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Impressum

1. Auflage

© egoth verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers.

ISBN E-Book: 978-3-903183-98-8

Cover: Clemens Toscani

Grafische Gestaltung und Satz: Dipl. Ing. (FH) Ing. Clemens Toscani

Gesamtherstellung:

egoth Verlag GmbH

Untere Weißgerberstr. 63/12

1030 Wien

Österreich

Inhalt

Starke Seiten!

„Es ist die erste Goldmedaille für Österreich“

Zweimal Gold, einmal Stinkefinger

Verantwortung übernehmen

CORDOBA IST ÜBERALL

Auf der Freeride World Tour

DOMINATORIN UND WELTMEISTERIN

Olympisches Doppel-Gold Die siebente große Kugel

Verbesserungen! Oder das Ende

Einmal geht’s noch!

Der letzte Weltcup-Sieg

Starke Seiten!

Mit einigen E-Books, die herausragende Persönlichkeiten vor den Vorhang holen und spannende Geschichten erzählen, will der egoth Verlag seinem selbstgewählten Leitmotiv gerecht werden.

Unsere Bücher erzählen, fesseln, wühlen auf. Sie wollen einen Beitrag zur Reflexion bieten. Sie sollen wertvoll sein.

Sie alle haben aber mit Sicherheit eines: starke Seiten.

Viel Spaß beim Lesen!

Egon Theiner

www.egoth.at

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„Es ist die erste Goldmedaille für Österreich“

Als der erste Teil der Olympischen Eiskunstlauf-Wettbewerbe vorüber war, wusste ich, dass nichts mehr passieren konnte – oder formulieren wir es eine Spur vorsichtiger (denn Eis ist rutschig): dass eigentlich nicht mehr viel passieren konnte. Ich war als Favoritin auf Gold nach Japan gekommen und ich rechnete nicht groß herum. Klar war, dass ich die beste Pflicht meines Lebens laufen musste, um einen großen Vorsprung auf die unmittelbare Konkurrenz, voraussichtlich Janet Lynn und Karen Magnussen, herauszuholen. Dann könnte ich auch gelassen in den Kürteil gehen.

Als die Eiskunstlauf-Wettbewerbe starteten war Karl Schranz schon wieder in Österreich und das Team in Japan noch immer ohne Gold. Annemarie Moser hatte bis zu meinem Auftritt Silber in der Abfahrt (hinter Marie-Theres Nadig aus der Schweiz) gewonnen, einen Tag nach meinem Triumph holte sie einen weiteren zweiten Platz, im Riesentorlauf, erneut hinter der Eidgenossin. Allerdings sei schon auch erwähnt, dass das österreichische Alpinteam aufgrund der Diskussionen um Abreise und Boykott in Zusammenhang mit der Sperre von Karl Schranz an einigen Trainingstagen nicht dabei war. Der 7. Februar 1972 wurde jedenfalls der einzige Tag im gesamten Sportjahr, an dem Österreich olympisches Gold bejubeln konnte. Das Transparent im Stadion „Trixi, bring du das Gold!“, aufgehängt von österreichischen Fans und Funktionären, war eine vorausschauende und auch eintreffende Vorhersage.

Die Wertungsrichter waren Michele Beltrami aus Italien, Valentin Piseev aus der UdSSR, Walburga Grimm aus der DDR, Ingegerd Lago aus Schweden, Hans Kutschera aus Österreich, Joan MacLagan aus Kanada, Marcella Willis aus den USA, Ryuichi Obitani aus Japan und Klara Kozapi aus Ungarn. Ich kannte sie in ihrer Gesamtheit nicht sehr gut und konnte mir deswegen kein Bild machen, wer mich und meinen Stil nun denn mochte und wer weniger. Doch nach der ersten Pflichtaufgabe jubelte ich innerlich: Es lief gut! Nach sechs Figuren kam ich auf 1247,0 Punkte und meine vermeintliche große Widersacherin Janet Lynn lag mit 1074,6 Punkten schon weit zurück. Zweite nach der Pflicht war Julie Lynn Holmes (USA), dritte Karen Magnussen (CAN). Ich blickte auf die Anzeigetafel und mir schoss durch den Kopf, dass ich bei der Kür zwei- oder dreimal stürzen könnte und es würde sich dennoch immer noch ausgehen! Ich wollte 120, 140 Punkte Vorsprung haben. Ziel erreicht!

Die Kür durfte in den 1960er und 1970er Jahren individueller gestaltet und gelaufen werden als heute. Mit der Choreographie und der Musik von „Man of la Mancha“ fühlte ich mich wohl und ich lief eine sichere, souveräne Kür, die gefüllt war mit einer Vielzahl von Elementen: Doppellutz, Doppelflip, dazwischen ein einfacher Rittberger, noch ein Doppellutz, ein Axel-Paulsen, ein doppelter Toeloop, eine eingesprungene Waage, ein paar Pirouetten, ganz zum Schluss eine rasante Spitzpirouette. Eva Pawlik kommentierte für das österreichische Fernsehen: „Sie läuft ganz ruhig, ohne Nervosität. Sie hat alles ganz richtig gemacht, ist taktisch ganz richtig gelaufen. Es ist die sicherste Olympia-Goldmedaille für Österreich.“ Meine A- und B-Noten lagen allesamt zwischen 5.5 und 5.7 (auf einer Skala bis 6.0) und waren somit gut. Pawlik: „Es ist die erste Goldmedaille im Damen-Einzellauf seit 1924, seit Herma Szabo.“ Und dann sagte die Kommentatorin, die im Gegensatz zu den heutigen Reportern sachlich, nüchtern und empathisch sprach, aber ohne dabei ihre Stimme zu überschlagen oder in patriotisch angehauchte Jubelstürme auszubrechen, ein Wort, das sich als falsch herausstellen sollte. „Es ist die erste Goldmedaille für Österreich bei diesen Spielen. Ohne Gold fahren wir nicht mehr nach Hause.“ Alles richtig, aber: Es blieb die einzige Goldmedaille für Rot-Weiß-Rot.

Magnussen wurde Zweite, Lynn schob sich noch auf den dritten Rang vor. Das große Duell ist ausgeblieben und die US-Amerikanerin gestand sich die Niederlage auch schon nach der Pflicht ein.

Heute meint Lynn: „Klar hätte ich auch Olympiasiegerin werden wollen, das war unser beider Ziel. Doch mein Trainer und meine Eltern haben mich dazu erzogen, immer das Beste zu geben und dabei Spaß und Freude zu haben. Dann würden die Medaillen schon von alleine gekommen. Nach der Pflicht wusste ich, dass die Goldmedaille 1972 vergeben war und ich war ob dieses Umstandes auch wirklich enttäuscht. Doch als tiefgläubige Person und mit einem ehrlichen Gebet zu Gott nahm ich mir vor, bei der Kür die bestmögliche Leistung anzustreben, einerlei ob ich nun auf das Podest kommen könnte oder nicht. Medaillengewinne spielten für mich in diesem zweiten Teil keine Rolle mehr.“

Wenn man heute die Aufzeichnungen von vor rund 45 Jahren ansieht, erkennt man, wie sehr sich der Eiskunstlauf weiterentwickelt und die Olympischen Spiele sich gewandelt haben. Wer heute bei den Damen nicht alle Sprünge dreifach oder bei den Herren vierfach steht, mischt in der höchsten Liga sicher nicht mit. Die Spiele von Sapporo selbst, die letzten vor den Terror-Attentaten von München, fanden in einer unbeschwerten, unkontrollierten Atmosphäre statt. Weder gab es großräumig abgeschottete Zonen noch die Sicherheitskontrollen der heutigen Tage. Im Olympischen Dorf, in dem ich mit Sonja Balun eine Wohneinheit teilte und mich über die japanische Badewanne wunderte, ging es bei den neben uns untergebrachten Skifahrerinnen lustig her und auch mit den Skifahrern, besonders auch mit Karl Schranz, unterhielt ich mich lange und gut. Es waren schöne Tage, die ich vergolden konnte. Mit dem Erfolg kommt das Interesse der schreibenden und fotografierenden Medien und insofern wiederholen sich auch die Bilder. Damals die Aufnahme von mir, wie ich die Olympiamedaille im Safe einer japanischen Bank verwahre, heute das Bild von den Superstars des Tennis, die ihre Siegerpokale am Tag nach dem Spiel an besonderen Orten in Sydney oder Paris präsentieren.

Ich weiß, der direkte Vergleich ist unzulässig, weil sich die Medienlandschaft in einer Art und Weise verändert hat, wie ich es mir vor einigen Jahrzehnten nicht hätte vorstellen können. Die Berichte aus Japan wurden telefonisch diktiert oder mit Telex (sagen wir der Einfachheit halber: dem Vorgänger des Telefax) verschickt. Schreibmaschinen wurden mehr verwendet als Computer oder Laptops, Handy, Internet und Email gab es noch gar nicht (jedenfalls nicht für sportjournalistische Arbeit). Von den sozialen Medien Facebook, Twitter, Instagram und so weiter ganz zu schweigen.

Die Nachricht meines Olympiasieges ist live über den Äther transportiert worden, aber für einen geschriebenen Bericht musste man bis zum nächsten Tag warten. Erfolgsnachrichten hielten sich aber auch länger, weil sie nicht innerhalb kürzester Zeit von neuen Informationen verdrängt wurden. Wahre Helden, wie der dreifache Olympiasieger Toni Sailer, haben ihren Stellenwert auch dem Umstand zuzuschreiben, dass tatsächlich wertvolle Informationen verbreitet wurden und nicht jeder Unsinn. Sicherlich, Sailer profitierte auch vom Umstand, dass es 1956 weniger Winter-Olympiasieger gab als 2014 (1956 gab es 24 Wettbewerbe in fünf Sportarten, 1972 waren es 35 in sechs, 2014 waren es 98 in sieben). Doch heute wird die Kunde eines Olympiasiegers nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Internet und den sozialen Medien live mitgeteilt. Eine halbe Stunde später gibt es den nächsten, dann den nächsten und so weiter. Dass wir unser Privatleben auf Facebook und Twitter quasi öffentlich gestalten, finde ich einen weiteren des Hinterfragens würdigen Aspekt und ich versuche, mit den erwähnten Kommunikationsmitteln sparsam und verantwortungsvoll umzugehen. „Facebook ist wie die Stasi. Nur auf freiwilliger Basis“, hat Kabarettist Michael Niavarani vor einigen Jahren einmal gesagt. Ein Lacher, der zum Nachdenken anregen sollte.

Doch zurück in die tiefere Vergangenheit. Den Auftritt von Karl Schranz habe ich erst Jahre später gesehen und ich gebe gerne zu, dass ich damals, 1972, ein wenig irritiert war. Einer wird disqualifiziert, zum Symbol einer gekränkten österreichischen Seele erhoben und erhält aufgrund der Mobilisation der Bevölkerung durch ein Medium (den ORF) einen Empfang vor Zehntausenden von Personen. Eine andere wird Olympiasiegerin und in ihrer Heimatstadt gar nicht so richtig wahrgenommen. Mein Olympiaempfang spielte sich in Linz ab, wohin mich Leo Strasser von den „Oberösterreichischen Nachrichten“ lotste. Der OÖN-Sportchef hatte ein gutes Gespür. Er wusste, dass in Wien nicht viel (besser: gar nichts) geschehen würde rund um die Olympiasiegerin Schuba und lud mich nach Linz ein. Die Cabriofahrt durch die Stadt und der Jubel der Sportinteressierten haben mir gut getan. Olympiasiegerin bleibt man ein Leben lang: Es gibt eine Ex-Weltmeisterin, aber keine Ex-Olympiasiegerin. Insofern sind und waren die Olympischen Spiele jene Veranstaltungen mit der größten Strahlkraft. Wenn ich allerdings beobachte, wie sich das wichtigste Sportereignis der Welt in den letzten Jahrzehnten, besonders ab 1992, entwickelt hat, dann stehe ich der Entwicklung kritisch gegenüber. Mir scheint der Grundgedanke von Pierre de Coubertin zugunsten kommerzieller Belange immer mehr verloren zu gehen. Proportional zum Voranschreiten der Geschäftemacherei geht auch der völkerverbindende Charakter der Sports, der Spiele verloren – mit Dollarzeichen in den Augen lassen sich keine Freundschaften schließen, weder an Ort und Stelle noch Jahrzehnte später.