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ANDREAS KIELING

Durch
Deutschland
wandern

AUF DER SUCHE

NACH DEN
WILDEN TIEREN
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Für Luke und seine Zukunft

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Sumpflandschaften haben mich schon immer magisch angezogen. Oft wirken sie noch so, als würde man sie als erster Mensch betreten. Und immer sind sie voller Leben.

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Vorwort

von Markus Lanz

Gewaltige Gipfel und giftige Zähne

Berchtesgadener Land

Mein Leben mit den Wildschweinen

Mit der Rotte auf Du und Du

Im wilden Westen

Eifel und Pfalz

Ein deutscher Wandersommer

Von Bayern bis zur Ostsee

Mein Besuch bei den Wildpferden

Dülmen in Westfalen

Land des Wassers und der Weite

Brandenburg

Tür an Tür mit Fuchs und Waschbär

Wildtiere in der Stadt

Seeadler: fotogen, aber kamerascheu

Mecklenburg

Kolosse mit Kulleraugen

Helgoland und Wattenmeer

Das Wisent und der Elch

Rothaargebirge und Ostdeutschland

Scheue Jäger: Luchs und Wildkatze

Eifel und Harz

Meine magischen Orte

Ruhe und Inspiration in der Natur

Kleiner Wildnis-Knigge

Impressum

Vorwort

Wer die kraftvollen Bilder sieht, die er von seinen Reisen mitbringt, Reisen in die entlegensten Winkel der Erde, hart, entbehrungsreich und oft an der Grenze dessen, was ein Mensch zu ertragen imstande ist, erst im Flugzeug, weiter auf staubigen Pisten und am Ende fast immer zu Fuß, so lange, bis sich sein Hund die Pfoten blutig gelaufen hat und er mit ausgemergeltem Gesicht und leerem Blick irgendwo ins Zelt kriecht, der fragt sich unwillkürlich: warum? Warum tut er sich das an?

Die Antwort darauf fällt schwer. Vielleicht, weil es nicht nur eine gibt? Mag sein. Ich habe allerdings einen anderen Verdacht, der sich im Laufe der Jahre, die ich Andreas Kieling nun kenne, erhärtet hat: Die Antwort auf das Warum – es gibt sie gar nicht. Es gibt nämlich keinen vernünftigen Grund, wochenlang in der eisigen Kälte der kanadischen Hudson Bay auszuharren. Wer Glück hat, dem erfrieren bei minus 40 Grad nur die Fingerkuppen. Andere – wie Andreas – müssen sich hinterher künstliche Linsen einsetzen lassen, weil Kälte, Wind und gleißend helles Licht ihre Augen ruiniert haben. Und es gibt erst recht keinen vernünftigen Grund, in die dunklen Flüsse im wilden Norden Australiens zu steigen, um mit aggressiven Salzwasserkrokodilen zu tauchen, die allen anderen Wesen haushoch überlegen sind, weil sie jede noch so kleine Vibration im Wasser über Hunderte Meter hinweg spüren und selbst in der schlammigsten Brühe noch alles sehen können. Die Evolution hat ihnen nämlich drei Augenlider geschenkt. Pro Auge. Ich erinnere mich gut an die Antwort, die mir Andreas gab, als ich ihn fragte, was ihn denn so sicher mache, dass ihn die Krokodile unter Wasser in Ruhe lassen würden: »Die denken so langsam, dass sie ein paar Tage brauchen, bis sie begriffen haben, dass ich kein Krokodil bin.« Was aber, wenn er mal an ein Exemplar gerät, das nicht in Zeitlupe denkt?

Nein, für all das gibt es keinen vernünftigen Grund. Aber natürlich gibt es einen. Andreas Kieling traut sich, was selten geworden ist in unserer rationalen Welt, in der alles immer einen Sinn haben muss: Er folgt seinem Herzen und seinem Instinkt. Und lehrt uns durch seine Reisen, dass auch wir als Menschen des 21. Jahrhunderts, die mithilfe modernster Technik jeden noch so verborgenen Winkel der Erde finden, immer noch Entdecker sein können. »Es geht«, wie der französische Schriftsteller Marcel Proust schrieb, »nicht darum, neue Landstriche zu finden. Es geht darum, sie mit anderen Augen zu sehen.«

Markus Lanz

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Gewaltige Gipfel und giftige Zähne

Berchtesgadener Land

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Nach der Schneeschmelze regt sich in der Mai-Sonne neues Leben.

Idylle zum Genießen – aber lieber ohne Giftcocktail

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Die Alpen sind eine der schönsten Gegenden Deutschlands und können jedem Vergleich mit berühmten Bergmassiven wie den Rocky Mountains oder dem Himalaja standhalten – mit einem großen Vorteil: Sie liegen vor unserer Haustür; keine lange Anreise, kein Jetlag. Für mich besteht ihre Faszination in den grandiosen Blicken über eine atemberaubende Landschaft, in der Vielfalt seltener oder seltsamer Tierarten – vom winzigen, pechschwarzen Alpensalamander über die putzigen, pelzigen Murmeltiere bis hin zum majestätischen Alpensteinbock – und in den vielen kleinen, nah beieinanderliegenden Vegetationszonen und Lebensräumen, die man an einem einzigen Tag durchlaufen kann. In den Tälern wandert man durch üppige Wälder mit Ahorn, Buchen, Moosen und Flechten, wie ich sie sonst nur aus Kanada oder Neuseeland kenne. Wenige Hundert Höhenmeter darüber ist diese Urwaldpracht verschwunden, und es wachsen fast nur noch Fichten und Lärchen; wieder ein Stück höher beherrschen Latschenkiefern das Bild, dann Geröll und nackter, schroffer Fels. Dazu die saftigen Almwiesen, die urigen, verwitterten Holzhütten, das behäbige Braunvieh mit dem melodischen Geläut der Kuhglocken, smaragdgrüne und kobaltblaue Seen, die Farbenpracht der Alpenblumen, die klare, würzige Luft – es ist eine Bilderbuchidylle. Natürlich ist mir klar, dass sich hinter diesem romantischen Bild der harte und oftmals karge Alltag der Bergbauern und Senner verbirgt, dass die Moderne auch hier längst Einzug gehalten hat und der Tourismus seinen Preis fordert.

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Nicht Neuseeland, nicht die Rocky Mountains – sondern der Obersee in der Nähe des Königsees. Seine Wassertemperatur steigt nie über 15 Grad.

Das interessanteste Tier der Alpen ist für mich der Steinbock. Jahrhundertelang galt er als »lebende Apotheke«. Sein Gehörn, die Hufe, das Blut, die Exkremente, fast jedes Teil dieses Tiers wurde zerrieben, gekocht, gesiedet oder sonst wie aufbereitet und als Heilmittel gegen Rheuma, Gicht und andere Leiden verabreicht. Am wertvollsten war der Ballen aus Haaren, Pflanzenfasern und Harz, der sich bei manchen Steinböcken im Magen bildet. Diesem sogenannten Bezoarstein wurden magische Kräfte zugesprochen, und er wurde daher im wahrsten Sinn des Wortes mit Gold aufgewogen – was dazu führte, dass die Steinböcke bis an den Rand der Ausrottung gejagt wurden. Dass es sie heute überhaupt noch gibt, ist zwei frühen Tierschützern zu verdanken, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts dafür einsetzten, die Letzten dieser Art, die in dem unwegsamen und schwer zugänglichen Bergmassiv Gran Paradiso in Italien Zuflucht gefunden hatten, unter Schutz zu stellen. Von dort fanden die Steinböcke dank mehrerer Wiederansiedlungsprogramme schließlich auch wieder ihren Weg in die deutschen Alpen.

Überraschend ist, dass diese Tiere trotz der jahrhundertelangen Bejagung keine große Scheu vor Menschen haben und sie recht nah an sich heranlassen. Vermutlich vertrauen sie auf ihre Kletterkünste, die es ihnen erlauben, in Sekundenschnelle in steile, schroffe Felswände zu entschwinden und sich so außer Gefahr zu bringen. Das schützt sie natürlich nicht vor Gewehrkugeln, aber es scheint, als wüssten Steinböcke, dass sie in Deutschland heute nicht mehr gejagt werden dürfen. Die Gelassenheit dieser Tiere gegenüber dem Menschen ist wirklich erstaunlich. Steinwild fasziniert mich genau deswegen: weil man sehr nah an diese gewaltigen Tiere herankommt – und dies in einer grandiosen Hochgebirgslandschaft, die einen schon an sich in ein Hochgefühl versetzt. Ich habe die Begegnungen mit ihnen als ein großes Geschenk erlebt, denn die meisten Wildtiere kann man nur aus einem Versteck heraus beobachten oder wenn man sich ihnen gegen den Wind nähert. Und kaum nehmen sie einen wahr, sind sie auch schon verschwunden. Steinböcke hingegen bleiben ebenso wie Gämsen völlig entspannt.

Nichtsdestotrotz braucht es Glück, Steinwild zu entdecken, denn es gibt nur fünf Populationen in Deutschland – eine davon im Hagengebirge bei Berchtesgaden, wo ich unterwegs war – und es ist nach wie vor nicht sehr zahlreich. Außerdem leben die Tiere in etwa 1800 bis 3000 Meter Höhe und bilden sehr kleine Rudel, sind also schwer ausfindig zu machen. So war das Beschwerliche in diesem Fall nicht, sich anzuschleichen, um gute Aufnahmen zu bekommen, sondern die Tiere überhaupt zu finden.

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Im Nationalpark Berchtesgadener Land sind die Steinböcke recht vertraut mit den Menschen – man muss sie nur finden. Lange galt der Steinbock als »wandelnde Apotheke«, seine Körperteile waren in der Heilkunde begehrt.

Cleo versuchte während unserer Suche ein ums andere Mal, Gämsen hinterherzuklettern, und musste jedes Mal enttäuscht den Rückzug antreten, während ich nur hoffen konnte, dass sie heil wieder aus der Steilwand herauskam. Bei der Hatz auf andere Tiere gibt Cleo auf, sobald sie erkennt, dass sie keine Chance hat. Nicht so bei Gämsen. Generell scheinen Hunde dem Duft von Boviden (Hornträgern) nicht widerstehen zu können. Außerdem flüchteten die Gämsen immer nur 20 bis 30 Meter weit, blieben dann stehen, guckten, ob der Hund nachkam – und erst im Fall des Falles kletterten sie ein paar Meter höher. Und immer ließ Cleo sich davon verleiten, ihnen nachzusteigen.

Ich wusste, dass im Hochgebirge Kreuzottern leben. Sie vertragen von allen Schlangen Kälte am besten und können sogar noch in den subarktischen Regionen nördlich des Polarkreises existieren. Dennoch war ich überrascht, als wir eines Morgens auf etwa 1600 Meter Höhe ein Exemplar dieser hübsch gemusterten Vipern entdeckten. Das mit etwa 80 Zentimeter Länge für seine Art recht große Tier lag noch steif von der Kälte der Nacht in den ersten Sonnenstrahlen, um sich aufzuwärmen. Ich ließ Cleo sich in ausreichendem Abstand ablegen und bereitete meine Kamera vor, um die Giftschlange zu fotografieren. Dummerweise reichten der Kreuzotter diese wenigen Minuten, um ihren Kreislauf einigermaßen auf Trab zu bringen, und in dem Moment, in dem ich mich zu ihr hinbeugte, um sie formatfüllend ins Bild zu bekommen, schoss sie nach vorn und biss mir in den rechten Mittelfinger. Kreuzottern sind, wie eigentlich alle Schlangen, nicht sehr angriffslustig und ergreifen lieber die Flucht, als zu kämpfen, aber ich war ihr in ihrem halb dämmerigen Zustand einfach zu nah auf den Pelz gerückt – ein Fehler, der einem erfahrenen Tierfilmer nicht passieren sollte.

Im Allgemeinen ist der Biss einer Kreuzotter für Menschen nicht tödlich. Ihr Gift (eine Mischung aus Blut- und Nervengift) ist zwar sehr toxisch, aber sie produziert nur relativ geringe Mengen davon, sodass es normalerweise nur für Kinder, alte Menschen oder Allergiker eine Gefahr darstellt – oder für Menschen wie mich. Denn seit dem Biss einer hochgiftigen Seeschlange in Indonesien sind meine Nieren geschädigt, und mein Körper reagiert stark auf Gifte. Sofort schnitt ich die Wunde auf und drückte und saugte das bitter schmeckende Gift heraus. Nicht die beste Methode, da man so einen Teil des Giftes durch die Mundschleimhäute aufnimmt. Besser wäre es, die Wunde mit einer Vakuumpumpe auszusaugen (aber wer hat schon bei einer Bergwanderung ein solches Ding im Gepäck?) oder das Gift nur herauszudrücken, was aber längst nicht so effektiv ist.

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Bei Gefahr lassen Gämsen einen Warnpfiff ertönen, der denen von Murmeltieren stark ähnelt.

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Nach dem Kreuzotterbiss schwellen Hand, Arm und Lymphknoten schnell an. Fürsorgliche Belagerung: In der Notaufnahme des Berchtesgadener Krankenhauses stabilisiert sich mein Zustand bald wieder.

Der Biss war extrem schmerzhaft; offenbar hatte die Schlange seit Längerem keine Maus mehr erwischt und mir daher die volle Dosis ihres Giftvorrats injiziert. Trotzdem dachte ich zunächst, na, wird schon nicht so schlimm sein. Doch bald schwoll erst der Finger, dann die ganze Hand an. Mir wurde klar, dass ich so schnell wie möglich zu der Berghütte zurückmusste, von der aus ich aufgebrochen war. Einen anderen Weg gab es nicht, und einfach bergab zu marschieren war mir zu gefährlich. Wer weiß, wo ich da landen würde? Um zu der Hütte zu gelangen, musste ich aber über einen Grat, und das hieß, erst einmal auf 1800 Meter aufsteigen und dann auf der anderen Seite bergab.

Ich spürte, wie sich das Gift immer weiter in meinem Körper ausbreitete – nicht zuletzt, weil ich eigentlich alles falsch machte, was man nach einem Schlangenbiss nur falsch machen kann: Man sollte sich wenig bewegen, wenn möglich ganz still liegen, eine Kompresse anlegen und natürlich schnellstens ein Krankenhaus aufsuchen. Letzteres hatte ich ja vor, aber dazu musste ich erst einmal von diesem Berg runter – und zuerst eben den Berg hoch. Bepackt mit Rucksack, Fotoapparat, Filmkamera und Stativ, also etlichen Kilogramm Gepäck, schleppte ich mich bergauf. Mein ganzer Arm schwoll nun an, ich bekam wahnsinnige Schmerzen in den Lymphdrüsen der rechten Achselhöhle, und mein Kreislauf sackte ab. Dazu kam das Wissen, Gift im Körper zu haben, und die Angst, weit weg von jeglicher Hilfe zu kollabieren. Ich war am Limit. Zwar hatte ich ein Mobiltelefon dabei, wollte aber keine Mimose sein und die Bergwacht alarmieren. Das war völlig idiotisch, denn der Giftcocktail der Kreuzotter hätte mich das Leben kosten können.

Endlich hatte ich den Grat erreicht. Auf der anderen Seite konnte ich eine Schutthalde »runtersurfen« und erreichte bald die Berghütte. Der Hüttenwirt erschrak fürchterlich, als er mich sah, denn mittlerweile sah mein Arm aus wie eine überdimensionierte Bockwurst, und sogar mein Gesicht war angeschwollen. Als ich ihm erzählte, dass ich von einer Kreuzotter gebissen worden war, packte er mich schnurstracks in seinen Jeep und fuhr mich ins Krankenhaus von Berchtesgaden. Dort hatte man kein Antiserum – wäre ja auch zu schön gewesen. Man erkundigte sich bei einem Giftschlangenspezialisten in München, der meinte, für die Gabe eines Antiserums sei ohnehin zu viel Zeit vergangen. Er riet, mich zu bandagieren und ruhigzustellen. Ich bekam etliche Spritzen: kreislaufstabilisierende, schmerzstillende, entzündungshemmende und blutgerinnungsfördernde.

Die Oberärztin war total verblüfft, als sie mich sah, und erzählte mir, sie habe mich erst vor zwei Tagen im Fernsehen gesehen und sich an dem Abend noch mit ihrer Tochter über den Wahnsinnigen unterhalten, der vor laufender Kamera eine Schwarze Mamba fängt – und nun lag ich hier, wegen eines Schlangenbisses. Sie fand das sehr komisch. Da es mir mittlerweile deutlich besser ging, konnte auch ich darüber lachen.

Man wollte mich drei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, um zu sehen, ob das Gift noch andere Folgen zeitigte. Da Cleo und ich aber noch viel vorhatten, verabschiedeten wir uns am nächsten Morgen auf eigene Verantwortung. Neben den Entlassungspapieren hielt mir die Oberärztin eines meiner Bücher unter die Nase, das sie sich am Tag davor schnell gekauft hatte, und bat mich um eine einschlägige Widmung. »Die Geschichte glaubt mir sonst keiner«, meinte sie.

Ich fing gleich wieder an, in den Bergen zu fotografieren und zu filmen, obwohl der Arm in den nächsten drei, vier Tagen schon bei der kleinsten Anstrengung wieder anschwoll. Außerdem hatte ich für etwa drei Wochen eine Art Phantomschmerz, ein sehr unangenehmes Kribbeln, ähnlich dem, als wäre der Arm eingeschlafen, nur weit stärker. Dicke Hand, dicker Arm, begleitet von heftigem Kribbeln – nicht gerade optimal für einen Tierfilmer.

Cleo übrigens blieb in all der Zeit gelassen. Selbst als ich mich direkt nach dem Biss über den Bergkamm kämpfte, trottete sie entspannt neben mir her. Sie spürte zwar, dass mit mir etwas nicht stimmte, war aber nicht beunruhigt. Wäre Blut geflossen oder wäre ich fiebrig gewesen, hätte sie vermutlich anders reagiert. Aber so war es für sie weit interessanter, wenn sich Gämsen oder Murmeltiere zeigten, denen sie nachsteigen konnte. Ich musste manchmal daran denken, dass ihre Hunderasse eine der ältesten überhaupt ist und dass viele Jagdhundrassen später aus dem Hannoverschen Schweißhund herausgezüchtet worden sind – unter anderem der Bayerische Gebirgsschweißhund, der leichter und in den Bergen beweglicher ist. Im Berchtesgadener Land benahm sich Cleo oft so, als wollte sie ihren Verwandten unbedingt nacheifern. image

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Murmeltiere verbringen die Wintermonate ruhend in ihrem Bau. Ihr Fett enthält viel natürliches Kortison und wird in der Naturheilkunde noch heute bei Entzündungen und Hautleiden eingesetzt.

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Mein Leben mit den Wildschweinen

Mit der Rotte auf Du und Du

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Als Gruppentiere können Wildschweine sogar in freier Wildbahn Menschen gegenüber eine gewisse Vertrautheit entwickeln.

Sanfte Schwarzkittel – zumindest meistens

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Mein erstes Wildschwein erlegte ich als junger Förster in der Eifel, einen Keiler mit dicker Winterschwarte. Als ich ihn an den Wildgalgen hängte, um das Fleisch reifen zu lassen, lief das ganze Dorf zusammen und staunte. Seither hat sich viel verändert. Aus der vor 30 Jahren eher seltenen Wildart ist in Teilen Deutschlands ein Problem geworden. Früher vermehrten sich Wildschweine stark in den Jahren, in denen es viele Bucheckern und Eicheln gab. Heute sorgt der intensive Getreideanbau dafür, dass die Bachen selbst dann oft zwei Würfe im Jahr haben, wenn das Angebot an Waldfrüchten eher mager ist. Dazu kommt, dass unsere Winter milder als früher und zur Wurfzeit im März meist schon vorüber sind, sodass mehr Jungtiere überleben.

Mit der Zeit lernte ich das Sozialleben und die Verhaltensweisen dieser Tiere immer besser kennen. Wildschweine leben in sozial organisierten Gruppen. Innerhalb einer Rotte sind alle Tiere miteinander verwandt, und eine Bache ist immer das Alphatier. Außerdem werden männliche Tiere nur zur Paarung in der Rotte geduldet. Junge Keiler verlassen ihre Familie spätestens, wenn sie geschlechtsreif werden – ein wichtiges Regulativ der Natur zur Auffrischung des Genpools. Sie streifen dann über mehrere Monate allein durch die Lande und legen zum Teil weite Strecken zurück. Nur zur Paarung schließen sie sich für einige Zeit wieder einer Rotte an.

Meine Rotte

In meiner Anfangszeit als Tierfilmer wollte ich mehr über Wildschweine erfahren und beschloss, mich einer Rotte anzuschließen. Man kann natürlich nicht einfach zu Wildtieren marschieren und sagen: Hallo, hier bin ich. Bald aber fand ich eine Rotte, deren Leitbache recht vertraut mit Menschen schien. Vermutlich hatte ein Jäger oder ein Bauer sie als verlassenen Frischling im Wald gefunden und mit der Flasche großgezogen, bevor er sie wieder in die Freiheit entließ. Das kommt gar nicht so selten vor. Dazu kam, dass in dem Privatforst, in dem diese Leitbache mit ihrer Rotte lebte, nur selten gejagt wurde, sodass die Tiere ohnehin weniger zurückhaltend und auch sehr tagaktiv waren. Der Waldbesitzer richtete mir für mein Vorhaben eine etwa fünf Quadratkilometer große Ruhezone in seinem Wald ein, in der überhaupt nicht gejagt werden durfte. Optimale Voraussetzungen. Dennoch brauchte es einige Zeit, damit die Tiere sich an mich gewöhnen konnten.

Mehrmals die Woche fuhr ich zur selben Tageszeit in ihr Gebiet, trug immer dieselbe Kleidung und sprach stets in derselben Stimmlage, wenn ich mich den Tieren näherte. Jedes Mal hatte ich ein paar Leckerbissen dabei: Maiskörner, Kastanien, Eicheln, Äpfel, getrocknetes Brot oder Kartoffeln – das war ganz wichtig. Es dauerte etwa vier Monate, dann liefen die Wildschweine mir schon entgegen, sobald sie meinen VW Käfer mit seinem charakteristischen Geräusch hörten. Sie wussten: Jetzt gibt es was zu futtern. Die gesamte Rotte begegnete mir nun sehr entspannt, und einige Zeit später konnte ich sie im Wald begleiten.

Wildschweine haben eine simple, aber effiziente und ihren Lebensbedingungen angepasste Sprache aus unterschiedlichsten Lauten wie Grummeln, Quieken oder Schnauben mit zahlreichen Variationen in Abfolge und Tonlage. Im Laufe der Zeit lernte ich diese Sprache so gut, dass ich schließlich mit der Rotte kommunizieren konnte. Ein kurzes, tiefes Grollen zum Beispiel kann Aggression oder ein gewisses Unbehagen bedeuten, und eine bestimmte Art zu schnauben ist ein Signal für höchste Gefahr. Was mir besonders auffiel: Egal, wer das Gefahrensignal gab, und wenn es der kleinste Frischling war – ausnahmslos alle suchten dann sofort Deckung, versteckten sich in Büschen, in einer Fichtendeckung oder einem Buchengehölz. Hauptsache erst mal weg. Dazu muss man wissen, dass die Mitglieder einer Rotte einander an ihrer »Stimme« erkennen, so wie Menschen auch. Nach einer gewissen Zeit schlug die Leitbache – immer noch unter Deckung – einen großen Bogen und prüfte mit ihrer feinen Nase, ob sie ebenfalls eine gefährliche Witterung wahrnahm. Falls ja, bestätigte sie das mit einem Schnauben.

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Ältere Bachen können bis zu zehn Frischlinge gebären. Mehr als die Hälfte erreicht das erste Lebensjahr nicht.

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Treffen in der Paarungszeit zwei gleich starke Keiler aufeinander, kommt es zu heftigen Kämpfen. Mit ihren messerscharfen Zähnen versuchen sich die Rivalen gegenseitig aufzuschlitzen. Alte Keiler sind deshalb oft mit Narben übersät.