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Liebeswirren am Donaustrand


Liebeswirren am Donaustrand

Sabrina - Band 5
Sabrina, Band 5 1. Auflage

von: Hilde Braunsfeld

CHF 2.00

Verlag: Novo Books
Format: EPUB, PDF
Veröffentl.: 18.11.2023
ISBN/EAN: 9783961273515
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 106

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Ein verfänglicher Zettel in der Jackentasche führt zu einer Ehekrise, eine Verwechslung zu einem unerwarteten Neuanfang. Und Doktor Susanne Kampmann – männerfeindliche Kinderärztin – sorgt zusätzlich für Verwirrung.
Die Ehe von Gerti und Jürgen dtoht zu zerbrechen, als die brave Hausfrau einen verfänglichen Zettel in der Jackentasche ihres Ehemannes findet.
Dr. Kampmann schickt ihre Freundin in ihr Feriendomizil nach Österreich um Abstand zu gewinnen. Doch dort nehmen die Ereignisse einen turbulenten Verlauf . . .
Ein herrlich nostalgischer, humorvoller Liebesroman von Altmeisterin Hilde Btaunsfeld.
„Meine Liebe!“ Doktor Susanne Kampmann, von Beruf Kinderärztin und sehr tüchtig, sagt es kühl, sachlich und mit einer Portion Geringschätzigkeit. „Meine Liebe, langsam aber sicher wirst du eine alte Schachtel. Du solltest dir endlich darüber klar werden und nicht so tun, als hättest du die ewige Jugend und Schönheit gepachtet.“
Sie zieht die schmalen Augenbrauen ui die Höhe und nickt bekräftigend zu diesen schicksalschweren Worten. Ihr Bild im leicht trüben Glas des Dielenspiegels nickt zurück.
„Na also“, murmelt Doktor Kampmann. „Da wären wir uns ja wieder einmal einig. Nichts geht doch über eine gewisse Verständigungspolitik. Ja, ja, was ich noch sagen wollte, wenn du so weiter- machst wie bis jetzt, mein Kind, mit all deiner verdammten Tüchtigkeit, deinem lausigen Fleiß und deiner schon fast sprichwörtlichen Energie, dann wirst du eines Tagcs gewiss eine Kinderklinik besitzen und Frau Professor sein.“
Aber diese Aussicht scheint die Frau im Spiegel nicht sonderlich zu begeistern. Im Gegenteil. Die nur Doktor Kampmanns kritischem Blick sichtbaren Fältchen auf der Stirn und die Krähenfüße an den Augen scheinen sich zu vertiefen und geben dem Gesicht einen fast grämlichen Ausdruck,
Um ihn zu verwischen, schneidet Doktor Kampmann eine Grimasse. Sie möchte über ihre verdammte Sentimentalität, an der sie sonst kaum krankt, lachen, aber es gelingt nicht so richtig.
Sie ist viel zu müde dazu. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend haben heulende Kinder und jammernde Mütter die Praxis bevölkert. Jetzt möchte Doktor Kampmann eigentlich nur noch eins: weiche Pantoffeln an die Füße ziehen, sich in einen Morgenrock hüllen und sich ein bisschen verwöhnen lassen.
„Möchtest du Kaffee, mein Herz? Oder hättest du Appetit auf ein Gläschen Wein? So, warte, ich stelle die Lampe um, damit ihr Licht dich nicht blendet. Ist es so recht, Susanne?“
Es wäre schön, wenn es jemand gäbe, der so zu ihr spräche. Aber — es spricht niemand so zu ihr. Wer sollte es auch tun? Sie ist ja allein, ganz allein in der großen Wohnung. Die Aufwartung, Frau Krause, geht um fünf Uhr. Nur die tickende Uhr an der Wand gibt der Lautlosigkeit der Räume ein wenig Leben.
Nach all dem Lärm tagsüber ist die Stille nun fast beängstigend.
Nein, sich jetzt in einen Sessel oder auf die Couch fallen zu lassen, wäre der Anfang vom Ende. Susanne spürt, dass sie keine Kraft mehr hat, ihren sentimentalen Gedanken zu wehren. Sie werden sich über sie stürzen und ihr den Rest geben. Vielleicht wird sie ein bisschen vor Überzeugung heulen, vielleicht wird ihr dies oder jenes einfallen, vielleicht wird sie sogar ihr einsames Leben bejammern und sich vorzustellen versuchen, wie anders sie es doch hätte haben können, wenn sie im vorigen Sommer Pippifax geheiratet und nun vielleicht schon einen Sohn oder eine Tochter gehabt hätte.
Ach, zum Teufel mit Pippifax! Er hätte sie unterdrückt. Er hätte ein braves Hausmütterchen aus ihr gemacht. Er hätte —- er hätte!
Nun, er hat ja nicht. Sie war energisch genug, den Verlockungen seiner werbenden Worte zu widerstehen und seinen Antrag abzulehnen.
„Ich bin aus innerer Berufung Kinderärztin geworden. Du wirst es begreifen, dass ich nicht alles einfach an den Nagel hängen kann, mein Studium, den Beruf und einfach alles — auch meine Selbständigkeit!“
Damals kam sie sich sehr überlegen vor. Aber damals ahnte sie auch noch nicht, dass sie von Jahr zu Jahr älter werden würde, dass es lange, trostlose Abende geben würde.
Doktor Susanne Kampmann atmet tief auf. Sie weiß, dass sie irgend etwas unternehmen muss, damit nicht auch dieser Abend wieder in einer trostlosen Melancholie versinkt. Sie beschließt, sich umzuziehen und in ein Konzert zu gehen. Sie liebt Musik sehr und hofft, dass diese ihr helfen wird, den Katzenjammer zu überwinden.
Sie muss sich beeilen, wenn sie den Anfang des Konzertes nicht versäumen will. Schon zehn Minuten später steht sie vor dem Dielenspiegel und zieht bloß noch mit einem Lippenstift über die Mundwinkel hinweg.
Da klingelt es an der Wohnungstür. Doktor Kampmann erschrickt unwillkürlich. Der Lippenstift verschmiert sich, und sie spürt sich ein bisschen ärgerlich werden. Da hat sie sich nun also aufgerappelt, etwas zu unternehmen; nun wird sie dabei gestört. Am liebsten möchte sie gar nicht öffnen.
Aber — es könnte ja ein Patient sein, der ihre Hilfe braucht. Sie seufzt ein wenig und geht, um die Tür zu öffnen.
Vor ihr steht kein brüllendes Kind, keine angstvolle Mutti, vor ihr steht — Gertie Schmidt, Doktor Kampmanns beste, ja, eigentlich ihre einzige Freundin, mit der sie bereits gemeinsam die Schulbank gedrückt hat.
Ihre Freundschaft hat sich über all die Jahre hinweg erhalten. Noch vor einer Viertelstunde wäre Susanne über diesen Besuch erfreut gewesen, der ihre Einsamkeit unterbrochen haben würde.
Aber jetzt wollte sie ausgehen, und sie ist gar nicht so sehr begeistert, dass Gertie ausgerechnet jetzt bei ihr erscheint. Aber ehe sich Susanne über ihre wahren Gefühle richtig klar wird, hängt ihr Gertie schon am Halse und bringt schluchzend hervor: „Susi, mein Leben ist vernichtet, ganz und gar!“
Sie ist ganz aufgelöst.
Doktor Kampmann zieht die Freundin in die Wohnung und schließt hinter ihr die Tür. Es kommen Leute die Treppe herunter, und sie hat es nicht gern, wenn ihretwegen ein Auflauf entsteht. Dann blickt sie das heulende Elend an und fragt: „Was ist denn passiert, Gertie?“
Aber die andere kann jetzt nicht antworten. Sie wird vom Schluchzen geschüttelt. Sie ist völlig erledigt und lässt sich willenlos von Susanne in ein Zimmer ziehen, auf einen Sessel drücken und die Jacke ausziehen.
Kopfschüttelnd steht Susanne neben ihr und blickt auf sie herab. Es muss irgend etwas geschehen sein, was Gertie über den Haufen geworfen hat.
Gertie und Susanne haben völlig entgegengesetzte Charaktere. Wo Doktor Kampmann energisch und resolut ist, wirkte Gertie schon als Schulmädel weich und weltfremd. Das heißt, so völlig weltfremd konnte sie aber wohl doch nicht gewesen sein, denn bereits im zarten Alter von achtzehn Jahren war Gertie verlobt. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit, einen Beruf zu erlernen. Doch das war gut so. Gertie könnte man sich weder im Labor noch hinter einem Schreibtisch vorstellen. Eine Gertie kann eigentlich nur der Sonnenschein, der Inbegriff eines trauten, gemütlichen Familienlebens und eines gepflegten Heimes sein. Gertie ist der sanfte Hafen für einen Mann, der am Abend erschöpft heimkommt, die Pantoffeln anzieht, die sie ihm fürsorglich herbeischleppt und dann im weichen Sessel oder an ihrer Brust neue Kraft und neuen Elan schöpft, um sich am nächsten Morgen wieder in den Kampf des grausamen Lebens zu stürzen.
Aber im Moment wirkt Gertie nicht wie ein Sonnenschein, sondern eher wie ein heftiger Gewitterregen. Ihre Haare sind zerzaust, und ihre Nase sieht geschwollen aus. Sie muss schon sehr viel geweint haben. Schließlich begreift Doktor Kampmann, dass Gertie kein Taschentuch bei sich hat. Sie drückt ihr eins in die Hand. Trotz ihrer Enttäuschung über das versäumte Konzert bringt sie es nicht fertig, der verstörten Gertie zu gestehen, dass sie eigentlich stört, und dass sie lieber Morgen wiederkommen soll.
Gertie hat Kummer, und einen solchen kann man nicht von einem Tag auf den nächstenen verschieben. Mit so etwas muss man gleich fertig werden.
Susanne beginnt auch gleich an dem praktischen Ende.
„Putz dir mal ordentlich die Nase, und dann schieß los, wo dich der Schuh drückt, mein Kleines“
Aber das ist leichter gesagt als getan. Gerti heult so, dass sie nur schluchzend hervorstoßen| kann: „Ich nehme mir das Leben, Susi. Ich geh ins Wasser! Ich dreh den Gashan auf"
Susanne hockt sich auf Gerties Sessellehne und runzelt die Brauen. Sie zündet sich eine Zigarette an und sagt dann kühl: „Für eins kannst du dich nur entscheiden, mein Herzblatt. Es ist biologisch unmöglich, zweimal zu sterben. Ehrlich gesagt — einmal genügt wirklich. Allerdings finde ich, dass man da nicht besonders nachzuhelfen braucht. Das kommt sowieso für uns alle einmal, da brauchen wir uns nicht besonders anzustrengen. Weshalb also willst du so etwas tun? Und — was würde Jürgen dazu sagen?“
Jürgen ist Gerties Mann. Bei seiner Erwähnung fährt Gertie in die Höhe. Ihre geschwollenen, verheulten Augen starren Susanne verstört an. Dann schreit sie: „Der? Pah, dem ist es doch ganz egal, was aus mir wird. Dem bin ich ganz gleichgültig.“
,Aha!‘ denkt Doktor Kampmann. .Gerties Kummer hat irgend etwas mit Jürgen zu tun. Was mag er ausgefressen haben?‘
Gertie klärt sie darüber auf. Sie ist ja hergekommen, um sich alles vom Herzen zu reden, was sie bedrückt.
Sie schleudert Susanne entgegen: „Jürgen betrügt mich!“
„Ach nein!“ sagt Doktor Kampmann und raucht ruhig weiter. Sie hat zwar gehört, was Gertie sagte, aber die ganze Tragik scheint ihr nicht richtig aufgegangen zu sein. „Er betrügt dich? Wie kommst du darauf? Ich kann mir das nicht denken!“
„Nicht wahr?“ jammert Gertie. „Er macht so einen anständigen Eindruck. Dabei hat er es faustdick hinter den Ohren. Du kannst dir das überhaupt nicht vorstellen.“
Susanne verzieht ein bisschen den Mund, um das sarkastische Lächeln zu unterdrücken, das Gertie wehtun würde, wenn sie es sähe. Denn —.Susanne kennt die Männer. Sie ist mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gegangen. Sie traut eigentlich jedem männlichen Wesen die tollsten Dinge zu. Weshalb also hätte ausgerechnet Jürgen Schmidt die Ausnahme von der Regel sein sollen?
Dabei hat Gertie recht, Jürgen macht einen ordentlichen Eindruck. Aber man weiß ja, gerade die stillsten Wasser sind am tiefsten. Arme Gertie, so muss sie also auch diese Erfahrungen machen. Susanne hätte es ihr nicht gewünscht.
Sie raucht ein paar Züge, dann fragt sie: „Wie bist du daraufgekommen, Gertie?“
Gertie nestelt in ihrer Jackentasche. Sie hat nicht einmal ein Handtäschchen bei sich.
Schließlich zieht sie ein Stück Papier heraus und reicht es Susanne, die es mit spitzen Fingern entgegennimmt.
„Da, lies! Diesen Wisch fand ich in der Tasche seines Bademantels. Du darfst nun nicht denken, Susi, dass ich herumgeschnüffelt hätte. Ach nein, nie wäre mir der Gedanke gekommen, dass Jürgen etwas zu verbergen haben könnte. Nun dies — durch reinen Zufall. Du musst wissen, mein Bademantel ist in der Reinigung, und ich pumpte mir mal Jürgens Mantel. Es ist ja auch nichts dabei, nicht wahr?"
Susanne schüttelt den Kopf.
„Aber nein, natürlich nicht, Schäfchen. Was sollte denn dabei sein, wenn du den Bademantel von Jürgen anziehst?“
Gertie schnupft auf.
„Jedenfalls fand ich bei dieser Gelegenheit den Brief, den du da in der Hand hältst. Lies nur.“
Es sind nur wenige Worte, die auf das Stück Papier gekritzelt worden sind. Aber sie genügen tatsächlich. Ja, sie genügen vollkommen, um eine junge Frau ganz und gar aus den Angeln zu heben, um ihr zu beweisen, dass sie viele Jahre lang all ihre Liebe, ihre Treue, ihre Fürsorge und ihr Vertrauen einem Nichtsnutz, einem unwürdigen Mann geschenkt und geopfert hat.
Es steht da zu lesen: „Ich weiß, was Dir fehlt. Mein Herz gehört nur Dir. Ich danke Dir für alle Deine Liebe. Lola.“
„Die Dame scheint im Telegrafenamt beschäftigt zu sein, ihrem knappen Stil nach zu schließen“, murmelt Susanne. Aber trotz ihres saloppen Tons fühlt sie sich erschüttert. Arme, kleine Gertie.
Susanne drückt ihre Zigarette im Ascher aus.
Gertie sieht sic gespannt an.
„Was sagst du nun?“
Susanne zuckt mit den Achseln.
„Ein starkes Stück, mein armes Kleines. Übrigens, du hast den Wisch doch bestimmt gleich Jürgen unter die Nase gerieben, nicht wahr? Was sagt er dazu?“
Gertie reißt die Augen auf, dann schüttelt sie den Kopf.
„Jürgen — weiß noch nichts davon. Jürgen habe ich noch gar nicht danach gesprochen, und ich werde ihn auch vor übermorgen Abend nicht sehen. Er ist auf einer dreitägigen Geschäftsreise. Das heißt, vielleicht ist auch das bloß erstunken und erlogen, wie alles andere, was er mir erzählt hat.“
Die Augen der sanften Gertie blitzen. Vielleicht sind es die letzten Spuren ihrer Tränen, aber vielleicht ist es auch schon die Erbitterung über ihre verratene Liebe, die langsam in ihr aufsteigt. Sie ballt die Hände zu Fäusten.
„Susi, ich glaub’, ich kratze ihm die Augen aus, wenn er kommt. Ich mach ihn kalt!“
Gerties gesunder Egoismus kommt wieder zum Vorschein. Susanne ist befriedigt. Es ist schon viel gewonnen, wenn Gertie nicht mehr selber ins Wasser gehen will.
„Bis übermorgen abend“, sagt sie laut, „wirst du deine Selbstbeherrschung schon wiedergefunden haben!“
Gertie verzieht den Mund.
„So, meinst du? Glaubst du wirklich, ich bin dann über alles hinweg? O nein, so einfach ist das nicht. Schließlich war Jürgen mein ganzes Glück. Aber nun hasse ich ihn. Am liebsten möchte ich ihn nie wiedersehen.“
„Du fällst von einem Extrem ins andere“, murmelt Susanne. Aber Gertie hört gar nicht hin, sondern fährt fort: „Vom ersten Tag unserer Ehe an habe ich bloß für ihn gelebt.“
„Das war dein Fehler!“ sagt Susanne trocken und zündet sich die zweite Zigarette an.
„So?“ fragt Gertie mit hoher Stimme. „Was hätte ich denn sonst tun sollen, Susi?“
Doktor Kampmann zuckt die Achseln.
„Man soll sich nicht mehr den Kopf über vergangene Dinge zerbrechen, Gertie. Man soll darüber nachdenken, was man in Zukunft besser tun kann.“
Gertie presst beide Hände gegen die Schläfen und wiegt den Kopf hin und her.
„Ich hasse ihn, diesen Schuft!“
„Willst du dich von ihm scheiden lassen?“ fragt Susanne sachlich.
Gertie hebt den Kopf und starrt sie düster an.
„Scheiden? Daran hab’ ich noch gar nicht gedacht. Aber das wäre vielleicht zu einfach. Damit hätte ich das Feld geräumt, damit wäre dieser Lola der Weg frei gemacht. Nein, nein, Susi, ich glaube, scheiden lassen werde ich mich nicht. Aber strafen möchte ich ihn. Zeigen möchte ich ihm, was er mit mir verliert oder was er an mir gehabt hat. Bittere, blutige Tränen soll er noch vergießen, so schnöde an mir gehandelt zu haben. Wenn ich bloß wüsste, wie ich das bewerkstelligen soll. Am liebsten würde ich meinen Koffer packen und verreisen."
Susanne nickt. •
„Keine schlechte Idee!“
Gertie runzelt die Stirn.
„Bloß — wohin soll ich fahren, Susi? Bis jetzt bin ich immer nur mit Jürgen verreist. Er hat alles gemanagt. Kannst du mir nicht etwas empfehlen? Du hast mir doch im vorigen Sommer so von deinem Urlaubsaufenthalt vorgeschwärmt. Kann ich da nicht hinfahren? War es nicht irgendwo an der Donau, in Niederösterreich?"
Susanne nickt.
„Ja, dort war es.“
Die schöne Donau — und die schönen Mondscheinnächte an der Donau, die sie da erlebte. Lieber denkt sie nicht daran, sonst überwältigt sie das heulende Elend. Sie hätte es ja haben können, mehr von der Sorte solcher Nächte zu erleben.
Sie wollte es ja nicht. Ihre Selbständigkeit war ihr lieber. Nun hockt sie da mit ihrer Selbständigkeit und der verdammten Sehnsucht nach Pippifax.
„Ob ich da noch unterkommen könnte, Susi — ich meine, in dem Hotel, in dem du gewohnt hast? Es war doch ordentlich?“
Susanne nickt abermals.
„O ja, ich kann dir das Haus empfehlen, Gertie.“
„Und die Betreuung ist auch gut?“
„Ja, ja, sehr gut."
Dumme Gedanken, die sie dabei überfallen.
Gertie streichelt der Freundin die Hand.
„Könntest du nicht ein gutes Wort für mich einlegen? Ich meine, du bist doch da bekannt. Vielleicht könntest du mal anrufen und fragen, ob ich dort ein Zimmer bekommen kann?“
Da hat es bei Susanne gefunkt. Dies ist ein Weg, um mit Pippifax wieder in Verbindung zu treten. Sie braucht bloß aufzustehen, an den Telefonapparat zu gehen und sich vom Fernamt mit Dürnstein an der Donau verbinden zu lassen. Dann besteht die Möglichkeit, Pippifaxens Stimme zu hören.
Ganz tief seufzt Susanne auf. Gertie missversteht dieses Seufzen.
„Susi, ich mache dir große Scherereien. Bitte, verzeih mir. Und du brauchst auch nicht zs telefonieren, wenn du nicht möchtest —!“
„Aber — ich möchte ja, Dummkopf!“ Susanne meint es ehrlich. So gern hat sie schon lange nicht mehr etwas gemocht. Aber trotzdem kann sie nicht verhindern, dass ihr das Herz bis in den Hals hinein klopft.
Eine Viertelstunde später klappt es mit der telefonischen Verbindung. Aber natürlich ist Pippifax nicht selbst am Apparat. Das hat er gar nicht nötig. Dazu hat er seine Leute. Sie verlangt also den Besitzer des Hotels zu sprechen.
Das Fräulein am anderen Ende der Leitung scheint unschlüssig.
„Ich weiß net, ob der Herr Saxenburger grad zu sprechen ist. Er befindet sich in einer Versammlung.“
In einer Versammlung, das kann sie der Katz erzählen. Wer hat am Abend um neun Uhr denn noch eine Versammlung!
Jedenfalls keine, zu der der Herr Saxenburger — was der bürgerliche Name Pippifaxens ist — geladen wird.
„Sagen Sie, wer ich bin, dann kommt er auch!“ verlangt sie, aber so sicher ist sie keineswegs. Wer ist sie denn schon, dass er sofort springt und alles im Stich lässt, wenn sie an der Strippe hängt?
Herzklopfend steht sie da, an einen Schrank gelehnt. Zum Sitzen hat sie keine Ruhe. Auf sich spürt sie Gerties erwartungsvolle Blicke gerichtet.
Wer weiß, was sie von ihr — Susanne — denkt? Aber wahrscheinlich gar nichts. Sie wird sich mit ihren eigenen Gedanken herumplagen.
Am anderen Ende der Leitung summt und brummt es. Stimmen sind zu hören. Aber es scheint eine Ewigkeit zu vergehen, bis es im Draht knackt, und Susanne daran merkt, dass jemand drüben den Hörer aufgenommen hat und sich räuspert. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, sich vorzustellen, dass Pippifax in dieser Sekunde das gleiche tut wie sie nämlich telefonieren.
„Saxenburger!“ sagt jemand heiser und räuspert sich nochmals. Es klingt, als habe er Mühe, seine Zunge zu regieren. Er mag innerhalb seiner Versammlung ein bisschen zu viel getrunken haben.
Das ernüchtert Susanne. Kühl nennt sic ihren Namen.
„Hier Doktor Kampmann, Berlin!“
„Hallo“, schreit Pippifax, „du bist es, Susann, altes Haus? Wie ist es, willst du nicht herkommen? Wir feiern gerade eine Verlobung. Du fehlst gerade noch. Weißt du noch, im vorigen Jahr —?“
Susanne will nichts wissen, sie will sich nicht erinnern. Es tut ihr ein bisschen weh, dass Pippifax mit ihr redet, als wenn sie gestern Abend Abschied voneinander genommen hätten und als ob nichts, außer guter Freundschaft, zwischen ihnen bestanden hat. Und sie heult manchmal noch um ihn. Schön verrückt ist sie!
„Nein“, erwidert sie kalt, „ich kann nicht kommen. Ich habe erst in einem Monat Urlaub. Du weißt, so einfach ist das bei mir nicht. Ich kann nicht bloß die Bude zumachen und durch die Welt gondeln. Außerdem will ich diesmal nach Frankreich fahren.“
„Hübsch, sehr hübsch!“ freut sich Pippifax. Dabei hätte er es eher bedauern sollen, dass sie keine Sehnsucht hat, ihn wiederzusehen.

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