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[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Print: ISBN 978-3-7910-4711-9 Bestell-Nr. 10383-0001
ePub: ISBN 978-3-7910-4712-6 Bestell-Nr. 10383-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-4713-3 Bestell-Nr. 10383-0150

Thomas Schulte

Coaching – das Einsteigerbuch

1. Auflage, September 2020

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[7]Einleitung

Coaching ist eine faszinierende Fähigkeit. Wer sie beherrscht, ist in der Lage, Menschen bei herausfordernden Aufgaben zu begleiten. Davon gibt es heutzutage reichlich: das Antreten einer neuen Stelle mit einem größeren Verantwortungsbereich, das Lösen eines nervenaufreibenden Konflikts, das Treffen einer wegweisenden Entscheidung oder auch herauszufinden, was man wirklich mit seinem Leben anfangen will. Die Fähigkeit, Menschen dabei zu begleiten, ist Gold wert, da in unserer komplexen und volatilen Zeit sich jeder jederzeit in solchen Situationen wiederfinden kann, auch wenn er oder sie sich das gar nicht selbst so ausgesucht hat. Kaum ein Mensch, sei er Berater, Trainer, Führungskraft, Vater, Mutter oder ein guter Freund, kann auf Coaching verzichten, weder als Coachingnehmer noch als -geber. Ich liebe Coaching und kann mir kaum etwas Schöneres und Erfüllenderes vorstellen, als Mitmenschen in Zeiten zu unterstützen, wo sie Besonderes leisten möchten oder müssen.

Nun, lieber Leser, werden Sie vielleicht sagen, dass Sie das ja bereits tun. Sicherlich haben Sie schon sehr oft anderen Menschen geholfen, sowohl privat als auch beruflich. Womöglich tun Sie das aber nicht durch Coaching, denn es gibt auch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten. Der Trainer vermittelt Wissen und Know-how zu einem bestimmten Fachgebiet. Der Berater analysiert Probleme und stellt Lösungen zur Verfügung. Die Führungskraft gibt Anweisungen. Der Freund hilft in der Not. Alles wunderbare Fähigkeiten, die sich jedoch in wichtigen Aspekten von Coaching unterscheiden. Deshalb ist es gut zu wissen, was Coaching ist, und was nicht, beziehungsweise was dieses Buch als Coaching bezeichnet.

Coaching im Sinne dieses Buches ist eine Begleitung bei Herausforderung. In beiden Wörtern steckt Dynamit: Begleitung und Herausforderung. Aus beiden ergeben sich ganz fundamentale Anforderungen an das Coaching. Schon die Herausforderung birgt so einiges an Zündstoff. Denn was für den einen eine Herausforderung ist, ist für den anderen ein Kinderspiel. Beispielsweise ist eine Konfliktlösung oder eine Entscheidung bezüglich einer neuen Führungsposition für den einen schon fast trivial, während sie einem anderen schlaflose Nächte bereiten kann. Die zu bewältigende Aufgabe als solche sagt nichts darüber aus, ob sie für das betroffene Individuum eine Herausforderung ist. Und nicht nur das. Selbst wenn die Aufgabe tatsächlich für mehrere Menschen eine Herausforderung wäre, sind die Menschen so unterschiedlich, dass die Aufgabe ein höchst individuelles Vorgehen erfordert. Die Schritte, die erforderlich sind, ein und dieselbe Herausforderung zu bewältigen, sind von Mensch zu Mensch völlig verschieden. Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte oder einfache Handlungsanweisungen, das macht die Aufgabe ja gerade zur Herausforderung. Wenn es ein Buch gäbe, in dem die Lösung [8]beschrieben wäre, etwa wie ein Kochrezept, wäre das alles ja kein Problem. Herausforderung heißt, dass ein Coaching individuell einzigartig sein muss und dass etwas für den Menschen höchstpersönlich Neues gefunden werden muss, mit anderen Worten, Kreativität bei der Lösungsfindung gefragt sein wird.

Auch das Wort Begleitung hat es in sich. Denn wenn für ein Problem kein »Kochrezept« zur Verfügung steht, weder in Büchern noch im Internet, und auch der beste Freund allenfalls einen gut gemeinten Ratschlag anbieten kann, der doch oft schon bekannt ist, kann der Betroffene die Lösung letzten Endes nur aus sich selbst heraus schöpfen. Coaching in unserem Sinne entsteht dann, wenn unser Gegenüber seine eigenen Lösungen findet, und das geht nur durch Selbstreflexion. Der andere muss über sich und seine Situation nachdenken. Dabei unterstützen wir ihn. Daraus folgt für die Begleitung, nicht dem anderen das Problem aus der Hand zu nehmen oder ihm zu sagen, was er zu tun hat. Das wäre eine ganz konkrete, und oft auch einmalige, Hilfestellung. Das Motto »Du Problem, Ich Lösung« ist das exakte Gegenteil von Begleitung. Manchmal funktioniert das sogar, und wenn das geht, ist das schön. Es ist nur kein Coaching, sondern eine pragmatische Hilfe. Einem Fremden den Weg zum Hauptbahnhof zu erklären, ist Hilfe. Einem Freund ein paar Umzugskisten zu tragen, ist Hilfe. Bei der Selbstreflexion zur Bewältigung eines individuellen Problems zu begleiten, ist Coaching. Und das ist einfacher gesagt als getan. Jeder, der so liebend gerne einem Menschen die Lösung für sein Problem einfach nur nennen möchte, oder für den Menschen das Problem lösen möchte, weil er sieht, wie der andere leidet, weiß, wovon ich rede.

Dieses Buch soll nun also einen Einstieg in das Coaching unterstützen und das insbesondere für Berater und Trainer, aber auch für Führungskräfte. Warum gerade für diese Berufsgruppen? Und wie unterscheidet sich das Coaching von den anderen Beratungsformen? Coaching ist zwar eine von mehreren Beratungsformen und damit durchaus verwandt mit Training und Beratung, aber paradoxerweise kann die Abgrenzung umso schwieriger sein, je besser man sich in einer der benachbarten Disziplinen auskennt. Ein Spitzenberater ist es gewohnt, einem Kunden möglichst schnell eine Lösung für sein Problem zu präsentieren. »Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger«, das ist das Credo jeden guten Beraters – und so ziemlich das exakte Gegenteil von einer Begleitung zur Findung einer eigenen Lösung (und damit von Coaching). So muss ein guter Berater kein guter Coach sein, und umgekehrt.

Ein Spitzentrainer kann für seine Themengebiete, etwa Kommunikation oder Verhandlungsführung, problemlos mehrere Tage Trainingsinhalte zusammenstellen und didaktisch perfekt vermitteln. Das ist nur keine individuelle Lösung, sondern das Training ist für alle Teilnehmer das gleiche, und es ist auch völlig offen, ob die Herausforderungen [9]der Teilnehmer sich durch das Themengebiet überhaupt abdecken. Ein guter Trainer muss per se erst einmal kein guter Coach sein, und umgekehrt.

Führungskräfte sind sehr gut darin, mit anderen Menschen zusammen Ergebnisse zu erzielen. Berater und Trainer sind ebenso von Zeit zu Zeit Führungskraft, wenn sie etwa größere Beratungs- oder Trainingsprojekte leiten. Deshalb ist Coaching für alle drei Berufsgruppen von Interesse. Von der Führung zum Coaching zu kommen, kann ein steiniger Weg sein. Denn die Anweisung und die Kontrolle der Zielerreichung, Brot und Butter von Führung, stehen dem Coach nicht zur Verfügung. Eine Führungskraft kann durchaus in die Coachingrolle wechseln, wenn etwa die Mitarbeiter bei Herausforderungen begleitet werden. Allerdings haben die Mitarbeiter gerade erst diese Herausforderung der Führungskraft zu verdanken. Wie leicht können sie dann den Spieß umdrehen und der Führungskraft die Nichterreichung der Ziele in die Schuhe schieben. Mit einem guten Coaching ist doch selbst die größte Herausforderung kein Problem, oder? So hat jede Berufs- und Personengruppe mit dem Einstieg in das Coaching ihre eigenen Anpassungsschwierigkeiten, die wir in diesem Buch behandeln werden.

Abschließend möchte ich beim Leser um Verständnis bitten, dass ich der Einfachheit und dem Lesefluss zuliebe auf eine gendergerechte Sprache verzichtet und ausschließlich die männliche Form verwendet habe. Das Buch spricht also durchgängig beispielsweise vom Klienten und vom Coach, wohlweißlich der Tatsache, dass Frauen und Angehörige des dritten Geschlechts mindestens genauso gut coachen können wie Männer.

[11]1 Grundlagen

Das ist ein Buch für den Einstieg in das Coaching und wer in etwas »einsteigt«, sollte wissen, mit was genau er unterwegs sein wird. Denn Möglichkeiten voranzukommen, gibt es reichlich. Ein Zug, ein Flugzeug oder doch lieber zu Fuß – die Entscheidung über die Art und Weise der Beförderung ist am Ende dafür verantwortlich, wohin die Reise geht, wie angenehm sie verläuft, wie lange sie dauern wird und wo man am Ende wieder aussteigt. Auch Coaching ist eine Art Verkehrsmittel, das, wenn es qualitativ hochwertig ist, einen Menschen schneller von A nach B bringt, schneller als dies »zu Fuß« machbar gewesen wäre. Natürlich sollte diese Reise auch Spaß machen. Auch die schnellste Fortbewegung nützt wenig, wenn man danach gerädert ist und sich erst einmal von den Strapazen erholen muss. Dann hätte man doch vielleicht besser auf den Transport verzichtet und wäre gleich zu Fuß gegangen. Ein Coachingbuch für Einsteiger sollte also klären, in was der Leser genau einsteigen wird. Daher ist eine gründliche Beschäftigung mit dem Grundsätzlichen zu Beginn sinnvoll. Was für ein »Verkehrsmittel« ist das also, das Coaching? Und warum macht es Spaß mit ihm zu reisen?

Diese Frage, was Coaching ist, ist nicht einfach zu beantworten. Mitunter wird sie unsachlich und sogar reichlich emotional geführt. Beispielsweise tobte in der Wikipedia auf der Seite de.wikipedia.org/wiki/Coaching jahrelang ein sogenannter Edit War, an dem sich viele Autoren beteiligten und sich immer wieder gegenseitig ihre Änderungen revidierten. Auf der Unterseite »Versionsgeschichte« kann man bis 2016 mitverfolgen, wie im Stundentakt die Einträge und Gegeneinträge erfolgten. Erst seit wenigen Jahren ist Ruhe eingekehrt, ob aus Erschöpfung oder weil nun eine gute Beschreibung gefunden wurde, sei dahingestellt.

Und noch im September 2015 wurde auf 3SAT der als Dokumentarfilm bezeichnete Beitrag »Der Coaching-Wahn« ausgestrahlt, bei dem zu meinem Entsetzen Menschen gezeigt werden, die von ihrem »Coach« angehalten wurden, über mehrere Meter glühender Kohlen zu laufen. Dass und warum eine Feuerbegehung und Ähnliches nichts, aber rein gar nichts mit Coaching zu tun hat, wird der Leser am Ende dieses ersten Kapitels hoffentlich noch klarer nachvollziehen können.

In den Medien wird Coaching zuweilen auch als eine Art Goldgrube dargestellt, oder gar als ein Tummelplatz von Scharlatanen, die nichts als warme Luft produzieren und mit jeder Menge gut klingender Heilsversprechen Unmengen an Geld scheffeln. Selbstverständlich kann man mit Coaching seinen Lebensunterhalt bestreiten, das ist keine Frage, nur eine Goldgrube ist es so ohne Weiteres nicht. Wie jede Unternehmensgründung erfordert auch der Einstieg in das Coachingbusiness einen enormen Einsatz, das [12]sei hier am Anfang gleich klar gesagt. Im letzten Kapitel werden wir darauf eingehen, wie ein Einsteiger Klienten gewinnen und seinen Umsatz steigern kann.

Im Sinne der Versachlichung der Diskussion hier ein paar Statistiken: Die 3. Marburger Coaching-Studie aus dem Jahre 2013 schätzt den Coachingumsatz in Deutschland auf etwa 450 Mio. Euro. Eine Schätzung des Bundes Deutscher Unternehmensberater aus dem Jahr 2014 weist für die Branche der Unternehmensberater einen Jahresumsatz von 25.200 Mio. Euro für Deutschland aus. Der Umsatz von Coaching beträgt also etwa 2 % des Gesamtmarktes. Nur zum Vergleich: Diverse Quellen, die sich leicht über Google finden lassen, schätzen für den gleichen Zeitraum den Umsatz der Esoterikbranche (Wahrsagen, Astrologie, Glaskugel und Pendel etc.) vorsichtig auf etwa 30.000 Mio. Euro in Deutschland, höher also, als der Beratermarkt insgesamt. Das zeigt, wie wichtig es ist, Coaching seriös zu beschreiben und zu betreiben. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten.

1.1 Was ist Coaching

Im übertragenen Sinne ist Coaching also eine Art Verkehrsmittel, das die Reise beschleunigt und mit dem es Spaß macht, zu reisen. In dem vorigen Abschnitt haben wir Coaching bereits als eine Begleitung bei Herausforderung beschrieben. Man könnte also zusammenfassend sagen, dass Coaching Menschen bei Herausforderungen begleitet, deren Bewältigung beschleunigt und dabei auch noch Vergnügen bereitet. Jeder Einsteiger dürfte hin und wieder die Erfahrung machen, von seinen potenziellen Kunden gefragt zu werden, was er denn genau anbietet. »Aha, Sie machen Coaching? Und was können Sie für mich tun?« könnte die Frage lauten. Die Antwort des Coaches: »Ich biete eine Bewältigung von Herausforderungen, die auch noch Spaß macht«, wäre zwar korrekt, aber möglicherweise nur wenig überzeugend, weil sie einfach zu schön klingt, um wahr zu sein. Nichtsdestotrotz ist diese Beschreibung als erste Annäherung durchaus zu gebrauchen. Nur ist sie für ein Einsteigerbuch noch nicht genau genug und auch nicht praktikabel umsetzbar. Lassen Sie uns dies nun noch ein wenig weiter spezifizieren.

Auch ich war mal ein Einsteiger und wurde öfters gefragt, was ich denn als Coach anbiete. Meine Antwort in den ersten Jahren meiner Selbstständigkeit lautete: »Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ich helfe Ihnen, sich selbst zu helfen.« Ich kam mir bei dieser Antwort gar nicht mal so unklug vor, denn Hilfe zur Selbsthilfe konnte man damals überall lesen. Es war (und ist auch teilweise heute noch) ein geflügeltes Wort, mit dem ich mich auf der sicheren Seite wähnte, wusste ich doch, dass ich nicht der Einzige war, der Coaching so beschrieb.

[13]Erst als meine potenziellen Kunden immer wieder prompt erwiderten, was ich denn besser könnte als sie selbst, kam ich ins Grübeln. Das war eine unmöglich zu beantwortende Frage, denn was konnte ich denn eigentlich besser? Erstens stand ich talentierten Menschen gegenüber, die ich noch gar nicht näher kannte und deshalb auch gar nicht wissen konnte, worin das Besserkönnen hätte bestehen können und zweitens waren die Kunden Menschen, die von sich überzeugt waren, viel erreicht hatten und zweifellos schon eine ganze Menge selbst konnten. Und wenn ich nichts besser kann, warum sollten mich die Menschen engagieren?

Schließlich konnte ich nicht umhin, mich einmal mit »Hilfe zur Selbsthilfe« näher auseinanderzusetzen. In der Tat benutzen Menschen das Wort Hilfe im Alltag vorwiegend in Situation, in denen sie etwas besser können oder wenn sie die Arbeit dem anderen einfach aus der Hand nehmen. Sie helfen Kindern bei ihren Hausaufgaben, einem Freund bei seinem Umzug, einem Fremden beim Wegfinden und vieles mehr. Hilfe, wenn man sich den Sprachgebrauch einmal anschaut, ist tatsächlich häufig, oder vielleicht sogar immer, damit verbunden, etwas besser zu können oder für den anderen die Arbeit auszuführen. Die Frage meiner potenziellen Kunden, was können Sie denn besser, war also verständlich. Und ich hatte keine gute Antwort auf diese Frage. Außerdem war es offensichtlich, dass auch andere Berufsgruppen wie Entwicklungshelfer oder Streetworker »Hilfe zur Selbsthilfe« verwendeten, dieser Begriff also nicht trennscharf zu anderen Beratungsformen war.

Mein Neffe, damals gerade in die Schule gekommen, hatte mitbekommen, dass ich Coach geworden war, und fragte mit kindlich unschuldiger Neugier, was ich denn tue? Da ich mit Hilfe zur Selbsthilfe keine gute Erfahrung gemacht hatte, versuchte ich eine besonders kluge Antwort. Ich sagte: »Ich höre gut zu und stelle schlaue Fragen und gebe gutes Feedback.« Mein Stolz über diese gelungene Antwort, die übrigens absolut korrekt war, währte nicht lange, denn er fragte mich ungläubig: »Und warum bekommst Du Geld dafür?« Ja, warum eigentlich Geld bekommen für Zuhören, Fragen und Feedback? Das war nicht nur aus der Sicht eines damals sechsjährigen eine hervorragende Frage, denn das hatte der Junge ja gerade getan, ohne auch nur einen Cent dafür zu bekommen. Seine Frage half mir auch, nicht zu ruhen und nach einer guten Coachingdefinition weiterzusuchen. Im Grunde hatte mein Neffe mir selbst gerade eine fantastische Coachingfrage gestellt. Und das ohne jede Coachingausbildung.

Alternative Beschreibungen und Definitionen von Coaching gibt es massenhaft. Wer Google oder eine andere Suchmaschine bemüht, bekommt Millionen von Treffern angezeigt. Hier nur eine kleine Auswahl, was schon nach wenigen Minuten alles auf »was ist Coaching« zutage gefördert wird:

Zum Teil sind diese Beschreibungen so selbstverständlich wie nichtssagend oder gar verwirrend. Natürlich ist ein Coaching interaktiv, personenzentriert und zeitlich begrenzt. Was denn sonst? Natürlich steht der Mensch im Mittelpunkt, wer sonst? Es geht um die Zukunft, was sonst? Zum Teil sind die Beschreibungen auch widersprüchlich. Geht es um private Themen oder berufliche, oder beides? Und wer sagt, dass strukturierte Gespräche besser sind als unstrukturierte? Vielleicht ist ja gerade ein chaotisch unstrukturiertes Gespräch das kreativste. Zum Teil sind diese Beschreibungen schlicht falsch. Coaching ist kein individuelles Training und auch keine individuelle Beratung. Ein Training bleibt ein Training und eine Beratung eine Beratung, denn nur weil es einen einzigen Teilnehmer hat, wird daraus nicht automatisch ein Coaching. Davon ganz abgesehen kann man auch Teams coachen. Zum Teil verwenden diese Aussagen selbst erklärungsbedürftige Worte: Was ist ein Prozess und eine Prozessbegleitung? Was genau heißt personenzentriert? Was ist »klassische« Beratung, gibt es auch »unklassische«? Leider kann ich mit all diesen Beschreibungen deswegen nicht viel anfangen. Konzentrieren wir uns, verehrter Leser, lieber auf das, was Coaching, losgelöst von philosophischen und wissenschaftlichen Konzepten, ganz pragmatisch ist.

Coaching ist vermutlich so alt, wie die Menschheit. Schon immer gab es herausfordernde Situationen und schon immer haben sich die Menschen bei deren Bewältigung gegenseitig unterstützt. Und wohl schon immer hatten sie dabei eine Menge Spaß oder zumindest Genugtuung. Davon können wir ausgehen, auch wenn niemand von uns von Anfang an dabei war. Sport wird häufig als Vorreiter für das Coaching genannt. In der langen Geschichte der Menschheit ist der Sport sicherlich nicht der Erste gewesen, der Coaching benutzt hat, wohl aber der Erste, der die Massenmedien gefesselt hat und die Idee des Coachings einer breiten Öffentlichkeit nähergebracht hat. Der Coach der Lieblingsmannschaft, der am Spielfeldrand steht oder auf seinen Athleten am Ziel wartet und mit am Erfolg der Mannschaft oder des Athleten teilhat, diese Bilder wirken auf die Menschen erst seit wenigen Jahrzehnten ein und haben wohl den Boom des Coachings der letzten Jahre zum Durchbruch verholfen. Coaching im Sport ist offensichtlich eine [15]Begleitung bei Herausforderung, bei der der Coach nicht selbst den Ball wirft, den Schläger hebt oder das Zielband durchreißt. Coach und Athlet als Partnerschaft zur Zielerreichung, das ist das, was die Menschen fasziniert und Coaching, auch wenn es so alt ist, wie die Menschheit, zum Durchbruch verholfen hat.

1.2 Definition von Coaching

Sich an eine Coachingdefinition zu wagen, ist nicht ungefährlich. Im Jahre 2005 fanden sich Vertreter der damals acht größten Coachingverbände zusammen und formten den Roundtable Coaching (www.roundtable-coaching.eu). Stand 2020 sind es mittlerweile 17 Coachingverbände. Ihr Ziel war und ist es, Coaching zu professionalisieren und einen einheitlichen Qualitätsstandard zu entwickeln. So engagiert und notwendig dieses Unterfangen angesichts eines Wildwuchses unterschiedlichster Verbände und Gruppierungen war, das Ergebnis ist bislang noch wenig überzeugend. Beispielsweise konnte sich der Roundtable erst nach zehn Jahren, im Jahre 2015, auf ein gemeinsames Positionspapier einigen, dass meines Erachtens nur einen wachsweichen Minimalkonsens darstellte und das seither auch nicht mehr weiterentwickelt wurde. Das soll aber kein Vorwurf sein, denn auch aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Setze zehn Coaches in einem Raum und Du hast mindestens 11 verschiedene Definitionen von Coaching. Von daher ist die Leistung des Roundtables nicht zu unterschätzen. Aus unzähligen Diskussionen mit anderen Coaches weiß ich, wer es wagt, die Definition zu formulieren, muss sich auf heftigen Gegenwind einstellen. Diese Diskussionen haben oft einen Hang zum kompromisslosen »Ich-weiß-es-ganz-genau«, bei dem persönliche Meinungen religiöse Züge annehmen und zu allgemeingültigen Glaubenssätzen werden.

Nun bin ich natürlich auch von meiner Coachingdefinition überzeugt. Um aber bei aller unvermeidlichen Subjektivität ein Maximum an Objektivität zu gewährleisten, möchte ich zunächst meine Anforderungen an eine Definition darlegen: Eine Coachingdefinition sollte keine erklärungs- und definitionsbedürftigen Worte enthalten (nicht wie beispielsweise: Coaching ist personenzentriert, denn das ist ein Fachbegriff aus der Psychologie), sie sollte keine Selbstverständlichkeiten beziehungsweise nichtssagende Worthülsen enthalten, die man problemlos weglassen kann, ohne die Sinnhaftigkeit herabzusetzen (nicht wie beispielsweise: Coaching ist am Menschen ausgerichtet oder Coaching kann private und berufliche Themen umfassen) und sie sollte abgrenzungsscharf zu anderen Beratungsformen sein (nicht wie beispielsweise: Coaching ist individuelles Training beziehungsweise individuelle Beratung). Außerdem sollte eine Definition immer auch im realen Leben umgesetzt werden können und für den Klienten Klarheit bringen und dadurch einen Nutzen haben.

[16]Die in diesem Buch verwendete Definition lautet folgendermaßen:

Coaching ist eine Beratungsform, die Menschen auftragsbezogen begleitet, neue/kreative und passgenaue/individualisierte Lösungen zu finden und nachhaltig umzusetzen.

Diese Definition beruht auf Umgangssprache und verzichtet so auf erklärungsbedürftige Begriffe, die die Bürde der Definition nur verlagern würden. Sie enthält keine Selbstverständlichkeiten oder Redundanzen, denn man kann kein Wort weglassen, ohne die Aussagekraft zu verlieren. Und wir werden im Folgenden sehen, dass diese Definition abgrenzungsscharf zu den anderen Beratungsformen ist. Sie ist aus vielen Jahren Coachingerfahrung entstanden, erhöht die Klarheit, um was es beim Coaching genau geht und zeigt, wenn man Coaching so umsetzt, was der Klient an Mehrwert erwarten kann.

Coaching erbringt also, gemäß dieser Definition, Lösungen, die vier Kriterien erfüllen:

  • auftragsbezogen;
  • neu/kreativ;
  • passgenau/individualisiert;
  • nachhaltig.

Diese vier Kriterien werden wir uns in den Abschnitten 1.4 bis 1.7 näher anschauen.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass die Dauer der Begleitung nicht Gegenstand der Definition ist. Man sucht vergeblich nach Wörtern wie »zeitlich begrenzt«. Coaching ist eine Begleitung bei Herausforderungen, also Situationen, die eine Lösung erfordern. Diese Begleitung kann natürlich unterschiedlich lange sein, eine einzelne Session bis zu mehreren Jahren, je nach Art der Herausforderung und der erforderlichen Komplexität der Lösung. Entscheidend ist dabei nicht, wie lange das Coaching dauert, sondern ob eine Lösung daraus entsteht. Die Anforderung an eine Lösung impliziert schon per se, dass Coaching nicht beliebig lange dauern kann, sonst gäbe es ja keine Lösung und es wäre kein Coaching. Aber man kann natürlich an immer wieder neu entstehenden Herausforderungen arbeiten. Die Umwelt ändert sich permanent, Herausforderungen kommen und gehen. Lösungen sind immer wieder gefordert, sie sind Teil unseres Lebens. Nur wenn der Klient (Einzelperson oder Team) immer wieder vor den exakt gleichen Herausforderungen stehen würde, kann mit den Lösungen etwas nicht stimmen und ein zeitlich unbegrenztes Coaching sinnlos. Ansonsten kann ein Coaching auch permanent durchgeführt werden. Eine zeitliche Begrenzung ist dann, wie im Sport auch, nicht sinnvoll.

Ebenso enthält die obige Definition keine Angabe der Anzahl der Personen, also etwa Wörter wie »Einzelberatung« oder »individuelle Maßnahme«. Denn ein Coaching kann [17]natürlich auch mehrere Menschen umfassen. Auch Teams haben Herausforderungen und suchen nach Lösungen und nehmen ein Coaching (Teamcoaching) in Anspruch. Im Übrigen sind Teams genauso einzigartig und individuell verschieden wie Einzelpersonen, suchen neue/kreative und passgenaue Wege.

Auch der Spaßfaktor ist nicht explizit in der Definition enthalten. Coaching soll zwar Spaß machen, aber Spaß wird nicht direkt erzeugt (wie etwa beim Infotainment), sondern entsteht mittelbar durch das Finden kreativer Lösungen, die nachhaltig funktionieren und genau auf die Lebenssituation des Menschen zugeschnitten sind. Die daraus entstehenden Aha-Erlebnisse sind äußerst befriedigend und werden als emotionale Belohnung empfunden. Spaß beim Coaching wird also nicht direkt angestrebt (das wäre die Beratungsform Infotainment), sondern entsteht durch den Erfolg an sich.

1.3 Beratungsformen und Führungsformen

Die meisten angehenden Coaches hatten vorher andere Berufe. Für die meisten Menschen gehört eine gewisse Lebens- und Berufserfahrung zum Coaching dazu, sodass sich kaum Studienabsolventen für Coaching entscheiden, sondern immer erst andere Berufe ausprobieren und Erfahrung sammeln. Insbesondere Trainer, Consultants (Unternehmensberater) und Redner (Infotainment) entschließen sich, ihr Angebot entweder um Coaching zu erweitern oder gar ganz zu Coaching zu wechseln. Auch Führungskräfte, teilweise im Personalbereich aber auch in anderen Abteilungen wechseln mitunter in das Coaching oder entdecken es als einen weiteren Führungsstil. Führungsstile sind auch für Berater und Trainer relevant, denn sie übernehmen zuweilen Führungsaufgaben, etwa als Interims- oder Projektmanager. Im Hinblick auf Coaching sei daher ein Vergleich der Beratungsformen und Führungsstile an dieser Stelle angebracht.

Von manchen wird Coaching als die jüngste Beratungsform gesehen und folgen daraus, dass sich Coaching aus den historisch älteren zusammensetzt. Das glaube ich nur bedingt. Coaching, wie auch die anderen Beratungsformen und Führung, sind wahrscheinlich alle genau so alt wie die Menschheit. Vermutlich haben sich die Menschen schon immer gegenseitig geführt, trainiert, beraten oder gecoacht. Daher ist es müßig darüber zu spekulieren, ob Coaching sich aus Training/Consulting speist, oder umgekehrt, oder was nun zuerst vorhanden war und sich aus dem anderen ergeben hat. Lassen Sie uns die verschiedenen Formen einmal unabhängig voneinander betrachten.

Coaching begleitet Individuen, Teams und Organisationen dabei, sich Veränderungen individuell zu erarbeiten, indem beispielsweise mithilfe spezieller Frage- und Feedbacktechniken Kreativität und Selbstreflexion gefördert werden. Das Coaching hat den [18]Vorteil, dass es die Menschen befähigt, ihre eigenen individuell passenden Lösungen nachhaltig zu erarbeiten, beispielsweise einen konkreten Konflikt zwischen zwei Teams konstruktiv zu lösen oder einer Führungskraft zu mehr Effizienz zu verhelfen. Der Nachteil von Coaching ist, dass es einer größeren Mitwirkungsbereitschaft der Beteiligten im Vergleich zum Training und Consulting bedarf. Coaching erfordert nämlich eine Besinnung auf die eigenen Stärken und Schwächen, dem Bewusstwerden seiner Ziele und die Bereitschaft zum Verlassen ausgetretener Pfade.

Consulting (oder Beratung) analysiert und diagnostiziert Probleme und entwickelt Lösungen dafür. Als Lösungen kommen beispielsweise Prozessverbesserungen, Strategieentwicklung oder IT-Implementierungen infrage. Der Consultant liefert eine auf seiner Erfahrung und seinem Know-how basierende Lösung. Das Ergebnis von Consulting ist das fertige Resultat, das das Unternehmen aus den unterschiedlichsten Gründen (etwa mangels eigener Ressourcen) nicht selbst erstellen kann. Consultants nehmen dem Unternehmen das Problem quasi aus der Hand, bringen also eine unmittelbare Arbeitserleichterung. Das ist der Vorteil von Consulting. Der Nachteil besteht darin, dass manche Probleme so individuell sind, dass die externe Lösung nicht wirklich passt und von den Betroffenen nicht akzeptiert wird oder beträchtlich nachbearbeitet werden muss, etwa wenn ein Unternehmen seine Kommunikationsfähigkeiten verbessern will und dabei das von den Consultants erarbeitete Kompetenzmodell die individuellen Anforderungen nur teilweise abdeckt.

Training transferiert Wissen und Know-how für ein bestimmtes Fachgebiet. Unternehmen können zeitgleich eine größere Anzahl Mitarbeiter zu dem Training schicken, die dieses Fachgebiet zur Lösung ihrer Probleme benötigen und vertiefen möchten. Trainings können also einer bestimmten Gruppe von Mitarbeitern schnell ein gewisses Handwerkszeug vermitteln und die Kompetenzen in einem Unternehmen verbreitern. Das ist der Vorteil von Training. Beispielsweise kann mit Sprach- und interkulturellen Trainings eine Internationalisierung besser angegangen werden. Der Nachteil ist allerdings, dass das Training nicht bei der späteren Umsetzung begleitet und natürlich auch, dass es für alle Teilnehmer das Gleiche ist, ungeachtet der individuellen Unterschiede. Benötigt jeder Mitarbeiter einen individuell einzigartigen Kompetenzmix, läuft ein Teil des Trainings ins Leere.

Redner (Infotainment) sind in der Lage, eine größere Anzahl von Menschen für ein Themengebiet zu begeistern und sie zu motivieren, die Vorschläge in der Praxis umzusetzen. Diese Beratungsform kann die Stimmung im Unternehmen verbessern, es kann die Menschen zusammenbringen, einmal während der Veranstaltung und auch danach, wenn sie wieder zurück im Büro weiter darüber reden. Der Nachteil des Infotainments ist, dass keine Begleitung bei der späteren Umsetzung erfolgt und auch die individuellen [19]Verschiedenheiten der Menschen von dem Redner nicht abdeckt werden können. Es besteht die Gefahr, dass die angestrebten Veränderungen nach einer anfänglichen Euphorie im Sande verlaufen.

Alle vier Beratungsformen haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile. In der akuten Krise kann die direkte Lösungsbereitstellung durch einen Consultant große Erleichterung bewirken, insbesondere dann, wenn eine externe Lösung möglich ist. Das Training kann bei einer großen Anzahl von Mitarbeitern und Führungskräften innerhalb kurzer Zeit fehlende Kompetenzen gezielt aufbauen, wenn klar ist, welche Kompetenzen fehlen. Das Coaching kann auf die gesamte Bandbreite aller individuellen und kollektiven Hürden eingehen und zielgerichtet begleiten, wenn die Bereitschaft dazu vorhanden ist. Der Infotainer kann unterhalten, eine Auszeit verschaffen und motivierend einwirken, wenn zunächst einmal nur die Stimmung im Unternehmen verbessert und Anregungen gegeben werden sollen.

Der Übergang von der Führung zum Coaching ist nicht nur für Führungskräfte relevant, sondern auch für Berater, denn viele Consultants und Trainer übernehmen auch oft Führungsaufgaben. Wir werden im Folgenden vier Führungsstile betrachten, den direktiven, den visionären, den partizipativen und den coachenden Stil. Diese sind unterschiedlich entfernt von Coaching und bereiten dem Coachingeinsteiger unterschiedliche Anpassungsprobleme.

Der direktive Stil beruht primär auf Anweisungen und Vorgaben. »Wenn Du ein Kommando hast, kommandiere« – so könnte man diesen Stil beschreiben. Feedback wird gegeben, mit dem Ziel, korrigierend einzuwirken, oft auch mit der impliziten Botschaft, dass die Nichtbefolgung Konsequenzen hat. Der direktive Stil hat Vorteile, etwa bei einfachen Aufgaben oder in Krisensituationen, wenn es auf Geschwindigkeit ankommt oder Diskussionen oder Dialog keinen Sinn machen. Der direktive Stil ist weniger effektiv bei komplexen Aufgaben und motivierten und fähigen Mitarbeitern, die ohnehin wissen, was zu tun ist. In manchen Unternehmen wird die direktive Führung noch immer bevorzugt, in vielen hat sie jedoch an Beliebtheit verloren, insbesondere bei talentierten und leistungsfähigen Mitarbeitern. Nichtsdestotrotz ist sie ein unverzichtbarer Bestandteil von Führung in vielen einfachen oder krisenhaften Situationen.

Bei der visionären Führung wird, anstatt einfach Anweisungen zu geben, ein langfristiger Ausblick gewährt. Der vielleicht berühmteste Ausspruch dazu stammt von Antoine de Saint-Exupéry: »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« Die visionäre Führung verwendet keine Konsequenzen oder Drohungen, sondern setzt darauf, die Eigenmotivation [20]der Mitarbeiter zu wecken. Dazu erklären sie die größeren Zusammenhänge und warum sie wichtig sind. Sie interessieren sich für die Leistungen und bieten positives aber auch negativ-konstruktives Feedback. Der Nachteil der visionären Führung liegt in seiner Indirektheit. Erfordert eine Situation schnelles Handeln oder die sofortige Einhaltung von Vorgaben, würde die Vorgabe einer Vision kein Vertrauen bei den Mitarbeitern hervorrufen, die eine handlungsorientierte klare und überzeugende Richtungsvorgabe erwarten.

Bei der partizipativen Führung werden die Mitarbeiter aktiv beteiligt und eingebunden. »Betroffene zu Beteiligten machen« – so könnte man diesen Stil auf den Punkt bringen. Dieser Stil betont Gleichwertigkeit und Kompetenz der Menschen in einer Organisation, bei der Lösung von Problemen, Konflikten und Entscheidungsfindung. Er setzt auf Konsens und Kooperation, um Engagement zu schaffen und neue Ideen zu entwickeln. Die Führungskräfte sind gewillt zuzuhören und Kritik zurückzustellen, um eine Diskussion nicht zu unterbinden. Außerdem sind sie bereit, sich überzeugen zu lassen und das Ergebnis einer gemeinsamen Diskussion zu akzeptieren, auch wenn es nicht ihrer Anfangsmeinung entspricht. Der Nachteil des partizipativen Stils liegt in Krisen, die schnelles Handeln erfordern oder aufgrund der Einfachheit der Entscheidungssituation gar keine Diskussionen oder Debatten benötigen. Wird dieser Stil übertrieben, kann sich in Organisation ein kontraproduktiver Zwang zum Konsens entwickeln, bei dem selbst einfachste Entscheidungen lange Diskussionen nach sich ziehen. Die Folge sind Frustration und eine Meeting-Überdrüssigkeit.

Bei der coachenden Führung geht es, wie der Name schon sagt, um das Coachen der Mitarbeiter durch die Führungskraft. »Herausforderungen formulieren und unterstützend zur Seite stehen« – das ist der Kern dieses Führungsstils. Es geht darum, das Potenzial der Mitarbeiter zu wecken und die Fähigkeiten zu stärken beziehungsweise zu entwickeln, die die Person für die anstehenden Aufgaben benötigen. Das kann in einem Entwicklungsplan der Mitarbeiter münden, mithilfe dessen sie ihre einzigartigen Stärken und Schwächen erkennen und die Fähigkeiten aufbauen, um in Zukunft mehr zum Unternehmenserfolg beizutragen. Der Nachteil dieses Stils besteht darin, dass manche Mitarbeiter gar nicht gecoacht werden möchten oder kein Interesse an einer persönlichen Weiterentwicklung haben. Auch ist das Wechselspiel zwischen Direktive und Coaching für Führungskräfte oft schwer zu realisieren, wenn die Mitarbeiter gewohnt sind, klare Ansagen zu bekommen. Coaching darf auch nicht verwechselt werden mit perfektionistischen Streben nach fehlerfreien Arbeitsergebnissen.

Aufgrund der obigen Beschreibungen ist es wohl offensichtlich, dass der direktive Stil die größten Anpassungsschwierigkeiten für den Coachingeinsteiger bereiten dürfte. Von der klaren Ansage zur Begleitung ist es ein weiterer Weg als von der Vermittlung einer Vision. Und diese wiederum ist vom Coaching weiter entfernt als die Einbeziehung der [21]Mitarbeiter im Sinne der partizipativen Führung. Je mehr unterschiedliche Stile die Führungskraft verinnerlicht hat, umso flexibler dürfte sie sein und umso leichter dürfte ihr der Einstieg in das Coaching fallen.

1.4 Auftragsbezogenheit

Im Coaching gibt es das geflügelte Wort: ohne Auftrag, kein Coaching. Das bringt es exakt auf den Punkt. Der Auftrag beschreibt, was der Klient gerne erreichen möchte. Der Auftrag kann unklar sein (»Ich möchte weniger Stress in meinem Leben«), oder auch sehr konkret (»Ich möchte meinen Umsatz um 20 % steigern«). Der Auftrag ist in jedem Fall eine Conditio sine qua non. Es ist selbsterklärend, dass, wenn das Ziel nicht feststeht, man nur schwerlich ankommen kann. Dennoch wird erstaunlicherweise der Auftrag oft schlichtweg vernachlässigt oder gleich ganz vergessen. Das erlebe ich immer wieder in Mentorcoachings, selbst bei erfahrenen Coaches. Und auch mir erging es am Anfang nicht anders. Das liegt an mehreren Gründen: Erstens kann man auch ohne Auftrag ein anregendes und interessantes Gespräch führen, wie etwa ein gutes Gespräch unter Freunden. Dabei mag durchaus etwas Wertvolles herauskommen, es ist nur kein Coaching, sondern eben »nur« ein gutes Gespräch. Der zweite Grund ist: Einen Auftrag zu definieren, ist nicht trivial. Der Auftrag ist eng mit dem Grad des Vertrauens zwischen Coach und Klient verknüpft. Je höher das Vertrauen, umso relevanter werden die Aufträge. Aber um das Vertrauen aufzubauen, muss man eben an kleineren Aufträgen arbeiten und das erfolgreich und zur Zufriedenheit des Klienten. Ohne einen wenn auch nur kleineren Auftrag, wird nie ein relevanterer daraus. Ein anderer Grund für die Komplexität der Auftragsklärung liegt in der Komplexität des Menschen und seiner Umwelt. Es gibt einfach unendlich viele Möglichkeiten, an denen man arbeiten kann. Aus dieser Vielfalt das nun natürlicherweise anstehende herauszuarbeiten, ist eine hohe Kunst. Manche Coaches neigen dazu, den Mangel an einem Auftrag schön zu reden und nennen das »ergebnisoffene« Gespräche. Damit ist gemeint, den Gedanken und Worten freien Lauf zu lassen und einfach zu schauen, wohin einen die Reise bringt. Auch das kann wunderschön sein. Einen Auftrag zu definieren erhöht die Fallhöhe, da nämlich nun am Ende eines Coachings kristallklar wird, ob es etwas gebracht hat oder nicht.

Kein Coaching ohne Auftrag – ein Satz, den jeder Coachingeinsteiger so früh wie möglich verinnerlichen sollte. Der Auftrag ist so unverzichtbar, weil es unendlich viele interessante Themen gibt, über die es sich lohnt zu sprechen, die allemal sehr unterhaltsam sind. Nur die Domäne der interessanten Unterhaltung ist die einer anderen Beratungsform, die des Infotainments, nicht die des Coachings. Außerdem glauben viele Menschen, dass die Auftragsklärung der einfachste Teil des Coachings ist, weil sie meistens gleich am Anfang einer Coachingausbildung besprochen wird. Es ist verlockend, etwas [22]scheinbar Einfaches eben zu überspringen. Und das, was am Anfang kommt, ist erfahrungsgemäß noch nicht das Schwierigste. Dem ist jedoch nicht so. Die Auftragsklärung ist meiner Erfahrung nach oft der schwierigste Teil überhaupt. Viele Coachingversuche scheitern, weil der Auftrag unklar ist. Meine Erfahrung als Mentorcoach hat mir immer wieder gezeigt, dass nahezu alle Coaches den Fehler machen, die Auftragsklärung zu unterschätzen. Am Anfang meiner Coachinglaufbahn war ich in dieser Hinsicht keine Ausnahme.