Mami 1835 – Frischer Wind mit Sandra

Mami –1835–

Frischer Wind mit Sandra

Roman von Eva-Maria Horn

»Sag’ einmal, Sandra, ist deine Haarfarbe eigentlich echt, oder fuscht du Mutter Natur dazwischen?«

»Bodo Hartinger«, Sandra richtete sich auf, schob seine Hand aus ihrem Haar und spielte die Entrüstete, »zuerst einmal fragt man eine Dame so etwas nicht, und zweitens solltest du wissen, was bei mir echt und was unecht ist.«

Bodos braune Augen blitzten vor Lachen. Blitzschnell faßte er Sandras Hände, hob sie an seine Lippen und drückte gefühlvoll Küsse darauf.

»Du hast ja recht, meine Süße. Wie kann ich an dir nur so etwas wie Talmi vermuten. Bei der schönen Sandra von Hebel ist alles vollkommen. Sie war nicht nur sehr vorsichtig in der Wahl ihrer Eltern, Mutter Natur hat sie auch verschwenderisch bedacht. Haare wie Gold, nein, wie altes Gold, Augen wie eine Nixe, so grün und schillernd wie das Wasser des Sees, wenn die Sonne darauf scheint. Und eine Figur…«

Sandra entriß ihm ihre Hand. Sie wußte nicht, ob sie wütend sein sollte, aber eigentlich war es doch nett, wenn man solche Dinge gesagt bekam.

»Gib es auf, Bodo, ein Dichter wirst du nie. Öffne lieber den Brief deines Bruders. Bist du denn gar nicht neugierig, was er dir schreibt?«

Sandra war schon früh am Morgen zu Bodo gekommen. Sie war gern in seiner eleganten Junggesellenwohnung. Sie bestand aus zwei Zimmern und war gekonnt mit modernen Möbeln eingerichtet. Aber das Schönste war der wundervolle Blick. Man sah bis zu den Bergen hinüber, die Stadt lag zu ihren Füßen, nur verhalten drang der Lärm zu ihnen herauf. Olymp hatte Sandra seine Wohnung getauft. Im gespieltem Ärger behauptete Bodo sogar, Sandra liebte seine Wohnung mehr als ihn.

Sandra setzte sich auf die Lehne des Ledersessels, der viel bequemer war, als er aussah, und wippte mit den Füßen, die in eleganten weißen Sandalen steckten. Natürlich merkte sie, wie intensiv er ihre Beine betrachtete.

»Du solltest deine Röcke viel kürzer tragen, Liebes. Bei deinen Beinen kannst du dir das leisten. Wenn ich allerdings an die Kartoffelstampfer deiner Schwester denke!« Er verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

»Wir wollten uns über den Brief unterhalten, Bodo.«

»Nein, nicht wir, du bist neugierig. Dabei mußt du doch wissen, daß von meinem Bruder nur knappe, meist unerfreuliche Mitteilungen kommen. Seit dem Tod seiner Frau ist es hoffnungslos mit ihm. Er kennt nur zwei Dinge, seine Arbeit und seine Kinder.«

»Du solltest Mitleid mit ihm haben«, wies sie ihn unmutig zurecht. Manchmal ging ihr Bodos oberflächliche Art gewaltig auf die Nerven. Aber sie liebte ihn! Sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Er war der bestaussehendste Mann, den sie kannte. Er war charmant, unterhaltsam, witzig, nie bekam man in seiner Gesellschaft Langeweile. Alle ihre Freundinnen beneideten sie um ihn. Tauchte Bodo in einer Gesellschaft auf, wurde er sofort von Frauen umringt, und auch die Männer schätzten seine Gesellschaft.

»Was starrst du mich so an… so kritisch? Gefällt dir meine Weste nicht? Vielleicht hast du recht. Das Karo ist ein wenig gewagt. Im Geschäft gefiel mir die blau-grüne Farbe viel besser. Ich habe mir sowieso schon überlegt, ob ich mal den Schneider wechsele. Alles was ich sage wird sofort begeistert aufgenommen. Finde ich den Schnitt einer Jacke gut, hängen morgen die Regale damit voll. Weißt du, was Graumüller mir gestern sagte: Ich hätte einen umwerfend sicheren Geschmack, ich hätte nicht Banker werden sollen, sondern Modeschöpfer.«

»Graumüller weiß genau, was du hören willst. Ich mag seine schmeichlerische Art nicht. Wenn dein Portemonaie leer wäre und du billige Hemden und billige Anzüge kaufen müßtest, würde er dich anders behandeln.«

Er klopfte erschrocken auf Holz. »Mal nicht den Teufel an die Wand, Sandra. Schon der Gedanke an eine leichte Geldbörse bringt mich in Panik. Da lese ich schon lieber meinen Brief, jetzt ist sowieso alles egal. Jetzt ist mir ein Schatten auf mein Glück gefallen.«

Er verzog so tragisch das gut geschnittene Gesicht, daß Sandra lachen mußte. So war er immer, selten nahm er etwas ernst, er brachte sie immer wieder zum Lachen. Man konnte ihm einfach nicht böse sein.

»Du hättest nicht Modeschöpfer oder Bankier, du hättest Clown werden sollen.«

Er nahm den Brief vom Schreibtisch und drehte ihn in der Hand. Es war eine sehr gepflegte Hand mit langen Fingern. Man konnte sich Bodo gar nicht anders als gepflegt vorstellen.

Er verzog die vollen Lippen zu einem Lachen. Zögernd, als verrate er ein Geheimnis, vertraute er ihr an: »Wie gut du mich doch kennst, meine Schöne. Ich wollte wirklich einmal Clown werden. Mich hinter einer Maske verstecken, die Menschen zum Lachen bringen, aber ihnen auch unbequeme Wahrheiten beibringen. Aber mein Vater und natürlich auch mein tugendhaftes Brüderchen spielten verrückt und benahmen sich, als wollte ich Bettler werden.«

»Lies den Brief, Bodo. Vielleicht hat dein Bruder ein Anliegen an dich.«

Er verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse.

»Da kennst du ihn schlecht. Ein Kurt Hartinger bittet nicht. Dazu ist er viel zu stolz.«

Er nahm den Brieföffner, langsam schlitzte er den weißen Umschlag auf und nahm den Briefbogen heraus.

»Du magst deinen Bruder nicht?«

»Ist das nun eine Frage oder eine Feststellung? Nein, wir verstehen uns nicht. Wir waren schon als Buben vollkommen verschieden. Er war der Lieblingssohn meines Vaters, der Sohn, der in der Schule sehr gut war, der nie Anlaß zu Ärger gab, ein braver gut geratener Sohn, wie ihn sich ein Vater nur wünschen konnte.«

»War es schwer für dich, Bodo, als deine Mutter starb?«

Er faltete den Brief auseinander, starrte darauf, aber er sah aus wie ein Mann, der mit seinen Gedanken nicht bei der Sache war.

»Ja, es war schwer für mich. Für mich mehr als für meinen Bruder. Er war Vaters Liebling, ich der Abgott meiner Mutter. Sie deckte alle meine Streiche; war ich in Schwierigkeiten, und ich fiel von einer in die andere, bügelte sie alles aus. Vater wurde mit meinen Sünden nicht behelligt.«

»Warst du denn wirklich ein so schwieriges Kind?«

In ihren Augen las er Mitleid und Liebe, ein Lächeln vertrieb die Schatten von seinem Herzen.

»Ich fühlte mich eingeengt, es gab zu viel Verbote, zu viel Dinge, die befolgt werden mußten. Ich fühlte mich unter Mutters Schutz ja sehr sicher und legte mir keine Zügel an.«

»Aber als sie starb…«

»War es für mich ein böses Erwachen. Jetzt kam heraus, daß ich in der Schule schlecht war, faul und aufmüpfig, behaupteten die Lehrer, usw., usw. Vater war ein Mann, der nicht mit sich spaßen ließ. Er hatte die Maschinenfabrik zu dem gemacht, was sie war. Er war reich, aber uns hielt er so knapp, daß wir uns kaum etwas leisten konnten. Alle meine Freunde hatten mehr Geld als ich. Sag mal, wieso sind wir auf ein so trauriges Thema gekommen? Das liegt nur an dem Brief hier. Wenn Kurt auftaucht oder nur ein Brief von ihm, fliegt alle Freude aus dem Schornstein.«

Er setzte sich auf die Kante des Schreibtisches und las. Sie liest ihn nicht aus den Augen, sein wechselndes Mienenspiel entging ihr nicht. Ärger, Spott, Ungeduld las sie von seinem sprechenden Gesicht.

»Ist es etwas Unangenehmes?« wollte sie ängstlich wissen. Er schlug mit der Hand auf das Papier.

»Er bittet mich um etwas. Ein Wunder. Aber ich werde ihm natürlich nicht helfen könnnen. Wie kann man in der heutigen Zeit drei Kinder in die Welt setzen? Ist doch klar, daß es schwer ist, eine Hilfe für drei Kinder zu bekommen.«

»Jetzt mal langsam, Bodo. Ich verstehe kein Wort.«

Er knurrte erbittert. »Du mußt diesen Brief lesen, Sandra. Kurz und bündig jeder Satz, ein Wunder, daß er ihn mit der Hand geschrieben hat, er hätte ihn ja auch seiner Sekretärin diktieren können. Kein verbindliches Wort, keine Wärme, keine Frage nach meinem Ergehen. ›Ich bin in Schwierigkeiten, vielleicht kannst du mir helfen‹, las er vor. »Heute hat die fünfte Erzieherin, die ich für meine Kinder einstellte, gekündigt. Du hast einen großen Bekanntenkreis, vielleicht kannst du dich einmal umhören. Ich brauche eine Dame für meine drei. Sie soll sich nur um die Kinder kümmern. Was ist das nur für eine Welt, in der eine kinderliebe Frau nicht aufzufinden ist?«

Er las nicht weiter. »Das andere ist immer dasselbe. In der Fabrik ist alles in Ordnung, man hat weder Absatzschwierigkeiten noch Personalmangel.

Du bekommst von der Fabrik monatlich deinen Anteil?«

Er nickte mit mürrischem Gesicht. »Ja. Monatlich. Und glaube nur nicht, daß er bereit ist, mir einmal Vorschuß zu geben. Da ist er genauso kleinkariert, wie mein Vater war. Daß man mal unvorhergesehene Ausgaben oder Wünsche hat, das kriegt er nicht in seinen Kopf. Alles, was das Leben leichter oder schöner macht, ist ein Fremdwort für ihn. Er ist ein kalter, verknöcherter Mann, alt, bevor er jung war.«

Bodo war in der glücklichen Lage, Dinge zu vergessen, an die er sich nicht gern erinnerte. Er strich sie einfach aus seinem Gedächtnis. So hatte er vergessen, daß der Vater ihn aus dem Testament gestrichen hatte. Er hatte ein großzügiges Kapital vom Vater bekommen. Damals war er von dem Wunsch besessen gewesen, sich selbständig zu machen. Aber daraus ist einfach nichts geworden. Unvorhergesehene Schwierigkeiten waren aufgetaucht, ja, und dann war das Geld bald verbraucht, es war ihm durch die Finger geflossen. Freunde und Mädchen hatten ihm beim Ausgeben geholfen. Natürlich hatte der Vater viel zu rasch davon erfahren. Kein Wunder, daß Bodo sich an diese Episode nicht erinnern wollte. Der Vater hatte ihm dann die Stelle in dieser Stadt besorgt, zum Glück nicht in seinem Heimatort. Wenn auch das Fiasko viele Kilometer von seiner Heimatstadt passiert war, so hatte der eine oder der andere doch Wind davon bekommen. Außerdem wollte der Vater die räumliche Trennung. Nun, kurz darauf war er gestorben, die alte Wirtschafterin hatte tränenüberströmt behauptet, daß sein Leichtsinn den Vater ins Grab gebracht hätte.

Kurt hatte sich über die Bestimmung seines Vaters hinweggesetzt, Bodo war nach wie vor am Gewinn der Fabrik beteiligt. Und daß Kurt nie über das Vergangene sprechen würde, dessen war Bodo sicher. Aber auch darüber dachte er nicht nach.

Sandra krauste die hohe Stirn und blies eine Locke fort.

»Sind denn die Kinder so unmöglich, daß niemand es bei ihnen aushält?«

Er faltete das Papier zusammen, immer noch mit dem mürrischen Gesicht. Aber plötzlich schmunzelte er.

»Das wäre für den Tugendbold die gerechte Strafe. Seine Sprößlinge entpuppen sich als Rebellen, kein Wunder, daß er damit nicht fertig wird. Er hatte für mich nie auch nur das geringste Verständnis. Komm, vergessen wir das ganze. Was wollen wir heute denn machen?«

»Aber du mußt doch am Nachmittag in die Bank, Bodo. Wir können zusammen Mittag essen. Was hältst du davon, wenn ich uns etwas koche?«

»Gar nichts«, erklärte er energisch. »Nach dem deprimierenden Gespräch brauche ich Leben um mich herum. Was hältst du vom ›Adler‹? Dort gibt es einen erstklassigen Wein und ein vorzügliches Essen. Fahren wir los, worauf warten wir noch?«

Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie kaum einmal mit Bodo allein war. Des Abends suchte er die Gesellschaft seiner Freunde. Wenn er frei hatte, und das war oft der Fall, waren sie auf den Golf- oder Tennisplatz, oder sie schauten bei Freunden vorbei.

»Ich würde lieber hierbleiben, Bodo. Hier können wir viel besser überlegen, wie wir deinem Bruder helfen können.«

Er war schon an der Tür, um sich im Spiegel zu betrachten, drehte sich um und musterte sie verblüfft.

»Warum sollten wir Kurt helfen? Ich denke doch gar nicht daran. Klar habe ich viele Freunde, ganz sicher mehr als er. Aber ich weiß doch nichts über ihr Personal. Darum habe ich mich nie gekümmert und habe auch jetzt nicht die Absicht. Glaubst du, ich frage meine Freunde: Habt ihr nicht zufällig ein Kinderfräulein, das ihr entbehren könnt? Du mußt verrückt sein, Liebes, wenn du das von mir erwartest.«

»Ja, das erwarte ich von dir«, erklärte sie einfach. Er starrte sie an und vergaß vor Erstaunen, den Mund zu schließen. In diesem Augenblick war von seinem sprichwörtlichem Charme nicht viel zu sehen. Sandra ärgerte sich, daß sie es zur Kenntnis nahm.

»Hast du heute morgen nicht gut gefrühstückt? Darin muß der Grund zu suchen sein, daß du so verdrehte Ansichten hast. Ich belaste mich doch nicht mit Kurts Sorgen. Er hat die Kinder in die Welt gesetzt, sie sind seine Sache. Er hat Geld genug, er wird schon eine Frau auftreiben. Vielleicht sollte er sich zur Abwechslung einmal um sie kümmern.«

Sie musterte ihn aus kühlen grünen Augen, eine steile Falte zwischen den feingezeichneten Brauen.

»Sag’ mal, Bodo, bist du nicht ein wenig egoistisch? Sehr egoistisch sogar? Wenn meine Schwester Kummer hat, dann bin ich für sie da, ich würde ganz sicher versuchen, ihr zu helfen.«

»Das ist deine Sache, meine Liebe. Aber verlange das nicht von mir. Ich würde mir auch für deine Schwester kein Bein ausreißen. Für mich ist das Thema abgeschlossen. Solltest du die Absicht haben, noch weiter darüber zu sprechen, dann fahre ich allein ins Adler. Ich habe keine Lust, mir meinen Tag verderben zu lassen.«