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Anders bin ich


Anders bin ich


1. Auflage

von: Mara Laue

CHF 3.00

Verlag: VSS-Verlag
Format: EPUB
Veröffentl.: 03.08.2018
ISBN/EAN: 9783961271320
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 119

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Anderssein hat viele Gesichter. Nicht nur zugereiste Ausländer sind „anders“, auch die „schwarzen Schafe“ in Familien sind es, Nonkonformisten, Querdenker, Künstler, Innovative, allzu krumme Bananen sowie all jene, die gegen den Strom schwimmen, sich kritisch mit dem Leben auseinandersetzen und gegen Ungerechtigkeiten aufstehen. Und ist nicht jeder Mensch auf seine Weise anders, einzigartig und außergewöhnlich?

Einzigartige Betrachtungen in Geschichten, Gedichten und Bildern zum Thema Anderssein. Ein „etwas anderes“ Plädoyer für Toleranz.
„Mumie! Kümmeltürkin! Kanakenkind!”
Die lauten Schmähungen hoben urplötzlich an und steigerten sich zu einem hämischen Sprechgesang, in dessen Unterton deutlich Grausamkeit und Verachtung mitschwangen.
Marianna blieb abrupt stehen und drehte sich aufgebracht zu der Quelle dieser Bosheit um. In einiger Entfernung hatte eine Gruppe von Jungs ein türkisches Mädchen eingekreist, das traditionell einen langen Mantel und ein Kopftuch trug. Die Jungs tanzten im Kreis um das Mädchen herum, skandierten ihre Kränkungen und weideten sich an der offensichtlichen Angst ihres Opfers.
Marianna fühlte heiße Wut in sich aufsteigen und ging energisch auf die Gruppe zu, um die unverschämten Bengel gehörig zusammenzustauchen. Doch ehe sie eingreifen konnte, war es dem Mädchen schon gelungen, aus dem Kreis auszubrechen und wegzulaufen, worauf ihre Peiniger sich zufrieden lachend trollten.
„Ihr Mistratten! Niederträchtiges Pack!“, brüllte Marianna hinter ihnen her und versuchte ihre Wut zu beherrschen.
Sie hasste Menschen, die andere drangsalierten, mit einer Vehemenz, die beinahe schmerzte. Solche Beschimpfungen, deren Zeugin sie gerade geworden war, waren ihr aus eigener Erfahrung nur allzu vertraut. Sie hatte sie als Kind oft genug am eigenen Leib erfahren, weil ihre Urgroßmutter eine Romni war, eine Zigeunerin.
Marianna erinnerte sich noch gut an den Sommer, in dem alles begonnen hatte. Kurz nach ihrem siebenten Geburtstag hatte sie zum ersten Mal die Sippe ihres Vaters für ein paar Wochen in den Ferien besucht, da seine Großmutter die Familie ihres Enkelsohns nach Jahren endlich einmal wiedersehen wollte. Marianna hatte bis zu jenem Sommer nicht einmal gewusst, dass sie Verwandte unter den Roma besaß.
Die waren, wie sie später feststellte, ein absolutes Tabuthema, und zwar auf beiden Seiten. Ihre Urgroßmutter war mit einem „Gadscho“ durchgebrannt, wie die Roma alle Nicht-Roma nannten, der sie verlassen hatte, als sie ein Kind erwartete. Ihre Tochter, Mariannas Großmutter, hatte später sogar einen Gadscho geheiratet und die Sippe verlassen – eine absolute Schande in den Augen der Roma.
Deshalb sah Mariannas Vater mit seinem hellen Haar und den blauen Augen auch überhaupt nicht wie ein Rom aus. So konnte man seine Herkunft bequem unter den Teppich kehren.
Seit er vor ein paar Jahren gestorben war, „vergaß” Mariannas Mutter die unerwünschte „Zigeunersippschaft“, wie sie sie abfällig nannte, so gründlich, als würde sie überhaupt nicht existieren. Sie ging sogar so weit, Marianna mit den Worten „So kommst du mir nicht ins Haus!” die Tür zu weisen, wenn sie zu einem Besuch farbenfrohe Kleidung im Stil der Roma trug.
Damals in jenem Sommer aber erlebte Marianna zum ersten Mal Diskriminierung am eigenen Leib, was ihre bis dahin behütete Welt für immer veränderte.
Die erste kam von den Roma-Kindern, die in ihr nur eine hellhäutige Fremde sahen und ihr flugs den Spitznamen „Parni” verpassten, was in ihrer Sprache „Kreide” bedeutet. Denn neben deren in Mariannas Augen wunderschönen braunen Haut und dem dunklen Haar, bildete sie selbst einen Kontrast wie der sprichwörtliche Kalkeimer auf einem Kohlenberg.
Doch ihre Urgroßmutter bereitete dem bei ihrem Eintreffen sofort intonierten Sprechchor „Parni! Parni!“ mit einem einzigen Machtwort ein Ende. Sie betonte, dass die Tochter ihres Enkelsohnes selbstverständlich mit zur Sippe gehörte, egal wie fremd sie aussah. Das genügte, um Marianna nach einer Weile der vorsichtigen Annäherung in den Kreis der Kinder aufzunehmen, wenn auch der Name „Parni” bis heute an ihr haften blieb. Doch inzwischen war er längst liebevoll gemeint und nicht mehr als Schmähung.
Viel schlimmer waren dagegen die Repressalien, die sie von den Menschen erlebte, die sie bisher als ihresgleichen betrachtet hatte. Die sesshaften Bürger fühlten sich oft schon allein durch den Anblick der Roma belästigt, beleidigt oder sogar bedroht. Die Prämisse „Holt die Wäsche von der Leine, die Zigeuner kommen!” besaß selbst in der heutigen, angeblich aufgeklärten Zeit bei manchen Leuten immer noch ungebrochene Gültigkeit.
Kaum hatte die Sippe irgendwo ihr Lager aufgeschlagen, ließ die Polizei nie sehr lange auf sich warten. Meistens kam sie „nur”, um zu sagen, dass man an dem für das Lager gewählten Ort nicht kampieren dürfe und zwang sie weiterzuziehen, selbst wenn es mitten in der Nacht war.
Einmal wurde sogar behauptet, die Sippe habe Marianna entführt, denn ein so blondes, blauäugiges, offensichtlich durch und durch „weißes” Kind konnte doch unmöglich zu diesen „schwarzen Zigeunern“ gehören. Marianna erinnerte sich noch sehr genau an die schlimmsten drei Tage ihres Lebens, in denen man sie in ein Kinderheim sperrte, bis es ihren Eltern gelang zu beweisen, dass sie wirklich deren leibliche Tochter war.

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