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Burt Frederick

Überfall auf Rame Head

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Hesekiel Ramsgate fuhr aus seinen Gedanken hoch. Er kniff die Augen zusammen und starrte durch das kleine Fenster seines Kontors.

Männerstimmen waren zu hören, barsch und im Befehlston, begleitet von harten, gleichmäßigen Schritten.

Ramsgate runzelte die Stirn und blinzelte. Seine Augen gewöhnten sich nicht mehr so schnell an unterschiedliches Licht. Draußen war es noch taghell, aber die sinkende Sonne warf bereits lange Schatten auf das Werftgelände. Hier drinnen, im Kontor, lastete trübes Halbdunkel, und er hatte die kleine Ölfunzel über dem Pult angezündet.

Plötzlich tauchten sie in seinem Blickfeld auf. Ein Trupp von Uniformierten, vornweg ein herausgeputzter Geck in Zivil. Das Kontorhäuschen würdigten sie mit keinem Blick. Schnurstracks marschierten sie auf die beiden Schiffsneubauten zu und taten geradeso, als hätte niemand außer ihnen auf dieser Werft etwas zu sagen.

Der alte Ramsgate spürte Zorn in sich aufsteigen. Aber während er die unverschämten Kerle sah, wie sie umherstolzierten und die fast vollendete „Le Vengeur III.“ begafften, hielt ihn eine dumpfe Ahnung davon ab, hinauszulaufen und sie zur Rede zu stellen.

Eilends raffte er die Zeichnungen und Berechnungen zusammen, über denen er gebrütet hatte. Im Geheimfach seines Pults verstaute er den Papierpacken und vergewisserte sich, daß auch sonst nichts mehr herumlag, was auch nur den geringsten Aufschluß über die Neubauten gegeben hätte. Er fluchte leise. Diese Leute dort draußen hatten sich einen Zeitpunkt ausgesucht, der für sie verdammt günstig war. Die Arbeiter waren nicht mehr da, und Jean Ribault war schon gegangen. Dies ausgerechnet heute, obwohl der Franzose sonst meist bis in die späten Abendstunden mit Ramsgate zusammenhockte, um über die Neubauten zu fachsimpeln.

Entschlossen trat er ins Freie, und sein Zorn war beileibe nicht abgeklungen. Die dreisten Besucher hatten sich von den Schiffsneubauten abgewendet und marschierten geradewegs auf den grauhaarigen Werftbesitzer zu, dessen mächtiger Vollbart ihm ein würdevolles Aussehen verlieh. Wenige Schritte von seinem Kontorhäuschen entfernt versperrte er ihnen den Weg, indem er breitbeinig stehenblieb.

Der vornehm gekleidete Anführer musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dem Offizier und den fünf Soldaten, die ihn begleiteten, gab er ein Haltzeichen.

„Darf man fragen, was Sie hier zu suchen haben?“ sagte Ramsgate grollend und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Der Vornehme verzog das gepuderte, bartlose Gesicht zu einem herablassenden Lächeln.

„Bevor Sie fragen dürfen, Mister, sollten wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.“ Seine Stimme klang schnarrend.

„Hesekiel Ramsgate, Schiffbaumeister. Mir gehört diese Werft.“

„Fein, dann sind wir an der richtigen Adresse. Mein Name ist Harold Dudley, Clerk of the Ship im Marineministerium. Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen, Mister Ramsgate.“

Ramsgate atmete tief durch. Ein Hofbeamter also, zuständig für den Schiffbau. Was, in aller Welt, konnte das bedeuten? Gutes wohl auf keinen Fall.

„Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig“, entgegnete er knurrend.

„Wenn Sie sich da nur nicht irren.“ Dudley stieß ein leises, blasiertes Lachen aus. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die beiden schlanken Schiffsneubauten. „Wer ist der Auftraggeber?“

„Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig“, wiederholte Ramsgate.

Der Hofbeamte legte die Hände auf den Rücken, schob den Kopf vor, und ein lauernder Ausdruck trat in seine Augen.

„Ich denke, wir wissen es auch so. Killigrew ist es. Habe ich recht? Killigrew hat diese Neubauten bei Ihnen bestellt. Sie sind ja sowieso ein Herz und eine Seele.“

Ramsgate preßte die Lippen aufeinander.

„Sehr schön“, sagte Dudley nach einer Weile. Er grinste. „Ich werte Ihr Schweigen als Zustimmung, verehrter Mister Ramsgate.“

„Denken Sie, was Sie wollen. Niemand hindert Sie daran.“

Dudley tat, als überhörte er es.

„Wir sind an Einzelheiten interessiert, Ramsgate. Tonnage, Abmessungen, Armierung, Takelung und so weiter. Außerdem möchte ich den vorgesehenen Ablieferungstermin wissen.“

Hesekiel Ramsgate lief rot an. Es reichte. Er hatte keine Lust, sich länger als dummen Jungen behandeln zu lassen. Von einem Atemzug zum anderen platzte ihm der Kragen.

„Verschwinden Sie!“ brüllte er. „Verlassen Sie meine Werft!“

Der Hofbeamte Dudley sah ihn mit einem Ausdruck rätselnden Erstaunens an.

„Ist das Ihr Ernst, Ramsgate? Sie wollen sich einer Amtshandlung widersetzen?“

„Allerdings. Ob es auf meiner Werft eine Amtshandlung gibt, entscheide ich. Sonst keiner.“

Dudley schüttelte mitleidig den Kopf. Dann gab er dem Offizier einen Wink.

„Lassen Sie die Bude dort durchsuchen. Und bringen Sie mir alles, was wichtig sein könnte.“

Hesekiel Ramsgate verlor endgültig die Beherrschung.

„Niemals!“ donnerte seine Stimme den Eindringlingen entgegen. „Ihr verdammten Bastarde werdet euch nicht an meinem Eigentum vergreifen.“ Mit einem Schritt zur Seite trat er dem Offizier in den Weg.

Der Uniformierte verharrte und zögerte noch. Die Haltung der Soldaten spannte sich.

„Machen Sie sich nicht lächerlich, alter Mann“, sagte Dudley, und er spie die Worte regelrecht aus. „Ich warne Sie. Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Leisten Sie sich noch mehr Unverschämtheiten, lasse ich Sie in Ketten legen!“

Für den Offizier war es das Signal. Sein Degen fuhr mit einem harten, metallischen Laut aus der Scheide. Ramsgate erstarrte, als er die Degenklinge auf seiner Brust spürte. Die beiden Soldaten hinter dem Offizier brachten ihre Musketen in Anschlag, während die anderen lauernd abwarteten.

„Ich werde mich bei Hof über Sie beschweren“, sagte Ramsgate zornbebend, „es gibt dort auch anständige Leute.“

„Selbstverständlich steht Ihnen dieser Weg offen“, antwortete Dudley höhnisch, „aber zuvor haben Sie meinen Anordnungen Folge zu leisten.“

Der Schiffbaumeister schwieg jetzt. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sich mit diesen Kerlen auseinanderzusetzen. Den kürzeren zog er sowieso, und mit Worten war ihnen ohnehin nicht beizukommen. Grinsend schob der Offizier seinen Degen zurück in die Scheide und erteilte den beiden Soldaten Befehl, den alten Mann weiterhin mit den Musketen in Schach zu halten. Mit den übrigen Uniformierten begab sich der Truppführer in das Kontor.

Der geckenhafte Clerk of the Ship legte die Hände auf den Rücken und begann im Kreis herumzuspazieren, wobei er die Haltung eines Gockels annahm. Dabei blieb er mehrmals stehen und spähte zu den Neubauten hinüber. Von Ramsgate nahm er keine Notiz mehr. Aus dem Kontor war das Rumoren der Soldaten zu hören. Wahrscheinlich rissen sie sämtliche Schubfächer heraus und warfen alles zu Boden, was nicht niet- und nagelfest war. Ramsgate schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sie das Geheimfach mit den Unterlagen nicht entdeckten.

Fast eine halbe Stunde verging in diesem nervenzermürbenden Schweigen. Dann kehrte der Offizier mit kurzen, schnellen Schritten zurück und erstattete Meldung.

„Wir haben eine Menge Zeichnungen gefunden, Sir. Aber es ist nichts von diesen beiden Kähnen dabei.“

„Wie wollen Sie das beurteilen?“ Der Hofbeamte zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. „Sie als Landsoldat dürften davon wohl herzlich wenig verstehen.“

„Sir, ich …“

„Schweigen Sie. Ich überzeuge mich selbst.“ Dudley stolzierte los und überließ Ramsgate den beiden Bewachern.

Schon kurze Zeit später waren der Hofbeamte und die Uniformierten wieder zur Stelle. Dudleys gepudertes Gesicht war wutverzerrt. Auf den Zehenspitzen wippend, baute er sich vor dem graubärtigen Mann auf.

„Das ist Absicht von Ihnen, Ramsgate“, sagte er zischend. „Sie verbergen die Pläne mit gutem Grund. Und damit, lieber Freund, schneiden Sie sich ins eigene Fleisch. Diese Geschichte wird noch ein Nachspiel haben. Verlassen Sie sich darauf.“

Mit unverhohlener Wut zogen der Clerk of the Ship und sein Begleittrupp ab.

Hesekiel Ramsgate atmete auf. Aber er wußte bereits, daß die Erleichterung nicht von langer Dauer sein würde. Dieser Dudley hätte ihn foltern lassen, ohne mit der Wimper zu zucken – wenn er nur die Befugnis dazu gehabt hätte.

Unruhige Tage standen bevor. Das spürte der alte Ramsgate mit jeder Faser seiner Nerven.

5. Mai 1593.

Philip Hasard Killigrew schrieb das Datum mit schwungvollen Buchstaben auf die neue Seite des Logbuches. Dann legte er den Federkiel wieder beiseite und sah seinen Gegenüber an.

„Ich werde die heutige Eintragung erst später vornehmen. Vielleicht sollten wir unsere Pläne doch ändern.“

Ben Brighton schüttelte abwehrend den Kopf.

„Du bist der Kapitän. Ich kann nicht verlangen, daß du meine Meinung annimmst.“

Der Seewolf lächelte. Er stand auf und nahm eine der zusammengerollten Seekarten aus dem Schapp. Gegen die Bleiglasscheiben der Kapitänskammer trommelte Regen. England zeigte sich zum bevorstehenden Empfang in altvertrauter Weise. Hasard breitete die Karte auf dem Tisch aus und setzte sich wieder.

„Du weißt, daß ich deine Ansichten immer respektiert habe, Ben. Und in diesem speziellen Fall scheint es mir, daß du den Nagel auf den Kopf getroffen hast.“

Der Erste Offizier der „Isabella IX.“ zog die Schultern hoch. Es stimmte ihn verlegen, so offen gelobt zu werden.

„Ich denke nur, daß es besser ist, wenn wir die Kerle so schnell wie möglich loswerden“, sagte er bedächtig. „Deshalb sollten wir diesen verdammten Sir Andrew und seine Brut einfach irgendwo an Land setzen. Und zwar so bald wie möglich, solange uns das noch einen Zeitgewinn bringt.“

„Vielleicht überschätzt du den ehrenwerten Sir Andrew. Wer weiß, ob er überhaupt einen Einfluß bei Hofe hat.“

„Wie auch immer, in Plymouth würden wir durch ihn nur Scherereien kriegen, wenn wir ihn mitnähmen. Erstens haben wir dort mit Lord Cliveden zu verhandeln und zweitens mit Hesekiel Ramsgate. Nein, Sir, ich meine, wir sollten alle Vorteile nutzen, um so schnell wie möglich mit Kurs auf die Karibik zu verschwinden. Eben weil wir nicht wissen, welche Gönner Sir Andrew bei Hofe hat.“

„Ich sagte schon, daß ich dir in dem Punkt absolut recht gebe.“

Ben Brighton nickte.

„Und außerdem“, fuhr er fort, „ist Lord Cliveden ein viel zu ehrlicher Mann. Er kann dieses ganze elende Intrigenspiel überhaupt nicht durchschauen.“

Der Seewolf preßte nachdenklich die Lippen aufeinander und warf einen Blick auf die Seekarte. Die „Isabella“, im Verband mit dem Schwarzen Segler und der „Wappen von Kolberg“ auf Sudkurs segelnd, stand zur Zeit in der Irischen See, im Saint George’s Channel, westlich der Cardigan Bay. Es gab dort, an der Küste von Wales, relativ gute Möglichkeiten, ohne großes Aufsehen ein paar Leute an Land zu setzen. Hasard hob den Kopf.

„Also einverstanden“, sagte er entschlossen, „wir setzen Sir Andrew und sein hochwohlgeborenes Pack an Land.“

„Darüber bin ich froh“, entgegnete Ben Brighton. „Und was wird mit O’Brien und seinen Leuten? Hätten die nicht verdient, mit nach Plymouth genommen zu werden?“

Hasard überlegte nur einen Moment.

„Geht nicht“, sagte er dann, „wir würden O’Brien in eine Lage bringen, die für ihn verdammt unangenehm werden kann. Immerhin war er der Kapitän von Sir Andrews Flaggschiff, und an seiner Dienststellung hat sich insofern nichts geändert. Wenn wir ihn bis Plymouth an Bord behielten, würde der feine Sir Andrew das garantiert falsch auslegen und annehmen, O’Brien hätte sich mit uns gegen ihn verbündet.“

„Stimmt“, sagte Ben, „daran habe ich nicht gedacht. O’Brien würde Schwierigkeiten kriegen, die ihm über den Kopf wachsen.“

„Also sind wir uns einig“, faßte der Seewolf zusammen.

„Voll und ganz“, erwiderte der Erste Offizier der „Isabella“. Er stand auf. „Ich denke, ich werde auf dem Achterdeck gebraucht.“ Er nickte dem Seewolf zu und verließ die Kapitänskammer. Es war alles gesagt, was gesagt werden mußte. Beide Männer schätzten es nicht, zu viele Worte zu verlieren.

Hasard lehnte sich zurück. Je mehr er darüber nachdachte, desto logischer erschienen ihm die Überlegungen Bens. Der stets besonnene Ben mischte sich nur selten ein, doch wenn er etwas zu sagen hatte, dann war es wirklich gut, ihm zuzuhören. Und in diesem Fall konnte man seine Argumente nicht von der Hand weisen.

Es war die beste Lösung, um mit der vertrackten Angelegenheit einigermaßen fertig zu werden. Hasard und seine Männer hatte es wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, als sie nach Abflauen des Sturms vor der Rockall-Bank Schiffbrüchige zu sich an Bord nahmen. Niemand anders als der sehr ehrenwerte Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, und seine noble Gesellschaft hatten das Kommando an Bord des Flaggschiffs „Vanguard“ geführt, jener Galeone, die in den Klippen zerschellt war. Mit besagtem Sir Andrew hatten die Arwenacks schon in der Ostsee unliebsame Bekanntschaft geschlossen. Er gehörte zu den unbelehrbaren Ignoranten, vor denen man ständig auf der Hut sein mußte.

Oliver O’Brien, der eigentliche Kapitän der „Vanguard“, konnte ein Lied davon singen. Ihn und seine Crew hatten die Seewölfe als anständige, aufrechte Burschen kennengelernt, die nach ihrer Rettung auf der „Isabella“ kräftig mit zupackten. O’Brien traf keine Schuld daran, daß die „Vanguard“ und ihre Begleitschiffe „Serapis“ und „Antiope“ gesunken waren. Denn O’Brien hatte rechtzeitig vor den Tücken des aufziehenden Weststurms gewarnt – und vor der Rockall-Bank.

Aber Sir Andrew würde wohl nie begreifen, was er mit seinem Starrsinn angerichtet hatte. Daß er durch seine unsinnigen Kursanweisungen den Tod der gesamten Besatzungen der beiden Begleitschiffe zu verantworten hatte, würde in seinen adligen Schädel bestimmt nie hineingehen.

2.

Am späten Nachmittag des 5. Mai ankerte die „Isabella“ vor einem öden Küstenabschnitt der Cardigan Bay. Es war einer dieser typisch englischen Tage, an denen es nie richtig hell wurde. Von einem wolkenverhangenen grauen Himmel sank feiner Regen in nicht endenwollenden Schwaden nieder.

Mit erheblich verringerter Segelfläche liefen die „Wappen von Kolberg“ und der Schwarze Segler unterdessen weiter auf Südkurs. Der Wind blies handig aus Nordnordwest. Unter Vollzeug würde die „Isabella“ innerhalb weniger Stunden wieder aufschließen können.

Hasard verließ das Achterdeck. Bei der Quarterdeckbalustrade am Niedergang an Steuerbord blieb er stehen. Die Männer hatten bereits die große Jolle abgefiert. Oliver O’Brien und seine zusammengeschmolzene Crew von der „Vanguard“ warteten am Backbordschanzkleid der Kuhl. Ben Brighton hatte sie über den vorgesehenen Ablauf informiert.

Edwin Carberrys drohende Stimme war schon aus den unteren Decksräumen zu hören.

„Hurtig, hurtig, ihr müden Schnecken, bewegt euch! Oder müßt ihr erst Dampf unter dem Hintern haben?“ Die freundlichen Worte des Profos wurden von rauhem Gelächter und barschen Kommandos begleitet. Smoky, Blacky, Bob Grey und Sam Roskill unterstützten Ed dabei, die Hochwohlgeborenen ans Tageslicht zu befördern, was ihnen allem Anschein nach besonderes Vergnügen bereitete.