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Inhaltsverzeichnis

Cover
Titel
Impressum
Widmung
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort zur Originalausgabe
Geleitwort
Danksagung und Referenzen
Einleitung
20 Mythen über Cannabis
1 - Cannabis im Spiegel der Wissenschaft
2 - Cannabis als Medizin
3 - Cannabis und Abhängigkeit
4 - Cannabis und die These von der Einstiegsdroge
5 - Cannabisgesetze und Justiz
6 - Cannabispolitik in den Niederlanden
7 - Cannabis und Gehirn
8 - Cannabis, Motivation und Leistung
Untersuchungen an Studenten
Untersuchungen an Arbeitern
Laborstudien
9 - Cannabis, Gedächtnis und Denkvermögen
Studien an Versuchspersonen im Rauschzustand
Studien zu Langzeitwirkungen
10 - Cannabis, Psychologie und Geisteskrankheiten
Kurzzeitige psychische Auswirkungen
11 - Cannabis, abweichendes Verhalten und Kriminalität
12 - Cannabis, Sex und Fruchtbarkeit
13 - Cannabis in der Schwangerschaft
14 - Cannabis und das Immunsystem
15 - Cannabisrauch und Lungenschäden
16 - Cannabis im Organismus
17 - Cannabis im Straßenverkehr
18 - Cannabis und Kliniknotfälle
19 - Cannabis und THC-Gehalt
20 - Cannabisprävention
Resumee: Wissenschaft, Politik und Drogenpolitik
Epilog
Literatur und Anmerkungen
Deutschsprachige Literatur
Internetseiten zum Thema
Biographische Angaben

Danksagung und Referenzen

Wir widmen dieses Buch Lester Grinspoon, der seine 25-jährige Forschungstätigkeit in den Dienst von Cannabis stellte. In seiner 1971 veröffentlichten Publikation »Marihuana Reconsidered« kommentierte er erstmals die bis dahin erschienene wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema. 1993 überarbeitete und erweiterte er mit James B. Bakalar die erstmals 1993 bei der Yale University Press erschienene Publikation »Marihuana  – The Forbidden Medicine« [Marihuana – Die verbotene Medizin]. Die erste Auflage wurde in acht Sprachen übersetzt und gilt weltweit als Standardwerk zum medizinischen Gebrauch von Cannabis. Wir sind Lester Grinspoon für sein wissenschaftliches Geleit sehr dankbar.

Als Mitglied einer siebenköpfigen Expertengruppe prüfte er unser Manuskript im Laufe seiner Entstehung und gab uns manchen hilfreichen Hinweis. Die sechs anderen Experten waren Louis Lasagna M.D., David Levis M.D., die Soziologen Harry G. Levine und Marsha Rosenbaum, Aryeh Neier vom Open Society Institute und Ethan Nadelmann vom Lindesmith Center. Folgende Personen baten wir im Laufe unserer Bearbeitung, um kritische Meinungen zu einzelnen Kapiteln: Dan Abrahamson, Marianne Apostolides, Dan Baum, Wally Bachman, Joel Brown, Gregory Chesher, Peter D. A. Cohen, Jeffery Fagan, JoAnn Gampel, Dale Gieringer, Jean-Paul Grund, Lana Harrison, Leo E. Hollister, Douglas Husak, Denise Kandel, Steven B. Karch, Claudia B. Morgan, Herbert Moscowitz, Laura Murphy, Sheigla Murphy, Rik Musty, Stanton Peele, Craig Reinarman, John K. Robinson, G. Alan Robison, Sidney Schnoll, Loren Siegel, Steven Sifanek, William S. Slikker, Keith Stroup, Donald Tashkin, Chuck Thomas, Andrew Weil, Charles Winick und Kevin B. Zeese. Ihnen allen sind wir für ihre förderlichen Hinweise dankbar. Wir nahmen sie ernst und reagierten auf alle Hinweise und Kritikpunkte, auch wenn sie nicht immer deren Ansichten entsprachen. Für eventuelle falsche Auswertungen der erhaltenen Hinweise, Aussagen und Schlussfolgerungen zeichnen wir als Autoren verantwortlich.

Wesentliche Unterstützung und Kritik erfuhren wir in der Zeit, die wir in dieses Projekt investierten, von unserem Herausgeber Harry G. Levine. Er korrigierte unsere Aussagen, wenn wir von deren Richtigkeit überzeugt waren, überredete uns zur Weiterarbeit, wenn wir dachten, das Manuskript abgeschlossen zu haben, und überzeugte uns, es abzuschließen, als wir kein Ende fanden. Sollten wir uns je zu einem weiteren Buch entschließen, sind wir Harry G. Levine schon jetzt für ähnliche Hilfestellungen dankbar.

Besonderen Dank schulden wir Ethan Nadelmann und der Smart Family Foundation, die uns Zugang zur Princeton-Arbeitsgruppe verschafften. Bei dieser Gruppe handelt es sich um eine wissenschaftliche Forschungsgruppe, die sich im Zeitraum von 1990 bis 1994 in regelmäßigen Abständen traf, um über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Wege in der Drogenpolitik zu beraten. Unsere vorliegende Dokumentation verdankt diesen Treffen wesentliche Einsichten. Sie ermöglichten uns Einblicke in den aktuellen Stand der Forschung, vermittelten uns aktuelle Erkenntnisse und förderten einen regen Informationsaustausch mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe. In seiner Funktion als Direktor vom Lindesmith Center engagiert sich Ethan Nadelmann auf wissenschaftlicher und sozialer Ebene für seriöse Studien über Drogen und für Wege in der Drogenpolitik, die sich an diesen Erkenntnissen orientieren.

Ohne die Unterstützung der Bibliothekarinnen Estelle Davis am City College von New York und Leigh Hallingby am Lindesmith Center hätten wir unsere Recherchen nicht abschließen können. Sie machten uns auf viele Titel aufmerksam und verschafften uns Zugang zu Büchern, Artikeln und Berichten, auf die wir uns im vorliegenden Buch beziehen. Josef Filip-Ryan, Bethami Cooper und Julie Copper sichteten kritisch diverse Fassungen von nahezu allen vorliegenden Kapiteln. Simon Rodberg stellte uns wochenlang als wissenschaftlicher Assistent seine Zeit zur Verfügung. Brent Gardner verdanken wir ein überaus zuverlässiges Lektorat unseres Manuskriptes. Karynn Fish vom Lindesmith Center, die mit der Betreuung unserer Arbeit betraut war, verblüffte uns wiederholt mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer Effektivität. Ihr ist es letztlich zu verdanken, dass diese Untersuchung das Licht der Welt erblickte.

Ein von Regierungsseite ausgeschriebener Forschungspreis und ein Forschungsjahr befreiten Lynn Zimmer achtzehn Monate lang von ihren Lehrverpflichtungen am Queens College der City University of New York und ermöglichten ihr die Arbeit an diesem Buch. Peter Lewis unterstützte uns finanziell. Bei der Produktion unterstützte uns das Lindesmith Center. Moralischen Rückhalt fanden wir bei unseren Familien und Freunden. All das lies uns freie Hand, während der Arbeit an unserem Manuskript.

 

Lynn Zimmer, John P. Morgan (1997)

 

 

 

 

 

Danksagung zur Deutschen Ausgabe

 

Insbesondere Michael Schlichting sowie auch Ulrike und Paul Grossman, Wolf-Florian Kemper, Christian Rätsch, John Baker und William Mahoney verdankt die Übersetzerin sachkundige Hilfe bei medizinischen, therapeutischen, juristischen und sprachlichen Fragen. Ihr Dank für eine reibungslose Verständigung während der Produktion gilt Cornelia Schönfeld, Roger Liggenstorfer, Claude Steiner und Mathias Bröckers.

 

Claudia Müller-Ebeling

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The British Wootten Report, 1969

Die gesetzliche Assoziation zwischen Cannabis und Heroin … ist unzutreffend und eine neue Gesetzgebung, die sich gesondert und speziell mit Cannabis beschäftigt … sollte so bald als möglich verabschiedet werden.… Der Besitz geringer Mengen Cannabis … sollte nicht mit Gefängnisstrafen sanktioniert werden.… Der Verkauf oder die Verfügbarkeit von Cannabis sollte strafbar sein … mit Geldstrafen, die 100 US-Dollar nicht übersteigen, oder mit Gefängnisstrafen, die auf vier Monate begrenzt sein sollten.1

 

Canadian LeDain Commission Report, 1970
[Bericht der kanadischen LeDain-Kommission]

Da es sich bei Cannabis mit Sicherheit nicht um ein Narkotikum handelt, empfehlen wir, gesetzliche Regelungen von den Betäubungsmittelverordnungen auszunehmen.… Die Kommission ist der Meinung, dass niemand allein aufgrund des Tatbestandes des Besitzes zu Haftstrafen verurteilt werden sollte.2

 

National Commission on Marihuana and Drug Abuse, 1972
[Nationale Kommission zu Marihuana und Drogenmissbrauch]

Die relative Gefährdung der breiten Mehrheit individueller Konsumenten durch Cannabis und die davon ausgehende akute Gefahr für die Gesellschaft rechtfertigt keine sozialpolitischen Maßnahmen, um Konsumenten aufzuspüren und dem Zugriff des Strafgesetzes zu überantworten … Die bestehende soziale und legale Politik ist bezüglich der von der Droge ausgehenden Gefahren für Individuen und die Gesellschaft außer Kontrolle geraten. 3

 

Dutch Baan Commission [Holländische Baan-Kommission], 1972

Die gegenwärtige Gesetzgebung berücksichtigt den Umstand nicht, dass die Risiken des Gebrauchs von Cannabis in keinerlei Verhältnis zu den Risiken des Gebrauchs solcher Substanzen stehen, die aus pharmakologischer Sicht weitaus potenter sind.… Dies beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der Drogengesetzgebung und die darauf basierenden Präventionsbemühungen.4

 

Commission of the Australian Government, 1977
[Kommission der australischen Regierung]

Legale Kontrollen sollten nicht so beschaffen sein, … dass die dadurch resultierenden sozialen Schäden diejenigen des Drogengebrauchs überwiegen.… Die Legalisierung von Cannabis sollte so beschaffen sein, dass die wesentlichen Unterschiede … der Auswirkung von Narkotika und Cannabis auf die Gesundheit berücksichtigt werden.… Der Besitz von Cannabis zum persönlichen Gebrauch sollte nicht länger als strafbare Handlung gelten. 5

 

National Academy of Science Report, 1982
[Bericht der nationalen Akademie der Wissenschaft]

Die Vorzüge der Regulationspolitik beziehen sich auf … Einsparungen ökonomischer und sozialer Kosten polizeilicher Maßnahmen …, auf verbesserte Kontrollen der Qualität und Sicherheit der Produkte und idealerweise auch auf eine bessere Glaubwürdigkeit der Warnungen vor Risiken.6

 

Australian National Drug Strategy Committee, 1994
[Komitee der nationalen australischen Drogenstrategie]

Australien erleidet größeren Schaden … durch die Beibehaltung der Politik der Drogenprävention als durch den Drogengebrauch. … Wir empfehlen daher eine Reform der Cannabisgesetzgebung in diesem Lande.7

 

Report by the Dutch Government, 1995
[Bericht der holländischen Regierung]

Es zeigte sich, dass der mehr oder weniger freie Verkauf von … [Cannabis] in den Niederlanden zum persönlichen Gebrauch die Rate des Gebrauchs gegenüber anderer Länder, die eine deutlich repressive Drogenpolitik verfolgen, nicht erhöhte.… Die holländische Drogenpolitik der letzten 20 Jahre … kann als erfolgreich bezeichnet werden.8

Resumee: Wissenschaft, Politik und Drogenpolitik

Aufgrund der Sichtung der wissenschaftlichen Beweislage folgerte die von Präsident Nixon 1972 berufene Shafer-Kommission, dass »sie einstimmig der Meinung ist, dass Cannabis kein derart gravierendes Problem darstellt, um Strafverfolgungen von Individuen zu rechtfertigen, die es rauchen und zum persönlichen Gebrauch besitzen.« Zwischen 1969 und 1977 veröffentlichten in Kanada, Großbritannien, Australien und den Niederlanden verschiedene Kommissionen ihre Berichte, die sie im Auftrag ihrer Regierungen erstellt hatten und die mit den Schlussfolgerungen der Shafer-Kommission übereinstimmten. Alle Kommissionen kamen zu dem Ergebnis, dass die Gefahren von Cannabis stark übertrieben wurden. Alle forderten die Gesetzgeber [ihrer Länder] auf, die Strafen für den Besitz von Cannabis drastisch zu reduzieren oder gänzlich abzuschaffen.

Die Shafer-Kommission wurde als Reaktion auf den seit den 60er Jahren gestiegenen Cannabisgebrauch bei Jugendlichen der Mittelschicht in Kraft gesetzt. Um 1970 wurde Cannabis in breiten Kreisen der Bevölkerung zur Freizeitdroge. Nationalen Erhebungen der Kommission zufolge hatten 40 % der Amerikaner zwischen 18 und 25 Jahren Cannabis geraucht. 30% der Highschool-Schüler des 11. und 12. Jahrgangs sowie 17 % des 9. und 10. Jahrgangs hatten Cannabis zumindest ein Mal probiert.9

Die Shafer-Kommission ging davon aus, dass die Polizei machtlos sei, dem weit verbreiteten Cannabisgebrauch Einhalt zu gebieten. Trotz strenger Strafmaßnahmen, die den Verkauf, Besitz und Gebrauch von Cannabis sanktionierten, hatte der Cannabisgebrauch zugenommen. Die Zahl der Inhaftierungen wegen des Besitzes von Cannabis stiegen stetig und dramatisch an. 1956 wurden 18.000 Menschen aufgrund des Cannabisbesitzes verhaftet. 1970 betrug die Zahl der Verhaftungen 180.000 – sie hatte sich um das Zehnfache erhöht. Die meisten Verhaftungen betrafen Cannabiskonsumenten, die wegen geringer Mengen zum persönlichen Gebrauch für schuldig befunden wurden. Zwei Drittel von ihnen hatten weniger als 1 Unze [1 Ounce = 28,35 Gramm] bei sich und 4% weniger als 5 Gramm, was einer Menge von 1 bis 5 Joints entspricht.10

Die Shafer-Kommission argumentierte, dass die Inhaftierung und Strafverfolgung jugendliche Cannabiskonsumenten unwiderruflich schädigt, indem sie deren Ausbildung unterbindet, sie mit Vorstrafen belastet und ihre künftigen Berufschancen vermindert. Die meisten derer, die 1970 wegen Cannabisbesitz verhaftet wurden, hatten keinerlei Vorstrafen. 45 % von ihnen waren Angestellte und 27 % Studenten. Daraus folgerte die Kommission, dass »die auf den persönlichen Gebrauch angewandte Strafverfolgung selbst in Anbetracht des Ziels, vom Gebrauch abzuschrecken, zu rigide sei.« Als »bessere Methode« befürworteten sie daher eher die »Überzeugung als die Strafverfolgung«.

Insgesamt kam die Shafer-Kommission zu dem Schluss, dass die Cannabisgesetzgebung der Vereinigten Staaten den Konsumenten und der Gesellschaft mehr Leid zufüge als der Gebrauch dieser Substanz. Die Mitglieder der Kommission waren überzeugt, dass die erforderliche Überwachung der Cannabisgesetze die verfügbaren Ressourcen der Strafgerichte vergeude und polizeiliche Maßnahmen provoziere, die »sich am Rande der konstitutionell verankerten Grenzen« befänden. Sie befürchteten, dass »die Missachtung der Gesetze und ihrer ausführenden Organe bei den Jugendlichen einen generellen Mangel an Respekt gegenüber allen Gesetzen und dem System im Allgemeinen« fördere. Die Kommission argumentierte, dass Strafgesetze auf einen »fraglosen Konsens … gegenüber gewisser unerwünschter Verhaltensweisen« angewiesen seien, ähnlich der übereinstimmenden Ablehnung von Straftaten wie Mord, Diebstahl, Kindesmisshandlung und Inzest. Ein Konsens, der in Bezug auf Cannabis nicht existiere. Zur Überprüfung dieses Konsens führte die Kommission eine Erhebung bei der Gesamtbevölkerung durch und separate Erhebungen bei Polizeibeamten, Anwälten und Richtern. Den Ergebnissen zufolge traten nur sehr wenige US-Amerikaner dafür ein, sämtliche gesetzlichen Kontrollen von Cannabis aufzuheben. Eine deutliche Mehrheit war allerdings der Ansicht, dass Cannabiskonsumenten nicht festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden sollten.11Lediglich 13% der Richter waren der Meinung, dass Personen wegen Cannabisbesitzes rechtmäßig zu Haftstrafen verurteilt werden sollten.12

Basierend auf der Einschätzung der Schädlichkeit von Cannabis und dem durch die Cannabispolitik bewirkten Schaden schlussfolgerte die Shafer-Kommission, dass das bestehende Prohibitionssystem den wahren Interessen der Gesellschaft nicht diene. Daher forderten die Kommissionsmitglieder den Kongress und die Gesetzgeber der Bundesländer auf, Cannabis zu entkriminalisieren. Dabei vertrat die Kommission die Meinung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Anbau und der Verkauf von Marihuana im großen Stil weiterhin illegal bleiben sollten. Sie empfahl jedoch, den »Besitz von Cannabis zum persönlichen Gebrauch« und die »gelegentliche Weitergabe geringer Mengen« nicht länger als Strafbestand zu ahnden.

Reformbewegungen der Cannabisgesetzgebung

Für kurze Zeit hatte es in den 70er Jahren den Anschein, als würde sich die Entkriminalisierung von Cannabis in weiten Teilen der USA durchsetzen. Zahlreiche angesehene Berufsorganisationen unterstützten die Empfehlungen der Shafer-Kommission. Dazu zählten neben den bereits in Kap. 1 aufgeführten Organisationen die National Conference of Commissioners on Uniform State Laws [Nationale Konferenz der Kommissionen für die Einheitliche Staatliche Gesetzgebung] und die National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals [Nationale Kommission zur Beratung über Standards und Ziele der Strafgesetzgebung].

Im ganzen Land unterstützten Regierungsvertreter, Rechtsanwälte, Polizeichefs, Anwälte, Richter, Mediziner, Redakteure von Tageszeitungen und andere öffentliche Personen die Argumente der Shafer-Kommission zugunsten einer Entkriminalisierung von Cannabis.

• Präsident Jimmy Carter sagte: »Die Strafverfolgung von Drogen sollte Individuen nicht mehr gefährden als der Gebrauch von Drogen. Falls dies der Fall ist, sollte [die Gesetzgebung] entsprechend geändert werden. Dies wird nirgendwo so deutlich, wie in den Gesetzen gegen den Besitz von Cannabis. … Daher befürworte ich die Änderung des Gesetzes dahingehend, dass von Strafen wegen des Besitzes bis zu einer Menge von einer Unze [1 Ounce = 28,35 g] abzusehen ist.«13

 

• Senator Philip Hart, dessen minderjähriger Sohn wegen des Besitzes von weniger als einem Cannabis-Joint 20 Tage im Gefängnis saß, erklärte: »Diese persönliche Konfrontation mit der geltenden Strafgesetzgebung war nötig, um mich davon zu überzeugen, dass die Strafverfolgung von Cannabisdelikten auf einer sinnlosen und völlig aus dem Ruder gelaufenen Politik basiert.«14

 

• Ein Gesetzgeber aus Mississippi warnte Eltern: »Wir bringen unsere Kinder ins Gefängnis und ruinieren ihr Leben. Ihre Kinder und die Ihrer Nachbarn sind in akuter Gefahr.«15

 

• 1975 argumentierte Robert DuPont, Direktor des National Institute on Drug Abuse (NIDA): »Die einzige am meisten überzeugende Eigenschaft von Cannabis besteht in ihrer geringen Toxizität.… Man sollte zwar nicht zum Gebrauch von Cannabis ermutigen, aber wir sollten davon absehen, wegen des simplen Besitzes dieser Substanz mit Gefängnisstrafen oder der Angst davor zu drohen.«16

 

• Ein Ausschussmitglied zur öffentlichen Sicherheit in Alaska konstatierte: »Man sollte das Strafmaß für den Besitz geringer Mengen zum persönlichen Gebrauch herabsetzen.«17

 

• Ein Sponsor einer Entkriminalisierungseingabe in Minnesota berichtete: »Es gibt in meinem Bundesstaat viele junge Leute, die Pot rauchen. … Die Überwachung der Einhaltung gegenwärtiger Drogengesetze verursacht hohe Kosten.«18

 

• Der US-Regierungsabgeordnete Dan Quayle forderte: »Der Kongress sollte endlich eine Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis in Erwägung ziehen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, Vergewaltiger und Einbrecher zu verfolgen, die unsere Gesellschaft bedrohen.« 19

 

• Ein Anwalt aus dem Distrikt Colorado stellte fest, dass die Kriminalisierung von Cannabis »die einzige und destruktivste Kraft der Gesellschaft« sei, »um bei unseren Kindern eine voreingenommene Haltung gegenüber des Systems zu erzeugen«20.

 

• Ein republikanischer Gesetzgeber erinnerte die Legislative im Staat Oregon daran, dass die »Prohibition von 1919 keine Antwort auf unsere Alkoholprobleme war und folglich auch 1973 keine Antwort auf das Cannabisproblem sein kann.«21

Schon bevor die Shafer-Kommission einberufen worden war, hatten der Kongress und die meisten Bundeslegislativen die obligatorischen Gefängnisstrafen bei Cannabisdelikten außer Kraft gesetzt. Damit folgten sie dem Rat der von Präsident Kennedy 1963 einberufenen Advisory Commission on Narcotics and Drug Abuse [Beratungskommission zu Fragen von Narkotika-und Drogenmissbrauch]22 sowie der Commission on Law Enforcement [Kommission zur Einhaltung der Gesetze] und der Justizverwaltung von 1967.23 1977 hatten fast alle (bis auf acht) Bundesstaaten den Besitz von Cannabis von einem Verbrechen zu einem Vergehen herabgestuft. In zehn Staaten galt der Besitz von Cannabis bis zu einer Unze [1 Ounce = 28,35 Gramm] nicht mehr als Straftatbestand.241978 verebbte die Welle der Cannabisreformen. In diesem Jahr war Nebraska der letzte Staat, der Cannabis entkriminalisierte, indem er den Besitz von Cannabis zu einer zivilrechtlichen Angelegenheit machte, die mit maximal 100 US-Dollar geahndet wird.25

Die Anti-Cannabis-Bewegung

1974 organisierte Senator James Eastland von Mississippi diverse Anhörungen, bei denen eine kleine Gruppe von Forschern und Psychiatern die Einschätzungen der Shafer-Kommission bezüglich der Wirkungen von Cannabis in Frage stellte.26 Viele der geladenen Zeugen der Eastland-Hearings hatten eigene Versuchsreihen an Tieren und Zellkulturen zum Nachweis möglicher Schäden durch Cannabis durchgeführt. So gut wie alle verdammten den Gebrauch von Cannabis als unmoralisch. Alle sprachen sich für strenge Strafmaßnahmen aus, um den Verkauf und Gebrauch von Cannabis zu ahnden. Diesen frühen Gegnern der Entkriminalisierung von Cannabis gelang es jedoch nicht, ihre Ansichten politisch umzusetzen.27

In den 70er Jahren nahm der Gebrauch von Cannabis vor allem bei den Jugendlichen zu. 1977 hatten 56% der Highschool-Schüler des 12. Jahrgangs mindestens ein Mal Cannabis probiert, 45 % des 10. und 19 % des 8. Jahrgangs.28 Als Reaktion auf diese Erhebungen formierte sich an der Basis eine Anti-Cannabisbewegung. Sie wurde von Eltern angeführt, die sich zuerst auf lokaler Ebene organisierten, um ihre Kinder im Teenager-Alter vom Cannabisgebrauch abzuhalten. Empört von den Publikationen des NIDA, die einen gelegentlichen Cannabiskonsum als relativ harmlos einschätzten 29, machten sie diese Sichtweise für die steigende Popularität von Cannabis bei den amerikanischen Jugendlichen verantwortlich.30

Innerhalb weniger Jahre formierten sich diese Eltern-Selbsthilfegruppen zu mehreren nationalen Vereinigungen, zu denen auch das Parent’s Resource Institute for Drug Education (PRIDE) [Institut von Eltern zur Drogenerziehung], die National Federation of Parents for Drug-Free Youth [Nationale Verbindung von Eltern für eine Jugend ohne Drogen] und Families in Action [Aktive Familien] gehören. Diese Organisationen sammelten Gelder bei bürgerlichen Organisationen, bei Geschäftsleuten und Regierungsstellen und rekrutierten Mitglieder auf Konferenzen, in Workshops und über Anzeigen in Tageszeitungen.31 Überall im Land bildeten sich in den Gemeinden und vor allem in Vorstädten der Mittelschicht Elterngruppen, Gemeinden und vor allem in Vorstädten der Mittelschicht Elterngruppen, die sich den nationalen Vereinigungen anschlossen.32Viele Eltern, die diesen Gruppen beitraten, hatten Cannabis selbst nie kennen gelernt und wussten wenig über seine Wirkung. Sie waren sich jedoch einig, dass ihre Kinder es keinesfalls gebrauchen sollten, und davon überzeugt, dass eine wachsende gesellschaftliche Akzeptanz von Cannabis ihrem erklärten Ziel einer Jugend ohne Drogen im Wege stehe.

Daher engagierten sich die Eltern-Selbsthilfeorganisationen mit vielfältigen politischen Aktionen dafür, die liberalen Bemühungen der 70er Jahre außer Kraft zu setzen. Als Lobbyisten setzten sie sich bei Kongressabgeordneten und der Legislative für strengere Cannabisgesetze ein und forderten für deren Einhaltung von den Polizeikräften eine rigidere Überwachung. Sie setzten Vertreter von Schulen unter Druck, um Unterrichtseinheiten zur Drogenerziehung an der Null-Toleranz zu orientieren. Sie überzeugten das NIDA, mehr Mittel für die Drogenprävention bereit zu stellen und Unterrichtsmaterialien aus dem Verkehr zu ziehen, die in punkto Cannabis einen »weichen« Standpunkt vermittelten.33

Robert DuPont, der erste Direktor des NIDA, bekannte, dass er durch das Engagement dieser Eltern-Initiativen vom Entkriminalisierungs-Verfechter zum Antidrogen-Aktivisten konvertierte.34Bevor er das NIDA 1978 verließ, gab er bei Marsha Manatt, einer Gründerin dieser Eltern-Aktionsgruppen, die Broschüre mit dem Titel Parents, Peers and Pot [Eltern, Gleichaltrige und Haschisch] in Auftrag, die vom NIDA in breiten Kreise der Bevölkerung verteilt wurde. Diese Broschüre portraitiert »exemplarische Fälle« von Kindern, die durch Cannabis dauerhafte Schäden erlitten haben. Dabei verweist die Autorin auf wissenschaftliche Studien, wonach Cannabis ernsthafte physische Schäden bewirke. So schädige es beispielsweise Lunge, Gehirn und Herz, verursache hormonelle Störungen, Unfruchtbarkeit, sexuelle Fehlfunktionen und Immunschwäche. Ferner stehe es in Zusammenhang mit der Ausbildung von Brüsten bei erwachsenen Männern.35 In den späten 70er Jahren tauchten in der Regenbogenpresse (wie der Saturday Evening Post, McCalls, Good Housekeeping und Ladie’s Home Journal) Artikel über physische, psychologische und soziale Gefährdungen durch Cannabis auf.36 Reader’s Digestveröffentlichte mehrere Artikel über Cannabis, darunter die vierteilige Serie »Marijuana Alert« [Achtung! Marihuana] von Peggy Mann, einer Kinderbuch-Autorin. Diese Fortsetzungsfolge wirkte noch bedrohlicher als Parents, Peers and Pot. Mann formuliert darin, dass Cannabis einen »verheerenden Einfluss auf die Zellen« habe, »jedes menschliche Organ schädigt« und den »kostbarsten Besitz des Menschen zugrunde richtet: das Gehirn, die Persönlichkeit und die Seele.« Sie warnt davor, dass »Haschischraucher ohne Sinn und Verstand ihr Gehirn schädigen und ihre Chance gefährden, einen rundum gesunden Nachwuchs zu empfangen und zu gebären«.37 Reader’s Digest druckte die Serie von Mann als Broschüre und verteilte mehr als sechs Millionen Exemplare an Schulen, Kirchen, Jugendgruppen, bürgerliche Organisationen und Geschäfte.38

Zur selben Zeit veröffentlichten diverse Personen und Organisationen Bücher und Broschüren, in denen es um die physische Toxizität von Cannabis ging. 1977 gründeten einige Forscher, Psychiater und ehemalige Regierungsvertreter, die sich mit Fragen des Drogenmissbrauchs beschäftigten, das American Council on Marijuana39, eine Organisation, die sich die Aufklärung über die sozialen und gesundheitlichen Gefahren von Cannabis zur Aufgabe machte.40 Das Myrin Institute, eine andere Anti-Drogenorganisation, publizierte und verteilte Marijuana Today: A Compilation of Medical Findings for the Layman [Marihuana Heute: Eine Zusammenstellung medizinischer Erkenntnisse für den Laien], verfasst von dem Biologieprofessor George K. Russell41. Der seit langem als Anti-Cannabis-Aktivist tätige Wissenschaftler Gabriel Nahas schrieb in den 70er Jahren zu diesem Thema die beiden Aufsehen erregenden Bücher: Marijuana – Deceptive Weed [Marihuana – das trügerische Kraut] und Keep Off the Grass [Finger weg von Cannabis!]. Darin warnte Nahas, dass »die Zeit drängt« und »weitere wissenschaftliche Daten positiver Befunde« unnötig seien. Er behauptete, dass »genügend Belege in Labors zur Verfügung stünden, die darauf schließen lassen, dass Cannabis die Zellen schädigt und langsam aber sicher vitale Lebensfunktionen zerstört.« Er forderte striktere Kontrollen von Cannabis und der Konsumenten, »bevor es für Amerika zu spät ist«.42

Andere Autoren, die sich dem Kampf gegen Drogen verschrieben, stützten sich vehement auf Nahas Interpretation der wissenschaftlichen Befunde. Wie Nahas werteten sie ausschließlich Studien aus, die eine Schädigung durch Cannabis implizierten, und versäumten es, darauf zu verweisen, dass es sich bei diesen Ergebnissen meist um vorläufige Hypothesen handelte, die von weiteren Untersuchungen nicht untermauert worden waren. Sie zitierten Versuche an Tieren und Zellkulturen, deren Relevanz für den Menschen unbekannt war. Sie ignorierten ganze Forschungsgebiete, von denen sich keinerlei Belege über die Schädlichkeit von Cannabis ableiten ließen. Prinzipiell wiederholten all diese Bücher und Broschüren die Behauptungen, die von Gabriel Nahas und anderen 1974 bei den Eastland-Hearings vorgetragen wurden. In den späten 70er Jahren wurde keine einzige der Schädigungen, die bei den Tierversuchen und Zellkulturen aufgetreten waren, in Testreihen mit Menschen verifiziert. Das hielt die AntiDrogen-Organisationen jedoch keineswegs davon ab, derartige Studien weiterhin als Beweis für die physische Toxizität von Cannabis anzuführen.

Als Gouverneur von Kalifornien hatte sich Ronald Reagan in den 70er Jahren gegen die Entkriminalisierungsbestrebungen von Cannabis gewandt. 43 Als Präsident überzeugte er die Mehrheit des Senats von seinem Feldzug gegen Drogen44, ein Krieg, der seither an Intensität zugenommen hat. Mehr und mehr übernahm das NIDA die Rolle, vor den Gefahren von Cannabis zu warnen. Bei der 1981 abgehaltenen NIDA-Konferenz »Marijuana and Youth« beschlossen die Teilnehmer, den Eltern und Jugendlichen »unerbittliche, klare und eindeutige Botschaften« zu vermitteln, selbst bei Fragen, zu denen in der wissenschaftlichen Literatur zweideutige Ergebnisse vorlagen. So äußerte sich der ehemalige Direktor DuPont: »Wann immer man darüber spricht, dass es eine erhebliche Zahl von Cannabisrauchern gibt, die durch ihren Gebrauch nicht geschädigt werden, erteilt man die Erlaubnis für einen heftigen Konsum oder ermutigt sogar dazu.«45 Donald Ian Macdonald, der wenig später zum drogenpolitischen Berater des Präsidenten avancierte, meinte: »Wir befinden uns inmitten einer großen Epidemie. … Zu Recht versetzt dies Eltern in Angst und Schrecken, … sie benötigen Fakten zu den schädlichen Auswirkungen.«46 1982 warnte das NIDA im Kongressbericht Marijuana and Health47 erneut vor den physischen Gefahren durch Cannabis, obgleich es dafür seit dem letzten Kongressbericht von 1980 keine neuen oder überzeugenden Anhaltspunkte gab.48

Der gegenwärtige Krieg gegen Cannabis

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die strafrechtlichen Maßnahmen gegen Cannabis zunehmend verschärft.49 Der Kongress und die Legislative einiger Bundesstaaten erhöhte das Strafmaß für Cannabisdelikte. 50 Zwischen 1991 und 1995 verdoppelte sich die Zahl der Inhaftierungen. 1995 vollzogen die Gesetzeshüter auf Bundes- und lokaler Ebene mehr als eine halbe Million Festnahmen – 86 % wegen des Besitzes von Cannabis.51 Zehntausende US-Amerikaner sitzen gegenwärtig wegen Cannabisdelikten in Gefängnissen. Weitere Hunderttausende wurden mit Geldstrafen, Bewährungsstrafen oder der Beschlagnahmung ihrer Autos, Häuser, Ländereien, Boote oder anderer Besitztümer belegt. Die meisten Bundesstaaten ziehen den Führerschein all jener ein, die wegen des Besitzes von Cannabis in jedweder Menge verhaftet werden – und zwar unabhängig davon, ob sie zu diesem Zeitpunkt am Straßenverkehr teilnehmen oder nicht.52 Obgleich einige Bundesstaaten bei Patienten, die Cannabis als Medizin gebrauchen53, die Strafverfolgung aufgehoben haben, stellen sich staatliche Behörden gegen eine derartige Politik, weil sie die Vorherrschaft ihrer Botschaft untergräbt: nämlich dass Cannabis bei weitem zu gefährlich ist, um einen individuell gefahrlosen Umgang damit zu rechtfertigen.54

1989 verlangte die National Drug Control Strategy [Strategie der nationalen Drogenkontrolle] von den Familien, Gemeinden, Schulen und Arbeitgebern, mit der Regierung bei der Überführung und Bestrafung von Drogenkonsumenten gleichzuziehen, damit die »Konsequenzen« des Drogengebrauchs »jeden zeitlich begrenzten Gewinn durch Drogen übertreffen. «55 Heutzutage verfolgen die meisten Schulen eine strikte Anti-Drogenpolitik. Diese Politik ermöglicht der Schulverwaltung, Schüler wegen des Gebrauchs von Cannabis der Schule zu verweisen oder fordert sie zu solch einem Handeln auf56 [Vgl. Kap. 20.]. Die meisten Konzerne verlangen von Bewerbern und / oder Angestellten Drogentests. Wer dabei als Bewerber positiv auf Cannabis testet, wird – unabhängig von seiner Qualifikation – vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. Wer als Angestellter positiv testet, kann – unabhängig von seinen erbrachten Arbeitsleistungen – gefeuert werden. 57 Manche Sozialdienste verpflichten ihre Klienten zu Drogentests und verweigern ihnen Dienstleistungen und Zahlungen bei positiven Ergebnissen 58 [Vgl. Kap. 5.]. Eltern überprüfen ihre Kinder kritisch auf Anzeichen eines möglichen Cannabiskonsums, durchsuchen ihre Zimmer und führen Drogentests für den Hausgebrauch durch.59 Polizeibeamte, die an Schulen Kurse zur Drogenerziehung geben, ermutigen Schüler, ihre Eltern, Ge-Kurse zur Drogenerziehung geben, ermutigen Schüler, ihre Eltern, Geschwister und Freunde anzuzeigen, falls sie Cannabis rauchen.60

Doch trotz alledem ist Cannabis nach wie vor leicht verfügbar. Bei Erwachsenen blieb der Gebrauch von Cannabis seit Jahren gleich, während er bei Jugendlichen seit den frühen 90er Jahren zunahm.61 Die US-Regierung, Anti-Drogenorganisationen und die Medien reagierten darauf mit der Intensivierung ihrer Kampagnen gegen Cannabis. Das Center on Addiction and Substance Abuse (CASA) [Zentrum für Sucht und Drogenmissbrauch], das 1993 von Joseph Califano, dem ehemaligen Sekretär des Ministeriums für Gesundheit, Erziehung und Soziales, gegründet wurde, veröffentlichte Berichte und Pressemeldungen über die schädlichen Auswirkungen von Cannabis62, die von den Medien meist unkritisch zitiert werden. 1995 gründete das NIDA eine neue Initiative zur Prävention des Cannabisgebrauchs [Marijuana Use Prevention Initiative], um »Kindern, Teenagern und ihren Eltern zu beweisen, dass der Gebrauch von Cannabis eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Jugend darstellt« 63. Im gleichen Jahr lancierte die Partnerschaft für ein drogenfreies Amerika [Partnership for a Drug-Free America] ein »Flut« von Anti-Cannabiswerbung in den Medien.641996 führte das Ministerium für Gesundheit und Soziales [Department of Health and Human Services, HHS] eine Reality-Check-Kampagne durch, »um die Wahrnehmung zu schärfen«, dass es sich bei »Cannabis um eine Droge handelt, die Beeinträchtigungen, diverse Schädigungen und Tod bewirkt.«65 Die Sekretärin des HHS, Donna Shalala, fordert alle Amerikaner auf, »klar und übereinstimmend« zu vermitteln, dass »Cannabis illegal, gefährlich, gesundheitsschädlich und grundsätzlich falsch«66 ist.

Wachsende Herausforderung für die Cannabisprohibition

Während die US-Regierung den Krieg gegen Cannabis vorantrieb, beschritten die Regierungen einiger anderer westlicher Länder den Weg der Entkriminalisierung von Cannabis. In den Niederlanden ist der Verkauf und Gebrauch von Cannabis seit mehr als 20 Jahren de facto legal67 [bzw. wird toleriert]. In Italien, Spanien, in der Schweiz sowie in manchen Bundesländern von Deutschland und Australien werden Besitz und Gebrauch von Cannabis strafrechtlich nicht geahndet und sieht die Polizei im Allgemeinen über den Verkauf kleiner Mengen hinweg, wenn dieser die öffentliche Ordnung nicht gestört68 [Vgl. Kap. 6.]. In Australien forderten 1994 national operierende Cannabisspezialeinheiten die Regierung auf, einen Schritt weiter zu gehen: »Sollte sich herausstellen, dass die zur Verminderung des Schadens [durch Cannabis] aufgebrachten Verwaltungskosten diesen überwiegen, müssten sämtliche sozialpolitischen Maßnahmen grundsätzlich überdacht werden.« Sie kamen zum Schluss, dass »Australien größeren Schaden … durch die Aufrechterhaltung der Politik der Cannabisprohibition erleidet, als durch den Gebrauch dieser Droge«69.

Richard J. Bonnie, der maßgeblich verantwortliche Autor des Shafer-Kommissionsberichtes von 1972, forderte die Bildung einer neuen amerikanischen Kommission, um die Kosten und Gewinne der gegenwärtigen Drogenpolitik auszuwerten.70 Die Clinton-Regierung weigerte sich jedoch hartnäckig, Alternativen zur strikten Prohibition auch nur in Erwägung zu hartnäckig, Alternativen zur strikten Prohibition auch nur in Erwägung zu ziehen.71 Zur Unterstützung der gegenwärtigen Politik veröffentlichten DEA, CASA und die California Narcotics Officer’s Association [Kalifornische Vereinigung der Drogenbeauftragten] kürzlich Berichte, welche die amerikanische Öffentlichkeit davor warnten, dass eine Entkriminalisierung von Cannabis zu einem rapiden Anstieg des Konsums führt.72

Die Forschung zeigt, dass weder eine strenge noch eine laxe Drogenpolitik großen Einfluss auf die Popularität von Cannabis hat. Obgleich die USA das strengste Prohibitionssystem der westlichen Welt aufweist, entsprechen die dortigen Zahlen der Cannabisgebraucher denen der meisten anderen Länder oder übertreffen sie sogar. In der ganzen Welt stieg der Gebrauch von Cannabis in den 60er und 70er Jahren, sank in den 80er und erhöhte sich in den 90er Jahren wieder – und zwar unabhängig von der Cannabispolitik in den einzelnen Ländern.73 Verglichen mit den Staaten, die an einer harten Strafverfolgung festhielten, blieb der Gebrauch in den elf US-Staaten, die den Besitz von Cannabis in den 70er Jahren entkriminalisier-Staaten, die den Besitz von Cannabis in den 70er Jahren entkriminalisierten, gleich.74

In den USA ist die öffentliche Unterstützung der Cannabisprohibition im Schwinden begriffen. Einer neueren Erhebung zufolge befürwortete die Hälfte der Erwachsenen bezüglich des Gebrauchs und Besitzes von Cannabis eine Aufhebung strafrechtlicher Maßnahmen.75 Der Anteil derer, die für eine vollständige Legalisierung von Cannabis eintreten, nahm seit 1990 eine vollständige Legalisierung von Cannabis eintreten, nahm seit 1990 kontinuierlich zu und hatte 1995 den Stand von 25% erreicht.76 48% der Schüler des 12. Highschool-Jahrgangs sind übereinstimmend der Meinung, dass der Besitz und Gebrauch von Cannabis nicht länger als Straftatbestand zu behandeln sei, und 30% befürworten eine Legalisierung.77 Bei den Schülern des 9. Highschool-Jahrgangs erhöhte sich der Wunsch nach einer Legalisierung zwischen 1990 und 1995 von 17 auf 34% und verdoppelte sich damit.78 In Bezug auf den Gebrauch von Cannabis als Medizin gaben zwei Drittel der befragten Amerikaner an, dass die Entscheidung den Ärzten und Patienten überlassen werden sollte, ohne dass sie dadurch Gefahr laufen, rechtlich belangt werden zu können.79

Wie eh und je sind Eltern dagegen, dass ihre Kinder Cannabis konsumieren. Dennoch sind sie keineswegs überzeugt, dass es sich bei Cannabis um eine gefährliche Substanz oder eine »Einstiegsdroge« handelt, die zum Konsum anderer illegaler Drogen verleitet. De facto schätzen sie Cannabis als weniger riskant ein als die meisten anderen Drogen – inklusive Alkohol und Tabak.80

Inzwischen machten mehr als 70 Millionen US-Amerikaner Erfahrungen mit Cannabis. 35% von ihnen sind 26 Jahre oder älter. Ein Fünftel raucht nach wie vor – zumindest gelegentlich – Cannabis.81 Cannabis ist die am meisten gebrauchte illegale Droge in den USA und die einzige aller illegalen Drogen, die von weiten Kreisen konsumiert wird. Der Gebrauch von Cannabis ist in allen Regionen des Landes und bei Menschen sämtlicher sozialer Schichten üblich – bei allen Ethnien, Berufsgruppen, Religionen und politischen Schattierungen. In maßgeblicher Hinsicht wurde der Gebrauch von Cannabis mittlerweile zu einem »normalen« Bestandteil der Kultur. Seinen abwegigen Ruch verdankt diese Substanz allein der fortgesetzten Kriminalisierung.82, 83, 84

Epilog

Schon immer gab es Geschichten und Mythen über die Wirkung der Pflanze Cannabis (sativa bzw. indica), die von vielen Völkern unserer Erde verehrt und deren Konsum zu kulturellen und rituellen Anlässen selbstverständlich war und ist. Und so alt wie die Geschichte der Cannabisprodukte und ihrer kulturellen Nutzung ist, so alt sind auch etliche Mythen und Sagen, die Menschen vom Genuss jener Droge abhalten sollen. Denken wir nur an die Verfolgung der Haschisch rauchenden Libanesen in Ägypten oder an die Diskriminierung der Smyrna-Griechen in der Türkei, zu deren Riten der Cannabiskonsum gehörte.

Die Professionalisierung gegen den Cannabiskonsum hat aber ihren Ursprung im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika. Dort war das »Killerweed«, wie die Droge genannt wurde, die einzige und preisgünstige Abwechslung im harten Leben der mexikanischen Landarbeiter, die für ein karges Salär von morgens bis abends mit ihrer Arbeit das amerikanische Land bewirtschafteten, selbst aber nur im »Windschatten« des Aufschwungs (über)leben durften. Auch die schwarzen Arbeiter fanden gefallen an den »Reefer«, wie sie die zu Zigaretten verarbeiteten Cannabisblätter nannten. Die Empörung der weißen Bevölkerung kannte keine Grenzen. Auf Initiative des Drogenbeauftragten der Vereinigten Staaten Harry Anslinger sowie mit Hilfe der Behörden einflussreicher Kongressabgeordneter und der Medien wurden seit 1934 Anti-Drogen-Initiativen und eine Cannabis-Prohibitions-Politik betrieben, die bis heute anhält. Ein Mittel, das genutzt wird, um die amerikanische Bevölkerung von den Vorteilen einer Cannabisabstinenz und einer repressiven Drogenpolitik zu überzeugen, ist die Verbreitung und Aufrechterhaltung von abschreckenden Mythen, die ihre Wirkung, wie man an der gegenwärtigen Drogendiskussion erkennen kann, nicht verfehlt. Ein Phänomen, zu dem man Parallelen in der europäischen Auseinandersetzung feststellen kann. Je unreflektierter sich diese Aussagen im Denken vieler manifestieren und kontinuierlich weiterverbreitet werden, desto mehr ist es von Nöten, dass sich die Wissenschaft dieser Thematik annimmt und Fakten schafft. Denn solange keine Hinterfragung auf der Basis empirischen Wissens stattfindet, bleiben jene »Storys« die einzigen Erklärungsansätze, die nachweislich mehr Schaden für den Einzelnen anrichten, als Vorteile für eine Allgemeinheit schaffen.

John P. Morgan und Lynn Zimmer, zwei international anerkannte Wissenschaftler aus New York, haben mit der Veröffentlichung ihrer Studie »Marijuana Myths – Marijuana Facts« nicht nur ein Werk erarbeitet, dass lückenlos, empirisch und nachvollziehbar aufklärt und mit Vorurteilen aufräumt, die bisher von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Sie haben auch ein Standardwerk geschaffen, das selbst Cannabisgegner zu einer Neupositionierung in ihrer Drogenpolitik verpflichtet.

Diese deutschsprachige Ausgabe war seit langem überfällig und ist durch die Zusammenarbeit von nunmehr drei exzellenten Wissenschaft-1er /innen entstanden. Damit meine ich neben den Autoren John P. Morgan und Lynn Zimmer, als Dritte im Bunde, die fachkundige Übersetzerin und forschende Wissenschaftlerin, unter anderem in Sachen »Drogenmythen«, Claudia Müller-Ebeling. Als Claudia mir von ihrem Vorhaben erzählte, wurden in mir wieder Erinnerungen wach, wie meine Zusammenarbeit mit John P. Morgan begonnen hatte …

Als ich am Morgen des 7. Februar 1994 zum ersten Mal den Raum 504 der New York City Collage Medical School in Harlem betrat, bot sich mir ein Bild des Grauens. In der Nacht hatte ein Schneesturm über New York gewütet und die Fenster jenes Raums mit Macht aufgedrückt, Akten, Aufzeichnungen, Manuskripte durcheinander gewirbelt, Bilder von der Wand und Exponate aus den Regalen fallen lassen und zu guter Letzt mit einer Schneeschicht bedeckt. In der Mitte des Zimmers und des Durcheinanders stand, wie ein Fels in der Brandung, noch unsicher darüber, ob es sich vielleicht um ein Trugbild handeln könnte, Professor Dr. John P. Morgan.

Das war der erste Tag unserer Zusammenarbeit. Der Schaden war schneller behoben als es zuerst aussah und ich konnte mit meiner Recherche in New York beginnen, die von John kritisch begleitet wurde. Zwei Monate arbeitete ich unter seiner Aufsicht und mit seiner Hilfe an meinem Drogenprojekt, besuchte ich Veranstaltungen, Vorlesungen und Seminare, die John zusammen mit seiner Kollegin Lynn Zimmer und dem Kollegen Harry G. Levine in der Universität durchführte. Zu John P. Morgan und Lynn Zimmer kann ich sagen, dass ich bis dahin wenig Personen kennen gelernt hatte, die so engagiert, kompetent und mit so einem phänomenalen Fachwissen in der Lage waren, selbst komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge schriftlich festzuhalten und zu vermitteln, wie auch in diesem Buch. Sie sind Wissenschaftler, die entgegen aller moralischen und politischen Widerstände ihren Weg kontinuierlich fortsetzen. Ihre Widersacher, von denen es allein in den USA nicht wenige gibt, werden durch die empirisch genauen Analysen ins Abseits gestellt und deren oft einseitige politische Interessen entlarvt. Während meiner gemeinsamen Zeit mit John und Lynn, mit denen ich heute noch in Kontakt stehe, durfte ich miterleben, welchen Erfolg eine sachliche Aufklärungsarbeit zum Thema Cannabis selbst in den puritanischen USA hat. Am 19. Februar 1994 wurde von angesehenen und bekannten Ärzten zum ersten Mal öffentlich in der NEW YORK TIMES die Freigabe von Cannabisprodukten gefordert, um Krebspatienten nach einer Chemotherapie adäquat behandeln zu können. Der Artikel wurde von vielen Lesern positiv aufgenommen.

Ich wünsche Lynn Zimmer, John P. Morgan und Claudia Müller-Ebeling sowie Mathias Bröckers, dem Herausgeber der deutschen Ausgabe, und nicht zuletzt allen Menschen, dass diese deutschsprachige Veröffentlichung auch in Europa die angespannte und oft nur noch ideologisch geführte Diskussion sachlicher macht, damit endlich positive Veränderungen im Umgang mit Cannabisprodukten folgen, was durch die Internationalisierung der Drogenpolitik im Rahmen der gegenwärtigen Globalisierungsstrategien immer schwieriger wird.

 

Lüneburg, im Februar 2004
Wolf-Reinhard Kemper (Kriminologe)