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Matthias Horx

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Wie Sie Ihre Zukunftskompetenz erhöhen


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GLAUBEN SIE KEINEM PROPHETEN

Im Jahre 546 vor Christus plante Krösus, der unglaublich reiche König des sagenumwobenen Goldreichs Lydien, einen Feldzug, um seinen Reichtum weiter zu vermehren. Wie bei wichtigen Entscheidungen damals üblich, suchte er bei Institutionen Rat, die einen direkten Draht zu den oberen Instanzen, den Göttern, hatten. Zunächst unterwarf er die sieben renommiertesten Orakel, die im hellenischen Raum um Kunden warben, einem »pitch«. Er schickte Boten los und ließ fragen, was er, Krösus, am hundertsten Tag nach deren Abreise tue …

Das Orakel von Delphi schickte wenige Tage später einen Boten zurück, mit der in Ton geritzten Antwort: »Ich höre den Stummen und den Schweigenden – und zu mir dringt der Geruch des Lammes und der Schildkröte, und Kupfer ist darüber und darunter.«

Da Krösus am Stichtag von einem wortlosen Koch in einem Kupferkessel Lamm- und Schildkrötenfleisch kochen ließ, war die Wahl klar: Krösus befragte – unter Zurücklassung einer großzügigen Spende – das Apollo-Orakel von Delphi, ob und wann er einen Krieg gegen die Perser anfangen solle. Die Antwort haben viele von uns in der Schule auswendig gelernt:1

»Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören!«

Krösus sammelte also seine Heere und zog über diesen Fluss, der heute Kizil Irmak heißt und in der Türkei liegt, nach Osten. Und handelte sich eine Niederlage ein, die ihn einen großen Teil seiner Ländereien kostete, einschließlich seines Ansehens als unbesiegbarer Kriegsherr. Nachdem er sich aus der Gefangenschaft bitter über die »Irreführung« beschwert hatte, antwortete das Orakel – so berichtet es jedenfalls Herodot:

»Apollon weissagte ihm nur, er werde ein großes Reich zerstören. Er aber verstand nicht das Wort und fragte auch nicht, ob sein eigenes Reich gemeint war.«

Gemein. Perfide. Ein Fall für die Staranwälte der Gegenseite! Haben Orakel eine Geld-zurück-Garantie? Begründet sich hier eine Orakel-Tradition, die bis heute anhält – Scharlatane, die viel Dampf aufsteigen lassen und ihre Kunden nach Strich und Faden ausnehmen, mit imponierenden Power-Point-Präsentationen und wachsweichen Weissagungen?

Wer von Ihnen ist dafür, dass Krösus seine Opfergaben und Goldstücke zurückerhalten soll?

Andererseits: Wie erklärt sich dann der anhaltende Erfolg des Orakels von Delphi? Mehr als 500 Jahre lang, von 600 bis ca. 100 vor Christi, blieb Delphi eine mächtige und florierende Institution, die weit über alle Meere einen guten Ruf hatte: Herrscher, Staatsmänner, Philosophen, aber auch einfache Bürger, Kaufleute der hellenischen Stadtstaaten, suchten hier Rat. Und viele von ihnen kamen immer wieder! Auf den Tonscherben, auf denen die Prophezeiungen aufgezeichnet worden waren, fanden sich erstaunlich konkrete Ratschläge und Hinweise (Heiratsempfehlungen, Geschäftsvorschläge etc.), die, wenn sie allesamt falsch gewesen wären, ziemlich schnell den Ruf ruiniert hätten.

Delphi ist aber weniger wegen seines Consulting berühmt geworden als wegen seiner Inszenierung. In einer Felsspalte hockte auf einem Schemel die legendäre Pythia. Heute wissen wir, dass aus dem Travertinstein Methan- und Ethan-Dämpfe aufstiegen, so dass der Rauschzustand der Pythia wahrscheinlich nicht nur gespielt war. Ihr mystisches Gebrabbel, das Augenzeugen zufolge »manchmal einem Heulen und Schreien glich«, wurde dann von den Priestern des Ordens in Verse gebracht. Die Kunden nahmen, um an einen Orakel-Ratschlag zu kommen, eine Menge Entbehrungen in Kauf. Sie kamen mit ihrem gesamten Hofstaat – Sklaven, Frauen, Tiere – und mussten bei Wasser und Wein teilweise tagelang in fensterlosen Kammern warten, bis das Orakel sich bequemte zu sprechen.

Aber diese Inszenierungen waren nur der »Showroom« des Visions-Erlebnislandes Delphi. Im Hintergrund arbeitete ein Priesterorden (über lange Zeit von Frauen dominiert), der das verfügbare Wissen der damaligen Zeit sammelte und kartografierte. Man wusste genau Bescheid, wer in Athen gerade gegen wen intrigierte und wie die Olivenpreise standen. Der Aufstieg von Sokrates (und damit die Ära von Aristoteles und Plato) wurde von Delphi vorausgesagt, wenn nicht gar politisch befördert. Die Priester konnten schreiben – damals eine Seltenheit. Und verfügten über das damalig schnellste Kommunikationsmittel: laufschnelle junge Männer.

Delphi war eine Art Spionagezentrum der Antike, ein Geheimdienst. Ein »think tank«. Der Krösus-Schiedsspruch basierte auf einer genauen Einschätzung der militärischen Kräfteverhältnisse. Der Delphi-Orden war gleichzeitig – und das war der eigentliche Kern seiner Dienstleistung – Katalysator der ersten demokratischen Evolution der Menschheitsgeschichte. Die Pythia insistierte auf Mäßigung bei Konflikten, beharrte auf zivilen Formen des Konflikt-Managements. Das Orakel riet, auf Blutrache und Brunnenvergiftung, damals ein übliches Mittel, zu verzichten.2 Sokrates sollte später sagen: »Delphi brachte viel Gutes über die öffentlichen Angelegenheiten unserer Städte.«

Krösus hätte wissen können, auf welchen Prozess er sich einließ. Das Orakel testete seine Hybris – und Krösus fiel durch. Wer Augen zu lesen hat, der lese. Über dem Tor des Orakels stehen heute noch deutlich zwei Sätze:

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ÜBERWINDEN SIE DEN ZUKUNFTSZYNISMUS

»Ich weiß buchstäblich nicht, was die Leute damit meinen, wenn sie sagen, man muss nach vorne sehen, um zu wissen, wohin wir gehen. Worauf sollen wir denn blicken? In der Zukunft gibt es für uns noch nichts zu sehen. Nach-vorne-Blicken kann doch nur bedeuten, dass wir in unserer Vergangenheit nützliche und humane Ideen suchen, mit denen wir die Zukunft gestalten können.«3 So formulierte es vor kurzem der Medienkritiker Neil Postman. Noch trockener sagte es unser geliebter Karl Popper:

»We can know nothing about the future, otherwise we would know it!«

Zukunfts-Zynismus – also die Leugnung, dass die Auseinandersetzung mit Zukunft überhaupt einen Sinn machen kann – ist ein beliebter Freizeitsport, und er kann sich auf die Zitate kluger Männer berufen. Nichts ist leichter, als sich schenkelklopfend über die Unmöglichkeit jeder Prognose zu verständigen: Hoho – alles Unsinn – wenn nicht einmal die Wetterfrösche uns den Regenschauer von heute Nachmittag vorhersagen können!

Fallen wir also ruhig einmal ein in den Chor der Zukunftszyniker. Dabei brauchen wir noch nicht einmal die allbekannten Fehlprognosen-Bonmots zu bemühen, die heute jede zweite Rede schmücken (Dauerbrenner: die Prognose des »IBM«-Chefs Thomas Watson aus den 40er Jahren: »Es gibt einen Weltmarkt für vier Computer!«).4

Im Jahre 1910 wagte ein Dutzend abendländischer Publizisten und Denker aus dem deutschsprachigen Raum das ehrgeizige Projekt einer 100-Jahre-Voraussage. Sie erschien in Buchform unter dem Titel Die Welt in 100 Jahren in Berlin: 24 Kapitel über die Zukunft der Frauen, des Verkehrs, der guten Sitten, des Theaters und so fort. Hier einige Schlüsselzitate:

»Es gibt mancherlei, was wir trotz unserer Unzulänglichkeit voraussagen können. Zum Beispiel, dass das menschliche Vorwärtsstreben von jetzt ab weit schneller vonstatten gehen wird. In den kommenden Gärten werden Johannisbeeren wachsen so groß wie Damascenerpflaumen, Äpfel so groß wie Melonen […] Obwohl jede Ortschaft ihr Theater hat, wird man nur in New York und Paris Theater spielen und dies mittels Fernharmonium auf den Schirm in alle Welt übertragen. […] Nachts wird die Luft von Millionen Lichtern erhellt, und im tausendjährigen Reich der Maschine gleicht die Kriegsführung einem Schachturnier. Die Steppen Amerikas, die Dschungel Indiens, die Gletscherfirnisse der Alpen werden mit bunten, gen Himmel schreienden Plakaten bedeckt sein. Die Zahl der Wahnsinnigen wird irre steigen, das Verbrechen zur Domäne der Frauen geworden sein, die beiden großen Bewegungen der Neuzeit, die Frauen- und die Arbeiterbewegung haben ihre Ziele erreicht, u.a. durch die Mittel, die Menschheit ohne Elternschaft fortzupflanzen.«

Das scheint wie wilder Unsinn, gemischt mit zeitüblichem Pathos. Allerdings: Wenn man genauer liest, finden sich einige erstaunliche Erkenntnisse. Und im Kapitel »Die Kommunikation der Zukunft« wurde so gut wie alles präzise vorausgesagt, was unsere heutige Kommunikationswelt ausmacht:

»Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem ›Empfänger‹ herumgehen, der irgendwo, im Hut oder anderswo angebracht, auf eine der Myriaden von Vibrationen eingestellt sein wird. Der Empfänger wird trotz seiner Kompliziertheit ein Wunder der Kleinmechanik sein. Konzerte und Direktiven, ja alle Kunstgenüsse und das Wissen der Erde werden drahtlos übertragen sein. Monarchen, Kanzler, Diplomaten, Bankiers, Beamte und Direktoren werden ihre Geschäfte erledigen und ihre Unterschriften geben können, wo immer sie sind, sie werden eine legale Versammlung abhalten, wenn der eine auf der Spitze des Himalaya, der andere an einem Badeorte ist…«5

Grasen wir weiter auf der fruchtbaren Weide der Zukunftsirrtümer: Hermann Kahn, der wohl berühmteste US-Zukunftsforscher der 60er und 70er Jahre, ein Zwei-Zentner-Mann mit massivem Sendungsbewusstsein (er erfand zum Beispiel die »doomsday machine«, die Stanley Kubricks Film »Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben« inspirierte), machte 1968 in seinem berühmten Werk Ihr werdet es erleben6 zusammen mit Anthony J. Wiener, unter anderem folgende technische Prognosen für das Jahr 2000:

Auch hier kann man mühelos die Formel »Der Wunsch ist der Vater aller Prognosen« erkennen. Doch diese sieben Fehltreffer sind lediglich ein kleiner Ausschnitt aus insgesamt 100 (!) Technik-Voraussagen Kahns, von denen die anderen 93 durchaus unser heutiges technisches Environment beschreiben. Zum Beispiel sahen Kahn und Wiener voraus:

Und wie steht es mit den »Trendbrüchen«, mit den völlig unerwarteten Ereignissen der Weltgeschichte? »A trend is a trend is a trend. But the question is: will it bend?« Wie es Alec Cairncross, Chefökonom der britischen Regierung, nach dem Krieg formulierte, lauern hier die wahren Fallen für die Zukunftsschau.

»Ich zweifle nicht daran, dass die Sowjetunion, dieses riesige ostslawische Imperium in die Endphase ihrer Existenz eingetreten ist«, schrieb der Dissident Andrej Amalrik in einem Essay des Jahres 1982.7 »Zehn Jahre, nicht länger, wird dieses tönerne Imperium noch dauern, bevor es zu Staub zerfällt.« Prophetische Sätze. Aber wer wollte in der Hochphase des Kalten Krieges hören? Wir alle hatten uns in der bipolaren Welt des Kalten Krieges gemütlich eingerichtet – im Osten wie im Westen.

Selbst die Terror-Attentate vom 11. September 2001, in ihrem Wesen geradezu prototypische »Trendbruch-Events«, blieben keineswegs unvorhergesagt. Im Jahre 1998 erschien der Politthriller Ausnahmezustand, der mit Denzel Washington und Bruce Willis verfilmt wurde. Plot: 2000 Tote durch islamistische Terror-Attentate in New York. Im Juni 1999 (!!!!) erschien in der amerikanischen Zukunftszeitung The Futurist folgender Text:

»Der kommende Superterrorismus (Superterrorism: Assassins, Mobsters, and Weapons of Mass Destruction)

Die Natur des Terrorismus wandelt sich: Während ›billige‹ Bombenattentate und Geiselnahmen für Jahrzehnte auf der Tagesordnung standen, werden nun hochtechnologische Angriffe auf ganze Länder, Attacken auf große Bevölkerungsgruppen und die Infrastruktur ganzer Staaten wahrscheinlicher. Die USA werden langsam, aber sicher auch auf ihrem eigenen Territorium ein Ziel. Senator Bill Frith, ein Mediziner aus Tennessee, sagte bereits vor kurzem voraus, dass eine chemische oder biologische Attacke auf den Kongress in den nächsten fünf Jahren nicht unwahrscheinlich ist. Senator John Glenn äußerte die Hoffnung, dass es keines katastrophischen Anschlags bedarf, um die Konsequenzen aufzuzeigen.

Die kommende lange Schlacht wird wie folgt aussehen:

Popper hat Unrecht. Und dennoch Recht: Was »wir« über die Zukunft wissen, ist in der Tat oft spärlich. Aber nicht, weil es keine Möglichkeit der Prognose gibt, sondern weil »wir« davon keine Kenntnis nehmen. In der Geschichte gab es keine Erscheinung, keine Evolution, keine Technologie, die nicht von sensiblen Geistern oder analytischen Denkern vorhergesehen und beschrieben wurde. Das Problem nur: Es hörte ihnen keiner zu!

Woran liegt das? Prognosen sind, wie vieles andere auch, eine Frage des Angebots und der Nachfrage. Ihr Markt wird von komplexen Faktoren wie Zeitgeist-Strömungen und nicht zuletzt ökonomischen Interessen geprägt. Damit sieht sich der Prognostiker einem Geflecht von Widerständen, Erwartungen, »Zukunftsklischees« gegenüber. Prognosen, die öffentlich wahrgenommen werden, sind oft nichts anderes als die Bestätigungen von Erwartungshaltungen, kollektive Übereinkünfte über unsere kognitiven comfort zones.

WICHTIGE ZUKUNFTSFORMEL

Richtige Prognosen kauft einem (meistens) keiner ab!

Es könnte aber eigentlich alles ganz einfach sein: Wir müssen lediglich die richtigen Zukunftsseher heraussuchen – und die Scharlatane, die Opportunisten und Ideologen aussortieren. Die Zukunftsspreu vom Weizen trennen!

UNTERSCHEIDEN SIE PROPHETEN, VISIONÄRE, PROGNOSTIKER – UND ZUKUNFTSAGENTEN

Zukunft ist wie eine schwere Krankheit: Wir holen immer mehrere Urteile über sie ein. Das ist richtig und verständlich. (Ich kann gut damit leben!) Aber wichtig ist zu wissen, bei wem wir die Expertise einholen:

Propheten kommen in der Menschheitsgeschichte in regelmäßigen Abständen immer wieder vor – sie sind Begleiter eines historischen Bruchs, eines Übergangs – einer Revolution. Propheten bündeln die Wünsche und Sehnsüchte von großen Menschengruppen, schaffen ein Bild für diese Sehnsüchte – und dienen dann oft als Führer in einem Transformationsprozess.

Abraham war der erste bekannte Prophet. Auf ihn berufen sich gleich drei Weltreligionen (die derzeit im Nahen Osten über genau dieses Erbe in schweren Konflikt geraten sind). Abraham sah die Zukunft des Volkes Israel jenseits der Versklavung, und er machte diesen Traum wahr.

Propheten haben einen funktionalen Bezug zur Zukunft. Sie fragen nicht, was kommen könnte, sie definieren Zukunft – und machen sie auf dem Resonanzboden einer historisch reifen Situation. Sie machen ihrer Anhängerschaft Stress: Sie arbeiten mit starken Zeichen, mit Erlösungshoffnungen. Sie sind prinzipiell gefährlich. Ghandi war Prophet. Aber auch Hitler. Martin Luther. Martin Luther King. Arafat. Und Bin Laden.

Visionäre verfügen meist nicht über die Fähigkeit, Menschen zu führen oder zu organisieren. Sie stellen das Mögliche in Worten, Bildern oder Metaphern dar – sie tun dies begeisternd und talentiert. Aber sie betreiben es eher als eine Art emphatisches Hobby, weniger als Weltveränderungsjob.

Prognostiker sind die fleißigen Lieschen unter den Zukunftssehern. Die Handwerker der Möglichkeiten, die Bastler der Wahrscheinlichkeiten. Das Angenehme an ihnen ist, dass sie ihre Prämissen reflektieren. Sie erstellen Statistiken und mühen sich redlich, Zukunft objektiv zu erfassen.

Oft allerdings fehlt ihnen ein Quentchen Inspiration. Mal ganz unter uns gefragt: Warum sollen wir uns mit einer Zukunft beschäftigen, die ziemlich »vielleicht« ist?

Zukunftsagenten sind eine Spezies, die keiner der drei geschilderten Typen wirklich zuzuordnen ist. Es sind dies Menschen – oder Gruppen, Netzwerke, Denkbrüder und -schwestern – die ihren Job nicht so sehr in der Entwicklung spektakulärer Zukunftsbilder sehen, sondern in der Initiierung von (mentalen und realen) Prozessen, die zu einer besseren Zukunft führen können. Oft sind diese Menschen innerhalb größerer Organisationen (Firmen, Behörden) beschäftigt. Oft sind sie Berater, Selbständige, die den Geist des Neuen von außen in Unternehmen hineinzubringen versuchen. Sie fühlen sich nicht den einfachen Lösungen verpflichtet, sondern den Abenteuern und Verführungen der steigenden Komplexität.

Zukunftsagenten sind keine Wahrsager. Aber Wahr-Sager! Sie interessieren sich fanatisch für die »drei Ps«:

THE POSSIBLE – DAS MÖGLICHE

THE PROBABLE – DAS WAHRSCHEINLICHE

THE PREFERABLE – DAS, WAS VORZUZIEHEN IST

In ihrem legendären Bestseller Megatrends markierten John Naisbitt und Patricia Aburdene im Jahre 1984 unter anderem folgende vier Zukunftsparameter für die Zeit bis zur Jahrtausendwende:13

Keine dieser Aussagen ist aus heutiger Sicht besonders spektakulär oder »prophetisch«. Aber im Jahre 1984 – wir erinnern uns: Kalter Krieg, Nachrüstung, Öko-Bewegung –, war dies alles klarsichtig und »auf den Punkt gebracht«.

Dies ist eine treffende Beschreibung des Jobs, den Zukunftsagenten zu verrichten haben: auf den Punkt bringen, worauf es in Zukunft mehr und mehr ankommt.

BESTIMMEN SIE IHREN ZUKUNFTSTYP

Wir sind jetzt so weit, dass wir uns an eine »Verortung« unserer inneren Haltungen trauen sollten – jener Haltungen, die unsere Sicht auf die Zukunft bestimmen. Wir können dies mit Hilfe eines einfachen Rastersystems tun:

Bitte markieren Sie auf der waagerechten Achse einen Punkt auf einer Skala von eins bis zehn für die folgende Frage (1: Glaube ich absolut nicht; 10: Glaube ich mit voller Überzeugung; 5: Weder – noch):

Glauben Sie, dass die Zukunft für die überwiegende Anzahl der Menschen auf dem Planeten Erde eine bessere Zeit wird, als die Vergangenheit es (für die meisten Menschen) war – oder glauben Sie das nicht?

Zweite Frage für die senkrechte Achse: Auf einer Skala von eins bis zehn (1: Glaube ich absolut nicht; 10: Glaube ich mit voller Überzeugung; 5: Weder – noch):

Der Mensch wird eine Zukunft errichten, in der er sich mittels Technologie über sich selbst, über die Grenzen von Raum und Zeit erhebt. Das ist sein evolutionäres Programm.

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Das Zukunftsmentalitätsprogramm

Bitte ermitteln Sie nun aus diesen beiden Werten Ihren »Zukunftsstandpunkt« auf diesem Diagramm. Malen Sie ein Fernrohr oder einfach ein Kreuz an die entsprechende Stelle. Dies ist Ihre Position, von der aus Sie nach vorne blicken. Gewissermaßen der Sockel Ihres imaginären Teleskops – oder Ihrer inneren Kristallkugel – die Startposition Ihres Zukunftssatelliten. Er bestimmt, welche Aussagen über die Zukunft Sie an sich heranlassen – und welche Sie in den Bereich der Fabel, der Unwichtigkeit oder der Unwahrheit verweisen.

Und nun lassen Sie uns ein wenig an Ihrer Positionierung arbeiten!

ÜBERWINDEN SIE DEN INNEREN APOKALYPSE-ANGSTHASEN

Ich schildere Ihnen im Folgenden einige globale Trend-Entwicklungen. Ich bitte Sie, sich diese intensiv durchzulesen und Ihre inneren Reaktionen dabei zu erforschen:

Sehr wahrscheinlich spüren Sie beim Lesen dieser Nachrichten einen heftigen Widerwillen, wenn nicht eine heftige Aggression. Zunächst glauben Sie mir schlichtweg einfach nicht. Nach der Lektüre von 30 Festmetern Spiegel, zwölf Regalmetern einschlägiger Sachbücher, die mit »Ende« anfangen oder mit »Falle« enden, gekrönt von 50 000 Mann-/Fraustunden Fernsehen über Global Warming, Börsencrash und seelenlose Morde im Vorstadtmilieu (jeder zweite »Tatort«) gehen Sie selbstredend davon aus, dass Sie die Wahrheit über die Welt kennen. Und diese Wahrheit sieht schlecht aus!

Wenn ich Sie von jeder einzelnen Zahl überzeugen könnte (was ich natürlich kann: sie basieren auf soliden Statistiken), würden Sie wahrscheinlich ein weiteres Argument vorbringen:

Selbst wenn diese Trends stimmen sollten, ist es falsch, sie zu veröffentlichen. Denn damit erlahmt der Wille der Menschen, sich für die Verbesserungen zu engagieren!

Wir alle sind die Opfer des Apokalypse-Angsthasen. Das ist jener Hase, der als Wächter vor dem Reich der Zukunft wacht. Er klopft so laut, dass wir nicht an ihm vorbeikommen.

ZUKUNFTSSCHLÜSSELZITAT

Letztlich wollen wir nicht wissen, ob Erkenntnisse wahr sind, sondern wohin sie gehören.

Carl Otto Hondrich14

Die Lobbys des Untergangs

Udo Ulfkotte hat in seinem Buch So lügen Journalisten die Anatomie von Untergangstheorien beschrieben. Die scheinbare Zufälligkeit, mit der Angstempfindungen in der öffentlichen Wahrnehmung wechseln, hat zumeist einen mikro-ökonomischen Hintergrund. Mit anderen Worten: Der Kampf ums Gute ist ein knallhartes Lobby-Geschäft.15 Klimaforschung zum Beispiel war im Kalten Krieg eine militärisch aufgerüstete Boom-Branche, die danach, in den frühen 90ern, verzweifelt nach neuen Kunden suchte. Sie fand diese Kunden in einer Öffentlichkeit, die durch die ökologischen Mahner und Warner der 70er und 80er Jahre gut vorgewärmt war. »Global Warming«, ein Effekt, über den wir noch sehr wenig wissen, wurde so schnell zum Megahit in der Hierarchie der Ängste.

Wie gesagt: Zukunftsbilder, vor allem Angstbilder über die Zukunft, unterliegen denselben ökonomischen Gesetzen wie Bonds, Schweinehälften oder Immobilienpreise. Sie sind eine Frage der Angstnachfragen. Dabei sind die Claims in unseren Kulturbreiten äußerst üppig, aber auch besonders hart umkämpft.

  • Beispiel »Greenpeace«: Die globale Organisation wurde in wilden Hippie-Zeiten gegründet, damals konnten sich authentische Heroen mit hohem Sex-Appeal im Dienst der guten Sache profilieren (Ron Taggard, der Gründer, kam im Ranking gleich hinter Mick Jagger). Heute ist »Greenpeace« eher ein globaler Bürokratenkonzern ohne demokratische Kontrolle, der mit gigantischen Spendengeldern operieren kann. »Greenpeace« ist eine Art säkularer Kirche, und als solche hat sie sich verselbständigt zu einer konservativen Ablass- und Ritualgemeinschaft.
  • Beispiel »Club of Rome«: Der legendäre Warner-Verein sagte 1972 eine Weltbevölkerung von 30 Milliarden Menschen im Jahr 2000 voraus, eine Verdreifachung der Lebensmittelpreise, eine Extremverknappung der Rohstoffe, Hungersnöte mit 300 Millionen Toten. Nichts wurde auch nur annähernd wahr. Werden die desaströsen Trefferquoten seiner Prognosen irgendwann dem Ansehen des »Club of Rome« schaden? Ach was! Die alten Herren mit den buschigen Augenbrauen und dem sonoren Warnton in der Stimme sitzen immer noch in Talkshows, Gremien und Enquete-Kommissionen und werden von 25-jährigen Studenten und 55-jährigen Lehrerinnen gleichermaßen angehimmelt!
  • Die Antiglobalisierungsbewegung unserer Tage bietet eine ähnliche Dramaturgie. Zunächst schlüpft der Alarmismus in ein buntes Gewand, das unverdächtig-fröhliche Kostüm des jungen Protests. Alle Parameter eines populären Trends – hier die Globalisierung – werden alarmistisch zugespitzt. Nun treten die Journalisten auf den Plan, überglücklich über neue Konflikt- und Meinungspotenziale – gefolgt von den erotischen Medienstars der Bewegung – schmollmündige Diven wie Arundhati Roy, Naomi Wolf und andere. In einer weiteren Stufe schaffen dann Prominente brauchbare testimonials. »Die globale Marktwirtschaft kostet täglich 24 000 Menschen das Leben.« So sagt es Hannelore Hoger, die Schauspielerin, in ihrem Kommentar zum Jahreswechsel 2001/2002. Widerspruch zwecklos. Es ist ja alles im Namen des Guten!

Hystorien – der innere Code der Hysterie

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