cover
Anna Martach

Alpendoktor Daniel Ingold #20: Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 20

von Anna Martach

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 103 Taschenbuchseiten.

 

St. Antonius, die katholische Kirche von Hindelfingen, muss dringend restauriert werden, doch dieses Unternehmen steht unter keinem guten Stern. Als mehrere junge Menschen in der Kirche kollabieren, steht Daniel Ingold vor einem vertrackten Rätsel. Werden Pfarrer Feiningers Gebete letztlich erhört werden? Unterstützung erhält er von der ganzen Gemeinde, die für St. Antonius kämpft.

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de



1

Die St. Antonius-Kirche zu Hindelfingen war in früheren Zeiten ein richtiges Schmuckstück gewesen. Aus schweren wuchtigen Sandsteinquadern erbaut, stand sie in der Mitte des ursprünglichen Ortskerns, der Turm ragte hoch in den Himmel, und die beiden schweren Glocken riefen regelmäßig die Gläubigen zur Messe.

Jetzt aber hatte ein schwerer Schlag die Kirche und damit auch Pfarrer Raphael Feininger getroffen. Die Bauordnungsbehörde hatte das Betreten des Glockenturms untersagt, der Weg hinauf war nach Ansicht der Beamten derart baufällig, dass er zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit wurde. Widersinnig an dem Ganzen war nur, dass der Glockenstuhl selbst stabil war. Es bestand nicht die Gefahr, dass die beiden tonnenschweren Glocken aus Bronze sich aus der hölzernen Verankerung lösten und zu einem Unglück führten. Das dicke unverwüstliche Eichenholz, das die Baumeister vor mehr als vierhundert Jahren benutzt hatten, trotzte allen Belastungen, verwitterte nicht und hielt fest. Nur der Zugang, über hölzerne Treppen und bröckelnde Mörtelplatten, genügte den Ansprüchen der Baubehörde nicht mehr.

Längst schon hatte der Geistliche eine Sammlung gestartet, denn auch der Innenraum der Kirche, geschmückt mit Fresken, Stuck und Statuen, bedurfte dringend der Erneuerung.

Doch woher sollte das Geld kommen? Freilich, die Leute hier aus Hindelfingen waren durchweg bereit, ihre Kirche zu unterstützen, die Spenden flossen reichlich, und selbst im Wartezimmer von Doktor Ingold stand ein kleines Modell der St. Antonius Kirche, in dem Spenden gesammelt wurden und das stets großzügig gefüllt wurde. Aber eine Renovierung und auch Restaurierung war teuer, sie kostete mehr, als die Gemeinde sich leisten konnte, selbst wenn Pfarrer Feininger mit einigem Geschick Sonderpreise vereinbaren konnte.

Er befand sich jetzt ganz allein in der Kirche, kniete vor dem Altar und sprach voller Inbrunst lautlos ein Gebet. Sein Blick wanderte anschließend über die dunkel verfärbten Fresken, weiter über die Stationen des Kreuzwegs, die in wunderschönen Gemälden dargestellt waren, weiter hin zur Apsis, einem Seitenaltar, in dem die besondere Verehrung der Heiligen stattfand. Hier befand sich sogar eine Pieta, die einen ebenfalls traurigen Anblick bot und dringend der Hand eines Restaurators bedurft hätte. Nun ja, die ganze Kirche hätte eines Wunders bedurft, dachte der Pfarrer etwas wehmütig.

Er spürte plötzlich die Anwesenheit eines anderen Menschen und drehte sich um. Doktor Daniel Ingold stand im Gang, hatte den Kopf gesenkt und wartete geduldig darauf, dass der Priester seine Zwiesprache mit Gott beendete.

„Kann ich was für dich tun, Daniel? Möchtest beichten, oder einfach nur mit unserem Herrgott reden?“, fragte der Pfarrer sanft.

„Mit dem red’ ich öfter, als S’ das glauben würden. Aber ich hab zwei andere Gründe, die mich hierher führen.“

Feininger verzog das Gesicht. Den einen dieser Gründe kannte er wohl recht gut. Die jährliche Kontrolluntersuchung war fällig, und er schob diesen Termin immer vor sich her, fleißig darum bemüht, die Untersuchung am besten ganz zu vergessen. Leider besaß Daniel ein recht gutes Gedächtnis und einen noch besseren Terminkalender namens Minchen, da konnte einfach nichts vergessen werden.

Daniel grinste, als er das Gesicht sah, der Mann wusste also ganz genau Bescheid, da konnte er sich eigentlich jedes weitere Wort zu diesem Thema sparen. Oder doch nicht ganz.

„Ich hab am Montag einen Termin fest eingeplant, soll ich von Minchen ausrichten“, erklärte er.

„Na, wenn’s denn sein muss. Ich möcht’ nur mal wissen, wer in seiner unverständlichen Weisheit jährliche Untersuchungen angeordnet hat, obwohl ich mich doch ganz gesund fühl’“, murrte der Pfarrer.

„Das ist ja auch nur, damit es so bleibt. Aber da ist noch was anderes, was ich gern mit Ihnen bereden würd’, sonst hätt‘ ich das mit dem Termin durchaus unserem tüchtigen Minchen überlassen. Schauen S’, ich hab gehört, dass der Glockenturm gesperrt wurde. Und vermutlich hat die Kirche net so viel Geld, um das alles zu bezahlen, selbst wenn der Bischof aus dem großen Topf noch was drauflegen tät’. Da hab ich mir so gedacht, dass es vielleicht ganz klug wär’, wenn man jemanden hätt’, wo man mal einen Gefallen einfordern könnt.“

„Mein lieber Daniel, hast zwar vielleicht eine gute Idee, aber so teure Gefallen, allein um Gotteslohn oder so, kann net mal die Kirche einfordern.“

Der Doktor lächelte. „Ich hab ja auch net gesagt, dass die Kirche das einfordern soll. Nein, ich kenn’ da jemand, dem ich mal geholfen hab, daraufhin hat er mir versprochen, alles zu tun, was ihm möglich ist, wenn ich jemals Hilfe brauchen sollt’. Nun gut, ich denk’, ich kann das einfach net zulassen, dass unsere Kirche in einem so desolaten Zustand ist. Deswegen hab ich denjenigen angerufen und gefragt, ob da was zu machen ist. Nun ja, Herr Pfarrer, wenn S’ denn einen Antrag auf eine Baugenehmigung stellen wollen – der Turm wird kostenlos eingerüstet, und der Kirchenraum von innen auch. Außerdem kommen von der Uni zwei Restauratoren mit einer Gruppe Studenten, die die Fresken und was weiß ich noch, recht günstig in Ordnung bringen. Aber das Material müssen S’ schon noch selbst bezahlen. Ich denk mir auch, das dürft’ Ihren Gesundheitszustand beträchtlich verbessern, damit S’ sich auch weiterhin prächtig fühlen.“

Feininger schaute den Alpendoktor an, als habe der gerade den Weltuntergang für den nächsten Tag verkündet.

„Das ist net wahr, Daniel. Du nimmst einen armen alten Pfarrer auf den Arm, und das ist net freundlich von dir.“ Der Priester wollte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Das war ja genau das Wunder, um das er kurz zuvor gebetet hatte. Aber die Erfüllung solcher Wunder gab’s nur im Märchen oder im Roman, in der Wirklichkeit passierten nun einmal keine Wunder – oder nur selten.

„Würd’ ich S’ jemals belügen, noch dazu mitten vor dem Altar?“, fragte Daniel scheinbar gekränkt.

„Dann sagst mir jetzt erst einmal, was an deiner Geschichte wirklich stimmt, und was du erfunden hast, um mich aufzuheitern.“

„Gar nix hab ich erfunden“, beteuerte der Doktor noch einmal geduldig. „Also wirklich, manchmal denk’ ich, dass selbst ein Pfarrer net mehr genug Vertrauen in die Menschheit hat. Da können S’ mir jedes Wort von glauben.“

Skeptisch runzelte Feininger die Stirn, diese Geschichte war einfach zu schön, um wahr zu sein.

„Wo’s um Geld geht, hören Menschlichkeit, Güte und Freundlichkeit auf, die Erfahrung hab ich in vielen Jahren gemacht, also erzähl mir besser nix davon.“

Daniel seufzte. „Genau so ist’s aber. Nur – ich muss natürlich eine Einschränkung machen, denn selbst solche großzügigen Angebote haben einen Haken. Diejenigen, die hier arbeiten werden, sind in erster Linie Leut’, die noch in der Ausbildung stehen. Manches wird also sehr langsam gehen, und manchmal mag’s auch net ganz richtig sein. Wenn S’ damit net einverstanden sein können ...“

„Bist wohl stad? Als ob das eine Rolle spielt, wenn mir hier ein Wunder in den Schoß gelegt wird.“ Der Pfarrer war noch immer ganz fassungslos. Natürlich hatte er geträumt, dass so was mal passieren könnte, aber zwischen Traum und Wirklichkeit klaffte in der Regel doch ein großer Abgrund.

„Ich glaub’, ich muss mich setzen. Ich glaub`s ja immer noch net. Wie hast das nur geschafft, Daniel? So eine Dienstleistung kostet in jedem Fall ein Vermögen, auch wenn ich nur das Material bezahlen muss. Ich weiß gar net, wie ich das wieder gut machen soll. Ach herrjeh, mein Herz stolpert richtig, so aufgeregt bin ich.“

„Na, dann wird’s tatsächlich Zeit, dass ich mir das mal anschauen muss. Wir sehen uns also am Montag. Und wegen der notwendigen Formalitäten für das Generalvikariat und die Baugenehmigung setzen S’ sich am besten mit diesen Leuten hier in Verbindung.“

Daniel gab dem Pfarrer ein Blatt Papier, auf dem die Adressen der Firma und der Universität mit dem bereitwilligen Professor verzeichnet waren, dann verschwand er mit einem letzten respektvollen Blick auf den Altar. Als Mediziner war er nicht immer der Meinung, dass Gott für alles verantwortlich war, was den Menschen wiederfuhr. Doch er hatte schon oft die Erfahrung gemacht, dass es eine höhere Macht gab, deren Wirken nicht immer zu erklären war. Aber der Mensch an sich konnte viel selbst tun, um sich nicht hilflos treiben zu lassen.

Der Alpendoktor hatte jetzt keine Zeit mehr, um noch länger darüber nachzudenken, seine Pflicht rief.



2

In erstaunlicher Schnelligkeit waren die bürokratischen Hindernisse aus dem Weg geräumt worden. Es schien fast, als würde sich das schier unglaubliche Wunder auf alles ausdehnen, was mit St. Antonius zu tun hatte. In Rekordzeit war der Glockenturm eingerüstet worden, und die ersten Arbeiten zur Sanierung des Aufgangs waren bereits angelaufen. Was machte es dann schon, dass draußen auf dem Kirchplatz die schönen gepflegten Blumenrabatten den Baumaschinen und dem Material hatten weichen müssen? Blumen konnten neu gepflanzt werden, aber die Chance zur Renovierung für Gotteslohn gab es nur einmal.

Noch viel wichtiger war die Tatsache, dass auch im Innenraum die Arbeiten schon begonnen hatten. Die lange Wand des Kirchenschiffs war ebenfalls eingerüstet worden, allerdings gab es hier ein transportables Gerüst, was je nach Bedarf an die Stellen versetzt werden konnte, wo es gebraucht wurde. Außerdem war es in der Höhe verstellbar und bot damit vielfältige Möglichkeiten. Von der Universität waren Professor Haberer und seine Assistentin Doktor Marga Langner angereist. In ihrem Schlepptau befanden sich sechs Studenten, die voller Feuereifer mit der Arbeit beginnen wollten.

Pfarrer Feininger wich gar nicht mehr aus seiner Kirche und wusste eigentlich gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Wie Daniel vorhergesagt hatte, handelte es sich bei den Helfern um junge Leute, die noch in der Ausbildung standen oder gerade damit fertig waren. Alle aber waren voller Neugier und Enthusiasmus, wie man es lange nicht erlebt hatte. Zur Überraschung des Priesters hatte sich auch ein alter Baumeister gefunden, eigentlich schon lange pensioniert, aber mit dem festen Willen, noch etwas Sinnvolles zu tun. Er würde die Arbeiten beaufsichtigen und, falls notwendig, helfend eingreifen. Er war mit einem ungeheuren Wissen und noch mehr Erfahrung gesegnet, da machte es nicht viel, dass er sich etwas knurrig gab und seine Anweisungen mitunter barsch kamen. Doch keiner der jungen Männer, die den Glockenstuhl bearbeiten sollten, nahm seine Art übel. Alle schienen ganz im Gegenteil sogar begierig, etwas von ihm zu lernen und von dem reichen Wissen zu profitieren.

Ganz ähnlich ging es zu bei der Restauration der Fresken im Innenraum. Professor Haberer hatte die ausgebleichten Malereien gemustert und traurig den Kopf geschüttelt.

„Eine Schande ist das“, war sein Kommentar dazu gewesen. „Da werden Unmengen an Geldern aus dem Fenster geworfen, um völlig unnütze, sogenannte Kunstwerke – Schmierereien in meinen Augen – hinter Glas und mit viel Aufwand durch das ganze Land zu kutschieren, während hier die wirklichen Kunstwerke vergammeln müssen, weil nicht genug finanzielle Mittel vorhanden sind. Es wird Zeit, dass daran etwas geändert wird. Marga, das hier ist die Herausforderung unseres Lebens. Was können S’ mir über Freskenmalerei sagen, damit unsere Studenten ihr hoffentlich angelesenes Wissen noch einmal auffrischen?“

„Fresken sind Wandmalereien, die auf feuchten Mörtel aufgetragen werden, im Gegensatz zur Secco-Malerei. Es wurde meist mit Farben aus der Natur, also Mineralien oder Pflanzen, gearbeitet. Sobald der Maler zu langsam war, musste der an diesem Tag nicht bemalte Mörtel wieder abgekratzt werden, weil es sonst beim neuen Ansätzen am nächsten Tag Spuren hinterlassen hätte.“ Sie deutete auf die Wand, in ihrem Blick lag Bewunderung. „Hier gibt es fast keine Ansätze zu sehen, der Maler war ein Meister seines Fachs.“

„Sehr gut, Marga“, meinte der Professor, der offenbar erwartete, dass jedermann auf seine Fragen wie aus der Pistolen geschossen antwortete. Natürlich wusste Doktor Marga Langner ganz genau, was ein Fresko war, sie hatte schon hunderte davon begutachtet. Für einige der Studenten schien diese Information jedoch relativ neu, denn eine der jungen Frauen verzog das Gesicht.

„Feuchter Mörtel? Kein Mensch kann auf feuchten Mörtel malen, die Farben verlaufen.“

Der Professor hob dozierend den Zeigefinger und deutete auf die Wände ringsum.

„Jeder Maler hatte seine eigene Mischung an Farben, manchmal wirklich etwas abenteuerlich, manchmal auch gesundheitsschädlich. Doch nach dem Trocknen waren die Farben recht widerstandsfähig, hell und leuchtend. Sie überdauerten Jahrhunderte, wie wir hier sehen können. Doch im Laufe der Zeit verblasste auch die beste Mischung. Deshalb sind wir hier, Herrschaften. Unsere Aufgabe wird es sein, diesen traurigen Gebilden an den Wänden wieder zur Farbe und Frische, und damit zu neuem Leben, zu verhelfen. Das heißt net, dass wir selbst wie beim Malen nach Zahlen loslegen. Wir werden zunächst die Schicht aus Schmutz, Alter und Ablagerungen entfernen, und damit holen wir schon einen großen Teil der ursprünglichen Schönheit wieder ans Tageslicht. Doktor Langner wird Ihnen genau Ihre Arbeiten zuweisen. Und ich verlange ausdrücklich, dass ein jeder von Ihnen wortwörtlich alles befolgt, was Ihnen aufgetragen wird.“

Am Anfang hatte Professor Haberer die Arbeiten noch streng überwacht. Der Koffer, in dem sich die Utensilien befanden, mit denen man die verschiedenen Schichten und Ablagerungen auf den Fresken entfernen wollte, wirkte nach dem Öffnen wie ein chemisches Labor. Feininger hoffte, dass der Professor und seine Assistentin wirklich wussten, was sie taten.

Im Innern der Kirche jedoch schien alles im Schneckentempo voranzugehen. Marga hatte spezielle Tücher aus dem Koffer genommen, diese wurden mit seltsam riechenden Chemikalien behandelt, dann auf die Wand aufgebracht, wo sich die verbleichten Fresken befanden, dann wurden an unauffälliger Stelle Proben von der Wand entnommen und mikroskopisch untersucht. Und das alles sollte helfen?

Feininger konnte nicht wissen, dass die Sorge um die Fresken in nächster Zeit sein kleinstes Problem sein sollte.