Die G7 –

das sind Kröte, Jonas, Würmchen, Xiaoli, Lukas, Maike und ihr Hund Sir Gustav Lancelot, die dem Verbrechen den Kampf angesagt haben.

Der Name „Göttinger Sieben“ geht auf sieben Göttinger Professoren zurück, die im 19. Jahrhundert Mut und Zivilcourage gegenüber dem König von Hannover zeigten so wie heute die G7 gegenüber den Gangstern.

Die Göttinger Sieben - ihr Name ist Programm.

Ach ja, was man noch wissen sollte…

Die Geschichte spielt natürlich in Göttingen. Die Stadt liegt in der Mitte Deutschlands; genauer in Südniedersachsen an der Grenze zu Hessen und Thüringen.

Sie hat ca. 125 000 Einwohner, gehört zu den schönsten Städten Deutschlands… und hat natürlich die besten Detektive der Welt.

Inhaltsverzeichnis

Eine harte Entscheidung

»Jetzt werden hier mal andere Seiten aufgezogen«, schrie Krötes Mutter erbost. Kleine rote Flecken zeichneten sich auf ihrem wütenden Gesicht ab. Die Ader an ihrer Schläfe pochte so deutlich, dass Kröte befürchtete, seine Mutter würde gleich einen Schlaganfall bekommen. Ihre kräftige Stimme als Opernsängerin konnte mit dem Gebrüll der Löwen im Zoo locker mithalten. »Ich habe mir das ein halbes Jahr lang angeguckt. Jetzt reicht’s!«

»Soll ich dafür bestraft werden, dass ich versetzt worden bin?«, fragte Kröte überrascht. »Wenn ich die Klasse wiederholt hätte, wäre mir der Kram erspart geblieben.«

»Du weißt doch ganz genau, weshalb das passiert ist. Wenn dir nicht Frau Krüger gnädigerweise noch eine Vier gegeben hätte, wärst du sitzengeblieben.«

»Aber…«

»Nichts aber. In den Pfingstferien hast du mir erzählt, dass deine Nachhilfe plötzlich krank geworden sei. Kurz darauf hast du dir einen Arm gebrochen und konntest nicht schreiben. Während der gesamten Sommerferien war das Mädchen angeblich im Urlaub.« Frau Sapowski ballte eine Faust, dann fasste sie sich an den Kopf. »Immer diese Ausreden. Ich bin doch nicht blöd. Und der blaue Brief ist auch noch nicht vergessen, den du wochenlang vor uns versteckt gehalten hast. Wer weiß, was du uns noch vorenthältst?«

Mit dieser Vermutung hatte sie nicht ganz Unrecht. Noch immer lag eine Physikarbeit hinter zusammengeknüllten Zeitungspapieren unter Krötes Bett versteckt. Sie steckte mitten im Englischheft, an dessen Rand sich ebenfalls diverse rote Zeichen befanden. Seine Englischlehrerin hatte ihm die Arbeit mit den Worten zurückgegeben, dass er ihr eigentlich einen neuen Rotstift besorgen müsse, weil die Mine ihres Stiftes bei der Korrektur seiner Arbeit leer geworden war. Hatte er noch bei den Worten seiner Deutschlehrerin, dass seine Note im Diktat eher eine 8 als eine 6 sei, innerlich gelacht, so war ihm jetzt das Lachen vergangen. Grauselig! Dabei war Kröte eigentlich kein schlechter Schüler. Nur interessierte ihn der Unterrichtsstoff äußerst selten. Lieber las er Krimis oder Comics.

»Würmchen könnte mir doch…«

»Nix da. Und damit auch nicht wieder angeblich jemand krank wird, der dir dann bedauerlicherweise keine Nachhilfe mehr geben kann, habe ich dich bei einer Schule angemeldet.«

»An einer Schule?«

»In dieser neuen Nachhilfeschule, die vor zwei Wochen eröffnet hat.« Kröte presste beleidigt die Lippen aufeinander. Dann brummte er halblaut und etwas bockig: »Nie was von gehört. Und wie komme ich dahin?«

»Mit dem Bus, mit deinem Fahrrad oder zu Fuß.«

Das Mathe-Heft mit der Fünf drohte nass zu werden, denn Kröte rollte eine Träne über die Wange. Was hatte er nicht alles probiert: Spicken, Ohnmachtsanfall, Austausch der Arbeit mit Würmchens und zu guter Letzt hatte er sogar den Notizblock des Lehrers versteckt und das alte Festnetztelefon seiner Eltern lautlos gestellt, als ihm sein Klassenlehrer Herr Helmer angekündigt hatte, dass er am Abend bei Kröte zu Hause anrufen wolle. Es waren noch nicht einmal wieder sechs Wochen Schule und der ganze Ärger mit den schlechten Noten begann von vorn. Was hatte er sich nicht alles vorgenommen! Tägliches Vokabelüben sowie regelmäßiges Wiederholen alter Mathe- und Physikaufgaben. Doch das war alles schnell in Vergessenheit geraten, nachdem er es gerade noch so geschafft hatte, in der Klasse zu bleiben. Auch die Ferien hatte Kröte für die Aufklärung von Geheimnissen und für spannende Abenteuer genutzt, aber eben nicht für die Schule.

Dummerweise hatte seine Mutter seine Lehrerin Frau Krüger auf dem Markt beim Einkaufen getroffen. Diese hatte ihr von den zwei Fünfen berichtet, die Kröte ihr bis dahin verschwiegen hatte. Die Arbeiten befanden sich seit gut einer Woche in der gut getarnten Klappe hinter dem Kleiderschrank versteckt und drohten dort zu verstauben.

Zuvor hatte Frau Krüger ein überraschend starkes Engagement gezeigt und versucht Krötes Eltern zu erreichen. Als das mehrmals nicht klappte, hatte sie bei Herrn Helmer nachgefragt und dabei erfahren, dass es diesem ähnlich ergangen war, denn auch er konnte Krötes Eltern weder telefonisch noch per Post erreichen.

War es Kröte noch gelungen, den blauen Brief seines Lehrers aus der Schule heimlich abzufangen, kam die Begegnung auf dem Wochenmarkt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Seitdem sein Vater wieder im Haus eingezogen war, gab es für Kröte auch keinen Zufluchtsort mehr, an dem er sich bis zur Beruhigung der Lage hätte aufhalten können. Der Dachboden bei Jonas‘ Eltern oder die Garage bei Maikes Eltern waren auf Dauer auch keine ernstzunehmende Alternative.

Die Alarmstufe rot, nein dunkelrot, schien nicht mehr abzuwenden zu sein. Die gesamten Werke seiner kreativen Flunkereien, die Kröte seinen Eltern in den letzten Wochen aufgetischt hatte, drohten zusammenzubrechen. Darüber hinaus hatte er so gar keine Lust, zu dieser Nachhilfeschule zu gehen.

»Aber Würmchen könnte doch diesmal wirklich…«, begann er erneut, aber seine Mutter schüttelte hartherzig und kompromisslos den Kopf. Dabei atmete sie tief ein. Sie hielt für einen Moment die Luft an und stieß sie dann mit geschlossenen Augen durch den Mund langsam aus. Dazu presste sie die Daumen gegen ihre Zeigefinger. Dies sollte ihr helfen, Stress abzubauen. Eine Methode, die man ihr in ihrer Selbsthilfegruppe für geplagte Mütter beigebracht hatte. Obwohl ihre Gesichtsfarbe immer noch einer Mischung aus Tomate und Feuermelder ähnelte, sah sie Kröte ruhig an. Sie atmete erneut ein und hauchte mit betont sanfter Stimme: »Das wird doch nichts. Sieh es doch mal als Chance. Du bekommst die Möglichkeit mit jemand Kompetentem den Unterrichtsstoff zu wiederholen.«

Kröte sah seine Mutter mürrisch an. Als eine Chance sah er das nun gar nicht an. Eher als Freiheitsberaubung und Folter. Doch seine Mutter fuhr ungerührt fort:»Vielleicht können sie dir dort endlich mal deine komischen Detektivgeschichten austreiben. Werd doch mal erwachsen! Andere Jungen in deinem Alter interessieren sich für Sport und Mädchen. Du offensichtlich nur für Verbrechen.«

Kröte wollte sich auf so eine Diskussion nicht einlassen. Dieses Thema hatte er schon bei diversen Gesprächen über sich ergehen lassen müssen. Seine Mutter hatte so gar kein Verständnis für seine mitunter gefährlichen Abenteuer. Statt mit seinen Freunden Gangster zu jagen, sollte er lieber zu Hause bleiben und dort abgeschottet lernen.

»Und wie lange soll ich da hin?«, maulte er.

»Solange, bis du in der Schule wieder bessere Noten bekommst.«

»Also bei einer Vier in Mathe…«

»Fang jetzt bitte nicht an zu handeln. Du gehst da erst einmal ein halbes Jahr hin. Dann werden wir weitersehen…«

»Ein halbes Jahr?« Kröte stiegen schon wieder Tränen der Wut in die Augen. Das hörte sich schlimmer an als eine Langzeitfolter bis in die Ewigkeit.

»Also auf alle Fälle bis Weihnachten.«

»Waaaas? Und...«

»Keine Widerrede. Frau Krüger hat mich kurz nach unserem Gespräch angerufen. Sie hat ihre guten Beziehungen spielen lassen und einen Termin für dich gemacht. Sei froh, dass sie sich für dich so einsetzt.«

»Aber ich muss doch noch…«

Frau Sapowski schüttelte energisch den Kopf. »Ab morgen Nachmittag geht’s los. Keine Widerrede und keine Ausreden! Basta!«

Fehlende Einsicht

»Das musste ja irgendwann mal so kommen«, sagte Jonas am nächsten Tag in der Schule. Er legte mitleidig seine Hand auf Krötes Schulter und klopfte ihm dann aufmunternd mit den Fingern auf den Oberarm.

»Wird schon nicht so schlimm werden.«

»Nicht so schlimm? Wann soll ich denn dann die Krimis und Comics lesen, die mir mein Onkel mitgebracht hat?«

»Die kannst du mir erst mal zur Aufbewahrung geben. Ich erzähl dir dann in der Schule, um was es in den Geschichten geht. So verpasst du nichts.«

Kröte zog eine Flappe. »Sehr witzig.«

»Kopf hoch, Kröte«, versuchte Jonas ihm Mut zu machen. »Zu Weihnachten machst du Würmchen als Notenkönig Konkurrenz.«

Kröte schüttelte missmutig den Kopf. »Das Geld für diesen Laden ist völlig rausgeballert.«

»Was kosten denn da die Stunden?«

»Keine Ahnung! Aber meine Mutter meint es ernst. Und wenn sie es ernst meint, dann ist ihr der Preis egal…«

»Oh je, das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Jonas und dachte an die Situationen, in denen er miterlebt hatte, mit welchen Mitteln Frau Sapowski ihren starken Willen durchzusetzen pflegte. Ihre Stimme klang dann nach einer Mischung aus Nebelhorn, Düsenjäger und Löwengebrüll. In diesen Momenten war mit ihr schlecht Kirschen essen. »Mit der ist nicht zu spaßen. Und was sagt dein Vater?«

»Der sagt gar nichts. Der hockt den ganzen Tag im Garten und bereitet sich auf die Deutsche Meisterschaft im Grillen vor. Er ist froh, wenn ihn meine Mutter in Ruhe brutzeln lässt.«

»Na super.« Jonas prustete. »Da besteht wohl keine Solidarität zwischen Vater und Sohn.«

»Nee. Keine Spur. Der rät mir immer nur die Schule gut zu beenden, damit ich später nicht solche Jobs machen müsse wie er.« Herr Sapowski hatte bereits mit diversen Tätigkeiten Geld verdient. Leider jedoch oft nicht viel. Es gab so gut wie keinen Aushilfsjob, den er noch nicht gemacht hatte. Nach der Trennung von seiner Frau trieben ihn seine Geldsorgen sogar ins Ausland. Doch auch dort waren seine Engagements nur von kurzer Dauer gewesen.

Nun übte er bei herbstlichen Temperaturen für die Deutsche Meisterschaft im Grillen, bei der ein stattliches Preisgeld zu ergattern war. Er plante, seine bei einem Aufenthalt in Indonesien erworbenen Rezepte anzuwenden und damit die Jury zu überzeugen. In dem asiatischen Land war Herr Sapowski als professioneller Mitfahrer tätig gewesen. In der Hauptstadt Jakarta war es aus Umweltschutzgründen verboten, auf stark befahrenen Strecken nur allein oder zu zweit in einem Auto zu sitzen. Die Regierung glaubte, dass wenn mehr Menschen in einem Auto säßen, weniger Autos auf den verstopften Straßen fahren würden, weil manche Fahrer ihr Auto zu Hause ließen und sich mit anderen Pendlern und Reisenden verabredeten. Doch das Gegenteil war der Fall. Die meisten Fahrer wollten ihr eigenes Auto nicht missen und suchten händeringend Mitfahrer, die sie fürs Mitfahren prächtig entlohnten. So ein Mitfahrer konnte viel Geld verdienen, indem er den ganzen lieben langen Tag über einfach nur von einem Ort in den anderen fuhr und dann wieder zurück. Leichter konnte man kein Geld verdienen. Als Mitfahrer konnte man aus dem Fenster gucken und Menschen und Natur beobachten, Musik hören oder, falls man vom vielen Mitfahren müde war, auch einfach schlafen. Da Herr Sapowski kein Indonesisch sprach, musste er sich noch nicht einmal mit den anderen Autoinsassen unterhalten. Eigentlich ein toller Job, der nach einer Weile aber ziemlich langweilig wurde. Bis er eines Tages einen deutschsprachigen Koch kennenlernte, der ihm alte Grillrezepte verriet.

Kurze Zeit später übernahm Herr Sapowski in Indien den Job als Bettwärmer in einem bekannten Hotel. Seine Aufgabe bestand darin, sich eine Viertelstunde, bevor die Gäste ihr Hotelzimmer betraten, in deren Bett zu legen, damit es die Gäste schön mollig warm unter der Bettdecke hatten und nicht frieren mussten. Leider war er wegen der Zeitumstellung immer sehr müde und schlief zum Unbehagen der Gäste dann laut schnarchend im Bett ein. Einige Gäste hatten daraufhin das Zimmer verlassen und sich lautstark beim Portier beschwert („In meinem Zimmer liegt ein Fremder im Bett.“), worauf ihm dann schnell gekündigt wurde.

In Laos schleppte er sogar ein mobiles Toilettenhäuschen. An einem Balken, den er über die Schulter trug, waren zwei Eimer befestigt, die den Kunden als Toilette dienten. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack mit Toilettenpapier. Schließlich entdeckte ein Tourist seine Qualitäten für den Film. Doch statt nach Hollywood ging es nach Malaysia. Dort imitierte er als Geräuschemacher die Schreie außerirdischer Tiere für Computerspiele, das Quietschen eines Rennwagens und die Laute einer betrunkenen Hummel in einem Trickfilm.

Schließlich arbeitete er in Vietnam als Mückenmagnet. Dazu rieb er sich mit einer Mücken anlockenden Flüssigkeit ein, um so auf Partys dafür zu sorgen, dass die Gäste von den kampflustigen Tigermücken verschont blieben. Allerdings hatte er die Stechlust und die Anzahl der in Vietnam lebenden Mücken mit den weißen Streifen auf Beinen und Rücken unterschätzt. Denn anders als die circa 50 in Deutschland heimischen Mückenarten bevorzugt die asiatische Tigermücke Menschenblut. Und so kehrte Herr Sapowski völlig zerstochen, mit juckenden Quaddeln und viel Berufserfahrung im Gepäck wieder nach Deutschland zurück.

»Und wie oft musst du dann dahin?«, fragte Jonas.

»Das ist ja das Schlimme. Meine Mutter will mich da jeden Tag hinschicken. Die verpulvert unser ganzes Geld für diese Nachhilfeschule.«

»Dann lohnt es sich ja schon fast für dich, da einzuziehen«, überlegte Jonas breit grinsend. Kröte warf ihm einen bösen Blick zu.

»Hättest du dich im letzten Schuljahr mehr angestrengt…«, begann Xiaoli und spiele an ihrer Halskette, an der ein chinesischer Drachen als Anhänger baumelte. Wie gewohnt hatte sie ihre dunklen Haare zu zwei Zöpfen zusammengebunden, die farblich passend zu ihrem bunten T-Shirt und roten Turnschuhen von zwei neonroten Gummis gehalten wurden.

»Habe ich aber nicht«, brummte Kröte, ohne sie ausreden zu lassen. Er wusste, dass Vorschläge im Anmarsch waren, wie er sie von seiner Mutter zur Genüge kannte. Kröte fühlte sich von seinen Freunden unverstanden und ging missmutig nach Hause.

Ein erstes Beschnuppern

Pünktlich um 14:30 Uhr erreichten Kröte und seine Mutter bei strahlendem Sonnenschein den Parkplatz besagter Wissensbrücke. Das Institut war in einer alten verwitterten Villa untergebracht, welche sich ehrfürchtig vor ihnen aufbaute. Eine große Hecke neben dem Parkplatz und hohe Zäune verhinderten, dass man den Boden des Grundstücks sah. Ungebändigter Efeu rankte bis in den zweiten Stock hinauf. Hinter der Kletterpflanze sah man stellenweise dunkles, teilweise zerbrochenes Gestein, das allein schon durch die grüne und braune Farbe abgestorbener Algen schauerlich wirkte. Das Haus wirkte aufgrund seiner Größe irgendwie bedrohlich. Hinzu kam, die teilweise sehr unterschiedliche, aber dennoch meist dunkle Farbgebung der Steine, wodurch seine Faszination durchaus noch gesteigert wurde.

Das Gebäude war von einem Garten umgeben, den die hohen Zäune und ein Teil einer alten Mauer von der Straße trennten. Auf der Innenseite des Mauerwerks war kaum sichtbar ein ineinander geflochtener Stacheldraht angebracht, der die gesamte Begrenzung lückenlos umrandete.

Kröte stieg noch immer missgelaunt aus dem Auto und schnallte sich seinen Rucksack mit den Schulsachen um. Diesen hatte er zunächst absichtlich zu Hause gelassen, doch seine Mutter kannte ihren Sohn zu gut, so dass sie vor der Abfahrt alles noch einmal gecheckt hatte. Wortlos sah sich Kröte um. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Haus standen nur zwei Autos. Seine Mutter hatte ihren Wagen zwischen einem weißen Lieferwagen mit dunklen Scheiben und einem grünen Auto geparkt. Etwas weiter war ein Blumengeschäft, vor dem bunte Schnittblumen in schwarzen, mit Wasser gefüllten Plastikeimern stan den. Kröte wurde von seiner Mutter aus seinen Beobachtungen gerissen, als diese mit großer Freude feststellte, dass gegenüber dem schaurig alten Gebäude eine Bushaltestelle war. »Hier hält die Linie sechs.« »Und in diese Bruchbude soll ich jetzt täglich gehen?«, fragte Kröte entsetzt, nachdem er erneut die Villa kritisch betrachtet hatte. So ganz hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er seine Mutter durch irgendeinen Zufall von ihrem Vorhaben abbringen konnte. Er hatte es doch bisher auch immer mit List und Tücke noch irgendwie in letzter Sekunde geschafft. Nur diesmal wollte ihm partout nichts einfallen.

»Na klar. Warum denn nicht?«, fragte seine Mutter zurück und legte behutsam einen Arm auf Krötes Rücken. »Nun komm schon. Oder soll ich dich tragen?«

Sekunden, nachdem Frau Sapowski die Klingel am Tor gedrückt hatte, wurde ein Summer betätigt. Zielstrebig folgte Frau Sapowski dem hellen Kiesweg, der sie durch den akkurat gepflegten Garten zu ein paar Stufen führte. Widerwillig folgte Kröte ein paar Meter dahinter. Skeptisch sah er sich im Garten um. Die kurz geschnittene Rasenfläche und ein kleiner Teich mit großen Steinen wirkten viel zu gepflegt, um gemütlich zu sein. Die Anlage passte so gar nicht zu dem verwitterten Gebäude. Im hinteren Teil des Grundstücks standen zwei weitere kleinere Häuser. An den andersfarbigen Steinen ließ sich leicht erkennen, dass diese Häuser wohl erst später errichtet worden waren. Ihre Klinker waren kleiner und viel dunkler. Auch waren die Außenfassaden der beiden Gebäude an jeweils einer Seite verputzt und mit schweren Eisengittern gesichert.

Der Weg brachte sie zu drei verzierten, schon brüchigen Stufen, die zur Haustür führten. Als sie oben waren, fiel ihr Blick auf ein Messingschild:

Gehen Sie mit uns über die Wissensbrücke

Psychologisches Institut für Hirnforschung

Lernhilfen und Gedächtnistraining nach der

Dr. Kellermann Methode

Da die schwere Metalltür verschlossen war, klingelte Frau Sapowski, während Kröte noch die installierten Kameras betrachtete, die rund um den Eingang angebracht und auf ankommende Besucher gerichtet waren. Auch direkt neben der Klingel war eine winzige Kamera installiert. Ein kurzes Surren ertönte und die Tür öffnete sich automatisch. Neugierig betraten sie eine kleine, weiß gestrichene Vorhalle, in der eine weiße, edel wirkende Ledergarnitur stand. Ihr weicher Bezug glänzte. Neben der Couch stand ein hohes Holzregal, in dem Informationsbroschüren auslagen. Manche informierten über den Aufbau und die Arbeit des Gehirns, andere über die Kraft der Farben, Zeichnungen von Steinen sowie weitere Symbole. Rote und schwarze Tierkreiszeichen waren als Bordüre an den weißen Wänden angebracht.

Während Kröte und seine Mutter die Zeichen aufmerksam betrachteten, wurde im Flur eine Tür geöffnet. Eine freundliche, in weiß gekleidete Frau kam auf Kröte und seine Mutter zu. Sie war nur wenig größer als Kröte, hatte dunkelbraune Haare und Augen und eine flotte, drahtige Figur. Allem Anschein nach machte sie viel Sport.

Unter ihrem weißen T-Shirt zeichnete sich der Umriss eines Anhängers ab. Fröhlich streckte die Frau ihnen ihre Hand entgegen. Kröte spürte einen warmen, angenehmen Händedruck. Dabei fiel ihm sofort die weiche Innenfläche ihrer Hand auf.

»Sie müssen Frau Sapowski sein und du bist bestimmt Erwin«, mutmaßte sie mit einem ungezwungenen Lächeln auf den Lippen.

»Und Sie müssen Gedanken lesen können«, erwiderte Frau Sapowski lachend und schüttelte die Hand der dunkelhaarigen Frau.

»Ja, das stimmt«, sagte die Frau lächelnd, »aber das ist ein anderes Thema. Dazu kommen wir vielleicht später mal.«