Über das Buch

Geld oder Liebe? Nach »Gut gegen Nordwind« und »Die Wunderübung« die neue Komödie des Bestsellerautors Daniel Glattauer

Alfred braucht Geld für ein Geschenk zum Hochzeitstag und erlebt ein Trauma. Der Geldautomat verwehrt ihm seit Tagen den Zugriff auf sein Konto. Die Betreuerin versichert ihm, dass es seinen Ersparnissen gut gehe, dass sie aber gerade auf »Geschäftsreise« seien. Und der smarte Bankdirektor will über alles reden, nur nicht über Finanzen, dieses Thema langweilt ihn zu Tode. Lieber präsentiert er dem verzweifelten Kunden die Bank der Zukunft, die das Menschliche in den Vordergrund stellt. — Was vor allem bei Ulli, Alfreds Ehefrau, überraschend gut ankommt …

DIE LIEBE GELD

Eine Komödie

Paul Zsolnay Verlag

TEIL EINS

1.

Man kann Alfred Henrich, einen Mann um die vierzig, dabei beobachten, wie er in betretener Ungläubigkeit den Bildschirm eines Geldautomaten anstarrt, schließlich seine Karte herauszieht und sie sich vor die Augen hält, um nach digitalen Spurenelementen eines offenbar unlösbaren Rätsels zu suchen. Vergeblich. Henrich lässt dem wahrscheinlich aus Japan stammenden Touristenpärchen, das hinter ihm wartet, resignativ den Vortritt und sagt:

HENRICH  You can!

JAPANER (verwundert)  We can?

HENRICH  Yes, you can try it!

JAPANER  You mean, it does not work?

HENRICH  I don’t know. For me not, for you maybe.

Die Touristen kichern asiatisch. Henrich verlässt mit gesenkten Schultern den Ort seines stillen Scheiterns.

*

Ein neuer Tag, ein neuer Anlauf. Alfred Henrich bringt seine Kreditkarte mit einem Taschentuch auf Hochglanz, schiebt sie vorsichtig in den Schlitz des Geldautomaten und wartet. — Der Apparat sendet eine offenbar unerquickliche Textnachricht aus. Die elektronische Lektüre versetzt Henrich in Rage.

HENRICH  So ein Scheiß!

Ein nachrückender Kunde ist hellhörig geworden.

KUNDE  Hat er sie g’schluckt?

HENRICH(genervt)  Wie bitte?

KUNDE  Hat er Ihre Karte geschluckt?

HENRICH  Wer?

KUNDE  Der Automat.

HENRICH  Nein, nein.

KUNDE  Da können S’ froh sein. Wenn er die Karte schluckt, ist sie nämlich weg. Die sehen S’ nie wieder. Ist mir schon passiert.

HENRICH  Ah ja.

Henrich wirft dem Mann einen argwöhnischen Blick zu, wendet sich ab und stapft wütend davon.

*

Ein neuer Tag, ein neuer Anlauf, ein neuer Geldautomat. Henrich begutachtet die Maschine und tastet sie freundschaftlich ab, ehe er ihr seine Kreditkarte anvertraut. Diesmal starrt er noch länger gebannt auf den Bildschirm, schüttelt dann fassungslos den Kopf und schreit laut auf.

HENRICH(kläglich)  Warum? Warum? Warum?

Der Kasten bleibt offenbar jede Antwort schuldig. Aber eine Passantin, die das kleine Drama beobachtet hat, entfaltet ihre volle Empathie.

PASSANTIN  Wahrscheinlich ist der Automat hin.

HENRICH(gereizt)  Nein, der Automat ist nicht hin.

PASSANTIN  Oder außer Betrieb.

HENRICH  Nein, er ist in Betrieb.

PASSANTIN  Ah so. — Na dann haben Sie vielleicht die Karte verkehrt hineingesteckt.

HENRICH(sehr gereizt)  Nein, ich habe die Karte richtig hineingesteckt.

PASSANTIN  Ah so. — Dann ist es der Magnetstreifen.

HENRICH  Der Magnetstreifen?

PASSANTIN  Ja. Meistens ist es der Magnetstreifen von der Karte. Wenn es nichts anderes ist, dann ist es der Streifen. Ich bin mir sicher, es ist der Magnetstreifen.

HENRICH(erschöpft, resigniert)  Okay. Der Magnetstreifen.

Die Passantin geht weiter.

*

Ein neuer Tag, ein neuer Anlauf, ein neuer Geldautomat, eine neue Kreditkarte. Henrich hält das kostbare Stück zart zwischen zwei Fingern und befreit es zunächst von einer Schutzfolie und dann von letzten Staubkörnchen. Er atmet tief durch und steckt die Karte in den entsprechenden Schlitz des Automaten. Er hält, wie zur Abschirmung des Grauens vor einer zu erwartenden Horrorszene, fünf Finger schützend vors Gesicht. Die andere Hand ist zur Faust geballt.

HENRICH(zum Automaten)  Du kannst es! Ich weiß es! Mach es! Mach es! Mach es!

Er macht es nicht. Henrich schreit laut auf und fährt seinen Arm aus, um zum befreienden Gegenschlag anzusetzen. Er bremst sich aber in der Bewegung, sieht sich nach allen Seiten hin um, nimmt Anlauf und versetzt dem Gerät einen kurzen, kräftigen Tritt.

Danach ist ihm offenbar leichter. Er atmet tief durch und steht eine Weile abseits jedes Geschehens da, um einen Plan zu fassen. Wenig später fasst Henrichs Hand ein Smartphone aus der Hosentasche.

HENRICH  Hier Henrich, guten Tag. Frau Drobesch bitte.

FRAUENSTIMME  Wie war der Name?

HENRICH  Drobesch. Frau Drobesch.

FRAUENSTIMME  Ihr Name, wie war Ihr Name? Ich brauche Ihren Namen.

HENRICH(schon sehr genervt)  Henrich!

FRAUENSTIMME  Hendrich?

HENRICH(extrem genervt)  Henrich. Wie Heinrich ohne »i«. »Hen« wie Henne ohne »ne« und »rich« wie Richard ohne »ard« oder wie »reich« auf Englisch, nur deutsch ausgesprochen. HENRICH!

FRAUENSTIMME  Herr Henrich, Frau Magister Drobesch ist gerade in einer Zoom-Konferenz. Darf ich …?

HENRICH(zornig)  Nein. Ich möchte sie dringend sprechen, und zwar nicht nur dringend, sondern sofort, also gleich, nämlich jetzt.

FRAUENSTIMME  Herr Henrich, Frau Magister Drobesch ist momentan wie gesagt leider in einer Video-Besprechung. Aber vielleicht kann ich Ihnen …?

Alfred Henrich reißt das Telefon vom Ohr, drückt das Gespräch wuchtig weg und setzt sich hastig in Bewegung.

Wenig später betritt er das Bankgebäude. Der sterile Empfangsbereich ist voll automatisiert und menschenleer. An der verwaisten Portiersloge prangt ein Schild mit der Aufschrift »Weil jeder Mensch zählt«.

Henrich, dessen Adrenalinspiegel bereits eine beachtliche Höhe erreicht hat, wird von einer Glasbarriere am Durchmarsch in den Geschäftsbereich gehindert. Er drückt mit der Schulter dagegen. Das ruft eine elektronische Stimme auf den Plan.

TONBAND  Lieber Kunde, bitte verwenden Sie unseren übersichtlichen und benutzerfreundlichen Service-Point-Info-Screen-Desk. Bei Kredit-Angelegenheiten drücken Sie bitte die Eins. Bei Bargeld-Angelegenheiten drücken Sie bitte die Zwei. Für Terminvereinbarungen drücken Sie bitte die Drei …

Irgendwie gelingt es Henrich — trotz fahriger Gesten in höchster Anspannung —, das Tonband per Knopfdruck zu stoppen. Nun meldet sich die Frauenstimme von vorhin. Die Frau ist zwar physisch nicht anwesend, aber über einen Bildschirm visualisiert und ansprechbar.

FRAUENSTIMME  Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?

HENRICH(dauerhaft erregt und missmutig)  Indem Sie mir die Tür öffnen.

FRAUENSTIMME  Wo wollen Sie hin?

HENRICH  Zu Frau Drobesch.

FRAUENSTIMME  Welche Nummer?

HENRICH  Was für Nummer?

FRAUENSTIMME  Verzeihung, aber haben Sie keine Nummer gezogen?

HENRICH(lacht)  Nein, nein, ich habe keine Nummer gezogen, ich ziehe keine Nummern, ich brauche keine Nummern, ich bin hier keine Nummer. Ich will einfach nur zu Frau Drobesch. Sonst nichts.

FRAUENSTIMME  Aber Sie haben keinen Termin.

HENRICH  Doch, ich habe einen Termin.

FRAUENSTIMME  Tut mir leid, aber Sie haben leider keinen Termin vereinbart.

HENRICH  Doch, ich habe ihn vereinbart.

FRAUENSTIMME  Mit wem?

HENRICH  Mit mir. Ich brauche ihn. Und zwar dringend. Ich bin langjähriger Kunde. Frau Drobesch kennt mich.

FRAUENSTIMME  Tut mir leid, aber Frau Drobesch ist gerade in einer Besprechung.

Henrich beugt sich über die Absperrung.

HENRICH  Dann ist sie aber in einer Selbst-Besprechung. Ich kann sie nämlich von hier aus sehen. Da hinten sitzt sie. Ganz alleine. (Er ruft hinüber.)  Frau Drobesch, Frau Drobesch!

Henrich gestikuliert heftig.

FRAUENSTIMME  Schon gut, schon gut. Ich werde Frau Magister Drobesch benachrichtigen, dass hier ein … Kunde ist, der sie dringend sprechen will. Wen darf ich melden?

HENRICH  Sie müssen gar niemanden mehr melden, das hat sich erübrigt, ich bin schon da. Also öffnen Sie mir bitte die Tür.

FRAUENSTIMME  Tut mir leid, aber ich darf hier aus Sicherheitsgründen niemanden einlassen, der keine Nummer hat und nicht angemeldet ist. Wie war der Name?

Alfred Henrich beugt sich weit über die Absperrung und ruft lauthals.

HENRICH  Frau DROBESCH! Frau DROOO-BESCH!

Ein paar Augenblicke vergehen, dann öffnet sich von innen die Glasschiebetür. Frau Magister Tanja Drobesch, eine geschäftsmäßig gekleidete, herb-charmante Frau um die vierzig, tritt auf. Erst wendet sie sich flüchtig der Bildschirm-Frau zu.

DROBESCH(halblaut)  Danke, Frau Selnig. Gute Arbeit. Schicken Sie mir Ihren Bewertungsfragebogen. Ich übernehme jetzt.

Nun wendet sie sich ruhig und äußerst freundlich, wie eine passionierte Betreuerin, die das über viele Jahre trainiert hat, dem Kunden zu.

DROBESCH  Ah, Herr Henrich, was kann ich für Sie tun, wo drückt der Schuh?

HENRICH(erst wutschnaubend und nach Luft ringend, dann laut und eindringlich)  ICH KANN KEIN GELD ABHEBEN! Und zwar schon seit fünf Tagen nicht.

DROBESCH  Oje, das ist bedauerlich. Dann ist wahrscheinlich Ihre Bankomatkarte schadhaft. Ich denke, es ist der Magnetstreifen …

HENRICH(explosionsartig)  NEIN! Es ist nicht der Magnetstreifen! Es ist das verdammte Geld. Ich kriege es nicht, er gibt es mir nicht, er verweigert mir den Zugriff.

DROBESCH  Wer?

HENRICH(sehr aufgeregt)  Der Automat. Er schreibt »Bargeldempfang von diesem Konto derzeit nicht möglich« oder so ähnlich. Und das macht er seit fünf Tagen. Und alle anderen Geldautomaten machen das ebenfalls. Und ich kann auch nicht mit der Karte bezahlen, mit keiner Karte — Kreditkarte, Kundenkarte, Sch…, Sch…, Girokarte. Ich kann überhaupt nicht bezahlen. Ich bin zahlungsunfähig. Das ist ungeheuerlich.

DROBESCH  Oje. Ja, das ist natürlich … unangenehm. Das verstehe ich, das wäre mir in der gleichen Situation ebenfalls unangenehm.

HENRICH  Ja, unangenehm, das ist es. Was tun wir?

DROBESCH  Ich denke, das müsste man sich … das müsste man sich einmal genauer anschauen.

HENRICH(laut)  Ja, das denke ich auch!

DROBESCH