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Über dieses Buch:

Einmal Chaos und zurück: Seit Franziska zur Bestsellerautorin geworden ist, reißen sich die Medien um sie. Kurzentschlossen flieht sie mit ihren drei Kindern in die Schweiz – was einen Fernsehprogrammdirektor mit faszinierenden Augen nicht davon abhält, ihr eine eigene Talkshow anzubieten. Natürlich wäre es schlauer, diese abzulehnen, aber Franziska kann der Herausforderung nicht widerstehen. Um wenigstens etwas Ruhe in ihr Leben zu bringen und Liebeschaos zu vermeiden, gründet sie mit ihren besten Freundinnen eine frech-vergnügte Wohngemeinschaft, in der die »Herren der Schöpfung« kein Bleiberecht haben. Jedenfalls ist das der Plan …

Vier Powerfrauen, ein Weibernest und jede Menge Überraschungen: Der Bestseller von Hera Lind, einer der erfolgreichsten deutschen Unterhaltungsautorinnen aller Zeiten.

»Hera Lind schreibt Romane, deren Lästerton die Herzen der stolzesten Frauen trifft.« Die Zeit

Über die Autorin:

Hera Lind, geboren in Bielefeld, studierte Germanistik, Theologie und Gesang. Sie machte sich europaweit als Solistin einen Namen und war 14 Jahre lang festes Mitglied des Kölner Rundfunkchores. Während ihrer ersten Schwangerschaft schrieb sie ihren Debütroman »Ein Mann für jede Tonart«. Dieser wurde sofort ein Bestseller und erfolgreich verfilmt – eine Erfolgsgeschichte, die sich mit zahlreichen Romanen wie »Das Superweib«, »Die Zauberfrau«, »Das Weibernest«, Kinderbüchern und Tatsachenromanen bis heute fortsetzt. Hera Linds Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt und verkauften sich über 13 Millionen Mal. Hera Lind ist Mutter von vier Kindern und lebt mit ihrer Familie in Salzburg.

Hera Lind veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane »Ein Mann für jede Tonart«, »Frau zu sein bedarf es wenig«, »Das Superweib«, »Die Zauberfrau«, »Der gemietete Mann«, »Hochglanzweiber«, »Mord an Bord«, »Der doppelte Lothar«, »Karlas Umweg«, »Fürstenroman« und »Drei Männer und kein Halleluja« sowie die Kurzromane »Rache und andere Vergnügen«, »Gefühle und andere Katastrophen« und »Hunde und Herzensbrecher« sowie das Kinder- und Vorlesebuch »Der Tag, an dem ich Papa war«. Außerdem erschienen bei dotbooks die Doppelbände »Ein Mann für jede Tonart & Frau zu sein bedarf es wenig«, »Mord an Bord & Der doppelte Lothar« und »Das Superweib & Die Zauberfrau«.

Die Autorin im Internet: www.heralind.com

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eBook-Neuausgabe November 2012

Copyright © der Originalausgabe 1997 Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der eBook-Neuausgabe 2012 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Melnikov Sergey

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-043-5

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Hera Lind

Das Weibernest

Roman

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Für Marion, Gitte und Frau Kolb
und für mein wundervolles ZDF-Team, dem ich sehr viel zu verdanken habe.

Nebenan zogen auch gerade welche ein. Ich hörte den Schlüssel im Schloss. Dann Gepolter, Koffer wurden abgestellt. Kinderstimmen und ein Mann. Der Hotelangestellte mit der Gepäckkarre bedankte sich auf Italienisch. Die Tür wurde zugeknallt. Peng. Gedämpftes Stimmengewirr, trappelnde Schritte.

Na bitte, dachte ich. Kinder. Das passt ja prima. Dann werden die sich bestimmt nicht beschweren, wenn es bei uns mal zu laut ist. Vielleicht bekommen meine drei Anschluss. Nichts würde ich mir mehr wünschen für meine armen verwahrlosten Halbwaisen, als dass jemand mit ihnen redete und spielte.

Ich sank auf das Bett. Puh! Acht Stunden Fahrt mit drei Kindern! Es war das erste Mal, dass ich auf eigene Faust etwas derart Tollkühnes unternommen hatte. Aber es musste sein. Jetzt oder nie.

Gestern war der Riesenkrach gewesen. Enno wollte mich heiraten.

Und ich hatte einfach nein gesagt. In MEINEM Alter. Als Mutter dreier Kinder! Da hatte Enno seinen Koffer gepackt und war zu irgendeiner Mandantin gefahren. Und ich hatte meinen Koffer gepackt. Das heißt, ich hatte vier Koffer gepackt. Und drei Taschen. Und das Reisebett und den Kinderwagen und drei Packungen Pampers. Und jetzt waren wir hier. Ohne Enno. Und ich fühlte mich in Hochstimmung.

Drei Wochen Urlaub lagen vor uns. In dieser herrlichen, paradiesischen Gegend. Bei diesem strahlenden, heißen Sommerwetter.

Ich hatte es so gewollt. Ich wollte wissen, ob ich ohne Enno klarkommen würde. Und ich war mir ganz sicher, dass genau dies der Fall sein würde.

Jemanden, der einen seit sieben Jahren bevormundet, maßregelt und alles besser weiß, vermisst man vermutlich nicht, wenn man endlich mal wieder allein denken und handeln darf. Ich freute mich auf jede Minute. Entschlossen rappelte ich mich auf. Koffer auspacken, Ordnung machen, Kinder waschen, nettmachen, Heizdecke unter das Laken friemeln.

»Franz, kannst du bitte mal einen Moment von meinem Bett runtergehen?«

»Immer ich!«, maulte das Kalb, das sich gerade mit seinem Gameboy zwischen den Gepäckteilen auf meiner Tagesdecke breitgemacht hatte. Kalb Nummer zwei lümmelte am Fußende und spielte mit der Fernbedienung der hoteleigenen TV-Anlage. Über den Bildschirm taumelten Zeichentrickfiguren, die sich auf ausländisch hauten.

»Die sprechen ja noch nicht mal deutsch!«, beschwerte sich mein bezauberndes Kind. »Hier bleib ich nicht. Hier ist alles bescheuert!«

Kälbchen Nummer drei taperte sehr beschäftigt mit Pullovern und Hosen, die es aus den herumstehenden Koffern zog, in der Suite auf und ab. Natürlich brauchte das Kälbchen Auslauf, nachdem es acht Stunden in seinem Kindersitz geklemmt hatte. Hauptsache, es tut sich nicht weh und fällt nirgendwo rein und öffnet nicht die Minibar und schmeißt keine Gläser ins Klo.

»Wann gehen wir endlich essen!«, rief frustriert mein Ältester aus. Seine letzte Gummibärchentüte lag leer und zerknüllt auf dem Bettvorleger.

»Wir gehen essen, wenn die Koffer ausgepackt sind und ich geduscht habe«, sagte ich freundlich, aber bestimmt. »Und jetzt geh von meinem Bett runter, und hilf mir mit der Heizdecke.«

Unwillig erhob sich mein Ältester.

»Wieso muss immer ich von deinem Bett runtergehen!«

»Weil du drauf sitzt mit deinen schmutzigen Hosen! Los. hoch den Po! Geh doch mal raus in den Garten und guck, wer da im Nebenzimmer eingezogen ist«, munterte ich meinen übellaunigen Sohn auf. »Sicher findest du gleichaltrige Spielgefährten!«

»Die sind bescheuert, und außerdem sprechen die kein Deutsch«, sagte Willi und knipste frustriert den Fernseher aus. »Ich will hier wieder weg!«

»Ihr werdet euch bald eingewöhnen«, versprach ich, indem ich das Laken wieder zurechtstopfte. »Wir haben drei Wochen Zeit.«

Das kleine Kälbchen zerrte inzwischen meinen Kulturbeutel aus dem Koffer. Fünfunddreißig Lockenwickler rollten über den Teppichboden.

Ach ja, dachte ich. Das war doch angemessen. Für das Treffen heute Abend werde ich mich etwas nettmachen. Der erste Eindruck zählt. Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen. Und nach der achtstündigen Autofahrt siehst du blass und strähnig aus. Wer weiß, wie viele alleinreisende Geschäftsmänner heute Abend glutäugig auf dich starren. Außerdem kommt ja dieser alte Programmdirektor extra aus Berlin angeflogen.

»Ihr geht jetzt mit Fanny auf den Flur und spielt etwas Ball«, regte ich an. »Ich sorge hier ganz schnell für Ordnung, und dann gehen wir essen.«

Mit liebevollem Klammergriff am Oberarm – Marke »Das ist mein letztes Wort« – führte ich meine goldige Bande hinaus. »Und wehe, ihr spielt hier richtig Fußball«, hörte ich mich noch rufen. »Hier hängen Bilder, und hier stehen wertvolle Gegenstände! Den Ball nur rollen!«

»Bin ich denn bescheuert!«, maulte Franz beleidigt.

Baby Fanny taperte unternehmungslustig den langen, dunklen Flur hinunter. An ihrem Arm hatten sich einige Wäschestücke verheddert, die sie als letztes aus meinem Koffer gezogen hatte. Mein Spitzen-BH schleifte einsam an ihrem Fußgelenk.

Willi riss erfreut an den Dessous und schleuderte sie übermütig gegen seinen missmutig gestimmten großen Bruder.

»Lass das, du Eierloch!«

Ich warf die Tür hinter ihnen zu.

Mein Gott, was sind Erwachsene und Kinder doch unterschiedlich in ihrem Gebaren, dachte ich, während ich mir die verstaubten Sachen vom Leibe streifte. Ob das vom lieben Gott wohl Absicht war? Männer und Frauen passen ja sowieso nicht zusammen, aber dass Kinder und Eltern auch nicht zusammenpassen – wer hätte das gedacht.

Mit wachsender Panik dachte ich an den Programmdirektor, der unbedingt heute, an meinem ersten Urlaubstag, ein Gespräch mit mir führen wollte. Dafür reiste er von Berlin an. Natürlich dachte er, Enno, mein Bestimmer, Lebensglückverwalter und Karriereplaner, sei dabei. Da würde er aber Augen machen, der Programmdirektor, dass das minderbemittelte Weibchen ganz allein mit ihm zu reden imstande war!

Gestern, unmittelbar nach dem Streit mit Enno, hatte ich den hohen Herrn plötzlich am Handy gehabt. Erst dachte ich natürlich, es sei Enno, der sich wortreich entschuldigen wollte. Ziemlich rüde hatte ich »Ja!« ins Telefon geschrien. Was ist denn noch? Mama packt gerade Koffer und ist kein bisschen zu erweichen!

»Chefredaktion Unterhaltung. Herr Dr. Karl möchte Sie sprechen«, hatte eine kühle Frauenstimme gesagt. Ziemlich irritiert war ich auf den Badewannenrand gesunken. Und dann hatte es geknackt, und dann war sanfte Musik an mein Ohr getropft und ich hatte mich mit den Kinderzahnbürsten auf den geschlossenen Klodeckel gesetzt und hatte gewartet. Ich kannte keinen Dr. Karl. Aber seit ich »Die perfekte Frau« geschrieben hatte, riefen immer mal wieder irgendwelche fremden Dr. Karls und andere wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an und luden mich in eine Talkshow ein oder wollten, dass ich aus meinem Buch läse oder eine Signierstunde gäbe oder an einer Podiumsdiskussion teilnähme. Ich wartete. Nach ziemlich langer Zeit hatte die sanfte Musik aufgehört, und es hatte wieder geknackt:

»Hal-lo!« Melodische Männerstimme, gut gelaunt. Kleine Terz. (Kuck-kuck!)

»Ha-lo!«, hatte ich zurückgesungen.

»Karl hier. Einen wunderschönen Tag, Frau Zis!«

Ja und? Sach schon, Karl-hier! Mama is eilich! Getz! Komm zu Potte! Gleich kommt die Bande aus der Schule, und dann ist nichts gepackt, und Essen muss ich auch noch machen, und ich will wech sein, bevor der Enno Lunte riecht und womöglich mit Blumen auf der Matte steht und mit uns fahren will!

»Was kann ich für Sie tun, Herr Karl?«

»Ich würde Sie gerne ken-nen-ler-nen!« (Melodischer Gesang, fast ein bisschen zu gut gelaunt.)

»Das wollen viele«, scherzte ich gönnerhaft. Nichts erheitert mich so wie ein netter Talk am Telefon mit einem netten Herrn.

»Ich wa-haiß!«

Na los, ein bisschen origineller solltest du schon sein. Ich wartete. Karl-hier wartete auch ein bisschen. Dann sagte er:

»Unsere Programmdirektion plant ab Oktober eine neue Talkshow. Arbeitstitel: ›Alltalk am Sonntag‹!«

»Origineller Titel«, lobte ich.

»Wir würden Sie gern dafür gewinnen.«

Mein Terminkalender lag natürlich nicht im Badezimmer rum wie bei Enno, der neben der Toilette eine seiner Computer-Andock-Haltestellen hatte, aber ich hatte keine Lust, mein gemütliches Plätzchen zu verlassen.

»Können wir gern machen«, sagte ich cool. »Meine Sekretärin hat heute frei …« (Meine Sekretärin hatte natürlich immer frei, sie war die freieste Sekretärin der Welt.) Ich tat so, als suchte ich umständlich in meinem riesigen Terminplaner herum … »Im Oktober hab ich sicherlich noch einen Termin frei. Wann soll ich denn kommen?«

»Sie scheinen mich misszuverstehen.«

»Dann drücken Sie sich deutlicher aus.« Mensch, Karl-hier! Jetzt KOMM doch mal zu Potte!

»Wir würden Sie gern für die Moderation gewinnen.«

Moderation. Ich. Hausfrau, Mutter und Zufalls-Bestsellerautorin. Und seit einer Stunde wieder alleinerziehend.

Jetzt hatte Karl-hier aber eine Bombe platzen lassen! Ich hörte ihn am anderen Ende förmlich grinsen.

»Für die Moderation? Mich?«

»Trauen Sie sich das nicht zu?«

»Doch. Natürlich.« Ja, sollte ich jetzt vielleicht anfangen zu weinen und sagen, nein, ich trau mich nicht?

»Das habe ich mir gedacht, Frau Zis.«

»Wie kommen Sie denn bloß auf mich?«

»Ihr Buch ist über alle Maßen erfolgreich, und Sie scheinen mir nicht auf den Mund gefallen zu sein.«

»Nee. Da haben Sie recht.«

»Kurz und gut, Frau Zis, ich würde Sie gern kennenlernen.«

»Das ehrt mich. Ich fahre nur leider morgen früh in Urlaub.«

»Für wie lange?«

»Drei Wochen mindestens.«

»Hm. Wohin fahren Sie denn?«

»In die Schweiz. Warum?«

»Dann würde ich da auch hinkommen, wenn es Ihnen recht ist.«

»Ja aber …« Mir gingen tausend Dinge durch den Kopf. Wieso war ich dem so wichtig? Warum musste das sofort sein? Ich? Eine eigene Talkshow! Was würde Enno dazu sagen? Der würde erst mal gründlich sein Veto einlegen. Das machte der immer, das war seine Lieblingsbeschäftigung. Veto-Einlegen hieß: MO-ment. Ohne mich läuft hier gar nichts. Wer sind Sie, was wollen Sie, wer ist Ihr Vorgesetzter, stehen Sie gerade, wenn ich mit Ihnen spreche, wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben? Enno Winkel. Anwalt und Lebensglückverwalter von Franka Zis. Außerdem Kindsvater ihres dritten Zufallstreffers. Tja. Da staunt ihr. Ohne mich läuft hier nichts.

Karl-hier war die erste Herausforderung in meinem neuen Leben.

Es war ganz ungewohnt, so einfach mit einem wichtigen Menschen telefonieren zu dürfen, ohne dass Enno mir dabei böse Zeichen machte. Enno liebte es, neben dem Telefon zu stehen und wild zu gestikulieren, wenn ich galant mit dem Hörer plauderte. Egal, wer dran war, ob es Tante Bertchen war oder der Intendant vom ZDF oder der Lehrer von Franz, Enno gestikulierte und schlug sich demonstrativ an die Stirn und kritzelte wild entschlossen Unleserliches auf Zettel und verdrehte die Augen und zeigte mir einen Vogel, wenn ich mal wieder Dinge gesagt hatte, die er für unpassend hielt.

Jetzt hätte er mit Sicherheit mit den Armen gewinkt und die Augen verdreht. Er hätte »Frag nach dem Honorar« auf Klopapier gekritzelt oder »Keine mündlichen Zusagen!« mit Lippenstift auf den Spiegel geschrieben oder »Sag ihm, wir rufen zurück!« in Gebärdensprache auf mich ein gestikuliert. Und das minderbemittelte Frauchen hätte wieder mal das Gefühl gehabt, dass es sogar zu doof zum Telefonieren sei.

»Also gut«, sagte ich. »Wir können morgen Abend zusammen essen. Was halten Sie davon, wenn wir uns um zwanzig Uhr im Restaurant des Albergo Losone treffen?«

»Albergo wo?«

Ich nannte ihm die Adresse.

»Das lässt sich prima einrichten«, sagte Karl-hier. »Ich lasse mir gleich einen Flug buchen.«

Tja, so war das ohne Enno. Ganz einfach und unkompliziert. Und nun stand ich in eben jenem Fünf-Sterne-Schuppen, die Jungs rannten über den Flur und fesselten Fanny mit meinem BH, in einer Stunde würde Karl-hier hier sein und mir eine Talkshow anbieten, und ich hatte mir die Haare noch nicht gemacht. Sicherlich war es ratsam, mich für ihn ein bisschen nettzumachen. Nicht dass er auf die Idee kam, sein freundliches Angebot zurückzuziehen. Männer können so launisch sein.

Ich krabbelte auf allen vieren über den kostbaren Hotelteppichboden und sammelte die fünfunddreißig Lockenwickler ein. So, jetzt nur noch eine Steckdose finden, und dann machen wir uns gleich zauberhaft schön für unser erstes Abendessen am Pool. Die verführerische Mama dreier reizender Kinder tafelt im Mondenschein, während die drei zauberhaften Sprösslinge ganz artig und wohlerzogen in der Spielecke Klötzchen stapeln. Und der Herr Programmdirektor wird hingerissen sein und »Gnädige Frau, Sie sind genau die Richtige für mein kühnes Vorhaben« sagen.

Die Steckdose befand sich im Bad gleich neben dem marmornen Waschtisch. Zynisch grinste sie mich mit ihren drei Löchern an. »Bäh, ich bin eine Schweizer Steckdose! Wir Schweizer Stäckchdosen passen nur für Schweizer Stäckcher, dumme Touristen-Mutti!«

Da stand ich nun, splitternackt und strubbelig, mit meinen Heißwicklern vor der Brust, und die Heißwickler mochten nicht heiß werden! Der Programmdirektor setzte vermutlich gerade in Mailand zur Landung an!

Ich wickelte mir ein Badetuch um den Busen und spähte in den Flur hinaus. Kinderlein! Mama braucht mal eben einen Adapter! Schön artig herkommen und Anweisungen entgegennehmen! Haben wir früher auch getan! Und keine Widerworte jetzt! Mama is eilich!

Weit und breit keine Kinder. Dabei hatte ich ihnen so eingetrichtert, dass sie in Rufweite bleiben sollten!

»FRANZ!! WILLI!«, versuchte ich es dezent. Meine Stimme hallte von den Hotelwänden wider. Ein glasäugiger Elch glotzte auf mich herab. Nebenan öffnete sich eine Tür. Ein schwarzhaariger Knabe äugte.

»Hallo«, sagte ich matt.

Der schwarzhaarige Knabe äußerte sich freundlich, aber unverständlich.

»Hast du meine Kinder gesehen?«, fragte ich verbindlich.

Ein zweiter Braunschopf lugte durch den Türspalt. Ich zupfte an meinem Busenhandtuch.

»Die Kinder, die hier eben Ball gespielt haben. Habt ihr sie gesehen?«

Die Antwort war herzlich, aber nicht verständlich.

Nun öffnete sich die Tür vollends.

Der dazugehörige Vater schaute mich fragend an. Sehr sehr braune Augen, sehr sehr dunkles Haar. Der Förster vom Silbersee.

»Ich suche meine Kinder«, quakte die Entenmama hilflos und zupfte an ihrem Busentuch.

Der Mann antwortete irgendetwas, aus dem ich raushören konnte »Nüüht g’säähe«.

»Nee, ist klar«, sagte ich schnell. »Vielen Dank auch.«

Aha. Gleich würde die Mutter noch lugen, und alle würden auf schwitzerdütsch beteuern, dass sie meine Kinder nicht gesehen hätten. Und ich kam mir dämlich vor. Und die Zeit verrann.

Vielleicht war die Feuerwehr schon da und zog sie aus dem Pool.

Wir fielen gleich am Anfang unangenehm auf.

»Kann ich Ihnen hälfen?«, fragte der Mann. Er bemühte sich sehr, hochdeutsch zu sprechen.

»Ach ja«, sagte ich erfreut. »Ich bräuchte einen Adapter! Sie haben doch bestimmt immer so was dabei, wenn Sie in der Schweiz herumreisen.«

Der Schweizer lachte. »Einen Adaptrr brauchen wir nicht! Wir sind Schweizer und benutzen die Schweizer Stäckchdosen, odr!«

»Ach ja, richtig«, entfuhr es mir. Ich Dummchen aber auch. Doofes deutsches Dummchen.

Und der alte Programmdirektor stand jetzt schon erwartungsfroh am Kofferband und wollte ein adrettes Frauchen sehen.

Hastig warf ich die Tür zu.

Das war ja schon mal ausgesprochen peinlich. Natürlich bestellt Frau von Welt so was telefonisch bei der Rezeption. Die können einen Pagen schicken, und der bringt das dann diskret vorbei, auf einem silbernen Tablett. Gerade als ich zum Hörer greifen wollte, polterten die Kinder von draußen an die Tür. Ich öffnete erfreut.

Die Jungs hatten Fanny den BH um den Bauch gebunden und waren sichtbar gut gelaunt.

»Mama, im Swimmingpool sind Frösche!«

»Ihr sollt doch nicht an den Pool gehen«, schimpfte ich. »Die Fanny kann nicht schwimmen!«

»Deswegen haben wir sie ja angebunden«, sagte Willi eifrig. »Die ziehen wir dann wieder raus! Mit dem Netz hier kann man auch Frösche fangen!«

Das »Netz hier« war mein Spitzen-BH. Nun war er nass und glitschig.

»Tut mir einen Gefallen und lauft zur Rezeption«, sagte ich. »Ich brauche einen Adapter.«

»Das kann ich nicht aussprechen«, sagte Franz ungalant.

»Adapter«, sagte ich. »Denk an Ada und an Peter.«

»Nö. Das kann ich mir nicht merken.«

»Bitte!! Ich brauch meine Heißwickler!«

»Was soll ich sagen?«, fragte Franz gnädig.

»Adapter«, sagte ich.

»Ich kann kein Englisch«, sagte Franz unkooperativ. »Da blamier ich mich bloß.«

»Dann lauf du«, bat ich Willi.

»IMMER muss ich alles machen!«, stöhnte Willi. Er schleuderte frustriert den nassen Spitzen-BH von sich. Natürlich traf er Franz ans Bein.

»Ey, du Arsch!« Franz setzte zum Gegenangriff an.

Ich zerrte das liebe Kind ins Zimmer.

»Du setzt dich hier hin und spielst mit der Fanny«, zischte ich böse. »Ich style mich jetzt. So. Und ich will kein Wort mehr hören!«

»Spiel doch selbst mit der Fanny!«, maulte mein Großer sauer. »Ich hab sie doch nicht geboren!«

Fanny mochte auch gar nicht auf der Erde sitzen. Sie wollte entweder alle Lockenwickler wieder über den Teppich rollen oder mit ins Badezimmer kommen und sich auch stylen.

Wer lebt ohne alle Sorgen, sang ich vor mich hin, während Fanny von draußen schreiend gegen die Badezimmertür hämmerte. Alle denken immer, ich sei eine perfekte Frau. Nur weil mein Buch so heißt. Dabei bin ich nur eine ganz normale alleinerziehende Mutter.

Es war zwei Minuten vor acht, als ich mit drei gewaschenen, frisch angezogenen Kindern im Speisesaal erschien. Kurzer Blick über die anwesende Gästeschar: alles gediegene Familien aus besseren Kreisen. Weit und breit keine alleinreisenden Grafen oder Schweizer Geschäftsmänner. Ein halbes Dutzend Kellner schwebte um die tafelnden Herrschaften herum, schenkte Wein ein, trat devot einen halben Schritt nach hinten und ließ die männlichen Gäste mit wichtiger Miene schlürfen, ehe sie der Dame dann das Glas halbvoll schütteten. Mich beachtete zunächst keiner. Ich hatte ja auch kein männliches Wesen dabei. Das gildet nicht.

Ich lugte vorsichtig nach dem Programmdirektor. So um die Sechzig müsste der sein. Direktoren sind alte weißhaarige Männer mit Bauchansatz und Brille.

Keiner da, der in Frage kam. Vielleicht kam der gar nicht?! Vielleicht war das alles ein Gag von »Verstehen Sie Spaß«? Mal sehen, was die dumme Mama macht, wenn ihr jemand mit Karriere winkt? Ich kam mir ziemlich komisch vor.

Fanny wollte nicht mehr im Buggy sitzen. Ich löste ihren Anschnallgurt. Unternehmungslustig taperte sie zwischen die Kellnerschar.

»Wenn’s hier keine Pommes gibt, dann geh ich wieder«, sagte Franz.

»Warum esst ihr denn nicht mit den anderen Kindern?«, regte ich an. »Schaut mal, da hinten haben sie extra eine Lokomotive aufgebaut, das ist der Kinder-Speisesaal!«

»Die sind alle bescheuert, und außerdem sprechen die kein Deutsch«, sagte Franz stur. »Außerdem bin ich doch nicht blöd und esse in einer Lok!«

»Genau!«, rief Willi entrüstet aus. »Für wie doof halten die uns! Ich will am Tisch sitzen und mit Messer und Gabel essen wie andere Leute auch!«

»Klar«, sagte ich. »Verständlich. Nichts anderes versuche ich euch seit Jahren beizubringen.«

Endlich kam die Dame de la maison und wies uns einen Tisch an. Er war zum Glück auf der Terrasse. Es war eine zauberhafte Anlage: ringsum Palmen und reich blühendes Gesträuch, dazu zwei ovale Swimmingpools in Hellblö, von weißem Gebrück liebevoll überspannt. An einer Bar inmitten des Planschbeckens hantierte ein Keeper und mixte Drinks mit Zitronenscheibchen und Sonnenschirmchen am Glasrand. Ein einsamer Mann um die Vierzig hockte bei ihm und schaute ihm beim Mixen zu. Es war ein rothaariger Mensch im feingeschnittenen Maßanzug. Sicher der einzige Geschäftsreisende weit und breit. Der Rest waren gediegene Familien.

Um den Pool herum zog sich ein feuchtbiotopischer Graben, in dem Goldfische und anderes Ziergetier ihre Bahnen zogen. Ab und zu krabbelte eine Kröte aus dem Graben und sprang zwischen den Gartentischen herum. Es war Juni, und die laue Nacht regte zum Schwärmen und Balzen an. Die Kröten quakten selbstzufrieden, bevor sie sich wieder in ihr feuchtes, dunkles Biotop zurückzogen. Mit einem leisen Platsch verschwanden sie genauso selbstverständlich, wie sie aufgetaucht waren. Alles verzauberte Prinzen, ging es mir durch den Sinn. Her damit.

Der Kellner installierte einen Kindersitz am Tisch. Ich wuchtete die sich heftig wehrende Kleine hinein. Wir bestellten zweimal Kinderteller – Würstchen mit Pommes – und fürs Fannylein einen Kartoffelbrei. Wegen des noch relativ zahnlosen Zustandes.

»Die Dame möchte noch auf den Herrn warten?«

»Mitnichten«, sagte ich froh. »Die Dame möchte einen großen Salatteller ohne fettige Beilagen und einen trockenen Weißwein.«

»Der Herr wartet dort hinten an der Poolbar«, sagte der Kellner.

Ach so, natürlich. Der Programmdirektor. Ich hatte mir einen älteren Großvatertypen vorgestellt. Aber dieser sah ja richtig nett aus. Borstenhaarig, doch gepflegt und im weitesten Sinne gutaussehend.

»Sagen Sie dem Herrn bitte, dass ich ihn erwarte«, sagte ich freundlich.

»Wieso musst du schon wieder ein Interview geben«, maulte Franz. »Ich denke, wir haben Urlaub!«

»Ich gebe kein Interview«, erklärte ich liebevoll. »Er ist ein Fernsehdirektor. Und er findet, dass ich eine eigene Talkshow kriegen sollte. Wie findet ihr das?«

»Uncool«, sagte Franz. »Blöd und überflüssig.«

»Talkshow ist total langweilig«, sagte Willi.

Fanny in ihrem Kinderstuhl haute mit dem Suppenlöffel gegen die Gläser.

»Tooksso«, sagte sie beiläufig.

»Mama! Fanny kann ›Talkshow‹ sagen!«

»Fanny! Sag mal Talkshow!«

»Tooksso.«

»JAAA! Bravo!!«

»Psst, Kinder! Was soll denn der Programmdirektor von uns denken!«

»Er soll gar nix denken, sondern lieber mit uns Fußball spielen«, maulte Willi, während er sein drittes Bratwürstchen verschlang.

Der Herr von der Poolbar näherte sich. Er sah von nahem nicht mehr ganz so gut aus wie von weitem, aber er hatte interessante Augen. Ein blaues und ein braunes. So was hatte ich noch nie gesehen. Außerdem war er riesengroß. Bestimmt über zwei Meter vier oder so.

Ich stand auf und gab ihm die Hand.

»Hallo«, sagte ich. »Nett, dass Sie hergefunden haben.«

»Alexander Karl«, stellte er sich vor. »Nun störe ich auch noch Ihren ersten Urlaubstag.« Es schien ihm richtig leidzutun. Dabei hatte er doch darauf bestanden!

Ich lächelte ihn gewinnend an. »Aber Sie stören doch gar nicht! Wir haben uns auf Sie gefreut! Nicht wahr, Kinder!«

Ich übte mich in meinem schlimmsten »Willst-du-wohl-Blick«, aber er funktionierte nicht.

»Wir haben uns kein bisschen auf Sie gefreut«, sagte Willi mit vollen Backen. »Und hier ist alles blöd, und keiner spricht Deutsch.«

»Halt die Schnauze, du Eierloch«, sagte Franz. »Fanny, sag mal Talkshow!«

»Tooksso!«, sagte Fannylein und strahlte uns an. Ihre vier Schneidezähnchen blinkten froh.

Dr. Karl lächelte erfreut. »Da hätte ich ja meine Kinder auch mitbringen können!«

»Wie viel haben Sie denn?«, fragte ich.

»Vier. Aus verschiedenen Ehen allerdings.«

Aha. Ein kinderlieber Programmdirektor. Und ein heiratsfreudiger dazu.

»Wo haben Sie Ihren Mann gelassen?«, fragte Dr. Karl, während er sich setzte.

»Zu Hause«, sagte ich schlicht.

Der kinderliebe Programmdirektor äugte erfreut auf meiner Wenigkeit herum. Dann äugte er auf den Kindern herum.

»Warum habt ihr den Vati denn zu Hause gelassen? Hatte der keine Lust?«

»Mein Mann war verhindert«, sagte ich freundlich, aber bestimmt.

»Mama und Enno haben sich verkracht«, bemerkte Franz zwischen zwei Pommes-Stäbchen. »Weil die Mama ihn nicht heiraten will.« Er genoss sichtlich die Bombe, die er hatte platzen lassen.

»Quatsch, du Eierloch! Weil Mama heiraten Scheiße findet!«

»Aber der Enno will!«

»Aber die Mama nicht!«

Mir brach der Schweiß aus. Genau DAS wollte ich auf keinen Fall diesem verschiedenäugigen Herrn mitteilen. Der machte doch sofort einen Rückzieher, wenn er das erfuhr! Eine alleinerziehende dreifache Mutti engagiert man nun mal nicht für eine Talkshow. Man nimmt nur Vorzeigemuttis. Wenn man überhaupt eine Mutti nimmt. Wo es doch genügend Bärbels und Ilonas und Arabellas und Veras und Sonjas gibt, die überhaupt keine Muttis sind.

Ich sank auf meinen Stuhl, während ich Fanny alle Messer aus den Händen nahm. Dass man in Fünf-Sterne-Buden immer mindestens fünf Messer decken muss und sieben Gabeln und drei Löffel und drei Gläser und fünf Teller. Und das vor einem Babysitz. Als wenn das Baby sein Besteck nacheinander von außen nach innen in seinen Brei tauchen wollte.

»Wir haben im Moment eine Meinungsverschiedenheit«, murmelte ich errötend. »Es ist nicht weiter von Bedeutung.«

Die Herrschaften an den anderen Tischen tafelten dezent vor sich hin. Die Kinder der Herrschaften hockten artig in der Lok. Nur meine wieder nicht.

Fannychen haute mit den Löffeln gegen die Gläser.

Willi rülpste. Die vierte Bratwurst schien nicht gut gewesen zu sein.

Franz verlangte nach einem Malbuch.

Der Kellner schwenkte herbei und fragte den Programmdirektor, was wir zu trinken wünschten.

»Was halten Sie von einem Fendant?«, fragte Herr Dr. Karl und sah mich mit seinem braunen und seinem blauen Auge prüfend an. Überhaupt war er ein aparter Mann. Seine rötlichen Pumuckl-Haare standen alle ganz unternehmungslustig vom Kopfe ab.

»Wunderbar«, murmelte ich.

Der Kellner entkorkte geschickt eine Flasche, drehte sie mit dem Etikett zu Herrn Dr. Karl-hier und schenkte ihm ein Probierschlückchen ein.

Dr. Karl nickte anerkennend. »Dabei können wir bleiben.«

Der Kellner reichte ihm die Speisekarte und Franz ein Malbuch und mir die Serviette, die Fanny auf die Erde gefegt hatte.

Fannychen baumelte mit den Beinen und rieb sich die Augen. Jeden Moment würde sie vom Stengel fallen. Nach acht Stunden Fahrt und der Luftveränderung war das ja auch nicht erstaunlich. Sicher würde sie gleich stillschweigend im Buggy einschlafen, die Kinder würden über kurz oder lang in die Lok gehen, und ich könnte mit Herrn Dr. Karl ein nettes Abendessen haben, und nachher würden wir uns einig sein: Ich und nur ich war die Richtige für die neue Talkshow. Es würde ein leichtes sein, ihn davon zu überzeugen.

Ich hob mein Glas und prostete Herrn Dr. Karl herzlich zu.

»Auf einen produktiven Abend.«

»Mama?« Willi tippte energisch gegen meinen Oberarm.

»Ja, mein Schatz«, sagte ich, während ich Fanny das Weinglas aus der Hand nahm.

Fanny hatte bereits davon getrunken und schüttelte sich angewidert.

Willi zerrte an meinem Arm: »Mir ist schlecht.«

»Dann geh ein bisschen auf dem Parkplatz auf und ab«, sagte ich freundlich.

»Davon wird mir noch schlechter.«

»Im Moment kann ich mit dir nicht aufs Zimmer gehen«, sagte ich.

»Mir ist TOTAL schlecht«, sagte Willi. In dem Moment fing er bereits an zu würgen.

Panisch presste ich ihm eine gestärkte Leinenserviette vor den Mund. Die anderen Herrschaften tafelten gediegen vor sich hin.

»Jetzt kotzt er«, sagte Franz kalt. »Hat ja auch fünf Würstchen gegessen, der Blödmann.«

»Sie entschuldigen mich«, rief ich Dr. Karl zu, während ich mit dem sich erbrechenden Kind über die lauschige Terrasse in Richtung Parkplatz trabte. Die tafelnden Herrschaften streiften mich mit einem befremdeten Blick.

Wir erreichten den Mülleimer mit Mühe und Not. In meinen Armen das Kind … na ja. Tot war es nicht. Aber es spie beachtliche Fontänen in den Eimer. Zitternd streichelte ich ihm die schweißnasse Stirn.

»Prima machst du das«, redete ich beruhigend auf Willi ein. »Ganz prima!«

»Quatsch!«, keuchte er. »Kotzen IST nicht prima!«

»Da hast du recht«, sagte ich milde. »Waren wohl ein paar Würstchen zu viel?«

»Du SOLLST nicht Würstchen sagen!«, schrie Willi mich an, und in dem Moment packte es ihn wieder. Wir beugten uns über den Eimer. Die Grillen zirpten. Drinnen hörte man Stimmengewirr und dezente Musik. Außerdem hörte man Fanny schreien. Ich atmete tief durch. Bitte beeil dich, Kind, ging es mir durch den Kopf. Irgendwann müssen die fünf Würstchen doch wieder draußen sein! Der Programmdirektor will mir das Angebot meines Lebens machen, aber er überlegt sich das bestimmt, wenn er mitkriegt, was für Verhältnisse bei uns herrschen. Meine Güte, warum muss dir ausgerechnet jetzt schlecht werden! Und das Fannychen brüllt das ganze Restaurant zusammen. Soll der Herr Programmdirektor das breiverschmierte Kind durch den Garten tragen?! Das fängt ja gut an.

»So, jetzt ist dir besser, ja?« Ich zupfte Willi liebevoll am T-Shirt. »Jetzt können wir wieder reingehen.«

»Auf keinen Fall«, sagte Willi matt. »Mama, wenn ich jemals im Leben tot sein wollte, dann jetzt.« Er sank neben den Mülleimer auf den Asphalt und legte sich zum Sterben.

Das kleine kraftlose Kerlchen tat mir so schrecklich leid. Schon krampfte es ihn wieder zusammen. Ich wuchtete ihn über den Eimer.

Irgendwann musste doch alles raus sein! Fanny drinnen brüllte zum Gotterbarm. Niemand kam, niemand half. Alexander Karl versuchte sicherlich mit all seiner vierfachen Vatererfahrung, das verstörte Kind zu beruhigen. Aber ein Zwei-Meter-vier-Pumuckl mit roten Haaren und zwei verschiedenfarbigen Augen war für meine Fanny wahrscheinlich schlimmer als der Teufel persönlich. Und wie ich Franz kannte, würde der wortkarg vor sich hin muffeln und kein bisschen bereit sein, dem gestressten Mann Ratschläge zu geben.

Ein Ehepaar kam von seinem Abendspaziergang zurück.

»Guck mal, wer da bricht!«, sagte der Herr freundlich zu seiner Gattin.

Hahaha, dachte ich. Bist du witzig, Mann.

»Können Sie mir bitte das schreiende Baby bringen«, rief ich hinter ihnen her. Doch die Herrschaften fühlten sich nicht angesprochen.

»Willi«, sagte ich zu meinem sterbenden Sohn. »Ich lauf nur eben und hol die Fanny. Ich komme sofort wieder!«

Hastig stürzte ich ins Restaurant zurück. Herr Dr. Karl bemühte sich vergeblich, das brüllende Kind zu beruhigen. Zwei Kellner und die Dame de la maison bemühten sich ebenfalls vergeblich. Man wedelte mit Püppchen und Hasenohren. Fanny brüllte. Franz malte seelenruhig jede Menge Panzer und Hubschrauber auf die Speisekarte. Fanny wurde von Verzweiflungsschluchzern nur so geschüttelt. Vor ihr stand ein kochend heißer Kartoffelbrei. Sie schien sich an ihm versucht zu haben, denn ihr Mäulchen war verklebt von der heißen Paste. Die Gäste tafelten unbeirrt vor sich hin, und die Kellner schwebten dezent mit ihren Tellern und Weinbottichen umeinand.

»Entschuldigen Sie, ich bin sofort wieder da«, schrie ich gegen den Lärm an und wuchtete mein armes Fannychen aus dem Kindersitz. »Sie müssen mich noch einen Moment entschuldigen! Gleich hab ich alles im Griff.«

Fanny schrie. Die Leute guckten.

Mit Fanny unter dem Arm lief ich zurück zu besagter Mülltonne. Willilein hatte sich erneut auf den Parkplatz gelegt. Alle Farbe war aus seinem runden Knabengesicht gewichen. Mich beschlich Panik. Was, wenn es der Blinddarm war? Was, wenn dieses Kind ernsthaft erkrankte?

Das Ehepaar kam zurück. Man wollte noch eine weitere Abendrunde drehen. Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopfe.

»Würden Sie bitte mein Baby mitnehmen?«, fragte ich. »Wenn Sie einfach nur ein bisschen den Buggy schieben … das Kind schläft dann auch sofort ein. Es schläft immer sofort ein, wenn man es im Buggy schiebt. Ganz einfach!«

Die Herrschaften erwiesen sich als hilfsbereit. Ich stürzte ins Restaurant zurück, warf Franz einen warnenden Blick zu, holte den Buggy und setzte das sich heftig wehrende Kind mit aller Gewalt hinein. Bevor es sich herauswinden konnte, hatte ich es schon angeschnallt.

»Mama!«, schrie Willi auf seinem Sterbeplatz. »Es kommt wieder!«

Das Ehepaar trabte mit der schreienden Fanny davon. Ihr Wehklagen verhallte in der lauen Nacht. Das arme, arme Würmchen, dachte ich. Aber ich muss mich jetzt um Willi kümmern! Und den Programmdirektor kann ich ja schlecht mit dem Buggy in die Wüste schicken. Verdammter Mist, warum muss mir das ausgerechnet jetzt passieren? Enno hätte mir wieder vorgehalten, wie völlig unprofessionell ich so ein Gespräch anginge, wie unmöglich und blauäugig und naiv es von mir sei, mit drei Kindern zu einer wichtigen Verhandlung zu erscheinen, und wie sinnvoll es doch sei, in solchen Situationen verheiratet zu sein. Aber er war ja zum Glück nicht da. Jetzt ist nur Willilein wichtig, dachte ich, während ich dem armen Knaben die Stirn hielt. Willi teilte mir mit, dass er jetzt zu sterben gedächte.

Ich fragte ihn, ob er lieber im Bett sterben würde als neben der Mülltonne auf dem Parkplatz.

Wir schoben uns, von prüfenden Blicken der speisenden Gäste begleitet, blassen Gesichtes und mit zitternden Knien durch das Restaurant. Ich machte Dr. Karl Zeichen, dass ich gleich wiederkäme.

Er war inzwischen beim Hauptgang angekommen und schien mich nicht weiter zu vermissen. Er plauderte sehr angeregt mit Franz und malte ebenfalls Panzer und Hubschrauber auf die Speisekarte.

Im Zimmer angekommen, zog ich meinen armen Sohn aus und führte ihn ins Badezimmer.

»Hier riecht es so schrecklich«, wand er sich. »Da wird mir sofort wieder schlecht!«

»Dann setz dich aufs Bett«, sagte ich.

Wir sanken beide auf den Bettrand. Willi zitterte vor Schüttelfrost. Ich legte ihm meine Decke um und streichelte ihm das verschwitzte Borstenhaar. Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr: zwanzig nach neun. Wer weiß, wie lange der Programmdirektor noch da hocken wollte.

Willi gähnte. Ich legte ihn sanft auf meine Heizdecke.

»Nein, Mama! Im Liegen wird mir wieder schlecht! Und außerdem will ich nicht gebraten werden!«

»Aber ich muss mich jetzt unbedingt um den Herrn Dr. Karl kümmern«, sagte ich. »Der geht sonst wieder!«

»Der soll auch wieder gehen, Mama! Du sollst bei mir bleiben!«

»Und ich muss nach Fanny gucken. Die ist bei wildfremden Menschen auf dem Parkplatz! Pass auf, ich hol sie nur ganz rasch!« Entschlossen stand ich auf.

»MAMA! DU SOLLST BEI MIR BLEIBEN!!!«

Ich biss mir auf die Lippen. Ganz klar. Das Kind hatte Vorrang. Ich würde alles abblasen. Keine Talkshow. Dr. Karl musste sich eine andere suchen.

»Pass auf, mein kleiner tapferer Schatz. Ich gehe jetzt schnell zu Herrn Dr. Karl und sage ihm, dass ich heute keine Zeit mehr für ihn habe, und dann suche ich schnell das Fannychen und komme sofort wieder«, sagte ich. »Ist das O.K.?«

»Mama! Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen!«, jammerte Willi auf meinen Kissen. »Bitte geh nicht weg! Ich muss sonst sterben!«

»Nein, tu ich nicht«, sagte ich beruhigend. »Ist schon gut.« Ich sank auf den Bettrand und hielt Willilein die Hand.

Nein, es ging nicht. Karrieremachen ist eben nicht angesagt. Drei Kinder und kein Mann, das ist schon tollkühn genug. Aber nicht auch noch zum Fernsehen wollen. Tja, Franziska geborene Herr geschiedene Großkötter verweigerte Winkel. Das hättest du dir eher überlegen sollen. Der Programmdirektor begreift das spätestens in diesem Moment. Er wird zu Ende speisen und abreisen. Ich habe es nicht anders verdient.

Ich griff zum Telefon auf meinem Nachttisch. »Hallo, Rezeption? Hier Franka Zis, Zimmer 663.«

»Brauchen Sie wiedr einen Adaptr?«

»Nein, keinen Adapter. An meinem Tisch im Restaurant sitzen ein Mann und ein achtjähriger Junge. Der Mann soll bitte nach Hause fahren. Es wird nichts aus uns, so leid es mir tut. Der Junge soll bitte auf mein Zimmer kommen. Hallo?! Und noch was. Wenn ein Ehepaar mit einem Kind im Kinderwagen von draußen des Weges kommt, schicken Sie es bitte ebenfalls auf Zimmer 663! Ich kann hier im Moment nicht weg. Tja, das wär’s schon.«

»Ich WIEderhole«, sagte das schweizerische Fräulein an der Rezeption. »Mann soll gehen, Kind soll kommen, Ehepaar mit Kind im Kinderwagen ebenfalls kommen.«

»Genau«, sagte ich. »Kommen, aber wieder gehen.«

»Da wär noch eine Frage«, sagte das Fräulein. »Um welches Ehepaar handelt es sich?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Der Buggy ist grüngemustert, und das Baby schreit.«

Ich legte auf. Willi lag mit geschlossenen Augen auf meinem Bett.

Nichts rührte sich. Die Minuten wurden zu Stunden.

Mit größter Sorge dachte ich an Fanny. Wer weiß, was das für Leute waren, die nun mit ihr durch die Nacht schoben? Und Dr. Karl? Der musste sich doch völlig verschaukelt vorkommen! Ob ich nicht doch mal ganz schnell ins Restaurant zurücklief? Vielleicht konnte ich mich mit ihm für morgen verabreden? Die Chance meines Lebens saß fünfzig Meter von mir entfernt und war bestimmt schon beim Nachtisch angelangt! Ich wurde immer unruhiger. Gerade als ich mich davonschleichen wollte, schlug Willi leichenblass die Augen auf.

»Jetzt kommt’s wieder.«

»Na, dann wollen wir mal!« Wir erreichten gerade noch das Bad.

Junge, dachte ich. Warum musst du mir das ausgerechnet heute antun? Ausgerechnet heute! Was habe ich dir getan, dass du dich so grausam rächst?

Das Telefon schellte. Ich lehnte Willi an die Wand und ging dran.

»Hallo!«

»Ja, gruezi, Frau Zis, hier wär die REzeption, und ich hätt da noch ein PROblem …«

»Mama!!!«

»Ja, sagen Sie’s, schnell!«

»Der Junge sagt, er mag nicht kommen, der Herr sagt, er mag nicht gehen, und ein Ehepaar mit Kinderwagen sehe ich weder kommen noch gehen.«

»Danke!« Ich stürzte ins Bad zurück. Mein Sohn war nur noch die Hälfte seiner selbst. Wie KONNTE ich mich mit Karrieregedanken tragen, während mein Sohn starb! Ich schämte mich bis in die Knochen.

Um zwanzig nach zehn lag Willi bewegungslos mit geschlossenen Augen in meinem Bett. Ich hatte die Heizdecke rausgezerrt, damit das Kind in seinem Schüttelfrost nicht gebraten wurde. Inzwischen war es dunkel im Zimmer. Kein Klopfen, kein Alexander Karl, kein Franz und erst recht kein Ehepaar mit Kinderwagen. Nebenan hörte ich die Stimmen der Schweizer Familie. Ihre Terrassentür war offen. Was sie redeten, konnte ich nicht verstehen.

Nun hatte ich endlich Zeit zum Nachdenken.

Heute Morgen war die Welt noch in Ordnung gewesen. Ein unglaubliches Hochgefühl hatte sich eingestellt, als ich mit dem vollgepackten Kombi über die morgendlich sonnenbeschienene Autobahn gebraust war.

Ich schaffte es, ganz allein! Niemand würde mehr sein Veto einlegen, wenn ich Auto fuhr, und niemand bestand darauf, dass ich auf der Stelle wendete, nur weil ich mich ein bisschen verfahren hatte, niemand würde mich mehr anherrschen, dass jemand so Orientierungsloses wie ich nur mit einem Navigationssystem durchs Leben käme. Ich hatte es gefunden! Ganz allein gefunden. Das wäre doch gelacht, hatte ich mir immer wieder vorgesagt. Das wäre doch gelacht, wenn ich nicht in der Lage wäre, mit drei kleinen Kindern allein in die Schweiz zu fahren. Dass Enno sich aber auch immer für so unentbehrlich hielt. Und heiraten musste man wegen solcherlei Kleinigkeiten schon lange nicht.

Ich lief nervös im Zimmer auf und ab. Ob ich jetzt mal kurz wagen konnte, mein Willilein seinem Schicksal zu überlassen?

Als ich ganz sicher war, dass Willi schlief, stahl ich mich davon. Ich rannte im Eilschritt über den langen dunklen Flur, bis ich im Speisesaal angekommen war.

Alexander Karl und Franz waren sich inzwischen ein wenig nähergekommen. Eine zweite Flasche Wein lehnte wohlig im Bottich. Franz trank ganz gegen unsere Abmachungen Cola. Wahrscheinlich hatte er Herrn Dr. Karl gesagt, das sei sein übliches Einschlafgetränk.

Dr. Karl schaute auf die Uhr und lächelte nett. »Na, hat er’s endlich geschafft?« Es war kurz nach elf.

»Es tut mir unendlich leid, dass Sie warten mussten«, sagte ich erschöpft.

»Oh, wir zwei haben uns blendend unterhalten, nicht wahr?«, sagte Dr. Karl.

Franz nickte, während er weiter Panzer malte.

»Und worüber, wenn ich fragen darf?« Ich warf Franz einen warnenden Blick zu.

»Oh, was Männer eben so reden«, sagte Dr. Karl. »Nichts Weltbewegendes.«

Dieser Mann hatte Stil und Klasse, das war klar.

»Über Enno und dass ihr dauernd Zoff habt und dass Enno dich immer heiraten will«, maulte Franz in sein Malbuch hinein.

Ich sandte ihm einen meiner Dolchblicke. Herrn Dr. Karl schenkte ich eines meiner bezauberndsten Lächeln. Er zog die Augenbraue über seinem blauen Auge hoch. Auf seiner Wange erschien ein winziges Grübchen.

»Is doch wahr«, verteidigte sich Franz. »Du willst im Fernsehen ‘ne Talkshow machen, und Enno will das bestimmt nicht erlauben, und deshalb machst du’s heimlich, aber Enno sieht es ja doch. Und dann schreit er wieder rum und will, dass du ihn heiratest. Alles überflüssig!«

Na, wunderbar, Kind, dachte ich. Das hast du mir ja schon im Keime versaut. Ende. Einpacken. Null Karriere. Frauen gehören an den Herd.

»Wir … haben im Moment eine leichte Krise«, stammelte ich.

»Das kommt in den besten Familien vor«, sagte Dr. Karl verbindlich lächelnd. »Mir ergeht es zurzeit ebenso.«

Ich sah mich suchend im Speisesaal um.

»Wo ist Fanny?«

»Woher soll ich das wissen?«, fragte Franz. »Hier ist sie jedenfalls nicht.«

»Aber sie ist schon seit Stunden weg!«, rief ich ängstlich aus.

»Ich habe allerdings gedacht, Sie hätten das Baby längst mit aufs Zimmer genommen«, sagte Dr. Karl und zog nun auch noch die Augenbraue über dem braunen Auge hoch. Sein Grübchen verschwand.

Ich sprang auf wie von der Tarantel gestochen und rannte zur Rezeption. Die dralle Maid im Dirndl, mit der ich schon so oft telefoniert hatte, saß freundlich da und blickte mich erwartungsvoll an.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Wo ist das Ehepaar mit dem grüngemusterten Kinderwagen?«

»Nühht g’sähe …!«

»Kennen Sie das Ehepaar? Ich meine, wie heißt es?«

»Nühht känne!! Wälche Zimmrnummr?«

»Weiß ich doch nicht, welche Zimmernummer die haben! Ich kenne die doch gar nicht!«

»HOTTällbesitzr anrufe, frage und Bschaid gäbe …!«

»Ja, aber dringlich!! Die haben mein Kind!!«

»Ja, haben sie es ENTführt?«

»Nein! Ich habe es ihnen AUFS AUGE GEDRÜCKT!! Aber das war vor Stunden! Jetzt wäre es angebracht, sie schauten mal wieder vorbei!«

»POLLizei mällde?«

»Fragen Sie bei der Hotelleitung nach, wer dieses Ehepaar ist! Bitte! Ich warte im Restaurant!«

Hastig rannte ich zurück. Nicht dass der Karl-hier jetzt ging.

Ich sank kraftlos auf den Stuhl, der seit Stunden meiner harrte.

»Sie müssen jetzt das Allerschlimmste über mich denken.«

»O nein«, sagte Dr. Karl. »Ich denke, dass der Titel Ihres Buches ›Die perfekte Frau‹ hervorragend zu Ihnen passt.« Er grinste genüsslich. »Sie haben Ihre Beziehung und Ihre Kinder fest im Griff, und das bisschen Karriere machen Sie doch noch mit links. Sie stehen halt mitten im Leben, deswegen werden Sie auch glaubhaft die Talkshow moderieren. Über Probleme des Alltags. Genau davon scheinen Sie was zu verstehen.«

»Das heißt, Sie wollen mich immer noch?«

»Natürlich. Oder meinen Sie, so eine leichte Magenverstimmung würde einen Programmdirektor umstimmen?«

»Hä! Magenverstimmung! Er hat geKOTZT wie ein Reiher!«, sagte Franz wichtig. Ich hätte ihm sein Malbuch aufs Gesicht drücken können.

»Wenn Sie ein bisschen zu Kräften gekommen sind, können wir vielleicht ein wenig über unser gemeinsames Vorhaben reden?«, fragte Dr. Karl und schenkte mir ein Glas Wein ein.

»Ich kann nicht«, sagte ich. »Willi liegt allein im Zimmer, Fanny ist mit fremden Leuten unterwegs, und ich muss Sie bitten, mich für heute zu entschuldigen. Wir müssen uns bitte ein andermal treffen.«

Mein Herz blutete Rotz und Wasser. Wenn er jetzt nein sagte, war meine einzige Chance für immer vertan. »Hören sie, Gnädigste, für was halten Sie sich eigentlich? Tausende von Moderatoren lecken sich alle zehn Finger nach einer solchen Chance, und Sie lassen mich hier einfach sitzen, nur weil Ihr Kleiner ein paar Würstchen kötzelt?« würde er gleich schnauben, die Serviette auf den Tisch knallen und mit fliegenden Rockschößen das Weite suchen.

Aber Herr Dr. Karl war nicht beleidigt.

»Ich muss leider morgen früh mit der Zehn-Uhr-Maschine ab Mailand fliegen«, sagte er bedauernd. »Um vierzehn Uhr ist in Berlin die Programmkonferenz. Da müsste ich allerdings Definitives in Händen haben. Sie können sich denken, dass nicht Ihr Name allein zur Disposition steht.«

Nein, klar. Was bilde ich dumme Pute mir ein. Ich senkte beschämt den Blick.

Der Kellner schwebte herbei und fragte, ob ich noch eine Vorspeise auszuwählen gedächte. Ich verneinte appetitlos. Ob er denn noch eine Flasche von dem Wein bringen dürfe. Herr Dr. Karl sah mich fragend an.

Ich dachte an Willi. Nein. Nicht für Millionen Einschaltquoten wollte ich das Kind seinem Schicksal überlassen. Vielleicht musste es sich längst wieder übergeben, und ich saß hier und trank mit einem Programmdirektor Wein. Andererseits: Wenn ich jetzt ging, dann würde der Programmchef die Geduld verlieren. Der harrte seit drei Stunden meiner. Vielleicht schlief Willi tief und fest, und ich war einfach nur hysterisch?

»Franz«, sagte ich. »Lauf bitte ins Zimmer und sieh nach, ob Willi schläft.«