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Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, Tieren oder Institutionen wäre rein zufällig.

© Querverlag GmbH, Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schrift­liche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung einer Fotografie © Serg Zastavkin - Fotolia.com

ISBN 978-3-89656-555-6

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Querverlag GmbH

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Einleitung

Eine ironische Nabelschau über die Tücken im Alltag unddie „Sieben schwulen Todsünden“

Letzten Monat bekam ich überraschend Besuch von einem längst vergessenen Freund, den ich seit dem Abitur vor 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Im Netz war er über meinen Namen gestolpert, wie er mir erzählte, und so stand er plötzlich vor meiner Haustür.

Ich freute mich riesig, die uralte Pflaume wiederzusehen. Zumindest optisch hatte sich der Kerl kaum verändert, was ich beneidenswert fand. Bei zwei, drei Bier brachten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand. Zunächst war alles wie früher. Eloquent knüpften wir an unsere gemeinsame Schulzeit an, tauten all den Unsinn verbal auf, den wir damals gemeinsam verzapft hatten, hauten ein paar pubertäre Anekdoten auf den Küchentisch – darunter Dinge, an die ich mich zum Glück nicht mehr erinnern konnte.

Der Knall kam, als ich ihm von meinem letzten Freund erzählte. Mein Kumpel hatte tatsächlich keinen blassen Schimmer, dass ich schwul bin. Unglaublich! Er reagierte irritiert, fühlte sich verraten und packte all die hoffnungslos peinlichen Fragen aus, die ich seit dem Coming-out immer wieder gestellt bekommen habe. „Wer war bei euch die Frau, und wer der Mann?“, „Warst du damals in mich verknallt?“ Oder: „Bist du schwul geworden, weil du bei Mädels nicht landen konntest?“

Solch ein rhetorisches Grobzeug kam da zum Vorschein, gefolgt von einer dusseligen, dramatischen Distanz. Als wir uns wenig später verabschiedeten, pfiffen wir auf die obligatorische Umarmung unter Freunden. Dass wir uns bald wiedersehen, bezweifele ich. Schade, aber, vielleicht müssen weitere 20 Jahre ins Land gehen, bis es alle Heteros gerafft haben, wie normal – und ich finde auch, wie banal – unsere sexuelle Identität ist.

Hier in Berlin habe ich zuletzt rege Diskussionen dar­über geführt, wie es mit unserem Schwulsein weitergeht, wenn erst sämtliche Sachen geregelt sind. Macht unsere Homosexualität überhaupt einen Unterschied, sobald wir gesetzlich gleichstellt und auch gesellschaftlich halbwegs gleichbehandelt werden? Können wir – wie es besonders Avantgardistische unter uns schon lauthals promoten – das schwule Label in Kürze ablegen und die gewachsene Identität abstreifen wie den glitzernden Fetzen vom letzten CSD? Sind unsere geliebten Gay-Paraden hinfällig? Sollen wir gar unsere Communitys dichtmachen? Werden wir jetzt alle überstürzt flügge, verlassen wir erneut unser Zuhause und brechen mit der Wahlfamilie? Ist Sex das Einzige, was uns fortwährend verbinden wird, und ansonsten nichts mehr im Tunten-Tank vorhanden, was uns einst zusammenbrachte, einte und starkmachte?

Also, auf mich persönlich wirken sowohl mein geschockter Gast von Gestern als auch diese gruseligen Gedanken über das schwule Ende von Morgen wie zwei einfältige Extreme, die mit dem homosexuellen Heute herzlich wenig am Hut haben.

Ich glaube, dass wir zum einen eine restlose Akzeptanz im Volke nie erreichen werden. Da mögen wir noch so drollige, gesellschaftliche Purzelbäume schlagen und bisweilen krampfhaft versuchen, uns im Mainstream aufzulösen, was mit der akuten Gefahr des Sich-Anbiederns und Sich-Verbiegens verbunden ist. Wir normalisieren uns, nein, wir heterosexualisieren uns ja ohnehin bereits zu Tode. Und ich finde, dass wir das nicht nötig haben und auf diese Weise nicht glücklicher werden. Genauso wenig kann ich jene ominösen Unkenrufe nachvollziehen, dass es für Schwule keine lukrativen Lebenskonzepte gäbe. Dass uns die ach so unbarmherzige Gesellschaft nicht angemessen mitnehmen würde, uns arme Säue nicht erwachsen werden ließe. Leute, diese Mitleidschiene bringt’s nicht! Sie führt in einen schäbigen Sackbahnhof.

Zum anderen bin ich fest davon überzeugt, dass unsere Homosexualität ein entlarvender Spiegel der gesamten Gesellschaft ist. Auch wenn sie faktisch und subjektiv genauso normal, bieder und ausgeflippt sein mag wie die Heterosexualität, wird unsere Gleichgeschlechtlichkeit rein emotional auf lange Sicht als das Andere, Nichtkonforme und Absonderliche wahrgenommen werden. Durch unsere geballte Sichtbarkeit und unser gestärktes Selbstbewusstsein decken wir außerdem nicht nur überholte Muster und traditionelle Irrläufer im Lande auf, wir – wie auch alle anderen Randgruppen – sind darüber hinaus ein dringend nötiges Korrektiv: Unsere Homo-Ehen haben die Antiquiertheit der an den Trauschein gebundenen staatlichen Privilegien gnadenlos offenbart. Inzwischen streiten alle Parteien über die sinnvolle Abschaffung des Ehegattensplittings.

Im Klartext: Mit uns wird Politik gemacht. Unsere Regenbogenfamilien beweisen wiederum, dass es bunte Alternativen zur herkömmlichen Vater-Mutter-Kind-Kleinfamilie gibt. Jungen und Mädchen können selbstredend mit zwei Müttern oder zwei Vätern glücklich groß werden, ohne eklatante Defizite in ihrer Sozialisation aufzuweisen. Ich kann mir vorstellen, dass sie sozial abgehärteter und aufgeklärter sind als andere Jugendliche.

Drittens diente unser Lifestyle lange als Vorreiter und als Vorbild für heute selbstverständliche Freiheiten und vielfältige Formen der Verwirklichung. Wir haben in den letzten 20, 30 Jahren wacker Trends losgetreten und mutig Maßstäbe gesetzt, von denen jede moderne Gesellschaft profitiert. Und in dem Zusammenhang schnalle ich nicht, wieso immer mehr Schwule auf einmal nach dem heterosexuellen Rockzipfel schnappen und sich in tradierte Korsette quetschen, die in die Kleiderspende gehören.

Um diese und viele andere Paradoxien geht es in diesem Buch. Wie meistern wir den irrigen Zwiespalt, dass wir individuell natürlich ebenso normal, durchgeknallt und anders wie alle anderen sind – als Gruppe aber weiterhin einen gesellschaftlich relevanten Unterschied machen? Wieso ist schwules Leben nicht nur Spaß, sondern ab und an ein hartes Stück Arbeit? Welche groben Schnitzer unterlaufen uns bei dem banalen Versuch, ein möglichst befriedigendes Leben zu führen?

Ich habe dazu – man könnte sagen, „typisch homo!“ – die dicken Keulen ausgepackt, denn ich werde in den folgenden Kapiteln über die „Sieben schwulen Todsünden“ herfallen. Was historisch und religiös betrachtet vermutlich eine Unverschämtheit ist, da ich mit diesen kulturell aufgeladenen Begriffen bestenfalls spiele, sie komplett auf das wunderbar perverse Schwule runterbreche und dabei nicht einmal Wert auf Genauigkeit und Vollständigkeit lege. Wenn die schwulen Todsünden – Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Völlerei und Wollust – eines gemein haben, dann ist es ein Leben im ewigen Exzess. Das passt doch ganz gut auf viele von uns, oder?

Mir geht es bei meinem Konstrukt der Todsünden, anders als ihren einstigen geistig vernebelten Urhebern, daher weder um moralische Vorhaltungen, haltlose Verbote noch um vorschnelle Bewertungen, sondern ich möchte eine Diskussion unter uns anzetteln, dass wir miteinander quatschen und mal kurz über dieses verdammt komplizierte, komplexe, chaotische und deshalb in meinen Augen so „normale“, lebens- und liebenswerte schwule Leben nachdenken. Unser gemeinsames Homo-Ding wird uns eine ganze Weile beschäftigen. Da bin ich mir sicher. Das werden wir nicht so einfach abschütteln können, egal, welchen Weg wir künftig weiterlatschen.

Für mich sind mein Schwulsein und unsere Community etwas komplett Irrationales und Emotionales und von daher nicht so super-leicht Erklärbares. Ich kann nur sagen, dass ich bei all den „Sieben schwulen Todsünden“, die ich regelmäßig begehe, fast immer ein gutes Gefühl habe.