Rudolf Herzog



Der Nibelungen Fahrt ins Hunnenland



Die Nibelungen - des Heldenliedes zweiter Teil neu erzählt von Rudolf Herzog

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-944869-58-2


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Kapitel 6 - Wie Dietrich von Berns Waffenmeister Hildebrand mit seinen Recken sich zum Kampfe hinreißen ließ, wie Volker, der Spielmann, fiel und Geiselher, der Junge, wie die letzten Nibelungenritter erschlagen wurden bis auf Gunther und Hagen und die Berner Helden bis auf Hildebrand, wie Dietrich von Bern Hagen und Gunther lebendig fing und Kriemhild sie zu Tode brachte und selber sterben mußte mit der Nibelungen Not



Boten sah man jagen von der Etzelburg hinein in die Lande. Wie gelbe schwarzhaarige Zwerge hockten sie auf den Pferderücken, und sie hieben mit Geißeln auf die Rosse und feuerten sie an mit den Fersen. Zu den fernen Grenzwachten jagten sie und schrien Befehle in die Lagerstellen, und neue Boten sprangen auf frische Gäule und trugen die Befehle zu der nächsten Grenzwacht, wo wieder ein anderer Bote sie übernahm und sie in rasendem Galopp weitertrug. Da flog König Etzels Befehl wie der Wind durch das Ungarland und durch die Walachei, durch das Land der Reußen bis in die Steppen Asiens. Und wohin der Befehl kam, rüsteten sich ungeheure Haufen, zogen auf allen Straßen die stetig wachsenden Heersäulen dem allmächtigen König zu.

Im Thronsaal seiner Burg stand König Etzel und schrie vor Wut und Schmerz zum Himmel.

Um Rüdiger klagte er, um seinen treuesten Mann, und sein Herz, das stark an Liebe gewesen war viele Jahre hindurch, verhärtete sich und wurde wie Stahl und Stein, und blutige Vernichtungspläne wälzten sich in des Königs Hirn.

Und Kriemhild stand bei ihm, starr, wie aus Marmor gehauen, und nur in ihren Augen funkelte das unauslöschliche Rachefeuer.

Wie eine Woge schwoll das Wehklagen um des edlen Rüdigers Tod und drang bis zum letzten Dienstmann und riß ihn mit in den Jammer hinein. Denn nicht einer war gewesen, der nicht den gütigen Markgrafen geliebt hätte von ganzer Seele.

So drang die Kunde auch zu der Halle, in der Dietrich von Bern mit seinen tapferen Recken Herberge gefunden hatte, und das Leid brach den Helden fast das Herz, und sie riefen ihren Herrn an um Vergeltung.

Dietrich aber verwies ihnen jeden Kampf.

"Gehet hin," sprach er zu Hildebrand, dem Waffenmeister, "und befraget die Herren vom Rhein um Grund und Ursach’, weshalb sie den edlen Mann erschlugen. Und steht nicht an, die Helden freundlich zu bitten, Euch den Leichnam zu ehrenvollem Begräbnis zu bewilligen."

Da ging der alte Hildebrand. Aber Wolfhart, der Starke, sein wilder Neffe, und Herzog Siegstab von Bern, Dietrichs Schwestersohn, und Helferich, der schlachtenkundige Gotenführen, und die anderen Berner Recken alle folgten ihm vor die Halle, und sie warnten Hildebrand, daß er waffenlos und in bescheidenem Kleide in die Höhle der Löwen und Tiger gehe und ohne ehrfurchtgebietendes Gefolge, und so wappnete sich Meister Hildebrand mit seinen Gesellen bis an die Zähne, und der Zug der Recken begab sich vor den Nibelungensaal.

Noch immer hielt Volker, der Spielmann, die Wache. Auf der Stiege saß er hinter seinem Schild, und er freute sich des Schlafes seiner Gefährten, die erschöpft im Saale lagen, und summte vor sich hin. Das war wie ein Lied, wie er’s einst am Rheine sang.

Jetzt brach er ab und riß weit die müden Augen auf. Da sah er die Berner Recken ziehen und sich der Stiege nähern.

Und er beugte sich hinter dem Schild zurück und rief Hagen an, der quer in der Saaltür lag und schlief und hastig erwachte und die Gefährten aufrüttelte aus dem Schlaf.

Schon standen die Recken Dietrichs von Bern auf der Stiege, und ihr Sprecher Hildebrand rief herauf: "O sagt uns an, ihr Helden, ob Rüdiger, der Markgraf, bei euch den Tod empfing?"

Und Hagen von Tronje rief zurück: "Es ist uns selber leid. Aber er kam mit dem Schwerte, und wir konnten es nicht leiden. Zürnend schalt Wolfhart, der Starke: "Man erschlägt nicht seinen besten Freund. Das bringt euch wenig Ehre."

"Nur mein König und Herr ist mein Freund und wer an seiner Seite kämpft!" entgegnete Hagen kalt. "Andere Freunde hab’ ich nimmer gekannt in siebzigjährigem Leben und will sie nicht kennen bis zum Schluß!"

"Hagen", sprach der alte Hildebrand, "Ihr seid ein fürchterlicher Mann, aber wegen Eurer Treue muß ich Euch dennoch loben. Nun aber rede ich mit Euch im Namen meines Herrn Dietrich, und Dietrich schickt Euch durch mich seine Bitte: Gebt uns den Leichnam Rüdigers heraus, damit wir ihn mit gebührenden Ehren begraben."

"Unziemlich," erwiderte Hagen von Tronje finster, "wird Eure Bitte vorgebracht. Wer mit dem Schwerte in der Hand bitten kommt, droht! Gehet heim, legt die Waffen ab und kehrt bescheiden zurück, wie es Bittenden gebührt. Dann erst möge Euch Euer Wunsch erfüllt werden.

Aufbrausend sprang der wilde Wolfhart vor.

"Oheim," rief er Hildebrand zu, "wollt Ihr noch einen Pulsschlag lang solche Schmach ertragen? Ich ertrag’ sie nicht mehr! Um Rüdiger kommen wir, der uns Heimatlosen wie ein Vater war! Ha, würdet Ihr eine Vatersleiche nur von der Gnade des Feindes nehmen?"

Da lachte Volker ihm in die Rede und spottete: "Ei, Ihr eiliger Mann, wenn Ihr nicht warten könnt, so holt Euch doch aus dem Saale, was Ihr so dringend begehrt! An einer Zugabe soll es nicht fehlen!"

"Jetzt," schrie Wolfhart, "jetzt werde ich dir einmal aufspielen, verfluchter Fiedelmann!" Und er setzte in gewaltigen Sprüngen die Stiege hinan. Aber Hildebrand, der Waffenmeister, war trotz seines Alters noch schneller, und vor Wolfhart erreichte der starke Alte die Schwelle und begann mit dem Schwerte auf Hagen loszuhauen, daß die Halle erdröhnte und nur schwer die Kämpfenden voneinander gerissen werden konnten.

Doch schon waren die Berner bei der Arbeit. Aufeinander hieben Wolfhart und Volker, der Spielmann, daß lange Funken aus den Panzern schossen und von beiden Seiten die Helden zur Hilfe eilten und ein wirrer Knäuel von Schwertern war.

"Drauf, ihr Nibelungen!" rief König Gunther und mähte mächtig mit seinem Schwert.

"Vorwärts, vorwärts!" rief Geiselher ihm nach und hieb mit ungezügelter Kraft in die Haufen.

"Wartet, ich komme auch zu Euch!" schrie der wilde Wolfhart und schlug zu Tode, was ihm vor die Klinge kam. Und Siegstab, der Berner Herzog, wütete so herrlich, daß man wohl merken mußte, gleiches Blut floß in seinen Adern wie in Dietrichs, des großen Gotenkönigs, und er brach so manchen Halsring, daß Volker seine Gegner ließ und zu ihm drang, um seine Ritter vor sicherem Tode zu schützen.

"Hierher, Herr Herzog!" rief er ihn an. "Ich weiß ein neues Lied!"

"So sing’ es, wenn dein Atem langt!" lachte Siegstab und schmetterte ihm seine Waffe auf den Helm.

"Es ist das Lied," donnerte Volker und schwang sein langes gebogenes Schwert, das wie ein Fiedelbogen war, "Es ist das Lied von Herzog Siegstabs Tod!"

Und des Spielmanns Eisen schnitt zischend dem kühnen Herzog bis ins Herz.

Hildebrand ersah’s, der Alte. Dietrichs, seines Herrn Schwestersohn, sah er fallen von des Fiedlers Hand. Ein brüllender Löwe, so lief er Volker an, und so hageldicht fielen des Alten furchtbare Hiebe, daß Herr Volker von Alzen für immer das Singen vergaß. "Lebt wohl, ihr Herren vom Rhein!" rief er und sank mit zermalmten Gliedern in sein Blut. Da weinte Hagen von Tronje die erste Träne seines Lebens.

Um den Freund weinte er, der die Treue gelernt hatte bei Hagen von Tronje und des Lachens Meister war.

"O Hildebrand," stöhnte Hagen auf und hieb mit Schwert und Schild blindlings in die Berner Recken, um zu ihrem Waffenmeister zu kommen.

Da fiel vor seinen Augen Dankwart, der Bruder, von des Gotenführers Helferich Stahl durchbohrt. Doch bevor er das neue Leid zu rächen wußte, hatte Gunthers Königsschwert des Goten Haupt gespalten.

"Dank, König Gunther!" rief Hagen nur und eilte weiter.

Mordend stürmte Wolfhart durch den Saal. Die letzten Ritter der Nibelungen fraß sein Schwert. Jetzt hatte er Geiselher erreicht. Und die Schwerter kurz in der Faust, packten sie sich wie zwei Bären. Weit aus holte Geiselher mit dem freien Arm und stieß zu und trieb das Schwert durch Wolfharts Brust. Und Wolfhart tat den letzten Heldenhieb. Der riß Geiselhers junges Leben mit in den Tod hinein. Umklammert lagen die beiden von ihren zwängenden Armen, umklammert lagen sie beide vom Tode, der der Stärkste war.

Zur Leiche des Neffen eilte Hildebrand. Aber Hagen eilte ihm nach und schlug ihm so schmerzende Wunden, daß der Alte die Leiche lassen mußte und gehetzt aus dem Saale entwich.

"Heia!" höhnte Hagen hinter ihm drein. "Heia, du flinker Held!"

Da stand Gunther neben ihm und legte den Arm um des Tronjers Schulter. Und Hagen blickte auf und blickte in seines Herrn müdes Angesicht.

"Nun sind wir die Letzten, Hagen. Die Letzten der Nibelungen!"

Und Hagen sah über alle die Toten hin und sah, daß nicht einer mehr übrig war als König Gunther und Hagen von Tronje.

Dicht beieinander setzten sie sich auf die Schwelle des Saales, und an Hagens Hand funkelte hämisch der Nibelungenring.

Zu Dietrich von Bern war Hildebrand gekommen, der alte Waffenmeister, und seine Zunge wollte sich nicht heben und nicht reden.

"Wer hat mir das getan," fragte Dietrich von Bern, "und mir meinen liebsten Freund so blutig geschlagen? Wer hat sich dessen erfrecht? Könnt Ihr nicht reden, Alter? Ich spüre mein Blut, wie es erregter läuft. Bei Gott im Himmel, meine Geduld geht zu Ende. Hat Euch Hagen geschlagen, so ist es vorbei mit der Schonung! Sprecht!"

Und Hildebrand sprach aus würgender Kehle: "Hagen schlug mich so. Fast war es mein Tod. Und Rüdigers Leiche geben die Höhnenden nicht!"

Auf sprang Dietrich von Bern im Heldenzorn.

"Was ich gesagt habe, das sei nun getan! Vorüber ist die Schonung! Meinen Wunsch zu verhöhnen und den Freund zu schlagen – ha, Alter, meine Recken sollen kommen! Ruft mir Siegstab, den Kühnen, ruft mir Wolfhart, den Starken, und Helferich, den Schlachtenkundigen, ruft mir alle meine Helden, die mir aus der Heimat folgten. Zum Saale der Nibelungen wollen wir unter Waffen gehen und die Trotzigen lebendig fangen!"

Stumm stand Hildebrand, der Alte.

"Was zögert Ihr noch? Sputet Euch," gebot ihm Dietrich, "ruft sie alle herbei! Ich will es enden!"

Und Hildebrand sprach, und seine Stimme klang dumpf und gebrochen: "Wie kann ich rufen, die im Tode liegen? Unsere Helden folgten mir nach in den Saal und, wie sie alle erschlugen, so liegen sie selber alle erschlagen. Nur König Gunther lebt und mit ihm Hagen, der Schlimme."

"Hildebrand!" schrie Dietrich von Bern.

Und da der Alte keine Antwort mehr gab, schlug er die Hände vor die Augen und weinte um seine Einsamkeit.

Dann richtete er sich auf, und die Tränen versiegten.

"Reich’ mir den Harnisch," sagte er leise. "So muß ich es denn allein zu Ende führen. O ihr meine treuen Gesellen!"

Von seinem Waffenmeister Hildebrand gefolgt, schritt er über den Hof und fand Gunther und Hagen auf der Stiege.

"Laßt uns nicht mit Worten fechten wie die Weiber," sprach der große Berner Held. "Ich hab mich gehalten als euer Freund. Ihr aber schuft mir maßloses Leid. Ergebet euch in meine Hand, denn es widerstrebt mir, so Tapfere zu töten."

Da zog Hagen den Balmung und hob den schweren Schild.