Hexensabbat

 

 

 

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Band 1

 

Hexensabbat

 

von Ernst Vlcek und Neal Davenport u.a.

 

 

© Zaubermond Verlag 2012

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Erstes Buch: Hexensabbat

 

 

Hexensabbat

 

von Neal Davenport

 

1. Kapitel

 

Zum ersten Mal sah ich Rupert Schwinger an einem schwülen Julitag. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Luft flimmerte über dem kleinen See. Der blonde Junge schlüpfte aus seinem Hemd und legte es über einen umgestürzten Baumstamm. Dann setzte er sich auf den Boden, öffnete die Schultasche, um ein belegtes Brot daraus hervorzuholen, und begann mit herzhaftem Appetit zu essen. Rupert war nicht älter als vierzehn Jahre, aber für sein Alter überraschend groß und kräftig. Als er das Brot verspeist hatte, bückte er sich und holte unter dem Baum eine Angelrute hervor. Aus der Hosentasche zog er eine Blechbüchse und öffnete sie. Ein halbes Dutzend dicker Würmer krümmten sich darin. Er packte einen von ihnen und spießte ihn auf den Angelhaken. Dann stand er auf, warf die Angel aus und pfiff vergnügt vor sich hin.

Als er meine Schritte hörte, wandte er den Kopf und kniff die Augen zusammen. Interessiert ließ er seinen Blick über mein pechschwarzes Haar streifen, das mir in langen Strähnen lose über die knochigen Schultern fiel. Ich habe damals nicht gerade berauschend schön ausgesehen. Mein Körper schien nur aus langen Beinen zu bestehen; alles an mir war eckig und dünn, und unter meinem weißen Baumwollkleid zeichneten sich die winzigen Ansätze meiner Brüste ab. Das Hübscheste an mir waren noch die großen dunkelgrünen Augen, mit denen ich den Jungen forschend betrachtete.

»Hallo!«, grüßte ich und blieb vor ihm stehen.

»Hallo«, echote er. »Wer bist du denn?«

»Ich heiße Coco. Und du?«

»Rupert Schwinger.«

»Darf ich mich setzen?« Ich deutete auf den umgestürzten Baumstamm.

»Natürlich«, sagte Rupert großzügig.

Ich ließ mich auf dem Stamm nieder und zupfte verlegen an meinem Rock herum. Bisweilen warf ich Rupert einen scheuen Blick zu.

»Wie alt bist du, Coco?«

»Elf.«

»Du siehst älter aus«, stellte er sachverständig fest. Wie ich später erfuhr, hatte er sich noch bis vor einem halben Jahr überhaupt nicht für Mädchen interessiert, sondern sie für hoffnungslos dumme Geschöpfe gehalten, die bei jeder Kleinigkeit losheulten und ständig irgendetwas zu jammern hatten. Doch inzwischen hatte er seine Meinung geändert.

Er steckte die Angelrute in eine Bodenvertiefung und sicherte sie mit einem großen Stein. Dann drehte er sich um, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und wippte mit dem Oberkörper hin und her. Wahrscheinlich wollte er mich beeindrucken – und ich muss zugeben, dass es ihm hervorragend gelang.

»Willst du eine Zigarette?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht.«

Er nickte. »Das ist auch nichts für kleine Mädchen.« Er bückte sich und holte eine Zigarette aus seiner Schultasche. Dann steckte er sie sich zwischen die Lippen und riss ein Streichholz an. Ich schaute fasziniert zu, wie er den Rauch inhalierte. Nur ein einziges Mal hatte ich bisher überhaupt an einer Zigarette gezogen, und mir war dabei furchtbar schlecht geworden.

»Wo wohnst du, Coco?«

»In Wien. Ich bin bei meinem Onkel zu Besuch. Bei Cyrano von Behemoth.«

Rupert sog noch einmal an der Zigarette, dann warf er sie zu Boden und drückte sie aus. Seine Miene hatte sich verändert. Vorher war sie spöttisch gewesen, mit einem leicht amüsierten Ausdruck um die Lippen; jetzt aber wirkte sie plötzlich abweisend. Er griff nach dem Hemd und schlüpfte hinein.

»Kennst du meinen Onkel?«

Er nickte stumm.

»Magst du ihn nicht?«

Er schaute mich flüchtig an. »Nein. Niemand mag ihn.«

»Aber er hat doch niemandem etwas getan.«

»Das interessiert mich nicht.« Er knöpfte das Hemd zu. »Ich will mit ihm nichts zu tun haben und auch nicht mit den Leuten, die bei ihm sind.«

»Aber weshalb?«

»Da fragst du noch?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin doch erst seit drei Tagen bei ihm.«

Rupert stopfte das Hemd in die Hose. »Wohnt Vera noch bei ihm?«

»Ja. Sie ist meine Schwester.«

»Dann will ich auch mit dir nichts mehr zu tun haben.«

»Aber weshalb? Hat sie dir etwas getan?«

Rupert lachte bitter. »Das kann man wohl sagen. Sie ist bösartig, hinterlistig und gemein.« Er sah mich verächtlich an. »Und wenn sie deine Schwester ist, dann wirst du auch nicht anders sein.«

»Ich bin anders«, sagte ich heftig und stand auf. »Ganz anders. Ich verstehe mich mit Vera überhaupt nicht. Wir konnten uns nie gut leiden.«

»Vielleicht ist das sogar die Wahrheit«, meinte er. »Aber ich gehe kein Risiko ein. Ich habe die Nase voll von Vera – und genauso von jedem, der mit ihr zu tun hat. Alle Kinder in den umliegenden Dörfern haben genug von ihr.« Er holte die Angel ein, löste den Wurm vom Haken und legte das Gerät unter den umgefallenen Baum. Dann packte er einfach seine Taschen und ging davon.

Ich schaute ihm verwirrt nach. Er verschwand in einem kleinen Wäldchen und war nach wenigen Sekunden nicht mehr zu sehen. Ich starrte nachdenklich hinaus auf den See. Dann setzte ich mich und faltete die Hände im Schoß. Ich war anders, das wusste ich. Anders als die anderen Kinder ... Aber das hieß noch lange nicht, dass ich so sein wollte wie meine Schwester Vera. Im Gegenteil, ich versuchte mich den normalen Leuten anzupassen, aber meine Verwandten machten es mir nicht leicht. In meiner Familie galt ich als Außenseiterin. Meine Brüder und Schwestern machten sich lustig über mich. Auch die normalen Menschen wandten sich von mir ab. Ich hatte nicht einmal eine Freundin.

Vor meinem Vater hatte ich schon als kleines Mädchen eine panische Angst gehabt, und meine Mutter hatte mich mehr oder minder ignoriert. Jahrelang. Ich fand keinen Spaß an den Grausamkeiten, die meine Geschwister begingen. Es bereitete mir kein Vergnügen zu sehen, wie wehrlose Geschöpfe von ihnen brutal gequält und gefoltert wurden. War ich deswegen schlechter als sie?

Ich schloss die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. In solchen Momenten machte mir die Einsamkeit schwer zu schaffen. Mir graute davor, ins Schloss meines Onkels zurückzukehren, denn vor Cyrano von Behemoth verspürte ich fast genauso viel Angst wie vor meinem Vater. Deswegen hatte man mich schließlich zu ihm geschickt: damit er meine Erziehung übernahm und eine richtige Zamis aus mir machte ...

Cyrano hatte eine Engländerin bei sich – ein unglaublich bösartiges Weib. Ihr Name war Sandra Thornton. Sie lebte seit zwei Jahren auf dem Schloss und war eine erfahrene Hexe, die Veras und meine Fähigkeiten richtig zur Entfaltung bringen sollte. Bei Vera war der Erfolg geradezu durchschlagend: Meine Schwester hing wie eine Klette an Sandra und betrachtete sie anscheinend als eine Art Vorbild. Ich dagegen hatte bisher jede Gelegenheit genutzt, Sandra aus dem Weg zu gehen.

Langsam stand ich auf und strich das Kleid glatt. Ich warf einige Steine ins Wasser und dachte an Rupert Schwinger, der mir so gut gefallen hatte. Sein bronzefarbenes Gesicht mit den weißblonden Haaren ging mir nicht aus dem Sinn. Ich hätte viel dafür gegeben, ihn näher kennenzulernen.

Betrübt machte ich mich auf den Weg zum Schloss. Ich hatte es nicht eilig. Der Weg führte über eine Wiese und schließlich in ein kleines Waldstück hinein, hinter dem das Schloss auf einer freien Anhöhe stand und bereits von weitem zu sehen war. Für seine exponierte Lage wirkte das Anwesen reichlich unscheinbar.

»Coco!«, hörte ich eine Stimme hinter mir.

Unwillig verzog ich den Mund. Vera! Es passte mir gar nicht, meiner Schwester in diesem Augenblick über den Weg zu laufen. Ich drehte mich um und sah sie zwischen den Bäumen hervortreten.

Niemand hätte Vera und mich für Schwestern gehalten. Wir hatten nicht die geringste Ähnlichkeit. Vera war zwei Jahre älter als ich und wirkte ein wenig zierlich. Sie hatte ein Puppengesicht mit großen dunkelbraunen Augen, die sanft und unschuldig wie die eines Rehs blicken konnten. Sie machte den Eindruck eines Mädchens, das wesentlich älter als dreizehn war. Das schmale Gesicht wurde von einem Kranz kornblonder, langer Haare eingerahmt. Sie hatte kleine Hände mit langen, schlanken Fingern. Ihr Körper war schon voll erblüht. Unter der getigerten Bluse zeichneten sich straffe Brüste ab. Wer sie das erste Mal sah, glaubte einen zum Leben erwachten Engel vor sich zu haben, doch wer sie näher kennenlernte, merkte bald, dass sie ein Teufel in Menschengestalt war.

»Ich habe dich schon gesucht, Coco«, erklärte sie honigsüß. »Mir ist langweilig. Gehen wir ins Dorf?«

»Ich will nicht«, antwortete ich.

Vera blieb vor mir stehen. »Du kommst mit«, sagte sie schon viel bestimmter. Urplötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck, und die Wärme in ihrem Blick war wie fortgeblasen. Sie schaute mich an, hob die Hände und verdrehte sie zu einem magischen Zeichen. Ich stieß einen Schmerzensschrei aus, da ich glaubte, mir würden die Haare aus der Kopfhaut gerissen.

»Lass mich in Ruhe, Vera!«, wimmerte ich.

»Nur, wenn du mit ins Dorf kommst.«

Das Ziehen wurde stärker, so dass mir bereits das Wasser in die Augen trat. »Der Onkel hat uns verboten, dass wir ...«

»Pah!«, meinte Vera verächtlich. »Er kann sagen, was er will. Das interessiert mich nicht. Kommst du nun mit?«

»Ja«, antwortete ich mit leiser Stimme. Im selben Moment ließ der Schmerz nach.

Vera lachte spöttisch. »Du bist eine Versagerin, Schwesterherz. Nicht einmal gegen diesen einfachen Zauber kennst du ein Mittel. Du bist das Gespött der Familie. Nie wirst du eine vernünftige Hexe werden – nie!«

Ich presste die Lippen zusammen. Bis jetzt hatte ich mich nur sehr ungern mit der Schwarzen Magie beschäftigt, doch auf Dauer würde mir nichts anderes übrig bleiben, und sei es nur, um die boshaften Angriffe meiner Schwester abzuwehren.

»In ein paar Wochen bin ich vielleicht nicht mehr hier«, sagte Vera. »Ich habe schon ziemlich viel gelernt. Sandra sagte mir heute, dass meine Ausbildung bald abgeschlossen ist. Hier ist es entsetzlich langweilig. Es wird Zeit, dass ich wieder nach Wien zurückkehre. Dort ist viel mehr los.«

Ich ging schweigend neben ihr her.

»Hast du die Sprache verloren, Coco?«, fragte sie nach einiger Zeit.

»Ich habe einen Jungen getroffen. Als ich ihm sagte, dass du meine Schwester bist, wollte er nichts mehr von mir wissen.«

Vera blieb stehen und lachte schallend. »Das kann ich mir denken. Ich habe den Bengels einige Streiche gespielt. Sie mögen mich nicht mehr. Aber ich mag sie ebenfalls nicht. Sie sind mir zu dumm! Hat der Junge dir seinen Namen verraten?«

»Nein«, antwortete ich schnippisch.

Vera bewegte sich blitzschnell und sagte einen Zauberspruch auf. Ich sprang reaktionsschnell zur Seite, als die Äste einer uralten Tanne nach mir griffen – doch es war zu spät. Einer der Äste schlug nach meinen Beinen und riss mich zu Boden; ein zweiter krümmte sich wie ein Tentakel zusammen, packte mich um die Hüften und zog mich vom Boden empor. Ich schlug wild um mich. »Lass mich herunter, du Scheusal!«

Vera grinste höhnisch. »Sag mir den Namen!«

»Rupert Schwinger«, keuchte ich mit Tränen in den Augen.

»Mit dem habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen«, meinte Vera und löste den Zauber.

Ich stürzte zu Boden, blieb einige Sekunden benommen liegen und verkrallte meine Hände in den Boden.

»Steh schon auf, du Heulsuse!«, sagte Vera verächtlich. »Ich geniere mich, so eine Schwester zu haben. Wird's bald! Steh auf!«

Ich gehorchte und schaute sie bittend an. »Du darfst ihm nichts tun, Vera. Er ist ein netter Junge.«

»Das überlass nur mir. Ich mag es nicht, wenn man böse über mich spricht. Ich werde ihm einen ordentlichen Denkzettel verpassen, den er sein ganzes Leben nicht vergessen wird. Du aber bist ein Schwächling, Coco. Eine Schande für unsere Familie. Ich werde froh sein, wenn ich wieder zu Hause bin und dich nicht mehr sehen muss.«

Sie ging voraus, und ich folgte ihr langsam. Nach wenigen Minuten hatten wir die schmale Straße erreicht, die nach Hartweg führte. Vera blieb neben einem Birnbaum stehen. »Jetzt machen wir uns einen Spaß«, raunte sie mir zu. »Wir warten auf ein Auto.«

»Wenn du wieder etwas Böses tust, werde ich es unserem Onkel sagen!«

»Du Petze!«, schrie sie wütend. »Wenn du den Mund aufmachst, wirst du etwas erleben. Ich lasse dich vom höchsten Punkt des Schlosses herunterspringen, wenn du auch nur ein Wort zu Onkel Cyrano sagst. Hast du mich verstanden, Coco?«

Ich nickte, denn ich wusste, dass es meiner Schwester zuzutrauen war, dass sie diese Drohung wahrmachte. Sie wandte den Kopf, als sie ein leises Motorengeräusch hörte. Die Straße führte wie an der Schnur gezogen geradeaus und wurde zu beiden Seiten von ehrwürdigen alten Linden flankiert. Ein dunkelgrüner VW Golf näherte sich mit hoher Geschwindigkeit. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe.

Veras Gesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an. »Das ist mein Opfer«, stellte sie grimmig fest.

»Nicht!«, rief ich, denn ich ahnte, was sie vorhatte. »Denk an die armen ...«

»Halt den Mund!«, schrie sie mich ungehalten an. »Ich muss mich konzentrieren. Ich weiß ja nicht einmal, ob es mir gelingen wird.« Ihr Blick wurde starr, und mit der rechten Hand vollführte sie einige kreisende Bewegungen. Dann ging sie in die Knie und griff nach einem Holzstück. Blitzschnell malte sie damit einige Figuren in den Sand und murmelte einen Zauberspruch. Der Golf erhöhte seine Geschwindigkeit. Für einen Augenblick sah ich das entsetzte Gesicht des Fahrers, der die Gewalt über den Wagen verloren hatte. Das Gefährt raste schnurstracks auf einen der Bäume zu. Ich stieß einen schrillen Schrei aus und gab Vera einen Stoß in den Rücken. Blitzschnell verwischte ich mit dem Fuß ein paar der magischen Zeichen auf der Erde.

»Das wirst du mir büßen!«, brüllte sie mit überschnappender Stimme.

Doch ich achtete nicht weiter auf sie, sondern schaute nur dem Wagen nach. Im letzten Augenblick gelang es dem Fahrer, den Wagen herumzureißen und dem Baum auszuweichen. Er beendete das waghalsige Manöver, indem er heftig abbremste, und fuhr schließlich mit normaler Geschwindigkeit weiter.

»Du hast mir den ganzen Spaß verdorben, Coco«, keuchte Vera mit wutverzerrtem Gesicht.

Ich schüttelte den Kopf. »Du widerst mich an!«, stellte ich leise fest. »Warum hast du den Mann töten wollen?«

»Weil es mir Spaß macht«, sagte sie schulterzuckend. »Heute Nacht wirst du etwas erleben, Schwester. Ich versichere dir, dass du nicht eine Minute schlafen wirst. Und jetzt habe ich genug von dir. Ich gehe ins Schloss zurück. Gnade dir Gott, wenn du irgendjemandem etwas sagst!« Sie warf mir noch rasch einen bösen Blick zu und machte sich anschließend zornig davon.

Ich schaute ihr einige Zeit nach und bemerkte dabei, wie meine Hände vor Aufregung zitterten. Mir war klar, dass Vera sich grausam rächen würde. Dennoch war ich froh, dem unbekannten Fahrer das Leben gerettet zu haben. Ich schwor mir, mich ab morgen intensiv mit der Schwarzen Magie zu beschäftigen, damit es mir in Zukunft möglich sein würde, wenigstens einige Schandtaten meiner Schwester zu verhindern.

Ich muss Rupert Schwinger warnen, dachte ich nur. Vera würde ihm wahrscheinlich etwas Furchtbares antun. Aber wie sollte ich den Jungen erreichen? Ob er unten in Hartweg wohnte? Ich setzte mich in Bewegung. Es konnte jedenfalls nicht schaden, wenn ich dort nach ihm fragte.

Fünfzehn Minuten später tauchten die ersten Häuser vor mir auf. Hartweg war ein kleines Dorf, in dem kaum mehr als fünfhundert Leute wohnten. Die meisten Gebäude waren einstöckige, kleine Bauten, die trotz ihres hohen Alters sehr gepflegt wirkten.

Nach einigen Schritten hatte ich den Hauptplatz erreicht, blieb stehen und sah mich um. An der Stirnseite erhob sich eine Kirche und ihr gegenüber die Schule. Rechts und links standen zweistöckige Häuser, in denen sich verschiedene Geschäfte befanden. Da ich Angst hatte, jemanden zu fragen, stellte ich mich erst einmal vor einen Tabakladen und schaute den Passanten nach, die vorüberliefen. Endlich fasste ich mir ein Herz und fragte eine ältere Dame nach Rupert Schwinger.

Die Alte lächelte. »Den kannst du leicht finden. Siehst du das gelbe Haus dort drüben? Dort wohnt er.«

»Herzlichen Dank«, entgegnete ich und lief quer über den Platz auf das Gebäude zu. Vor dem Eingang blieb ich stehen. Das Tor stand offen, und so trat ich nach einigem Zögern ein, durchquerte den Hausflur und erreichte den Hof.

Eine etwa vierzigjährige Frau hängte dort Wäsche auf. »Suchst du wen?«, fragte sie.

Ich erkundigte mich nach Rupert Schwinger, und sie wies mir den Weg in den ersten Stock. Ich bedankte mich artig und stieg die Stufen hinauf. An einer weißen Tür war ein Messingschild befestigt, auf dem Schwinger stand. Ich hatte kaum die Klingel gedrückt, als die Tür aufgerissen wurde und Rupert im Rahmen auftauchte. Er schaute mich überrascht an.

»Was willst du von mir?«, fragte er mich ungehalten. »Ich habe dir gesagt, dass ich ...«

»Hör mir zu«, unterbrach ich ihn. »Ich habe mit Vera über dich gesprochen. Sie zwang mich, ihr deinen Namen zu verraten, und drohte, dir einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen, weil du schlecht über sie gesprochen hast. Ich wollte dich warnen, deshalb bin ich gekommen.«

Er runzelte die Stirn. »Es sieht tatsächlich so aus, als hätte ich mich in dir getäuscht, Coco. Hat sie gesagt, was sie vorhat?«

»Nein«, antwortete ich schnell. »Aber ich werde versuchen, dir zu helfen. Ich werde schon herausbekommen, was sie beabsichtigt. Treffen wir uns morgen am See?«

Rupert nickte. »Einverstanden.«

Ich verabschiedete mich, wandte mich um und rannte hastig die Stufen hinunter. Ich verließ das Haus und lief auf schnellstem Wege zurück zum Schloss. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich es erreicht hatte. Ich hasste das Schloss. Die großen, kalten Räume darin waren mir unheimlich. Und ich störte mich an den magischen Fallen, die es normalen Menschen unmöglich machten hineinzugelangen.

Es dauerte nur wenige Sekunden, und das Tor schwang wie von unsichtbarer Hand bewegt auf. Ich trat in den Schlosshof und ging an dem alten Ziehbrunnen vorüber. Der Stiegenaufgang war schmal und feucht. Im ersten Stock wandte ich mich nach rechts und schritt den langen Gang entlang, der zu meinem Zimmer führte. Es war kühl und dämmrig. Meine Schritte hallten überlaut durch das verlassene Gebäude. Ich hoffte, weder Vera noch Sandra zu begegnen, bevor ich mein Zimmer erreichte. Doch meine Hoffnung erfüllte sich nicht.

Eine Tür wurde aufgerissen, und Sandra Thornton trat heraus. Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte mich an.

Ihr Alter war schwer zu schätzen, doch aus ihren Erzählungen hatte ich geschlossen, dass sie mindestens zweihundert Jahre unter den Menschen lebte; sie sah aber höchstens wie dreißig aus. Ihr Gesicht war bleich und rund wie der Vollmond. Das rotbraune Haar fiel in unzähligen Locken über den schmalen Rücken. Wimpern und Brauen hatte sie stark geschminkt, und der volle Mund glänzte blutrot vom modischen Lippenstift. Sie trug ein tiefausgeschnittenes, dunkelgrünes Kleid, das ihre üppigen Formen zur Geltung brachte.

»Wo hast du gesteckt, Coco?«, fragte sie scharf.

»Ich war spazieren und habe Vera getroffen.«

»Du weißt, dass es dein Onkel nicht gerne sieht, wenn ihr das Schloss verlasst!« Sie sprach mit einem starken englischen Akzent, der mich anfangs zum Lachen gereizt hatte.

»Ich kann doch nicht den ganzen Tag hier herumsitzen«, sagte ich unwillig.

»Wenn du weiterhin so wenig Ambitionen zum Lernen zeigst wie bisher, dann wirst du das Schloss sehr lange nicht mehr verlassen dürfen. Haben wir uns verstanden, Coco?«

Ich nickte.

»Ich kann auch anders«, sagte sie. »Bis jetzt hast du mich noch nicht richtig kennengelernt, aber mach nur so weiter, und du wirst dein blaues Wunder erleben.«

»Ich werde mich bessern«, versprach ich lahm.

»Das hoffe ich! Und jetzt geh auf dein Zimmer und zieh dich um! Cyrano hat einen neuen Schüler bekommen. Sein Name ist Pietro Salvatori, und er wird mit uns zu Abend essen.«

Der Name sagte mir nur wenig. Ich kannte mich nicht besonders gut aus in der Schwarzen Familie. »Woher kommt er?«

»Aus Rom. Er gehört einer sehr einflussreichen Vampirsippe an. Also sei freundlich zu ihm!«

Ich ging an Sandra vorbei und betrat mein Zimmer. Seit meiner frühesten Kindheit war ich mit allerlei unheimlichen Gestalten konfrontiert worden. Als ich noch im Haus meines Vaters in Wien gewohnt hatte, waren oft Mitglieder anderer Familien vorbeigekommen. Ich hatte Vampire, Werwölfe, Leichenfresser und Zauberer kennengelernt, mich aber mit keinem von ihnen anfreunden können. Meine eigene Familie verfügte zwar über einige außergewöhnliche Fähigkeiten, unterschied sich äußerlich jedoch in nichts von den normalen Menschen. Ich schloss die Tür hinter mir und war froh, wieder allein zu sein. Das Zimmer war klein und einfach eingerichtet, das Bett schmal und unbequem, der Schrank zu groß und zu wuchtig für das Zimmer. Ich öffnete die Tür, die zum Söller führte, trat hinaus und blickte auf den Hof hinunter. Außer einer schwarzen Katze, die faul im Schatten des Wartturmes lag, war kein Lebewesen zu sehen.

Vielleicht war es ganz gut, dass dieser Pietro Salvatori aufgetaucht war. Er würde Vera von Rupert ablenken.

Bevor ich zum Essen ging, wusch ich mich noch flüchtig und zog mich um.

 

Neugierig betrat ich das große, holzgetäfelte Zimmer. In der Mitte stand ein riesiger Eichentisch, an dessen Kopfende mein Onkel saß. Links von ihm hatte sich Sandra niedergelassen. Der Junge neben ihr konnte nur Pietro Salvatori sein, und einen Platz weiter saß Vera. Pietro schaute mich interessiert an. Er war in Veras Alter; ein schmächtiges Bürschchen mit langem, ölig glänzendem Haar. Sein hageres Gesicht mit der stark hervorspringenden Geiernase war bleich, fast durchscheinend. Als er seine blutleeren Lippen öffnete, kamen gewaltige Zähne zum Vorschein.

»Das ist Coco«, sagte Behemoth. »Sie ist Veras Schwester.«

Der Junge stand auf und deutete eine Verbeugung an. »Pietro Salvatori«, sagte er mit spröder Stimme.

Ich setzte mich neben Sandra Thornton.

»Er wird einige Zeit bei uns bleiben«, erklärte Behemoth und blickte mich an. »Ich hoffe, dass ihr euch vertragen werdet. Pietros Vater will, dass ich ihn in die Grundzüge der Schwarzen Magie einweise.«

Ich nickte. Noch immer hatte ich mich nicht an den schauerlichen Anblick gewöhnt, den mein Onkel bot. Zwei Narben entstellten sein widerliches Gesicht, von denen eine quer über seine rechte Wange lief und das monströse Antlitz mit dem wachteleigroßen Augapfel in der rechten Höhle in zwei ungleiche Teile zu spalten schien. Ich wusste, dass Behemoth ein mächtiger Dämon war, der über viele magische Fähigkeiten verfügte. Es hätte für ihn keiner großen Anstrengung bedurft, sein Aussehen zu verändern. Doch offensichtlich legte er keinen Wert darauf.

Eines der Dienstmädchen trat ins Zimmer und schob einen Servierwagen vor sich her. Wie alle anderen Bediensteten im Schloss stand sie in Behemoths Bann.

Als Pietro Salvatori das Mädchen erblickte, begann die Gier in seinen Augen zu funkeln, und er strich sich unbewusst mit der Zunge über die Lippen.

Behemoth bemerkte, dass der Junge sich kaum noch zurückhalten konnte, und wies ihn zurecht: »Meine Bediensteten sind für dich tabu, Pietro. Du musst lernen, deine Gier nach Blut zu bezähmen.«

»Ich brauche aber Blut!« Sein Deutsch war überraschend gut – fast akzentfrei sogar.

»Das weiß ich, aber du brauchst es nicht täglich. Dein Vater schrieb mir über deine Exzesse. Das hört ab sofort auf. Und lass dir nicht einfallen, dich nachts fortzuschleichen, um Opfer zu holen. Wenn du das tust, belege ich dich mit einem Bannspruch, der es dir unmöglich macht, das Schloss zu verlassen. Hast du mich verstanden, Pietro?«

»Es war ja deutlich genug«, knurrte der Bursche. Nur mühsam konnte er den Blick von dem Dienstmädchen reißen, das eine Kanne Kaffee und Tassen auf den Tisch stellte.

Pietro war mir unheimlich. Doch meine Schwester schien anders über ihn zu denken. Sie sah Pietro fasziniert an. »Wie oft benötigst du frisches Blut, Pietro?«, fragte sie interessiert.

»Täglich. Es hält mich am Leben. Ohne ...«

»Rede keinen Unsinn!«, sagte Behemoth scharf. »Du kannst leicht einige Tage ohne Blut auskommen, aber du willst es täglich, da dich das Bluttrinken in einen rauschähnlichen Zustand versetzt. Dein Vater schrieb mir, dass du zu genusssüchtig bist. Du hast schon mehrere Menschen getötet, weil du nicht rechtzeitig mit dem Saugen aufgehört hast.«

»Es sind ja genug von ihnen da«, sagte Pietro verächtlich.

»Du hast recht«, sagte Behemoth, »aber du hast einen wesentlichen Punkt vergessen. Schon als kleines Kind wurde dir eingeimpft, dass ein Mitglied der Schwarzen Familie nicht auffallen darf. Jeder kann seinen Neigungen nachgehen, aber er muss es geschickt anstellen. Unsere Existenz soll vor den Menschen geheim gehalten werden. Und wenn sich ein Familienmitglied nicht an dieses Gesetz hält und es zu oft verletzt, wird es bestraft und aus unserer Gemeinschaft ausgestoßen. Wenn du so weitermachst, sehe ich für deine Zukunft schwarz. Du wirst als Freak enden, Pietro Salvatori.«

Pietro hatte mit zusammengepressten Lippen zugehört. »Ich werde daran denken«, sagte er leise.

Es folgte ein verlegenes Schweigen. Für einige Zeit war nur das Klappern der Tassen zu hören. Ich trank den Kaffee in kleinen Schlucken und vermied es, Pietro anzusehen.

»Coco«, sagte mein Patenonkel und stellte seine Tasse ab. »Ich habe deinem Vater versprochen, dass ich aus dir eine hervorragende Hexe machen werde – und ich halte meine Versprechen. Von Sandra erfuhr ich jedoch, dass du keinerlei Interesse für die Schwarzen Magie aufbringst. Wenn sich das nicht augenblicklich ändert, wirst du mich von einer anderen Seite kennenlernen, verstanden?«

»Ja«, sagte ich fast unhörbar.

»Hoffentlich«, sagte er und stand auf. »Komm mit, Sandra!«

Kaum dass die beiden das Zimmer verlassen hatten, schlug Pietro wütend mit der rechten Faust auf die Tischplatte. »Er ist ein widerlicher alter Ziegenbock. Voll guter Ratschläge, aber ich tue, was ich will. Er wird mich nicht ändern.«

»Du musst vorsichtig sein, Pietro«, sagte Vera. »Er ist nicht leicht zu hintergehen.«

»Das lass nur meine Sorge sein. Ich denke nicht einmal im Traum daran, einige Tage auf Blut zu verzichten. Hilfst du mir, Vera?«

Meine Schwester nickte eifrig. »Natürlich – aber nur, wenn ich dabei zusehen darf, wie du deinem Opfer das Blut aussaugst. Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

»Warum nicht«, sagte Pietro gnädig. »Was ist mit Coco?«

»Sie ist eine dumme Gans. Du darfst ihr nicht vertrauen.«

»Danke für diese Information. Wenn du irgendetwas zu deinem Onkel sagst, Coco, bekommst du es mit mir zu tun.«

»Von mir erfährt er kein Wort«, erklärte ich kleinlaut. »Tut, was ihr wollt. Ich will mit euch nichts zu schaffen haben.«

Vera stand auf. »Komm mit, Pietro! Ich habe einen Plan, wie ich dir einige Opfer beschaffen kann, ohne dass Onkel Cyrano es merkt.«

Ich blieb allein zurück und trank noch eine Tasse Kaffee. Plötzlich kam mir ein furchtbarer Verdacht. Vera wollte sich an Rupert Schwinger rächen. Was, wenn sie sich dazu der Hilfe Pietro Salvatoris bediente und ihn auf den Jungen hetzte? Die Vorstellung ließ mich schaudern.

Ich lief aus dem Zimmer und betrat die riesige Bibliothek. Hier befanden sich unzählige Handschriften, die mein Patenonkel gesammelt hatte und die sich allesamt mit Magie beschäftigten. Nach einigen Minuten hatte ich gefunden, wonach ich suchte: Aufzeichnungen darüber, welche Waffen gegen einen Vampir zur Verfügung standen. Ich setzte mich und schlug die Mappe auf. Die Seiten waren leer. Es war nur Mitgliedern der Schwarzen Familie möglich, diese Manuskripte zu lesen, denn es waren Beschwörungen notwendig, um die Schriftzeichen sichtbar zu machen. Ich studierte das Zeichen, das sich auf dem Umschlag befand. Es war das magische Zeichen des Hagith, Gubernator der Venus und Herr über viertausend Legionen von Geistern. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Mit der rechten Hand malte ich das Zeichen in die Luft und sagte dreimal leise »Hagith«. Dann öffnete ich die Augen wieder. Die Seiten waren mit den Schriftzeichen bedeckt, die man als das Hexenalphabet bezeichnete. Nur Mitglieder der Schwarzen Familie kannten diese Zeichen. Ich hatte natürlich keine Schwierigkeiten, sie zu lesen.

Ich vertiefte mich in die Aufzeichnungen und erfuhr, dass es verschiedene Arten von Vampiren gab. Früher hatten diese unheimlichen Wesen sich nur in der Nacht bewegen können, doch im Laufe der Jahrhunderte waren die meisten echten Vampire gegen das Sonnenlicht unempfindlich geworden. Sie warfen auch Schatten und unterschieden sich rein äußerlich kaum von normalen Menschen. Hauptsächlich ernährten sich Vampire von Menschenblut, aber es gab auch andere, die sich mit Tierblut begnügten. Die klassischen Abwehrmittel gegen diese Monstren waren Knoblauch, Kreuze und Silber. Sie mussten sich vor allen geweihten Gegenständen hüten. Töten konnte man sie nur, wenn man ihnen einen Holzpfahl ins Herz stieß. Aber auch das traf nicht auf alle Vampire zu. Einige waren gegen diese alten Mittel immun geworden und hatten sich so verändert, dass sie wie normale Menschen getötet werden konnten. Junge Vampire waren leichter auszuschalten. Sie waren schon ziemlich hilflos, wenn man ihnen ein silbernes Kreuz entgegenstreckte.

Ich werde Rupert ein Kreuz schenken, dachte ich mir und legte die Aufzeichnungen zur Seite. Aber wo sollte ich ein solches Kreuz herbekommen? Auch für mich war der Anblick geweihter Gegenstände fast unerträglich.

Ich kehrte auf mein Zimmer zurück, legte mich aufs Bett und dachte über meine Zukunft nach. Es war unmöglich, aus dem Kreis der Schwarzen Familie auszubrechen. Ich musste gute Miene zum bösen Spiel machen und mich intensiver mit den Sitten und Gebräuchen meiner Artgenossen beschäftigen. Und vor allem musste ich mich der Schwarzen Magie widmen, denn bisher war ich den Angriffen meiner Geschwister hilflos ausgeliefert. Dann würde ich auch in der Lage sein, anderen Menschen zu helfen und sie vor den Attacken meiner Schwester zu schützen. Von Sandra wusste ich, dass ich über starke magische Fähigkeiten verfügte, die ich nur zu nutzen brauchte.

Ich setzte mich auf und griff nach dem Buch auf dem Nachtkästchen. Es war eine einfache Einführung in die Schwarze Magie, die vor vielen Jahren von einem erfahrenen Dämon geschrieben worden war und seither als Lehrbuch diente. Einige einfache Arten der Magie konnte jeder erlernen, doch um ein Spezialist zu werden, musste man über besondere Fähigkeiten verfügen, die nur wenige Mitglieder der Schwarzen Familie besaßen. Ich überflog die ersten Seiten. Die darin beschriebenen Übungen hatte ich schon als kleines Kind durchgeführt. Sie dienten hauptsächlich zur Entspannung, zur Lockerung des Körpers und des Geistes. Es waren Konzentrationsübungen. Ohne sie konnte man nur bescheidene Resultate erzielen. Einige Magier und Hexen benötigten auch zu den einfachsten Beschwörungen Hilfsmittel wie Kreide, Sprüche oder magische Gegenstände. Aber ein guter Magier musste ohne sie auskommen, und wenn er sie trotzdem verwendete, dann nur, um seinen Beschwörungen auf diesem Wege eine größere Wirkung zu verleihen. Vera benötigte zu fast allen Beschwörungen Hilfsmittel, und wenn es nur die Hände waren. Meine Begabung hingegen wurde von Seiten meiner Verwandten als weitaus höher eingeschätzt. Einfache magische Beschwörungen konnte ich dank meiner starken Konzentrationsgabe auch so ausführen.

Ich überlegte, was meine Schwester wohl vorhaben könnte, um mich heute Nacht zu ärgern. Vera war nicht besonders einfallsreich. Vielleicht würde sie einen Poltergeist heraufbeschwören, der die ganze Nacht über in meinem Zimmer herumgeistern und allerlei Unfug anstellen würde. Dagegen konnte ich mich leicht schützen. Ich musste nur verhindern, dass Vera ins Zimmer kommen konnte, um ihre Vorbereitungen zu treffen. Also blätterte ich weiter, bis ich die Stellen gefunden hatte, an denen zu lesen war, wie ich mich gegen ihren einfachen Zauber schützen konnte. Schnell hatte ich mir den Abschnitt durchgelesen und klappte die Buchdeckel zusammen. Ich würde ihr eine hübsche Überraschung bereiten.

 

Das Abendessen verlief in völliger Stille, da mein Patenonkel keine Unterhaltung während der Mahlzeiten wünschte. Ich bemerkte die boshaften Blicke, die Vera mir unauffällig zuwarf, ließ mich aber davon nicht aus der Ruhe bringen. Bis jetzt hatte ich mich nie ernstlich gegen meine Schwester aufgelehnt und alle Grausamkeiten schweigend erduldet. Aber das würde ab heute vorbei sein. Dabei wusste ich durchaus, dass es einige Zeit dauern würde, bis ich ihr das Wasser reichen konnte. Doch dann würde ich ihr alles heimzahlen!

Pietro Salvatori aß mit deutlichem Widerwillen. Er starrte missmutig den Teller an und schob ihn schon nach einigen Bissen zur Seite. Meinem Onkel war das gar nicht recht, aber er sagte nichts. Stattdessen beobachtete er, wie Pietros Interesse an dem Dienstmädchen von neuem erwachte. Es war eine recht derbe junge Frau mit einem gewaltigen Busen und stämmigen Beinen.

Der Vampir stellte für mich jedenfalls kein Problem dar. Da er von Magie wahrscheinlich keine Ahnung hatte, konnte ich ihn mir einfach vom Leibe halten. Ich durfte ihn und Vera nur nicht aus den Augen lassen, da ich wissen musste, was die beiden im Schilde führten.

Schweigend verzehrte ich meinen Nachtisch.

Mein Vater und zwei meiner Brüder verfügten über eine seltene Fähigkeit. Sie konnten mit der Zeit jonglieren und sie in einer gewissen Umgebung mit beliebiger Geschwindigkeit ablaufen lassen. Vera hingegen besaß diese Fähigkeit nicht, und ich gönnte ihr diese Schwäche, während die Möglichkeit zur Zeitmanipulation bei mir zumindest latent vorhanden war. Ich musste sie nur schulen, dann würde ich eines Tages vielleicht sogar meinen Brüdern ebenbürtig sein.

Ich legte den Löffel zur Seite und lehnte mich zurück. Dann konzentrierte ich mich auf einen Keramikteller, der auf einer Anrichte stand. Mehr als eine Minute geschah nichts. Dann schien ein eisiger Hauch durch das Zimmer zu wehen. Ich wandte den Kopf und blickte auf die alte Standuhr, die in einer Ecke des Zimmers stand. Ihr Pendel stand still. Ebenfalls in der Bewegung erstarrt war meine Schwester, die soeben ihren Löffel zum Mund führte. Ihre Hand war mitten in der Luft hängengeblieben. Allerdings besaß ich nicht die Kraft, diesen Zustand länger als einige Sekunden aufrecht zu erhalten. Als ich kurz darauf einen Blick auf meinen Patenonkel warf, aß dieser ruhig weiter, als wäre gar nichts geschehen. Anscheinend hatte er nichts davon bemerkt, dass ich mich in einen rascheren Zeitablauf versetzt hatte. Mir war klar, dass ich diese Fähigkeit weiter trainieren musste. Es wäre leichtsinnig gewesen, diesen strategischen Vorteil meiner Schwester gegenüber zu verschenken.

Als das Geschirr abgeräumt worden war, durfte endlich wieder gesprochen werden. Doch ich hatte keine Lust, mich an der Unterhaltung zu beteiligen; ich hörte nur zu. Nach einigen Minuten stand Vera auf und ging aus dem Zimmer. Ich unterdrückte mühsam ein Lächeln, ahnte ich doch, wohin sich meine Schwester begeben würde. Als sie eine halbe Stunde später noch immer nicht zurückgekehrt war, erkundigte sich Pietro verwundert nach ihr.

»Wahrscheinlich ist sie auf ihrem Zimmer«, antwortete ich gleichgültig.

»Das ist keine Art, einfach grußlos zu verschwinden«, brummte Behemoth. »Hol sie her, Coco!«

Gehorsam folgte ich seiner Aufforderung. Es war so, wie ich vermutet hatte. Vera hatte meinem Zimmer einen Besuch abstatten wollen und war dabei ahnungslos in die magische Falle getappt. Sie stand in der Tür und ruderte verzweifelt mit Armen und Beinen. Ihr Gesicht war rot vor Anstrengung. Ich wusste, wie sie sich fühlen musste, da ich selbst einmal in eine ähnliche Falle geraten war, die einer meiner Brüder für mich errichtet hatte. Sie gab einem das Gefühl, ins Bodenlose zu versinken. Als habe man nichts als Treibsand unter den Füßen.

Ich blieb vor Vera stehen. »Sieh mal einer an!«, sagte ich mit hohntriefender Stimme. »Da finde ich dich also. Was wolltest du denn in meinem Zimmer?«

»Wenn du mich nicht sofort befreist, sage ich Onkel Cyrano, dass du ...«

»Wer ist nun eine Petze?«

Vera presste die Lippen zusammen und funkelte mich wütend an. »Lass mich los!«, bettelte sie. »Ich halte das nicht mehr aus!«

»Hör mir gut zu, Schwester«, sagte ich und war über mich selbst überrascht, mit wie viel Selbstvertrauen ich jetzt sprach. »Ich habe genug von deinen Schikanen. Ich drehe jetzt den Spieß um. Ab sofort lasse ich mir nichts mehr von dir gefallen, hast du mich verstanden?«

»Ja, ja«, seufzte sie. »Aber jetzt mach mich los.«

»Wenn du noch mal mein Zimmer betrittst, dann kommst du nicht mehr so billig davon wie heute! Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, jetzt etwas von dir zu verlangen. Du würdest mir doch alles versprechen – und nichts davon halten. Deshalb hätte ich gute Lust, dich noch einige Zeit hier zappeln zu lassen.«

»Hör endlich mit dem Gerede auf!«, fauchte sie.

Ich konzentrierte mich kurz, und der Zauber verschwand. Vera konnte sich wieder normal bewegen und ging sofort mit vorgestreckten Fingern auf mich los. Aber damit hatte ich gerechnet. Eine Bewegung meiner linken Hand reichte, und Vera wurde einen Schritt zurückgeworfen. Ich presste meine Handflächen zusammen, und sie fing an zu röcheln, als hätten sich mit einem Mal unsichtbare Hände um ihre Kehle gelegt, die ihr die Luft abschnürten. Ich verstärkte den Druck, und Veras Augen weiteten sich. Normalerweise hätte sie sich rasch aus diesem magischen Griff befreien können, aber in ihrer Wut vermochte sie nicht mehr klar zu denken.

»Lass dir das eine Lehre sein«, sagte ich zufrieden. »Übrigens sollst du sofort zum Onkel kommen. Er ist ziemlich ungehalten, dass du so einfach verschwunden bist.«

Ich drückte blitzschnell meine Hände ganz zusammen, und Vera brach ohnmächtig zusammen. Ich hatte keine Lust zu warten, bis sie erwachte, sondern kehrte zurück in den Speisesaal. »Sie kommt gleich«, sagte ich knapp und setzte mich wieder.

Vera versuchte möglichst unbefangen zu wirken, als sie endlich erschien. Aber das gelang ihr nur teilweise. Sie konnte es nicht lassen, mir böse Blicke zuzuwerfen. In der Gegenwart meines Onkels war ich sicher, doch sobald er außer Sichtweite war, würde sie sich ganz bestimmt revanchieren.

 

 

2. Kapitel

 

Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich jedoch vorerst nicht. Vera ignorierte mich in der nächsten Zeit einfach.

Den folgenden Vormittag hatte ich mit ihr zusammen den Unterricht bei Sandra Thornton verbracht. Die Hexe war über meine Wandlung mehr als überrascht. Sie konnte kaum fassen, wie eifrig und wissbegierig ich plötzlich war.

Nach dem Mittagessen blieb ich vor der Tür stehen und versuchte etwas von der Unterhaltung zwischen meinem Onkel und Sandra aufzuschnappen.

»Dieser Pietro ist ein hoffnungsloser Fall«, brummte Behemoth. »Einfach ohne Talent. Aber was kann man schon von einem Vampir erwarten? Er stellt sich dazu noch außerordentlich dumm an und begreift nicht einmal die simpelsten Grundsätze. Wohin soll das alles führen? Der Nachwuchs wird immer schlechter. Die Kinder verlieren ihre Fähigkeiten. In ein paar hundert Jahren werden sie alle zu normalen Menschen geworden sein, wenn nicht eine grundlegende Änderung eintritt. Macht Coco Fortschritte, Sandra?«

»Das kann man wohl sagen. Ich habe genügend Hexen ausgebildet, um sofort zu erkennen, dass ich mit Coco ein echtes Talent vor mir habe. Coco ist befähigt, eine große Hexe zu werden, während Vera nie mehr als guter Durchschnitt sein wird. Wenn Coco ernsthaft an sich arbeitet, hat sie mich in wenigen Wochen überflügelt.«

»Das höre ich gern. Aber weshalb machst du so ein skeptisches Gesicht?«

»Sie hat Fähigkeiten, die die meinen weit übertreffen, doch sie ist zu sanft. Sie passt so gar nicht in die Familie.«

»Das wird sich ändern«, sagte mein Onkel zuversichtlich. »Du musst Geduld mir ihr haben.«

Sandra seufzte. »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.«

Ich hatte genug gehört und zog mich geräuschlos auf mein Zimmer zurück. In meinem Lehrbuch suchte ich nach einer Stelle, in der beschrieben wurde, wie eine Hexe der Wirkung eines silbernes Kreuzes für einige Zeit entgehen konnte.

Ich steckte mein ganzes Geld ein und verließ das Schloss.

Eine Stunde später saß ich am Seeufer und wartete auf Rupert Schwinger. Es war heiß, und ich bedauerte, keinen Badeanzug mitgenommen zu haben. Dem Gezwitscher der Vögel lauschend, starrte ich über den See. Ein Fisch schnappte nach einer Fliege und klatschte auf die Wasseroberfläche zurück. Es war alles so friedlich und harmonisch.

Immer wieder schaute ich mich suchend um. Aber Rupert ließ auf sich warten. Dann endlich vernahm ich Schritte und sah ihn zwischen den Büschen hervortreten. Er trug verbeulte Jeans und ein dunkelrotes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte. Lächelnd kam er näher. »Hallo, Rupert!«, begrüßte ich ihn und scharrte verlegen mit dem rechten Fuß. Mein Puls schlug wie verrückt, und ich senkte den Blick.

»Setzen wir uns«, sagte Rupert und legte einen Arm um meine Schulter, so dass ich zusammenzuckte. Dabei hatte ich gar nichts dagegen, sondern genoss die Nähe seines Körpers.

»Hast du Vera gesehen?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Ich verspüre auch kein besonderes Verlangen danach«, sagte er grinsend.

»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte ich leise, griff in meine Rocktasche und holte eine kleine Schachtel heraus. »Hoffentlich gefällt es dir.«

Er öffnete die Box, und ich unterdrückte nur mit Mühe einen Schmerzensschrei. Die hochstehende Sonne ließ das silberne Kreuz an der dicken Kette funkeln. Es war einfach ausgeführt und recht groß, so dass es fast ein wenig klobig wirkte.

»Gefällt es dir?«, fragte ich, mich mühsam beherrschend.

»Ja. Sehr sogar. Aber ich kann es nicht annehmen. Es war sicherlich teuer. Nein, ich ...«

»Bitte!«, sagte ich, denn ich hatte mein ganzes Geld für dieses Kreuz ausgegeben. Unten im Dorf hatte ich es in einem Juweliergeschäft gekauft. Wenn er es nicht annahm, war alles umsonst gewesen.

»Du muss es immer tragen.«

»In Ordnung. Ich werde es immer tragen«, wiederholte er ernst und legte sich die Kette um den Hals. Dann griff er nach meiner rechten Hand. »Dafür bekommst du einen Kuss.« Er beugte sich vor, und sein Mund näherte sich langsam dem meinen. Es war ein unschuldiger Kuss, nicht mehr als das Aneinanderpressen der Lippen, doch für mich bedeutete es ungleich mehr – es war der schönste Augenblick meines bisherigen Lebens!

Ich lächelte glücklich, und Rupert küsste mich erneut. Diesmal nahm er mich fester in die Arme, und der Kuss fiel nicht so unschuldig aus wie der erste. Ich befreite mich nach einiger Zeit aus Ruperts Umarmung und rang nach Atem. Seine Augen schienen von innen her zu leuchten. Doch plötzlich vernahm ich hinter mir ein spöttisches Lachen, und die friedliche, glückliche Stimmung zerbrach.

Ich wandte blitzschnell den Kopf. Meine Schwester Vera und Pietro Salvatori standen wenige Meter entfernt und hatten uns sicherlich die ganze Zeit über beobachtet.

Ich sprang auf. »Lauf, Rupert!«, befahl ich ihm.

Doch er hörte nicht auf mich. Stattdessen schob er das Kreuz unter sein Hemd und stand langsam auf.

»Jetzt bekommt der ungezogene Bengel seinen Denkzettel«, sagte Vera böse und trat auf ihn zu. Pietro Salvatori folgte ihr langsam. Sein bleiches Gesicht hatte sich zu einer bösartigen Grimasse verzogen.

»Was hast du vor, Vera?«, fragte ich bebend.

»Das wird Rupert schon merken.« Vera grinste böse. »Pietro wird mir gern helfen.«

»Rasch, Rupert!«, schrie ich. »Flieh! Sie will ...«

»Halt den Mund!«, fauchte Vera. »Mit dir rechne ich auch noch ab! So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Pietro, pack ihn!«

Der Vampir sprang los. Er zog die Lippen zurück, und sein kräftiges Gebiss kam zum Vorschein. Aus dem Oberkiefer wuchsen zwei gewaltige Zähne, die immer länger wurden. Mit drei Sprüngen stand Pietro vor Rupert und griff nach seinen Schultern. Der Junge ballte die rechte Faust und schlug nach Pietros Gesicht, doch der Vampir packte Rupert einfach nur brutal an der Brust und warf ihn zu Boden. Gierig beugte er sich über seine Kehle.

»Das Kreuz, Rupert!«, brüllte ich. »Halte ihm das Kreuz hin!«

Bevor Pietro zubeißen konnte, riss sich Rupert das Hemd auf, und das silberne Kreuz funkelte in der Sonne. Der Vampir stieß einen gellenden Schrei aus und fuhr zurück. Er brüllte wie von Sinnen und schlug sich die Hände vors Gesicht.

»Drücke ihm das Kreuz auf die Stirn!«, wies ich Rupert an.

Der Junge gehorchte, und gleich darauf wand sich Pietro in Krämpfen am Boden. Er stieß winselnde Laute aus und versuchte, das Kreuz fortzuschleudern, ohne länger mit ihm in Kontakt zu kommen. In diesem Augenblick griff Vera ein, die einige Augenblicke von der Ausstrahlung des Kreuzes überwältigt worden war. Sie sagte einen Zauberspruch auf, und Rupert erstarrte mitten in der Bewegung. Pietro war ohnmächtig zusammengebrochen.

Dann konzentrierte sich Vera auf mich. Ich bekam einen gewaltigen Stoß gegen die Brust, stolperte über eine aus dem Boden herausragende Wurzel und flog rücklings in den See. Unsichtbare, kräftige Hände drückten meinen Kopf ins dunkle Wasser. Ich wehrte mich verzweifelt, doch gegen die Kräfte meiner Schwester kam ich nicht so einfach an.

Ich musste mich konzentrieren! Also versuchte ich meine Angst und Aufregung zu unterdrücken, hielt die Luft an und stellte jede Gegenwehr ein. Vera ließ mich mehr als eine halbe Minute unter Wasser, dann löste sie ihren Zauber und wandte sich Rupert zu. Vielleicht glaubte sie, dass ihr von mir keine Gefahr mehr drohte. So bemerkte sie nicht, wie ich hinter ihr den Kopf aus dem Wasser streckte – gerade rechtzeitig, um mitzuverfolgen, wie sie Rupert durch einige Handbewegungen und eine Beschwörungsformel aus seiner Erstarrung weckte. Wie eine Marionette stapfte er auf den See zu. Kurze Zeit später verschwanden seine Füße im Wasser, dann seine Knie und seine Hüften. Er ließ sich nicht davon beirren, sondern ging immer weiter hinein.

Ich spielte die Bewusstlose und schwamm völlig entspannt auf dem Rücken. Einen Fehler konnte ich mir nicht leisten, sonst war Rupert verloren. Meine Schwester wollte ihn einfach ertrinken lassen.

Und dann gelang es mir! Urplötzlich schien die Zeit stehenzubleiben. Ich richtete mich rasch auf und watete aus dem Wasser. Neben Vera blieb ich stehen, bewegte meine Hände und ließ sie ohnmächtig zusammenbrechen. Dann fiel ich in die normale Zeitebene zurück.

Rupert aber ging immer noch stur voran. Das Wasser reichte ihm jetzt bis zum Hals. Ohne zu zögern, sprang ich ihm hinterher, packte ihn an den Schultern und zog ihn zum Ufer zurück. Nach einiger Zeit gelang es mir endlich, den Zauber, den Vera über ihn geworfen hatte, zu lösen. Rupert blieb benommen am Ufer liegen.

Meiner Schwester gönnte ich nur einen kurzen Blick. Dann kümmerte ich mich um Pietro. Um meine Lippen lag ein harter Zug, als ich mich kurzerhand umsah und einen abgebrochenen, zwei Finger dicken Ast entdeckte. Ich kniete neben Pietro Salvatori nieder, schob seine Jacke auseinander, knöpfte sein Hemd auf und drückte die Spitze des Holzpflocks gegen seine Brust. Mit einem schweren Stein hieb ich auf den Pflock nieder und rammte ihm dem Vampir fast einen Zentimeter weit in die Brust. Dunkles Blut floss aus der Wunde.

Da schlug Pietro die Augen auf. »Nicht!«, schrie er mit versagender Stimme.

»Stirb, du Scheusal!«, keuchte ich und holte erneut aus. Bevor ich jedoch nochmals zuschlagen konnte, wurden meine Hände zurückgerissen. Der Stein entfiel meiner Hand, und jemand schleuderte den Ast in den See.

»Aufstehen!«, hörte ich die Stimme meines Patenonkels.

Folgsam erhob ich mich. Cyrano von Behemoth stand vor mir, die Hände über der Brust verschränkt. Seine dunklen Augen schienen zu lodern.

»Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen«, rief er böse und blickte mir in die Augen. Ich glaubte in einen bodenlosen Schacht zu fallen.

Als ich wieder bei Besinnung war, fühlte ich mich unglaublich schwach. Ich blickte mich um und erkannte neben mir Vera und Pietro. Rupert hingegen war verschwunden.