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Hermann Schmidt

WIR KOMMEN WIEDER!

Mit dem FC St. Pauli durch die Bundesliga

VERLAG DIE WERKSTATT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagfoto: Imago

Foto S. 4/5: Witters

Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt

Inhalt

Teil 1 Der Aufstieg

Der Business-Seat

Ein Traum wird wahr

Sommerpause

Die Reise nach Eutin

Teil 2 Die Hinrunde

Das fängt ja gut an

Knockout in letzter Minute

Ein HSV-Gartenzwerg, ein Zimtstern und ein Abseitstor

Müder HSV am Millerntor

Zum Geburtstag drei Punkte am Bökelberg

Meisterlicher BVB

Die Nacht in Hannover

Stefan Orth sorgt für Irritationen

Niederlage in Stuttgart und Training an der Kollau

Gegen die Eintracht und den Rest der Welt

Wiederaufbauhilfe Schalke

Von nun an ging’s bergab

Ein Gegner ohne Herz und Seele

Im freien Fall

Selig am Millerntor und Führerscheinentzug

Abenteuer im UKE

Wie ein Absteiger

Teil 3 Die Rückrunde

Zu Besuch im Celtic Park

Ein Punkt ist zu wenig

Die verfluchte 89. Minute

Alle Schwarzen heißen Asamoah

Skandal um René Schnitzler und elf lahme Fohlen

Hamburg ist St. Pauli

Allein in Dortmund und eine einseitige Angelegenheit

Eine weite Reise für zwölf Minuten mit dem FC St. Pauli

Debakel in Franken

Am Ende wieder nichts!

Grottenkick am Main

Schwarzer Freitag am Millerntor

Noch einmal ein großes Kampfspiel

Das Ende von etwas

Ein peinlicher Abgang

Wir kommen wieder!

Der Autor

Seien wir realistisch.

Versuchen wir das Unmögliche.“

ERNESTO CHE GUEVARA

Für Bjarne Schmidt, Fabian Boll und Thomas

Für Marcel Eger und Florian Lechner, zwei von uns

DAS HERZ VON ST. PAULI

Das Herz von St. Pauli,

Das ist meine Heimat.

In Hamburg, da bin ich zu Haus.

Der Hafen, die Lichter,

Die Sehnsucht begleiten

Das Schiff in die Ferne hinaus.

Das Herz von St. Pauli,

Das ruft dich zurück.

Im Dorf an der Elbe,

Da wartet dein Glück.

Das Herz von St. Pauli,

Das ist meine Heimat.

In Hamburg, da bin ich zu Haus.

Die Elbe, die Mädels, der Kurs ist immer gut.

St. Pauli, die Freiheit,

Das liegt uns schon im Blut.

Und hat das Lebensschiff ein Leck,

In Hamburg bleiben wir an Deck,

In Hamburg, ja, da bleiben wir an Deck.

Fanlied des FC St. Pauli

Musik: Herbert Trantow

Text: Hanns Stani

Gesang: Hans Albers

Teil 1

DER AUFSTIEG

KAPITEL 1

DER BUSINESS-SEAT

Vor der Aufstiegssaison 2009/10 hatte ich versucht, eine zweite Karte für die Haupttribüne am Millerntor zu bekommen, die mir ein Bekannter in der Geschäftsstelle zum Preis von rund 500 Euro in Aussicht gestellt hatte. Dann aber teilte mir mein Kontaktmann mit, dass auf der Haupttribüne nichts mehr frei sei. Stattdessen könne er mir einen Business-Seat auf der Südtribüne anbieten, ausnahmsweise zum Preis vom Vorjahr. Ich machte mir keine Gedanken darüber, was eine solche Karte kosten würde. Es schien sich ja ganz offensichtlich um ein Sonderangebot zu handeln. Ich wollte die Karte für Freunde oder Verwandte nutzen, die mal ein Spiel unseres Vereins sehen wollten. Dass wir dann getrennt voneinander sitzen müssten, war in meinen Augen vertretbar. Vor und nach dem Spiel würden wir ohnehin zusammen ins „Shamrock“ gehen.

Der Kontaktmann vom Verein schickte mir die Karte und die Rechnung. Auf der Karte stand: „Business-Seat, Block S2, Reihe 14, Platz 10“, und ganz fett: „SPONSOR“, und klein darunter: „Hermann H. Schmidt“.

Ehrlich gesagt, ich hatte über meine Mitgliedschaft hinaus nie eine Sponsorentätigkeit beim FC St. Pauli angestrebt. Zwar war ich seit einiger Zeit in den „Freundeskreis des FC St. Pauli“ berufen worden, in dem mehrere Unternehmer und Manager die Geschicke des Vereins wohlwollend begleiteten, doch bei meinen vergleichsweise überschaubaren Vermögensverhältnissen war ich als Sponsor eher nicht geeignet.

Die Höhe des Rechnungsbetrags für die Dauerkarte auf der Südtribüne raubte mir den Atem. Es musste eine Verwechslung vorliegen. Um das mir avisierte Schnäppchen zum einmaligen Sondertarif, dem Dauerkartenpreis vom Vorjahr, konnte es sich nicht handeln. Ich hätte für diese Summe angesichts meiner bescheidenen Ansprüche auf Malle überwintern können. Aber ich nahm es wie ein Mann: Andere Männer meiner Gehaltsklasse besitzen ein Segelboot, fahren einen Porsche oder unterhalten eine Zweitpartnerschaft in Sewastopol. Ich hingegen besaß nun neben meinem Stammplatz auf der Haupttribüne einen Business-Seat im Stadion des FC St. Pauli.

Na gut, weil ich nicht frei von Stolz bin, gebe ich zu: Es wäre mir peinlich gewesen, die Karte an den Verein zurückzuschicken. Womöglich hätten die, die mich dort kannten, gedacht, dass ich verarmt bin, weil ich meine Kohle mit Kumpels versaufe oder verzocke oder mit wildfremden Weibern durchbringe. Nein, diese Blöße wollte ich mir nicht geben.

Ich behielt die Karte, bezahlte die Rechnung und saß beim Saison-Eröffnungsspiel gegen Rot-Weiß Ahlen auf der Südtribüne, während ich meine Haupttribünen-Dauerkarte an einen Kollegen aus einem befreundeten Verlag verliehen hatte.

Der Platz auf der Südtribüne war nicht schlecht, aber die Ultras brüllten von der ersten bis zur letzten Minute, und als das Spiel fertig war, hatte ich gerade mal zwei Bier getrunken, eine Wurst gegessen und Kopfschmerzen von den Gesängen der Hardcore-Fans. Ich begann darüber nachzudenken, wie ich trotz meiner großen Liebe zum FC St. Pauli mit der Business-Karte mal ein richtig gutes Geschäft machen und einen entsprechenden Gegenwert erhalten könnte.

Es war kein Trost für mich, dass ich, wie mir in einem mehrere Seiten umfassenden Begleitschreiben zu Karte und Rechnung vom Präsidium mitgeteilt worden war, nun in der Stadionzeitung und im Treppenflur des Aufgangs zur Südtribüne namentlich als Mitglied der „EHRENWERTEN GESELLSCHAFT“ aufgeführt sein würde und dass außerdem der mit braunem Kunststoff bezogene Klappsitz mit meinem Namen beschriftet werden sollte.

Wenn ich den Preis der Südtribünen-Dauerkarte durch die Anzahl der Punktspiele der kommenden Saison teilte, dann kam ich auf einen Betrag von rund 160 Euro, die ich pro Spiel gelöhnt hatte. Mir war klar, dass ich persönlich diesen Betrag niemals durch freies Essen und Trinken im Ballsaal und auf der Tribüne würde ausgleichen können.

Und dies, obwohl ich in einem Ort geboren und aufgewachsen bin, der in Deutschland nach der bayerischen Landeshauptstadt den zweithöchsten „pro-Kopf-Bierverbrauch“ nachweisen kann. Aber im Gegensatz zu den Münchnern haben wir alles selbst gesoffen, denn Touristen verirren sich nach Biedenkopf an der Lahn so gut wie gar nicht.

Es lag aber auf der Hand, dass ich nicht mehr der Mann war, der im Laufe eines Spiels den Preis der Dauerkarte wegsaufen kann.

Ich beschloss, den zukünftigen Einsatz der Dauerkarte mit meinen Söhnen Kai und Henning zu besprechen. Von beiden lässt sich sagen, dass sie nicht aus der Art geschlagen sind. Kai, der Ältere, kann sehr viel Bier trinken und auch große Portionen essen. Aber irgendwann ist auch bei ihm Schluss. Es steht ihm dann Oberkante Unterlippe. Trinkt er nur ein Glas zu viel, dann wird ihm schlecht. Kai lehnte es also ab, die Gegengerade zu verlassen und testhalber gegen den Business-Seat einzutauschen.

Henning ist ganz ohne Zweifel derjenige in unserer Familie, der am meisten trinken kann. Er trank mir schon als kleiner Junge immer den Schaum vom Pils ab und wollte sich bereits bei der Konfirmation seines älteren Bruders, als er noch nicht einmal zur Schule ging, ein Gedeck (Bier und Korn) bestellen. Fragte man ihn damals, was er sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten wünsche, dann sagte der Junge: „Ein Bier und was zum Lesen.“ Henning verträgt nicht nur Bier, sondern auch andere alkoholische Getränke. Nur: Wenn Henning trinkt, dann isst er grundsätzlich nichts. Einen Betrag in Höhe des umgerechneten Dauerkartenpreises pro Spiel allein durch Trinken wieder auszugleichen: Das schien selbst für so einen zähen Kämpfer wie Henning eine aussichtslose Sache zu sein.

Er war es schließlich, der die rettende Idee hatte. Da gab es noch seinen Kumpel Jakob, mit dem er vor Jahren den Ortsverein der POGO-Partei in Norderstedt gegründet hatte. Jakob, gelernter Dachdecker, arbeitete jetzt im Hamburger Hafen. Er gierte seit Jahr und Tag danach, immer dann, wenn er nicht selbst mit seinem Verein in der Kreisliga in Elmshorn spielen musste, Spiele des FC St. Pauli anzusehen.

Zum zweiten Spiel der Zweitliga-Saison gegen die Zebras aus Duisburg würde Jakob, den meine Söhne als den „Mann aus Eisen“ bezeichneten, zum Einsatz auf der Südtribüne kommen. Henning und Kai hatten ihn an mehreren Abenden auf seine Aufgabe vorbereitet.

Kai, Henning und ich holten Jakob, den Mann, auf den ich alles gesetzt hatte, am Samstag, den 22. August, um neun Uhr zu Hause ab und fuhren mit ihm ins „Shamrock“ in der Feldstraße.

Jakob trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „THE CHAMPION“ auf dem Rücken und eine kurze Hose, die unterhalb der Knie endete. Ich bestellte drei Becks für die Jungs und für mich ein Wasser. Jakob sah beeindruckend aus. Er war 1,90 Meter groß, an den Beinen stark behaart. Ein kantiges Kinn verlieh ihm etwas Kämpferisches, und seine hellblauen Augen ließen mich vermuten, dass er einen Zapfhahn zum Glühen bringen konnte.

„Jakob“, sagte ich, „Jakob, du sitzt heute allein auf der Südtribüne. Essen und Trinken, alles ist frei.“

„Alles klar, Chef“, antwortete Jakob, „I’ll do my very best.“

Ich fragte Jakob: „Wie viel kannst du trinken, Junge?“

„Es kommt auf die Tagesform an“, antwortete Jakob, „aber heute habe ich ein sehr gutes Gefühl.“

Wir rechneten gemeinsam aus, was Jakob konsumieren müsste, um auf einen Gegenwert von 100 Euro zu kommen. Alsbald stritten wir darüber, ob sie im Catering des FC St. Pauli in 0,3 oder 0,4 l ausschenken und was ein Glas Bier 0,33 l im Durchschnitt in Deutschland kostet.

Es war uns allen klar, dass, was auch immer geschehen würde, die Aufgabenstellung für Jakob sehr anspruchsvoll war. Anderthalb Stunden vor Spielbeginn verließen wir die Wirtin April Young und das „Shamrock“ und gingen hinüber zur Südtribüne.

Als wir Jakob am Aufgang zu den Bonzenplätzen ablieferten und die schwarzen Ordner ihm das gelbe Armband wie eine Handschelle anlegten, sah Jakob, der Mann aus Eisen, nicht mehr zurück. Er hob die linke Faust zum Gruß wie einst 1968 die Black-Panther-Sympathisanten Tom Smith und John Carlos bei der Siegerehrung zum 200-m-Finale im Olympiastadion von Mexico-City. Ich erschauerte in Ehrfurcht.

„Wir holen dich nach dem Spiel hier an Ort und Stelle wieder ab“, rief ich Jakob noch hinterher.

Unmittelbar vor Spielbeginn klingelte ich Jakob über Handy an, um die Lage zu peilen und den Zwischenstand zu erkunden.

„Ey Alter“, sagte Jakob sehr ruhig und bestimmt, „ich habe schon zwei Currywürste mit Pommes verdrückt und bis jetzt sieben Bier getrunken.“

„Das kann sich sehen lassen“, erwiderte ich anerkennend, „aber mach schön langsam, übernimm dich nicht. Nicht, dass dir noch schlecht wird.“

„Mir und schlecht werden“, äffte Jakob mich nach, „sehe ich vielleicht aus wie ein Mann, dem nach sieben Bierchen schlecht wird?“

Ich gab keine Antwort, und dann sagte Jakob noch: „Aber es ist ein geiler Platz, den du da gekauft hast. Hier, direkt an der Treppe, kommt die Kellnerin alle fünf Minuten vorbei. Bei jedem zweiten Mal lasse ich mir drei Bier geben. Das flutscht nur so. Schluck, schluck, schluck, und weg ist das Astra.“

„Gemach, gemach“, gab ich zu bedenken, „in der Ruhe liegt die Kraft. Denk dran, Jakob: Ein Spiel hat 90 Minuten.“

„Jawohl, Herr Lehrer“, gab Jakob zur Antwort, „ich esse jetzt erst mal vier Scheiben von dem Schweinebraten und ein bisschen Rotkohl dazu.“

Tut. Tut. Tut. Jakob hatte das Gespräch beendet. Ich suchte die Südtribüne mit bloßem Auge ab und sah von ferne, wie ein großgewachsener Mann in halblangen Hosen die Tribünentreppe hinunterschritt. Die Sonne knallte auf den Rasen. Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an.

Ich überschlug kurz, was Jakob schon geleistet hatte: sieben Bier, zwei Currywürste mit Pommes, und nun kämen noch mal vier Scheiben Schweinsbraten mit Rotkohl und mindestens drei weitere Biere hinzu. Da kamen schon mal locker schlappe 50 Euro zusammen.

Das Spiel gegen den MSV Duisburg war wirklich kein Knaller. Der Kick plätscherte so vor sich hin. Was Jakob jetzt wohl trieb? Gottlob schenkten sie keinen Schnaps aus im Ballsaal.

Ich dachte, dass es gut sei, wenn er öfter zum Klo ginge, denn eine gute Verdauung schafft Platz für Nachschub, und wie der Engländer schon ganz richtig sagt: „What comes in, must come out.“

In der Halbzeit meldete sich Jakob wieder. Seine Stimme klang gedämpft, die Sprache hatte an Fahrt verloren.

„Alter“, sagte er langsam, „mein Alter, ich sehe mir jetzt das Spiel auf der Großbildleinwand im Ballsaal an. Ich sitze an der Theke. Und dreimal darfst du raten, was hinter der Theke ist.“

Ich schwieg einen Moment, um zu überlegen.

Und wieder Jakob: „Nu rate mal, Alter!“

„Woher soll ich das wissen“, entgegnete ich, „nun lass schon die Katze aus dem Sack. Jakob, was ist hinter der Theke?“

„Na, was schon“, tönte Jakob, „was ist hinter der Theke, was wird da wohl sein, du Eimer. Eine rattenscharfe Alte ist hinter der Theke.“

Jakob schien schon ganz schön knülle zu sein. Auf dem Platz lag eine Niederlage gegen die Zebras in der Luft.

„Jakob“, sagte ich, „reiß dich zusammen, solche sexistischen Sprüche kannst du beim FC St. Pauli nicht bringen, und schon gar nicht in diesem noblen Ballsaal. Sie werden dich noch rausschmeißen.“

„Mann“, sagte Jakob, „Mann, Hermann, mich und rausschmeißen. Die Frau hinter der Theke heißt Lucy und sieht aus wie eine Zigeunerin, einfach hinreißend. Und ich kommunisiere mit ihr.“

„Wie“, fragte ich, „was soll das heißen, du kommunisierst mit ihr.“

„Ja, kommunisieren, das ist schon etwas mehr als reden“, antwortete Jakob, „die Sprache ist nämlich die Quelle aller Missverständnisse.“

„Soso“, sagte ich resignierend.

„Und“, ergänzte Jakob, „wie sagte schon der berühmte französische Flugzeugpilot und Dichter Saint-Exupéry, kurz bevor er in der afrikanischen Wüste abstürzte, er sagte ganz einfach: ‚Man sieht nur mit den Augen gut.“‘

Ich konnte nur noch den Kopf schütteln.

„Das wird noch böse enden“, dachte ich.

Nun flüsterte Jakob: „Ja, und sie hat mir schon aus der Hand gelesen. Augen hat sie, die Lucy, schwarz wie die Nacht. Damit hat sie mir aus der Hand gelesen. Ich sage dir, sie verfolgt jeden Millimeter meiner Hand-Innenfläche, jede Spur und jede Linie, und sie sagt, dass in der Lebenslinie geschrieben steht, dass ich treu und ehrlich bin und im Mai des kommenden Jahres wird etwas ganz Unglaubliches passieren.“

„Was soll passieren im nächsten Frühjahr“, fragte ich ganz ruhig.

„Darauf kommst du nie, Alter“, sagte Jakob nun wieder lauter.

„Nee, keine Idee“, antwortete ich.

„Der FC St. Pauli steigt auf“, sagte Jakob bedeutungsschwanger, „es steht in meiner Hand geschrieben.“

Ich war sprachlos.

„Da staunst du, was?“ fragte Jakob.

Ich sagte nichts mehr.

„Lucy, mach mir noch mal drei Bier“, hörte ich ihn von ferne sagen. Jakob hatte sich wohl die nächste Runde bestellt.

„Ich bin bei Bier Nummer 13“, erklärte er wieder leise und fügte dann flüsternd hinzu: „Ich verschwinde nun mal kurz in der Besenkammer.“

„Jakob“, sagte ich, „Jakob, hör jetzt auf mit dem Scheiß, die Toilette ist einen Stock höher.“

„Die Besenkammer such ich“, sagte Jakob, „nicht die Toilette.“

Ich war mit den Nerven fertig. Hoffentlich zeigte der meine Dauerkarte mit dem Namen HERMANN SCHMIDT nicht herum. Das konnte ja noch heiter werden. Wo doch sexuelle Belästigungen und jedwede andere Unverschämtheit in unserem Verein von Corny & Co. mit drakonischer Härte verfolgt wurden.

Nach 90 mittelmäßigen Minuten stand das Spiel 2:2, und der Schiedsrichter pfiff ab. Florian Bruns war der überragende Mann auf dem Platz gewesen. Henning, Kai und ich warteten vor der Südtribüne auf Jakob. Nach einer Viertelstunde stand Jakob mit einem strahlenden Lächeln vor uns. Neben ihm stand eine dunkelhaarige, junge Frau, die so schön war, dass es meinen Söhnen und mir die Sprache verschlug. Sie sah aus wie die jüngere Schwester von Julia Roberts, nur noch verführerischer.

„Und ab geht die Lucy“, sagte Jakob, und Lucy zwinkerte uns zu.

Er legte den rechten Arm um ihre Hüfte, gab mir die Dauerkarte zurück und verabschiedete sich. Wohin sie anschließend gegangen sind, das wird Jakobs Geheimnis bleiben und ebenso, ob Jakob tatsächlich 13 Bier an diesem Nachmittag getrunken hat.

Die Investition für die Business-Karte aber hat sich durch eine glückliche Fügung bezahlt gemacht. Wir haben dem Mann von der Kartenabteilung des FC St. Pauli ein Schnippchen geschlagen. Lucy und Jakob haben sich nämlich zu Weihnachten 2009 verlobt. Wo kriegt man schon eine Frau fürs Leben zu einem solchen Spottpreis?

Das größere Wunder freilich war der von Lucy vorhergesagte Aufstieg des FC St. Pauli ein paar Monate später.

KAPITEL 2

EIN TRAUM WIRD WAHR

Im Jahr 2009 war ich insgesamt viermal an Blasenkrebs operiert worden. An dem Tag, an dem der Urologe Bernd Hoffmann aus Ulzburg meine Krankheit entdeckt hatte, dem 30. Januar 2009, wusste ich noch nicht, was mir in den kommenden Monaten bevorstehen würde.

Wenn mir jemand ernsthaft vor der Saison 2009/10 prophezeit hätte, dass der FC St. Pauli in die Bundesliga aufsteigen würde, dann hätte ich jede Wette dagegen gehalten. Bereits das Auftaktspiel, gegen den späteren Absteiger RW Ahlen am Millerntor, hatte bei den meisten Fans und mir viele Wünsche offengelassen.

Am 17. August 2009, dem Tag, an dem unsere Jungs zum Eröffnungsspiel im neuen Tivoli zu Aachen antreten mussten, war ich wieder einmal auf dem Operationstisch des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) gelandet. Das Match in Aachen war das zweite Spiel der Saison. Als ich in jener Montagnacht nach der Operation die Augen aufschlug, fragte ich die Schwester an meinem Krankenbett, wie unser Spiel bei den Aachener Alemannen ausgegangen sei. Als sie sagte, dass wir dort 5:0 gewonnen hätten, dachte ich in meinem Dämmerzustand, dass ich aufgrund meines stets vorbildlichen Lebenswandels vom lieben Gott bereits vorzeitig ins Paradies befördert worden sei, frei nach der These „only the good die young“, und dass der Aufstieg in die Bundesliga in dieser Saison nun unmittelbar bevorstehe.

Aber bis zur Erfüllung dieses Wunschtraums war es noch ein weiter Weg.

Zu Hause gegen Kaiserslautern, unmittelbar vor meinem runden Geburtstag, sahen wir alt aus. Die roten Teufel waren einfach besser als unsere Truppe. Das hatte sich schon eine Woche vorher beim Auswärtsspiel am Bornheimer Hang gegen den FSV Frankfurt angedeutet. Nur mit Ach und Krach hatten wir dort gewonnen. Besser sahen wir dann beim Auswärtsspiel in Oberhausen aus. Wir spielten dort nach schleppendem Beginn frech nach vorne und wurden mit einem Sieg belohnt. Nach Oberhausen war ich gemeinsam mit Thomas Meggle gereist. Der Weg vom Parkplatz bis zum Stadion war für Meggi eine Art Spießrutenlauf mit Belästigungen. Zwei Blondinen küssten ihn auf die Wange, andere versuchten seine Hand zu erhaschen. Thomas war das unangenehm. In der Regel war in Deutschland so etwas früher nicht üblich, und geküsst wurde nur, wenn das Licht aus war, und bei der Oma unterm Weihnachtsbaum. Auf der Buchmesse in Frankfurt, die wir am nächsten Tag gemeinsam besuchten, blieb Thomas unbehelligt.

Das Auswärtsspiel in Rostock sah ich mir aus Sicherheitsgründen lieber im Fernsehen an.

Als Deniz Naki seine zur Legende gewordene „Halsabschneider“-Handbewegung machte, da fühlte ich mich an meine Jugendzeit erinnert. Obwohl ich nördlich des Mains geboren bin und wahrscheinlich kein sizilianisches Blut in meinen Adern fließt, wäre ich auch zu einer solchen Reaktion fähig gewesen. Deshalb fand ich Deniz Nakis Reaktion auf die Provokationen der Rostocker „Fans“ auch gar nicht so dramatisch, wie die ewig moralinsauren Teile des FC-St.-Pauli-Anhangs das im Nachhinein werteten. Und das Rammen unserer FC-St.-Pauli-Fahne in den Rasen des Rostocker Ostseestadions war mir wie eine Genugtuung für alles, was unserem Verein, unseren Spielern und Fans seitens des radikalen Rostocker Anhangs bisher angetan wurde. Ja, Corny Littmann hätte man sein müssen oder Helmut Schulte, dann hätte man dem Deniz eine Prämie zahlen können für diese gelungene Demonstration. Sieg in Rostock! Darauf kam es an. Was für ein Tag!

Dann, im November, wurde die Haupttribüne am Millerntor abgerissen. Auf Wunsch des Vorstandes sollte ich zur „Abrissparty“ am 12. November stellvertretend für die Fans aus dem Kuchen- und Bonzenblock eine Rede halten. Nachdem Cornelius Littmann und zwei Kommunalpolitiker feierlich gesprochen hatten, sagte ich:

„Liebe Fans des FC St. Pauli,

in knapp 20 Jahren habe ich bei rund 400 Spielen auf der Haupttribüne gesessen. Zunächst auf den rot angestrichenen Holzbänken, links vom Haupteingang. Da wurde es mir zu eng, weil meine Nachbarn und ich selbst im Laufe der Jahre immer dicker wurden. Ich bin dann auf einem Plastiksitz in Block 9 gelandet, gleich unterhalb der Presseleute.

Ich gebe zu: In all diesen Jahren habe ich mich nicht immer an die Regeln des Vorstandes gehalten, die für unser Verhalten im Stadion sozusagen Gesetz sind. Für mich, als einem Menschen, der, rein temperamentsmäßig betrachtet, unserem Deniz Naki sehr viel näher steht als einem Freiherrn von Knigge, war es sehr schwer, die hohen Ansprüche von Cornelius Littmann an mein Benehmen allzeit zu erfüllen. Inzwischen, nach dem Spiel in Rostock, gehöre ich zudem der Bewegung FREE NAKI an. Deniz, wir lieben dich!

Lieber Corny, liebe Anna vom Security Service Centro, vielen Dank dafür, dass ihr mich trotz meiner manchmal unflätigen Zurufe und Gesten in Richtung Schiedsrichter und Gästespieler stets auf meinem Platz belassen und nicht aus dem Stadion entfernt habt.

Zu meiner Entlastung kann ich vortragen, dass ich in der langen Zeit meines Haupttribünen-Schicksals dort circa 1.500 Astra 0,4 l getrunken, rund 8.000 Zigaretten geraucht und 400 Currywürste gegessen habe.

Es gab Tage, an denen ich, weil wir verloren hatten, tief enttäuscht über das Heiligengeistfeld in Richtung ‚Shamrock‘ geschlichen bin, aber es gab auch Spiele, nach denen ich so glücklich war, als hätte mir der liebe Gott in Form meiner Dauerkarte den vorzeitigen Zugang zum Garten Eden gewährt.

Es war aber nicht der liebe Gott, sondern es waren die Fußballgötter vom Millerntor, Thomas Meggle, Florian Bruns, Fabian Boll und Co., die mich manchmal in den Zustand der Glückseligkeit versetzt haben.

Liebe Fans des FC St. Pauli, die Haupttribüne des FC St. Pauli ist mir in 20 Jahren zur Stammkneipe geworden. Und von meinem Platz aus, in Reihe 10, habe ich hautnah Spiele miterlebt, gegen die ein Kick von Bayer Leverkusen den Charakter einer Schlaftablette hat. Es ist ein Wunder, dass ich all diese Aufregungen heil überstanden habe und noch am Leben bin. Deshalb, ihr Lieben, muss ich, auch im Namen zahlreicher Gesinnungsgenossen, in aller Form und mit Nachdruck gegen den bevorstehenden Abriss protestieren.

Nichts mehr wird so sein, wie es war.

Weil es aber wegen des schnöden Mammons nun trotzdem sein muss, habe ich folgende drei Wünsche an den Vorstand, wie mit dem Geld und den zukünftigen Mehreinnahmen verfahren werden soll.

1. Ich bitte, dafür Sorge zu tragen, dass in die neue Haupttribüne mehr Pissoirs eingebaut werden, sowohl für Männer als auch für Frauen. Diese Maßnahme baut Stress auf der Tribüne ab und erhöht den Bierumsatz.

2. Baut bitte keine unüberwindbare Barriere zwischen den neuen Zuschauerblock und das Spielfeld. Südländisch temperierte Zuschauer wie ich brauchen auch in fortgeschrittenem Alter stets das Gefühl, den Rasen bei gegebenem Anlass stürmen zu können.

3. Gebt Holger Stanislawski und André Trulsen eine lebenslange Dauerkarte, nicht für einen Sitzplatz, sondern für den Trainerjob. Etwas Besseres werdet ihr nicht finden.

Wenn noch etwas übrig ist von dem Geld, dann erhöht die Spielergehälter und die Prämien und sorgt dafür, dass uns Morike Sako erhalten bleibt, weil er der lustigste Kerl ist, den wir je hatten.

Hermann Hesse schrieb: ‚Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.‘ Darauf hoffe auch ich, nächstes Jahr, im neuen Stadion und in der ersten Liga.“

An den Wiederaufstieg in die Bundesliga, den ich im letzten Satz meiner Abrissrede erwähnt hatte, glaubte ich im November 2009 nicht wirklich.

Vielleicht hätte ich Prophet werden sollen! Doch zunächst, unmittelbar vor Weihnachten, am 16. Dezember 2009, musste ich zur nächsten Krebsoperation antreten. Allmählich verlor ich, mich selbst, meine Krankheit und meinen Beruf betreffend, die Zuversicht. Bislang hatte die BCG-Therapie, bei der mittels eines Katheters Tuberkulose-Bakterien in den Körper gepumpt werden, welche die Krebszellen bekämpfen sollen, anscheinend nicht richtig geholfen.

Diese Prozedur hatte ich nun schon ungefähr 15-mal über mich ergehen lassen müssen. In unmittelbarer Folge stellten sich regelmäßig Fieberschübe, Gliederschmerzen und eine bleierne Müdigkeit in meinem Körper ein. Doch wie durch ein Wunder teilte mir mein Arzt Bernd Hoffmann noch vor Weihnachten des Jahres 2009 mit, dass in meiner Blase keine neuen Krebszellen gefunden worden seien. Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk.

Von Kaiserslautern blieb mir in Erinnerung: eine Leere vor dem Bahnhof wie in einer osteuropäischen Provinzstadt, zwei hübsche und freundliche Kellnerinnen in einem Café am Hauptbahnhof, die mich in meiner Totenkopf-Jacke anlächelten, als käme ich von einem anderen Stern, sowie eine nicht weiter erwähnenswerte Niederlage.

Den Trip nach München gegen die Sechziger lohnte allein der schöne Frühschoppen im „Augustinerkeller“ auf Einladung unseres Vorstands und das Wiedersehen mit meinem alten Freund Hartmut Grimm. Nach der berechtigten Niederlage gegen zehn Sechziger verstärkte sich mein Eindruck, dass wir in dieser Verfassung in der ersten Liga nichts zu suchen hatten.

Zum Spiel in Düsseldorf am Ostermontag traf ich mich mit Hemby, meinem Cousin, und mit den Töchtern meines vor vielen Jahren verstorbenen Freundes Helmut Dersch, Marion und Anke, die auch Fans des FC St. Pauli sind. Sobald die Sonne zum Vorschein kam, war es auch gleich so warm, dass man ohne zu frieren im Freien sitzen konnte. Also beschlossen wir, vor dem Spiel eine lustige Schifffahrt auf dem Rhein zu machen, doch am Ende des Tages hatten wir einmal mehr auswärts verloren. Dabei waren die Düsseldorfer nicht unbedingt stärker als wir.

Inzwischen hielten mich neben dem FC St. Pauli und meiner Krankheit auch berufliche Ärgernisse in Atem. Wegen eines Artikels, den ich Anfang Februar über Pressevielfalt und Marktmacht geschrieben hatte, forderte ein Hamburger Verlag eine Unterlassungserklärung von mir. Auf Anraten meines Anwalts Michael Nesselhauf unterschrieb ich nicht. In der Folge entwickelten sich Auseinandersetzungen ohne Ende, in die neben mir auch unabhängige Pressegrossisten und Journalisten einbezogen wurden.

Zum vorletzten Heimspiel gegen TuS Koblenz waren mein Chef und dessen Sohn mit von der Partie. Nach Fürth fuhr ich aus Aberglaube nicht mit, um sicherzugehen, dass wir dort eine Chance haben würden.

Fabian Boll und Thomas Meggle hatten mich ausdrücklich darum gebeten, daheim zu bleiben, weil unsere Spiele fast immer in die Hose gingen, wenn ich auswärts mitfuhr. Dafür waren Kai und Henning mit Jasper, einem Freund von den Beiden, im Fan-Zug unterwegs. Und siehe da: Sieg und vorzeitiger Aufstieg in die Bundesliga! Wahrscheinlich sind wir aufgestiegen, weil ich in Fürth nicht dabei war.

Das noch ausstehende Spiel daheim gegen Paderborn: Geschenkt. Aber nach dieser Niederlage schwante mir für die Bundesligasaison 2010/11 nichts Gutes. Wenige Tage später sagte unser Sportdirektor Helmut Schulte in einem Interview: „Wir spielen unten mit.“

KAPITEL 3

SOMMERPAUSE

Bevor wir die Ankündigung von Helmut Schulte wahr machten und unten mitspielten, fuhr ich für ein paar Tage nach Tutzing zu einer Konferenz an den Starnberger See.

Zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen schien die Sonne wieder warm vom Himmel. Nun plötzlich, nach dem arktischen Winter und den sich anschließenden täglichen Wolkenbrüchen, war es in Deutschland endlich Sommer geworden. Nachts im Hotel konnte ich das Fenster nicht aufmachen, weil sich dann Schwärme von Stechmücken in meinem Zimmer eingenistet hätten. Wahrscheinlich lauerten Kolonien der Plagegeister unten am Seeufer und warteten nur darauf, dass ich, der Mann mit dem süßen Blut auf Zimmer 252, das Licht anund die Balkontür aufmache, um mich anzugreifen und auszusaugen.

So lag ich nachts lange wach und stand morgens um fünf Uhr auf, um in meiner schwarzen FC-St.-Pauli-Unterhose mit Totenkopf-Emblem in den See zu steigen und eine Runde zu schwimmen.

Gegenüber, am anderen Ufer, war der schwule Bayernkönig Ludwig II. im Jahr 1886 ein für alle Mal in die Fluten des Starnberger Sees gestiegen und ersoffen. Somit war das Königreich Bayern für ein schlappes Jahrhundert skandaltechnisch gesehen von der Bildfläche verschwunden, bis es dann von Franz Josef Strauß, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, Rudolph Moshammer und dem Schwaben Uli Hoeneß wieder wachgeküsst wurde.

In diesen Tagen erfuhr ich nichts vom FC St. Pauli, außer wenn Thomas Meggle mich anrief und über die jüngsten Ereignisse am Millerntor und an der Kollau berichtete. Ich hatte in Bayern während der Tagung eine Woche lang so gut wie mit niemandem gesprochen, außer an den Tagen und Abenden, an denen ich zu einer befreundeten Familie in Tutzing eingeladen war, die ich über Annette Rückert von der „FAZ“ kennengelernt hatte.

Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken über meine Krankheit und all das, was in den letzen zwei Jahrzehnten geschehen war.

Noch vor dem Spiel gegen die Argentinier fuhr ich wieder zurück nach Hamburg. Die Argentinier waren mein Favorit auf den Weltmeistertitel.

Zudem mochte ich Diego Maradona, nicht zuletzt, weil er ein so schräger Typ war, und auch, weil er mit Fidel Castro befreundet ist. Und noch mehr mochte ich Lionel Messi. Der war für mich der beste Fußballspieler der Welt.

In Südafrika lief seit Tagen die WM. Das Spiel gegen die Argentinier wollte ich mir in meiner Wohnung in Dahme an der Ostsee ansehen. Vor dem Spiel saß ich quer in einem Strandkorb, um der mörderisch heißen Sonne zu entgehen, und las meine Lieblingszeitungen, die „Süddeutsche“ und die „ZEIT“.

In der Ferne hatten die Farben des Sommers Bilder wie aus der Südsee gemalt: Wie auf eine Wäscheleine gezogen, schien die Insel Fehmarn über dem Meer zu schweben. Bis in die Abendstunden hinein strich ein sanfter heißer Sommerwind vom Dorf hinüber auf die Ostsee. Die Strandkörbe im hellen Sand waren leer. Auf der Dahmer Seebrücke stand ein einsamer Angler, dessen Konturen sich dunkel gegen das im Sonnenlicht glänzende Meer abhoben. Nach dem Sieg gegen die Argentinier jagten die Fans am Strand Raketen in die Luft. Noch lange nach Mitternacht hörte man die Gesänge der Jugendlichen an der Promenade.

Am nächsten Mittag fuhr ich hinüber nach Neumünster ins Stadion an der Geerdtstraße. Dort spielte der FC St. Pauli zum 100. Jubiläum des VfR Neumünster auf. Mein ständiger Wochenend-Fußballbegleiter Gerd Sprotte war schon da und wartete an der Würstchenbude auf mich. Ich unterhielt mich vor Spielbeginn mit Florian Lechner, Marcel Eger und Fabian Boll. Flo hatte die Haare ganz kurz geschnitten, und Marcel war wie immer blendend gelaunt. Marcel Eger ist der freundlichste Fußballer, den ich je kennengelernt habe. Fabian berichtete von den Strapazen des Trainingslagers in Schneverdingen/Lüneburger Heide.