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José Maria Sison / Rainer Werning

EIN LEBEN IM WIDERSTAND

Gespräche über Imperialismus,
Sozialismus und Befreiung

Originaltitel: Reflections on Revolution and Prospects

Copyright © 2019 by International Network

for Philippine Studies (INPS), The Netherlands

Übersetzung: Gisela De Lorie & Team unter Mitwirkung von Beate Horlemann & Andres B. Mulingtapang

Lektorat: Heinz Mittelbach

Endredaktion: Rainer Werning

Gesamtherausgabe Oktober 2019 © Verlag Neuer Weg in der Mediengruppe Neuer Weg GmbH

Alte Bottroper Straße 42, 45356 Essen

Telefon +49-(0)-201-25915

Fax +49-(0)-201-6144462

verlag@neuerweg.de

www.neuerweg.de

Gesamtherstellung:

Mediengruppe Neuer Weg GmbH

ISBN: 978-3-88021-558-0

E-Book ISBN: 978-3-88021-559-7

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Inhalt

Über dieses Buch

Vorwort von E. San Juan, Jr.

Vorwort der Herausgeberin der englischen Ausgabe

1.Bedeutende Veränderungen in der Welt seit 1989

2.Auswirkungen der globalen Veränderungen auf die Philippinen

3.Gegen den Strom schwimmen, die Revolution weiterführen

4.Das philippinische Herrschaftssystem nach Marcos

5.Die weitere Entwicklung der philippinischen Revolution

6.Andauerndes Exil und juristische Kämpfe im Ausland

7.Friedensverhandlungen mit Unterbrechungen

8.Perspektiven der philippinischen Revolution

9.Perspektiven für einen weltweiten sozialistischen Aufschwung

10.Über Kulturelles und Persönliches

Anhänge

Biografische Daten von Dr. Rainer Werning

Lebenslauf von José Maria Sison

Bücher und Schriften von José Maria Sison

Resolution des Zweiten Parteitags der CPP zur Ehrung von José Maria Sison

Resolution der Sechsten Internationalen Versammlung des ILPS: Ernennung von José Maria Sison zum Ehrenvorsitzenden des ILPS

Würdigung von José Maria Sison durch Lisa Ito

Gedichte von José Maria Sison

Fotografien

Über dieses Buch

José Maria Sison, heute 80-jährig, ist für die Herrschenden in seiner südostasiatischen Heimat, den Philippinen, das politische Enfant terrible par excellence. Mehr noch: Ein rotes Tuch, dessen sie sich mithilfe ihrer „Sicherheits“apparate schon längst sehnlichst gerne entledigt hätten.

Sison war Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), die Ende Dezember 1968 auf marxistisch-leninistischer Grundlage neu konstituiert wurde, und während der Herrschaft von Präsident Ferdinand E. Marcos (1965—1986) eine Zeit lang der prominenteste politische Gefangene. Seit Ende der 1980er-Jahre lebt er mit seiner Frau Julieta im niederländischen Utrecht im Exil.

Vor nunmehr drei Jahrzehnten verfassten beide Autoren, José Maria Sison und der deutsche Politikwissenschaftler und Publizist Dr. Rainer Werning, das Buch „Die Philippinische Revolution. Eine Innenansicht“. Der vorliegende Band versteht sich als dessen Ergänzung und auch Erweiterung. Im Mittelpunkt stehen diesmal die Ereignisse und weltweiten Umbrüche im Zuge des Endes des Kalten Krieges, des Falls der Berliner Mauer und der Erosion der früheren Sowjetunion.

Zu den sicherlich packendsten Abschnitten gehört Sisons aufschlussreiche Kritik an den neokolonialen Regierungen — seit dem Sturz von Marcos bis zum aktuellen faschistoiden Regime unter Rodrigo Roa Duterte. Schlüssig behandelt er die Auswirkungen globaler Veränderungen auf das philippinische System, insbesondere der kapitalistischen Restauration in der ehemals sozialistischen Sowjetunion, der Entwicklung der VR China in ein neuimperialistisches Land sowie des Niedergangs der globalen Hegemonie der USA. Damit gibt er stichhaltige Anhaltspunkte, über die Perspektiven der philippinischen Revolution nachzudenken, inmitten eines neuen, weltweiten Aufschwungs des Sozialismus.

Lange Jahre war Sison auch eine Führungspersönlichkeit verschiedener revolutionärer Organisationen und Bewegungen. Noch heute dient er dem revolutionären Linksbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) als politischer Chefberater — und nebenbei betätigt(e) er sich stets auch künstlerisch. Somit erhält die Leserin/der Leser tiefe und spannende Einblicke in die Welt eines Mannes, der zeit seines Lebens — trotz Folter und Brandmarkung als „internationaler Terrorist“ — ebenso beharrlich wie unbeugsam für soziale und politische Befreiung stritt und weiter streitet.

Rainer Werning

Die Präsident(inn)en der Philippinen

Rodrigo Duterte

(seit 30. Juni 2016)

Benigno Aquino III.

(2010—2016)

Gloria Macapagal-Arroyo

(2001—2010)

Joseph Estrada

(1998—2001)

Fidel Ramos

(1992—1998)

Corazon Aquino

(1986—1992)

Ferdinand Marcos

(1965—1986)

Diosdado Macapagal

(1961—1965)

Carlos P. Garcia

(1957—1961)

Ramon Magsaysay

(1953—1957)

Elpidio Quirino

(1948—1953)

Manuel Roxas

(1946—1948)

Sergio Osmena

(1944—1946)

José P. Laurel

(1943—1945)

Manuel Quezon

(1935—1944)

nicht besetzt

(1901—1935)

Emilio Aguinaldo

(1899—1901)

Quelle: Rainer Werning und Jörg Schwieger (Hrg.): HANDBUCH PHILIPPINEN Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. (6., aktualisierte & erweiterte Auflage) Berlin 2019: regiospectra Verlag. 500 Seiten, 24,90 Euro.

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Quelle: Commons.com

Vorwort von E. San Juan, Jr.1

In einem Aufsatz mit dem Titel „Filipinas dentro de cien años“ für die Madrider Zeitschrift „La Solidaridad“ äußerte José Rizal im Jahre 1889, ein Jahrzehnt bevor die Vereinigten Staaten von Amerika die Philippinen als neuen Besitz okkupierten, die Vermutung: „Vielleicht wird die große amerikanische Republik, deren Interessen im Pazifik liegen und die an der Plünderung Afrikas nicht beteiligt ist, eines Tages von ausländischem Besitz träumen …“ Aber wenn sie es täte, selbst entgegen ihrer Tradition, würden die europäischen Mächte es verbieten, und wenn die Vereinigten Staaten es versuchen würden: „Sehr wahrscheinlich werden die Philippinen mit unbeschreiblichem Mut die Freiheit verteidigen, die sie sich um den Preis von so viel Blut und Opfer erkämpft haben“ (siehe Rizal, S. 127).2 Rizals verblüffende Vorahnung war eine Warnung: Die Einheimischen widersetzten sich ab 1898 McKinleys „wohlwollender Assimilation“ und der US„Vormundschaft“. Sie setzen ihren Widerstand fort bis zu den Aufständen der Sakdal und der Huk und dem anhaltenden Widerstand der Nationalen Demokratischen Front und ihrer Volkskämpfer.

Unter der Ägide des „Krieges gegen den Terror“ des globalen Kapitalismus hat sich das Gemetzel in der ältesten US-Neokolonie in Asien seit ihrer Annexion zur Wende des letzten Jahrhunderts verschlimmert. Nach dem 11. September 2001 intensivierten die US-Imperialisten die Unterwerfung der Philippinen mit aufeinanderfolgenden Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen, die bis zum Kalten Krieg zurückreichen. Neben den drei Millionen Filipinos, die von US-Truppen im Philippinisch-Amerikanischen Krieg getötet wurden (1899—1913, genannt das „erste Vietnam“), starben Tausende in den blutigen Jahren der von Washington und dem Pentagon unterstützten Marcos-Diktatur (1965—1986) (siehe Ahmad und Zinn).

Wir sind Zeugen aktueller Interventionen der USA unter Ausnutzung des Visiting Forces Agreement (Streitkräfteaufenthaltsabkommen), EDCA (Abkommen über erweiterte Verteidigungszusammenarbeit), der Operation Pacific Eagle — Philippines und anderer bilateraler Abmachungen zur Erhaltung ihrer neokolonialen Herrschaft. Dazu gehören die Lieferung von Waffen, Logistik und die Kontrolle der philippinischen Streitkräfte. Dies wurde durch die Beteiligung der USA an der Verwüstung von Marawi City im Jahr 2017 deutlich. Ohne die Macht der USA über den wichtigen ideologischen und staatlichen Apparat, der die IWF/Weltbank/WTO-Regelungen umsetzt, hätte die lokale Oligarchie der Großgrundbesitzer, Kompradoren und bürokratischen Kapitalisten von 1899 bis 1972 nicht überlebt, wie von José Maria Sison in der Schrift „Philippine Society and Revolution“ („Philippinische Gesellschaft und Revolution“) dargelegt.

Sison ist allgemein anerkannt als hartnäckiger, radikaler Führer derjenigen Filipinos, die den US-Imperialismus herausfordern. Seine herausragende Leistung ist meiner Meinung nach seine überzeugende Darlegung der Geschichte der philippinischen nationalen Befreiungsodyssee in der 1986 aktualisierten Schrift „Philippine Society and Revolution“3. Von besonderer Bedeutung ist Julieta de Limas klare thematische Auseinandersetzung damit in „José Maria Sison on the Mode of Production“ (José Maria Sison über die Produktionsweise) (Sison und de Lima 19984). Frühere Versuche wurden unter anderem von Apolinario Mabini, Claro Recto, Teodoro Agoncillo oder Renato Constantino unternommen. Aber erst mit „Philippine Society and Revolution“ erhielten die philippinischen Massen endlich eine antihegemoniale Stimme, die die Energien ihres lange unterdrückten lebendigen Geistes befreite und die Wiederbelebung der revolutionären Tätigkeit ermöglichte. Weltereignisse wie insbesondere die Bandung-Konferenz von 1955, die Kubanische Revolution, die Kulturrevolution von 1965 bis 1968 in China, der Bürgerrechtskampf in den USA gleichzeitig mit dem weltweiten Widerstand gegen die US-Aggression in Vietnam und dem Wiederaufleben der nationalistischen Bewegung mit dem First Quarter Storm (Sturm im ersten Quartal) 1970 und so weiter — all diese Ereignisse und noch mehr schafften einen fruchtbaren Boden für das Aufkeimen revolutionärer Tätigkeit.

1968 löste sich Sison von der alten sowjetisch inspirierten Kommunistischen Partei, die ursprünglich von Crisanto Evangelista und Pedro Abad Santos geleitet wurde. Ihre Sachwalter (die Lava-Brüder usw.) erlagen leicht dem Marcos-Regime. Menschen machen Geschichte, aber nicht unter selbst gewählten Umständen. Sison unternahm die notwendige kritische Bestandsaufnahme5 und startete eine Korrekturkampagne, die 1968 zur Neugründung der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) durch Sison und seine Genossen führte. Dem ging seine Gründung von Kabataang Makabayan (Patriotische Jugend) im November 1964 voraus. Das Konzept der Einheitsfront in der nationaldemokratischen, antiimperialistischen Aktion bekam hervorstechende Bedeutung und war verbunden mit dem erneuten Bekenntnis zu den Idealen einer emanzipatorischen Praxis. Die neue CPP wurde von Maos Vision des Volkskriegs in einem außereuropäischen Umfeld inspiriert. Es ging nicht um Dogmen oder Personenkult, sondern um ein Leitmodell oder Methoden zum Testen von Hypothesen und zur Anwendung marxistisch-leninistischer Prinzipien auf die historischen Besonderheiten der sozioökonomischen Bedingungen der Philippinen (siehe „Program for a People’s Democratic Revolution in the Philippines“6 [Programm für eine volksdemokratische Revolution in den Philippinen] (siehe Saulo, S. 196—209; San Juan 2015).

Merkwürdigerweise stimmt der Bericht des US-Außenministeriums von 1950 über den Aufstand der Huk überein mit Sisons Rückbesinnung auf die zentrale Rolle der Bauernschaft in seiner Erläuterung des Feudalismus/Grundbesitz-Problems (1987). So wie Mao in seiner Untersuchung der Bauernbewegung in Hunan 1927 die marxistische Dialektik erneuerte, so hat Sisons Neubewertung der verschiedenen politischen Kräfte im ununterbrochenen Klassenkampf von der spanischen Zeit bis in die Gegenwart das historisch-materialistische Denken über die philippinische Realität neu belebt. Er testete Lenins Methodik der konkreten Analyse historisch-dynamischer Situationen und konzentrierte sich auf „die schwachen Kettenglieder“, die zu Lenins Erkenntnis über die entscheidende Rolle der nationalen Befreiungskämpfe bei der Beschleunigung der internationalistischen Mission des westlichen Proletariats führten (1968). Er untersuchte die historischen Besonderheiten bedeutender Knotenpunkte in der Geschichte unserer ungleichmäßigen Entwicklung. Entscheidend war die Neubewertung der Strategie und Taktik des Klassenkampfes mit der Gründung der New People’s Army (Neue Volksarmee) am 29. März 1969 und die Anwendung von Mao Zedongs Theorie des langwierigen Krieges in verschiedenen, miteinander verbundenen Phasen des revolutionären Prozesses (siehe Ch’en und Rossanda).

Der nächste historische Meilenstein in Sisons Beiträgen zum marxistischen Gedankengut ist die Abhandlung über „Specific Characteristics of People’s War in the Philippines“7 (Spezifische Merkmale des Volkskriegs in den Philippinen) von 1974. Sison wurde 1977 vom Marcos-Regime verhaftet und erlitt Folter und andere Erniedrigungen bis zu Marcos’ Sturz im Februar 1986. Er hat diese Tortur und ihre Folgen in seinen Gedichten, Briefen, Interviews und Aufsätzen beschrieben, die in der Schrift „Continuing the Struggle for National and Social Liberation“ (Fortsetzung des Kampfes um nationale und soziale Befreiung) (2015) versammelt sind. Nach dem US-Fiasko in Vietnam und auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution in China ermöglichten die Erfolge der CPP und der Neuen Volksarmee die erneute Bekräftigung des philippinischen Kampfes als Teil der durch die russische Revolution von 1917 weltweit eingeleiteten radikalen, demokratisch-sozialistischen Transformationen.

Historiker argumentierten, statt einen homogenen Planeten zu schaffen, erzeugt der Kapitalismus voneinander abweichende Zonen, asymmetrische oder zerteilte Netzwerke von Handlungen und Motivationen, die sich der Synthese entziehen. Einheit und Kampf der Gegensätze herrschen vor. Während die Weltwirtschaftskrise 1930 die gewerkschaftliche Organisierung unter den Wanderarbeitern der Generation von Carlos Bulosan förderte, hat die japanische Besatzung die Bauern die verschiedenen Formen der Guerilla-Kriegführung und der kollektiven Mobilisierung gelehrt. Der Kalte Krieg von den Fünfzigerjahren bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kündete von der Notwendigkeit einer ununterbrochenen, allumfassenden Kulturrevolution. Sisons Diskurs von 1974 ist einmalig, weil er die historischen Besonderheiten des Landes in Einklang mit dem nationaldemokratischen Programm neu zur Geltung bringt: die bergige Landschaft des Archipels, die Dialektik der ländlichen und städtischen Gebiete und insbesondere die Umrisse der strategischen Phasen Defensive — Pattsituation — Offensive im ununterbrochenen Übergang von der feudal-bürgerlichen zur neudemokratischen Gesellschaftsform. Dieser Entwicklung folgend, hat die im Frühjahr 1973 gegründete National Democratic Front of the Philippines (Nationale Demokratische Front der Philippinen — NDFP) das 10-Punkte-Programm8 (später 12-Punkte-Programm) aufgelegt, das die grundlegende Agenda der Friedensgespräche prägt.

1988 führte Dr. Rainer Werning eine umfangreiche Reihe von Interviews mit Sison in „The Philippine Revolution: The Leader’s View“ („Die philippinische Revolution. Eine Innenansicht“). Seine Reisen um die Welt in Zusammenarbeit mit verschiedenen fortschrittlichen Organisationen boten Sison die Möglichkeit, das philippinische Projekt mit anderen Solidaritätsbewegungen der Dritten Welt und Europas zu verbinden. Davor, 1980, konnten wir die Veröffentlichung von Sisons anderen Schriften in dem Band „Victory to Our People’s War“ (Sieg für unseren Volkskrieg) in Quebec, Kanada, veranlassen.

Mit seinem nächsten historisch bedeutsamen Beitrag im Jahr 1992, „Reaffirm our Basic Principles and Rectify Errors“ (Unsere Grundprinzipien bekräftigen und Fehler korrigieren), bewies Sison einmal mehr sein Verständnis für eine dialektische Analyse der Wechselwirkung von Strategie und Taktik, von fehlbaren Hypothesen und Zufälligkeiten. Dies ermöglichte es, die vielschichtigen Widersprüche in den Unwägbarkeiten des nationaldemokratischen Vorhabens zu erfassen. Indem er die empiristische oder eklektische Position seiner Kritiker ablehnte, hat Sison das Konzept der Einheit der Gegensätze als grundlegendes Gesetz des dialektischen Materialismus angewandt. Dieses Konzept behandelte Mao erstmals in seinem klassischen Diskurs von 1937, „Über den Widerspruch“, und führte es weiter im Vortrag von 1957, „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“ (Ausgewählte Werke, Bd. V, S. 434—476; siehe Knight, S. 104). Die Verkennung der Einheit der Gegensätze und des Antagonismus in den Gegensätzen hat zu verschiedenen „links-“ und rechtsopportunistischen Linien geführt (Pazifismus, revisionistische Kompromisse usw.), darunter auch geheime Zusammenarbeit mit reaktionären Sicherheitsbehörden und Aufstandsbekämpfungs-Programmen der CIA (siehe Distor). Der Bankrott solcher Abweichungen zeigt sich im Schauspiel, das ehemalige Linke als Apologeten der neoliberalen Politik der USA bieten — haben sie doch allerlei NGOs eingerichtet, um der korrupten Oligarchie (Großgrundbesitzer, Kompradoren) bei der Verwaltung der neokolonialen Staatsbürokratie zu dienen.

Sisons Berufung als philippinischer Verfechter der nationalen Souveränität und Menschenrechte in der Diaspora hat ein neues Feld der internationalistischen Auseinandersetzung eröffnet. Über zehn Millionen philippinische Überseearbeiter sind heute über die ganze Welt verstreut, das zwingt Kandidaten für ein politisches Amt in Manila, in Wahlkämpfen auch und gerade die Belange von in Hongkong, Singapur, im Mittleren Osten und andernorts arbeitenden Landsleuten zu berücksichtigen. Deren Geldüberweisungen sind wichtig für den Abbau der philippinischen Auslandsschulden, aber auch für die Intensivierung von Warenfetischismus, Entfremdung und konsumorientierter Dekadenz. Unterdessen ziehen philippinische Aktivisten die philippinischen Communities in den USA, Europa und den Niederlanden, wo Sison seit 1988 politischer Flüchtling ist, in die Politik hinein. Neben seiner Inhaftierung durch das Marcos-Regime hat seine Inhaftierung durch die niederländische Regierung vom 28. August bis 13. September 2007 wegen unbegründeter Anschuldigungen Sison zum Symbol all der Tausenden gemacht, die zum Opfer des USimperialistischen „Kriegs gegen den Terror“ wurden. Seit 2001 leitet er den Internationalen Bund des Kampfs der Völker (International League of Peoples’ Struggle), die größte internationale Einheitsfront antiimperialistischer und demokratischer Volksorganisationen.

Einer der interessantesten Abschnitte dieser Interviews ist Sisons aufschlussreiche Kritik an den neokolonialen Regierungen seit dem Sturz von Marcos bis zum aktuellen faschistoiden Duterte-Regime. Seine Behandlung der Auswirkungen globaler Veränderungen auf das philippinische System, insbesondere der kapitalistischen Restauration in der ehemaligen Sowjetunion und in China sowie des Niedergangs der globalen Hegemonie der USA, gibt uns Anhaltspunkte, über die Perspektiven der philippinischen Revolution inmitten eines neuen weltweiten Aufschwungs des Sozialismus nachzudenken. Auch hier liegt der Fokus auf den Ausgebeuteten und Unterdrückten, der Gemeinschaft von Opfern, von Arbeitern und Bauern, deren Geschichten noch geschrieben werden müssen. Seit der Ermordung des NDFP-Beraters Felix Malayao und der Verhaftung anderer fortschrittlicher Aktivisten auf Geheiß US-imperialistischer Agenturen hält Sison ein Friedensabkommen für unwahrscheinlich. Es sei denn, die revolutionäre Massenbewegung setzt all ihre antihegemoniale Kraft ein im Kampf gegen das mörderische Duterte-Regime — ein Regime mit einer entsetzlichen Bilanz von außergerichtlichen Hinrichtungen und Verrat am Vermögen und an der Souveränität der Nation.

Nicht minder faszinierend in diesem Band sind Sisons Betrachtungen zu verschiedenen Themen in seiner Rolle als philippinischer Patriot, politischer Chefberater der NDFP und als unnachgiebiger, in der Öffentlichkeit stehender marxistischer Intellektueller. Sison verweist auf seine Verwandtschaft mit dem ersten philippinischen sozialistischen Agitator, Isabelo de Los Reyes, der die ersten Gewerkschaften organisierte und auch die nationalistische Iglesia Filipina Independiente (Unabhängige Philippinische Kirche) mitbegründete. Sison würdigt die aufklärerische Tradition von de los Reyes, Rizal, Mabini und anderen, wie vor ihm voller Bewunderung der kluge chinesische Patriot Sun Yat-sen.

Als sein Erbe betrachtet Sison zusammengefasst seine „theoretischen und politischen Schriften zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der CPP als revolutionäre Partei des Proletariats sowie für die Schaffung und das Wachstum aller anderen revolutionären Kräfte einschließlich der NPA, der NDFP, der Massenorganisationen und der demokratischen Volksregierung auf Dorfebene und darüber hinaus”. Tatsächlich ist dieses Erbe auch heute noch eine machtvolle Herausforderung an den räuberischen Kapitalismus weltweit. Ein „zerfallender Kapitalismus“, der verheerende Auswirkungen auf die Umwelt hat und das Leben von Millionen Menschen verstümmelt. Der nicht in der Lage ist, die dem System innewohnenden Widersprüche zu lösen, und daher entweder den Planeten zerstören wird oder grundlegend durch eine sozialistische/kommunistische Alternative ersetzt werden wird (siehe Harvey).

Insgesamt dokumentiert dieses Buch die wichtigsten Stationen in Sisons Leben, dank seines außerordentlichen Gedächtnisses und seiner Fähigkeit, die bedeutendsten Ereignisse, die seine Gedanken und Handlungen prägen, in einen Zusammenhang zu stellen. Es liefert umfangreiche Informationen über seine Ausbildung und seine politischen Untersuchungen sowie über Umfang und Tiefe seines künstlerischen Schaffens. Es dokumentiert auch sein frühzeitiges Handeln in den wichtigsten Momenten unserer Geschichte. Die Dialoge mit seinem europäischen Interviewer bieten eine differenzierte Gesamtschau. Ich bin mir sicher, dass das Buch Material für zukünftige Biografien und Kommentare über die Symbiose von menschlichem Willen und objektiven Umständen liefern wird. Um jedoch der Möglichkeit vorzugreifen, dass der Leser die historische Bedeutung dieser Interviews übersieht, möchte ich persönliche Erinnerungen hinzufügen. Wir (wenn ich für unsere Gruppe von Militanten an der Ostküste in der Zeit von 1965 bis 1980 sprechen darf) lasen Marx, Lenin, Mao, Luxemburg, Fanon, Lukács, Che Guevara und andere, bevor wir auf Sisons Buch „Philippine Society and Revolution“ stießen. Wir haben dann versucht, die indoktrinierten philippinischen Communities in den USA gegen Marcos’ barbarische Herrschaft, seine Verletzung der Menschenrechte, seine Öffnung des Landes für Plünderungen durch ausländische Unternehmen und so weiter zu mobilisieren. Das war schwierig, bis Sisons Buch uns eine Orientierung gab, wie das historische Bewusstsein junger Pinoys/Pinays zu wecken sei. So begannen wir, die Erinnerung an Lapu-Lapu, Gabriela Silang, Gomburza, Bonifacio, Sakay, Salud Algabre, Teresa Magbanua, Maria Lorena Barros und unzählige Helden und Heldinnen unserer Geschichte wieder wachzurufen.

„Beziehungen sind alles“, sagt man. So ist es uns gelungen, Kundgebungen und Seminare zum Lernen und Lehren zu organisieren; Gesetzgeber zu beeinflussen, um die militärische Hilfe für Marcos abzuschneiden; multiethnische Landarbeiter zu unterstützen, die von denselben Unternehmen ausgebeutet werden, die ihre Heimatländer plündern, und so weiter. Wir verwendeten auch die Arbeiten Carlos Bulosans zusammen mit den Berichten philippinischer Gewerkschafter, die gefahrvolle Streiks in den Feldern von Hawaii und Kalifornien anführten. Sisons Buch „Philippine Society and Revolution“ bot uns dann ein hervorragendes pädagogisches Instrument, das das kritische Bewusstsein (conscientization, ein Begriff von Paulo Freire) von fast zwei Generationen von Aktivisten in den USA und anderswo anspornte. Im historischen Kontext und mit Bezug auf Sisons gesamten Werdegang ist „Philippine Society and Revolution“ heute ein historisch bedeutsames Dokument, das mit noch mehr Berechtigung als Beitrag zum Vormarsch antihegemonialer, nationaler Bewegungen der Völker auf der ganzen Welt gewürdigt werden kann.

Das philippinische Volk mit seiner langen Tradition des antikolonialen und antifeudalen Widerstands befindet sich heute an einem Scheideweg. Das todgeweihte System vernichtet in seinem Todeskampf sowohl Opfer als auch Täter. Die globale Krise verschärft sich täglich. Die Profitanhäufung durch das Finanzkapital bedeutet eine Verlängerung und Verschärfung der Unterentwicklung — der Armut und des Elends von Millionen —, insbesondere in nicht industrialisierten, neokolonisierten Regionen wie den Philippinen. Das Permanente Völkertribunal in Den Haag 2007, an dem Rainer Werning und ich teilnahmen, erklärte das US-Arroyo-Regime für schuldig an gewaltigen Verbrechen, darunter unzählige Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen, Folterungen, Verschwindenlassen, ungestrafter barbarischer Brutalität, zerstörten oder weit versprengten Gemeinschaften, millionenfach zerstörtem Leben (für die Verbrechen von Marcos siehe McCoy). Das Urteil lautete, dass die systematischen Verletzungen der Rechte des philippinischen Volkes, seiner Souveränität und Integrität durch die Regierungen Bush und Arroyo Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Das Tribunal verurteilte auch jene Mächte, die „unter dem Vorwand des sogenannten ‚Krieges gegen den Terror‘ und unter dem Deckmantel der ‚markt- und gewinnorientierten Globalisierung‘ den an den Rand Gedrängten ein Leben in Gerechtigkeit, Würde und Frieden vorenthalten“ (siehe San Juan 2007, S. 252—253).

Die Geschichte scheint sich leider zu wiederholen. Am 19. September 2018, nach tagelanger Prüfung der Beweise und Anhörung mündlicher Zeugenaussagen, kam dasselbe Tribunal in Brüssel zu einem Urteil, das sich fast genauso anhört wie das von 2007. Diesmal waren der philippinische Präsident Rodrigo Roa Duterte und US-Präsident Donald Trump vor Gericht angeklagt. Sie wurden verurteilt wegen „schwerer und systematischer Verletzungen der bürgerlich-demokratischen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“ — insbesondere „des Rechts des Volkes auf nationale Selbstbestimmung und Entwicklung“ (siehe Cohn 2019) und des Rechts des Volkes auf Befreiung. Abgesehen von drohenden ökologischen Katastrophen können Sisons Interviews in diesem Buch eine Antwort geben auf die drängende Frage, ob diese Gewalttaten auch in den nächsten Jahrzehnten so weitergehen werden. Eine Antwort, wenn auch nicht den nötigen Entdeckergeist und die Lernwilligkeit zur Klärung, was zu tun ist. Während wir den 50. Jahrestag der Gründung der Neuen Volksarmee und den 80. Geburtstag ihres Mitbegründers feiern, schaffen wir uns einen Weg durch die „Arbeit des Negativen“ und geben den Mühen und Hoffnungen der proletarisierten Massen Ausdruck — auf dem langen Marsch nicht zu der sprichwörtlichen Utopie, sondern zu einem Gefühl der Erfüllung, weil wir die Würde, Integrität und unerschöpfliche Kreativität unseres Volkes bekräftigt haben.

Literatur

Ahmad, Eqbal: The Theory and Fallacies of Counter-Insurgency, in: The Nation (August 2) 1971, S. 19—26.

Ch’en, Jerome: Mao and the Chinese Revolution, New York: Oxford University Press, 1965.

Cohn, Marjorie: Tribunal Declares Trump and Duterte Guilty of Crimes Against Humanity, in: Truthout (March 14) 2019. <http://truthout.org>

Communist Party of the Philippines: Program for a People’s Democratic Revolution in the Philippines, in: Communism in the Philippines: An Introduction by Alfredo Saulo, Quezon City: Ateneo de Manila University Press, 1990.

Distor, Emerita Dionisio: Maoism and the Development of the Communist Party of the Philippines, in: Critical Perspectives on Mao Zedong’s Thought, Hrsg. Arif Dirlik, Paul Healy und Nick Knight, New Jersey: Humanities Press, 1977.

Harvey, David: Seventeen Contradictions and the End of Capitalism, New York: Oxford University Press, 2014.

Knight, Nick: The Laws of Dialectical Materialism in Mao Zedong’s Thought: The Question of „Orthodoxy“, in: Critical Perspectives on Mao Zedong’s Thought, New Jersey: Humanities Press, 1977.

Lenin, Vladimir: National Liberation, Socialism and Imperialism, in: Selected Writings, New York: International Publishers, 1968.

Mao Zedong: Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk, in: Ausgewählte Werke Mao Tsetungs, Band V, Peking: Foreign Languages Press, 1977.

McCoy, Alfred: Dark Legacy: Human Rights under the Marcos Regime. Memory, Truth Telling and the Pursuit of Justice: A Conference on the Legacies of the Marcos Dictatorship, Ateneo de Manila University: Office of Research and Publications, 2011, S. 129—144.

Rizal, José: The Philippines a Century Hence (Übersetzung Derbyshire), in: José Rizal, Manila: National Historical Institute, 1979, S. 96—129.

Rossanda, Rossana: Mao’s Marxism, in: Socialist Register, 1971, S. 5380.

San Juan, E.: US Imperialism and Revolution in the Philippines, New York: Palgrave Macmillan, 2007.

— Between Empire and Insurgency, Quezon City: University of the Philippines Press, 2015.

Sison, José Maria [Amado Guerrero, Pseudonym]: Philippine Society and Revolution, Manila: Pulang Tala, 1971.

— [Amado Guerrero, Pseudonym]: Specific Characteristics of People’s War in the Philippines, Oakland, CA: International Association of Filipino Patriots, 1974.

— Continuing the Struggle for National and Social Liberation, Manila: International Network for Philippines Studies und Aklat ng Bayan, Inc., 2015.

— Selected Writings, 1968—1991: Detention and Defiance against Dictatorship, 1977 to 1986. Manila: International Network for Philippines Studies und Aklat ng Bayan, Inc., 2013.

Sison, José Maria und Julieta de Lima: Philippine Economy and Politics, Manila: Aklat ng Bayan, 1998.

US-Außenministerium: The Hukbalahaps, in: The Philippines Reader, Hrsg. Daniel B. Schirmer und Stephen Shalom, Boston: South End Press, 1987, S. 70—77.

Zinn, Howard: The Twentieth Century, New York: Harper, 1984.

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Vorwort der Herausgeberin der englischen Ausgabe

Dieses Buch „Ein Leben im Widerstand“ enthält Interviews mit Prof. José Maria Sison, dem Gründungsvorsitzenden der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und Ehrenvorsitzenden des Internationalen Bundes des Kampfs der Völker (International League of Peoples’ Struggle – ILPS). Die Interviews führte ein Kollege, der Politik- und Sozialwissenschaftler Dr. Rainer Werning, ein renommierter Experte für philippinische und ostasiatische Politik.

Die Interviewpartner verwenden erfolgreich das gleiche Format wie vor mehr als dreißig Jahren (1988) bei der gemeinsamen Verfassung eines früheren Werkes: „Die philippinische Revolution. Eine Innenansicht“. Seitdem haben in der Welt und in den Philippinen gewaltige Ereignisse mit weitreichenden Auswirkungen stattgefunden.

Das Buch konzentriert sich hauptsächlich auf José Maria Sison, ein in der Öffentlichkeit stehender Intellektueller und Analytiker, eine allgemein anerkannte Autorität rund um diese Ereignisse und gleichzeitig ein entschlossener und kämpferischer politischer Akteur, insbesondere in den Philippinen. Wenn er über philippinische und internationale Themen spricht, steht er als Gründungsvorsitzender der CPP und ehemaliger ILPS-Vorsitzender auf einem soliden Fundament.

Der Interviewer Dr. Rainer Werning stellt tiefgreifende und provokante Fragen zu einer umfassenden Themenpalette und zeigt dabei sein Fachwissen als Politik- und Sozialwissenschaftler, der sich mit internationalen und philippinischen Themen gut auskennt. Sison beantwortet seine Fragen präzise und sachlich aufgrund seiner Kenntnisse und langjährigen Erfahrungen als revolutionärer Denker und Führer.

„Ein Leben im Widerstand“ präsentiert einen faktenreichen Überblick über den Hintergrund, die Strömungen und Perspektiven des epochalen Kampfes zwischen Kapitalismus und Sozialismus im Weltmaßstab und in den Philippinen seit 1988.

Sisons durchgängige These: Die vollständige Restauration des Kapitalismus in den ehemals sozialistischen Ländern von 1989 bis 1991 hat die Zahl der imperialistischen Mächte an der Spitze des kapitalistischen Weltsystems erhöht. Dadurch entstehen mehr Krisen, Staatsterrorismus und Angriffskriege.

Die Welt befindet sich immer noch in der Epoche des modernen Imperialismus und der proletarischen Revolution, wie der Marxismus seit der Zeit Lenins lehrt. Zwischenimperialistische Kriege als Gefahr und Wirklichkeit sind der Auftakt zu Revolutionen für nationale Befreiung, Demokratie und Sozialismus.

Die sozialistische Sache lebt weiter. Ihr Erfolg im weiteren Verlauf der sozialistischen Revolution wird gewährleistet durch Maos Theorie und Praxis der Weiterführung der Revolution im sozialistischen Staat — mit mehreren Kulturrevolutionen, die den Revisionismus bekämpfen, die kapitalistische Restauration verhindern und die Errungenschaften des Sozialismus festigen sollen.

Heute ist zu beobachten, dass der „integrierte Kapitalismus“ in den über siebzig Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich der Restauration des Kapitalismus in ehemals sozialistischen Ländern, nun zunehmend zu einem „zerfallenden Kapitalismus“ wird, mit den gleichen gefährlichen Merkmalen, die dem Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkriegs vorausgingen. Diesmal droht die Gefahr eines Atomkriegs.

Sison vertritt die optimistische Auffassung, dass den schlimmsten Folgen des Monopolkapitalismus — ob Bedrohung durch einen Atomkrieg in zwischenimperialistischen Konflikten oder globale Erwärmung aufgrund der Zerstörung der Umwelt durch die Konzerne — nur wirksam entgegengewirkt werden kann durch die Erhebung der revolutionären Massenbewegungen unter Führung proletarischer Parteien in den entwickelten und unterentwickelten Ländern — gegen den Imperialismus und alle reaktionären Bewegungen.

Das aufschlussreiche Vorwort von Prof. Epifanio San Juan, Jr., ein weltbekannter Analytiker und Kritiker zu sozialen und kulturellen Fragen, unterstreicht die Bedeutung und den Wert von „Ein Leben im Widerstand“. Wir danken ihm für seinen Überblick über die in diesem Buch behandelten Themen. Wir danken auch allen anderen Kollegen, die das Manuskript durchgesehen und wertvolle Vorschläge zu seiner Verbesserung gemacht haben.

Ergänzende Informationen für den Leser sind in den Anhängen zu dem Buch enthalten: eine kurze Biografie von Dr. Rainer Werning, der Lebenslauf von Prof. José Maria Sison und eine vollständige Liste seiner Bücher, eine Resolution des Zweiten Parteitags der Kommunistischen Partei der Philippinen als Ausdruck größter Hochachtung, einige Fotos und Gedichte Sisons, die im Zusammenhang mit dem Inhalt dieses Buches stehen.

Julieta de Lima
Utrecht, Niederlande
29. März 2019

1.Bedeutende Veränderungen in der Welt seit 1989

Rainer Werning: Bald nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit dem Fall der Marcos-Diktatur haben Sie von 1986-1988 eine weltweite Vortragsreise unternommen. In welche Regionen der Welt und in welche Länder sind Sie gereist? Was waren die wichtigsten Erfahrungen oder Höhepunkte dieser Reisen?

José Maria Sison: Zunächst möchte ich die Länder nennen, in die ich während meiner weltweiten Vortragsreise seit Anfang September 1986 gereist bin. Meine Rundreise verlief hektisch und dauerte zwei Jahre bis September 1988, als mein philippinischer Pass von der Aquino-Regierung annulliert wurde.

In der Asien-Pazifik-Region bereiste ich Australien, Neuseeland, Thailand, Japan, Hongkong, Indien, China und die Demokratische Volksrepublik Korea. In Westeuropa war ich in mehr als zwanzig Ländern unterwegs. Von den Niederlanden aus, wo ich meinen Wohnsitz habe, reiste ich auch nach Algerien und Albanien sowie nach Lateinamerika, insbesondere nach Nicaragua, Kuba und Mexiko. Mir wurde untersagt, in die USA einzureisen, um im ganzen Land eine Reihe von zehn Vorträgen zu halten und Verwandte und Freunde zu besuchen.

In den meisten Ländern besuchte ich etliche Städte, um dort Universitätsvorlesungen über die Geschichte, die aktuelle Lage und die Perspektiven der Philippinen und des philippinischen Volkes zu halten. Akademiker und Nichtakademiker hörten mit Interesse meine Vorträge. Die faschistische Marcos-Diktatur war erst Monate zuvor zusammengebrochen, und ich wurde als einer ihrer wichtigen Gegner betrachtet.

Ich war auch Gastredner bei Treffen, die von Gewerkschaften, Solidaritätsorganisationen und philippinischen Gruppen organisiert wurden. Ich traf mich mit Regierungsvertretern und den Führern der großen politischen Parteien und führte Gespräche mit ihnen, ebenfalls mit verschiedenen Volksorganisationen und Institutionen, die sich für die Philippinen interessieren.

Aus ganz bestimmten Gründen fuhr ich in bestimmte Länder, wie zum Beispiel Thailand, um dort den höchsten Literaturpreis in meiner Heimatregion, Südostasien, entgegenzunehmen, den Southeast Asia Write Award der thailändischen Königsfamilie. Ich reiste nach Algerien als Gast des palästinensischen Parlaments, beziehungsweise der Versammlung des Nationalrats der Palästinensischen Befreiungsorganisation, nach China, um meine Kinder zu besuchen, die in Peking studierten; in die Deutsche Demokratische Republik für Gespräche mit akademischen Freunden; nach Nicaragua, Kuba und Mexiko, wo ich die Entwicklungen der dortigen revolutionären Bewegungen kennenlernen und Informationen mit den zuständigen Führern austauschen wollte.

Was war Ihre Meinung über die damalige Situation in der Welt?

Auch wenn ich das Gebiet der beiden Supermächte, USA und Sowjetunion, nicht besuchen konnte (mit Ausnahme der Durchreise über den Moskauer Flughafen), hatte ich durch Meinungsaustausch mit politischen Führern, Aktivisten und akademischen Experten mit vielen Kenntnissen in Politik, Wirtschaft und Kultur auf internationaler Ebene einen guten Überblick.

Mir war bewusst, dass der damalige US-Präsident Ronald Reagan den Vorteil der USA, die Sowjetunion in ein Wettrüsten und ihren afghanischen Schlamassel gelockt zu haben, ausnutzte zur Verschärfung des Niedergangs der sowjetischen Wirtschaft. So sollte Gorbatschow dazu gedrängt werden, die Restauration des Kapitalismus zu beschleunigen und das Vorgängerregime Breschnews für die sowjetische Wirtschaftskrise und Korruption verantwortlich zu machen. Zugleich nutzte er die Eingliederung Chinas in das kapitalistische Weltsystem durch Zugeständnisse in der Konsumgüterproduktion. Natürlich hatten Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher bereits seit Anfang der 1980er-Jahre alles unternommen, um den Neoliberalismus zur Überwindung der Stagflation zu fördern, die die US-Wirtschaft seit den 1970er-Jahren heimgesucht hatte.

In meinen Gesprächen mit ostdeutschen Bekannten in den Jahren 1987/1988 prahlten sie damit, als Deutsche ehrlicher und effizienter zu sein als die Russen. Aber ich habe auch von einigen ostdeutschen Wissenschaftlern der Humboldt-Universität (Ost-Berlin) und von Gewerkschaftern Kenntnis über subtile Methoden der bürokratischen Korruption bekommen, wie zum Beispiel, dass arme afrikanische Länder auf Kreditbasis für als Hilfsleistungen deklarierte Fabrikprodukte bezahlen, wobei die Zahlungen auf geheime Privatkonten bei Schweizer Banken flossen.

Als ich 1988 Nicaragua besuchte, klagten sowjetische und ostdeutsche Experten über die Schwierigkeit, Nicaragua zu helfen, da es sehr hohe Anforderungen bedeute, das Land aus dem sehr niedrigen Entwicklungsstand, einer Hinterlassenschaft des Somoza-Regimes, herauszuholen. Das Gleiche hatten Gorbatschows Autoren der Sowjetischen Akademie der Sozialwissenschaften gesagt, als sie sich darüber beschwerten, die Unterstützung bewaffneter Revolutionen sei zwar billig, die Verantwortung für die Entwicklung unterentwickelter Länder aber teuer.

Gleichzeitig kontrollierten die großen Kompradoren in Nicaragua immer noch den Außenhandel und führten Konsumgüter, die in den USA gefertigt waren, über Panama und Mexiko in das Land ein. Auf diese Weise konnten sie gemeinsame Sache mit den USA machen bei der Manipulation der Versorgung und der Herbeiführung künstlicher Engpässe zur Erzeugung einer Inflation. Das gleiche Problem hatte ich in Indonesien gesehen, wo die großen Kompradoren bereits Anfang der 1960er-Jahre mit US-amerikanischen und malaysischen Lieferanten im Geheimen zusammenarbeiteten, um die Versorgung — auch durch Verknappung — zu manipulieren, um damit eine Inflation zu erzeugen und Unzufriedenheit mit dem Sukarno-Regime zu schüren.

In China stellte ich fest, dass die chinesischen Behörden Dengs Politik der kapitalistischen Reformen und Öffnung für das kapitalistische Weltsystem stark vorantrieben. Ich sah den Bauboom und hörte, wie einige meiner Reisebegleiter die überhitzte Wirtschaft kritisierten, weil die Preise für Lebensmittel aufgrund der steigenden Nachfrage durch Bauarbeiter gestiegen waren. Sie berichteten auch, dass einige Bauern die viel beworbenen Häuser mit drei Stockwerken bauen konnten, weil sie Handel oder Geldverleih betrieben oder Familienmitglieder mit einer Arbeitsstelle in der Industrie an einem anderen Ort hatten.

In Japan sah ich den Kapitalismus sozusagen auf seinem Höhepunkt. Die Wirtschaft und die Börse florierten. Es sah so aus, als würden die japanischen Unternehmen die wichtigsten Immobilienanlagen in den USA aufkaufen. Aber sie verwendeten Geldmittel aus Krediten, die durch überbewertete Immobilien in Japan abgesichert waren. Die Überproduktionskrise wurde sozusagen durch Kreditmissbrauch gelöst, was Auftakt zur anhaltenden Krise und Stagnation eines großen kapitalistischen Landes war, zeitgleich mit dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der Sowjetunion und der revisionistischen Regime in Osteuropa.

In Indien habe ich das rasante Vordringen des Neoliberalismus beobachtet, wie er sich in einem halbfeudalen Land auf der Basis des Neokolonialismus durchsetzte. Es ist also nicht verwunderlich, wenn ich in jeder Stadt viele junge Intellektuelle traf, die den Volkskrieg führen wollten. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit den Führern einer Vielzahl von kommunistischen Parteien zu unterhalten, insbesondere mit denen der Communist Party of India (Marxist) und einer ganzen Reihe von kommunistischen Parteien, die an den Mao Zedong-Ideen und dem von Naxalbari gezeigten Weg des Volkskriegs festhielten.

In Westeuropa hielt ich mich die meiste Zeit auf. Dort merkte ich, dass die britische Labour Party und andere sozialdemokratische Parteien in der Europäischen Union sich immer mehr in Richtung Neoliberalismus bewegten. Zuerst zeigte sich die Tarnung als Arbeiterpartei darin, dass sie den „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus beziehungsweise der Sozialdemokratie vertraten, während in Wirklichkeit die zunehmende Tendenz in Richtung der ungezügelten kapitalistischen Gier des Neoliberalismus geht.

Nach der Annullierung Ihres philippinischen Passes durch die Aquino-Regierung am 15. September 1988 waren Sie in den Niederlanden gestrandet und mussten politisches Asyl beantragen. Was ist seitdem geschehen?

Tatsächlich musste ich nach der Annullierung meines Passes politisches Asyl beantragen. Die Absicht des Aquino-Regimes und des Militärs war, mich zur Rückkehr in die Philippinen zu zwingen, wo ich dem auf dem Flughafen von Manila wartenden Militärpersonal in die Arme laufen würde. Sie schienen meinen Asylantrag nicht vorhergesehen zu haben. Oder sie wollten erreichen, dass ich in den Niederlanden festsitze.

Jedenfalls habe ich am 15. Oktober 1988 einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Darin führte ich die schwere Folter unter der Marcos-Diktatur an, die anhaltende Foltergefahr durch dasselbe Militär, das mich damals mit Faustschlägen und der Methode der „Wasserheilung“ physisch gequält hatte; und, was noch schlimmer war: die mentale Folter durch Einzelhaft während der meisten Zeit in der Militärhaft vom 10. November 1977 bis zum 5. März 1986.

Der Raad van State (Staatsrat), das höchste Verwaltungsgericht der Niederlande, hat mich 1992 als politischen Flüchtling nach der Flüchtlingskonvention anerkannt und entschieden, dass ich, entsprechend der Rechtsprechung im Fall Soering, nicht abgeschoben werden kann. Deshalb blieb ich weiter in den Niederlanden — als anerkannter Flüchtling, geschützt durch die Flüchtlingskonvention und Artikel 3 der Europäischen Konvention. Ich kann nicht in die Philippinen oder ein Drittland abgeschoben und der Gefahr ausgesetzt werden, dort gefoltert zu werden, wie das bei einer Abschiebung in die Philippinen der Fall wäre.

Aber nachdem ich 2002 auf die EU-Terrorliste gesetzt wurde, strichen mir die niederländischen Behörden die Sozialleistungen, einschließlich Beihilfe zum Lebensunterhalt, Wohngeld, Krankenversicherung, Haftpflichtversicherung und Rentenanspruch. Diese werden mir weiter vorenthalten, obwohl ich meinen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof zur Streichung meines Namens von der EU-Terrorliste 2009 gewonnen habe.

Meine Frau Julie und ich mussten eigene Wege finden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, um forschen, schreiben, meine Meinungsfreiheit ausüben und meinen Pflichten im Dienste des philippinischen Volkes nachkommen zu können, zum Beispiel als politischer Chefberater der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) bei den Friedensverhandlungen mit der Regierung in Manila.

Sie konnten 1987 und 1988 die Volksrepublik China besuchen. Dann kam es 1989 zu den Massenprotesten am Tiananmen-Platz in Peking und in anderen chinesischen Städten. Waren Sie darüber erstaunt? Was hat diese Proteste verursacht?

Bei meinen Chinareisen 1987 und 1988 bemerkte ich vieles, was zu Massenwiderstand führen konnte. Die Preise für Güter des Grundbedarfs stiegen stark an aufgrund einer Reihe gravierender Ungleichgewichte in der Wirtschaft. Zum einen trieben die umfassenden Bauprojekte