos. Dann ein erster Erfolg. In einem Waldstück in der Nähe von Münster wird eine Lederjacke gefunden. Wie sich herausstellt, handelt es sich um die von Jo Butol …

Samstag, 24. Mai 2014, 21 Uhr

 

„Anfangen! Anfangen!“ Unruhe machte sich breit im weiten Besucherrund des MMC, einem in der Szene angesagten, bei den Künstlern sehr beliebten Veranstaltungsort für Live-Konzerte in der westfälischen Metropole Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens von 1648 – urkundlich belegt. Betrieben wurde das MMC von Thomas Lennartz, einem in Deutschland viel gefragten Profimusiker in der Jazzszene, der eigentlich so gut wie nie vor Ort war, weil er irgendwelchen Engagement-Verpflichtungen nachkommen musste. Auch an diesem Abend war er nicht persönlich greifbar, beglückte zeitgleich das Publikum mit seiner die Töne singen lassenden Bassgitarre als Gastmusiker beim Kenny-Cockham-Konzert in Berlin.

Nationale und internationale Popgrößen hatten sich seit Jahrzehnten in Münsters Music-Center verausgabt, schweißtreibend alles gegeben, um den Konzertbesuchern ein unvergessliches Musik-Event mit nicht selten akrobatischen Einlagen von unzähligen Meistern auf ihren Instrumenten zu bieten – der Lohn für die häufig nicht geringen Eintrittspreise. Auch an diesem Abend sollte es wieder so sein. Sollte …

Der Chor der pfeifenden und „Anfangen“ schreienden Zuhörergemeinde nahm zunehmend ohrenbetäubende Dezibel-Dimensionen an. Das Publikum brachte seinen Unmut durch immer lauter werdende Zurufe zum Ausdruck. Die Firewalls, die backstage darauf warteten, endlich auf die Bühne zu stürmen, sahen sich mehr als ratlos an. Sie wollten die Zuhörer besänftigen und mit ihrer Musik in eine Welt der Hörnerv streichelnden, kunstvoll zusammengefügten Moll- und Durakkorde, gemixt mit musikalischen Phantasien und Emotionen, entführen. Und die Fans warteten auf Jo und seine Jungs. Sie liebten ihr Idol. Seine unverwechselbare, leicht rauchige, nuschelnde Stimme. Joachim Butol war ein Künstler der Ausnahmeklasse, genau wie seine Kollegen bei den Firewalls, von denen jeder sein Musikinstrument auf hohem qualitativem Niveau beherrschte. Wenn Jo Butol danach war, übernahm er schon einmal spontan während eines Konzertes einen Gitarrenpart, zauberte wie Eric Clapton. Münster wartete an diesem Abend auch darauf.

Das noch gar nicht begonnene Konzert dieser vom Ruhm umarmten Musiktitanen stand kurz davor zu kippen. Es hätte um 22:00 Uhr anfangen müssen. Das letzte Konzert im Rahmen der Club- und Hallen-Tournee 2014 war seit einer halben Stunde überfällig. Das Musikspektakel im MMC sollte den Schlusspunkt unter eine bis dahin mehr als erfolgreiche 40-jährige Bandkarriere mit unzähligen die Nation beglückenden Hits in allen möglichen Charts setzen.

Die vom Erfolg verwöhnten Rock’n’Roll-Akrobaten hatten sich das MMC extra wegen seiner familiären, fast schon intimen Atmosphäre mit sehr guter Akustik ausgesucht. Keinen der großen, für die etwas ins Alter gekommenen Jungs sonst üblichen Konzerttempel in Deutschland mit einem durch die Security-Crew gut gesicherten, vom Publikum aber deutlich abgetrennten Bühnenbereich, viel zu weit weg vom großen Teil des Publikums. Die Band hatte es immer wieder in Interviews bedauert, dass unzählige Fans in den hinteren Rängen in vorherigen Konzerthallen vom Geschehen auf der Bühne kaum etwas mitbekamen. Gefühlt waren sie meilenweit entfernt.

Das Bühnenbild mit einer weit in das Zuschauerrund hinausragenden Bühne sollte hier ein wenig Abhilfe schaffen. Die Band liebte es, ganz nah dran zu sein an den zur Musik nicht immer rhythmisch im Takt wippenden, dazu umso lauter klatschenden Konzertbesuchern, an ihren Fans, die sich bei vielen Hits wie in Trance in einem nicht mehr zu dirigierenden Chor aus unzähligen, sich im Refrain vereinenden, nicht immer die richtigen Töne treffenden Kehlen zusammenfanden. Wie die Chöre der Fans vieler Fußballclubs vor einem Spielbeginn klang dies, schaurig beeindruckend.

Jetzt warteten 1.600 zunehmend unruhiger werdende Musikfreunde auf ein Feuerwerk der musikalischen Überraschungen, auf einen Abend, der ihnen als unvergessliches Erlebnis angepriesen worden war. Wie recht die Veranstalter mit diesem Werbeslogan behalten sollten, war im Vorfeld dieses Abschlusskonzertes wohl niemandem klar gewesen. Dieser Event sollte den mittlerweile berechtigterweise verärgerten Konzertbesuchern tatsächlich lange im Gedächtnis bleiben.

„Wo ist John? Dieser verdammte Kerl. Der ist doch sonst immer so pünktlich.“ Piet Drexler, der Schießbudenchef der Band, ein Drummer der absoluten Ausnahmeklasse, meldete sich zu Wort. Er war mit seinen 51 Jahren der Benjamin der Truppe. Ein auf Frauen wirkender Charmeur. Bei einem Konzert band er sich sein schulterlanges blondes Haar regelmäßig hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen, gehalten durch eine rote Schleife. Das gefiel der Damenwelt. Wenn Piet auf die Bühne kam, wurde er mit einem Sonderapplaus bedacht. Dieser ansonsten eher unauffällige Typ, dem sein Schlagzeug näher zu sein schien als sonst irgendetwas anderes auf diesem Erdball, konnte seinen Unmut nicht mehr unterdrücken: „Der ist bestimmt noch dabei, irgend so eine Tussi zu vögeln.“

„So kann man es auch nennen. Wäre nicht das erste Mal, dass Jo sich auf diese Art und Weise seinen nötigen Adrenalin-Kick holt. Klar, da war doch eine in seiner Garderobe. Mit der hat Jo sich ganz intensiv unterhalten.“ Charly Stone, der Sologitarrist der Firewalls, der nie älter wurde als 55, aber im wirklichen Leben stramm auf die 65 zuging, stieg nun in das Gespräch mit ein. Er war mit dem nicht gerade üppigen Namen Karl-Heinz Fahrenkötter ausgestattet, der ihm aber zu profan war. „Das passt nicht zu ihm. Er ist doch einer von den Hundertprozentigen. Unpünktlichkeit hasst der wie die Pest. Hat er mit irgendeinem von euch gequatscht?“

„Der ist doch mit dieser Blonden rausgegangen.“ Peter Plaun, im Gegensatz zu seinem Kollegen überzeugte 66 Jahre alt, der Rhythmusgitarrist, wohnhaft in der Bundeshauptstadt Berlin, trug mit seiner Beobachtung zum Gespräch bei.

„Und wenn wir nicht bald rausgehen, ist hier gleich die Hölle los.“ Paul Simpson, 65 Lenze, der Keyboarder mit englischen Vorfahren, schätzte die Lage richtig ein. Die Unruhe wuchs inflationär im MMC. Es würde nicht mehr lange dauern und die explosive Stimmung in der Konzerthalle würde sich in einem riesigen Emotionsknall entladen.

„Es muss jedenfalls sofort was passieren. Sonst steht der Laden gleich Kopf. Und auf irgendeinen Ärger habe ich überhaupt keinen Bock. Wir müssen jetzt ganz cool bleiben.“ Jürgen Koller, er hatte gerade seinen 64. Geburtstag gefeiert, der Bassartist der Band mit seinem nicht zu kopierenden, ureigenen Spielstil, der in der Szene als Basstronik-Groove bezeichnet wurde, in Musikerkreisen hieß er nur Jam, versuchte seine Musikerkollegen zu beruhigen. Er hatte zusammen mit Johnny, der 2 Jahre älter war als er, in einer anderen Zeit, in der gute Musiker noch eine echte Chance hatten, auf dem Erfolg und Ruhm versprechenden Musikmarkt der unbegrenzten Möglichkeiten Karriere und Geld zu machen, die Firewalls ins Leben gerufen. Die anderen Jungs waren nach und nach dazugekommen.

„Du hast gut reden. Und was machen wir jetzt? Die Leute fackeln gleich die Hütte ab.“

„Wir können nicht ohne John raus.“

John, von seinen Kollegen auch Johnny Wirbel oder JB genannt, schüttelte immer irgendwelche Projekte aus den Ärmeln, so, als wenn das für ihn das Normalste von der Welt sei. Der Kerl kam niemals zur Ruhe. Routinemäßig war er immer derjenige, der als Erster das Publikum durch einen coolen Spruch auf das bevorstehende Konzert einstimmte. Ein Mega-Kreativbündel. Schlaf schien er nicht zu benötigen. Er lebte ohnehin einen völlig anderen Lebensrhythmus. Die Nacht machte er zum Tag. Am Tag gönnte er sich dann kurze Ruhepausen. Mit bürgerlichem Namen hieß er Joachim Butol, war so etwas wie der Kopf von Jo and the Firewalls, wenngleich die Band immer Wert auf die Feststellung legte, dass Jo nicht der Bandleader war, sondern dass das ganze Unternehmen vielmehr eine zusammenhängende Einheit ohne nach außen hin besonders in Erscheinung tretende Musikerpersönlichkeiten mit besonderen Rechten sei. Irgendwie war er es aber schon. Bei Auftritten hatte er immer eine besondere Außenwirkung. Alleine seine Funktion als Stimme der Band machte ihn beim Publikum präsenter. Viele Fans identifizierten Jo and the Firewalls über den Gesang von JB und dadurch bedingt mit der Person Joachim Butols.

Zwischen den Musikern entbrannte eine lebhafte, mit viel Emotionsfeuer angereicherte Diskussion.

„Verdammte Scheiße. Ausgerechnet beim letzten Konzert.“

„Ich sehe schon die Headlines in den Zeitungen von morgen vor meinen Augen. ‚Eklat beim Jo and the Firewalls-Konzert im MMC. Musiker völlig am Boden.‘“

„Dann können die Pressefritzen sich wieder einmal so richtig auskotzen.“

„Das ist noch nett ausgedrückt. Ändert aber nichts an unserem jetzigen Problem.“

„Leute, da ist was faul, irgendwas nicht koscher. Johnny würde niemals ohne Grund ein Konzert versäumen.“

„Genauso sehe ich das auch.“

„Ich war in seiner Garderobe. Jo hat seine kompletten Sachen mitgenommen.“

„Da muss was passiert sein.“

„Und was bringt uns diese Feststellung? Wir brauchen jetzt eine Lösung.“

„Charly, du hast doch immer so gute Ideen. Also raus damit.“

Charly Stone hatte sich bis dahin zurückgehalten, kaum an diesem verbalen Durcheinander beteiligt. „Piet, hör auf, mich so blöde anzuquatschen.“ Er fühlte sich offensichtlich von seinem Kollegen angegriffen.

Die Musiker der Firewalls prügelten zunehmend verbal unkontrollierter aufeinander ein, verloren ein wenig die Kontrolle. Wieder einmal versuchte Jam die Wogen zu glätten. „Stopp. Es bringt doch gar nichts, wenn wir uns jetzt gegenseitig an die Gurgel gehen. Aber Piet hat recht. Eine Lösung muss her.“

Die Konzertbesucher waren jetzt nicht mehr zu bremsen. Johnny-Johnny-Anfangen-Aufhören-Geld-zurück-Rufe hallten aus dem Konzertsaal in den Backstage-Bereich. Es herrschte völliges Durcheinander. Dazu gab es ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert.

Zahlreich anwesende Medienvertreter versuchten sich Zugang zum Backstage-Bereich zu verschaffen. Die Presseleute hatten Lunte gerochen, wussten, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg, die Anweisung für die Security-Leute war eindeutig: Niemand wird nach hinten durchgelassen.

Hinter der Bühne war unterdessen der Teufel los. Im Backstage-Bereich standen bühnenerfahrene Erfolgsmusiker, die mit dieser Situation völlig überfordert zu sein schienen. Die Nerven lagen zum Greifen nahe blank am Boden.

„Ich gehe jetzt raus.“ Jam übernahm weiter die Initiative.

„Und was willst du den Leuten erzählen? Dass Johnny gerade mit irgendeiner Tussi rumvögelt und das Konzert gestrichen ist?“

„Es ist doch sowieso alles im Arsch. Die Sache ist gelaufen. Wir müssen schauen, dass wir jetzt möglichst unbeschadet von der Bühne kommen.“

„Hat jemand Olli gesehen?“

„Ja, der kann doch rausgehen.“

Der Tourmanager der Band, Olli Kuhlberg, stand kurze Zeit später zwischen den Musikern, denen langsam die Nerven durchgingen. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt ohne Erfolg nach Jo gesucht, alle möglichen Leute angerufen, die als Anrufstationen für den Frontmann der Firewalls infrage kamen. Es hätte doch sein können, dass Jo, vom spontanen Burnout- oder Angstattacken-Vampir überfallen, in seiner Scheiß-Lage versucht hatte, zu irgendjemandem Kontakt aufzunehmen. Weg von der Bühne. Weg von seinen Kollegen, die ja auch seine Freunde waren.

Jo schien wie von einer sich wie bei einem Erdbeben plötzlich vor ihm auftuenden Erdspalte verschluckt, nicht mehr erreichbar für irgendjemanden von außen. Mittlerweile war das Konzert eine Stunde überfällig. Jetzt musste die Entscheidung fallen. Noch länger hätte man das Publikum nicht hinhalten können.

„Olli, geh du raus.“

„Das werde ich. Jungs, den Schuh müsst ihr euch nicht anziehen.“ Sichtlich nervös wischte sich der Manager die Schweißperlen von der Stirn. Die Jungs von der Band merkten ihrem gestandenen, bühnenerfahrenen, leicht untersetzten Mann für alle Fälle seine Unsicherheit an. Auch dem ohnehin mittlerweile hypersensiblen Publikum würde diese Flatterphase nicht entgehen. Solch eine Situation hatte Olli Kuhlberg bis dahin bei einem Konzert während seiner langen Profizeit als Tour-Begleiter noch nicht erlebt. Unberechenbare Musiker-Typen waren für ihn keine Seltenheit. Manch ein Konzert kam nur zustande, weil er vor Konzerten aus der Reihe tanzende Musiker mit verrückten Sonderwünschen durch seine ureigene Art und eine entsprechende persönliche Ansprache in die richtige Spur brachte. Die Szene hatte Respekt vor ihm.

Für Olli Kuhlberg kam dieser Bühnenauftritt einem Gang nach Canossa gleich. Vor knapp 940 Jahren hatte es den Investiturstreit gegeben. Im Januar 1077 war Heinrich IV., der im Jahr zuvor von Papst Gregor VII. exkommuniziert worden war, frierend mit Ehefrau und Sohn im Büßergewand zum Castello nach Canossa gezogen. Nur durch die Vermittlung der Gräfin Mathilde von Canossa hatte Papst Gregor VII. den seit drei Tagen barfuß im Schnee wartenden König empfangen und nach dieser Demutsbezeugung den Bann wieder aufgelöst. Olli Kuhlberg jedenfalls fühlte sich jetzt ähnlich beschissen. Auch er musste in gewisser Weise das Publikum um Nachsicht bitten. Er wusste nicht, was ihn erwartete, war auf das Wohlwollen des Publikums angewiesen. Jetzt nur keine Nerven zeigen, souverän diese Absage der ganz außergewöhnlichen Art hinter sich bringen. Das war sein Ziel. Langsam, aber mit sicherem Schritt ging er auf die Bühne, so als wollte er den Beginn des Konzertes und seine Jungs ansagen. Dazu passte nur nicht, dass im selben Moment das grelle, für die Augen unangenehm blendende Neonlicht im MMC anging, die bis dahin noch strahlenden bunten Scheinwerfer ablöste und jedwede noch vorhandene gute Reststimmung abtötete. Der größte Teil der Besucher im Saal hatte es längst gespürt: Auf der Bühne passiert etwas Außergewöhnliches.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“

Das immer noch permanente Durcheinander-Gemurmel, Pfeifen, Äußern von Unmutsbekundungen verstummte. Das Publikum registrierte sofort, dass der Mann auf der Bühne etwas Wichtiges zu sagen hatte.

Selbstsicher ging Olli Kuhlberg an das Mikrofon. „Sie werden sich fragen, weshalb ich hier stehe.“

„Sie werden uns das gleich schon erzählen.“ Kopfnickend und wild mit den Armen umhergestikulierend meldete sich ein Konzertbesucher, der aussah und auftrat wie ein Abgesandter der 60er Generation. Er sonnte sich ganz offensichtlich darin, für einen kurzen Moment im Mittelpunkt zu stehen. Laut schrie er seinen Unmut in das weite Rund des MMC. Andere schlossen sich ihm an.

Für Olli Kuhlberg kam es jetzt darauf an, die sich langsam wieder hochschaukelnde Unruhe unter den fast zur Ruhe gekommenen Konzertbesuchern im Keime zu ersticken. Er war Profi genug, hatte viele Konzerte miterlebt, bei denen es nicht nur im Ausnahmefall zu Handgreiflichkeiten mit dem Security-Personal durch empörte Konzertbesucher gekommen war. Fans können unberechenbar sein. Mal war es der Sound, der Zuhörer stinksauer machte, ein anderes Mal erschien ein Konzert den Anwesenden zu kurz, sie fühlten sich um ihr Geld betrogen. Olli wusste genau, würde ihm es nicht gelingen, die Leute zu beruhigen, hätte niemand dafür garantieren können, was am Abend weiter passiert. Das Inventar des MMC war nach einem abgesagten Konzert in so einem Fall möglicherweise keinen Pfennig mehr wert. Zuschauer waren auch aus der weiteren Umgebung von Münster her angereist, um den Tournee-Abschluss live und hautnah mit zu erleben.

Dazu schoss Olli Kuhlberg in diesem Augenblick noch ein anderer, nicht gerade stimmungsförderlicher Aspekt durch den Kopf. In seiner Gedankenzentrale verschaffte sich ein verdammtes Wort immer breiteren Raum: Konventionalstrafe. Die betrug für dieses Konzert nach Abklärung der Schuldfrage immerhin 20.000 Euro. Geld, wofür die Musiker hätten aufkommen müssen, quasi im Kollektiv. So sah es der Gruppenvertrag vor. Olli erinnerte sich, die wieder wütender werdenden Konzertbesucher vor Augen, an Farbbeutel schmeißende Fans bei einem Konzert als Vorband der Weltklasse-Truppe Flying Stones in Hannover, die die Firewalls an diesem Abend einfach nicht haben wollten, sondern ungeduldig darauf warteten, dass endlich ihre Heros auf die Bühne kamen. Das reichte schon aus, um ein Konzert in ein für eine Band nur schwer zu verkraftendes Psycho-Fiasko ausarten zu lassen. So etwas sollte sich unter gar keinen Umständen wiederholen.

Mit deutlicher Stimme bediente Olli Kuhlberg weiter das Mikrofon: „Das werde ich. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass das Konzert heute nicht stattfinden kann. Joachim Butol ist im Moment nicht in der Lage, auf die Bühne zu kommen. Ihre Eintrittsgelder können Sie sich bei Ihrer Verkaufsstelle zurückerstatten lassen.“

„Was ist mit Jo?“

„Ja, genau. Was ist mit ihm?

„Es ist unser gutes Recht, da mehr zu erfahren.“

Durch diese Ansage fühlten sich viele Zuschauer angespornt, in die Debatte mit einzusteigen, hielten sich mit Frage-Zurufen nicht zurück, wollten wissen, was da los sei. Die aufgewühlte Stimmung erhitzte sich inflationär, kroch in den letzten Winkel des MMC.

„Ich bitte um Ihr Verständnis. Ich kann mich dazu im Moment nicht näher äußern. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen.“

Die Pressevertreter sahen ihre Chance gekommen. So leicht ließen sie sich nicht abspeisen und hakten energisch nach. Besonders Karl Köppler, ein bei den Musikern gut bekannter, für den Kulturteil zuständiger Journalist bei der Westfälischen Rundschau, ließ nicht locker. Er galt in der Szene als harter Hund und schrieb für seine Zeitung in der gesamten Region wahrgenommene Artikel, keine Presseberichte für den Papierkorb. In Münster galt er als die ungekrönte Nummer 1 unter seinen Schreibkollegen. „Ist Jo Butol dazu nicht in der Lage, heute das Konzert zu spielen, weil er gesundheitliche Probleme hat? Er ist doch wieder trocken. Oder?“

„Ich weiß nicht was Sie mit Ihrer Frage bezwecken wollen, Herr Köppler. Ich kann mich nur wiederholen: Mehr ist im Moment nicht zu sagen.“ Olli Kuhlberg versuchte nicht zu verbergen, dass ihn diese Fragen völlig nervten. Dennoch reagierte er besonnen und ließ sich nicht provozieren. Grund genug dafür hätte es gegeben. Er blieb ruhig, behielt die für diese Pressekonferenz der besonderen Art notwendige Souveränität.

„Bedeutet das, dass er im Moment nicht gesund ist?“

„Hatte er einen Schwächeanfall?“

So ging es Schlag auf Schlag weiter. Andere Journalisten schossen spitzfindige Fragen nach. Presseleute haben vielfach ein Gespür dafür, wenn der Hauch einer Sensation in der Luft liegt. Vielfach könnte man meinen, sie würden anstehende Topereignisse im Vorfeld förmlich riechen, Geschehnisse, die Material für einen Sensationsartikel mehr in ihren Zeitungen liefern, immer im Dienste einer hohen Leserquote. Presseredakteure sind wie Kletten. Wenn sie sich mal irgendwo an ein Thema drangehängt haben, lassen sie nicht wieder locker.

„Sie werden die Begründung für die heutige Konzertabsage erfahren. Das darf ich ihnen versprechen. Ich wünsche ihnen noch einen guten Nach-Hause-Weg.“ Olli Kuhlberg verließ die Bühne in Richtung Garderobe im eigenen Schweiß badend. Das war sein bisheriges Meisterstück in seiner gesamten beruflichen Laufbahn gewesen. Durch seine ruhige Art hatte er das Publikum besänftigen können. Nicht ein Farbbeutel flog, so wie beim Konzert mit den Flying Stones. Das MMC wurde auch nicht abgefackelt. Nicht ein Tropfen Frustblut floss, weil sich aufgebrachte Fans nicht zurückhalten konnten und ihre Fäuste im Gesicht der Security-Crew platzierten. Geprügelt wurde dennoch reichlich, Gott sei Dank nur mit Worten. Unter lautem Getöse und einem Wirrwarr an Durcheinander-Gerede verließen die Besucher das MMC. Spekulationen, was mit Jo passiert sein könnte, machten die Runde und beschäftigten einen Großteil der Konzertbesucher auf dem Nach-Hause-Weg.

Olli Kuhlberg war mittlerweile zur Band zurückgekehrt, nachdem er sich etwas frisch gemacht und sich selbst runtergebracht hatte, denn auch er hatte während seines Auftrittes unter einem absoluten Adrenalin-Schub gestanden. Die Stimmung in der Garderobe war niedergeschlagen. Die Musiker der Firewalls hatten eine Konzertabsage dieser Art noch nicht erlebt, und das bei über 30 Jahren Bühnen- und Konzerterfahrung.

„Olli, das hast du gut hingekriegt. Vor allem, du hast die Ruhe bewahrt.“

„Wer weiß, was sonst passiert wäre.“

„Jetzt bin ich wirklich gespannt auf die Presse von morgen.“

„Köppler war wieder mal ganz besonders bissig. Wahrscheinlich hatte der Stress mit seiner Freundin.“

„Was wollen die denn schreiben? Die wissen doch nichts.“

„Presse muss nichts wissen, Presse kann spekulieren.“

„Nur zu gerne machen die das“, ergänzte Paul Simpson. „Erinnert ihr euch noch daran, als Jo vor 10 Jahren im Krankenhaus lag? Damals wurde aus einem Bauchtumor, zunächst bösartig und dann doch gutartig, schließlich eine Blinddarmentzündung.“

„Und was machen wir jetzt? Sollen wir auch spekulieren, was mit Jo ist?“ Jam lenkte das Gespräch in die Richtung des eigentlichen Problems. Und das lautete: „Wo ist Jo?“ Der war noch immer wie vom Erdboden verschwunden. Niemand aus der Band hatte von ihm eine erklärende SMS bekommen. Nicht einmal er selbst. Die beiden verband eine tiefe Freundschaft.

„Jam, wenn es ihm dreckig ginge, hätte er sich bei dir doch mit hundertprozentiger Sicherheit gemeldet. Ihr habt doch ein fast brüderliches Verhältnis zueinander.“ Piet brachte die Sache auf den Punkt. Jeder der Musiker stand unter einem Adrenalinschub.

Paul Simpsons Blutdruck kletterte in die Höhe in Richtung 200. Er war Hypertoniker, konnte ohne Blutdruck senkende Mittel nicht mehr vernünftig leben. Die hitzig geführte Debatte setzte sich in der Künstlergarderobe des MMC noch einige Zeit fort.

„Hat er aber nicht.“

„Dann ist da irgendetwas anderes passiert.“

„Das muss mit der Blonden zu tun haben.“

„Mein Gott, ’ne Blonde gab’s doch schon bei vielen Konzerten. Die hätten dann ja alle ausfallen müssen.“

Charly Stone schritt ein: „Leute, wir machen doch jetzt nicht mehr als die Pressefritzen. Wir spekulieren und spekulieren, versuchen uns eine Erklärung zusammen zu basteln. Was soll das bringen? Wahrscheinlich löst sich morgen alles von alleine auf. Und Jo kehrt wieder zurück aus dem weiten Nirwana und entschuldigt sich bei uns. Also cool bleiben.“

„Charly hat recht. Wir sollten einfach abwarten. Das mit heute Abend ist natürlich obergroße Kacke. Das hätte er nicht machen dürfen. Darüber können wir aber reden, wenn er wieder da ist.“

„Stimmt. Lasst uns ins Hotel fahren. Irgendwie bin ich durch diesen ganzen Mist ziemlich daneben.“ Paul war der erste, der andeutete, die Runde der Spekulationen und Szenarien-Konstrukteure aufzuheben und den Tag noch mit einem Schlummer-Drink in der Hotelbar ausklingen zu lassen. Die Firewalls beendeten den Abend nach einem Konzert traditionell in der jeweiligen Hotelbar des Spielortes mit ihrem Spezialgetränk, einem Cocktail mit dem Namen „After Concert“. Einem Mix aus hochprozentigem Whisky mit Fruchtbeilage.

Gesagt, getan. Die Musiker verließen das MMC durch den Backstage-Ausgang. Der auf der Rückseite des MMC parkende Bandbus brachte die sichtlich ratlos wirkenden Popstars ohne weitere Belästigungsversuche durch die Presse ins Hotel. Zurück blieben ein geplatztes Konzert und die Erinnerung an verärgert grölende Zuschauer.

Und dann war da ja noch dieses Problem. Wo ist Jo? Jeder von den Firewalls nahm ein undefinierbares, flaues Gefühl im Magen mit ins Hotel. Ein sich unangenehm anfühlendes Brodeln, das sie permanent beschäftigte. Keiner der Musiker hakte die Angelegenheit an diesem Abend einfach ab. Ihnen war im tiefsten Inneren bewusst: Irgendetwas völlig Außergewöhnliches musste mit Johnny passiert sein. Etwas, was für die gesamte Band in der Zukunft von großer Bedeutung sein würde.

So ganz konnte die Band in der Hotelbar das Geschehene nicht ausblenden. Dafür beschäftigte es jeden einzelnen der Musiker viel zu sehr. Piet wirkte zerzaust, sah völlig genervt aus. Peter Plaun glänzte mit einem wie auf Rot geschalteten Ampelkopf und mit einem Blutdruckwert von mindestens ebenfalls 200 wie bei Paul. Den anderen ging es ähnlich. Der sonst mit viel Genuss einverleibte „After Concert“ wollte an diesem Abend nachvollziehbarerweise einfach nicht munden. Es gab viel Gesprächsstoff. Zur Tagesordnung überzugehen und sich ins Bett zu legen, hätte nichts gebracht. Keiner der Beteiligten wäre zu einem geruhsamen Schlaf gekommen. Jeder der Musiker stand noch voll unter Adrenalin, war weit davon entfernt, entspannt die Decke über den Kopf ziehen und diesem beschissenen Tag Gute Nacht sagen zu können.

Das folgende nächtliche Rätselraten war nichts anderes als eine logische Verhaltenskonsequenz, eine Reaktion, um das Geschehene irgendwie zu verarbeiten, endlich runterzukommen. Über ein Problem zu reden, ist dafür eine gute Methode. Den Firewalls war das nicht unbekannt. In der Vergangenheit gab es zahlreiche emotionsgeladene Nachbesprechungen von Konzerten in der Hotelbar, die, unterstützt durch den Genuss des einen oder auch anderen „After Concert“ zu viel, in der Regel dazu führten, dass danach jeder mehr oder weniger entspannt die verbleibende Nachtruhe genießen konnte. Solch eine hitzige Debatte zog sich auch schon mal über 2 bis 3 Stunden hin. Wie lange würde sie dieses Mal dauern?

„Verdammt, wo ist der Kerl?“

„Ich habe zigmal versucht ihn anzurufen. Aber sein scheiß Handy ist ausgeschaltet.“

„Wie soll’s jetzt weitergehen? Wir müssen doch was unternehmen.“

„Ja, aber was?“

„Johnny ist alt genug. Der weiß genau, was er tut.“

„Scheinbar aber nicht. Sonst hätte er sich gemeldet.“

„Irgendwie müssen wir aber reagieren.“

„Olli, hast du einen Vorschlag?“

„Woher? Im Moment können wir nichts machen. Wir müssen abwarten.“

„Und wie lange sollen wir warten? Vielleicht bis zum Sankt Nimmerleinstag?“ Paul wirkte ziemlich mit seinen Nerven am Ende. Er wusste, dass dieses nächtliche Gequatsche nichts bringen würde und trotzdem für alle mehr als wichtig war.

„Wir sollten uns überlegen, wie wir morgen reagieren. Ihr könnt doch sicher sein, dass morgen früh die Pressegeier vor dem Hotel lauern und auf reichlich Beute aus sind. Denen müssen wir dann was zum Fraß hinwerfen. Sonst geben die keine Ruhe. Köppler ist bestimmt der erste in der Reihe morgen früh.“ Jams Vorschlag wurde von den anderen wieder kopfnickend bejahend angenommen. „Wir sollten morgen dann aber zusammen frühstücken. Ist 10 Uhr ok?“

Der Termin stand für alle – bis auf Jo. Die Party in dieser Nacht war vorbei. Alle waren darüber froh. Die Ereignisse des Tages hatten jeden Beteiligten ein hohes Maß an Kraft entzogen. Dass die Musiker einen Tag gemeinsam mit einem Frühstücks-Buffet begannen, kam eher seltener vor. Jeder hielt das, wie er wollte. Piet war mehr der Frühaufsteher, Charly dagegen ließ sich bei den anderen meistens vor 12 Uhr mittags nicht blicken. Und auch Jo gehörte eher zu denen, die zur späten Mittagszeit in den neuen Tag mit einem Kaffee einstiegen.

 

 

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Montag, 26. Mai, 6 Uhr

 

JB schmerzte nicht nur der Rücken. Der Kopf schien ihm zu zerplatzen. Er wirkte benommen, als wenn er unter Drogen stehen würde. Dieser Zustand war ihm nicht unbekannt. In der Szene gehörten Drogen dazu wie das Salz in der Suppe. Auch JB und die Firewalls waren da keine Unschuldslämmer.

JB blickte in die Leere dieses ihm Angst einflößenden Raumes hinein. Wo war er? An Details von Ereignissen des Vortages konnte er sich nicht erinnern, nicht daran, dass ihm Rose irgendwann am Sonntag eine Spritze gesetzt hatte, die ihm ungewollten Schlaf gebracht hatte. Er lag da, war allein im Raum, nackt, angeschnallt auf diesem vom Holzwurm zerfressenen Bett, spärlich zugedeckt mit einer ihn an vielen Stellen des Körpers unangenehm kratzenden Decke, die ihm in der kalten Nacht nur begrenzt Wärme spendete. Kälte kroch langsam von den Zehenspitzen nach oben an seinem Körper entlang und brachte ihn um die längst überfällige Nachtruhe.

JB kehrte mit einiger Verzögerung in den vollen Wachzustand zurück und sah sich weiter im Raum um. Die Fensterläden waren noch zugeklappt, ließen lediglich ein paar Lichtstrahlen durch ihre Ritzen nach innen in den Raum scheinen. Draußen war es bereits taghell. Das bedeutete, ein neuer Morgen hatte begonnen. Er kombinierte, dass es Montag sein musste. Was würde ihm dieser Tag bringen? JB stellte sich auf unerwartete Überraschungen ein. Die würden kommen, da war er sich sicher. Ein Tag länger zusammen mit einer krankhaften Psychopathin, die irgendwann wieder vor ihm stehen würde. Er rechnete mit allem, stellte sich Szenarien vor, die passieren könnten. Irgendeinen Grund musste diese Entführungsnummer haben. Nur welchen? Da wusste er keinen Rat.

JB sammelte seinen Geist, überlegte sich so etwas wie einen Spielplan vor Konzerten. Mit dieser wirren Persönlichkeit musste er weiter im Gespräch bleiben. Er hatte nicht den geringsten Hauch einer Ahnung, was dieses ganze Liebesgesülze dieser ihm immer noch unbekannten Frau zu bedeuten hatte.

Sein Gehirn fing an zu arbeiten, spielte verschiedene Szenarien durch. Der Sonntag hatte gezeigt, dass er sich in den Fängen eines kranken weiblichen Fans befand, einer Frau, die ihn so schnell nicht wieder loslassen würde – keine sonderlich beruhigende Tatsache. Ihm war von Beginn an bewusst gewesen, dass er von dieser Frau in seiner momentanen, für ihn nicht zu begreifenden, mit vielen Fragezeichen versehenen Lebenssituation abhängig war. Sie konnte über Leben oder Tod entscheiden. Über sein Leben! „Jo, lass es nicht soweit kommen“, befahl ihm sein innerer Überlebenstrieb. „Du musst diese Frau einwickeln. Sei nett zu ihr!“

Er hörte Schritte. Die Fensterläden wurden von außen geöffnet. Wie spät war es wohl? Rose hatte ihm seine Uhr abgenommen, ihn dadurch zum „Zeitlosen“ gemacht. Er war auf sein Zeitgefühl angewiesen und nahm an, dass es früher Vormittag war.

Helles Tageslicht durchflutete den Raum. Gestern hatte er keinen Einblick gehabt, wohin ihn diese Frau verfrachtet hatte, nun sah JB zum ersten Mal bewusst, dass seine Hotelsuite nichts weiter war als ein maroder Abstellraum voller Spinnweben an der Decke. Dieser Bretterverschlag wurde wohl auch hauptsächlich als solcher genutzt. Am gestrigen Sonntag war ihm der unangenehme Geruch in diesem Raum nicht so sehr in die Nase gestiegen, jetzt nahm er ihn bei vollem Bewusstsein wahr. Es stank fürchterlich nach schimmligem Holz und Urin. Seinem Urin. Er hatte sich eingenässt. Jo Butol war kurz davor, sich zu übergeben.

„Guten Morgen, mein Schatz. Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Entschuldige, dass ich hier vorher nicht aufgeräumt habe. Aber das ist ja auch kein Zustand für immer. Es dauert nicht mehr lange.“ Rose stand im Raum, direkt neben JBs Bett. Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

„Guten Morgen, Rose. Natürlich entschuldige ich das. Ich bekomme ja – ich nehme an, heute – eine eigene Loggia, so mit Internet und allem Schnickschnack drum herum. Geil! Rose, du erstaunst mich immer mehr. Ich habe doch bereits gesagt, du bist ein Knaller im Universum der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber eine Frage habe ich trotzdem noch: Ich werde mich da doch frei bewegen können? Wie soll ich dich sonst in meine Arme nehmen?“

„Ach, der große Jo Butol. So ungeduldig wie ein kleines Kind vor der Bescherung zu Weihnachten. Mein Schatz, warte es ab. Es dauert nicht mehr lange. Hast du Hunger?“

„Nein, aber so ein kleines Likörchen oder sonst etwas Flüssiges wäre nicht schlecht. Eine Toilette übrigens auch nicht.“ JB versuchte freundlich und souverän zu bleiben. Was hätte er sonst auch für eine andere Möglichkeit gehabt? Mit Worten auf den Tisch hauen? Ordentlich verbal aufräumen? Und dann? Roses Reaktion war unberechenbar.

Rose reagierte nicht auf den Toilettenhinweis. Sie hätte doch riechen müssen, dass JB das Bett vollgemacht hatte. JB lag nicht auf der blanken Matratze, sondern auf einer Unterlage, die den Urin in sich aufsaugte. Dazu gesellte sich JBs Angstschweiß. Schweiß und Urin, eine delikate Kombination von Körperflüssigkeiten. „Es dauert nicht mehr lange.“ Was konnte Rose damit meinen? Eine Aussage, die alle Optionen offenließ. JB hielt diese Frau für zu allem fähig.

„Wenn du auch keinen Hunger hast, trinken solltest du. Mindestens zwei Liter Flüssigkeit am Tag sind wichtig für das Wohlergehen.“

JB antwortete: „Von welchem Wohlergehen sprichst du? Schnall mich erst einmal los. Dann sehen wir weiter.“

Rose flößte ihm mit einer Trichtertasse etwas Mineralwasser ein und fuhr fort: „Jetzt musst du aber erst einmal schlafen. Der Tag wird anstrengend genug für dich.“

Sie neigte sich über Jo, nahm seine Hand, streichelte liebevoll seine Wangen, holte aus ihrer Handtasche ein Spritzbesteck und verpasste JB in seinen Unterarm eine Spritze mit einem Schlafmittel. Diazepam, im Volksmund auch Valium genannt, wirkt angstlösend, einschläfernd und beruhigend. Jo, der alles bei vollem Bewusstsein mitbekam, war sprachlos. Damit hatte er nicht gerechnet. Er brachte nichts heraus und stammelte Satzfragmente vor sich hin. „Wie, eh, stopp … Was ist?“

Das Schlafmittel wirkte umgehend. Jo wurde zunehmend müder. Nach kurzer Zeit taumelte er ungewollt hinüber ins Reich der Träume.

 

 

Montag, 26. Mai, 9 Uhr

 

Der nächste Tag begann so, wie der alte aufgehört hatte: ohne neue Erkenntnisse. Die Mitglieder der Band und Olli Kuhlberg tauchten um 9 Uhr im Ersten Kommissariat im Polizeipräsidium von Münster auf. Benno Klöppel und Karin Lau begrüßten die Firewalls und stellten in der kompletten Runde allen die gleichen Fragen.

„Wir lassen Ihnen für die Antworten ein wenig Zeit. Wir werden Sie danach wieder einzeln befragen. Und entschuldigen Sie – wir können Ihnen hier natürlich nicht die räumlichen Gegebenheiten wie im Seeblick-Hotel bieten. Aber nebenan im großen Besprechungsraum ist es auch ganz gemütlich.“ Der ironische Unterton in Hauptkommissar Klöppels Stimme war nicht zu überhören. Er hatte es wohl nicht so mit diesen in seinen Augen oftmals arroganten Popstars. Am Sonntag noch hatte er sich den Firewalls als großer Fan ihrer Musik präsentiert. Dies schien wohl nicht so ganz gestimmt zu haben.

Olli Kuhlberg ging mit den Jungs hinüber in den spartanisch ausgestatteten Besprechungsraum. Dort gab es keine Kameras und keine Mikrofone. Die Firewalls setzten sich an die vorhandenen Tische und kramten in ihren Erinnerungen.

„Paul, du hattest doch ziemlichen Zoff mit Johnny. Weißt du noch, vor dem Konzert in Leipzig. Da ging’s doch darum, dass deine Keyboards irgendwie ungünstig auf der Bühne standen. Zu weit im Vordergrund. Jo wollte das so nicht.“ Peter Plaun erinnerte an diese damals in der Band für viel Unruhe sorgende Situation.

„Mein Gott, wir waren da nicht einer Meinung. Jo hätte alles so lassen sollen, wie es geplant war. Du kennst ihn doch und weißt doch, wenn der sich was in den Kopf setzt, dann ist er nicht zu bremsen. Das hat mich aber schon geärgert. Was soll’s. C’est la vie.“

„Machen wir uns doch nichts vor. Jeder von uns ist doch in der Vergangenheit auf seine ganz spezielle Art mal mit Jo aneinandergeraten. Wir sind doch untereinander auch nicht immer geschlossen einer Meinung. Das war doch bis jetzt noch niemals ein Problem.“ Jam hatte im Gespür, dass sich hier zwischen seinen Kollegen so etwas wie ein Konfliktmoment aufbauen könnte. Dem steuerte er sofort entgegen. „Wir müssen jetzt den Klöppel und seine überaus süße Assistentin zufriedenstellen. Das steht an. Die wollen was von uns hören. Bieten wir denen doch ihre Story und sagen, wir hätten zu Jo alle ein ausgesprochen entspanntes Verhältnis. Wird die zwar nicht begeistern, andererseits rechnen sie wahrscheinlich damit, dass wir das sagen.“

„Ist doch auch nicht gelogen“, kommentierte Piet Drexler kurz Jams Einlassung.

„Und in den besten Familien wird gezofft. Das gehört dazu, wie das Salz in der Suppe. Das erzählt man doch nicht jedem.“ Peter Plauns Feststellung wurde von seinen Musikerkollegen kopfschüttelnd bejaht.

„Jam, da stimme ich dir zu. Ich habe diese Blonde, die bei Jo war, nur kurz auf dem Flur gesehen. Ich glaube, die war über 50, hatte schon reichlich Falten im Gesicht.“ Trotz dieser nicht mehr als Momentaufnahme, hatte der Sologitarrist der Firewalls ein klares Bild vor Augen.

Piet aktivierte seine Hirnzellen. „Jetzt, wo du das so sagst, habe ich auch ein gewisses Bild von ihr vor meinen Augen. Da könntest du recht haben.“

Charly Stone ergänzte seine Wahrnehmung: „Die war ein Stück kleiner als ich. Hatte ich vergessen zu sagen. Sie ist mir auch auf dem Flur begegnet, als ich zum Klo musste. Das war weit vor neun. Aber mehr kann ich dem Kripofritzen zu dieser Frau nicht erzählen.“

Die Tür zum Aufenthaltsraum ging auf. Hauptkommissar Klöppel, gefolgt von seiner Assistentin Oberkommissarin Lau, schauten erwartungsvoll in die Runde. „Und, meine Herren, sind Sie in sich gegangen?“

Olli Kuhlberg antwortete: „Herr Klöppel, in der Tat – wir sind in uns gegangen. Wir machen Ihnen folgenden Vorschlag: Diejenigen von uns, die noch etwas zur Sache beitragen können, stehen Ihnen selbstverständlich für ein Gespräch zur Verfügung.“

Klöppel ging darauf ein. „Ich merke schon, Ihre Zeit ist knapp bemessen. Da will ich Sie nicht länger aufhalten. Wer von Ihnen hätte denn noch etwas zu sagen?“

Piet Drexler und Charly Stone berichteten von ihren Beobachtungen, ohne zum Einzelgespräch gebeten zu werden.

„Das ist wirklich alles, was Ihnen noch eingefallen ist?“

„Sollen wir uns etwas aus den Ärmeln schütteln oder jetzt hier erfinden, damit Sie ein ordentlich langes Protokoll schreiben können? Wir haben uns untereinander ausgetauscht. Glauben Sie uns, da ist nicht mehr rauszuholen. Wir alle sind in Sorge um Jo. Sie nehmen doch wohl nicht an, uns ginge das einfach so am Arsch vorbei, oder irgendjemand von uns hätte was mit Jos Verschwinden zu tun?“ Jam führte einmal mehr das Wort. Er war so etwas wie das von allen akzeptierte Sprachrohr der Firewalls.

„Nun gut. Sie reisen also heute ab. Die persönlichen Gegenstände von Joachim Butol bleiben in seinem Hotelzimmer. Das Zimmer ist versiegelt. Die Sachen werden an Ihren Tourbetreuer weitergeleitet, wenn wir sie hier nicht mehr benötigen. Hat jemand von Ihnen weitere persönliche Dinge von Joachim Butol aus der Garderobe an sich genommen, oder noch etwas zu sagen?“

„In seiner Garderobe war nichts. Er hat alle seine Sachen mitgenommen. Das hatte ich Ihnen doch bereits erzählt.“ Bevor die Band nach dem ausgefallenen Konzert ins Hotel gefahren war, hatte sich der Bassist der Firewalls etwas genauer in der Garderobe seines Freundes umgesehen. „Ich fand das schon komisch. Die Garderobe war leer. Da lag von Jo nichts mehr rum.“

„Sollten wir weitere Rückfragen haben, können wir Sie doch unter den von Ihrem Tourmanager angegebenen Adressen und Telefonnummern erreichen?“

„Das können Sie.“

„Davon gehe ich aus.“ Klöppel war von der Befragungsausbeute nicht angetan. Er und Oberkommissarin Lau hatten sich offensichtlich von dieser morgendlichen Aktion mehr versprochen.

Olli Kuhlberg schaltete sich ein. „Natürlich. Sie haben alle Privatanschriften und Telefonnummern. Auch die Kontaktdaten unserer Agentur. Sobald sich Jo bei irgendjemandem von uns meldet, werden Sie der Erste sein, der es erfährt.“

 

Vor dem Polizeipräsidium Münster warteten einige Journalisten, die über interne Kanäle von diesem Befragungstermin wussten. Wieder mit dabei war Karl Köppler, der wohl so etwas wie den siebten Journalistensinn besaß. Die Firewalls, die davon ausgehen mussten, dass gierig auf Topmeldungen wartende Journalisten sie in Empfang nehmen wollten, wurden vorsichtshalber mit dem im Innenhof des Polizeipräsidiums abgestellten Polizeibulli zum Seeblick-Hotel am Aasee zurückgebracht. Zu einer Begegnung mit der Presse kam es daher nicht.

„Leute, da kommt noch was. Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass die uns hier so stehen lassen?“ Köppler wandte sich an seine Kollegen, die auch nicht den Anschein machten, das Feld vor dem Polizeipräsidium zu räumen, um schnellstmöglich zum Seeblick-Hotel zu wechseln. Die Chance, das Hotel vor dem Polizeitaxi der Firewalls zu erreichen, war ohnehin vertan. Die Presse blieb also dort und wartete darauf, dass endlich etwas passierte – auf die Sensationsmeldung, die sie am nächsten Tag als Aufmacher in ihren Zeitungen präsentieren konnten.

Hauptkommissar Klöppel und seiner Assistentin blieb nicht verborgen, dass die vor dem Präsidium ausharrende Pressemannschaft offenbar nicht vorhatte, das Feld zu räumen. „Frau Lau, schauen Sie mal aus dem Fenster. Da können Sie was lernen. Sollen wir der wartendenden Pressemeute da draußen ein paar Info-Brocken zum Fraß hinwerfen?“

„Chef, wir haben doch nichts Brauchbares in der Hand. Was wissen wir bis jetzt? Joachim Butol wird seit vorgestern vermisst. Er hat so gegen neun Uhr mit einer blonden Unbekannten, 50 Jahre oder älter, eine Stunde vor Konzertbeginn das MMC verlassen und sich noch nicht wieder gemeldet. Vorher hat er noch seine Garderobe geputzt. Ach ja, die unbekannte Blondine hat wohl ein faltiges Gesicht. Wollen Sie das wirklich an die wartende Presse weitergeben? Etwas dürftig, oder?“

HK Klöppel und OK Lau kamen nun intensiv ins Gespräch. „Frau Lau, manchmal sind es gerade die Kleinigkeiten, die uns in unserem Job die zentralen Hinweise liefern.“

„Ich weiß doch nicht einmal, ob wir offiziell ermitteln und vor allem weswegen.“

„Was glauben Sie, was wir hier machen? Es besteht ein Anfangsverdacht auf ein Verbrechen, Entführung oder ähnlich. Wer weiß, was uns noch erwartet.“

„Und, haben Sie schon mit Frau Knebel gesprochen, wie sie die Sachlage einschätzt? Das wäre doch von Vorteil.“