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Für meinen Wikinger.
Danke für Berlin und all den Rückenwind.
Ohne Dich gäbe es weniger Gründe für
echte Begeisterung – und schon gar kein Buch …

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.

Lektorat: Beatrix Binder
Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel

auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-7025-0939-2
eISBN 978-3-7025-8055-1

www.pustet.at

Micky Kaltenstein

BEGEISTERUNG

9 Porträts

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Inhalt

Vorwort

Georg Clementi

Laura Dekker

Gerold Tusch

Elisabeth Fuchs

Gabriele Gmeiner

Ralph Caspers

Barbara Bonney

Hildegard Meumann

Gerald Hüther

Nachwort

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WARUM DIESES BUCH …?

Begeisterung ist ein wilder Motor. Er springt an, ohne über Ressourcen nachzudenken. Liefert Ideen und wischt Bedenken vom Tisch. Manche Menschen scheinen eine Art Perpetuum mobile in sich zu tragen – gespeist aus der Begeisterung für ihr Projekt.

Beginnen sie über das zu sprechen, was sie fasziniert, leuchten sie von innen. Wie weggeblasen sind körperliche Schwächen, Erinnerungslücken oder die mühsame Suche nach dem passenden Begriff. Die Worte sprudeln aus den Menschen, ob jung oder alt. Oft tanzen die Hände beim Erzählen und eben noch müde Augen funkeln. Der ganze Mensch vibriert …

Solche Momente sind deutliche Indikatoren für den besonderen Zauber jener Menschen, die ihr Ding gefunden haben. Ihre Aufgabe, ihre Begabung. Den Grund für ihr Sein. Diese Augenblicke können anstecken und inspirieren. Sie zeigen, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Es genügt eine Entdeckung: das, was einen zutiefst begeistert.

DIE KRAFT DER BEGEISTERUNG

Kinder glühen noch häufig vor Begeisterung. Für sie reicht ein schillernder Käfer, um die Welt toll zu finden. Doch irgendwann kommt den Menschen dieser energiegeladene Zustand abhanden. Sie werden erwachsen und vernünftig. Planen Karriereschritte, begrenzen sich selbst und verengen ihr Blickfeld.

Sie begnügen sich mit dem Alltäglichen, werden matt und grau. Traurig und trüb. Darum dieses Buch. Als Erinnerung daran, wie man sich auch fühlen, wie man auch leben kann. Der hundertste Schmetterling bewegt den Menschen oft nicht mehr, aber das eigene Tun kann ihn immer wieder in Begeisterung versetzen. Schmerzen verschwinden, Jammern wird überflüssig, Skrupel schmelzen. Der Mensch macht einfach – und sorgt sich nicht länger. Das Gesicht strahlt. Die Zeit bleibt stehen. Das Glück vervielfacht sich, es gedeiht im schöpferischen Moment. Zufrieden mit dem, was ist. Begeistert über das, was entsteht.

Sie ist ein Lebenselixier, die Begeisterung. Ein Verjüngungsmittel, ein kostenloses Wangenrot. Noch viel zu selten wurde diesem Tausendsassa der rote Teppich ausgerollt. Aber jetzt: ein Hoch auf die Begeisterung!

EINE ART TALKSHOW ZUM LESEN

Begeisterung wirkt magisch. In diesem Buch erzählen neun Menschen aus völlig verschiedenen Bereichen von dem, was sie voller Begeisterung tun: Musik machen oder die Welt umsegeln, Maßschuhe fertigen oder Theaterstücke inszenieren; wissenschaftliche Erkenntnisse erklären oder keramische Kunstwerke schaffen. Zur Sprache kommen auch das Scheitern und das Überwinden von Hürden.

Die Porträtierten wurden bei ihrer Arbeit besucht oder im Café getroffen. Es wurden viele Löcher in Bäuche gefragt und es wurde sehr genau zugehört: Woher kommt Ralph Caspers’ Neugier auf die Welt, was brachte Laura Dekker dazu, mit nur 14 Jahren alleine im Segelboot die Welt zu umrunden? Welcher Moment hat der Dirigentin Elisabeth Fuchs gezeigt, wo ihr Platz in der Musik ist, und was denkt der Hirnforscher Gerald Hüther über die Begeisterung?

NEUN WEGE ABSEITS DES MAINSTREAMS

Auf den folgenden Seiten erleben Sie völlig unterschiedliche Persönlichkeiten – was sie verbindet, ist der Mut zum eigenen Weg. Es sind Menschen, die es riskieren, in keine Schublade zu passen und die nicht nach Geld oder Ruhm schielen. Die einen Pfad beschritten haben, den es zuvor vielleicht noch gar nicht gegeben hat. Die aller Vernunft zum Trotz ihrer Idee gefolgt sind …

Sie alle erzählen in der Ich-Form von ihrem Werdegang, dem aktuellen Sein und Tun. Die jeweilige Sprache ist bewusst möglichst authentisch belassen, damit Sie die vorgestellte Person beinah hören können – ohne Bewertung durch Zitate oder sonstige Filter. Es ist eine Art Talkshow zum Lesen.

Und jetzt:

Vorhang auf für die Begeisterung und ihre Facetten!

Micky
Kaltenstein

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GEORG CLEMENTI

Ich verschenk’ mich ans Publikum

Sein erstes Lied war eine Notlösung, sorgte aber für Tränen der Rührung – ab da war vieles klar. Georg Clementi ist Schauspieler, Regisseur und Chansonnier. Er macht seinem Publikum gerne Geschenke und beinahe nur das, was ihm Spaß bereitet.

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Ich frage mich ständig, was ich gerne hätte. Wodurch ich mich beschenkt fühlen würde, wenn es jemand auf der Bühne täte. Und das versuche ich zu machen, wenn ich spiele, inszeniere oder singe – nichts anderes. Täte ich das nicht, müsste ich wahrscheinlich joggen gehen, um meine Kraft loszuwerden. Aber diese Kraft ist einfach da, ich muss dafür nichts machen und darf sie verschleudern.

Auftanken geschieht bei mir im Tun. Ich mache nie lange dasselbe – würde ich zwei Jahre hindurch dasselbe Stück spielen, kann ich mir gut vorstellen, dass ich Abstand bräuchte, aber so … Erst spiele ich ein Stück, dann inszeniere ich, dann schreibe ich ein Lied, dann probe ich mit der Band, dann mache ich ein Projekt, dann helfe ich jemandem bei irgendetwas … ich brauche diese Vielfalt.

Ich mache ganz, ganz wenig oder fast nichts von dem, was ich nicht mag. Ich liebe es, einen Song zu schreiben. Ich liebe es, auf die Bühne zu gehen und eine Rolle zu spielen. Ich liebe es zu inszenieren. Dabei bin ich ungeduldig, immer, es ist eine ständige Herausforderung.

WEITBLICK DURCH VIELFALT

Mir bringt es so viel, Musiker zu sein, wenn ich Schauspieler bin. Es bringt mir wahnsinnig viel, Schauspieler zu sein, wenn ich Musiker bin. Und es bringt mir wahnsinnig viel, Schauspieler zu sein, wenn ich Regisseur bin. Beim Straßentheater bin ich der Chef, aber am Landestheater nur ein einfacher Schauspieler. Ich sehe diese unterschiedlichen Aufgaben mit anderen Augen, weil ich sie selbst immer wieder abwechselnd übernehme.

Was bei mir ein Riesenthema ist, ist Unabhängigkeit. Es wäre für mich ein Horror, von einem Intendanten abhängig zu sein. Ich war nur drei oder vier Jahre fest am Theater angestellt, danach habe ich vor allem deshalb gekündigt, weil ich nicht zum Musikmachen gekommen bin. Mit einem Jahresvertrag und sieben Premieren im Jahr kann man ja nicht sagen, zu diesem oder jenem Termin geht es nicht. Ich konnte also nichts anderes planen. Jetzt entscheide ich, wann ich kann und wann nicht. Und ob ich eine Rolle spielen will oder nicht.

MUSIK ALS HERZÖFFNER

Ich mache seit meiner Jugend Musik. Der Musikmarkt ist schwierig – es schreibt und singt ja jeder und viele auch gut. Aber der Markt, der kauft, ist viel kleiner als der, der produziert. Meinen allerersten Schlüsselmoment hatte ich mit 16 Jahren. Ich komme aus einer großen Familie, bin das letzte von sechs Kindern. Weil wir so viele waren, gab es bei uns eine Regel: Wenn man sich etwas Großes wünscht, muss man sich die Hälfte dafür selbst ersparen.

Ich habe mir eine richtig gute Gitarre gewünscht und wusste, wie viel ich gespart hatte. Dann war ich mit meiner Mutter im Gitarrengeschäft und hab’ mir natürlich nur die Gitarren angeschaut, die das Doppelte von dem gekostet haben, was ich hatte. Ich habe also bis auf die letzte Lira alles in eine neue Gitarre investiert. Allerdings hatte ich dann kein Geld mehr, um meine Familie zu beschenken. Darum habe ich mein erstes Lied geschrieben und es zu Weihnachten für meine Familie gesungen. Mein Vater hat geweint und da wusste ich – das kann was!

Das Gefühl von damals unterscheidet sich nicht von dem heutigen. Innerhalb weniger Tage kamen alle Verwandten, ich habe fünfzigmal mein Lied gespielt – und war der Star. Was das mit einem macht, wenn die anderen wollen, was du tust … Wenn man jemandem etwas schenkt, und der erzählt der ganzen Welt, was du ihm geschenkt hast – das ist ein geiles Gefühl! Es ist wie eine Sucht und wahrscheinlich hat sie damals begonnen. Wenn man weiß, dass man imstande ist, jemandem so ein Geschenk zu machen. Es ist einfach wahnsinnig schön, das zu tun – und es ist jedes Mal eine kleine Enttäuschung, wenn man es nicht schafft.

THEATER FÜR ALLE

Das Straßentheater inszeniere ich das ganze Jahr über am Reißbrett. Es hat nur eine kurze Probenzeit und existiert in meinem Kopf bereits lange zuvor. Es ist nicht der beste Weg, einem Schauspieler vorzuspielen, wie man sich eine Rolle vorstellt. Besser ist es, wenn es gelingt, dass er überzeugt ist von dem, was er tut. Es nützt ja nichts, wenn man selbst etwas cool findet – aber er nicht.

Man muss einen Schauspieler verführen, damit er die Zuschauer verführt. Ein inszenatorischer Gedanke wandelt sich auf der Stelle durch den jeweiligen Darsteller. Dass einer mit Leidenschaft spielt, gelingt nur, wenn er selbst seinen Weg findet, etwas auszudrücken. Man kann höchstens den Weg gemeinsam suchen, ihn aber nicht vorgeben, sonst ist der Schauspieler nicht überzeugend, sondern nur eine schlechte Kopie. Hürden auf dem Weg zum fertigen Stück können aus szenischen Lösungen bestehen, die nicht aufgehen, aus einem Schauspieler, der meine Sprache nicht versteht oder den Zugang zur Rolle schwer findet.

Was mich wirklich begeistert, ist Gelassenheit.

Beim Straßentheater geht’s um Fragen wie: Was spielen wir? Wer spielt? Inszeniere ich nur oder spiele ich mit? Gibt’s Musik oder nicht? Was kostet wie viel, können wir uns das leisten? Nach einer Unternehmung wie dem Straßentheater, bei dem ich für alles verantwortlich bin, ist es sehr schön, ins Landestheater zu gehen und zu wissen: Ich habe nur diese Rolle zu spielen, ich habe diese eine Funktion im Gefüge. Über den Rest muss ich nicht nachdenken, er hängt nicht von mir ab. Das ist sehr befreiend.

PAUSENLOSES SCHAFFEN

Ich habe kaum Pausen, ich regeneriere mich jeweils beim nächsten Projekt vom vorhergegangenen. Durch meine Kinder werde ich sehr mit meiner Ungeduld konfrontiert. Was mich wirklich begeistert, ist Gelassenheit. Wenn jemand so gescheit ist, die Welt zu durchschauen. Wenn er die Welt wahrnehmen kann und trotzdem lacht.

Wenn ich Gelassenheit personalisieren müsste, wäre das der Dalai Lama, er begeistert mich. Es kann aber auch jemand sein, der seine Chemotherapie hinter sich hat und sagt: „Ich pack das schon, das wird wieder.“ Und mich begeistern Stücke, Texte, Lieder und Kunstwerke, die das können. Die ausdrücken: So ist die Welt eben – und vielleicht noch einen Witz darüber machen. Die Welt ernst zu nehmen, ohne ernst zu sein, das finde ich super.

NICHT JEDEN BEGLÜCKEN

Ich mache ja nur, was mir gefällt. Ich schreibe einen Song so, wie ich ihn hören möchte, ich bin mein einziger Zuhörer. Es kann sowieso nicht jedem gefallen, das ist mir bewusst. Ich bin ja nicht für die Welt zuständig, das wäre völlig vermessen. Ich bin nicht dafür da, jeden zu beglücken, wer bin ich denn? Ich kann nur für diejenigen arbeiten, die eine ähnliche Leidenschaft oder ein ähnliches Empfinden haben wie ich. Darum gehe ich von mir aus.

Mir ist es völlig egal, ob ich vor hundert oder vor tausend Leuten spiele. Wenn ich den Ehrgeiz hätte, dass aus hundert unbedingt tausend, und aus tausend eben zehntausend werden sollen, müsste ich planen, was ich mache, sage und was nicht – aber ich bin ja vollkommen zufrieden. Ich arbeite in relativ kleinen Strukturen. Da steht kein Redakteur hinter mir, der sagt: „Die Quote stimmt nicht.“ Beim Straßentheater ist es wurscht, ob es tausend Leute mehr oder weniger sind. Und es zwingt mich keiner, Konzerte zu spielen oder bei Produktionen am Landestheater mitzuwirken – das suche ich mir ja selbst aus.

AUS DER ZEIT WERDEN LIEDER

Immer, wenn ich Die Zeit1 gelesen habe, hatte ich Songs im Kopf. Aber wie oft hat man schon Zeit, Die Zeit zu lesen? Irgendwann hab’ ich sie mir wieder einmal gekauft. Es war Weihnachten, der Ofen brannte, fein war’s … Ich hab’ ein bisserl Zeit, lese Die Zeit … und schreibe ein Lied. Das war „Blau wie die Seine“. Und wie mich dieses Lied ang’hupft ist, ist mir wieder eingefallen, dass es immer schon so war …

Damals habe ich gedacht, warum mache ich nicht ein System draus, wenn die mich eh dauernd anspringen, die Lieder? Ich lege so viele Artikel beiseite, da komm’ ich ein Leben lang nicht nach, alle zu vertonen. Es ist ein wahnsinnig geiles Gefühl, so ein Reservoir zu haben. Wenn mich jemand heimschickt und mir Die Zeit mitgibt, komm’ ich mit einem Lied zurück. Das ist unglaublich befreiend.

INSPIRATION AUS TEXTEN

Wenn man den Artikel zu „Blau wie die Seine“ liest, ist darin kaum ein Bild, das im Song nicht vorkommt, es ist wie ein Drehbuch. Aber es gibt andere Lieder, da wird aus einem Satz etwas völlig anderes. Es gab zum Beispiel einen Reisebericht über einen Wanderweg um den Aralsee. Darin stand der Satz: „Es gibt bessere Orte für eine Nierenkolik als die ostsibirische Wildnis.“ Den fand ich so genial! Aber im Lied geht es weiter mit: „… doch das Glück liegt in der Ferne“, es hat also ganz woanders hingeführt. Manche Lieder sind dem Thema des Artikels sehr nahe, andere gar nicht.

Ich schreibe den jeweiligen Autoren und schicke ihnen das Lied zu ihrem Artikel. Dann frage ich, ob ich Text und Lied auf der Zeitlieder-Homepage2 in Relation stellen darf. Meistens sind die Zeitungen schon zwei oder drei Jahre alt, und einige Autoren erinnern sich gar nicht mehr an ihre Texte. Mit Harald Martenstein war es so: Zwei seiner Kolumnen hatte ich auf der ersten Zeitlieder-CD verwendet und ihm geschrieben, aber nie etwas gehört.

Ich hab’ mich gefragt, ob er wohl eine Diva ist, konnte mir das aber nicht vorstellen. Ich kannte ja nur seine Kolumnen. Aber auf der dritten CD ist er wieder mit einem Lied vertreten. Ich habe ihm den Song geschickt und im Mail dazu geschrieben: „Übrigens, haben Sie die anderen beiden Lieder je gekriegt, und ist es überhaupt okay für Sie, was aus den Texten entsteht?“

Er hat geantwortet, dass er die Lieder großartig findet, und wahrscheinlich im Stress versäumt hat, sich zu bedanken und das mache er jetzt. Ich habe ihm geschrieben, dass ich immer wieder Plakate sehe, wenn wir mit den Zeitliedern unterwegs sind, auf denen steht „Martenstein liest“. Dabei denke ich immer: „Irgendwann drück’ ich ihm die Hand, vielleicht sogar bei einem gemeinsamen Auftritt.“ Und Martenstein hat geantwortet: „Das wäre schön – etwa in Österreich?“ Inzwischen hatten wir bereits mehrere Termine von „Martenstein liest – Clementi singt Zeitlieder“.

FLUCHT VOR DER BEKLEMMUNG

Nach jeder CD hatte ich das Gefühl: So etwas werde ich nie wieder schreiben, so etwas fällt mir nimmer ein. Ich habe im Fünf-Jahres-Rhythmus CDs gemacht, dazwischen Theater gespielt und inszeniert. Es war also einfach, vor diesem beklemmenden Gefühl zu flüchten. Ich war ja dauernd kreativ und dann ist eh wieder etwas gekommen. Aber ich glaube, es hätte ein Problem werden können, damit fertig zu werden, wenn ich nur die Musik gehabt hätte.