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Es fing ganz harmlos an

Roman von Patricia Vandenberg

Auf dem Rückweg von einem Ärztekongreß in Zürich macht Dr. Norden während der Bahnfahrt eine folgenschwere Beobachtung. Er bemerkt eine Auseinandersetzung zwischen einem jungen Mann und einer auffallend schönen mondänen Frau, bei der es sich, wie er später erfährt, um die Schauspielerin Liane Gramont handelt. Fee Norden lernt auf dem Bahnsteig zufällig deren Tochter Vanessa kennen, die ihre Mutter abholen will. Offenbar jedoch geschah ein schreckliches Verbrechen: Liane wird leblos in ihrem Abteil gefunden, ihr kostbarer Schmuck und der junge Begleiter bleiben verschwunden. Vanessa versucht, gemeinsam mit ihrem Anwalt und dem Ehepaar Norden, das rätselhafte Geschehen aufzuklären. Vieles bleibt undurchsichtig, bis der ausgeklügelte Plan der zwielichtigen Geschwister Gall bekannt wird…

»Ja, dann haben wir wohl alles«, sagte Fee Norden.

»Ich trete keine Weltreise an, mein Schatz«, stellte Daniel Norden schmunzelnd fest. »Für zwei Tage brauche ich nicht zehn Hemden.«

»Ich habe nur sechs eingepackt, zur Vorsicht, falls du ins Schwitzen kommst oder ein Knopf abgeht. Außerdem brauchst du den Koffer ja nicht zu tragen«, fuhr sie neckend fort. »Dem Wagen macht es nichts aus, wenn der ein Pfund mehr wiegt.«

Dr. Norden wollte zu einem Kongreß nach Zürich fahren, was er sonst tunlichst vermieden hätte, doch er konnte dort ein paar sehr interessante Kollegen aus dem Ausland treffen, die er von früher kannte. Auch zwei, die er gern kennenlernen wollte, weil sie wegen ihrer Behandlungsmethoden bei Krebskranken umstritten waren.

Dr. Daniel Norden gehörte nicht zu den Ärzten, die unbekannte Behandlungsmethoden sogleich in Grund und Boden verdammten. Er stand auch auf dem Standpunkt, daß man in aussichtslosen Fällen alles versuchen müsse. Vielleicht zeigte sich doch einmal ein Erfolg, der dann eine Basis für die weitere Entwicklung eines Heilmittels bot.

»Papi soll nicht wegfahren«, murrte Danny.

»Soll hierbleiben«, schloß sich Felix weinerlich an. »Ich komme doch bald wieder«, tröstete Daniel seine Söhne. »Ihr braucht nur zweimal zu schlafen, dann bin ich wieder da.«

»Und wie oft muß Anneka schlafen?« fragte Danny interessiert, denn das Schwesterchen schlief noch bedeutend öfter als die Buben.

»Ihr könnt es ja zählen«, antwortete Daniel diplomatisch.

Fee hatte andere Sorgen. »Paß bloß auf dich auf, Liebster. Ich hatte so einen blöden Traum.«

Er küßte sie auf die Nasenspitze. »Ich passe schon auf, mein Liebes, und ich rufe auch gleich an. Was hast du denn geträumt?«

»Daß du gar nicht mit dem Wagen gefahren bist, und außerdem auch von einer Frau.«

»Ach du liebe Güte, von einer Frau. Ich habe die schönste, liebste Frau der Welt. Mir kann keine andere gefährlich werden.«

»Du hast sie aber im Arm gehalten, und sie hat geschlafen«, murmelte Fee.

»Es war ja nur ein Traum, mein Schatz. Ich werde ganz bestimmt allein schlafen und mir vorher wenigstens per Telefon einen Gutenachtkuß von dir holen.«

Jetzt nahm er erst mal Vorschuß auf die Küsse, die er nun drei Tage vermissen mußte.

Lenni brachte die Tasche mit dem Reiseproviant. Das ließ sie sich nicht nehmen. Man konnte ja nie wissen, ob es an der Grenze nicht Wartezeiten gab oder sonst einen Aufenthalt. Hunger sollte der Herr des Hauses keinesfalls leiden.

Daniel Norden tätschelte ihr die Wange. »Bleibt schön brav alle miteinander«, sagte er. »Und paßt auch auf euch auf. Und stellt nicht das ganze Haus auf den Kopf.«

Leicht fiel es ihm auch nicht, seine Lieben allein zu lassen. Es kam ihm ganz komisch vor, so allein wegzufahren, hinaus aus der Stadt. Liebend gern hätte er Fee mitgenommen, aber bei aller Liebe zu Lenni hätten die Kinder dann doch ein Riesentheater gemacht.

Je näher er der Grenze kam, desto trüber wurde das Wetter. Und als er dann den Schlagbaum hinter sich hatte, regnete es in Strömen.

Einmal möchte ich Zürich im Sonnenschein erleben, murmelte er in sich hinein. Aber das ist mir wohl nicht vergönnt.

Im strömenden Regen standen auch Anhalter an der Straße und winkten oder deuteten mit dem Daumen die Richtung an, in die sie wollten. Meist waren sie zu zweit.

Aber dann stand da ein Mädchen, blond wie Fee, mit klatschnassen Haaren, klein, schmal, und mit hängenden Armen, als hätte sie schon resigniert. Daniel trat auf die Bremse und öffnete die Tür. »Einsteigen«, rief er dem Mädchen zu. Es schaute ihn verwirrt an, schien es nicht glauben zu können, daß jemand anhielt. Es hatte nur eine kleine Tasche bei sich, kam angestolpert, schüttelte sich. »Ich bin so naß«, flüsterte sie.

»Macht nichts, draußen werden Sie noch mehr naß«, erwiderte Daniel. Er griff nach der Decke, die auf dem Rücksitz lag. »Wickeln Sie sich ein«, sagte er im Befehlston. An Fees Traum dachte er nicht. Das Mädchen bot einen jammervollen Anblick.

Sie wickelte sich in die Decke und zitterte dabei. »Die Decke wird auch naß«, stammelte sie.

»Macht nichts. Hauptsache, Sie werden nicht krank. Umkleiden können Sie sich wohl nicht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts mit«, flüsterte sie. Sie sah ihn ängstlich an und kauerte sich zusammen.

»Wie alt sind Sie?« fragte er.

»Fünfzehn.«

»Dann kann ich ja noch du sagen.«

»Lieber nicht. Ich suche keinen Anschluß«, erwiderte sie bebend.

»Ich biete auch keinen«, antwortete er.

»Es ist das erste Mal, daß ich Anhalter fahre«, stotterte das Mädchen.

»Ich nehme auch selten jemanden mit. Um Klarheit zu schaffen: Ich bin Arzt, verheiratet und Vater von drei Kinder. Ich komme aus München und will nach Zürich.«

»Nach Zürich möchte ich auch«, sagte sie leise. »Ich heiße Bernadette Stötzli.«

»Und warum willst du nach Zürich?«

»Meine Mama suchen.« Sie schluchzte trocken auf.

»Warum willst du sie suchen? Weißt du nicht, wo sie ist?«

»Nein, sie ist weg, vor acht Wochen. Ich war bei der Großmutter, als sie weg ist von Papa. Aber ich will nicht zu ihm, ich will zu Mama.«

»Und du weißt, daß sie in Zürich ist?«

»Ich hoffe es. Sie hat mal zu mir gesagt, daß sie jemanden weiß, der ihr Arbeit gibt in Zürich, wenn es nimmer geht daheim.«

Ein armes Hascherl hatte er da aufgegabelt. Fee würde vor Mitleid überfließen. Daniel war augenblicklich mehr besorgt, daß sie ihre Mutter nicht finden und allein sein würde in der Großtstadt. Und er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern, denn schließlich wollte er ja an einem ihm außerordentlich wichtig erscheinenden Kongreß teilnehmen.

»Hast du in etwa eine Ahnung, wo deine Mutter sein könnte?« fragte er weiter.

Sie schüttelte den Kopf. »Aber vielleicht weiß es Tante Lina. Das ist Mamas Schwester.«

»Und wo die wohnt, das weißt du?«

»Freili. Sonst hätt’ ich doch gar nicht wagen können, nach Zürich zu fahren, ohne Geld, ohne alles.«

Na, wenigstens was, dachte Daniel, und dann erinnerte er sich an Lennis Reiseproviant. Wie gut, daß sie welchen eingepackt hatte.

»Du hast sicher Hunger«, sagte er. »An der nächsten Raststelle halten wir an, dann hole ich die Tasche aus dem Kofferraum.«

Er konnte bald anhalten, und als Bernadette die leckeren Schinkenbrote sah, lief ihr das Wasser im Munde zusammen.

»Sie sind sehr nett«, flüsterte sie.

»Seit wann hast du eigentlich nichts gegessen?« fragte Daniel.

»Seit gestern abend. Ganz in der Früh bin ich gleich weg von Großmutter, aber ich habe ihr einen Zettel hingelegt. Gehen hätt’ sie mich nicht lassen, aber sie wird schon verstehen, daß ich zu Mama will.«

Sie biß kräftig in das Brot. Ihr Haar war inzwischen fast trocken geworden. Ihr rundes, kindliches Gesicht hatte nicht mehr einen so ängstlichen Ausdruck.

»Hast du noch Geschwister?« fragte Daniel.

»Nein.«

Er hatte ihr heißen Tee eingeschenkt. »Da, trink mal, das wärmt«, sagte er väterlich.

Sie trank und warf ihm wieder einen dankbaren Blick zu.

»Ich habe Glück gehabt mit Ihnen«, sagte sie. »Mama hat immer gesagt, daß ich nicht per Anhalter fahren soll. Da kann viel passieren. Aber was sollte ich denn machen? Großmutter hat ja selbst nicht viel Geld.«

»Und deine Eltern verstehen sich nicht?«

»Papa ist hart, und er trinkt«, murmelte sie. »Mama hat es nicht mehr ausgehalten. Geschlagen hat er sie auch. Ich verstehe schon, daß sie weg ist, aber sie hätte mir doch sagen können, wo sie ist. Vielleicht hat sie es der Großmutter gesagt, aber die wollte doch, daß ich bei ihr bleibe. Ich habe meine Mama lieb. Ich will nur wissen, was werden soll, dann gehe ich zu Großmutter zurück, wenn ich nicht zu Papa brauche.«

Fee würde sagen, so was kann nur mir passieren, dachte Daniel. Aber wenn nun ein anderer angehalten hätte, einer, der die Situation des Mädchens ausgenutzt hätte? Was wäre dann aus ihr geworden, was hätte da geschehen können.

»Hat vor mir eigentlich niemand angehalten?« fragte er aus diesen Gedanken heraus.

»Doch, ein paar schon, aber die redeten gleich so komisch. Ich bedanke mich vielmals, daß Sie mich mitgenommen haben.«

Dies alles sagte sie in dem so gemütlich klingenden Dialekt, den er gern hatte.

»Na, dann wollen wir mal weiterfahren und Tante Lina suchen«, sagte er aufmunternd.

»Bis Zürich ist es aber noch ein Stückle«, meinte Bernadette.

»Ich weiß. Ich kenne Zürich. Erzähl noch ein bißchen von dir.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Papa ist Automechaniker, aber er will am liebsten Rennfahrer sein. Er verdient gut, aber er braucht alles für sich. Meine Mama ist lieb und hübsch.« Schwärmerisch sagte sie es. »Freilich drehen sich die Männer nach ihr um, und das gefällt dem Papa auch wieder nicht. Aber er geht auch mit anderen Weibsleuten, das ist was anderes. Das braucht Mama sich doch nicht gefallen zu lassen. Es tut nicht gut, wenn man so jung heiratet, gell?«

»Es kommt immer auf die Partner an, Bernadette«, sagte Daniel.

»Sie waren beide erst neunzehn. Großmutter sagt, daß es nicht gutgetan hat, aber sie mußten heiraten, weil ich unterwegs war. Die Leut reden dann halt, das finde ich auch nicht richtig.«

Sie war rührend in ihrer Naivität. Daniel begann zu schwitzen, weil er die Heizung so aufgedreht hatte, damit sie es warm hatte. Wie gut war es doch, daß ihm Fee reichlich Hemden eingepackt hatte!

»Erzählen Sie mir jetzt von Ihrer Frau und Ihren Kindern?« fragte Bernadette.

Da hätte er allerdings sehr viel zu erzählen gewußt. Aber vielleicht tat es diesem kleinen Mädchen ja auch gut, mal etwas zu hören, was wie in modernes Märchen klang.

»Meine Frau heißt Fee, meine Kinder heißen Daniel, Felix und Annekatrin.«

»Schöne Namen«, sagte Bernadette. »Ihre Frau ist auch bestimmt sehr schön.«

»Ja, sie ist sehr schön, aber warum meinst du das?«

»Weil Sie auch schön sind«, erklärte sie.

»Du liebe Güte«, lachte er auf.

»Sie sehen wie ein Filmschauspieler aus. Ich weiß nicht gleich, wie der heißt.«

»Ich bin ein ganz braver Arzt«, sagte Daniel.

»Unser Arzt ist dick und hat eine Glatze, aber nett ist er auch.«

»Das ist doch die Hauptsache.« Daniel gefiel die Gesellschaft des Mädchens jetzt schon recht gut. Er hatte ein gutes Werk getan, und die Fahrt wurde ihm nicht langweilig und eintönig, denn der Regen strömte, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet.

»Gehst du noch zur Schule?« fragte er.

»Ja, und ich möchte gern noch mehr lernen, aber Papa meint, daß ich verdienen soll. Großmutter hat gesagt, daß ich weiter zur Schule gehen kann, wenn Mama genug Geld verdient.«

Daniel überlegte, ob sich dieses Mädchen nicht nur Illusionen hingäbe. War die Mutter wirklich so, wie das Mädchen meinte? War der Vater so, wie sie ihn hinstellte? Glaubwürdig klang schon alles, aber eine Fünfzehnjährige neigte wohl dazu, alles so zu sehen, wie sie es haben wollte.

Zürich rückte nahe. Er fragte Bernadette nach der Adresse von Tante Lina.

»Ich kann Ihnen genau sagen, wie wir hinkommen. Wir waren mal mit Papa da, als Tante Lina geheiratet hat. Sie war schon achtundzwanzig, aber sie hat sich einen guten Mann gesucht. Eine schöne Wohnung haben sie. Sie hat auch keinen Ärger. Und sie hat Großmutter auch immer Geld geschickt.«

Hätte sie sich nicht auch um ihre Nichte kümmern können, fragte sich Daniel jetzt. Er hegte wirklich allerlei Befürchtungen, doch die sollten sich als überflüssig erweisen, als sie dann vor einem modernen Wohnblock hielten.

»Da wohnt Tante Lina, da in der zweiten Etage«, rief Bernadette freudig aus.

»Hoffentlich ist sie auch zu Hause«, sagte Daniel.

»Sie braucht ja nicht zu arbeiten.«

Tante Lina war zu Hause. Eine hübsche, rundliche Frau, allem Anschein nach im fünften Monat, öffnete die Tür. Kugelrund wurden ihre blauen Augen.

»Detti, meine Güte, wo kommst du her?« Und dann wurde Daniel mißtrauisch gemustert.

»Der Herr Doktor hat mich mitgenommen«, sagte Bernadette leise. »Ich will zu Mama. Weißt du, wo Mama ist?«

»Du bist weggelaufen von der Großmutter?« fragte Tante Lina vorwurfsvoll. »Bitte, kommen Sie doch herein, Herr Doktor.«

»Bernadette will zu ihrer Mutter«, sagte Daniel. »Sie stand klatschnaß an der Autobahn, und mein Weg führte nach Zürich. Da habe ich sie mitgenommen.«

»O Gott, o Gott, an wen hätte sie da geraten können!« rief Tante Lina aus. »Mama hätte dich doch geholt, Detti. Nächste Woche schon. Sie wollte nur die Wohnung einrichten. Hat Großmutter dir das nicht gesagt?«

»Gesagt hat sie es schon, aber geglaubt habe ich es nicht, Mama ist schon sechs Wochen weg.«

»Es dauert halt ein bißchen, bis alles in Ordnung ist. Entschuldigen Sie nur, Herr Doktor, aber was hat meine Nichte Ihnen nur alles erzählt?«

»Sie hat Sehnsucht nach ihrer Mutter«, erwiderte Daniel. »Norden ist mein Name. Ich komme aus München, und ich bin sehr froh, daß Bernadette nicht allein in Zürich ist. Ich will an einem Kongreß teilnehmen.«

»Hast du ein Glück gehabt, Detti. Bedank dich mal schön bei dem Herrn Doktor. Und dann gehen wir zu Mama. Und der Großmutter müssen wir auch Bescheid sagen lassen.«

»Mama wird doch nicht schimpfen?« fragte Bernadette zaghaft.

»Froh wird sie sein, daß dir nicht passiert ist, du Dummerli. Darf ich Ihnen wenigstens einen Kaffee anbieten, Herr Doktor?«

»Vielen Dank, aber ich muß jetzt ins Hotel«, erwiderte Daniel. »Wirst du mir mal schreiben, wie es dir geht, Bernadette?«

»Ja, sehr, sehr gern. Und vielen Dank für alles, Herr Doktor. Sie waren so lieb.«

»Aber laß es in Zukunft lieber, per Anhalter zu fahren.«

»Da werden wir jetzt schon aufpassen«, sagte Tante Lina.

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Das hat ja gut angefangen, dachte Daniel, als er zum Hotel fuhr. Wenn das eine Beziehung zu Fees Traum haben sollte, war es jedenfalls kein Angsttraum.

Allzuviel Zeit hatte er nicht mal versäumt. Er wurde im Hotel mit größter, echter schweizerischer Höflichkeit empfangen und ein schönes, warmes, komfortables Zimmer erwartete ihn. Er wusch sich die Hände und griff dann gleich zum Telefon.

Fee meldete sich so schnell, als hätte sie neben dem Apparat gewartet. Und er hörte, wie sie erleichtert aufatmete.

»Ich bin gut angekommen. Es ist scheußliches Wetter, aber das Zimmer ist schön und warm. Unterwegs habe ich ein nasses Kätzchen aufgesammelt und wohlbehalten abliefern können.«

»Konnte es sprechen?« fragte Fee.

Er lachte leise und erzählte ausführlich, was er erlebt hatte.

»Dich hat der Herrgott wohl zum Schutzengel bestimmt, mein Schatz«, sagte Fee. »Mich würde es beruhigen, wenn diese Reise ohne weitere Zwischenfälle verlaufen würde.«

»Ich habe nichts dagegen. Jetzt werde ich duschen und mich eine Stunde ausruhen. Sag Lenni, daß der Proviant aufgefuttert ist. Gib den Kindern Bussis.«

»Und ich?« fragte Fee.

»Dir tausend, mein Liebstes.«

»Wenn ich die zähle, bin ich beschäftigt«, lachte sie durchs Telefon.

Das Telefon war doch eine wundervolle Einrichtung, wenn man nicht gerade zu den ungelegensten Zeiten zu einem Krankenbesuch gerufen wurde. Daniel Norden legte es ganz sanft auf. Seine Gedanken waren bei seiner Frau. Es war wundervoll, daß er mit Fee über alles sprechen konnte, ohne auch nur eine Spur von Mißtrauen entgegengebracht zu bekommen.

Und dieses arme Hascherl hatte er jetzt auch gut untergebracht. Wenn sich doch alle menschlichen Probleme immer so leicht lösen lassen würden!

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Zum offiziellen Empfang erschien er mit zwanzig Minuten Verspätung, da er tatsächlich eingeschlafen war. Er pirschte sich ganz unauffällig in den Saal, aber schon wurde er von einem Kollegen bemerkt.

Dr. Percy Atkins, lang, dünn, rothaarig, klopfte ihm auf die Schulter. »Dan, ich freue mich«, sagte er. »Dich habe ich schon vermißt.«

»Und ich hatte dich gar nicht erwartet, Percy«, sagte Daniel. »Ich wähnte dich im finstersten Afrika, wo man von Kongressen gar nichts mehr vernimmt.«

»Finster war es wohl«, sagte Dr. Atkins. »Ich bin seit drei Monaten zurück, und als neuen Wohnsitz habe ich Bern.«

»Was du nicht sagst!«

»Ich habe eine Schweizerin geheiratet. Davon mehr, wenn wir mal allein sind. Hier geht es vornehm zu.« Er grinste breit.

Aber auch der offiziellste Empfang geht vorüber, und Daniel sah dann auch noch mehr bekannte Gesichter.

Dr. James aus London und Dr. Laquay aus Paris, die beiden umstrittenen Ärzte freuten sich sichtlich, als sie Daniel gewahrten. Er machte sie mit Percy Atkin‚ bekannt.

»Unter Gleichgesinnten schmeckt es besser«, meinte Daniel. »Suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen.«

Er kannte sich in Zürich am besten aus. Bald saßen sie in einem gemütlichen Restaurant an einem einladend gedeckten Tisch und unterhielten sich lebhaft. Persönliche Kontakte waren viel wertvoller als alle gescheiten Reden, fand Daniel, auch wenn man nicht in jeder Beziehung einer Meinung war. Eins verband sie, sie waren alle vier nicht so überheblich zu meinen, daß sie nichts mehr dazulernen könnten.

»Morgen werde ich ausgepfiffen, wenn ich meinen Vortrag halte«, sagte Dr. James, »aber es ist kein Einzelfall, daß sich eine Krebsgeschwulst zurückbildet. Ich kann die Beweise in zwei Fällen belegen. Es sah böse aus, aber in einem erwies sich eine Schwangerschaft als bestes Heilmittel, im anderen die Veränderung der Lebensverhältnisse.«

»Ohne medikamentöse Beeinflussung?« fragte Dr. Norden.

»Euch ist bekannt, daß ich diese Versuche auf homöopathischer Basis unternehme. Ich weiß sehr gut, daß sie nicht in jedem Fall wirkungsvoll sind, aber ich lasse mir den Glauben nicht nehmen, daß man in Einzelfällen Erfolge erzielen kann. Es ist doch besser, einem von Tausend helfen zu können als gar keinem, und wenn wir erst mal dahintergekommen sind, warum diese Methode gerade diesem einen half, sind wir wieder einen Schritt weiter. Mir hält man natürlich vor, daß es sich nicht um einen echten Krebs handelte, aber in beiden Fällen waren die Patienten von anderen Kollegen als Todeskandidaten abgeschrieben worden.«

»Und woraus schließt du, daß sie dann doch geheilt wurden?« fragte Daniel.