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Butler Parker
– Staffel 10 –

E-Book 91-100

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-611-0

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Leseprobe:
Der exellente Butler Parker Doppelband Nr. 3

Leseprobe

»Was ist denn das für ein infernalischer Lärm, Mister Parker?« Unwillig sah Lady Agatha von der köstlichen Nougattorte auf, der sie ihre volle Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Neugierig wuchtete sie ihre imponierende Körperfülle ans Wagenfenster und sah hinaus,

Erneut überholte ein Polizeiwagen mit zuckendem Blinklicht und jaulender Sirene Parkers hochbeiniges Monstrum.

»Es dürfte sich um einen größeren Einsatz, möglicherweise einen Banküberfall handeln«, gab der Butler Auskunft. Es war bereits der dritte Streifenwagen, der mit überhöhter Geschwindigkeit vorbeijagte. Und schon nahte der vierte aus einer Seitenstraße.

»Mylady wünschen der Sache auf den Grund zu gehen?« erkundigte er sich. »Selbstverständlich möchte ich das, Mister Parker«, erklärte die ältere Dame. »Zwar wollte ich mich eigentlich in Ruhe der kleinen Nascherei widmen, aber die Pflicht geht vor. Und mein untrüglicher Spürsinn sagt mir, daß wieder ein brisanter Fall auf mich wartet.«

»Mit dieser Möglichkeit sollte man zweifellos rechnen«, pflichtete der Butler ihr bei und nahm die Fährte des davonrasenden Einsatzwagens auf.

Der schwarze, schwerfällig wirkende Kasten, in dem er seine Herrin gerade von einem Konditoreibesuch

nach Hause kutschieren wollte, war viele Jahre als Taxi durch die Straßen der britischen Hauptstadt gerollt, bevor der Butler das Fahrzeug erwarb und für seine Zwecke umbauen ließ.

Neben einem hochmodernen Fahrwerk verfügte das Gefährt über eine Reihe von geheimen Einrichtungen, die der Abwehr von Verfolgern dienten und ihm den Beinamen »Trickkiste auf Rädern« eingetragen hatte. Unter der Haube verbarg sich eine spurtstarke Rennmaschine, der Parker die Sporen gab.

Wenige Minuten später hatte er das Ziel erreicht. Fast ein Dutzend Einsatzfahrzeuge der Polizei standen auf dem Vorplatz einer Bank. Uniformierte Polizisten und Mitarbeiter der Spurensicherung liefen wie aufgescheuchte Hühner durcheinander. Vor den gläsernen Türen des Haupteingangs hatten Bewaffnete in Uniform Posten bezogen.

Soeben rollte ein Krankenwagen vom Gelände der Bank auf die Straße und verschwand mit aufheulendem Motor in Richtung Kliniken. Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum am Fahrbahnrand ausrollen und half Mylady beim Aussteigen.

»Hier wimmelt es ja geradezu von Polizisten«, stellte sie mit gerunzelter Stirn fest. »Ich kann es nicht ertragen, wenn die Schnüffelnasen mir ständig in die Ermittlungen hineinpfuschen.« Dennoch marschierte sie forsch in Richtung des gesperrten Eingangs.

»Die Bank ist geschlossen. Ich muß Sie bitten, morgen wiederzukommen«, erklärte ein Polizist und trat ihr in den Weg.

»Daß die Bank geschlossen ist, sehe ich auch, junger Mann«, gab Lady Agatha mürrisch zurück. Sie dachte nicht daran, sich so einfach abwimmeln zu lassen. »Wer ist der Einsatzleiter?« wollte sie wissen.

»Chief-Superintendent McWarden persönlich«, gab der Beamte bereitwillig Auskunft.

Die Detektivin warf ihrem Butler einen bedeutungsvollen Blick zu. Wenn McWarden die Ermittlungen an sich gezogen hatte, konnte es sich nicht um einen jener Routine-Banküberfälle handeln. Da der Chief-Superintendent regelmäßiger Gast in ihrem Haus war, wußte Mylady natürlich, daß er im Yard ein Sonderdezernat leitete, das sich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens widmete.

»Bitte, teilen Sie Mister McWarden mit, daß Lady Simpson ihn zu sprechen wünscht«, schaltete der Butler sich ein. Doch der Polizist schüttelte den Kopf.

»Völlig ausgeschlossen«, meinte er. »Der Chef ist total im Streß.«

»Ich fürchte, Sie haben noch nicht bemerkt, wen Sie hier vor sich haben«, entgegnete Mylady mit dumpfem Grollen in der Stimme.

»Ich denke doch«, antwortete der Polizist ruhig. »Simpson war Ihr Name, wenn ich mich nicht verhört habe. Stimmt’s?«

»Lady Agatha Simpson genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, klärte Parker ihn auf, bevor seine Herrin aufbrausen konnte. »Und da Mister McWarden zu den Freunden des Hauses zählt, dürfte er ein Gespräch mit Mylady kaum ablehnen, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.«

»Reinlassen kann ich Sie trotzdem nicht«, blieb der Polizist standhaft. »Ich kann höchstens nachfragen lassen, ob der Chief-Superintendent bereit ist, mit Ihnen zu sprechen.« Er schickte seinen Kollegen hinein, und es dauerte keine zwei Minuten, bis McWarden mit hochrotem Kopf zur Stelle war.

»Sie erwischen mich in einem denkbar ungünstigen Moment, Mylady«, erklärte er. Man sah ihm förmlich an, wie er sich Mühe gab, freundlich zu bleiben. Schließlich hatte Butler Parker ihm schon mit manchem guten Tip ausgeholfen. Auch diesmal sah es so aus, als werde er seine Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

»Günstige Momente sind bei Ihnen ja auch nicht gerade häufig«, stichelte Agatha Simpson, doch McWarden war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen.

»Ich muß sofort hinter dem Krankenwagen herfahren«, erklärte er. »Hoffentlich bekommen sie den Direktor in der Klinik schnell wieder hin. Bisher steht der Mann unter Schock und konnte uns nicht mal eine Täterbeschreibung liefern.«

»Das heißt, der Bankräuber ist Ihnen entwischt, und Sie haben keine Ahnung, wer es sein könnte«, frohlockte Lady Agatha.

»So ist es«, bestätigte McWarden mißgelaunt. »Vielleicht haben Sie mehr Glück, wenn Sie sich in den Fall einschalten.«

»Mit Glück hat das nichts zu tun, mein lieber McWarden«, belehrte die Detektivin den Yard-Beamten. »Begabung und Leistung führen zum Erfolg!«

McWarden schluckte auch diese Bemerkung. Er trat sogar noch näher an Agatha Simpson heran, damit die Uniformierten das Gespräch nicht mithören konnten.

»Wenn Sie gestatten, Mylady«, flüsterte er, »werde ich Ihnen morgen früh einen Besuch abstatten. Ich muß mit Ihnen und Mister Parker über diesen Fall reden. Irgend etwas geht da nicht mit rechten Dingen zu.«

Die ältere Dame blickte ihn prüfend an. Offenbar überlegte sie, was der Chief-Superintendent mit diesem Besuch in Wahrheit bezweckte. Suchte er wirklich ihre Hilfe, oder war er wieder nur auf ihren guten Sherry aus?

»Wenn Sie wirklich meinen Rat wünschen«, verkündete sie hoheitsvoll, »bin ich bereit, Sie nach dem Frühstück zu empfangen.« Natürlich gab sich-Mylady nicht die geringste Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. Die Folge war, daß die beiden Uniformierten unter hämischem Grinsen die Ohren spitzten und McWardens Gesicht die Farbe einer Vollreifen Tomate annahm.

Parker in der Klemme

»Da sind Sie ja endlich«, sagte Mike Rander etwas ungeduldig, »wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt, Parker?«

Der junge Anwalt kam aus dem weiträumigen Garten des Landhauses und tippte mahnend auf seine Armbanduhr, um seine Worte zu unterstreichen.

»Ich bitte um Vergebung, Sir«, erwiderte Parker, »mein stets waches Hilfsbedürfnis wurde von einer jungen Dame in Anspruch genommen, die sich als Anhalterin betätigte.«

»Na, wenn schon …« Rander ging zusammen mit Parker auf das hochbeinige Monstrum des Butlers zu, das vor dem Gartentor stand.

»Besagte junge Dame, Sir, die ich übrigens als ausgesprochen reizvoll bezeichnen möchte, entpuppte sich leider sehr bald schon als Diebin«, erläuterte der Butler weiter.

»Ach nee …« Rander blieb überrascht stehen und schmunzelte.

»Sie interessierte sich leidenschaftlich für den bescheidenen Inhalt meiner Brieftasche.«

»Und wann merkten Sie das?«

»Als die beiden Vertreter der Unterwelt später alles daransetzten, mich zu stoppen und zu erschießen!«

»Machen Sie keine Witze, Parker!« Rander runzelte die Stirn. Er witterte Verwicklungen.

»Es handelte sich keineswegs um ein Mißverständnis«, berichtete Parker weiter, »die beiden Herren, die ich gerade erwähnte, vergeudeten mit größter Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Menge Munition, um ihrem Ziel näherzukommen.«

Rander und Parker stiegen in das hochbeinige Monstrum. Der Butler ließ den Motor anspringen und fuhr dann gemessen los.

»Wie war das also mit dem Mädchen und mit den beiden Verfolgern?« wollte Rander wissen und zündete sich eine Zigarette an.

»Die junge Dame – falls es sich um solch eine handelte – stand neben ihrem Wagen auf einem Parkplatz seitlich an der Straße und machte durch Handzeichen unmißverständlich klar, daß sie Hilfe brauchte, Sir.«

»Darauf hielten Sie also an.«

»In der Tat, Sir. Als ich mich nach ihren Wünschen erkundigte, wollte sie mir den streikenden Motor zeigen. Dabei strauchelte sie ein wenig und fiel gegen meine Wenigkeit. Dabei muß sie meine Brieftasche an sich genommen haben.«

»Und Sie haben nichts gemerkt?«

»Ich muß Ihre Frage verneinen, Sir.«

»Nahmen Sie das Mädchen mit?«

»Dies, Sir, bot ich besagter jungen Dame selbstverständlich an, doch sie wollte plötzlich noch einmal den Motor testen, der daraufhin seine von ihm erwartete Arbeit aufnahm. Ein Mitnehmen erübrigte sich deswegen.«

»Wann merkten Sie, daß Ihre Brieftasche weg war, Parker?« Rander amüsierte sich. Es tat ihm irgendwie gut, daß sein sonst so unfehlbarer Butler einmal gründlich hereingelegt worden war.

»Erst während der Schießerei mit den beiden Vertretern der Unterwelt, Sir.«

»Wann fand sie statt?«

»Etwa zwanzig Minuten später, Sir. Da ich nur mit mittlerer Geschwindigkeit fuhr, wurde ich von einem Lincoln eingeholt, der mir wenig später den Weg äußerst gekonnt verlegte. Als ich ausstieg, wurde sofort das Feuer auf meine bescheidene Person eröffnet.

»Und Sie!?« Rander amüsierte sich bereits nicht mehr.

»Ich sah mich gezwungen, Sir, ein wenig in den nahe gelegenen Wald zu laufen.«

»Um dann zurück zum Wagen zu wechseln, wie?«

»In der Tat, Sir! Ich hatte gerade noch Zeit, mir das Innere des Lincoln anzusehen.«

»Und was fanden Sie?«

»Eine Maschinenpistole, Sir, die ich nach Gebrauch in Verwahrung nahm.«

»Wie … Wie soll ich das verstehen?« hüstelte Rander nervös.

»Nun, Sir, sie bot sich als geeignetes Mittel an, die beiden Schützen in das nahegelegene Waldstück zurück zu treiben. Daraufhin war ich in der glücklichen Lage, meine Fahrt fortzusetzen.«

»Das begreife einer, der will«, meinte Rander und schüttelte ratlos den Kopf.

»Ich befürchte, Sir, daß die nächsten Scherereien sich bereits ankündigen«, sagte Parker wenig später, »darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Lincoln richten, der uns zu folgen scheint?«

Rander wandte sich sofort um und sah durch die Rückscheibe hinter sich auf die schnurgerade Straße, die hier durch ein Waldstück verlief.

»Tatsächlich, ein Lincoln!« Rander drückte die Zigarette aus und räusperte sich, »sind Sie sicher, daß das der Lincoln ist?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir.«

»Dann geben Sie Vollgas«, sagte Rander energisch, »wie gesagt, ich will keine Verwicklungen.«

»Darf ich anregen, Sir, sich vielleicht mit beiden Herren einmal etwas ausführlicher zu unterhalten?«

»Geben Sie Vollgas«, wiederholte Rander ungehalten.

»Wie Sie wünschen, Sir!« Parker trat das Gaspedal etwas tiefer hinunter, worauf das hochbeinige Monstrum sich in eine Mittelstreckenrakete zu verwandeln schien, was die Geschwindigkeit anbetraf.

»So ist es ausgezeichnet«, lobte Rander seinen Butler, »der Lincoln bleibt hoffnungslos zurück.«

Parkers Gesicht blieb undurchdringlich. Selbst dann noch, als Rander, der den Lincoln beobachtete, sich plötzlich steil aufrichtete.

»Na, na!« stieß Rander aufgeregt hervor, »wenn das nur gutgeht.«

»Wie meinen Sie, Sir?«

»Du lieber Himmel!« Rander stöhnte förmlich. »Der Lincoln ist von der Straße abgekommen!«

»Die Straßenlage mancher Wagen läßt in der Tat zu wünschen übrig«, stellte der Butler fest und minderte die Geschwindigkeit seines hochbeinigen Monstrums.

»Da … da, sie sitzen im Graben fest«, meldete Rander, der nach wie vor nach hinten sah.

»Ich möchte anregen, Sir, den Bedrängten zu Hilfe zu kommen.« Und ohne Randers Erlaubnis abzuwarten, legte der Butler den Gang ein und ließ seinen Spezialwagen rückwärts schnurren.

Wogegen Rander vor lauter Verblüffung nichts zu sagen hatte!

Der Fahrer des Lincoln rieb sich sein Knie und stieß eine Kette böser Flüche hervor.

Sein Beifahrer massierte sich melancholisch die Stirn und hatte Kopfschmerzen. Beide Männer, die dunkelgraue Einreiher trugen und mittelgroß waren, befanden sich in der Nähe des lädierten Lincoln und merkten erst jetzt, daß das hochbeinige Monstrum zurückkam.

»Die kommen tatsächlich zurück«, sagte Mel wie elektrisiert. Er vergaß sein Knie und fingerte nach seiner Schußwaffe.

»So blöd möcht ich mal sein«, meinte Joe, der Beifahrer. Er kümmerte sich plötzlich nicht weiter um seine schmerzende Stirn, auf der eine leichte Schramme zu sehen war.

»Wir lassen ihn rankommen und ballern dann los«, sagte Mel, »komm’ in Deckung! Wir stellen uns ohnmächtig. Wenn er dann ran ist, geht der Zauber los.«

Sie ließen sich im weichen Gras nieder und warteten auf ihre Mordchance. In dieser Beziehung hatte Josuah Parker sich keineswegs getäuscht. Sie wollten einen gewissen Mann, der wie ein Butler gekleidet war, um jeden Preis umbringen.

Oder ihn zumindest kampfunschädlich machen.

Sie hörten den näher kommenden Wagen und waren sicher, daß sie bald schon ihre Trumpfkarten ausspielen konnten.

Sie hatten die Rechnung ohne den Butler gemacht, wie sich sehr bald schon herausstellen sollte.

»Was ist?« flüsterte Joe seinem Partner Mel zu, der gerade empfindlich zusammenzuckte.

Mel antwortete nicht.

»Hei, Mel!« Joe rüttelte an Mels Schulter, doch der Fahrer des Lincoln reagierte nicht. Er schien tief und fest eingeschlafen zu sein.

Joe beschlich so etwas wie Furcht und Panik zugleich. Was war passiert?

Er nahm vorsichtig seinen Kopf hoch, um einen Blick auf das hochbeinige Monstrum werfen zu können.

Der schwarze Wagen mit den scheußlich eckigen Formen stand knapp vor dem im Graben liegenden Lincoln, aber ausgestiegen war der Fahrer nicht.

Joe nahm vorsichtig seinen Kopf wieder zurück ins Gras und überlegte angestrengt, was er jetzt machen sollte. Er rüttelte und schüttelte vorsichtig seinen Partner Mel, doch der Mann glich in diesem Augenblick einem gefühllosen Mehlsack.

Joe versuchte, sich erst einmal in Sicherheit zu bringen. Er spürte, daß von diesem seltsam eckigen Wagen eine Bedrohung ausging, der er nicht gewachsen war. Joe schlängelte sich also von Mel weg und strebte tiefer in das nahe Buschwerk hinein, um plötzlich aufzukicksen und nach seiner Kehrseite zu greifen. Gleichzeitig durchschoß ihn ein böser Schmerz, der ihn hochfahren ließ. Irgend etwas mußte seine linke Kehrseite empfindlich getroffen haben.

Er fuhr also hoch und fiel dann haltlos zurück ins Gras. Er spürte schon nicht mehr den Schmerz, der von seinem Hinterkopf ausging und der ihn sofort hatte ohnmächtig werden lassen. Joe hörte nicht mehr die gemessenen Schritte eines Mannes, der sich ihm näherte.

»Sagenhaft! Aus der Entfernung!« meinte Anwalt Rander und nickte seinem Butler anerkennend zu. Er meinte die Gabelschleuder in Parkers Hand, die der Butler als Schußwaffe verwendet hatte.

»Ihr Lob, Sir, beschämt meine bescheidene Wenigkeit«, sagte Josuah Parker und klappte die Patentschleuder zusammen, um sie in der Brusttasche seines schwarzen Zweireihers verschwinden zu lassen. Wenn die beiden Gangster wieder zu sich kamen, brauchten sie nicht zu wissen, daß Parker sie mittels der Gabelschleuder und einiger Spezialmurmeln außer Gefecht gesetzt hatte.

Parker kümmerte sich um die beiden ohnmächtigen Männer und tat nichts dagegen, als seine Hände sich in die Brusttaschen der beiden Gangster verirrten. Der Butler studierte den Inhalt zweier Brieftaschen, kontrollierte die Schußwaffen, entlud sie sicherheitshalber und sah zu seinem jungen Herrn hinüber, der gerade vom Lincoln zurückkam.

»Würden Sie mir mal sagen, was das hier ist?« fragte Rander und präsentierte seinem Butler einen eigenartigen Gegenstand. Es handelte sich um Stahlhaken, die so miteinander verschweißt waren, daß zumindest immer zwei geschliffene Spitzen nach oben ragten.

»Dies, Sir«, dozierte der Butler, »ist ein sogenannter Krähenfuß, mit dem sich Autoreifen mit größter Sicherheit durchbohren lassen. Ich darf darauf hinweisen, daß bestimmte Zollbehörden und …«

»Kommen Ihnen diese Dinger nicht bekannt vor?« unterbrach Rander streng.

»In der Tat, Sir, sie könnten aus dem Spezialbehälter meines Wagens stammen.«

»Und Sie können sich natürlich gar nicht daran erinnern, ein paar Krähenfüße ausgestreut zu haben, nicht wahr?«

»Wenn ich nachdenke, Sir, so …«

»Schon gut, Parker«, sagte Rander abwinkend, »Sie haben mich wieder einmal aufs Kreuz gelegt. Sie haben diese Dinger absichtlich ausgestreut, um an die beiden Lincolnfahrer heranzukommen!«

»Ehrlicherweise möchte ich dies nicht abstreiten, Sir.«

»Na, schön.« Rander steckte den Krähenfuß vorsichtig ein, »glauben Sie aber ja nicht, mit diesem Trick hätten Sie mich für einen neuen Fall interessiert. Wir fahren weiter!«

»Wie Sie meinen, Sir. Darf ich vorher noch die übrigen Krähenfüße einsammeln, damit andere Wagen …«

»Aber beeilen Sie sich!«

Josuah Parker ging hinüber zur Straße und fand ohne jede Überraschung noch genau sechs Krähenfüße, die er zurück zu seinem Wagen brachte. Dann wartete er auf seinen jungen Herrn, der aus dem Graben stieg und zurück zum hochbeinigen Monstrum kam.

»Ich möchte mein Fehlverhalten entschuldigen, Sir«, sagte Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, »aber es handelt sich immerhin um zwei Männer, die eindeutig Schußwaffen mit sich führen.«

»Fahren wir!« sagte Rander knapp, »vergessen wir, was wir gesehen haben. Ich weigere mich, in diese Sache einzusteigen. Ich will meine Ruhe haben und von Gangstern nichts mehr wissen. Ich bin schließlich Anwalt und kein Privatdetektiv!«

»Ihr tauben Nüsse«, sagt Gary Hondal aufgebracht zu Mel und Joe, die ihm ihre Geschichte erzählt hatten, »und so was muß Profis passieren! Nicht zu glauben!«

»Dieser komische Bursche ist mit allen Wassern gewaschen«, entschuldigte sich Mel und rieb sein schmerzendes Knie.

»Der Kerl hat uns ausgetrickst«, fügte Joe hinzu und rieb sich seine Stirn, die nicht weniger schmerzte, »plötzlich hatte er uns außer Gefecht gesetzt. Ohne Schußwaffe. Es war überhaupt nichts zu hören.«

»Ihr Kamele«, sagte Gary Hondal, »zuerst laßt ihr den Boß abschießen, und dann schafft ihr es noch nicht mal, seinen Mörder zu erwischen. Wie ist das alles gekommen?«

»Wir aßen ’nen Happen im Drive-in, und dann ging der Boß rüber zu den Toiletten«, berichtete Mel, »Joe und ich gingen ihm nach, als er zu lange wegblieb. Als wir die Tür aufbrachen, war Steven bereits tot. Erschossen aus nächster Nähe!«

»Und das hier fanden wir vor seinen Füßen«, sagte Joe und präsentierte Gary Hondal eine Lederbrieftasche, die ziemlich abgewetzt aussah.

»Der Mörder muß sie verloren haben«, berichtete Mel hastig weiter. »Sie gehört einem gewissen Josuah Parker, ’ne ulkige Nudel, wenigstens auf dem Foto hier.«

Er klappte die Brieftasche auf und zog einen britischen Paß hervor.

»Josuah Parker«, las Gary Hondal, »britischer Staatsbürger, stammt aus London. Moment mal, hier ist ja seine Adresse, Chikago, Lincoln-Park Avenue.«

»Komisch sieht er zwar aus, er ist’s aber nicht«, berichtete Joe weiter, »der Bursche muß Profi sein!«

»Wieso habt ihr ihn so schnell gefunden?« wollte Gary Hondal wissen.

»Wir haben uns sofort abgesetzt, als Steven tot war«, erklärte Mel, »von wegen Polizei und so. Ihm war ja doch nicht mehr zu helfen.«

»Wann habt ihr den Kerl entdeckt?« fragte Hondal noch einmal. Er war nur mittelgroß schlank bis mager und wirkte immer ein wenig hektisch und nervös.

»’ne Viertelstunde später oder so«, sagte Joe, »wir fuhren zurück in die Stadt und sahen plötzlich vor uns diesen komischen Schlitten. Das Foto davon is’ in der Brieftasche. Da!«

Er griff nach dem Inhalt der Brieftasche, den Gary Hondal auf dem Tisch ausgebreitet hatte, und präsentierte ein bestimmtes Foto.

Auf diesem Bild war tatsächlich das hochbeinige Monstrum des Butlers zu sehen. Davor stand Parker, der sich mit einem Tuch abmühte, Glanz auf den schwarzen Lack zu bringen.

»Wir wußten sofort, wen wir vor uns hatten«, sagte Mel hastig, »Joe und ich machten uns an ihn ran, aber dann passierte uns diese blöde Panne.«

Gary Hondal scharrte den Inhalt zusammen und gab ihn zurück in die abgewetzte, schwarze Lederbrieftasche. Dabei überlegte er blitzschnell, was jetzt zu tun war.

Klar war, daß er die Fäden nicht mehr aus der Hand geben durfte. Das Schicksal hatte ihm hier eine einmalige Chance zugespielt. Wenn er jetzt etwas aufpaßte und auf Draht war, konnte er das Geschäft an sich reißen. Ein tolles Geschäft übrigens!

»Ihr habt ja die Adresse«, sagte er kühl und gelassen, »kümmert euch um ihn! Aber ich will ihn so haben, daß er noch was sagen kann. Ich will wissen, für wen er Steven Gateway umgebracht hat. Los, zeigt mir, daß eure Pechsträhne abgerissen ist!«

»Ich habe mir erlaubt, Sir, einen kleinen, bescheidenen Imbiß vorzubereiten«, sagte Josuah Parker und schob das Silbertablett vor.

»Sehr gut«, schnaufte Sergeant McLean von der Mordabteilung der Stadtpolizei und vergaß prompt seine Umgebung. McLean war gut und gern 1,85 m groß, stark wie ein Bär und sah aus wie ein gutmütiger Riese.

»McLean!« sagte Lieutenant Madford mit scharfer, mahnender Stimme, »Sie sind nicht hier, um einen kleinen Imbiß zu vertilgen, sondern um sich Notizen zu machen.«

»Okay«, erwiderte McLean, »die vergeß’ ich schon nicht!« Er langte zu, legte sich zwei Sandwiches zurecht, biß herzhaft zu und aß mit mahlenden Kiefern.

»So was Verfressenes.« Madford schüttelte den Kopf. »Ich frage mich immer wieder, warum ich solch ein Ungeheuer als Assistenten beschäftige.«

»Sie sind sicher, daß der Tote Steven Gateway ist?« fragte Rander, der kaum hingehört hatte.

»Vollkommen sicher, Rander«, erwiderte Lieutenant Madford, der klein, drahtig und cholerisch wie ein Terrier war. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen.«

»Dann weiß ich ja, was uns noch blühen wird.« Rander seufzte.

»In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken«, meinte Madford, »nach der Geschichte, die Parker erzählt hat, hält man Sie und ihn für Gateways Mörder!«

»Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, Sir«, schaltete der Butler sich ein, »aber ich möchte einräumen und zugeben, daß der Name Gateway mir nicht allzuviel sagt.«

»Aber mir, Parker!« Lieutenant Madford verdrehte die Augen. »Gateway hatte hier in der Stadt so ganz unter der Hand und sehr unauffällig eine Organisation aufgebaut. Er kontrollierte die Fernspeditionen!«

»Wie das?«

»Sehr einfach. Immer die alte Masche, aber sehr wirkungsvoll. Gegen spezielle Zahlungen sorgten er und seine Leute dafür, daß Überlandlastwagen ungeschoren aus der Stadt kamen und auch mit Ladung am Zielort aufkreuzten. Einzelheiten brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu erklären.«

»Also Erpressungen im großen Stil, ja?«

»Richtig, Rander, Und das alles unter dem Deckmantel einer Autoölfirma.«

»Demnach dürfte er also sehr viele Feinde gehabt haben, oder?«

»Selbstverständlich. Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Theoretisch könnte Gateway von einem der erpreßten Speditionsunternehmer erschossen worden sein. Woran ich aber nicht glaube. Da ist immerhin dieses Mädchen, das Ihrem Butler die Brieftasche stahl. Und da ist die Brieftasche, die wohl wahrscheinlich von den beiden Männern gefunden wurde, die hinter Ihnen und Parker her waren.«

»Sie glauben, daß die gestohlene Brieftasche diese Jagd ausgelöst hat?«

»Selbstverständlich. Schade, daß Sie nicht nach ihr im Lincoln gesucht haben! Und verdammt schade, daß Sie die beiden Strolche nicht der Polizei übergaben!«

»Danke für die Blumen«, meinte Rander etwas ärgerlich, »das ist, um ein anderes Sprichwort zu gebrauchen, Wasser auf Parkers Mühlen!«

»Ich möchte betonen und einwerfen, Sir, daß ich mich jeder Bemerkung enthielt«, sagte Parker, der McLean zusah, wie er eine Schnitte nach der anderen vertilgte. Übrigens mühelos.

»Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist verdammt mühevoll«, beschwerte sich Lieutenant Madford weiter, »einmal sind Sie verschwiegen wie ’ne tote Auster und rücken nicht mit der kleinsten Andeutung heraus, dann wieder wollen Sie sich aus allem heraushalten und lassen die wichtigsten Kronzeugen laufen.«

»Sonst noch etwas?« fragte Rander gereizt.

»Ihnen wird es reichen«, meinte Madford und grinste, »die Gateway-Leute werden Ihnen die Hölle heißmachen, verlassen Sie sich darauf! Wie gesagt, für diese Gangster sind Sie und Parker die Mörder ihres Bosses.«

»Wobei die Frage ungeklärt bleibt, wer dieses Mädchen ist und für wen es Parkers Brieftasche stahl!«

»Glauben Sie denn wirklich, an dieses Mädchen noch mal heranzukommen?« sagte Lieutenant Madford spöttisch, »die hat sich längst abgesetzt, nachdem sie die Brieftasche abgeliefert hat. Für mich ist die Sache klar. Sie sollte die Brieftasche irgendeines Trottels stehlen, damit Gateways Männer später abgelenkt würden. Abgelenkt von den wirklichen Tätern!«

»Hatte Gateway Konkurrenten?« erkundigte sich Rander mit plötzlich erwachendem Interesse, wie Parker mit Freude feststellte.

»Natürlich, aber was besagt das schon? Wie wollen Sie denen was nachweisen? Das könnte nur dieses Mädchen, aber ich wette, daß die längst über alle Berge ist. Wenn sie überhaupt nicht schon umgebracht wurde!«

»Also schön, Parker, sehen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an«, sagte Mike Rander eine halbe Stunde später, nachdem Madford und McLean gegangen waren, »ich habe mir da einige Schnitzer geleistet und hätte nicht stur spielen sollen. Aber es ist nun mal passiert. Machen wir das Beste daraus!«

»Sehr wohl, Sir!«

»Und das bedeutet für uns, so schnell wie möglich abzureisen«, redete Mike Rander weiter, »ich habe keine Lust, mich von diesen Gangstern hetzen zu lassen.«

»Nach einem relativ oft zitierten Sprichwort, Sir, soll der Angriff die beste Verteidigung sein. Wobei ich über den Wert oder Unwert dieser Behauptung kein abschließendes Urteil fällen möchte.«

»Angriff? Wie stellen Sie sich den vor? Sollen wir zu Gateways Nachfolger gehen und uns brüderlich mit ihm aussprechen? Dann können wir gleich Selbstmord begehen, das ist dann schmerzloser!«

»Vielleicht sollte man der Gateway-Bande den wirklichen Mörder präsentieren, Sir!«

»Und wie stellen Sie sich das vor?«

»Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, Sir, aber man müßte vielleicht nach jener jungen Dame suchen, die so frei war, meine Brieftasche zu entwenden.«

»Suchen Sie die Stecknadel im Heuhaufen, das klappt schneller.«

»Vielleicht könnte ich mit einer vagen Andeutung dienen, Sir.«

»Ach nee.« Rander sah seinen Butler überrascht an, »soll das heißen, daß Sie Madford nicht alles gesagt haben?«

»Möglicherweise stand meine bescheidene Wenigkeit noch unter dem Schock der Ereignisse, Sir, inzwischen dürfte sich mein Gedächtnis aber wieder voll regeneriert haben.«

»Wo finden wir die Taschendiebin und wie heißt sie?«

»Dies, Sir, ist mir im Augenblick noch nicht bekannt, hingegen erinnere ich mich allerdings, wie das Kennzeichen ihres Wagens lautet.«

»Sie glauben doch nicht, daß sie ihren eigenen Wägen benutzt hat, Parker. So naiv wäre ja noch nicht mal ein blutiger Anfänger.«

»Man wird möglicherweise sehen, Sir.« Parker wollte weitersprechen, doch ein kleines Lichtsignal, das im Studio Mike Randers aufflammte, ließ ihn schweigen.

Dieses Lichtsignal bestand darin, daß ein zweiarmiger Wandleuchter über der breiten, schweren Ledercouch kurz aufflackerte, obwohl er noch nicht regulär eingeschaltet worden war.

Dies war das Zeichen dafür, daß ein Benutzer des Schnellifts über einen bestimmten Punkt hinaus nach oben gekommen war und sich jetzt dem letzten Ausstieg näherte.

»Sie bekommen Besuch, Sir«, sagte Parker.

»Das Mädchen, nach dem wir suchen«, spöttelte Rander. Parker antwortete nicht, er deutete eine knappe Verbeugung an und verließ das Studio seines jungen Herrn, das sich in der geräumigen Dachgartenwohnung befand.

Parker ging hinüber in die große Eingangsdiele, öffnete einen Wandschrank und schaltete das private Fernsehgerät ein, das mit einer Aufnahmekamera gekoppelt war.

Das Bild war sofort da und zeigte den oberen, quadratischen Korridor, von dem aus eine enge Treppe hinauf zum Dachgarten führte. In diesem Korridor endete der Lift, dessen Tür sich jetzt öffnete.

Parkers Gesicht blieb unbewegt, als die Person den Lift verließ, sich suchend umschaute und dann hinüber zur Treppe ging. Diese Treppe endete vor einer Tür, die zwar harmlos und regulär aussah, aber nichts anderes war als eine schwere Tresortür. Erst hinter ihr lag der eigentliche Dachgarten mit dem komfortablen Penthouse, in dem Rander und Parker in Chikago wohnten.

Parker nahm also die Person zur Kenntnis, die einen Besuch abstatten wollte. Dann schaltete er das Wechselsprechgerät ein, das ebenfalls im Wandschrank installiert war und von dem aus man alle Räume erreichen konnte.

»Besuch, Sir«, meldete Parker, »es handelt sich nun jene junge Dame, die sich für meine an sich wertlose Brieftasche interessierte!«

»Mensch, Joe, die Sache ist doch einfach«, sagte Mel optimistisch, »wir fahren rauf zu dieser Dachgartenwohnung, klingeln und warten, bis die Träne aufmacht. Dann wedeln wir mit unseren Kanonen und laden ihn zu ’ner kleinen Spazierfahrt ein.«

»Weißt du eigentlich, wer dieser Parker ist?« fragte Joe.

»Dieser gerissene Bursche, der uns aufs Kreuz gelegt hat, klar!«

»Eben. Und dieser gerissene Bursche ist hoch viel mehr. Ich hab’ mich erkundigt. Der soll ganz oben auf der Abschußliste des Syndikats stehen!«

»Moment mal, Joe. Dann gibt’s doch ’ne Prämie für seinen Abschuß, oder?«

»Möglich, aber im Moment nicht interessant, Mel. Wir werden uns die Finger verbrennen, wenn wir nicht aufpassen.«

»Die verbrennt er sich. Los, komm endlich!«

Mel und Joe stiegen aus ihrem Wagen und gingen zum nahen Bürohochhaus hinüber, auf dessen Dach sich das Penthouse befand. Einen Privateingang gab es nicht. Sie mußten durch die große Halle, orientierten sich an den Hinweisschildern und bestiegen den Expreßlift, der sie nach oben bringen sollte.

Schon in dem Augenblick, als sie den Knopf für das zwanzigste Stockwerk drückten, kündigten sie ihren Besuch automatisch an. Doch das ahnten sie nicht, sonst wären sie möglicherweise unterwegs aus- und umgestiegen, um so schnell wie möglich wieder zurück zu ihrem Wagen zu kommen.

»Was sagst du zu Hondal?« fragte Mel, während sie nach oben fuhren.

»Ist er jetzt nicht der neue Boß?« meinte Joe arglos.

»Möglich, falls er sich durchsetzt. Da ist immer noch Stonewell.«

»An wen sollen wir uns halten? Was meinst du?«

»An den, der am besten zahlt«, sagte Mel lächelnd, »oder hast du Lust, die Gang zu führen?«

»Ich bin doch nicht verrückt«, sagte Joe, »auf dem Stuhl sitzt man nicht lange.«

»Sag’ mal, Joe«, fuhr Mel plötzlich hoch, »merkst du nichts?«

»Was denn?« Joe zuckte die Achseln.

»Der Lift fährt doch nach unten.«

»Du bist verrückt!« Joes Lächeln wurde etwas unsicher.

»Wir rauschen nach unten!« wiederholte Mel hartnäckig. Seine Stimme wurde lauter, »spürst du das nicht?«

»Unsinn!« Joe wurde unsicher, »wie denn! Hier, sieh’ doch! Das Leuchtsignal steht auf Nummer zwanzig. Und das ist ganz hoch oben, letzte Station.«

»Trotzdem.« Mel studierte die Leuchtsignale und schüttelte den Kopf, »komischer Lift. Zeigt überhaupt nicht an, welches Stockwerk wir passieren.«

»Vielleicht was kaputt?«

»Möglich. Aber komisch is es doch. Ich stopp’ das Ding mal.«

Er drückte einen der zwanzig Knöpfe, wartete auf eine Reaktion, sah seinen Partner Joe unsicher an und begann dann, die Stockwerkknöpfe von oben ab nach unten zu tasten.

»Irgendwo müssen wir ja sein«, sagte er dazu, »irgendwo muß das verfluchte Ding ja stehenbleiben.«

»Nichts!« registrierte Joe, »warte, ich versuch’ mal, die Tür zu öffnen. Vielleicht sind wir schon oben!«

Er bewegte den Griff der Tür, doch der rührte sich nicht und fühlte sich an wie festgeschweißt.

»Klarer Fall, daß wir noch fahren«, stellte Mel fest, »aber nach unten. Ich spür’ das im Magen.«

»Unsinn, wir sind da«, meinte Joe in diesem Augenblick erleichtert, »der Lift hat doch gerade aufgesetzt.«

»Sie läßt sich öffnen«, stellte Mel erleichtert fest. Er konnte den Türverschluß bewegen. Die Falttür öffnete sich geräuschlos und normal. Die beiden Männer traten hinaus.

»Komische Geschichte.« Mels Unruhe wuchs, als er in einen kleinen, schmalen Korridor hineinsah, der weiß gekachelt war. Am Ende des Korridors war eine Tür zu sehen.

»Nun komm schon«, sagte Joe ungeduldig, »du hörst die Flöhe husten, Mel.«

»Nach ’nem Dachgarten sieht das aber gar nicht aus.«

»Du machst mich verrückt mit deiner Unkerei.« Joe ging voraus zur Tür, Mel folgte zögernd und griff nach seiner Schußwaffe, die im Schulterhalfter stak.

Dann schrak er plötzlich zusammen, federte unheimlich schnell um seine Längsachse herum, zog gleichzeitig seine Waffe und duckte sich breitbeinig ab, bereit, sofort einen gezielten Schuß anzubringen.

Der Lift war nicht mehr zu sehen. Dort, wo sich gerade noch die Ausgangstür befunden hatte, war jetzt nur noch eine weiße Wand zu sehen.

Mel lief auf diese Wand zurück, untersuchte sie und hämmerte dann mit dem Schaft der Schußwaffe gegen diese Wand.

»Stahl!« stellte er fest, »und verdammt dick!«

»Hier auch!« rief Joe von der Tür, die sich in der Stirnwand des Korridors befand, »Stahl … Dick wie ein Panzerschrank! Weißt du, was das zu bedeuten hat!?«

»Gedulden Sie sich bitte noch einen Augenblick«, erklang in diesem Moment Parkers Stimme. Sie schien von allen Seiten zu kommen. »Ich werde mich so schnell wie möglich Ihnen widmen. Würden Sie inzwischen die Freundlichkeit haben und Ihre Schußwaffen abgeben? Ich möchte vermeiden, daß es zwischen Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit zu gewissen Mißverständnissen kommt!«

Mel und Joe hielten längst ihre Schußwaffen in den Händen und suchten die glatten Türen und Kachelwände ab. Sie zuckten zusammen, als ein kleines Quadrat, bestehend aus vier Kacheln, sich öffnete und eine Art Durchreiche freigab.

Dazu war Parkers höflich gemessene Stimme zu hören.

»Sie können Ihre Waffen im Wandfach deponieren. Sie werden sie später zurückerhalten.«

Mel blickte Joe an und schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, nicht!« flüsterte er dann Joe zu, »das is’ nur’n Trick.«

»Aber keineswegs«, war Parkers höfliche Stimme zu vernehmen, »da ich aber Ihre Besorgnis verstehen kann, werden Sie mir erlauben, einige andere Vorsorgemaßnahmen zu treffen.«

Seine Stimme ging mit dem letzten Wort in einem feinen, aber irgendwie bedrohlich aufdringlichen Zischen unter.

Sie trug einen leicht ausgestellten, sehr kurzen Chanel-Mantel, der genau zu dem reizenden Kostüm paßte. Sie sah darin bezaubernd und hilflos aus. Ihr schwarzes Haar war straff zurückgekämmt und zu einem Knoten zusammengebunden, den eine Schleife zierte. In der linken Armbeuge trug sie eine braune Handtasche aus Krokoleder.

»Ich heiße Jill Mancini«, stellte sie sich vor, nachdem sie von Parker in Randers Studio gebracht worden war. »Der Name wird Ihnen nichts sagen.«

»Noch nicht«, erwiderte Rander und deutete auf den Besuchersessel vor seinem Arbeitstisch. »Was kann ich für Sie tun, Miß Mancini?«

»Das ist eine komplizierte Geschichte«, begann Jill Mancini etwas ratlos und legte die langen, schlanken Beine übereinander, was ihr ungemein gut stand. Sie wandte sich zu Parker um, der schräg hinter ihr stand. »Sie kennen mich ja und Sie wissen auch, daß ich Ihre Brieftasche gestohlen habe.«

»Hoffentlich konnte ich Ihnen dienlich und behilflich sein«, erwiderte der Butler höflich.

»Ich habe sie leider nicht mehr«, redete Jill Mancini weiter.

»Wir wissen es«, sagte Rander etwas ironisch, »sie wurde vor den Füßen des ermordeten Gangsterbosses Steven Gateway gefunden. Aber das wissen Sie ja wohl. Ich frage mich nur, weswegen Sie gekommen sind! Mit Ihrem Besuch hätte ich nun wirklich nicht gerechnet!«

»Ich brauche Ihre Hilfe«, antwortete Jill Mancini, »ich glaube, daß man mich umbringen will’«

Ihre dunklen Augen nahmen einen hilflosen Ausdruck an, und Rander spürte sofort Sympathie für dieses reizende Geschöpf.

»Sollten Sie meinem Butler und mir nicht alles der Reihe nach erzählen?« fragte er. Er hatte sich bereits ein erstes Urteil gebildet. Sie mochte einen Diebstahl begangen haben, gut, aber sie war auf keinen Fall ein raffiniertes, billiges Flittchen, das ihm etwas Vorspielen wollte.

»Kann ich einen Drink haben?« bat sie, »vor lauter Aufregung bin ich ganz trocken im Mund.«

»Parker. Einen Drink für unseren Gast!« Rander sah an Jill vorbei und nickte seinem Butler zu.

»Wissen Sie, eigentlich bin ich durch meine Dummheit in diese Geschichte hineingeschlittert«, sagte sie und sah Parker nach, der das Studio verließ, »darf ich mir eine Zigarette anzünden?«

Sie wartete die Erlaubnis selbstverständlich nicht ab und öffnete ihre gewiß nicht billige Handtasche.

Und schrie wütend auf, als ihre Hand nicht in der Lage war, aus der Tasche herauszukommen, da Parkers Finger die Bügel freundlich, aber nachhaltig zusammenpreßten.

»Aber Parker, was soll denn das?« Rander schüttelte mißbilligend den Kopf. »Entschuldigen Sie, Miß Mancini, aber mein Butler dürfte seine übliche Vorsicht diesmal etwas übertrieben haben.«

Parker blieb neben Jill stehen und sah nun zu, daß sie aus der Handtasche tatsächlich nur eine Zigarettenpackung und ein kleines Feuerzeug holte. Dabei rieb sie sich den Rücken ihrer linken Hand, der wohl etwas überstark mißhandelt worden war.

»Ich bitte sehr um Entschuldigung und bin das, was man im Volksmund untröstlich nennt«, sagte der Butler und verbeugte sich tiefer als normal vor der jungen, sehr attraktiven Frau, »ich darf Ihnen versichern, daß dies nicht wieder Vorkommen wird. Ich hole jetzt den Drink, Madam!«

»Hat er etwa geglaubt, daß ich einen Überfall geplant habe?« fragte sie belustigt und sah dem Butler erneut nach. Dabei stand Sie auf und stellte sich so in Position, daß sie die Tür zum Studio genau überblicken konnte.

»Parker ist eben ein mißtrauischer Mensch«, entschuldigte Rander seinen Butler noch einmal.

»Was auch richtig ist«, sagte Jill und richtete die Zigarettenpackung plötzlich auf den jungen Anwalt, »keine falsche Bewegung, Mister Rander, sonst drücke ich ab!«

»Was … was soll denn das?« Rander wiederholte sich, was sein Erstaunen anbetraf, diesmal aber in einem anderen Zusammenhang.

»Das hier ist eine Schußwaffe!« sagte sie und hob die Zigarettenpackung etwas an. »Mitglieder gewisser Geheimdienste arbeiten damit.«

»Sind Sie …!« Rander wurde trocken im Mund. Das Mini-Mädchen sah plötzlich gar nicht mehr sonderlich unschuldig aus.

»Rufen Sie Ihren Butler!« kommandierte sie ungeduldig.

»Sie wollen doch … ich meine …

»Rufen Sie schon!« Sie sah zur Tür hinüber, durch die der Butler gegangen war. Rander fühlte, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. Er verfluchte seine Naivität. Er wußte jetzt, daß es um Leben oder Tod ging.

»Er kommt bereits«, sagte Rander und verspürte eine lähmende Hilflosigkeit.

Jill Mancini lächelte kalt und trat etwas zur Seite. Sie wartete auf die Ankunft des Butlers, die nicht lange auf sich warten ließ.

»Der Drink, Sir!« meldete er, während er das Studio betrat. Er blickte seinen jungen Herrn an, dann sah er hinüber zu Jill Mancini und richtete sein Augenmerk auf die Zigarettenschachtel.

»Eine Schußwaffe, nicht wahr?« erkundigte er sich höflich.

»Erraten!« Sie lächelte mokant, »und sehr wirkungsvoll, wie Sie gleich feststellen werden!«

»Darf ich fragen, warum Sie meine bescheidene Wenigkeit umbringen wollen, Madam!«

»Weil Sie mich kennen! Und dagegen habe ich etwas!«

»Weil Sie mit den Mördern Mister Gateways Zusammenarbeiten!«

»In etwa!« sagte sie kühl, »aber das alles wird Sie bald nicht mehr interessieren.«

»Fürchten – äh – fürchten Sie, Parker oder ich könnte Sie bei der Polizei anzeigen?« brachte Rander sich ins Gespräch, um Parker eine Angriffschance zu geben.

»Ich fürchte Ihre Hartnäckigkeit«, erwiderte sie, ohne Parker aus den Augen zu lassen, »inzwischen weiß ich nämlich, wer Sie sind. Und ein unnötiges Risiko gehe ich niemals ein!«

»Sie scheinen sich in gewissen Branchen äußerst gut auszukennen, Madam.«

»Ich bin auf jeden Fall keine Anfängerin mehr«, erwiderte sie lächelnd, um dann abzudrücken.

Der Schuß klang noch nicht einmal besonders laut. Parker zuckte zusammen, blieb aber stehen.

Sie schoß erneut, ohne den Butler aber zu beeindrucken. Darüber vergaß sie Rander, der ohne Rücksicht auf Verluste um den Schreibtisch herumlief, um sich auf Jill Mancini zu stürzen.

Ein dritter Schuß.

Parker lächelte und ging langsam auf Jill zu, die zurückwich, irgendwelche sinnlosen Worte stammelte und die Augen weit aufriß.

Sie merkte kaum, daß Rander ihr die Zigarettenpackung aus der Hand schlug. Sie starrte den Butler an, der jetzt das Tablett mit dem Drink absetzte.

Es waren die scheußlichen Kopfschmerzen, die Mel aufwachen ließen.

Er fuhr sich stöhnend über die Stirn, hüstelte und wollte sich aufrichten. Er zuckte zurück, als sein Kopf an einen Gegenstand stieß.

Nun war er augenblicklich hellwach.