Alexandra Benardis-Schnek
ist seit vielen Jahren freiberufliche Logopädin in Reutlingen und Mutter zweier Töchter, von denen eine Tochter – Jessica – ein Down-Syndrom hat. Langjährige Zusammenarbeit mit der Kieferorthopädischen und Kieferchirurgischen Univ.-Klinik in Tübingen. Vor ihrer Ausbildung zur Logopädin in Mainz (Examensarbeit zu den logopädischen Therapiemöglichkeiten bei Kindern mit Morbus Down) arbeitete sie 2 Jahre als Kinderkrankenpflegerin auf der Säuglingsstation der Univ. -Kinderklinik Tübingen, Abteilung Entwicklungsneurologie bei Prof. Richard Michaelis. Neben zahlreichen Weiterbildungen (Dysphagie-Therapien mit Akutpatienten, Ausbildung zur Gestaltpsychotherapeutin, Supervisionsausbildung bei Prof. Wolfgang Wendlandt) engagierte sie sich 6 Jahre ehrenamtlich im Bundesvorstand des dbl e.V.; seit 2002 ist sie Redaktionsmitglied des Forum Logopädie.
Mundtherapie
bei Morbus Down
Ein Ratgeber für Eltern
von Kleinkindern
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de
1. Auflage 2005
ISBN 3-8248-0380-1
Alle Rechte vorbehalten
© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein 2005
Umschlagfotos: Archiv Schulz-Kirchner Verlag
Lektorat: Doris Zimmermann
Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck
Druck und Bindung: Elektra, Niedernhausen
Printed in Germany
Vorwort zur Reihe
Einleitung
Allgemeine und orofaziale Entwicklung beim Down-Syndrom
Allgemeine Symptomatik
Retardierung der statomotorischen Entwicklung
Retardierung der sensomotorischen Entwicklung
Retardierung der vorsprachlichen Entwicklung
Zusammenfassung
Orofaziale Symptomatik
Beobachtungsbogen zu den häufigsten orofazialen Symptomen
Beobachtungsbogen zu den orofazialen Entwicklungsfortschritten
Zusammenfassung
Die Entwicklung der orofazialen Sensomotorik durch die Therapie
Ein Therapiekonzept mit 10 Arbeitshypothesen für eine effektive logopädische Behandlung
So viel Stimulation wie notwendig, so wenig wie möglich
Wichtige Behandlungsformen bewährter Methoden
Zusammenfassung
Zur Regulation der orofazialen Symptomatik
Ein Übungsprogramm zur Verbesserung der Mundmotorik
Training der intraoralen Zungenlage
Training des intraoralen Schluckmusters
Zusammenfassung
Zur Stabilisierung der Atem-, Saug- und Schluckfunktionen
Die Behandlung von Atemstörungen
Obstruktionen als Entwicklungsbremse
Lagerungshilfen und Monitorüberwachung
Therapeutische Griffe zur Atemregulation und zur Tonisierung des Zungengrundes
Zusammenfassung
Die Stabilisierung der Saug- und Schluckfunktionen
Schlucktraining mit dem Fingerfeeder
Aufbau der Saugmuskulatur
Anbahnung des Atem-Saug-Schluckablaufes beim ersten Trinken aus dem Fläschchen
Zusammenfassung
Das Trink- und Esstraining
Trinken aus dem Fläschchen
Fläschchentrinken in verschiedenen Körperhaltungen
Grundsätzliche Hilfestellungen beim Trinken aus dem Fläschchen
Trinken aus dem Becher
Anbahnung der Kaubewegungen
Zusammenfassung
Essen vom Löffel
Grundsätzliche Hilfestellungen beim Essen
Zusammenfassung
Selbstständiges Essen
Zusammenfassung
Die Vorbereitungen auf die frühe Sprachentwicklung
Mimik und Kontaktverhalten
Förderung der Dialogfähigkeit
Stimmliche Äußerungen und Imitationsversuche
Funktionale und soziale Verstärkung der Lallansätze
Zur Förderung des Sprachverständnisses
Zusammenfassung
Die Behandlung mit den Gaumenplatten
Welche Platte braucht mein Kind?
Tragezeit und Tragedauer der Gaumenplatten
Ein Tagesplan zur Plattenstimulation
Plattenhygiene
Zusammenfassung
Die krankengymnastische Förderung
Aufbau von Körperspannung, Aufrichtung und Tiefensensibilität
Zusammenfassung
Förderliche Erziehungshaltungen
Die zwei „f“: fürsorglich-fordernde Haltung
Emotionale Empfänglichkeit als Leitfaden
Falsche Attribuition
Die Bedeutung von Stereotypien
Zusammenfassung
Medikamenten- und Materialliste
Weiterführende Adressen
Literaturhinweise
Abbildungsverzeichnis
Fachglossar
Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln auf wissenschaftlicher Basis kurz und knapp grundlegende Kenntnisse und Hilfestellungen in den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie sowie Medizin. Die Autor(inn)en sind ausgewiesene Fachleute, die sich mit dem jeweiligen Thema in Lehre, Forschung und Weiterbildung beschäftigen.
Frau Alexandra Benardis-Schnek gelingt es als engagierter Fachperson und als betroffener Mutter in doppelt überzeugender Weise, das Thema „Mundtherapie bei Morbus Down“ für Eltern aufzubereiten. Ich hoffe, dass der vorliegende Ratgeber den Informationen und Hilfe suchenden Eltern das Gewünschte bietet.
Prof. Dr. Jürgen Tesak
Fachbereich Gesundheit
Europa Fachhochschule Idstein
Der vorliegende Ratgeber bietet Ihnen als Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom logopädische Übungen, die sich ohne großen Aufwand in den Familienalltag integrieren lassen. Das bedeutet, es reicht aus, wenn Sie sich einmal täglich etwa eine Viertelstunde für die Mundmotorik Zeit nehmen, um die Arbeit der behandelnden LogopädIn zu unterstützen. Frühe therapeutische Interventionen sind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Beobachtungsbögen und Tipps zu ganzheitlichen Fördermaßnahmen vervollständigen die Elternanleitungen.
Ab den ersten Lebenswochen bis zum 3. Lebensjahr ist eine Kombination verschiedener interdisziplinärer Behandlungsmaßnahmen ideal, um die orofaziale Entwicklung von Kindern mit Down-Syndrom frühzeitig voranzubringen. Vorgestellt werden funktionale logopädische Übungen und Griffe mit und ohne Stimulationsmaterial, eine in den Alltag einbezogene Trink- und Esstherapie sowie eine individuell angepasste kieferorthopädische Gaumenplattenbehandlung. Diese drei häuslich durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen ergänzen sich hervorragend. Darüber hinaus gibt Ihnen der Ratgeber praktische Informationen zur Medikamentierung und wichtige Hinweise zum Aufbau einer ganzkörperlichen eutonen Muskelspannung mit Hilfe geeigneter krankengymnastischer Behandlung und Hilfsmittel.
Diese therapeutischen Anleitungen können allerdings keine logopädische, krankengymnastische, kieferorthopädische oder kinderärztliche Behandlung ersetzen. Bitte besprechen Sie daher die individuellen Maßnahmen mit Ihrer LogopädIn, Ihrer ÄrztIn und Ihrer KrankengymnastIn.
Mein besonderer Dank gilt Prof. Poets von der Universitäts-Kinderklinik in Tübingen für seine Unterstützung bei den Abbildungen von Schlaflabor-Ergebnissen. Prof. Poets ist es anhand dieser Diagnostik möglich, vielen Kindern mit Down-Syndrom bei Obstruktionen und Sättigungsabfällen zu helfen. Ein großes Dankeschön geht an Oberärztin Dr. Korbmacher vom Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf für ihre Informationen zu den dort in Anlehnung an Castillo-Morales weiterentwickelten, sehr effektiven Gaumenplatten und für ihre Hinweise zum orofazialen Stimulationsmaterial. Schließlich bedanke ich mich bei meiner Tochter Jessica, die mir – trotz ihres Down-Syndroms – immer wieder klar die therapeutische Richtung zeigen konnte, indem sie die effektivsten logopädischen Therapiemaßnahmen am schnellsten umgesetzt hat.
Menschen mit Down-Syndrom weisen ein zusätzliches Chromosom auf (‚Trisomie 21’), das vermutlich bereits auf die embryonale Entwicklung schädigend einwirkt. Die chromosomale Abweichung führt zu unreifen Organen sowie zu Missbildungen (z.B. am Darm oder am Herzen). Darüber hinaus kommt es auch zu endokrinen Veränderungen, die jedoch gut früh medikamentös behandelt werden können (s. S. 59). Fakultativ auftretende Seh- und Hörstörungen lassen sich ebenfalls – wenn rechtzeitig erkannt – durch geeignete Hilfsmittel verbessern.
Aus der Palette der möglichen Symptome bei Kindern mit Down-Syndrom greife ich diejenigen heraus, die vor allem in den ersten drei Lebensjahren Auswirkungen auf die orofaziale Problematik haben und durch eine gezielte logopädische Behandlung behoben oder in eine positive Entwicklungsrichtung gelenkt werden können. Trotz der Behinderung Ihres Kindes ist es mir wichtig, Ihnen als Eltern Mut zu machen. Die Entwicklung wird durch eine angemessene therapeutische Förderung zwar immer noch verlangsamt sein, jedoch verläuft sie normal.
Aufgrund der angeborenen Hypotonie und Bindegewebsschwäche ist Bewegung für die Kinder anstrengend und es fällt ihnen schwer, in die Aufrichtung zu gelangen. Durch geeignete krankengymnastische Frühbehandlung erhöht sich der Grundtonus des Kindes (s. S. 54), was eine Verbesserung der Körperwahrnehmung miteinschließt. Die Stützgewebshypoplasie verursacht zudem eine Überstreckbarkeit der Gelenke, die sich vor allem beim Hüft- und Kiefergelenk negativ auswirken kann. Aufgrund der Abduktion des Oberschenkels hat das Kind Mühe, krabbeln und laufen zu lernen. Das instabile Kiefergelenk bewirkt eine Kieferrücklage, die zusammen mit der hypotonen Zungenmuskulatur zu einem intraoralen Platzmangel für die Zunge mit Tendenzen zu Atemstörungen und zur Verstärkung der orofazialen Symptomatik führt.
Ist der Grundtonus zu niedrig, verschlechtert sich die Tiefensensibilität; das Kind nimmt taktil-kinästhetische Reize gar nicht, abgeschwächt oder verzögert wahr. So gelangt es nur bruchstückhaft zu einer Entwicklung seiner sensomotorischen Intelligenz, was Defizite in der Grob-, Fein- und Mundmotorik sowie in den Wahrnehmungsbereichen zur Folge hat. Klare taktile Reize, logopädische Stimulationen mit Hilfe von Vibration, Druck und Zug und eine frühe, dosierte Krankengymnastik nach Vojta oder Bobath helfen bei der Reizaufnahme und -verarbeitung im kindlichen Gehirn.