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Daniela C. Szasz

Geld, Erfolg, Karriere,
Loslassen, Liebe & Sein

Die Balance

© tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld

1. Auflage (2016)

Autor: Daniela Claudia, Szasz
Umschlaggestaltung, Illustration: Laura B.
Lektorat, Korrektorat: Peter, Gura

Verlag: tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld,
www.tao.de, eMail: info@tao.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Hardcover: 978-3-96051-338-4
ISBN Paperback: 978-3-96051-337-7
ISBN e-Book: 978-3-96051-339-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.

Inhalt

I Die 7 lebenswerten Faktoren von „Go4Values“

II Der bittersüße Erfolg

III Geld verstärkt den Charakter

IV Liebe, Freiheit, Sein

V Tod und Sterben

VI Danksagung

I Die 7 lebenswerten Faktoren von „Go4Values“

 

Vor knapp vier Jahren, 2011 und 2012, erschienen meine ersten beiden Bücher, sprich Teil I und Teil II, als Einzelbände. Knapp ein Jahr später erschien dann Band III zum Thema Geld. Da ich die Rechte für meine Bücher behalten wollte, übernahm ich die gesamte Logistik und den damit verbundenen Aufwand selbst – bis vor einigen Monaten, als es mir zum einen einfach zu viel wurde und ich zum anderen gerne gewisse Passagen in meinen Büchern umschreiben wollte. Daher habe ich mich dazu entschlossen, alle drei Bände zu überarbeiten, zu ergänzen und die drei ursprünglich getrennten Werke zu einem einzigen Buch zusammenzufassen. Sollten dir also beim Lesen einige Abschnitte bekannt vorkommen, weißt du nun, warum.

Des Weiteren habe ich jene Ergänzungen, die ursprünglich als ein eigener Band geplant gewesen waren, am Ende dieses Buches als Teil IV, V und teilweise bereits zuvor am Ende von Teil I angefügt. Ich hoffe, dass es mir dadurch gelungen ist, den Grundgedanken dessen zu transportieren, was nötig ist, um zu einem erfolgreichen Leben als vollständiges Ganzes zu gelangen. Mein Ansatz ist es nicht, Erfolg oder Geld mit allen Mitteln zu erlangen oder stets nach „haben, mehr haben und noch mehr haben“ zu streben. Je mehr du hast, umso mehr musst du tun, um es zu erhalten – und umso leerer wirst du innerlich werden.

Wie Jim Rohn, mein Lehrer, so schön sagte: „Kümmere dich gut um deine Seele, diese kann nicht mit Fast Food überleben.“

Noch weniger geht es mir aber darum, diesen Wunsch nach „haben wollen“ zu ignorieren. Im Gegenteil. Frieden kannst du erst finden, wenn du allen Aspekten von dir Raum gegeben und gelebt, das Beste aus dir gemacht hast und dich auf ALLEN Ebenen weiterentwickelst.

Erfolg bedeutet nicht nur HABEN, Erfolg bedeutet auch SEIN. Oder anders formuliert: HABEN & SEIN = ERFOLG

Um diese beiden Aspekte geht es mir. Erfolg als Ganzes. Das Haben und das Sein gehören zusammen, sonst wäre es einseitig und KEIN wahrhaftiger Erfolg. Auf der Ebene des Habens, der wirtschaftlichen und materiellen Ebene, die wir uns im Detail ansehen werden, musst du tun, was dort zu tun ist. Und auf der Ebene des Seins musst du das tun, was es eben hierfür braucht, um zu wachsen und zu reifen. In nur einem einzigen dieser beiden Bereiche zu handeln reicht allerdings nicht aus und ersetzt niemals die Handlung in dem jeweils anderen Bereich. Und nun wünsche ich dir viel Freude beim Lesen.

„Arbeite härter an dir selbst als an deinem Geschäft.“
Jim Rohn

Amerikanischer Unternehmer, Autor und Erfolgstrainer

(1930–2009)

 

Ein paar Stimmen verschiedener Seminarteilnehmer

Ein intensives, klar durchstrukturiertes Tagesseminar. Daniela ist mit ihrer energievollen und authentischen Art eine Inspiration! Sie macht Mut, selbst klar und straight zu sein und das eigene Geschäft ernsthaft und seriös zum Erfolg zu führen. Ich meine, es ist ein Wahnsinn – in all den Stunden war sie niemals laut oder zerstreut, sondern hochintelligent und voller Feuer. Eine Wahnsinnsfrau. Danke! – Julia

Weiterbildung auf höchstem Niveau [...] Danke, Daniela Claudia Szasz, für dein sensationelles Training! – Andrea

Wenn irgendjemand auf diesem Planeten wissen möchte, wie er oder sie erfolgreich wird, dann kann ich ihm oder ihr nur einen Menschen auf diesem Planeten empfehlen – und das ist Daniela Szasz. Erfolgsorientiertes Arbeiten, Zielstrebigkeit unter Berücksichtigung von Ethik und Werten, Klarheit in der Sprache und sehr viel wertvolles Handwerkszeug habe ich in ihrem Intensiv-Workshop erfahren dürfen. Mit viel Humor, Herzlichkeit und klaren Worten hat mich Daniela durch den Tag begleitet. Ein Tag von unschätzbarem Wert für mich, mit tollen Menschen und einer gehörigen Portion Energie. Ich bin zu einem absoluten Fan von Daniela Szasz geworden. Daniela, wir sehen uns in Kitzbühel! – Margarete

Liebe Dani, von ganzem Herzen DANKE nochmals für das unglaublich inspirierende Führungskräfte-Diamanttraining in Mallorca! Du hast mich zutiefst beeindruckt und hast meine ganze Hochachtung! Danke aus der Schweiz für alles, was Du für unser Team tust! Wir schätzen es unglaublich und freuen uns schon auf November, wenn Du wieder bei uns bist. Herzliche Grüsse aus Mainz. Wir haben gestern unseren dritten Stern gebührend gefeiert. Diesen Erfolg haben wir DIR zu verdanken, denn massgeblich daran beteiligt, dass wir auch so konkret wurden mit unseren Zielen und nun auf Malle leben, bist Du. Wir danken Dir einfach sooo sehr! Sind sooo happy hier! Sei herzlich umärmelt! Wir sind sooo dankbar, Merciiiii!!!! – Elfi, TOP-Führungskraft

Liebe Dani!

Seit Jahren lief es in meinem Leben nicht mehr rund. Alle meine beruflichen sowie geschäftlichen Bemühungen waren ergebnislos. Ich war zunehmend frustriert und ratlos. Also machte ich mich auf die Suche nach der Ursache und suchte Lösungen. Ich nahm an Motivations- und Mentaltraining-Seminaren teil, habe die ganze Palette an einschlägigen Büchern gelesen, doch die gewünschten Resultate blieben aus. Dann, ziemlich genau vor einem Jahr, hörte ich das erste Mal deinen Namen. Google sei Dank, landete ich auf deiner Homepage. Ich war vom ersten Moment an fasziniert von deiner Person. Ich las und hörte alles, was ich von dir finden konnte, und so beschloss ich, mich für das „Bewusstsein, Werte & Erfolg“-Seminar, das im Mai 2015 stattfand, anzumelden. Was ich in den drei Tagen erfahren durfte, kann ich mit Worten kaum beschreiben. Es war ganz anders als all die Seminare, die ich bis dahin besucht hatte, und auch anders als erwartet. Du hast mich, milde gesagt, ziemlich durchgerüttelt, sodass ich das Gefühl hatte, nichts von alldem zu wissen, was ich dachte, dass ich weiss.

Nur eines wusste ich in dem Moment, nämlich, dass ich bei dir an der richtigen Adresse angekommen bin. Demnach folgte im August das Seminar „Geld, Klarheit & Struktur“ und im Oktober das dreieinhalb Tage dauernde Einzelcoaching.

Was seither mit mir geschehen ist und immer noch geschieht, ist kaum zu glauben. Ich fühle mich, als wäre ich neugeboren. Ja, „fühlen“ ist das richtige Wort. Fühlen, das ist genau das Verrückte, nämlich, dass ich mich wieder spüren und fühlen kann. Ich war gefühlsmässig völlig abgestumpft. War nur noch eine Hülle.

Du hast mich im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. Und an dieser Stelle möchte ich mich aus tiefstem Herzen bei dir bedanken, dass du nicht lockergelassen hast. Du hast einen Weg gefunden, meinen Panzer zu durchbrechen. Das war sehr schmerzhaft, doch das, was dadurch entstanden ist, ist das grösste Geschenk. Es ist eine Transformation. Zuerst musste ich durch die Enge hindurch, um ausschlüpfen zu können wie die Raupe zum Schmetterling.

Liebe Dani, deine Arbeit ist unbezahlbar und das grösste Geschenk für die Menschen, die bereit sind, zu erkennen, und die nach Veränderung streben. Hab 1000 Dank! Ich grüsse dich ganz lieb und drücke dich aus der Schweiz. – Barbara

Habe alle deine Bücher gelesen und deine CDs gehört, aber dich live zu erleben, ist wirklich unbezahlbar! Danke dafür. – LG Anke

Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so klar und voller Liebe ist mit dem, was er tut. Danke, Daniela. – Jochen

 

Ich widme diesen Teil I in Liebe und Dankbarkeit
meiner Oma Dorothea Szasz.

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Inhalt

Vorwort

Wer will, kann!

7 x Values

»V« aus Values

»A« aus Values

»L« aus Values

»U« aus Values

»E« aus Values

»S« aus Values

»Go4« Values.

Vorwort

„Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen & keinen Gelehrten.“

Chinesisches Sprichwort

 

Du schlägst die Tageszeitung auf, schaltest das Radio ein, schaust ins Internet oder verfolgst am TV-Bildschirm die Ereignisse des heutigen Tages. Wer sich die Mühe macht und ein Blatt Papier und einen Bleistift zur Hand nimmt, eine Tabelle mit zwei Feldern zeichnet, davon die eine Seite mit einem „+“, die andere mit einem „–“ versieht, erhält schon bald ein „realistisches“ Bild vom Tagesgeschehen. Mit jeder negativen Nachricht wird ein senkrechter Strich in der Spalte mit dem Minus gezogen, jede positive Nachricht wird in der anderen Spalte verbrieft. Schon nach wenigen Minuten häufen sich die Striche unter dem Minus, während unter dem Plus kaum welche auszumachen sind.

Das ist die Realität. Die Berichterstattungen scheinen sich derzeit in Sachen „negative Nachrichtenmeldungen“ gegenseitig überbieten zu wollen. Eurokrise, der Brexit, Konflikte, Kriege, Inflation, Flüchtlingskrise oder Arbeitslosigkeit sind nur einige von vielen Themen, mit denen sich die Medien beschäftigen.

Natürlich gibt es sie, die Katastrophen, aber sie sind Teil einer globalen Welt. Es hat sie zu allen Zeiten gegeben und es wird sie auch weiterhin geben. Immer wieder wird auf manchmal fragwürdige Art versucht, die Zahl der tragischen Ereignisse zu relativieren, und vieles erscheint so verwirrend, dass man kaum noch durchblickt. Doch der Fokus des Einzelnen darf nicht nur auf das Elend der Welt gerichtet sein, sondern – und vor allem – auf sich selbst. Das ist weder egoistisch noch überheblich. Wenn jeder für sich das Beste gibt, was er für sich tun kann, dann geht es ihm gut. Wenn es ihm gut geht, kann er anderen Menschen eine große Hilfe sein, damit es auch ihnen gut geht.

Deshalb ist es so wichtig, mit sich im Reinen zu sein und sofort für ein besseres Leben einzustehen. Wir haben nur dieses eine „bewusste“ Leben und somit das Recht und die Verantwortung, es lebenswert zu gestalten.

Viele Menschen sind damit überfordert, weil sie glauben, dem Schicksal hoffnungslos ausgeliefert zu sein. Je mehr „Schläge“ sie haben einstecken müssen, desto größer ist ihre Resignation, bis hin zur persönlichen Selbstaufgabe.

Es gibt viele Beispiele im Universum, dass es auch anders geht. Die Art und Weise, wie wir unser Schicksal betrachten, sagt viel darüber aus, wie wir damit umgehen. Man kann sich ärgern und verkriechen. Man kann es aber auch als Chance sehen, etwas zu verändern.

Genau darum geht es mir in diesem Buch. Es ist alles andere als ein Selbstbeweihräucherungsbuch nach dem Motto: „Seht her, wie toll ich bin!“ Mitnichten. Darum geht es mir nicht. Es soll Mut machen und Hoffnung verbreiten, doch auch realitätsnah sein und dir nicht noch mehr Märchen erzählen. Es soll dir zeigen, dass du auf dieser Welt mit all deinen Sorgen, Ängsten, Problemen und Schicksalsschlägen nicht allein bist. Tausende, ja Millionen von Menschen erleben Ähnliches. So wie ich. Wenn du bereit bist, dich für kurze Zeit auf mein Leben einzulassen, dann wirst du sehen, welche Steine mir das Schicksal immer wieder in den Weg gelegt hat und wie ich es doch geschafft habe, diese beiseitezuräumen.

Ich möchte dir Mut machen, deinen Weg selbst dann zu gehen, wenn du noch kein Licht am Ende des Tunnels siehst. Habe eine klare Vorstellung von dem, was du willst, und mache dich auf den Weg. So wie ich. Es kann auch sein, dass du deinen Weg derzeit noch gar nicht kennst. Dann lasse dich von diesem Buch inspirieren, vielleicht bekommst du ein paar Ideen.

Ich wünsche dir nun viele Inspirationen beim Lesen meiner Vita. Ich wünsche mir auch, dass sie dich dazu anspornt, durchzustarten und für dich einzustehen, egal, was immer du in den Medien liest und hörst. Persönlich lebe ich am liebsten nach folgendem Grundsatz: Wenn morgen die Welt untergehen sollte, habe ich heute mein Bestes gegeben.

Du hast nur dieses eine bewusste Leben. Verschenke keinen einzigen Tag davon.

In diesem Sinne schöne Grüße aus der Sonne.

Herzlichst

Daniela C. Szasz

 

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Wer will, kann!

„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“

Johann Wolfgang v. Goethe

 

Es gibt Menschen, die werden mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel geboren, wohingegen andere als Säugling verarmter Eltern das Licht der Welt erblicken. Ihnen gemeinsam ist, bei gleichem Geschlecht, nur der Umstand, dass sie nackt zur Welt kommen. Danach könnten die Unterschiede nicht größer sein. Da ist zum einen die Kronprinzessin, die eines Tages die Thronnachfolge als Königin antreten wird. Zum anderen ist da das verarmte Kind, das unter vielen Entbehrungen aufwächst. Während das Königspaar aus dem Vollen schöpfen kann, fehlt es der armen Familie oft an allem. Die Tochter des Königs genießt die beste Schul- und Ausbildung, das in ärmlichen Verhältnissen aufwachsende Kind besucht hingegen nur die gesetzlich vorgeschriebene Schule, weil es nach Schulschluss den Eltern zur Hand gehen muss. Gemeinsam müssen sie das Geld verdienen. Der einen fällt alles in den Schoß, während die andere arbeitet, bis die Kräfte nachlassen, und doch reicht es nicht.

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Die Prinzessin lebt in diesem Schloss

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Das verarmte Kind verbringt hier seine Zeit

Vor dem Schloss stehen mehrere Luxuskarossen. Vor dem Haus mit der Wohnung des verarmten Kindes kämpfen Schrottlauben um den besten Parkplatz. Selbst eine solche zu besitzen, stellt bereits einen Luxus dar – ein „Luxusproblem“ für den Fahrer des betagten Wagens, schließlich besitzt er im Gegensatz zu vielen anderen Leidensgenossen immerhin ein Auto.

Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist der Prinzessin sicher. Wohin sie auch geht, die Fotografen sind ihre ständigen Begleiter. Und so schmückt sie Woche für Woche die Titelseiten namhafter Illustrierter rund um den Globus. Kleine Mädchen sind vollkommen fasziniert von ihr und träumen sich mit den Bildern aus diesen Zeitschriften in den Schlaf. Sie hoffen auf den Prinzen, der sie eines Tages zur Prinzessin macht.

Von Prinzessinnen träumte ich im Laufe meines Lebens nie, aber sehr wohl von einem besseren Leben in einem besseren Land.

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Ich war gerade 6 Monate alt, als mich meine Eltern aus verschiedenen Gründen, darunter auch aus finanziellen, in ein rumänisches Waisenhaus geben mussten. Dort verbrachte ich die ersten zwei bis drei Jahre meines Lebens, eine Zeit, an die ich bewusst allerdings keinerlei Erinnerungen habe. Das Waisenhaus verließ ich, weil meine Großeltern mich zu sich holten. Obwohl sie Teil meiner Familie waren, sprach ich in den ersten Tagen unserer Begegnung kein Wort mit ihnen. Anfangs dachten alle, ich sei stumm, doch das Waisenhaus hatte mich so sehr geprägt, dass ich zu anderen Menschen kein Vertrauen mehr hatte. Ich brauchte Zeit, um mich meiner neuen Umwelt öffnen zu können. Meine Oma erzählte mir später, dass auch sie sehr viel Geduld mit mir aufbringen musste, bis ich wieder Vertrauen fasste und zu sprechen anfing.

Nun lebte ich also mit meinen Großeltern und meinem Bruder in einem kleinen Haus in einem rumänisch-sächsischen Dorf. In diesem Haus teilten wir uns gemeinsam ein Zimmer. Tagsüber war es Wohnzimmer und Küche, nachts übernahm es die Funktion des Schlafzimmers – für uns alle! Während meine Großeltern in ihrem eigenen Bett schliefen, teilte ich „meines“ mit meinem jüngeren Bruder.

Als Kind, das aus einer Mischfamilie mit einem deutsch-ungarischen Vater und einer rumänischen Mutter stammte und zudem noch die ersten Jahre nicht an diesem Ort zugebracht hatte, war ich in der Schule lange Zeit eine typische Außenseiterin. Familien mit einer solchen Lebensgeschichte waren in diesem sächsischen Dorf nicht gerne gesehen.

Somit hatte ich auch nicht viele Freunde und noch weniger Spielsachen. Aber dieses Wenige war oft meine ganze Freude und mein einziger Trost. In jenen Momenten, in denen es mir nicht besonders gut ging, klammerte ich mich an meine Puppe, die ich Hilde getauft hatte.

Natürlich gab es auch wundervolle Momente in meinem jungen Leben, insbesondere durch meine Oma. Ihr habe ich sehr viel zu verdanken. Sie war immer für mich da, auch dann, wenn ich wieder einmal am „Pendeln“ war. Bis zu meinem achten Lebensjahr lebte ich abwechselnd bei meinen Eltern und bei meiner Oma. Erst als meine Eltern aus dem Dorf wegzogen, verbrachte ich die darauffolgenden Jahre durchgehend bei meiner Oma. Von ihr lernte ich sogar mehrere Sprachen, u. a. Rumänisch, Ungarisch und Sächsisch. „Richtiges“ Deutsch lernte ich mit ihrer Hilfe in der Grundschule. Meinen allerersten großen Traum hatte ich im Alter von etwa sieben Jahren. Ich sah die ESC-Gewinnerin Nicole mit ihrem Lied „Ein bisschen Frieden“ – und es war entschieden. Im Laufe der Jahre bei meiner Oma durfte ich dieses Lied des Öfteren in der Schule vorsingen. Immer wieder wurde ich von den Lehrern zum Singen aufgefordert, immer wieder dieses Lied, das ich so liebte. In späteren Jahren, als ich zu meinen Eltern kam, wurde dieser Traum allerdings im Keim erstickt.

Als ich acht Jahre alt war, entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Künstlerische. Ich war in der Lage, Bilder nach Vorlagen freihändig nachzumalen. Das tat ich reichlich, obwohl es nur wenige Farben gab, die man kaufen konnte. In Rumänien war das zur damaligen Zeit ein echtes Problem, weil man nicht einfach in ein Geschäft gehen konnte, um sich neue zu besorgen. Also beschaffte mir meine Oma über Umwege die dringend benötigten Farben. Sie kannte sächsisch-deutsche Auswandererfamilien, die ihren Hausstand auflösten, bevor sie das Land verließen. Von ihnen erhielt meine Oma Secondhand-Wasserfarben. Somit war es mir möglich, weiterhin meiner Liebe zum Malen nachzugehen.

Überhaupt war es meine Oma, die mich in jeglicher Hinsicht unterstützte. Erkannte sie ein neues Talent an mir, ließ sie nichts unversucht, dieses mit Leben zu füllen. Keine Herausforderung war ihr zu groß, kein Weg zu lang, um mich zu fördern. Das erfüllte mich mit Stolz und großer Freude, zumal unsere Eltern meinen Bruder und mich später (als ich mit 10 Jahren zu ihnen zog) überhaupt nicht unterstützten. Selbst meine Leidenschaft für Sport und Musik teilten sie nicht. Als ich ihnen erzählte, dass alle Kinder in meiner Schulklasse Blockflöte spielten und ich die Einzige war, die keine besaß, hielten sie an ihrer ablehnenden Hal-tung fest. So wurde ich erneut in meiner Rolle als Außenseiterin bestätigt, die mit anderen nicht mithalten konnte. Und wieder war es meine liebe Oma, die sich auf den Weg machte und mir eine gebrauchte Blockflöte besorgte.

Als ich 10 Jahre alt war, hörte mit einem Schlag „mein altes Leben“ auf. Bisher hatte ich mit meiner Oma in dem Dorf gelebt, das meine Eltern Jahre zuvor verlassen hatten. Sie waren in die alte Heimat meiner Mutter gezogen, ebenfalls ein kleineres Dorf, und dorthin holten sie mich nun, während meine Oma in ihrem Haus blieb. Fortan trennten uns etwa 200 Kilometer – in Rumänien, einem Land, das ohne Autobahnen auskommen musste, eine schier unendliche Strecke. Ich ließ nicht nur meine Freunde und Bekannten zurück, sondern auch den Bruder, der weitere zwei Jahre bei der Oma blieb. Sie litt genauso wie ich unter dieser Trennung, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nun langsam auch mehr Hilfe durch mich erhofft hatte. Aufgrund ihres Alters ging ihr die Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand, und ich war ihr eine große Stütze gewesen, auf die sie nun verzichten musste, während ich mich zum wiederholten Male an eine neue Umgebung zu gewöhnen hatte. Nicht nur räumlich, geografisch, sondern auch familiär und kulturell, schließlich war ich nicht nur jahrelang von den Eltern getrennt gewesen, sondern zudem in einer überwiegend sächsischen Kultur auf-gewachsen. Darauf war ich sehr stolz, weil ich „dazugehörte“, wo-hingegen das neue Dorf zu einhundert Prozent rumänisch war.

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In den folgenden drei Jahren lebte ich in diesem Haus mit meinen Eltern unter einem Dach. In dieser Zeit wechselte ich in eine rumänische Schule, weil meine Mutter kein Deutsch/ Sächsisch sprach oder verstand. Erneut war ich als „sächsisch aufgewachsenes“ Mädchen eine Außenseiterin. Die Sachsen bei meiner Oma hatten in mir die Rumänin gesehen, während ich nun für die Rumänen eine Sächsin war.

Mit den Jahren reifte aufgrund dieser Erfahrungen in mir der tiefe Wunsch nach einer durchgreifenden Veränderung, was in einem kommunistischen Land nicht so einfach möglich ist. Ohne gute Verbindungen und Kontakte – und selbst dann war es äußerst gefährlich – war es schwierig, gehört zu werden, vor allem in meinem jungen Alter. Auch wenn ich keine klare Vorstellung von dem hatte, was ich eigentlich wollte, spürte ich doch, dass ich etwas verändern musste, um dieser Tristesse zu entfliehen. Nur eines wusste ich: Ich wollte raus aus Rumänien und nach Deutschland zu unserer Tante oder in die USA. Für ein Mädchen im zarten Alter von zehn bis elf Jahren schon eine gewagte Vorstellung angesichts der politischen Situation in diesem Land. Doch ich hielt in den kommenden Jahren eisern an meinem Wunsch fest.

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Nach drei Jahren ließen wir auch dieses Haus hinter uns und zogen in die Stadt in eine Art Plattenbau (siehe Bild weiter vorne). Die neue Wohnung war zwar nicht größer als das Haus mit insgesamt knapp 50 m2, verfügte aber über einen Luxus, über den man heute nur lachen kann, weil er inzwischen Normalität ist: Wir hatten hier fließendes Warm- und Kaltwasser, das noch dazu aus dem Hahn kam. Das kannten wir von unserem ländlichen Haus nicht, denn dort musste das Wasser zu allen Jahreszeiten bei Wind und Wetter von uns aus dem Brunnen gezogen werden. Auch hatte es in diesem Haus keine Heizung gegeben, und gekocht wurde mit einem einfachen Holzfeuer.

In der Stadtwohnung besaßen wir eine Zentralheizung und sogar ein eigenes Bad mit Toilette. Für jemanden, der es gewohnt gewesen war, hierzu Räumlichkeiten außerhalb der eigenen vier Wände aufsuchen zu müssen, eine wunderbare Erfahrung. Einen Wermutstropfen gab es dann aber doch noch: Warmes Wasser floss nur zweimal pro Woche, und auch Strom und Heizung waren nicht den ganzen Tag über verfügbar. Die Zuteilung erfolgte am Vor- und am Nachmittag jeweils für wenige Stunden. Das war aber allemal besser, als durchgehend ohne Strom und Heizung auskommen zu müssen. Nachts war es allerdings besonders für mich ein Problem, weil ich noch für die Schule lernen musste. Mir blieb dann nur das Kerzenlicht, und während ich bei Kerzenschein las und schrieb, schlief der Rest der Familie.

Mit dem Umzug in die neue Wohnung „wuchs“ die Familie. Neben meinem Bruder zog auch der Großvater zu uns. Nun lebten wir mit fünf Personen in einer beengten Wohnung unter einem Dach. Als pubertierendes Kind stand mir der Sinn nach Ruhe und nach einem eigenen Bereich für mich allein, doch daran fehlte es komplett. Weil der Großvater nun fortan im Bett schlief und mit der Zeit sogar bettlägerig wurde, teilte er sich dieses mit meinem Bruder. Ich dagegen schlief im selben Zimmer auf einem Klappbett. Eine solche Situation ist wirklich nicht immer leicht auszuhalten.

Obwohl wir uns einiger technischer Verbesserungen erfreuten, war meine persönliche Situation durch den Umzug in die Stadt keines-falls besser geworden. Hier wie auf dem Land schienen Widerstände das Leben auszumachen. Mit vielen Menschen auf engem Raum zu wohnen war noch trister als auf dem Land. An jeder Ecke in dem Stadtviertel hörte man Streitereien, Betrunkene und Ähnliches. Einfach eine größere Wohnung in einem besseren Stadtviertel zu mieten, war nicht möglich. Dafür brauchte man extrem gute Beziehungen. Und obwohl meine Eltern nichts unversucht ließen, die räumliche Situation zu verändern, gelang es ihnen trotz aller Bemühungen nicht. Wir wurden auf eine staatliche Warteliste gesetzt.

Während wir auf dem Land weite Wege in Kauf nehmen mussten, hatten wir es hier in der Stadt schon etwas besser. Vieles war schnell erreichbar, selbst die Schule. Auf dem Land hatten wir Kinder rund zwei Kilometer zu Fuß zur Bushaltestelle laufen müssen. Im Sommer kein Problem, im Winter dagegen ein großes. Schuhe nach heutigem Standard besaßen wir nicht, und so froren wir uns oftmals fast die Füße ab, wenn wir durch dicken Schnee und Frost die Strecke zur Bushaltestelle liefen. Hinzu kam, dass man, wenn sich der Bus einmal eine Stunde verspätete (was im Winter häufig vorkam), eben etwas länger fror. Sommer wie Winter können in Rumänien sehr extrem ausfallen, doch darauf wurde keinerlei Rücksicht genommen. In allem, was wir taten, mussten wir uns beeilen, denn der Bus für die Schule kam morgens nur ein einziges Mal. Wer ihn verpasste, hatte keine Chance mehr, zum Unterreicht zu kommen. Der nächste Bus fuhr erst wieder am Nachmittag.

Für die Rückfahrt gab es ein ähnlich enges Zeitfenster. Es blieb keine Zeit für Trödeleien oder andere Dinge. Wer den Bus verpasste, hatte ein Problem, nach Hause zu kommen. Pünktliches Erscheinen, darauf bestanden meine Eltern energisch, schließlich musste ich ihnen im Haushalt zur Hand gehen, weshalb sie, wie bereits erwähnt, für meine künstlerische Ader keinerlei Verständnis zeigten. „Arbeit vor Vergnügen“ schien eine Art Lebensmotto von ihnen zu sein, das insbesondere für uns Kinder galt. Aus diesem Grund versagten sie uns jegliche Unterstützung. Meinen Wunsch, Gitarre spielen zu dürfen, verwarfen sie genauso wie eine Mitgliedschaft im Chor. Selbst fürs Tanzen in der Schule oder für Handball, den ich gerne spielte, brachten sie kein Verständnis auf.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag, als ich in der Schule eine Art Gedichtwettbewerb gewann und gebeten wurde, mein selbst verfasstes Werk bei einer Aufführung vorzutragen. Leider war ich schon nach Hause gefahren, da ich nie einen späteren Bus nehmen durfte; somit ging die Anerkennung an jemand anderen. Schreiben war und ist meine große Leidenschaft, die sich nicht nur auf Gedichte reduzierte. In stillen Momenten und ganz allein schrieb ich sogar Märchen.

Heute würde ich sagen, dass man meinen Eltern ihr Verhalten nachsehen muss, auch wenn es mir einige Jahre schwerfiel. Beide waren noch sehr jung, als wir Kinder geboren wurden. Sie hatten in dieser Zeit auch ihre eigenen Pläne und Wünsche gehabt, die sie erfüllt sehen wollten. Zudem waren die Verhältnisse im damaligen Rumänien alles andere als einfach. Vielleicht war das einer der Gründe, warum meine Eltern, wie viele andere auch, glaubten, Kinder hätten wie Erwachsene zu denken und zu handeln, damit sie mit den Widrigkeiten und Umständen besser zurechtkämen. In jedem Fall erwarteten meine Eltern, dass ich eigenständig und erwachsen dachte und handelte, um sie weniger zu belasten. Also tat ich wie befohlen und war immer darauf bedacht, alles richtig zu machen. An Spielen mit anderen Kindern war deshalb gar nicht zu denken. Das war eher die Ausnahme als die Regel, fast schon ein seltenes Privileg, wenn es doch einmal dazu kam.

Über diese Sätze liest es sich schnell hinweg, wenn man selbst nicht betroffen ist. Das ist gut so, schließlich möchte ich kein Mitleid erregen, sondern nur meinen Weg ins Leben darstellen. Wenn selbst Goethe schreibt: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen“, dann zeigt das, dass es auch andere in ihrem Leben nicht immer einfach hatten. Bei mir war es am Ende so, dass die fehlende emotionale Unterstützung durch meine Eltern, ihr mangelndes Verständnis für die Bedürfnisse eines heranwachsenden Kindes und mein innigster Wunsch nach einer persönlichen Veränderung in einer „Flucht“ gipfelten. Darin sah ich als frühreifes Kind die einzige Lösung. Gerade einmal 15 Jahre alt, lief ich also von zu Hause weg, um anderswo mein Glück zu finden. Drei Monate später (und dreihundert Kilometer vom elterlichen Haus entfernt) lebte ich in der Nähe der Grenze zu Ungarn. Hier schloss ich mich Erwachsenen an, die teilweise sogar aus meiner Heimatstadt kamen. Gemeinsam warteten wir auf den richtigen Zeitpunkt für die Flucht über die Grenze.

Dazu kam es dann aber nicht. Leider! Mein Wunsch, endlich dieses Land verlassen zu können und in eine neue Welt zu gelangen, ging nicht auf. Grenzposten schnappten einige von uns, und während die Erwachsenen sofort verhaftet und verhört wurden, kam ich als Minderjährige mit einem blauen Auge davon. Die Reaktion meiner Eltern, als sie mich von der Wache abholen mussten, war keine sonderlich gute, um es einmal milde auszudrücken.

Kein Wunder also, dass danach der Ton zu Hause rauer wurde, als er ohnehin schon gewesen war. An einen weiterführenden Schulabschluss war nicht mehr zu denken. Meine Eltern, insbesondere mein Vater, nahmen mich von der Schule und schickten mich mit 15 Jahren zur Arbeit, damit ich Geld verdiente. Sie bezeichneten das als „Erziehungsmaßnahme zum Wohle des Kindes“. Und so landete ich als ungelernte Arbeiterin in einer Möbelfabrik; an sich ein normaler Vorgang, denn so etwas wie einen Ausbildungsplatz, wie man es von anderen Ländern kannte, gab es zu jener Zeit in Rumänien nicht. Und die wenigen freien Plätze, die vereinzelt zur Verfügung standen, wurden nur an diejenigen vergeben, die über die richtigen „Connections“ verfügten. Aus diesem Grund fanden sich rund 90 Prozent der Schulabgänger als Arbeiter in Fabriken wieder, die Waren unterschiedlichster Art für die westdeutschen Märkte herstellten.

Trotz dieser schweren und gesundheitsgefährdenden Arbeit ließ ich mich nicht davon abhalten, meinen Schulabschluss, die Mittlere Reife, in der Abendschule nachzuholen. Kein leichtes Unterfangen, in jeder Hinsicht. Während beispielsweise in Deutschland feste Arbeitszeiten galten, wurde in Rumänien nach einem völlig anderen System gearbeitet, und zwar nach 8/8 oder 12/12. Arbeiter arbeiteten 8 Stunden, dann hatten sie 8 Stunden frei. Danach arbeiteten sie wieder 8 Stunden usw. Beim System 12/12 waren es nur 2 Schichten: 12 Stunden arbeiten, 12 frei. Ein solches Zeitkonto war nur schwer mit einer Abendschule zu vereinbaren.

Tagein, tagaus immer wieder dieselbe stupide Arbeit, die nicht nur auf die Knochen ging, sondern auch auf die Haut, insbesondere die meiner Hände, die durch das raue Schmirgelpapier stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. In schöner Regelmäßigkeit erlitt ich Verwundungen und Blutungen an den Händen. Das machte mir so sehr zu schaffen, dass ich eines Tages all meinen Mut zusammennahm und kündigte. Mein Chef wollte mich behalten und versuchte noch, ein Gespräch mit mir zu führen; er wollte, dass ich mich dort im Unternehmen weiterentwickelte und lernte. Doch ich ging.

Mit 16 Jahren wechselte ich zu einem Obst- und Gemüsehändler, der seine Ware in Körben transportierte, die aus Weide hergestellt wurden, und zwar von den Angestellten des Unternehmens selbst. Man lernte mich an, und so flocht ich fortan Körbe. Ebenfalls ein schwieriges Unterfangen, und es dauerte eine Weile, bis ich mit der Flechttechnik vertraut war. Hinzu kam, dass die Weide zuvor mit Wasser bearbeitet wurde. Im Sommer kein Problem, aber im Winter ein großes. Das Wasser gefror an den Weiden, die wir mit bloßen Händen verarbeiten mussten. Ich hatte oft schon nach wenigen Minuten das Gefühl, als seien mir selbige abgefroren. Dennoch biss ich im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammen und konzentrierte mich auf die angenehme Seite dieser Arbeit, denn aufgrund der besseren Arbeitszeiten war es mir möglich, weiter die Abendschule zu besuchen.

Geduld zahlt sich mitunter aus. Womit niemand hatte rechnen können, passierte plötzlich und unerwartet. Politische Unruhen überzogen das Land, und während die Jugendlichen und Studenten, mich eingeschlossen, demonstrierend auf den Straßen marschierten, verließ mein Vater das Land in Richtung Deutschland. Er hatte eine offizielle Einladung von seiner Cousine erhalten, weshalb ihm die Ausreise genehmigt worden war. Einige Monate später folgten, nicht ganz so offiziell, meine Mutter, mein Bruder und ich.

Wir ließen Haus, Hof und Abendschule zurück und machten uns auf den Weg nach Westdeutschland. Die Kleider an unseren Körpern waren alles, was wir mitnehmen konnten. Als wir nach Tagen und über Umwege endlich in Deutschland ankamen, gab es bei unserer Tante ein Wiedersehen mit dem Vater. Wir hatten gerade einmal zwei Tage Zeit, um uns dort zu erholen, dann ging es in Richtung Osnabrück weiter. Hier wurden wir in einem Flüchtlingsheim einquartiert, das in einer ehemaligen Kaserne untergebracht war. Dieser Schritt war notwendig, um die behördlichen Auflagen zu erfüllen, damit wir in den Besitz der für uns so wichtigen deutschen Papiere kamen. Zwei Wochen später hielten wir nicht nur die Aufenthaltserlaubnis in unseren Händen, sondern auch die Bestätigung über die deutsche Staatsbürgerschaft. Nun konnte es weitergehen. Man vermittelte uns an ein Übergangsheim, dessen Ort wir selbst auswählen durften. Weil wir eine Tante in der Nähe von Stuttgart hatten, entschieden sich meine Eltern für diese Stadt.

Auch wenn wir mehr als überglücklich waren, endlich am Ziel unserer Träume angekommen zu sein, haderte ich insbesondere mit der Unterbringung. Alles war sehr spartanisch eingerichtet und man teilte sich mit anderen Dusche, Toilette und Küche auf dem Flur. Zu viert lebten wir in einem ca. 18–20 Quadratmeter kleinen Raum, doch trotz allem waren wir voller Freude, endlich in Deutschland zu sein. Für gewöhnlich blieb man hier nur so lange, bis man einen bezahlten Job gefunden hatte, um davon die Wohnungsmiete bezahlen zu können. Darüber hinaus wurden diejenigen, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, in die Sprachschule geschickt, um diese nicht einfache Sprache zu erlernen. Konnten Flüchtlinge die Auflagen nicht erfüllen, mussten sie im schlechtesten Fall mehrere Jahre in solchen Lagern verbringen.

Das war eine Vorstellung, vor der mir graute. Ich wollte vieles, aber keinesfalls wieder ein Leben in einem Heim. Deshalb handelte ich umgehend. Noch am selben Tag, als wir in Stuttgart ankamen, rief ich eine deutsche Freundin an, die ich in Rumänien kennengelernt hatte. Sie gehörte der Gruppe „Hilfe für Rumänien“ an, die das Land mit lebenswichtigen Dingen versorgte, die zuvor in Deutschland gespendet worden waren. Bei einer dieser Hilfslieferungen nach Rumänien war sie dabei gewesen. Und weil sie wissen wollten, wie die Menschen dort lebten, übernachteten die Mitglieder dieser Gruppe bei einheimischen Familien. So kam Gerlinde zu uns.

Ich schlief mit ihr gemeinsam in einem Bett. An Schlaf war für mich in jener Nacht allerdings nicht zu denken, weil wir uns so viel zu erzählen hatten und ich so vieles von ihr wissen wollte. Natürlich sprach ich von meinen Wünschen und Träumen und vertraute ihr an, dass ich so gerne nach Deutschland wollte. Gerlinde fragte mich, welchen Beruf ich denn dort ausüben wolle, wenn es eines Tages dazu käme.

Die Ausbildung zur Krankenschwester hatte in Rumänien einen sehr hohen Stellenwert, es war ein echter Prestigeberuf. Hätte ich einen Wunsch frei, sagte ich ihr daher, ich würde mich für diese Ausbildung entscheiden.

An dieses Gespräch erinnerte ich mich, nachdem ich in Stuttgart angekommen war. Ich zögerte keinen Moment und rief Gerlinde an. Sie wohnte nur ca. 40 Kilometer vom Stuttgarter Flüchtlingslager entfernt.

Schicksal oder Glück?

Egal. Hauptsache, das Leben meinte es an dieser Stelle gut mit mir. Ich war überglücklich, am anderen Ende der Leitung ihre vertraute Stimme zu hören, und sie war überrascht, dass ich endlich deutschen Boden unter meinen Füßen hatte. War es wiederum Zufall oder Glück, dass sie in diesem Gespräch einen Brief erwähnte, an dem sie gerade schrieb, um mir mitzuteilen, dass sie einen Ausbildungsplatz für mich gefunden hätte?

Am selben Nachmittag kam Gerlinde zu uns ins Lager, um meinen Eltern zu erklären, dass es für mich nur von Vorteil wäre, wenn ich sogleich mit ihr ginge, anstatt weiterhin im Lager auszuharren. Somit verlöre ich keine wertvolle Zeit, weil ich auch sofort etwas Neues anfangen würde. Meine Eltern stimmten zu, und so packte ich schnell meine Siebensachen zusammen und verabschiedete mich noch am selben Tag von meiner Familie. Im Nachhinein weiß ich, dass ich meine Eltern damit überrumpelt habe, aber ich wollte ein neues Leben – und das sofort.

Natürlich schmerzt ein solch rigoroser Schritt, aber ich musste dabei an mich selbst denken. Solange ich zurückdenken konnte, war mein größter und einziger Wunsch gewesen, frei zu sein. (Dass Freiheit viel mehr mit einem inneren Prozess als nur mit äußeren Faktoren zu tun hat, verstand ich erst viele Jahre später.) Endlich tun und lassen können, wonach mir der Sinn stand! Deshalb wollte ich die Veränderung in meinem Leben. Ich wollte ein selbstbestimmtes und kein fremdbestimmtes Leben. An Karriere und Erfolg hatte ich da noch gar nicht gedacht. Das war für mich noch so weit weg, dass es mir gar nicht in den Sinn kam, über größere Pläne nachzudenken.

Gerlinde besorgte mir innerhalb weniger Tage einen Ausbildungsplatz zur Altenpflegerin in einem Altenheim. Von diesem Beruf hatte ich zuvor noch nie gehört, allerdings dachte ich, es sei nur eine andere Bezeichnung für Krankenschwester, und nahm das Angebot sofort an. Ich wollte durchstarten und fortan mein eigenes Geld verdienen. Das war ein erhabener Moment. Endlich etwas Geld zu besitzen, über das ich allein verfügen konnte. Zudem besaß ich nun mein erstes eigenes Zimmer, das mir das Altenheim, in dem ich während der Praxiszeit arbeitete, im obersten Stock zur Verfügung stellte. Hier wohnten noch einige andere Zivis, mit denen wir uns – ähnlich wie im Übergangsheim in Stuttgart – Bad und Küche auf dem Flur teilten.

Leider währte die Freude über diese Entwicklung nicht lange. Altenpflegerin hatte so gar nichts mit dem Beruf einer Krankenschwester zu tun, und mit der Zeit fiel es mir immer schwerer, meine ursprüngliche Begeisterung für diese Arbeit täglich neu zu entfachen. Ich war in der Altenpflegeabteilung und damit in einem Bereich tätig, in dem die mit Abstand schwierigste Arbeit verrichtet werden musste. Hier wurden Menschen in der Altersgruppe ab 80 Jahren versorgt, die überwiegend bettlägerig und sehr pflegebedürftig waren. Keine leichte Aufgabe für eine 17-Jährige.

Hinzu kam, dass ich in der Berufsschule die jüngste Schülerin war; das Durchschnittsalter der anderen Auszubildenden lag zwischen 35 und 56 Jahren. Zu allem Überfluss verstand ich kein einziges Wort, denn die Klassenlehrerin sprach mit einem mir völlig unverständlichen schwäbischen Akzent. Ich war davon überzeugt gewesen, Deutsch sprechen und verstehen zu können, immerhin hatte ich seit meinem achten Lebensjahr fast ausschließlich Romane in deutscher Sprache gelesen. Ihr Dialekt jedoch erinnerte nur noch entfernt an die Sprache, die ich einst erlernt hatte, weshalb ich ihren Ausführungen schlichtweg nicht folgen konnte. Und so kam es, dass ich eines Tages nicht mehr an mich halten konnte. Weinend lief ich aus dem Klassenraum.

Die Arbeit, die ich nicht mochte, die Sprache, die ich nun doch nicht so gut beherrschte, wie ich gedacht hatte, die Lehrerin und all die medizinischen Begriffe, die ich nicht verstand, die älteren Klassenkameraden, das alles setzte mir ungeheuer zu. Hinzu kam die Einsamkeit in diesem fremden Land. Meine Freunde und Bekannten waren in Rumänien, und obwohl meine Eltern und mein Bruder am anderen Ende der Stadt lebten, sah ich sie sehr selten.

Also besorgte ich mir ein Telefon. Ich war total froh, endlich im Besitz eines eigenen zu sein. In Rumänien konnten wir uns so etwas nicht leisten. Ein Telefon besaßen dort nur Menschen mit guten Beziehungen und viel Geld.

Fortan telefonierte ich mit Bekannten in Rumänien. Nachts – weil es da etwas günstiger war – oft stundenlang. Schnell ließ sich dieses Unterfangen an der Telefonrechnung ablesen. Damals gab es keine billigen Vorwahlnummern oder eine Flatrate wie heute. Im ersten Monat waren es „nur“ 200 DM an Telefongebühren, dann 400, 600 und am Ende sogar mehr als 3.100 DM.

Mit meinem kleinen Verdienst (etwa 500 bis 600 Deutsche Mark pro Monat) war diese Summe niemals aufzubringen. Ich musste das Geld anderweitig beschaffen. So putzte ich nach Feierabend einmal in der Woche bei einer Journalistenfamilie, und weil selbst dieser Zusatzverdienst nicht ausreichte, fing ich zu kellnern an. Letzteres wuchs sich mit der Zeit zu einer lukrativen Einnahme für mich aus. Ich erhielt häufig gutes Trinkgeld.

Ich, das Mädchen aus der Plattenbauwohnung, war zwar im Land meiner Träume angekommen, nicht aber bei der Erfüllung meines Traumes. Ich träumte nicht nur von einer eigenen Wohnung, sondern auch von einem tollen Job, von dem ich allerdings keine Ahnung hatte, wie dieser aussehen sollte. Als Aupair für ein Jahr in die USA zu gehen, hätte mich auch gereizt. Ich bewarb mich und wurde auch gleich angenommen, musste dafür aber sofort den Führerschein machen, den ich leider noch nicht hatte. Dieser wiederum kostete nicht nur viel Geld, sondern bescherte mir einen Fahrlehrer, der mich so gerne als Kundin hatte, dass sich mein Führerschein immer weiter in die Länge zog und mich mehr Geld als geplant kostete. Hinzu kam, dass ich die Theorie auf die leichte Schulter nahm und beim ersten Mal bei der Prüfung durchflog, was das Ganze noch weiter verzögerte.

Als Kellnerin arbeitete ich sehr gut und zur Zufriedenheit aller. Zu den Kunden pflegte ich stets ein gutes Verhältnis. Aufgrund dessen sprach mich eines Tages ein Unternehmer an und fragte mich, ob ich mir einen Job in seinem Büro vorstellen könne. Dort sollte ich mit den Kunden der Firma telefonieren. Ich erklärte ihm, dass ich von Büroarbeit keine Ahnung hätte, doch das hielt ihn nicht davon ab, mich einzustellen. Schnell sammelte ich erste Erfahrungen im Umgang mit Kunden am Telefon. Ich muss gestehen, dass mir die Arbeit im Büro wesentlich mehr Spaß machte als die Arbeit im Altenheim.

Mein Verdienst hielt sich allerdings in Grenzen, sodass ich noch etwas dazuverdienen musste. Also kellnerte ich nebenbei weiter, und auch wenn die Arbeitszeiten mitunter alles andere als freizeitfreundlich waren, hatte ich trotz der Mehrarbeit sogar großen Spaß dabei. Schließlich geht einem vieles bei Weitem leichter von der Hand, wenn man mit Freude dabei ist. Diese Freude ist mitunter so ansteckend, dass man dadurch neue Freunde kennenlernt, was auch bei mir der Fall war.

Über das Kellnern und eine Freundin lernte ich einen Mann, Ömer Bulut, kennen und lieben. Ich zog zu ihm. Einige Zeit später stieg ich kurzerhand in seinen Verlag ein, weil seine Sekretärin Hals über Kopf ihren Dienst quittiert hatte und Ömer mit der Herausgabe seines Magazins in Verzug geriet. Es war der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser, weil ich von der ersten Sekunde an ziemlich auf mich allein gestellt war; die Sekretärin konnte mich ja schließlich nicht mehr einweisen. Aber ich erwies mich rasch als gute Schwimmerin. Mein Chef war zufrieden mit mir. Und ich erst! In den darauffolgenden Jahren konnte ich ihm über die Schulter schauen und lernte, was Selbstständigkeit bedeutet. An dieser Stelle möchte ich von ganzem Herzen mein tiefes Dankeschön an diesen immer noch wunderbaren Freund in meinem Leben ausdrücken. Ömer, du bist für mich ein ganz besonderer Mensch.

Heute weiß ich, dass theoretisches Wissen sehr wichtig ist. Weitaus wichtiger ist jedoch die Praxis. Hier zeigt sich, wer der Meister ist. Da gibt es Situationen, die finden sich in keinem Lehrbuch. Da muss man dann handeln, ohne lange zu überlegen. Das ist für mich das wahre Leben.

Ich, das Mädchen, das davor noch nicht einmal von einem Faxgerät oder Kopierer gehört, geschweige denn diese Geräte gesehen hatte, fing an, damit immer selbstverständlicher umzugehen. Doch ich wollte stets mehr tun. Ich wünschte mir, dass Ömer mir mehr Aufgaben und Verantwortung übertragen würde.

Der Anzeigenverkauf für das Magazin lief nicht sehr gut. Die Anzeigenverkäufer kamen häufig ohne Abschlüsse in die Firma zurück oder sie hatten Anzeigen weit unter Preis verkauft. Das wollte ich ändern. Täglich bettelte ich meinen Chef an, mich doch bitte hin-ausgehen zu lassen, um unsere Kunden direkt vor Ort zu beraten. Ich dachte mir, dass es doch nicht so schwer sein könne, Anzeigen zum normalen Preis zu verkaufen. Ömers Sorge aber war, dass mich die Kunden, weil ich mit meinen rund 19 Jahren – aus seiner Sicht – noch zu jung war, nicht ernst nehmen würden. Eines Tages schließlich, als er mal wieder von seinen Anzeigenverkäufern enttäuscht war, erlaubte er mir, es auch einmal zu versuchen.

Ich war glücklich und aufgeregt zugleich. Weil ich mich in der neuen Umgebung noch nicht so gut auskannte und den Führerschein erst kürzlich geschafft hatte, fuhr er mich am nächsten Tag persönlich bis vor die Tür eines kleinen Autohauses. Bevor ich ausstieg, ermahnte er mich noch, ich solle mir keine allzu großen Hoffnungen machen. Erfahrungsgemäß würden 90 Prozent der potenziellen Kunden nicht kaufen. Ich machte mich auf den Weg. Nach etwa einer Stunde verließ ich das Autohaus – in der Aktentasche einen Vertrag über eine verkaufte Anzeige zu unserem Normalpreis. Ömer freute sich natürlich, meinte aber im selben Atemzug, dass ich hier nur vom sprichwörtlichen Anfängerglück profitiert hätte.

Von wegen Glück! Ich war begeistert und wollte sogleich den nächsten Kunden aufsuchen. Wieder fuhr er mich zu der Adresse, nachdem ich zuvor den Termin vereinbart hatte, und auch hier kehrte ich mit einer verkauften Anzeige zurück. Nach dem dritten erfolgreichen Termin ließ mich mein Chef allein fahren. Zuvor erklärte er mir die Anfahrtswege, für die ich mehr Zeit brauchte als andere, schließlich war ich nicht in Deutschland aufgewachsen. Auf die ersten drei Besuche folgte eine rund zweijährige berufliche Tätigkeit als Anzeigenverkäuferin. Nach Angaben meines Chefs lag meine Abschlussquote bei sagenhaften 100 Prozent. Ömer erzählte das damals jedem und konnte es gar nicht fassen. Immer wieder fragte er mich, wie ich das mache. Für mich waren es „nur“ 95 Prozent, weil ich nicht jeden von unseren Leistungen überzeugen konnte oder weil es bei manchen Kunden etwas länger dauerte, bis ich einen Abschluss erreichte. Doch ich hatte immer die nötige Geduld. So mancher Kunde vertraute mir im Nachhinein an, dass er nur bereit gewesen war, mich zu empfangen, weil ich nie lockerließ und trotzdem stets freundlich blieb.