cover

Impressum

 

1. Auflage 2015

© Dryas Verlag

 

Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main, gegr. in Mannheim.Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Lektorat: Andreas Barth, Oldenburg

Umschlaggestaltung: © Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de) unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und Thinkstock

Graphiken: England people and customs © kuco - Fotolia.com / London cab near Big Ben © Ievgen Melamud - Fotolia.com / Street Lamp Silhouette © Al - Fotolia.com / Lamplight © Al - Fotolia.com

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

 

www.dryas.de

Dryas

Inhalt

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Die Marmortreppe

Zur Baker Street Bibliothek

Impressum

Die Marmortreppe

 

Ein Inspector-Swanson-Kurzkrimi

 

von Robert C. Marley

 

 

 

Dryas

Die Baker-Street-Bibliothek

Romane aus den Anfängen der modernen Kriminalistik

 

Verfügte Sherlock Holmes in seinem Haus in der Baker Street 221b über eine literarische Bibliothek?

Wir wissen es nicht.

Aber wir stellen uns gern vor, dass er die Bücher dieser Reihe gelesen hätte: Geschichten rund um skurrile Morde, bizarre Motive und eigenwillige Ermittler, die allesamt in einer Zeit spielen, in der die Verbrechensermittlung noch in den Kinderschuhen steckte.

 

www.bakerstreetbibliothek.de

London

Im Haus von Frederick Greenland, 49 Gordon Square, London.

 

Es war der 31. Dezember des Jahres 1894. Onkel Henry verbrachte den Jahreswechsel bei Verwandten in Wales, und ich hatte, um nicht ganz allein zu sein, ein paar Freunde zu Silvester eingeladen – darunter Chief Inspector Donald Sutherland Swanson, mit dem mich, nach all den Abenteuern, die wir gemeinsam erlebt hatten, mittlerweile eine enge Freundschaft verband, und dessen Gattin für einige Wochen zur Kur in die Schweiz gereist war.

Miss Magda flatterte mit einem Tablett voller Gebäck bewaffnet wie ein kleiner Kolibri zwischen den Gästen umher. Mit ihrem bunten bauschigen Kleidchen, den hochgesteckten blonden Locken und ihrem immerwährenden kessen Lächeln servierte sie den Wein und die Canapés und machte ganz nebenbei und auf ihre zurückhaltende Art (oder vielleicht gerade wegen ihrer zurückhaltenden Art) die Männer verrückt.

Ich konnte von Glück sagen, dass es mir überhaupt gelungen war, sie für diesen Abend zu gewinnen, denn eigentlich war sie das Hausmädchen unserer Nachbarn aus Nummer 42 und, wenn man deren Worten Glauben schenkte, einfach unentbehrlich. Die Hillermans, bei denen Miss Magda seit Jahren beschäftigt war, waren zunächst gar nicht sehr erfreut darüber gewesen, gerade jetzt, zu Silvester, auf das gute Seelchen, wie Colonel Arthur Hillerman sich auszudrücken pflegte, verzichten zu müssen; zumal sie selbst Gäste erwarteten. Es kostete mich meine ganze Überredungskunst, aber schließlich willigte der Colonel doch ein, mit Sack und Pack herüberzukommen und in Nummer 49 das neue Jahr zu begehen. Das war nicht zuletzt Mrs. Hillerman zu verdanken, die meinte, es sei im Grunde gleich, in welchem Haus man feierte, und die Vorstellung, am Neujahrsmorgen einen echten Chief Inspector von Scotland Yard zu umarmen, fand sie einfach wunderbar aufregend.

"Großartige Idee, mein lieber Greenland", sagte Colonel Hillerman eben zu mir, als Miss Magda mit dem leeren Silbertablett an uns vorbeitänzelte und zur Tür des Salons eilte, um für Nachschub zu sorgen. "Ich kann mich nicht erinnern, den alten Brokenhurst seit der Krim so ausgesprochen vergnügt gesehen zu haben." Er deutete mit seinem Weinglas auf einen der Gäste, die er mitgebracht hatte - einen hageren Mann mit weißem, aber vollem Haar, der sich angeregt mit Donald Swanson unterhielt und (zu Demonstrationszwecken, wie ich vermutete) mit den Armen irgendwelche Zeichen in die Luft malte.

"Freut mich, dass es Ihnen gefällt", sagte ich.

"Die Lady ist ein Drachen, wissen Sie?" Und er nickte Mrs. Brokenhurst freundlich zu.

"Macht gar nicht den Eindruck." Ich folgte seinem Beispiel und nickte ebenfalls.

Sie schien sich zu denken, dass wir über sie sprachen, und das schmeichelte ihr offenbar, denn sie lächelte augenzwinkernd zurück, wobei ihre Hände ganz beiläufig den Sitz ihrer Frisur überprüften. Dann hob sie ihr Glas und prostete uns zu.

"Was schätzen Sie, wie alt sie ist?" Der Colonel, vermutlich aufgrund des Weingenusses redselig geworden, stupste mich mit dem Ellenbogen an. "Na, sagen Sie schon, Greenland."

"Eins steht mal fest", meinte ich nach reiflicher Überlegung, "er ist um einiges älter als sie."

"Zahlen, Greenland, Zahlen." Colonel Hillerman reckte abwartend sein spitzes Kinn in die Luft und strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den schmalen grauen Schnurrbart. "Und kommen Sie mir nicht mit vagen Spekulationen."

Mrs. Brokenhurst hatte mittlerweile ihren Platz am Tisch von Ernest und Laura Osbourne, einem sowohl mit meinem Onkel Henry als auch mit mir befreundeten Kaufmannsehepaar aus Chilham, aufgegeben und stand, ihr Weinglas elegant zwischen zwei Finger geklemmt, am Kamin. Der junge Mann neben ihr war Archibald Horne der Werkstattleiter meines Juweliergeschäftes am Strand. Man scherzte und lachte, und Mrs. Brokenhurst schien sich in Mr. Hornes Gesellschaft köstlich zu amüsieren.

Swanson und den alten Brokenhurst, den ich auf sechzig schätzte, hatte es auf die gegenüberliegende Seite des Salons verschlagen, wo Doktor Fred Hopper vom London Hospital, Emma Patterson-Wenright, eine geschiedene Lehrerin aus Kensington, die sich mit Leib und Seele den Frauenrechtlern verschrieben hatte, und die altehrwürdige Lady Sarah Cunningham um Sir Alexander Fendon, den bedeutenden Großwildjäger, herumstanden, der vermutlich zum soundsovielten Mal seine langweiligen Jagdanekdoten zum Besten gab. Wenn ich nicht irre, war er gerade dabei, einen Pavian zu imitieren, was ihm sichtlich leicht fiel.

"Zweiundvierzig, würde ich sagen", murmelte ich dem Colonel sehr leise zu, aber der klatschte gleich vor Freude in die Hände.

"Reingefallen, mein Lieber", grinste er vergnügt. "Gut zehn Jahre älter ist sie. Man sieht ihr nicht ein einziges davon an, nicht wahr? Die Haare sind natürlich gefärbt." Er kicherte leise in sich hinein. "Sie macht ziemlich auf jugendlich. Nicht, dass ich was Schlechtes über sie zu sagen hätte, aber sehen Sie sich nur diese Turtelei mit dem jungen Mann dahinten am Kamin an. Sie können ihr gar nicht jung genug sein!"