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Für Dagny

ISBN 978-3-492-97025-9

Juni 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Covermotive: UllsteinBild (Rainer Maria Rilke), Österreichische Nationalbibliothek (Sidonie Nadherny von Borutin), Picture Alliance (Lou Andreas-Salomé), AKG-Images (Clara Westhoff)

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Vorwort

Es kann kein Mensch aus sich so

viel Schönheit heben, daß sie ihn

ganz verdeckt. Seines Wesens ein

Stück sieht immer dahinter hervor.

RAINER MARIA RILKE

Rilke war das, was man heute ironisch als »Frauenversteher« bezeichnen würde. Er behauptete von sich, eine weibliche Seele zu besitzen, und verfasste viele seiner Gedichte aus der Perspektive von Frauen, nannte sie »Lieder der Mädchen« oder »Mädchen-Klage«. »Die einzige Gnade, die ich erflehe, ist die, daß meine Werke ein zartes Echo in den Herzen hübscher Frauen finden möchten«, schrieb schon der Neunzehnjährige. Dabei hatte er es, schüchtern wie er war, schwer, die Frauen zu beeindrucken. Rilke war kein schöner Mann, erst in seinen späteren Lebensjahren gewannen seine weichen, mit den wulstigen Lippen und dem fliehenden Kinn irgendwie auch karikaturhaften Züge einen Anflug von reifer Männlichkeit. Umso mehr Sorgfalt verwendete er lebenslang auf sein Äußeres, das von ausgewählter Eleganz, aber nie eitel daherkam. Seine stärksten Waffen waren seine tiefblauen, nach innen gerichteten Augen und seine sonore, österreichisch gefärbte Stimme. Als Rezitator war Rilke unschlagbar, und auch im ernsten Gespräch – nicht in der lebhaften Diskussion – konnte er wie kaum ein anderer für sich einnehmen. Diese Fähigkeit der gespannten, hochkonzentrierten Zuwendung bezauberte die Frauen. Für sie erschien er wie ein Wesen aus der Idealwelt ihrer Träume: einfühlsam, leise und auf sanfte Weise werbend mit einem erotischen Unterton, der Spannung aufbaute, aber nie zudringlich wurde. Und dieser Dichter verfügte noch über ein zusätzliches Mittel der Werbung: den Brief. Raffiniert verstand es Rilke, vor allem die weiblichen Adressaten seiner Briefe in eine existenzielle Komplizenschaft hineinzuziehen, indem er seine Sache zu der ihren machte. Das schmeichelte, berückte – und schuf eine emotionale Abhängigkeit, die nach immer mehr Zuwendung und Intimität verlangte.

Der Biograf hat den Vorteil, gleichsam aus der Vogelschau der Quellenkenntnis alle Korrespondenzen zu überblicken. Dabei werden die Muster und die Variabilität von Rilkes fast unbegrenzter Fähigkeit zur Menschenfischerei erkennbar. Für jeden Briefpartner findet er einen anderen Ton, ohne je opportunistisch Zugeständnisse zu machen, was seine dichterischen oder philosophisch-ethischen Überzeugungen betrifft. Dennoch waltet in diesen abertausend Zeugnissen ein einziger großer Wille: sich Menschen und Dinge gefügig zu machen für das große Werk. Hier ist Rilke kompromisslos und zielstrebig bis ins abstoßend Egomane hinein. Die subtil umworbenen Fürstinnen, Baronessen und Gräfinnen sind eben nicht nur geistreich oder reizvoll, sondern vor allem vermögend und immer dienstbar, was die Förderung des rastlosen Dichters angeht. In dieser Darstellung werden deshalb auch ausführlich Rilkes bis an die Grenzen der Maßlosigkeit gehenden Wünsche und Forderungen geschildert, die er seinen Gönnerinnen zumutete. Rilkes Freundinnen und Mäzenatinnen haben ihre sehr persönlichen Erinnerungen der Öffentlichkeit preisgegeben. Sie geben ein facettenreiches, lebensnahes Porträt des Dichters, das hier erstmals vollständig zur Schilderung des alltäglichen Lebens von Rilke genutzt wird.

Über Rilke scheint alles gesagt. Über seine tief berührende, zugleich aber auch bewusst dunkle Lyrik, sein extravagantes Leben auf Schlössern und in elitären Adelszirkeln, sein weihevoll inszeniertes Außenseitertum. Auch über sein schwer fassbares Gottesbild wie seine ästhetisch ausgerichtete Religiosität gibt es zahlreiche Studien. Und natürlich haben sich Forscher wie Biografen an Rilkes schillernder Beziehung zu den Frauen und seinem emphatischen Begriff der Liebe abgearbeitet, der ihm bis heute vor allem das Interesse weiblicher Leser sichert. Dennoch bleibt ein Mysterium: die Magie eines Dichters, der es verstand, sein Leben fast vollkommen in seinem Werk aufgehen zu lassen. Die Leidtragenden dieses poetisch so erfolgreichen Verfahrens waren die Frauen, die Rilkes Weg säumten und die auserkoren waren, in den »Weltinnenraum« seiner Imaginationen hineingesogen und in Dichtung »verwandelt« zu werden. Von solchen Schicksalen handelt dieses Buch.

Schon die Verliebtheit des Schülers zeigt den Zug ins Absolute, Übersteigerte, der Rilkes Verhältnis zu den umworbenen Frauen auszeichnete. Die Liebesbeteuerungen gegenüber der Prager Jugendfreundin Valerie von David-Rhonfeld unterscheiden sich nicht allzu sehr von den Briefen, die er später an die bewunderte Lou Andreas-Salomé, an Clara Westhoff, seine spätere Frau, an die Pianistin Magda von Hattingberg (»Benvenuta«), die Malerinnen Lolou Albert-Lasard (»Lulu«) und Elisabeth Klossowska (»Mouky«) richten wird. Immer beschwört er die Einzigartigkeit seiner Gefühle, die Erlösung, die die Liebe für ihn, den Einsamen, von der Mutter Verlassenen und für die Dichtung Geborenen, bedeutet. Schon Rilkes junge Geliebte Valerie, die den Pubertierenden im Rückblick als abstoßend hässlich beschrieb, war beeindruckt von der verwandelnden Kraft der Erotik des Geistes und wurde, indem sie die Finanzierung der Veröffentlichung seiner Jugendgedichte übernahm, zu Rilkes erster Gönnerin.

Der Schlüssel für Rilkes Beziehung zum weiblichen Geschlecht ist sein Verhältnis zur Mutter. Auch hier setzt dieses Buch bewusst einen neuen Akzent. Die großen Biografien sind ohne Kenntnis der 1134 Briefe Rilkes an seine Mutter Sophia geschrieben, die 2009 in einer zweibändigen, sorgfältig kommentierten Edition veröffentlicht wurden. Sie zeigen einen Dichter, der seine Mutter lebenslang verehrte. Sophia Rilke, die gern selbst Schriftstellerin geworden wäre, erkannte früh die dichterische Begabung ihres Sohnes. Gegen den Widerstand des Vaters und der Familie förderte sie seine künstlerische Sensibilität, was der Sohn ihr nie vergessen hat, selbst in Phasen der Abgrenzung und der Loslösung vom katholischen Milieu der Mutter. Dankbarkeit bestimmte lebenslang Rilkes Verhältnis zu seiner Mutter, die stolz war auf den berühmten Sohn, der geschafft hatte, was ihr versagt blieb.

Neben dem Gefühl dankbarer Verbundenheit existierte jedoch auch das eines unwiederbringlichen Verlusts, den Rilke erlitt, als seine Mutter sich vom Vater trennte und schließlich Prag verließ, um einem Glück hinterherzureisen, das sie nie finden sollte. Rilke hat diese frühe Enttäuschung zum Trauma seines Lebens stilisiert – besonders gegenüber den umworbenen Frauen. Sie sollten ihm geben, was ihm die Mutter bei aller Liebe nicht geben konnte. So suchte er unentwegt Ersatzmütter und fand sie nacheinander in der strengen Lou Andreas-Salomé, dann in der schwedischen Schriftstellerin Ellen Key und vor allem in der resoluten Fürstin von Thurn und Taxis, die Rilkes ständiges Liebeswerben durchschaute und ironisierte. Und am Ende seines Lebens fand er in Nanny Wunderly-Volkart eine selbstlose Vertraute, die ihm wie einem kleinen Kind alle Wünsche von den Lippen ablas und sie sogleich erfüllte.

So sehr Rilke mütterliche Zuwendung einforderte, so wenig war er bereit, sich verantwortlich auf einen Menschen einzulassen. Die als absolut empfundene Berufung zum Dichter dominierte jede menschliche Beziehung. Hier war Rilke zu keinem Kompromiss bereit und entzog sich konsequent jeder Verpflichtung, die ihm Ehe und Familie auferlegten. Warum er Clara Westhoff, die schweigsame Bildhauerin, heiratete und mit ihr aufs Land nach Worpswede zog, blieb ihm später selbst ein Rätsel. Denn jede Bindung beschwerte ihn und nötigte zur Flucht – in neue Bindungen. Rilke feierte die Liebe und entzog sich ihr, als wolle er der Flamme, die er entzündet hatte, nicht zu nahe kommen. Ruth, die eigene Tochter, ließ er von den Großeltern erziehen, um in Paris ein Buch über Rodin schreiben zu können. Statt sich um Ruth zu kümmern, suchte er sich gelegentlich Ersatztöchter auf Zeit, an denen er seine Wirkung als Dichter und eine gönnerhafte Vaterschaft erproben konnte. Dieser Dichter war ein Meister des Rückzugs, der die, die er an sich band, bald aus seinem Leben wieder hinauskomplimentierte. Die Liebe sollte ihm allein zur Selbststeigerung als Dichter verhelfen. In der erinnernden Distanz konnte Rilke aus heißen Emotionen kühl und formvollendet Kunst gestalten. Die Frauen haben es ihm verziehen – spätestens dann, wenn sie sich selbst und ihr Leben in seinem großartigen Werk wiedererkannten.

Zu Rilkes Ambivalenzen gehörte auch die Sexualität. Er befürwortete (»Brief an einen Arbeiter«) den tabufreien Umgang mit ihr, räumte ihr aber im eigenen Leben wenig Raum ein. Die wenigen »phallischen Gedichte«, die er schrieb, entsprangen einer Metaphorik kosmischer, nicht männlicher Fruchtbarkeit. Sein Begriff der Liebe war religiös fundiert, weniger erotisch. Rilke liebte viele Frauen. Aber er war weder ein Don Juan noch ein Casanova. Der eine wollte Unterwerfung, der andere Hingabe. Rilke aber liebte die Frauen wie ein Sohn die eigene Mutter. Deshalb erschrak er, wenn es in der Liebe zum Letzten kommen sollte. Er floh vor dem Feuer der Leidenschaft, das seine Briefe und Gedichte entfacht hatten. Wie im Verhältnis zu seiner Mutter, brauchte er bei seinen Geliebten die Balance von Nähe und Distanz. Mit Lou Andreas-Salomé und Clara Westhoff hatte er erste sexuelle Erfahrungen gemacht, aber keine Erfüllung gefunden. Die körperliche Liebe war nicht seine Sache. Er flüchtete zeitweilig in die Selbstbefriedigung, wie er gegenüber seiner Vertrauten und Freud-Schülerin Lou bekannte. Rilke war ein Sänger der Liebe, aber gewiss kein guter Liebhaber. Seine Vereinigungen mit der Geliebten fanden im Herzen – oder im Gedicht statt. Das wussten die Männer jener reichen Frauen, mit denen er korrespondierte. Rilke liebte den Duft der Rose, aber er berührte nicht ihre Blätter. Körperliche Annäherungen enden in Rilkes Gedichten oft in jener großen Enttäuschung, die er in seinem Gedicht »Einsamkeit« beklagt. Es entstand am 21. September 1902 in Paris und beschreibt eine traurige Liebesnacht und die Dämmerung eines regnerischen Morgens, »wenn die Leiber, welche nichts gefunden,/ enttäuscht und traurig von einander lassen«.

Auf den Liebesakt müsse man sich Wochen vorbereiten, meinte Rilke. Man darf diese Aussage auch symbolisch verstehen: Liebe ist eine Aufgabe, die wie das Schreiben eine sich steigernde Virtuosität verlangt. Eine Suchbewegung, die nicht unbedingt im Finden enden muss: Der Weg ist das Ziel. So ist Rilke auch ein Meister der Verzögerung, mit allen Assoziationen, die sich daran knüpfen lassen. Nicht die Erfüllung, sondern die Verheißung empfand er als seine Mission – als Dichter und als Mann. Er wollte ein »Rühmer der Freude« sein, der großen Vorfreude auf das letzte Geheimnis, das sich einmal enthüllen würde. Frauen und Engel verkörpern es, Dichter rühmen es. Die Liebe ist sein höchster Ausdruck, aber auch sie kann es nur umkreisen. Dass es sich immer wieder neu entzieht, gehört zum Leben. Mit der Liebe hat Gott sich selbst in seine Schöpfung eingebracht und darf nun an ihr mitwachsen, sich an sich selbst vollenden. Das war Rilkes Credo jenseits aller christlichen Dogmen. Wer so hoch hinaufzielt wie er – seine Elegien markieren den Scheitelpunkt dieser Suchbewegung –, darf auch scheitern. Gott verschwendet sich in der Welt, das Leben des Dichters muss sich in der Poesie vollenden. Rilkes Frauen haben das geahnt und stillgehalten, wenn der Zug an ihnen vorüberging. Sie wussten, dass die Liebe vor allem den Liebenden beschenkt, der Schmerz aber auch etwas Heilsames hat. Am Ende steht Rilkes große Dichtung vor uns, in der das alles auf wunderbare Weise aufgehoben ist.

Zu großem Dank bin ich Uwe Wolff verpflichtet, dem Freund und Mentor, was die theologischen Bezüge von Rilkes Werk betrifft. Ohne ihn, den profunden Kenner der Welt der Engel, hätte dieses Buch so nicht geschrieben werden können. Ich danke auch Kristin Rotter vom Piper Verlag und meiner Lektorin Heike Wolter für die sachkundige und sorgfältige Begleitung.

Heimo Schwilk

Berlin, im Januar 2015