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Der Alchimist von Krumau


Der Alchimist von Krumau


1. Aufl. d. überarb. Neuausgabe

von: Andreas Gößling

CHF 11.00

Verlag: Mayamedia
Format: EPUB
Veröffentl.: 22.11.2021
ISBN/EAN: 9783944488578
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 484

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Prag, im Jahr 1606: Der junge Don Julius, unehelicher Sohn des Habsburger-Kaisers Rudolf II. und dessen Maitresse Katharina, leidet darunter, dass ihm als "Bastard" der Thron seines Vaters für immer verwehrt sein soll. Nachdem er durch eine Intrige in die Provinz verbannt worden ist, will er mit allen Mitteln die väterliche Anerkennung und seine Rückkehr nach Prag erzwingen. Da der Kaiser eine Schwäche für die Schwarzkunst hat, beschließt Julius, ihn auf dem Gebiet der Alchimie herauszufordern und zu überflügeln. Um dieses Ziel zu erreichen, begibt er sich in die Hände skrupelloser Dunkelmänner, die in den Gewölben seiner Burg in Böhmisch-Krumau einen grausames Plan umsetzen. Wird es der schönen Baderin Marketa, in die sich Julius verliebt hat, gelingen, ihm die Augen zu öffnen und seinen krankhaften Ehrgeiz zu besänftigen?
Andreas Gößling, 1958 in Gelnhausen geboren, hat Germanistik, Politikwissenschaft und Publizistik studiert und 1984 mit einer Dissertation über Thomas Bernhards Prosa promoviert. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter literaturwissenschaftliche Werke, kultur- und mythengeschichtliche Sachbücher und Romane für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Andreas Gößling hat einen Sohn und lebt als freier Autor mit seiner Frau Anne Löhr-Gößling bei Berlin.
Prolog
Das Mariandl hielt Don Julius bei der Hand und zog ihn immer tiefer in ein Gewirr krummer Gassen hinein. Er hätte sich nicht darauf einlassen sollen, dachte er. Das war ja der reinste Irrgarten hier, noch dazu in stockschwarzer Nacht. In seinem Rücken hörte er klappernde Schritte, wie von Holzpantinen, dann ein heiseres Getuschel. Er wollte stehen bleiben, sich umwenden, aber das Hürchen zog ihn unaufhörlich weiter.
»Bloß noch ein paar Schritte, Euer Gnaden«, wisperte sie, »seht Ihr dort vorn die Laterne? Da ist es schon.«
Aber Don Julius sah überhaupt nichts, nur Dunkelheit und Schatten und zuweilen die Sichel des Mondes, die hoch droben durch den schwarzen Himmel schnitt. Schwül war die Nacht, dabei hatte der Mai kaum erst begonnen.
Sie bogen um eine Hausecke, und da ragte zu ihrer Rechten eine riesenhafte Mauer auf. Das muss ja der Stadtwall sein, direkt hinterm Hradschin, wunderte sich Julius, aber ich versteh‘s nicht, hat sie mich im Kreis geführt? In seinem Kopf hockte eine Dumpfigkeit, als ob er halsaufwärts durch dicken Nebel liefe. Der Holler eben in der Schänke, vielleicht hat sie mir ein Zauberzeug hineingemischt, aber warum sollte das Mariandl so was tun? Und welcher Unselige würde sich erdreisten, Don Julius Caesar, dem Erstgeborenen Ihrer Kaiserlichen Majestät, an den Kragen zu gehen?
Er stolperte über einen Pflasterstein und wollte wieder stehen bleiben, da schob das Mariandl einen Arm unter Julius‘ Umhang, seine Mitte mit festem Griff umschlingend. Er spürte die Weichheit ihres Leibes und atmete ihren Duft nach heißem Schweiß und Schoß.
Ah, gleich will ich in dir ersaufen, dachte Julius, umso besser, wenn ihr Sterngucker so nah bei der Burg haust. Fügsam ließ er sich weiterziehen. Als er nach vorn sah, funzelte dort tatsächlich eine Laterne, trübes Licht hinter gelbem Glas. Daneben eine Tür. Mit der Schulter drückte das Mariandl dagegen, und kuhwarmer Dunst schlug ihm ins Gesicht.
»Nur herbei, wer‘s auch sei.« Ein Krächzen im Dunkeln, eher Raben- als Menschenstimme, vom Sprecher selbst war keine Feder und kein Haar zu sehen.
Das Mariandl schleppte Julius tiefer in die Höhle. Ein Vorhang glitt zur Seite, blinzelnd blieb der Kaisersohn stehen. Ein kleiner Tisch, darauf eine Kerze, an einer Spiegelscherbe klebend, die das Licht empor zur Decke warf. Dahinter hockte ein graubärtiger Zwerg, auf einen Pergamentfetzen schielend, den er mit beiden Händen vor seinen Augen ausgespannt hielt.
»Exzellenz«, krächzte der Alte, »wie befohlen hab ich den Himmel ausgelesen.« Er ließ das Pergament sinken und buckelte im Sitzen zu Julius hinauf. »Verzeiht, wenn ich mich nicht erhebe, Euer Gnaden, mein Leib gleicht einem Weiler, der von den Muselmanen gebrandschatzt worden ist.«
Er hustete rasselnd, die Kerze flackerte, dass die Schatten der Besucher tanzten: Julius‘ hohe Gestalt im Umhang, an seine Seite gedrückt das viel kleinere Mariandl mit den struppig aufgesteckten Locken. Selbst die Adlerfeder auf seinem Hut, das auf die Schultern fließende Haar und das spitze Habsburger-Kinn zeichneten sich zitternd auf den Wänden ab.
Als der Alte Anstalten machte, die Leibsruine unter seinen Lumpen freizunesteln, hob Julius rasch eine Hand. »Das Horoskop, Kerl.« Ihn schauderte, nicht nur wegen dem Mariandl, das ihre Hüfte an seinem Schenkel rieb. »Les er‘s vor, aber hoppla, sonst lehr ich ihn hier drinnen Sterne sehn.«
»Sehr wohl, sehr wohl, Euer Liebden.« Knochendürre Hände rollten abermals den rissigen Fetzen aus. »Mit Genauigkeit kann ich voraussagen, was die Sterne für Euer Liebden vorsehen. Ein waches, emsiges, unruhiges Gemüt habt Ihr, herrliche Gnaden. Nach allerhand Neuerungen gierend, dem gemeinen menschlichen Wesen und seinen Händeln abgeneigt. Stattdessen nach unversuchten oder doch seltsamen Mitteln trachtend, und dabei um Vieles mehr Euch insgeheim denkend, als Ihr äußerlich sehen und spüren lasst. Denn Saturnus im Aufgang macht müßige, melancholische, allzeit wache Gedanken. Saturn bringt Neigung zu Alchimie und Magie, zur Gemeinschaft mit den Geistern, zu Verachtung menschlicher Gebote und Sitten, sogar der Religionen. Saturn macht Euch alles verdächtig, was von Gott oder von den Menschen kommt, als ob es samt und sonders Betrug und Vorspiegelung wäre.«
Wahr gesprochen, dachte der Kaisersohn, aber warum ist mir bloß so dumpfig zumute? Die stickige Luft in diesem Stall machte es nur noch schlimmer, doch schon draußen in den Gassen war er ja wie ein Besoffener an der Hand der Hure gewankt.
»Weiter«, sagte er, wobei er an Mariandls Schulter Halt suchte, »und ohne auf Effekt zu schielen – ich befehl‘s.«
Der Alte spannte das Pergament so krachend aus, als ob er‘s zerreißen wollte. »Weil der Mond in Euerm Horoskop verworfen steht, Euer Gnaden«, fuhr er fort, »wird Euer Argwohn Euch zu Nachteil und Verachtung bei denen gereichen, mit welchen Ihr umgehen müsst. Für einen einsamen, leichtfertigen Unmenschen werden die Leute Euch halten. Und tatsächlich werdet Ihr diese Charakterzüge zeigen: Unbarmherzigkeit, ohne brüderliche Liebe zu Euern Nächsten; niemanden achtend, nur Euch selbst und Euern Wollüsten ergeben; hart zu Euern Untertanen, meistenteils in Euch versunken, oft ungestüm und streitbar; von unnützer Furcht geplagt, weil Saturn die Einbildungen verdirbt.«
Als das Mariandl leise aufseufzte, stockte der Sternseher wieder und spähte zu Julius empor, der seine Rechte in die weiche Schulter des Mädchens grub. Wie klein und schwächlich sie ist, dachte Julius, und dazu ihr grobes schwarzes Haar, das sich fast wie Draht anfühlt. Wie kommt‘s nur, dass ich mich von ihr bestricken ließ? Ihre Brüstchen sind platt wie der Sermon ihres Sternguckers, den sie mir so überschwänglich angepriesen hat: der beste Astrolog von Prag? Pah, ich spei drauf.
Kurz musste Julius die Augen schließen, so schwindlig war ihm mit einem Mal. »Ist das alles, Kerl?«, fuhr er den zwergischen Alten an. »Habt Ihr Euch nicht gebrüstet, mein Leben mit Genauigkeit vorauszusehen? Und leiert stattdessen nur Phrasen und Hohnworte, wie von Sargenfalt, mein Leibastrolog, sie täglich dutzendfach runterbetet.«
Der Seher kratzte sich mit krummen Fingern unterm Spinnwebbart. »Betrug und Vorspiegelung argwöhnt Ihr allerorten«, krächzte er, »wie‘s Euch in den Sternen geschrieben steht.« Noch einmal beugte er sich übers Pergament. »Der Komet, der letzte Woche über der Kaiserstadt stand, von der Gestalt des Ouroboros, des Drachen der Alchimie, Exzellenz – zusammen mit Euerm Saturnus bewirkt er günstigen Fortschritt Eurer geheimsten Pläne. Ein Erleuchteter wird Euch aufsuchen, sehr bald schon, noch ehe ihr das dreiundzwanzigste Lebensjahr vollendet. In seinem Gefolge eine künstliche Figur, die er erschaffen hat kraft seiner alchymischen Magie. Aber nicht hier in Prag wird er auf Euch stoßen, Euer Liebden, in der Kaiserstadt lauern Euer Verdruss und große Gefahr.«
»Nicht in Prag?«, wiederholte Julius.
»Sehr wohl, sehr wohl, herrlichste Gnaden«, brabbelte der Sterngucker. »Gold in breiten Strömen und geschaffne Kreaturen sonder Zahl, alles für Euch, aber nicht hier ...«
»Was schwadroniert er da für einen Unfug!«, fuhr ihm Julius in die Rede. »Schluss jetzt!« Sturzdüster war ihm mit einem Mal zumute. Nicht genug, dass seine Mutter Katharina da Strada und der unvermeidliche Maître d‘Alembert ihn seit Jahr und Tag moldauabwärts verfrachten wollten, in die verwaiste und verwahrloste Burg von Krumau. Jetzt kam auch noch dieser Sterngucker dahergeschlottert und bramarbasierte von Gunst und Erleuchtung, die seiner angeblich harrten, was ja gut und schön war – aber fernab von Prag?
Er tastete nach seinem Beutel und ließ zwei Kupfermünzen auf die Spiegelscherbe klirren. Hier ist mein Platz, hier in der Kaiserstadt, dachte Julius, bei Krone und Thron, nirgendwo sonst. Und er befahl dem Mariandl, ihn augenblicklich zurück zur Burg zu bringen.

+++

Hufklappern hallte dumpf in ihm nach, als er irgendwann später auf sein Bett fiel und das Mariandl unter sich begrub. Doch im Grunde wusste er nicht, wie er überhaupt nach Haus gekommen war, auf der Kutschbank eher liegend als sitzend, ein Sausen im Schädel und das hitzige Hürchen in seinem Arm.
Sie hatte den Pergamentfetzen für ihn mitgenommen, das erheiterte ihn über die Maßen, als er mit der Hand in ihr Dekolleté fuhr und das Horoskop zu fassen bekam. Vor ihnen grunzte der Kutscher auf seinem Bock und ließ die Peitsche schnalzen, und Julius wühlte sich immer tiefer in ihr Kleid hinein. Besoffen, durchfuhr‘s ihn wieder, während über ihnen Donner grollte. Aber wie denn – von dem einen Becher Hollerschnaps? Dann platschte schon Regen auf ihre Köpfe hernieder, und danach wusste er nichts mehr: nicht wie sie in die Burg gekommen waren, nicht wie das Mariandl ihn in die Infantengemächer geschleppt hatte, wo er seit seiner Kindheit eine Flucht von drei Zimmern bewohnte, neben dem Appartement seines Erziehers und Bewachers Maître d‘Alembert.
Auf dem Tisch vor seinem Bett, sogar ringsum auf dem Boden, überall standen brennende Kerzen. Wer hatte sie angezündet, wer dort verteilt? Er erinnerte sich an nichts, und im Grunde war‘s ihm auch gleich. In seinem Kopf sauste der Schwindel, umso wüster, je wütender er in das Hürchen hineinstieß. In dir ersaufen will ich!, dachte er wieder, und das Sausen in seinem Schädel wurde ärger und ärger, bis in ihm eine Feuersäule emporstieg und hinter seinen Augen zu einem Wirrwarr roter Schlieren zerbarst.

+++

»Heda?« Keiner da. So fuhr er bald jede Nacht aus dem Schlaf, bedeckt mit kaltem Schweiß. Das Zimmer schwarz, auch vorm Fenster noch finstere Nacht. Sein Herz klopfte wild, dabei erinnerte er sich an keinen Fetzen eines Traums. Still lag er auf seinem Bett und horchte in die Dunkelheit.
»Mariandl?« Kein Laut, nicht mal wisperleises Atmen im Schlaf. Also hatte er alles bloß geträumt: wie das Mariandl ihn durch krumme Gassen schleppte, erst in die Hollerschänke, dann zum zwergenhaften Sternengucker, und wie sie nachher hier bei ihm im Himmelbett lag?
»Jemand da?« Keine Antwort, nichts. Julius tastete auf den Laken umher, und seine Finger glitschten durch klebrige Feuchtigkeit. Ei, wie denn das? Er wälzte sich aus dem Bett und stieß mit dem Fuß gegen ein klobiges Ding, das mit einem Klirren protestierte. Nackt tapste er durchs Dunkel, blindlings um sich tastend, bis er endlich die Tür an seinen Fingern fühlte. Er zog sie auf, und ein Schwall Lampenlicht schwappte aus dem Flur herein. Hinter seiner Stirn auf einmal wieder jenes Sausen. Er sah an sich herunter, und da war alles rot, auf seiner Brust, seinem Bauch, an seinen Händen und Armen, alles beschmiert mit einem widerlichen Gemenge aus geronnenem Rot und traumkaltem Schweiß.
Julius wandte sich zu seinem Bett um. Es lag im Dunkeln, jenseits des Rechtecks aus trübem Licht. Er langte in den Flur hinaus, nahm eine Laterne vom Wandhalter und trat zurück in sein Gemach. Den Blick gesenkt, die Lampe erhoben, ging er auf sein Bett zu, so langsam wie im Traum.
Aber es war kein Traum, es war ein rot beschmiertes Beil am Boden, das neben dem Bettfuß lag, als ob es seiner Hand im Schlaf entglitten wäre, und es waren Mariandls Augen, so groß, so starr über einem winterkalten Grinsen, dem alle Zähne ausgefallen waren.

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