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Do you ever reach out with arms open wide

Do you ever jump in closing your eyes

Or are you one of the fortunate kind

Alone but not lonely?

Mary Chapin Carpenter

Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder Personen wäre rein zufällig.

Erste Auflage der Printausgabe Februar 2003

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung eines Fotos von Chris Reynolds (www.chriscophoto.com).

ISBN 978-3-89656-558-7

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Querverlag GmbH

Akazienstraße 25, 10823 Berlin

www.querverlag.de

Du bist wieder da, stehst vor mir und schweigst. Dass ich dich liebe, sollte ich sagen, dass ich trotzdem liebe. Dass ich nur nicht mehr weiß, ob du mich liebst. Der Blitz aus heiterem Himmel. Oder war er bedeckt? War ich zu sorglos? Von nun an kann ich nicht mehr sagen, dass du meine große Liebe bist, obwohl ich es weiß.

Du weißt, dass ich das zu niemandem vor dir sagen konnte. Du bist der erste, der es je von mir gehört hat. Und ich bin vielleicht der erste, der dir diese Worte glaubt. Aber was heißt das schon? Es ist nicht deine Schuld, ich weiß. Ich kann dich nicht festnageln.

Wir müssten reden. Oder miteinander schlafen. Verzeihen.

Vielleicht sind dir die Worte, die wir uns sagten, plötzlich zu banal. Denn du schweigst. Ich warte auf ein Wort, während du auf ein Wort wartest.

Ist es ein Duell? Wer schießt zuerst? Wer ist schneller? Wer trifft? Wer schießt nur in die Luft?

Stattdessen stehen wir voreinander und wagen es nicht, uns anzusprechen, selbst unsere Blicke weichen einander aus. Scham ist ein gründliches Gefühl. Hinter meiner Stirn herrscht Aufruhr, eine Massenpanik der Gedanken, aber sie finden den Ausgang nicht.

Würde ich beginnen, sie freizulassen, kämen die falschen Fragen zuerst aus meinem Mund. Und vielleicht geht es dir genauso. Es hilft nichts. Falsche Fragen sind schlimmer als falsche Antworten. Und die Angst vor der Antwort entstellt jede Frage bis zur Unkenntlichkeit, macht aus einfachen Fragen Angriffe und Anschuldigungen. Also trampeln sich meine eingeschlossenen Gedanken gegenseitig tot.

War dieses Misstrauen schon gestern da? Haben wir uns misstraut und hintergangen, während wir so taten, als wäre alles in Ordnung?

„Was denkst du?“ könnte einer von uns fragen.

„Ich denke Panik!“ wäre die einzig mögliche Antwort meinerseits.

Wir schweigen betreten.

Du stehst auf, um hinauszugehen, dabei streift deine Hand meine. Sie fühlt sich kalt wie eine Klinge an.

Es war kein Blitz. Ich wusste nicht sofort, dass er es ist. Dass er „er“ sein würde. Wir wurden uns vorgestellt. Wir hatten zum gleichen Thema recherchiert, und unsere Reportagen waren fast zeitgleich erschienen. Berliner Hinterhöfe. Eigentlich hätten wir gemeinsam publizieren können, denn seine Fotos hätten meinen Text gut ergänzt.

Es war eine dieser Medienpartys, zu denen man hingeht, obwohl man keine Lust dazu hat, und sich dafür entschuldigt, dass es Arbeit ist und kein Vergnügen. Diesmal waren „Die Titten“ nicht da. Wir nennen sie „Die Titten“. Die Luder. Weibliche wie männliche. Meistens blond, immer hübsch und als Dekoration unschlagbar, wie Petersilie auf einem kalten Büffet.

Manchmal verirrt sich solch eine Titte in die Redaktion, um ein Volontariat zu absolvieren. Meist verschwinden sie aber schnell wieder. Sie können nicht bleiben, denn trotz allem muss man bei uns etwas tun. Und sie suchen doch etwas, wo sie Geld fürs Gutaussehen bekommen, obwohl das viel verlangt ist im Leben, für den Körper Geld zu verlangen, ohne ihn zu verkaufen. Wir ignorieren sie, Christiane und ich, lassen ihre opportunistischen Anschleichversuche links liegen. In diesem Zusammenhang bleibe ich selbst bei den hübschesten Jungs kalt, und Christiane, meine lesbische Redaktionsleiterin, zeigt sich immun gegenüber den Reizen der Girls in ihren engen Pullis mit Glitzersteinchen über den halterlosen Brüsten. Wir beneiden sie vielleicht ein wenig um ihre Jugend, aber grundsätzlich und vehement um ihre Unverschämtheit, um das Selbstbewusstsein, das scheinbar frei schwebt wie eine Tischplatte ohne Beine. Sie zweifeln nie an sich, nur an ihrem Spiegelbild.

Aber das ist es nicht. Und wenn es das wäre, dann würden wir das nie zugegeben. Außerdem ist Christiane eine Frau. Und Frauen dürfen so etwas sagen über andere Frauen. Es geht darum, dass „Die Titten“, und nicht nur sie, offenbar der Auffassung sind, dass ein hübsches Gesicht und ein peppiger Vorname ausreicht, um Karriere zu machen. Nicht bei uns. Milka, Verena, Camilia und Schokominza haben keine Chance. Marcello, Dominic und Gordon blitzen genauso ab. Schlussendlich aber blitzen sie ab, weil sie kein Durchhaltevermögen besitzen, weil sie es sich leichter vorgestellt hatten und weil ihre mutmaßlichen Vorstellungen in Sachen Leben einer Seifenoper entstammen.

„Man könnte sie als Körper-Double anstellen“, sagte Christiane einmal.

Sie waren nicht zahlreich an diesem Abend, denn es gab keine große Prominenz. Es war ein B-Event. Wahrscheinlich fehlten sie Christiane und mir, denn man muss sich ja über etwas unterhalten. Sogar die Fotografen schienen woanders zu sein. Auf Sylt oder in Monaco.

Doch diese B-Partys sind wichtiger. Man trifft die Zwischenebenen, die Menschen, die wirklich arbeiten, Ideen haben und etwas auf Können und Qualität geben, Menschen, die bluten würden, piekste man sie mit einer Nadel. So jedenfalls hoffte ich.

„Früher hatten die Flittchen wenigstens Talent“, sagte Christiane.

„Ich bin mal gespannt, ob ich mit fünfzig genug Macht habe, um mir einen hübschen, willigen Assistenten zu suchen“, erwiderte ich.

„Dann arbeite. Zum Sichhochficken ist es für dich zirka zwanzig Jahre zu spät, mein Herz.“

„Ich weiß. Vielleicht hätte ich das probieren sollen.“ Ich lächelte aufgesetzt wehmütig. „Damals.“

„Sei bloß still! Dir verseuchen die ganzen Bewerbungen ja nicht den Schreibtisch. Was glaubst du, wer heutzutage alles Journalist werden will? Alles schicke Mädels und hippe Jungs. Aber sonst? Hirn-Tschernobyl!“

Ich hätte anfangen können, über gelangweilte tätowierte Volontäre herzuziehen, die mit leerem Blick auf ihren Laptop starren, auf die Topstory warten und gleichzeitig mit einer einfachen Umfrage überfordert sind.

„Das gibt sich noch“, sagte ich zu Christiane. „Wenn Mutti ihnen die Schecks nicht mehr jeden Monat schickt.“

Christiane nickte und lachte kurz auf.

Wir sahen uns weiter um.

Ihn hatte ich auf einer Party noch nicht getroffen. Ich kannte seine Fotos, aber ich konnte seinem Namen kein Gesicht zuordnen.

Vielleicht gehörte er zu den Männern, die ich irgendwann angesehen hatte und die meinen Blick nicht erwiderten. Einfach, weil ich es nicht wert war, von ihm ins Visier genommen zu werden.

Aber manchmal lösche ich Gesichter von meiner Gedankenfestplatte, unangenehme sowieso, besonders hübsche zuweilen auch. Letztere verderben die Preise. Ich hatte immer das Gefühl, ihnen nicht zu genügen. Es gab sogar eine Zeit, da hat es mich deprimiert, besonders schöne Männer anzusehen. Ihre Nichtbeachtung schmerzte mich. Vielleicht also kannten wir uns wirklich von früher. „Oh, schönen guten Tag. Ja, wir kennen uns. Wir haben uns schon mindestens dreimal ignoriert. Wie geht es Ihnen denn so?“

Christiane stellte uns vor. Christiane und ich sind wie eine Symbiose, wie Einsiedlerkrebs und Schneckenhaus. Wenn offizielle Termine anstehen, bei denen der Gatte/die Gattin in Schönschrift ausdrücklich eingeladen ist, dann nimmt Christiane mich und nicht ihre Freundin Lillian mit. Wir haben beide etwas davon. Wir fühlen uns miteinander sicherer, wir verstehen uns und wir müssen nicht viel reden, um uns zu verständigen.

Vielleicht bin ich das Flittchen in unserer Beziehung, denn ich ziehe mehr Nutzen als sie aus unserer Freundschaft. Da wir uns aber schon gekannt und gemocht hatten, bevor sie zur Redaktionsleiterin aufstieg, ist das zu vernachlässigen. Ich habe ihr die Führung überlassen, wenn man das so sagen kann, denn wir haben nie darum gekämpft.

Christiane ist etwas untersetzt, sinnlich, mit vollen Brüsten und einem runden Hintern, mit widerspenstigen Locken, rostrot und auffällig. Sie hat Sommersprossen. Nein, schön ist sie nicht. Oder doch. Sie hätte vielleicht als Kind Pippi Langstrumpf spielen können. Sie hat ein verschmitzt-freches Gesicht, sympathisch, herzlich zuweilen, und doch immer mit einem sarkastischen Zug um den Mund, der Angriffslust signalisiert.

Ihr Lachen funktioniert, sie bekommt es hin, dass, selbst wenn sie heuchelt, es noch echt, entwaffnend und herzlich wirkt. Christiane gefällt nicht, sie nimmt ein. Sie ist der Typ der ehrlichen Intrigantin. Sie lernt dazu, sie nimmt wahr und analysiert, und zuweilen seziert sie, präzise und scharf wie ein Skalpell. Und ich beneide sie. Sie weiß das. Vielleicht ist sie für mich so etwas wie eine Mutter. Obwohl sie nur zwei Jahre älter ist als ich. Eine Wahlmutter. Vielleicht ist ihre Reife auch nur Tarnung, eine Methode zur Selbstbehauptung gegen die anderen, die Blonden, Schönen und Schlanken, die offenbar nichts benötigen, um nach oben zu gelangen, nur das richtige Verkaufskonzept.

„Ich geh mal puschen, halte die Stellung“, sagte sie und verschwand in Richtung der Toiletten.

Ich blieb, sah mich um, nickte Bekannten zu, hielt mich an meinem Glas fest.

Ich war kurz davor, mich müde zu stellen und nach Hause zu gehen, als sie zurückkam, untergehakt mit ihm. Sie lachte, und ich sah die List in ihren Grübchen. Sie hatte etwas vor.

„Das ist er“, sagte sie zu ihm. Und er nickte und lächelte.

„Wer?“ fragte ich perplex und sah ihn und Christiane abwechselnd an.

„Letzte Woche sind eure Reportagen erschienen, zu den Hinterhöfen. Er hat die geilen Bilder gemacht, die bei dir gefehlt haben“, sagte Christiane.

„Ach“, sagte ich überrascht und lächelte ihn mit Respekt, aber nicht unterwürfig an.

Christiane schob ihn mir hin, sagte ihm meinen und mir seinen Namen, dann spielte sie die Abgelenkte: „Ach, da hinten sind ja die Fernseh-Kollegen. Sorry, mit denen hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen.“ Sie verschwand und ließ uns stehen.

Wir blieben etwas bedeppert zurück, jeder mit einem Glas Sekt bewaffnet, in Sakko, so lässig, dass es schon wieder verkrampft war.

„Ich hasse diese Partys eigentlich“, sagte ich und lächelte. Wir alle hassen diese Partys, aber wir gehen hin. Vielleicht um die Chance zu bekommen, entdeckt zu werden, wofür auch immer. Wir hassen, was wir brauchen, und sei es der Ehrgeiz.

„Ja. Was soll man machen?“

Er lächelte auch. Unsicher und etwas unbeholfen. Er ist zu schön, dachte ich. Zu schön für mich. Ohne es zu wollen, war ich schon dabei, ihn auf Kompatibilität zu prüfen. Etwas größer als ich, einen ganzen Kopf größer sogar, eine Glatze, breite Schultern, aus seinem Hemdkragen quollen ein paar Haare. Blaue Augen, ja, so blau, dass es schon kitschig war. Seine Nase etwas zu groß, aber gerade deswegen sexy, herb und maskulin, wie die beiden Linien, die sich scharf und in sanften Bögen von den Nasenflügeln zu seinen Mundwinkeln schwangen. Einfach zu schön. So einer wird entweder überschätzt oder unterschätzt. So einer kennt seine Stärken, spielt sie aus und lebt davon. Oder aber er kennt sie nicht. Und das ist womöglich schlimmer. Solchen Männern habe ich immer unterstellt, dass ihnen alles leicht fällt, dass sie gewinnen, ohne etwas dafür tun zu müssen.

„In welcher Ecke von Berlin wohnst du?“ Eine Frage, die ich mir lieber hätte verkneifen sollen. Denn sie fällt unter die Rubrik „Anbaggern“. Wie weit müsste ich fahren, wo ist die nächste S-Bahnstation, würde ich es im Ernstfall noch nachts nach Hause schaffen, mit Würde und ohne großen Schlafverlust?

Aber es war ein Samstag, da hätte die Ausrede mit früh aufstehen und viel Arbeit ohnehin nicht gezogen.

„Schöneberg“, sagte er.

„Aha“, erwiderte ich anerkennend, als wäre Schöneberg Dahlem.

„Und du?“ Er nahm einen Schluck und sah mich an, und während er das tat, schrumpfte ich um mindestens dreißig Zentimeter. Er sah mich von oben herab an, ich fühlte mich plötzlich klein und hässlich. Ich weiß, dass ich nicht besonders hässlich bin, aber ich bin auch nicht besonders schön. Den meisten Männern war ich interessant genug, und wenn sie mitbekamen, was ich tat, dann wurde ich noch ein wenig interessanter. Insofern hat mir die Karriere bei meinem Aussehen geholfen, nicht umgekehrt. Ich gehörte zu der Kategorie „Interessante Männer“, denen man Charakter unterstellt.

Er sah von oben auf mich herab, einfach, weil er größer war. Dennoch, ich war geschrumpft. Und ich sah zu ihm hoch.

„Fast Schöneberg“, sagte ich. „Tiergarten.“

„Aha.“ Er ahmte meinen Tonfall nach. Wir grinsten. Irgendwie grinsten wir verschworen.

Christiane war weg. Ich wusste nicht, ob sie Hintergedanken hatte. Die zwei oder drei Male, bei denen sie versucht hatte, mich zu verkuppeln, endeten peinlich und erfolglos, so offensichtlich falsch, dass wir beide uns nie wieder darauf ansprachen. Ich dachte, ich müsste dankbar sein für ihre Bemühungen, und sie schämte sich wohl, dass sie immer daneben lag, nie meinen Geschmack getroffen hatte. Bis zu diesem Abend jedenfalls. Doch noch war nichts entschieden, noch war alles möglich.

Er gab sich erstens unverbindlich, zweitens viel zu schön, viel zu muskulös und viel zu groß. Eine ganze Nummer zu groß. Mindestens.

Er sah sich um im Gewimmel. Wir standen und sagten zunächst nichts. Mir fiel kein Thema ein. Jede Frage, jede Bemerkung, die ich mir zurechtlegte, klang in meinem Kopf plötzlich hohl und dumm, nichts sagend und blöde.

Ich wollte ihn nicht ins Bett kriegen, aber ich war geil auf ihn. Ich wollte mich nicht aufdrängen, und doch interessierte er mich. Obwohl er zu schön war – oder weil er zu schön war. Vielleicht hätte ich ihn billig angebaggert, aber da Christiane ihn kannte, hätte es meinen Ruf beschädigt.

Wir blieben trotzdem beieinander stehen, sahen uns um, dann kurz an. Und wieder lächelten wir. Auch er schien unsicher. Und das verunsicherte mich noch mehr. Von so einem Mann erwartet man Sicherheit, Souveränität. Man erwartet von solchen Männern immer mehr als von sich selbst.

„Ich werd mal eine Runde drehen“, sagte er. „Hat mich gefreut.“

„Ja, mich auch. Wirklich.“ Ich stammelte. Und ich spürte, dass mir das Blut in den Kopf schoss. Enttäuschung, Scham und das Gefühl einer gründlichen und schnellen Niederlage.

Ja, ich schämte mich. Für meine Gedanken, die schon viel weiter waren, als es in der Realität je gehen würde. Pubertär. Verdammt!

Er verschwand in der Masse, und nachdem ich ihn aus meinem Blickfeld verloren hatte, war Christiane plötzlich neben mir.

„Na, wie gefällt er dir?“

„Schicker Typ. Wahrscheinlich zu schick für mich.“

„Du blöder Affe. Willst du jetzt ein Kompliment von mir hören oder wie?“

Ich zuckte mit den Schultern. Ich war immer noch klein. Mit nicht besonders viel Muskeln bepackt, ohne blaue Augen. Die Polizistin, die mir seinerzeit in die Augen sah, als ich meinen ersten Personalausweis bekam, sagte: „Was ist denn das für ’ne Augenfarbe? Das ist doch Mischmasch.“ Dann hat sie „graugrün“ aufgeschrieben. Und ich war ihr dankbar für das Grün.

„Komplimente sind immer gut. Außerdem bin ich zu alt, und du hast keine Ahnung, wie das ist. Ihr habt schließlich zehn Jahre hinter euch.“

Christiane zuckte mit den Schultern.

„Na und? Du bist fünfunddreißig, ich bin siebenunddreißig. Das hat da gar nichts mit zu tun. Und dass Lillian und ich es so lange geschafft haben, das ist Glück.“

„Glück“, sagte ich, und es klang abschätzig und abwertend, wie die Rezension eines Rosamunde-Pilcher-Romans, angeekelt von der triefenden Süße und neidisch auf die Verkaufszahlen.

Christiane hatte den Tonfall genau registriert.

„Ja, Glück. Dass wir nicht beim ersten Schnullikram auseinandergerannt sind. Dass wir das hingekriegt haben. Weil das nämlich nicht ewig dauert mit den Schmetterlingen und dem Brötchenholen.“

Ich wollte nicht weiter über dieses Thema reden.

„Ist die Chefin da?“ fragte ich und sah mich um.

„Lenk nicht ab.“

Eine Hostess kam vorbei. Christiane riss mir das leere Sektglas aus der Hand, versperrte dem lächelnden, blonden Mädchen den Weg, stellte zwei leere Gläser aufs Tablett und nahm sich zwei volle.

„Danke, Claudia!“

Das Mädchen stutzte. „Ich bin nicht Claudia. Ich heiße Janine!“

„Ach, du bist nicht Claudia Schiffer? So ein Mist auch.“

Das Girl verlor für einen Augenaufschlag die Kontrolle, schluckte, suchte hinter ihrer hübschen Stirn nach einer Erwiderung, fand sie nicht, drehte sich beleidigt, aber wieder lächelnd um und trug das Tablett weiter durch den Saal, das Kinn höher haltend als zuvor.

„Ersatzteile“, sagte Christiane und sah ihr kurz nach. Dann wendete sie sich mir zu.

„Musste das jetzt sein?“ fragte ich.

„Ja, ab und zu muss das sein. Männer verstehen das nicht.“

Ich versuchte nachsichtig zu lächeln. Christiane hielt sich nicht damit auf.

„Wir haben ein paar Krisen durch, Lillian und ich. Da kannste einen drauf lassen.“

Sie hielt zur Bekräftigung das Sektglas hoch, um mit mir anzustoßen. Sie trank, schmatzte genießerisch und fuhr fort: „Entweder du willst ewig Honigpampe, dann hält das ein paar Monate, vielleicht ein Jahr, und nicht länger. Irgendwann geht aber die Honigpampe aus. Da brauchst du was Richtiges. Und das gibt es nicht für umsonst.“ Sie nahm noch einen Schluck und sagte: „So.“

„Danke für die Belehrung. Ich will mir das merken.“

„Hat er dir wenigstens gefallen?“

„Ja. Schick.“

„Schick, schick“, feixte sie boshaft und schnitt eine angesäuerte Grimasse. „Das ist kein Sakko! Das ist ein Typ, ein Kerl, ein Mensch. Also sag nicht schick, du schwuler Affe.“

„Okay. Lesbische Kuh.“

„Also?“ Sie steckte die Kuh routiniert weg und sah mich fragend und strafend zugleich an.

„Ja, er sieht gut aus und ist wahrscheinlich sogar intelligent.“

„Genau das wollte ich hören. Hast du die Telefonnummer?“

„Nein.“

„Du führst dich auf, als wärste heute nachmittag eben erst aus Meck-Pomm eingeflogen. Wie lange bist du schon auf der Piste?“

„Jedenfalls frage ich nicht jedes zeugungsfähige Männchen nach drei Minuten nach seiner Telefonnummer. Fertig. Es hat sich nicht ergeben, ich bin nicht sein Typ und damit hat sich das wohl.“

Christiane funkelte mich an. Sie schien siegessicher.

„Ha!“ machte sie triumphierend, setzte das Glas dramatisch an die Lippen, trank, schnaufte genussvoll und warf ihr Haar in den Nacken.

„Aber ich hab sie.“ Sie holte eine Visitenkarte aus ihrem Ausschnitt, fächerte sich kurz damit Luft zu und hielt sie mir vor die Nase.

„Wie schön für dich.“

„Für wen das schön ist, werden wir noch sehen.“

„Ja.“

„Basta, nimm das Ding und ruf an oder mach sonst was.“ Ich griff danach und steckte sie ein.

Wir standen weiter herum, sahen uns die Leute an. Es war spät. Ältere Herren mit verrutschten Lesebrillen und zu engen Sakkos schoben ihre glitzernden Gattinnen wie Schaufensterpuppen auf Rollen in Richtung Garderobe.

Ein Politiker wollte Sirtaki tanzen. Zwei stadtbekannte schwule Friseure verwickelten einen jungen, knabenhaften Kellner in ein Gespräch, kurz davor, sich auf ihn zu werfen wie ein geriatrisches Hyänenrudel.

Christiane passt nicht in solche Gesellschaften. Dennoch bewegt sie sich in ihnen, als hätte sie nichts anderes gelernt. Nein, sie ist nicht schön, aber sie tut so. Lillian ist die Schöne. Sie ist grazil und lang, sogar blond. Eine dieser norddeutschen Blondinen. Eine von diesen Frauen, die selbst Ende dreißig noch wie Jurastudentinnen wirken, denen man nicht ansieht, dass sie lesbisch sind, geschweige denn überhaupt ein Sexualleben haben. Sie wirken immer frisch geduscht, wie mit Teflon beschichtet.

Aber das ist nicht immer ein Vorteil. Ich weiß nicht, ob ich Lillian unter- oder überschätze. Sie ist nicht dumm, nur sehr ruhig. Sie ist ein kühler Gegenpol zu Christianes hitzigem Temperament.

„Ich glaub, ich geh dann langsam“, sagte ich. Christiane wollte etwas entgegnen.

Sie hatte gerade den Mund aufgemacht, da zuckte ihr Blick an mir vorbei, blieb neben meiner linken Schulter hängen, und ihr Mund verzog sich zu einem belustigten Lächeln.

„Ihr seid ja noch da“, hörte ich ihn sagen.

„Ja“, sagte ich steif wie ein stummer Diener.

„Ich will nämlich gleich los.“

Christiane stupste mich an.

„Ja“, sagte ich wieder und hasste mich.

„Sieht man sich mal?“

„Ja.“ Ich biss mir auf die Unterlippe, grinste wahrscheinlich blöde und rang um Fassung. „Ich meine, gern. Würde mich freuen.“ Warum stammelte ich nur so?

Er zog eine Visitenkarte aus seinem Sakko.

„Hier, bitte.“

„Danke“, sagte ich und steckte sie zu der Karte, die mir Christiane eben gegeben hatte.

Ich tastete in meine Gesäßtasche und gab ihm eine von meinen. Ich schämte mich, weil sie etwas zerdrückt war.

Er sah die Karte an, las und lächelte. Dann bedankte er sich. Er drückte Christiane und gab mir die Hand. Unser Händedruck dauerte etwas zu lange, und ich fand meine Handfläche plötzlich verschwitzt, seine war trocken und warm. Dann lockerte ich den Griff, zog die Hand zurück. Alles war schiefgegangen. Meine mentale Schrumpfung verstärkte sich, mein Anzug schien mir zwei Nummern zu groß.

Er beugte sich plötzlich vor, sein Kopf bog sich herunter auf meine Augenhöhe. „Tschüs“, sagte er und gab mir einen Kuss. Ein Küsschen. Nichts Besonderes. Ein Küsschen auf den Mund.

Vielleicht war das der Augenblick, in dem es passierte. Einfach so.

Ich kann nicht sagen, wie ich mich vorher verliebt habe. Ob ich überhaupt jemals verliebt gewesen bin. Ich war ein paar Mal angetan, beeindruckt, aufgegeilt, habe Trophäen gesammelt, mir Männer schöngeguckt, nur weil ich mir etwas Längeres wünschte. Doch es war nie ganz richtig, zuweilen sogar völlig falsch. Es war ein Scheitern auf hohem Niveau.

Und diese Niederlagen hatten immer den Vorteil, dass ich die Schuld auf andere abwälzen konnte. Sie haben sicherlich dasselbe getan.

Aber verliebt war ich nie, und wenn, dann nur kurz. Vielleicht liebte ich Ideen und Vorstellungen mehr als die Männer, mit denen ich sie verknüpfte.

Es ist bequem. Eine Affäre ist zu unwichtig, um sich deshalb in Frage stellen zu müssen. Doch eine Ansammlung, eine lange Reihe von Affären, die alle mehr oder weniger nach demselben Muster ablaufen, das ist mehr, das ist die Summe der Beschränktheit, das Ergebnis unter dem Strich, und die volle Punktzahl ist nie erreicht worden. Durchgefallen.

Ohne Christiane hätte ich es vielleicht nicht bemerkt oder wäre erst später drauf gekommen. Viel später. Möglicherweise wäre es dann zu spät gewesen.

Ich weiß es nicht. Aber als wir uns küssten, war da ein Innehalten für den Bruchteil einer Sekunde. Sein Gesicht war etwas länger vor meinem, als es nötig gewesen wäre, und mein Kopf wollte in seine Richtung. Als hätte jemand ein unsichtbares Gummiband zwischen uns gespannt. Es war eine Form seltsamer Gravitation. Und in diesem Moment sahen wir uns in die Augen. Ganz kurz, aber ganz genau.

Dann war es vorbei. Er ging. Und ich sah auf die Visitenkarte.

„Kawumm!“ sagte Christiane und kicherte. In diesem Moment hätte ich sie umbringen können, so gut fühlte ich mich. Und so schlecht.