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Inhalt

Hochzeit auf der Konradsburg

IMPRESSUM

Vielleicht sind die Träume nur Erinnerungen.

 

Anke Brandt

 

Hochzeit auf der Konradsburg

IMPRESSUM

Deutsche Originalausgabe

© der Originalausgabe: Anke Brandt

© dieser Ausgabe: Romantruhe

Röntgenstr. 79, 50169 Kerpen-Türnich

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, auch auszugsweise, Verleih und

Reproduktion sowie Speichern auf digitalen Medien

zum Zwecke der Veräußerung sind nicht gestattet.

Umschlagsgestaltung und Satz:

DigitalART, Bergheim

Umschlagmotiv: Shutterstock/LianeM

Produced in Germany.

ISBN der Printausgabe:

978-3-86473-584-4

www.romantruhe.de

Dieses Buch ist meinen Geschwistern gewidmet.

 

Für Marion, die stets meine geschichtlichen Interessen unterstützt hat.

Für Liane, die immer an mich geglaubt hat.

Für Reinhard, einfach, weil es dich gibt.

 

Alle Personen mit Ausnahme der historisch belegten Persönlichkeiten in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und unbeabsichtigt.

 

Vielleicht sind die Träume nur Erinnerungen.

(Friedrich Hebbel)

»Hier werde ich mal heiraten«, rief Judith aus, als sie ihren Rundgang beendet hatten. Ihre Eltern lächelten, wussten sie doch um die Vorliebe ihrer Tochter für mittelalterliche Spektakel und Märkte. Daher wunderte es sie nicht, als Judith ihren Entschluss nicht im Hochzeitszimmer der Konradsburg, sondern in der Schwarzen Küche fasste. Die nette Dame vom Förderverein Konradsburg e.V. hatte ihnen erzählt, dass diese Küche immer noch für Familienfeiern gemietet werden und man dort in alter Tradition mittelalterlich kochen und essen konnte.

»Meinst du nicht, dass du vielleicht erst einmal einen Mann zum Heiraten finden solltest?«, fragte Judiths Mutter nachsichtig.

»Den werde ich schon finden und wartet es ab, in spätestens fünf Jahren sehen wir uns hier wieder«, antwortete die 22-Jährige überzeugt.

 

***

 

Judith hatte den Besuch auf dieser kleinen Burg, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdiente, da es sich lediglich um die Reste einer Kirche samt Krypta und eines Klosters handelte, nie wieder vergessen. Sie war beeindruckt gewesen von der liebevollen Art, mit der die Vereinsmitglieder die Zeugnisse vergangener Zeiten zu erhalten versuchten, und ihr hatte die Herzlichkeit der Frau imponiert, die ihnen die Sehenswürdigkeiten gezeigt und erklärt hatte. Allein deswegen hielt sie an ihrem Entschluss, der in ihren Augen auch ein Versprechen war, fest und lag ihrem zukünftigen Ehemann, den sie kurz nach dem Ausflug in den Harz kennengelernt hatte, ständig damit in den Ohren, dass sie nur auf der Konradsburg heiraten würde.

Und nun war der Tag gekommen …

Judith war eine strahlende Braut. In ihrem Gewand, welches sie mithilfe einiger Freundinnen selbst genäht hatte, sah sie einfach hinreißend aus. Thomas, ihr Bräutigam, trug ebenfalls mittelalterliche Kleidung, die er aber in einem Mittelaltershop erstanden hatte. Zusammen fügten sie sich in das Hochzeitszimmer ein, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, es war ein Anblick wie im Märchen.

Die Standesbeamtin hatte sich ebenfalls der Mode des Brautpaares angepasst, schließlich traute sie nicht zum ersten Mal Mittelalterfans auf dieser Burg.

Nach der Trauungszeremonie begann die Feier und Judith konnte endlich die Schwarze Küche in Beschlag nehmen. Zusammen mit ihren Gästen entfachte sie ein Feuer und dann kochten sie aus den frisch gekauften Zutaten ein mittelalterliches Essen. Es war ein Riesenspaß für alle Beteiligten. Nur Judith fühlte sich von Minute zu Minute beklommener. Ob es der Geruch war oder der Rauch, der sie sich unwohl fühlen ließ? Sie konnte es nicht sagen, aber noch weniger konnte sie ihr Unwohlsein verbergen. Sie spürte lediglich, dass da etwas war, was sie nicht sehen oder greifen konnte, wusste nicht, was es war.

»Schatz, was hast du? Schmeckt dir das Essen nicht?«, fragte Thomas sie besorgt.

»Ach, nichts. Lass uns ein wenig an die frische Luft gehen«, bat sie und umfasste dabei die Hand ihres Mannes. Gemeinsam verließen sie das fröhliche Treiben in der Küche und schlenderten hinaus in den Hof.

»Komm, ich zeig dir was«, sagte Thomas und zog seine Braut in Richtung des Brunnenhauses. Die Tür stand offen, damit die Gäste nicht nur feiern, sondern sich auch die Sehenswürdigkeiten ansehen konnten.

Sie betraten das Brunnenhaus. Judith wusste von ihrem früheren Besuch, dass das Wasser einst mittels eines Esel-Tretrades zutage befördert wurde, aber dass die Anlage auch heute noch funktionierte, das erfuhr sie erst in dem Moment, als Thomas in das Tretrad stieg und es mit kräftigen Schritten in Bewegung setzte.

»Meine Güte, hab ich etwa einen Esel geheiratet?« Thomas lachte und Judith fiel in das Lachen ein. Vergessen war ihr Unwohlsein, sie sprang ebenfalls in das Rad und half mit, den Eimer aus 45 Meter Tiefe nach oben zu befördern. Anschließend gingen die Brautleute in die Kirche und Judith überkam plötzlich das Gefühl, dass sie ihr Ja-Wort jetzt und hier besiegeln müsste.

»Thomas, du darfst jetzt nicht lachen, hörst du?«

Der junge Mann schaute seine Braut etwas ratlos an, nickte aber.

»Du weißt, dass ich glaubensfrei und ohne Kirche aufgewachsen bin. Aber hier und jetzt …«

Thomas, der im Gegensatz zu Judith eine christliche Erziehung genossen hatte, ahnte, was sie sagen wollte. Denn paradoxerweise schien er das Gleiche zu fühlen wie seine Frau.

Deshalb griff er nach Judiths Händen, als sie weitersprach.

»Ich kann das nicht erklären. Aber ich glaube, es ist richtig, wenn wir uns hier noch einmal das Eheversprechen geben.«

»Aber dazu bräuchten wir einen …«

»Nein. Brauchen wir nicht. Nur wir zwei, sonst niemand. Spürst du es nicht? Irgendetwas ist hier, ich kann es fühlen, es ist so … tröstlich.« Judith wurde ein wenig rot bei ihren Worten, als würde sie sich dafür schämen. Aber sie konnte nicht anders, sie musste ihre Gefühle mit Thomas teilen.

Thomas suchte indes nach einer Antwort, die den Zauber des Augenblicks nicht zerstören würde. »Ja … es ist so, als wären wir nicht allein.«

Judith sah in das gequälte Antlitz der Jesusfigur. Es schien ihr, als könnte sie seine Güte fühlen.

Da hörte sie wie aus weiter Ferne Thomas’ Stimme.

»Judith, vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau. Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.«

Der jungen Frau traten Tränen in die Augen. Sie hob den Blick, sah Thomas fest in die Augen und sprach: »Thomas, vor Jesus’ Angesicht nehme ich dich an als meinen Mann. Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.«

Thomas stutzte kurz, nahm seine Braut in die Arme und küsste sie lang und innig. Sie verweilten noch einen kleinen Moment vor dem Altar und wandten sich dann schließlich wieder dem Ausgang zu.

Judith fröstelte ein wenig, aber als sie sich umgedreht hatte, überlief sie ein eisiger Schauer.

Über der Tür hing ein zweites Kruzifix. Die junge Frau stieß einen Schreckensschrei aus, denn der Anblick war Furcht einflößend. Am Kreuz hing ein Körper, der sich in Schmerzen zu winden schien, aber wo der Kopf hätte sein müssen, klaffte eine riesige Wunde im Holz. Damit nicht genug. Am unteren Kreuzende war ein Totenschädel auf zwei Knochen abgebildet! Judith schrie nochmals auf und rannte unter dem Kreuz hinweg aus der Kirche.

Thomas folgte ihr und nahm sie draußen sanft in die Arme.

»Beruhige dich, es ist doch nur ein Kreuz. Nur Holz, an dem der Zahn der Zeit genagt hat …«

 

Judith schluchzte immer weiter, bis Thomas etwas energischer wurde.

»Judith, reiß dich zusammen. Was sollen die Gäste denken? Komm, wir wollen schauen, ob die Musikanten schon da sind. Und gegessen hast du auch noch nichts.«

Judith wurde zusehends ruhiger, dann lächelte sie Thomas sogar schon wieder entgegen.

»Also gut, lassen wir uns den Tag von diesem kopflosen Ungeheuer nicht verderben. Ich hab mich nur so furchtbar erschrocken. Ich war damals nicht in der Kirche, weil mir Kirchen bisher immer Unbehagen bereitet haben. Ich dachte, wenn man nicht glaubt, hat man dort auch nichts verloren. Ich kam mir bei den wenigen Gelegenheiten immer wie ein Eindringling vor.« Im Stillen dachte sie jedoch, dass sie den Anblick niemals vergessen würde. Denn, auch wenn der Gekreuzigte kopflos war, glaubte sie doch, seine Blicke auf sich gefühlt zu haben.

Thomas hätte seiner Frau nun einen langen Vortrag über christliche Nächstenliebe halten können, aber da er wusste, wie sensibel Judith auf dieses Thema reagierte, strich er ihr nur über die Haare und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. Dann gesellten sie sich wieder zu ihren Gästen und kurz darauf spielte eine Mittelalterband zum Tanz auf.

Mit jedem Stück wurden die Feiernden ausgelassener. Es wurde getanzt und gelacht, zwischendurch bediente man sich am Buffet, welches an diesem lauen Sommerabend auf der Festwiese aufgebaut war. Natürlich bot auch dieses wieder mittelalterliche Spezialitäten, doch waren die Köstlichkeiten nun vom hauseigenen Gastronomiebetrieb zubereitet worden.

Als die Dämmerung hereinbrach, begannen die jungen Leute, ihre Zelte auf dem Klosterhof aufzubauen, die älteren hingegen würden in der Pension Forsthaus übernachten. Für das Brautpaar gab es direkt auf der Konradsburg ein Zimmer, in welchem es die Hochzeitsnacht verbringen würde.

Gegen Mitternacht löste sich die Hochzeitsgesellschaft nach und nach auf. Es war ein genauso schöner wie auch anstrengender Tag gewesen, nicht nur für das Brautpaar.

Als Thomas und Judith endlich im Bett lagen, entsann sich die junge Frau wieder des unguten Gefühls, welches sie am Mittag überkommen hatte. Alle Zärtlichkeiten, die Thomas seiner Braut zukommen ließ, konnten sie nicht aus ihrer Starre lösen. Irgendwann gab er die Hoffnung auf eine klassische Hochzeitsnacht auf und schlief ein.

Judith aber versank mehr und mehr in Grübeleien. Sie verstand nicht, was am Tag geschehen war, warum sie das Gefühl nicht loswurde, dass irgendetwas nicht richtig war. Sie hatte sich doch so sehr auf diesen Tag gefreut. Sie liebte Thomas über alles, sie war ihm unendlich dankbar, dass er ihr ihren Traum von einer mittelalterlichen Hochzeit erfüllt hatte, obwohl er wohl lieber etwas moderner gefeiert hätte. Alles war in Ordnung, bis zu dem Moment, als Judith in der Schwarzen Küche das Feuer entfacht und ganz in die Rolle der Burgherrin geschlüpft war … Dann dieses Unbehagen in der Kirche. In Kirchen hatte sie sich noch nie wohlgefühlt, Gott war für sie ein Fremder. Aber etwas war da gewesen …

Ach was, versuchte Judith sich selbst zu beruhigen, morgen ist der Spuk vorbei. Dann fahren wir an die Ostsee und genießen unsere Flitterwochen. Mit diesem Gedanken zog sie die leichte Decke bis unters Kinn und griff nach dem Büchlein, das neben ihrem Bett lag. Es war eine alte Ausgabe mit Harzsagen und Judith blätterte lustlos darin herum, bis ihre Blicke an dem Begriff »Kuttenpfennig« hängen blieben. Weil sie das Wort nicht kannte, begann sie zu lesen, bis ihre Augen vor Müdigkeit zufielen.

 

Komm … komm … komm …

Schweißgebadet und mit klopfendem Herzen wachte Judith auf. Es war immer noch dunkel, also hatte sie nicht mehr als vier Stunden geschlafen. Sie lauschte in die Stille, die Stimme war verstummt. War es nur ein Traum? Sie drehte sich auf die Seite und … vernahm wieder dieses verlockende Säuseln, das sich anhörte wie ein flehentlicher Ruf.

Komm … komm … komm …

Wie in Trance stand Judith auf, schlüpfte in den Bademantel und verließ das Zimmer.

Im Hof war alles still. Sie sah sich suchend um, hoffte, die Quelle für ihre Unruhe zu entdecken. Doch da war nichts. Judith fröstelte leicht und zog den Bademantel enger zusammen.

Wie magisch angezogen führten ihre Füße sie in Richtung der Kirche. Vor der Tür verharrte sie und lauschte in die Dunkelheit. Doch die Stimmen, das Säuseln, ließen sich nicht mehr vernehmen. Plötzlich schrak die junge Frau zusammen … aus der Krypta glaubte sie ein Geräusch zu hören. Judith wollte schreien, weglaufen, aber sie war zu keiner Regung fähig. Das Unwohlsein, welches sie schon den ganzen Tag verspürt hatte, stellte sich augenblicklich wieder ein. Und nun konnte Judith das Gefühl zuordnen. Sie hatte Angst!

Was sollte sie tun? Thomas wecken? Er würde sie wohl nur auslachen. Sie erinnerte sich noch gut an den Moment, als das Kreuz mit dem kopflosen Jesus ihr diesen Schrecken eingejagt hatte und er sie aus der Kirche zog, ohne darauf einzugehen. Stattdessen fiel Thomas nichts weiter ein, als sie daran zu erinnern, dass sie noch nichts gegessen hatte.

Hatte er es wirklich nicht verstanden? Auf diesem Kreuz hätte die Jesusfigur als strahlender Sieger abgebildet sein müssen, mit einer richtigen Krone statt Dornen, als Sieger über den Tod. Aber Krone samt Kopf fehlten, und trotzdem wusste Judith, wie das Gesicht ausgesehen hatte. War sie die Einzige, die es schon einmal gesehen hatte? Aber wo? Und wann?

Judith betrat die Kirche, ging bis vor den Altar und drehte sich um. Sie hatte Angst, den Blick zu heben, tat es nach einer Weile dann doch. Und was sie im fahlen Mondlicht erkennen konnte, war noch grausamer als der Anblick bei Tageslicht. Was dort hing, war die furchtbarste Abbildung des Todes, die sie je zu sehen bekommen hatte. Die Wunde, wie sie es bezeichnete, war ungleichmäßig ausgefranst, so, als hätte man dem Mann dort oben den Kopf abgebissen oder abgerissen. Und wieder meinte sie zu wissen, wie das Gesicht ausgesehen hatte.

Je länger Judith auf die Figur starrte, desto mehr überschlugen sich ihre Gedanken.

Was, wenn Jesus den Tod gar nicht besiegt hatte und doch am Kreuz gestorben war? War dann alles, woran so viele Menschen glaubten, eine einzige große Lüge?

Judith war zwar ohne jede Religion aufgewachsen, dennoch hatte sie die Geschichte Jesu seit frühester Kindheit interessiert. Sie glaubte nicht an Gott, aber sie war bereit zuzugestehen, dass es einen Menschen wie Jesus gegeben haben musste, weil die Kirche sein Leben als Fundament nutzte. Und sich seine Lehren immer dann zugutehielt, wenn sie mal keinen Glaubenskrieg entfesselte. Das jedenfalls war das Bild, das sich die junge Frau bisher selbst von der Kirche gemacht hatte. Mit einfachen Worten glaubte sie zwar an das Leben Jesus’, aber Gott war für sie nicht existent.

Judith starrte immer noch wie gebannt auf das Kreuz, als sie wiederum ein Geräusch vernahm. Es war aber nicht das lockende Säuseln wie vorhin, sondern ein Kratzen und Scharren … kaum wahrnehmbar … beunruhigend. Und es kam nicht aus der Kirche, sondern von unten, aus der Krypta. Aber dort war doch nichts. Woher kamen also die Geräusche?