Die Autorin

Jennifer Bright – Foto © Copyright 2019 privat

Jennifer Bright, geboren 1993, ist schon seit ihrer Kindheit begeistert von Büchern. Dieser Leidenschaft verleiht sie nicht nur durch das Schreiben eigener Romane Ausdruck, sondern ist unter dem Namen wortgetreu auch als Bloggerin und Booktuberin unterwegs.

Das Buch

Du bist der Funken Hoffnung in meiner Dunkelheit

Zoe lebt mit ihrer besten Freundin Kate in einer WG in London und wünscht sich nichts mehr, als frei zu sein. Frei von den Erwartungen ihrer Eltern und frei von den Panikattacken, die sie immer wieder erschüttern. Als Kates neuer Freund Noah eine Unterkunft braucht, stimmt Zoe zu, ihn vorübergehend einziehen zu lassen. Obwohl ihr Aufeinandertreffen alles andere als reibungslos verläuft, entdeckt sie mit der Zeit immer mehr Gemeinsamkeiten und fühlt sich zu Noah hingezogen. Zoe weiß, dass ihre Gefühle falsch sind und sie die Freundschaft zu Kate kosten könnten. Doch als Zoe bemerkt, dass sie an Noahs Seite freier ist als jemals zuvor, geraten ihre guten Vorsätze ins Wanken …

Jennifer Bright

The Right Kind of Wrong

Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Dezember 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95818-472-5

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Playlist

Oceans – Seafret
Something Worth Saving – Gavin DeGraw
I Found – Amber Run
Say You Won’t Let Go – James Arthur
Anxiety – Julia Michaels ft. Selena Gomez
Incredible – James TW
The Dirt – Tor Miller
Neyer Say Never – The Fray
Poetry – Wrabel
STFU & Hold Me Acoustic – Liz Huett
House – Joshua Moss
Girl Crush – Harry Styles
You – Callum James
Drive – Halsey
Empty Space – James Arthur
Someone You Loved – Lewis Capaldi

Prolog


Meine nackten Füße tragen mich über das dunkle Parkett unserer sonnendurchfluteten Dreizimmerwohnung. Nur mit einem weißen Top und einem Slip bekleidet schleppe ich mich in die Küche, um mir meinen morgendlichen Kaffee zu machen.

Kate sitzt in ihrem rosa Schlafanzug am Küchentisch und schiebt sich ein Stück vom Pancake in den Mund. Ihre schulterlangen blonden Haare stehen in alle Richtungen ab, sodass sie den Anschein erweckt, als hätte sie es gerade mit einem Bären aufgenommen und den Kampf haushoch gewonnen.

»Möchtest du auch welche, Zoe?« Sie deutet auf den leeren Teller ihr gegenüber und die dampfende Einhorntasse mit schwarzem Kaffee.

Mit einem zufriedenen Seufzen und einem Nicken lasse ich mich auf den Holzstuhl fallen. Der erste Schluck vom Kaffee ist purer Balsam für die Seele.

»Wie geht es dir?« Kate sieht mich mit diesem besorgten Gesichtsausdruck an, der mir verrät, dass sie mir noch immer nicht glaubt, dass ich über die Trennung von meinem Ex-Freund hinweg bin. Ja, es war schwer, vor vier Wochen einen Schlussstrich zu ziehen, und doch war dieser bitter nötig gewesen.

»Kate, du musst mich das nicht jeden Morgen fragen. Es war die richtige Entscheidung. Du weißt, dass ich schon länger an unserer Beziehung gezweifelt habe, und Matthews Lüge hat mir den Rest gegeben.« Ich nippe an meinem Kaffee und denke an den Tag zurück, an dem ich erfahren habe, dass er mir wochenlang etwas vorgemacht hat.

Es war immer mein Traum, eine Europareise zu machen. Doch ich habe Matthew gesagt, dass wir sie auch nach unserem Studium unternehmen können. Ich weiß, dass sein Medizinstudium bei ihm an allererster Stelle steht. Trotzdem hatte er mir versprochen, sich ein Urlaubssemester zu nehmen, um mit mir zu verreisen. Noch schlimmer, er hatte behauptet, dass er es schon beantragt hätte. Also tat ich es ihm gleich. Nachdem meines bewilligt worden war, hatte ich mich gefragt, weshalb es bei ihm so lange dauerte.

»Du weißt, ich war nie ein großer Fan von Matthew, aber ich komme immer noch nicht darüber hinweg, wie dreist er dir etwas vorgemacht hat. Du hast so viel Zeit investiert, hast tagelang Unterkünfte und Routen rausgesucht, für nichts und wieder nichts.« Sie schüttelt ungläubig den Kopf.

Als ich von seiner Lüge erfahren habe, hat er geglaubt, dass es mit einer einfachen Entschuldigung getan wäre. Er wurde richtig grimmig, weil ich ihm gesagt habe, wie enttäuscht ich von ihm bin. Das ist typisch für ihn, sobald er etwas falsch gemacht hat, dreht er den Spieß um und schiebt mir den schwarzen Peter zu.

»Wir waren einfach zu verschieden«, beteuere ich und denke an all die Zeichen, die mir schon früher hätten auffallen müssen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würden wir seit einem Jahr zusammenwohnen, nächstes Jahr heiraten, danach das erste von drei Kindern zeugen und in einem schicken Reihenhaus am Rande Londons leben.

Ich selbst sehe mich in zwei Jahren auf der Suche nach dem großen Abenteuer ohne Verpflichtungen und den Moment genießend auf irgendeiner Insel am Strand liegen.

Er ernährt sich stets gesund und macht um jedes Fast-Food-Restaurant einen großen Bogen, während ich für eine fettige Pizza töten würde.

Er lebt für seinen Job. Ich lebe für die Freiheit.

Er macht regelmäßig Sport. Ich bin froh, wenn ich mich einmal im Jahr zum Joggen aufraffen kann.

Er sieht zu meinen erfolgreichen Eltern auf. Ich verachte sie.

Er möchte in London alt werden. Ich möchte mal hier und mal dort wohnen.

Er ist ein Ordnungsfreak. Ich bin eine Chaotin.

Unsere Träume sind so weit voneinander entfernt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich unsere Wege trennten. Und vielleicht haben wir es beide auch von Anfang an gewusst. Gewusst, dass wir kein Für immer sind.

»Lass uns lieber das Thema wechseln«, sage ich und lehne mich zurück.

Plötzlich fängt Kate an, bis über beide Ohren zu grinsen, während sie mit ihren kurzen Haaren spielt. Nervös rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich habe dir doch vor ein paar Monaten von meinem neuen Freund erzählt.«

Dass vor ein paar Monaten in Wahrheit erst vier Wochen her ist, versuche ich mit zusammengepressten Lippen für mich zu behalten. Kate hatte noch nie ein gutes Zeitgefühl. Eine Woche gleicht in ihrer Welt einem halben Jahr. »Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«

Sie hüpft von ihrem Stuhl auf und stellt den leeren Teller mit einem lauten Klappern in die Spüle. Mit dem Rücken zu mir sagt sie: »Er fängt im kommenden Semester an, hier zu studieren. Das bedeutet, er zieht nach London und wir können uns jeden Tag sehen. Ich kann es kaum abwarten. Allerdings gibt es da ein klitzekleines Problem.« Mit ihren Rehaugen sieht sie mich unschuldig über ihre Schulter hinweg an und klimpert mit den Wimpern. »Er muss morgen aus seiner Wohnung in Liverpool raus. Aber er hat hier noch nichts gefunden. Du weißt ja selbst, wie überlaufen der Wohnungsmarkt in London ist. Leider kennt er in der Stadt auch niemanden außer mir, und da habe ich ihm angeboten, erst einmal bei uns zu wohnen.« Die Worte sprudeln nur so aus ihrem Mund, und es wundert mich, dass sie bei diesem Tempo überhaupt noch Luft bekommt.

»Aber du weißt schon, dass wir hier gemeinsam wohnen? Wieso fragst du mich nicht erst, bevor du so etwas über meinen Kopf hinweg entscheidest?«, frage ich sie mit sanfter Stimme.

Ich bin viele spontane Schnapsideen von ihr gewöhnt, aber wie stellt sie sich das vor? Diese Wohnung ist viel zu klein für noch einen Mitbewohner, und er kann auf gar keinen Fall das Wohnzimmer in Beschlag nehmen.

Mit einer schnellen Bewegung dreht sie sich wieder zu mir. »Es tut mir leid, Süße. Aber ich wusste, dass du sowieso Ja sagen würdest. Du hast doch ein Herz für mittellose Studenten.«

Sie hat recht. Natürlich hat sie das. Kate weiß ganz genau, dass ich ihr kaum etwas abschlagen kann. Trotzdem wäre es mir lieber, sie würde so eine wichtige Entscheidung mit mir gemeinsam treffen. Sie konnte ihn mir bisher nicht vorstellen, weil sie sich immer bei ihm in Liverpool getroffen haben. Doch ihre Schwärmereien bekomme ich nicht mehr so leicht aus dem Kopf. Tagein, tagaus habe ich nur noch mit halbem Ohr zugehört, sobald sie angefangen hat, von ihm zu reden. Dass dabei viel bei mir hängen geblieben ist, wage ich zu bezweifeln. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass Kate sich von einer Beziehung in die nächste stürzt. Das war schon immer so. Sie wechselt ihre Freunde schneller, als ich Glaubst du nicht, Single zu sein würde dir auch mal guttun sagen kann.

Kate hat Angst, allein zu sein. Sie mag es, zu wissen, dass Nachrichten mit Herzsmileys darauf warten, von ihr beantwortet zu werden. Sie mag es, nachts in ihrem Bett zu telefonieren und mit einem Ich liebe dich am Ohr einzuschlafen. Sie mag es, sich diese romantischen Komödien anzuschauen, die ich nicht leiden kann. Kate und ich können über alles sprechen, doch jedes Mal, wenn ich sie frage, wieso sie sich wieder in die nächste Beziehung stürzt, wechselt sie gekonnt das Thema.

Ein wenig verstehe ich ihre Angst vor dem Alleinsein. Auch ich habe vor der Trennung mehr als einmal das Pro und das Kontra abgewogen. Ich habe es mir nicht vorstellen können, nach etwas mehr als zwei Jahren wieder Single zu sein. Manchmal liege ich nachts wach und wünsche mir nichts mehr als jemanden, dem ich nahe sein kann. Ich bereue es nicht, dass ich Matthew kennen- und lieben gelernt habe. Ich bereue es aber auch nicht, mich von ihm getrennt zu haben.

Das laute Klirren von Besteck reißt mich aus meinen Gedanken. Kate steht an der Spüle und beginnt, das Geschirr abzuwaschen.

»Okay, hör zu. Dein toller Freund kann natürlich fürs Erste bei uns unterkommen. Aber er wird in deinem Zimmer schlafen und nicht unser Wohnzimmer für sich beanspruchen. Außerdem will ich einen geregelten Plan, damit meine ich den Küchendienst, Badzeiten und all das andere Zeug, was anfällt, wenn man sich einen dritten Mitbewohner ins Haus holt. Hoffentlich bringt der Streuner keine Flöhe mit.« Ich nehme mir das Tuch zum Abtrocknen und stelle mich mit einem leichten Schubser in Kates Seite neben sie.

»Ich habe die beste Freundin der Welt.« Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und spült weiter die Teller und Tassen ab.

Lächelnd werfe ich das Geschirrtuch auf ihren Kopf und versperre ihr damit die Sicht. Ihr Lachen erfüllt den kompletten Raum, und ich kann ihr nicht böse sein.

Ich weiß nicht, woran es lag, aber es brauchte nur wenige Tage, bis ich begriff, wie viel mir dieser blonde Wirbelwind bedeuten würde. Sie ist mehr als eine Freundin. Mehr als eine beste Freundin. Sie ist die Familie, die ich nie hatte. Sie teilt mit mir, wie es nur eine Schwester kann. Sie ist so fürsorglich wie eine Mutter und so stolz wie ein Vater. Und wenn ich eines weiß, dann, dass ich für sie dasselbe bin. Familie.

Während ihr Lachen noch nachhallt, werfe ich einen Blick auf die Uhr über der Küchentür. »Oh Mist!« Schnell lege ich das Geschirrtuch auf den Tresen und trockne mir die feuchten Hände an meinem Shirt ab.

Ich hätte beinahe vergessen, dass ich heute einen Termin bei der Vermittlungsagentur habe. Sie haben ein neues Projekt für mich, an dem ich arbeiten soll. Auch wenn mir die Themen, die sie mir zuteilen, oft nicht gefallen, bin ich heilfroh darüber, neben dem Journalismusstudium ein wenig Geld dazuverdienen zu können. Da sehe ich auch mal darüber hinweg, dass ich einen Artikel über Dating-Apps oder über ein neues Enthaarungsprodukt schreiben soll.

»Ich muss mich beeilen. Ich habe in einer Stunde einen Termin in der Agentur. Wann genau kommt dein Freund? Ach, und wie heißt er noch mal? Nate? Niclas? Nathaniel?«

Ohne jegliche Vorwarnung klatscht sie mir das nasse Geschirrtuch ins Gesicht, welches langsam an mir hinunterrutscht und anschließend auf dem Boden landet. »Du dumme Nuss. Du weißt genau, wie er heißt. Ich habe dir seinen Namen schon hundertmal genannt. Noah. Ich kann dir leider keine Uhrzeit nennen, aber gegen Abend müsste er hier sein.« Sie grinst. »Jetzt beeil dich lieber. Du solltest echt duschen, du siehst fürchterlich aus.«

»Ich habe dich auch lieb.« Mit einem Kopfschütteln verlasse ich die Küche und hoffe, dass ich es noch rechtzeitig zu meinem Termin schaffe. Auch wenn ich für mein Chaos bekannt bin, so hasse ich es, zu spät zu kommen und mir irgendeine dumme Ausrede einfallen lassen zu müssen, die einem sowieso keiner abkauft.

Im Wohnzimmer bleibe ich kurz stehen. Für Außenstehende muss es ziemlich zusammengewürfelt wirken. Dabei haben wir es genau so gewollt, wie es jetzt ist. Vom Flur aus hat man einen direkten Blick auf das große Fenster mit den weißen Holzrahmen, von dem die Farbe langsam abblättert. Links daneben steht mein Bücherregal in einem hellen Mintton, welches in die Wand eingelassen ist und vom Boden bis zur Decke reicht.

Auf der rechten Seite befindet sich das graue Sofa mit bunten Kissen, das wir einem Bekannten abgekauft haben. Der gelbe Sessel, auf den ich bestanden habe, steht auf einem weißen Teppich. Die Wände sind in einem hellen Grau gestrichen, und eine große Monstera füllt den Platz neben der Tür, die zur Küche führt. Diese Pflanze, die wir liebevoll Sebastian getauft haben, haben wir uns gemeinsam zum Einzug gekauft. Seither gedeiht sie und ist um das Dreifache gewachsen.

An der weißen Decke hängt ein bunter Kronleuchter aus Echtglas, auf den wiederum Kate bestanden hat. Ich persönlich mache jedes Mal einen großen Bogen um ihn, damit mir dieses mörderisch schwere Teil nicht auf den Kopf fallen kann.

Auf dem Weg ins Badezimmer versuche ich, den Gedanken zu verdrängen, dass ich mir bald meine heiligen vier Wände mit einem ungebetenen Gast teilen muss. Ich kann für Kate nur hoffen, dass ihr neuer Freund nicht so eine Vollkatastrophe ist wie ihr letzter. Ich liebe Kate wirklich, aber sie hat trotz ihres guten Herzens ein echtes Gespür dafür, sich die falschen Männer auszusuchen.

Kapitel 1


»Der Artikel muss allerspätestens in zwei Wochen bei dem Onlinemagazin eingehen«, erklärt mir Lauren, meine Ansprechpartnerin in der Vermittlungsagentur Peak & Paper.

Es ist einem Zufall zu verdanken, dass ich vor einem halben Jahr, inmitten meines zweiten Semesters, an diesen Job gekommen bin. Eine Kommilitonin hat eine Arbeit von mir überflogen, als sie mir aus der Tasche gefallen war, und mich gefragt, ob ich gerne mit dem Schreiben etwas dazuverdienen würde. Sie gab mir die Kontaktdaten von Lauren, und weil wir uns sofort verstanden haben, konnte ich gar nicht anders, als diesen Job anzunehmen. Da mir das Arbeiten in einem Café überhaupt keinen Spaß bereitet hatte, kam diese Möglichkeit wie gerufen, und ich machte drei Kreuze, als ich endlich kündigen und bei Peak & Paper anfangen konnte.

Meine Eltern waren immer davon ausgegangen, dass ich in ihre Fußstapfen treten und eines Tages ihre Praxis übernehmen würde. Dass ich mit Medizin absolut nichts am Hut haben möchte, war und ist ihnen noch immer ein Dorn im Auge. Es glich einem Kampf, meinen eigenen Weg einzuschlagen. Hätte Opa mir nicht immer wieder gesagt, dass ich mein eigenes Leben an die erste Stelle setzen muss, dann hätte ich mich vielleicht von meiner Mutter bequatschen lassen.

»Das kriege ich hin«, antworte ich Lauren, die mich erwartungsvoll anschaut. Dass ich diesen Artikel schwachsinnig finde, so wie die letzten auch schon, behalte ich lieber für mich. Ich soll doch tatsächlich für ein Frauenmagazin einen Beitrag darüber schreiben, wie schnell man als junge Frau an die Telefonnummer eines Mannes kommt. Ich würde mich nicht gerade als Vollblutfeministin bezeichnen, und trotzdem sträubt sich in mir etwas dagegen, mich Männern anzubiedern, um sie als Versuchsobjekte benutzen zu können.

Sie überreicht mir die E-Mail-Adresse, an die ich meinen fertigen Beitrag senden soll, und erhebt sich auch schon von ihrem kupferroten Stuhl. »Ich muss zum nächsten Termin. Es hat mich gefreut, dich wiederzusehen, Zoe. Ich melde mich, sobald ich noch etwas Passendes für dich habe.«

Etwas Passendes. Wie kommt sie nur immer auf die Idee, dass all diese Themen zu mir passen würden? Es ist nicht so, dass ich noch nie den Mund aufgemacht hätte. Jedoch hat man mir deutlich zu verstehen gegeben, dass sich Artikel über das Reisen und verschiedene Kulturen schlechter verkaufen lassen.

Mit einem kräftigen Händedruck verabschieden wir uns voneinander, und sie begleitet mich aus ihrem Büro.

Ich will gerade in meinen Wagen steigen, da überlege ich es mir anders und entscheide mich kurzerhand dafür, einen Abstecher ins Hatchards zu machen, den ältesten Buchladen Londons. Die Wahrscheinlichkeit, dort noch ein signiertes Exemplar vom neuen Stephen-King-Werk zu ergattern, ist ziemlich gering, aber trotzdem ist es einen Versuch wert. Auch wenn man die signierte Sonderausgabe im Internet kaufen kann, bin ich kein großer Fan davon, denn damit schwäche ich den stationären Buchhandel. Dafür fühle ich mich viel zu wohl in Büchereien und Buchhandlungen.

Meine Liebe zu Büchern fing früh an. Genauer gesagt, als mein Opa mir den ersten Harry-Potter-Roman gekauft hat, seither hüte ich alle Bände wie einen Schatz. Mit vierzehn Jahren habe ich einen Blog erstellt, in dem es nur um Bücher ging. Die einzige freie Zeit, die mir zum Erstellen der Posts blieb, waren die späten Abendstunden. Nach dem Unterricht an einer der renommiertesten Privatschulen Londons folgte ein straffer Zeitplan. Klavier-, Ballett- und anschließend Geigenstunden. Jeden Tag. Von Montag bis Sonntag.

Mein Blog, den ich mühsam allein aufgebaut hatte, wuchs immer weiter, und irgendwann hatte ich mehrere Tausend Leserinnen und Leser, die stets auf einen neuen Beitrag von mir gewartet haben. Eine meiner Leserinnen war Kate, und das, obwohl sie höchstens fünf Bücher im Jahr liest. Unter fast jeden Post von mir schrieb sie einen Kommentar, bis wir irgendwann Handynummern austauschten und von da an jeden Tag in Kontakt standen. Es hat mindestens ein Jahr gedauert, bis wir uns das erste Mal getroffen haben. Meine Mutter hatte mir jegliches Ausgehen untersagt. Das Haus verlassen durfte ich nur zu Terminen, die sie in meinen Kalender eingetragen hatte.

Kate war der erste und bisher einzige Mensch, mit dem ich mich sofort verbunden gefühlt habe. Es ist meinem Opa zu verdanken, dass wir uns damals getroffen haben. Er hat meine Mutter davon überzeugt, dass ich Zahnschmerzen hätte und er mit mir zum Zahnarzt gehen müsse. Doch in Wahrheit hat er mir viel Spaß mit Kate gewünscht und mir den Rücken freigehalten.

Hatchards befindet sich direkt am Piccadilly Circus, weshalb ich es von der Agentur nicht weit habe und mich entscheide, zu Fuß zu gehen.

Die Buchhandlung hat eine eher unscheinbare Außenfassade, doch sobald ich den Laden betrete, fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen. Dieser Ort hat etwas Magisches an sich, mit den dunklen Bücherregalen, die vom Boden bis zur Decke reichen, dem gemütlichen Licht, den Gemälden an der Wand und dem Stein- und Teppichboden.

Manchmal komme ich mit einem Buch im Schlepptau hierher, um mich auf eines der Ledersofas zu setzen, die vor großen Fensterfronten stehen, welche einen Blick auf den Trubel der Straßen erlauben.

Zielstrebig gehe ich die Treppe hinauf, um zu den Thrillern zu gelangen. Sofort erblicke ich den anscheinend leeren Aufsteller zu dem neuen Buch, das seit einigen Tagen erhältlich ist. Mit hängenden Schultern, aber einem kleinen Funken Hoffnung in mir trete ich näher heran und bleibe wie erstarrt stehen, als ich einen großen Mann sehe, der gerade nach der letzten signierten Ausgabe greift.

Er trägt einen schwarzen Mantel, eine schwarze Jeans und schwarze Boots. Wenn ich ihn mir genauer anschaue, habe ich das Gefühl, wir hätten Winter. Zugegeben, der Sommer in England ist nicht gerade heiß, und die letzten Tage war es trotz Sonnenschein auch nicht warm, aber ein wenig Farbe im Outfit würde ihm sicher guttun.

Meine Füße stecken in weißen Chucks, und mein Kleid, welches mir bis zu den Knien reicht, schreit mit seiner gelben Farbe und den weißen Gänseblümchen förmlich nach Sommer.

Ich betrachte das Profil des Mannes genauer, beobachte ihn dabei, wie er gebannt den Klappentext des Buches liest. Was mir sofort ins Auge fällt, sind seine Haare. Sie sind etwas länger, sodass er sie sich im Nacken zu einem winzigen Zopf gebunden hat. Einige der braunen Haarsträhnen scheinen sich aus dem Haargummi befreit zu haben und fallen ihm ins Gesicht, wodurch ich seine Augen nicht sehen kann. Durch die Haare erinnert er mich leicht an Tarzan, auch wenn ich zugeben muss, dass er deutlich attraktiver ist als der Mann, der mit den Affen aufgewachsen ist. Seine Nase ist weder zu klein noch zu groß, die Lippen voll und geschwungen, doch was besonders heraussticht, sind seine Kieferpartie und die Wangenknochen. Als hätte jemand das perfekte Bild eines Mannes gezeichnet.

Plötzlich ziehen sich seine Mundwinkel nach oben und entblößen ein tiefes Grübchen in der Wange. Ich kenne den Klappentext in- und auswendig und frage mich, was er daran so amüsant findet. Mir fällt keine Stelle ein, bei der einem auch nur ansatzweise nach Lachen zumute wäre.

Ich mache gerade einen Schritt auf ihn zu, als er das Buch aus der Hand legt, um sein Handy aus der Jeans zu holen und es sich ans Ohr zu halten. Ohne groß darüber nachzudenken, ergreife ich meine Chance, bin mit vier großen Schritten bei ihm, lächle höflich und schnappe mir das Buch.

»Ich rufe dich gleich zurück«, ertönt seine raue Stimme hinter mir, bevor er mir sanft auf die Schulter tippt, als ich gerade dabei bin, einen lautlosen Abgang zu machen.

Für einen Moment überlege ich mir, das Buch fest an meine Brust zu drücken und einfach loszurennen. In meiner Vorstellung klingt es um einiges lässiger, als es wohl tatsächlich aussehen würde. Also entscheide ich mich dafür, mich lächelnd umzudrehen und das Unschuldslamm zu spielen.

Obwohl ich mit meinen knapp einen Meter siebzig nicht unbedingt klein bin, überragt mich der Mann deutlich. Sekundenlang stehe ich regungslos vor ihm und starre in seine grünen Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt sind. Verdammt, er sieht viel zu gut aus. Vielleicht sollte ich schon hier und jetzt mit der Recherche zu meinem Artikel beginnen.

»Ja bitte?« Meine Stimme ist mir selbst fremd, so sanft spreche ich die zwei Wörter aus.

»Sie haben sich da gerade mein Buch gegriffen«, stellt er nüchtern fest.

»Haben Sie es gekauft?« Ich verstärke meinen Griff um das letzte signierte Stephen-King-Buch. Natürlich könnte ich mir auch eine Ausgabe kaufen, in der keine Unterschrift ist. Aber das will ich nicht. Ich will dieses Buch.

»Nein.« In seinem Gesicht lässt sich rein gar nichts ablesen, weshalb es mir schwerfällt, die Situation einzuschätzen. Rastet er gleich aus? Fängt er an zu lachen und überlässt mir das Buch? Wird er eine Diskussion beginnen? Ich habe absolut keine Ahnung, da er weder lächelt noch böse guckt.

»Dann gehört es Ihnen auch nicht.« Erhobenen Hauptes gehe ich in Richtung der Treppen, ohne auf eine Erwiderung von ihm zu warten. Ich möchte dieses Buch um jeden Preis.

Noch bevor ich die Stufen nach unten erreiche, stellt sich der Mann direkt vor mich und blockiert mir mit seinen breiten Schultern den Weg. »Sie haben in der Ecke gestanden, mich beobachtet und die erstbeste Gelegenheit genutzt, um mir das Buch unter der Nase wegzuschnappen«, unterstellt er mir. Dass er damit recht hat, behalte ich lieber für mich. Wobei mich schon interessieren würde, wie er das bemerken konnte, während er so vertieft in den Klappentext schien.

Noch bevor ich etwas sagen kann, beginnt er erneut zu reden. »Ich hatte das Buch zuerst in der Hand, und ich hätte es auch gekauft, wäre ich nicht durch einen Anruf dabei gestört worden.«

»Was meinen Sie, wie viele Leute dieses Buch schon in der Hand hatten, trotzdem hat es ihnen nicht gehört.« Ich grinse triumphierend.

Mein Blick fällt auf seine vollen Lippen, und ich frage mich, ob sie so weich sind, wie sie aussehen. Sein rechter Mundwinkel bewegt sich leicht nach oben.

»Richtig. Deshalb sieht es auch schon so mitgenommen aus.« Seine Worte verunsichern mich. Sofort schaue ich mir die Ausgabe etwas genauer an. Tatsächlich hat der Umschlag des Buches einen Knick, und am Buchrücken sehe ich einen leichten Kratzer. Mist! Das Buch sieht wirklich nicht mehr makellos aus.

»Oh, schauen Sie mal.« Der Mann zeigt an mir vorbei in Richtung der Regale. »Wir brauchen uns gar nicht weiter zu streiten, da kommt Nachschub.«

Sofort schaue ich über die Schulter nach hinten – nur um nichts zu sehen. Schneller, als ich schalten kann, zieht er mir das Buch aus den Händen und geht damit die Treppen hinunter. Ich kann gar nicht reagieren, so geschockt stehe ich am Treppenansatz. Das ist gerade nicht wirklich passiert, oder? Er hat mich nicht ausgetrickst und mir einfach das Buch aus der Hand gerissen?

»Hey!«, rufe ich ihm hinterher und kriege dafür einige böse Blicke von den Menschen um uns herum zugeworfen. »Warten Sie! Geben Sie mir mein Buch wieder.« Schnellen Schrittes folge ich ihm zur Kasse.

Sein Lächeln wirkt wie eingemeißelt, und würde ich diesen Mann gerade nicht zutiefst verachten, würde ich mich zu ihm hingezogen fühlen.

»Wie war das? Solange man es nicht gekauft hat, gehört es einem auch nicht. Ich weiß nicht, was Sie gleich machen, aber ich werde mir jetzt dieses Buch kaufen. Mein Buch.«

»Sie …« Mir fällt nichts ein, was ich ihm an den Kopf werfen könnte. Er steht vor dem Tresen und zieht sein braunes Lederportemonnaie aus der hinteren Hosentasche.

Wut steigt in mir auf. Ich wusste, dass es schwer werden würde, hier noch ein signiertes Exemplar zu finden. Wäre ich vor meinem Termin in der Agentur hergekommen, hätte ich sicherlich noch einige vorgefunden, aber so standen die Chancen sowieso schon schlecht, und jetzt schnappt mir so ein arroganter Kerl auch noch die letzte Ausgabe vor der Nase weg.

»Sie haben mich angelogen«, werfe ich ihm an den Kopf, während er der Verkäuferin seine Karte reicht und damit offiziell im Besitz meines Buches ist.

Er nimmt die Papiertüte entgegen und geht in Richtung des Ausgangs. Seine Schultern sind gerade, das Kinn ist erhoben, und die Selbstsicherheit und Zufriedenheit zeigt sich in jeder Faser seines Körpers.

Ich möchte ihn gerade noch einmal anschnauzen, als er stehen bleibt und sich zu mir umdreht. Das Tageslicht fällt ihm seitlich ins Gesicht, was seine Konturen nur noch deutlicher hervorhebt. Er hält mir demonstrativ die Tüte hin, um mir zu zeigen, dass dies nun sein Buch ist, wobei mir zwei schlichte silberne Ringe auffallen. Den einen trägt er am Mittelfinger und den anderen am kleinen.

»Vielleicht haben Sie Glück und werden in einem anderen Buchladen fündig.«

Bei seinen Worten fällt mir die Kinnlade runter, und mit offenem Mund starre ich ihn an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Gesicht vor Wut gerade rot anläuft, weil ich zu explodieren drohe. »Sie verdammtes Arschloch!«, beschimpfe ich ihn, weil mir gerade nichts anderes einfällt.

»Ihnen auch noch einen schönen Tag.« Er dreht mir den Rücken zu und verschwindet im Trubel der Menschenmenge.


Seit einer Stunde suche ich schon in anderen Buchhandlungen. Doch das Einzige, das ich mir gekauft habe, ist die verführerisch duftende Pizza, die ich gerade unser Treppenhaus hochtrage. Wenn mich etwas über meine enttäuschende Ausbeute hinwegtrösten kann, dann diese wunderschöne Versuchung in meinen Händen.

Voller Vorfreude sprinte ich, immer zwei Stufen nehmend, nach oben. Seit ich denken kann, nehme ich immer zwei auf einmal. Das ist eine meiner vielen nervigen Macken, wie meine Mutter meine Angewohnheiten bezeichnet. Wenn man sie fragt, ist das ein großes Verbrechen an der Würde einer Dame. Ich war sieben Jahre alt, als ich mir das zum ersten Mal anhören durfte.

Ich kann es kaum abwarten, mich in meine Wohlfühlklamotten zu werfen und die Pizza zu genießen. Nach diesem miserablen Tag habe ich mir die auch wirklich verdient.

Im dritten und damit obersten Stockwerk angekommen, krame ich in meiner Tasche nach dem Haustürschlüssel, der an einem kleinen Stoffteddy aus meiner Kindheit hängt. Das einzige Überbleibsel, mit dem ich etwas Positives verbinde. Ich habe ihn mit acht von meinem Opa bekommen.

Ich lasse den Schlüssel auf die Kommode fallen, lege die Pizzaschachtel ab und ziehe mir die Chucks von den Füßen, um sie anschließend unachtsam in die Ecke zu schmeißen. Mit dem Gummi, das bis gerade eben noch an meinem Handgelenk war, bändige ich vor dem Spiegel im Flur meine gewellte Mähne in einem unordentlichen Dutt.

Der himmlische Duft meiner fettigen Mahlzeit steigt mir in die Nase, während ich mit der einen Hand den Pizzakarton balanciere und mit der anderen versuche, meinen BH-Verschluss zu öffnen.

Ein Räuspern lässt mich ruckartig zusammenfahren, und die Pizza fällt mit einem Knall zu Boden. Ein lauter Fluch verlässt meine Lippen, als ich sehe, dass der ganze Belag vom Teig gerutscht ist und ich mein Essen nun vergessen kann.

Eine leise Vorahnung überkommt mich, und ich kneife meine Augen zusammen, während ich mich in Richtung der Geräuschkulisse drehe. Durch kleine Schlitze blicke ich auf unser Sofa.

Kate sitzt auf der Armlehne, ihre kleine Hand verschlungen mit der großen eines hochgewachsenen jungen Mannes, der … Moment mal! Das ist doch … Das kann nicht wahr sein! Auf meinem Sofa sitzt das Arschloch von vorhin.

Meine beste Freundin kommt auf mich zu, mit einem entschuldigenden Blick, und hilft mir, die Überreste der Pizza vom Boden zu fischen. »Du bist mir eine Pizza schuldig«, lasse ich sie wissen. »Das ist also … wie hieß er noch mal? Nate?« Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Kurz überlege ich, ob ich ihn rausschmeißen könnte. Doch dann fällt mir wieder ein, dass es sich nicht um irgendeinen Arsch, sondern um den neuen Freund meiner besten Freundin handelt.

Ich blicke über ihre Schulter und schaue mir den Mann noch einmal genauer an. Es besteht kein Zweifel, dieses selbstgefällige Grinsen würde ich überall wiedererkennen. Unsicher darüber, ob ich Kate von meiner Begegnung mit ihm erzählen soll, behalte ich es erst einmal für mich. Ich möchte nicht, dass sie glaubt, dass ich ihren neuen Freund wieder nicht leiden kann. Vor ein paar Wochen, als sie mir zum ersten Mal von ihm erzählt hat, habe ich ihr noch versprochen, dass ich dieses Mal nicht so negativ an die Sache rangehen werde.

»Aber sag mal, Kate, du hast gar nicht erwähnt, dass er wie Tarzan aussieht«, flüstere ich ihr zu.

Ihr Blick verfinstert sich, und ich bin der festen Überzeugung, dass sie mir jeden Moment die Pizzareste ins Gesicht pfeffern wird. Sofort kommt mir die Szene aus Mean Girls in den Sinn, in der sich Cady vorstellt, dass sich die jungen Mädels wie wilde Tiere gegenseitig anspringen. Erst als auch Kates Freund mich anstarrt, bemerke ich, dass ich gerade wohl ein wenig zu laut gesprochen habe.

Das passiert mir öfter, als es gut für mich ist. Ich rede, bevor ich denke. Und ich denke meistens laut.

»Also erstens Zoe, sein Name ist Noah. Und zweitens … zweitens gibt es nicht. Du bist einfach nur bescheuert.« Bei ihren unbeholfenen Worten beginne ich zu kichern.

Der Mann, der es sich auf meinem Sofa bequem gemacht hat, überwindet mit nur wenigen Schritten die Distanz zwischen uns und geht ebenfalls in die Hocke. Kurz treffen sich unsere Blicke, und ich schaue einen Moment zu lange in seine grünen Augen. Zu dritt knien wir vor den erbärmlichen Resten meiner Pizza.

»Kate hat viel von dir gesprochen, aber wie charmant ihre beste Freundin ist, hat sie mir dann wohl verschwiegen.« Sein rechter Mundwinkel zuckt nach oben, als er mir seine Hand zur Begrüßung entgegenstreckt. Ein leises, fast schon zurückhaltendes Lachen von Kate ertönt, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, sie hat sich mit ihm gegen mich verschworen.

Da er mich begrüßt, als hätten wir uns nie zuvor gesehen, entscheide auch ich mich dafür, über unseren kleinen Vorfall erst einmal Stillschweigen zu bewahren und Kate zu einem späteren Zeitpunkt davon zu erzählen.

Widerwillig nehme ich die Schachtel in die Hände und schmeiße meine geliebte Pizza schweren Herzens in den Müll. Ich bleibe ein paar Sekunden an der Spüle stehen und atme tief durch. Muss ich mir jetzt tatsächlich die nächsten Wochen meine heiligen vier Wände mit diesem Mann teilen?

Aus dem Wohnzimmer ertönt mein Name, und auch wenn ich gerade am liebsten durch das Küchenfenster verschwinden würde, setze ich mich den beiden gegenüber in den gelben Sessel. Als wäre es nicht genug, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, erblicke ich auch noch die Tüte aus dem Hatchards auf dem Beistelltisch. Heute Nacht werde ich ihm das Buch wegnehmen, es in mein Regal stellen und ihm das Geld dafür hinlegen. Hätte er es mir nicht direkt aus den Händen gerissen, wäre es sowieso meins gewesen.

Ich beobachte, wie Kate erzählt, wie wir uns kennengelernt haben, und Noah ihr gebannt dabei zuhört. Innerlich verfluche ich mich für den Gedanken in der Buchhandlung, dass ich mich an sein schönes Lächeln gewöhnen könnte. Den Freund der besten Freundin sollte man nun wirklich alles andere als attraktiv finden.

Er hat seinen Mantel abgelegt und trägt ein weißes T-Shirt, was mir einen Blick auf seine Tattoos ermöglicht. Auf seinem Oberarm erkenne ich eine detailreiche Schlange. Sie bildet mit ihrem Körper einen Kreis und verschlingt ihren eigenen Schwanz. Ein Symbol für Unendlichkeit. Dafür, dass ein Ende auch immer ein neuer Anfang ist. Unter dem Ärmel seines Shirts, auf der Innenseite seines Oberarms, kann ich ein Wort erkennen, aber nicht entziffern, was genau dort steht. Eine Rose ziert seinen Unterarm und noch so einige weitere Motive.

Was hat Kate nur immer mit Tattoos? Sie selbst hat kein einziges, und trotzdem scheint es bei der Suche nach einem neuen Freund ein unabdingbares Kriterium zu sein. Bei der Vorstellung, wie höllisch so was wehtun muss, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Aber ich muss zugeben, dass seine Tattoos recht schön anzusehen sind.

Ehe ich meinen Gedankengang zu Ende führen kann, herrscht auf einmal Totenstille, und beide schauen mich mit großen Augen an.

»Seit wann findest du Tattoos schön?« Kate sieht mich gleichzeitig fragend und amüsiert an.

Dass diese Tattoos schön anzusehen sind, habe ich jetzt nicht wirklich laut gesagt, oder? Nein, nein, nein! Das darf nicht wahr sein!

Mit hochgezogener Augenbraue schaut mich Noah aus seinen grünen Augen eindringlich an. Auch er kann sich offenbar ein leises Lachen nicht verkneifen. Hätte ich mich nicht schon an meine peinlichen Ausrutscher gewöhnt, würde mir jetzt womöglich die Röte ins Gesicht schießen.

»Schön ist das falsche Wort. Ich finde die Motive nur … interessant«, sage ich und versuche damit, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

»Wie dem auch sei. Hast du morgen Nachmittag schon was vor? Wir könnten eine Kleinigkeit essen gehen, damit ihr euch besser kennenlernen könnt«, schlägt Kate vor.

Ich glaube nicht, dass wir uns näher kennenlernen wollen. Das, was ich von ihm kennengelernt habe, reicht mir. Wenn ich Glück habe, findet er innerhalb weniger Tage eine eigene Wohnung, und ich kann ihm die nächste Zeit, so gut es geht, aus dem Weg gehen.

»Das wird leider nichts. Ich habe heute einen neuen Auftrag bekommen. Da muss ich unbedingt dran arbeiten. Außerdem habe ich Opa versprochen, diese Woche vorbeizuschauen.«

Kates enttäuschtes Gesicht zu sehen, ertrage ich nicht lange, weshalb ich mich kurzerhand von ihnen verabschiede und beschließe, für den restlichen Tag nicht mehr aus meinem Zimmer zu kommen.