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Passkontrolle!

Eine kritische Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens

Thomas Claes

Passkontrolle!

Eine kritische Geschichte

des sich Ausweisens und

Erkanntwerdens

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de

www.vergangenheitsverlag.de

der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe

und der Übersetzung, vorbehalten.

readbox publishing, Dortmund

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Inhalt

Einleitung

Frühe Formen der Pässe und Praktiken der Identifikation

Identifikation und die Erfindung des Ausländers

Pass und Kontrolle in der Ständegesellschaft

Der liberale Obrigkeitsstaat

Der Erste Weltkrieg als Zäsur des Passwesens

Die Passvergabe als rassepolitische Aussonderungsmaßnahme – der Nationalsozialismus

Ein Neubeginn?

Pass und Ausweis in BRD und DDR

Der Pass im Zeitalter der Globalisierung

Identifikation – vom Sinn und Unsinn eines Dokuments

Anhang

Einleitung

Was ist ein Pass? Die französischen und italienischen Begriffe verraten heute noch, woher die Idee eines Papiers stammt, dass wie kein anderes die Identität der Menschen auf dieser Welt bekundet – oder auch verneint: passeport, passaporto. In diesen Worten steckt das Passieren, ein Tor passieren. Im Mittelalter meinte das Passieren eines Tors auch eine Grenze zu überschreiten, die Grenze einer Stadt. Später dann auch die Grenze einer Herrschaft oder eines Landes. Und erst sehr viel später – im Zeitalter der Nationen – bedurfte es eines Passes, um eine Staatsgrenze zu überschreiten.

Jeder Reisende führt heute einen Pass mit sich, und ein Personalausweis steckt wohl fast in jedem Portemonnaie. Zuallererst soll der Pass die Identität und Nationalität seines Besitzers sichern und feststellbar machen. So ermöglicht es der Pass, die Zugehörigen zum eigenen Staatswesen zu definieren. Der Staat möchte sich schützen, bewahren und Gefahren abwenden, die den Staat (vermeintlich) bedrohen könnten. Doch ist ein Pass tatsächlich nur ein offizielles Dokument, welches an ein Individuum ausgegeben wird, mit dem Hauptzweck, seinen Besitzer mit einem Beweis seiner Identität und Nationalität auszustatten, sowie ihn dabei zu unterstützten, von einem souveränen Staat in einen anderen zu reisen, sich dort aufzuhalten und diesen wieder zu verlassen?1

Eventuell lassen sich an der Geschichte dieses „meistgereisten Dokumentes der Menschheit“ 2 ja wichtige Ereignisse der Deutschen Geschichte nachvollziehen. Denn vielfach beeinflussten historische Ereignisse wie Krieg und Frieden die Einführung oder Abschaffung von Passpflichten oder neuen Passmodellen. Da es sich bei dem heutigen Pass um ein internationales Dokument handelt, nehmen auch Ereignisse außerhalb Deutschlands erheblichen Einfluss auf die deutsche Passgesetzgebung. Das beste Beispiel für diese Entwicklung sind sicherlich die Terroranschläge vom 11 September 2001 in den USA.

An den alltäglichen Identifizierungsdokumenten lässt sich die Entwicklung von Staatlichkeit und moderner Verwaltung nachvollziehen. Vielfach spiegeln sich politische und gesellschaftliche Ereignisse, Liberalität einer Gesellschaft oder nationalistisches Denken, schlicht Inklusion und Exklusion von Menschen in diesen Dokumenten der Kontrolle und Überwachung. Auch die Entwicklung individueller Identität und Persönlichkeit am Beginn der Neuzeit lässt sich historisch an Ausweisdokumenten nachvollziehen.

Die historische Entwicklung des Passes beginnt im Mittelalter. Ein königlicher Geleitbrief versprach dem Reisenden Schutz. Er war ein teures Privileg für einige wenige. Es gestatte ihnen sicher und frei zu reisen, in einer Zeit, in der die wenigsten Menschen ihre Heimatorte verließen und verlassen durften. Doch in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, mit Zunahme individueller Mobilität, war der Strom der Menschen für den Staat nicht mehr leicht zu überwachen. So griffen auch die französischen Revolutionäre auf Ausweisdokumente zurück – als Kontrollinstrument. Diese waren nun kein Privileg mehr, sondern ein Zwang für jeden Bürger. Der Prozess des sich Ausweisen-Müssens hatte etwas zu tun mit der Herausbildung moderner Staaten, ihrem Drang zu erfassen, zu regeln, zu organisieren und Grenzen im Verhalten seiner Bürger zu ziehen. Das ist Voraussetzung – so die Staatsraison – um regieren zu können.

Wenn Foucault in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität3 von der beginnenden Disziplinierung der Bevölkerung in der Moderne spricht, so muss das auch die Entwicklung des Passes mit einbeziehen. Disziplin, so Foucault, wurde dann am wichtigsten, als man begann, die Bevölkerung zu verwalten, das Leben der Menschen bis ins Detail mit Gesetzen und Vorschriften zu bestimmen.

Ein Identifizierungsdokument trägt in mehrfacher Hinsicht zur Disziplinierung der Bürgerinnen und Bürger bei: Es überwacht den nationalen wie internationalen Verkehr und Handel. Es ermöglicht die Identifikation eines Menschen. Es kann bestimmen, wer ein Gebiet oder einen Staat verlassen oder betreten kann. Es definiert Grenzen und Grenzüberschreitungen.

Auch wenn Foucault den Pass nicht explizit erwähnt, so ist er doch ein „Mechanismus der Sicherheit“, ein angenommenes Sicherheitsdispositiv für den Staat. Das Dreieck aus Souveränität, Disziplin und gouvernementaler Verwaltung, welches Foucault beschreibt, hat als „Hauptzielscheibe“ die Bevölkerung.4 Es liegt nahe, hier das Dokument über die eigene Person als Teil in der Entstehung des modernen Staatswesens zu sehen. Disziplin, Kontrolle und vor allem Identifikation eines jeden bringen die Sicherheit, die ein Staatswesen – nach eigener Raison – für seinen Fortbestand benötigt. Sicherheit ist dabei ein beliebig politisch instrumentalisierbarer Begriff. Sicherheit durch Kontrollierbarkeit entsteht, so eine verbreitete Meinung, wenn durch Pässe und Ausweise beispielsweise verhindert werden kann, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Land verlassen, sich niederlassen, wo sie wollen. Staatliche Identitätszuweisungen machen Kriminalität und jedes abweichende Verhalten fassbar. Jede und jeder erhält einen Namen und eine Nummer, die Anonymität des Individuums in der Gesellschaft wird weitgehend unmöglich gemacht. Identifizierungsdokumente waren folglich schon immer Mittel der Kontrolle. Diese Funktion zeigt auch die „dunkle Seite“ dieser Dokumente: Flüchtlingselend, illegale Einwanderung, die Verhinderung von Flucht in ein rettendes Land, Ausschließung und Diskriminierung von Menschen ohne oder mit den falschen Papieren.

Gerade die Zunahme der Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten durch den Einsatz von Computertechnik wurden und werden in Deutschland wie auch weltweit diskutiert. Die umfangreichen Möglichkeiten dieser Technik stellen frühere Katalogisierungs- und Überwachungsmethoden in den Schatten. Die Bewältigung und Sicherung der digitalen Datenmassen ist für staatliche wie private Stellen eine zunehmende Herausforderung. Gleichzeitig wächst in großen Teilen der Bevölkerung das Bewusstsein für Datenschutz und damit auch die Angst vor Datenmissbrauch.

Wie viel Überwachung ist also wirklich nötig? Zuviel Überwachung verliert ihren Sinn und wendet sich gegen die Menschen. Ein Übermaß staatlicher Kontrolle beschädigt den Handel und behindert die freien Reisen der Menschen. Zudem ist Reisefreiheit ein Menschenrecht. Artikel 13 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“5 vom 10 Dezember 1948 ist eindeutig: 1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. 2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Wenn im Folgenden vielfach vom (Reise-)pass als Kontrollinstrument des Staates auch im Inland die Rede ist, so nicht ohne Grund. Im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts war der Pass auch ein Mittel der „inneren Sicherheit“. Heute ist er zwar hauptsächlich für die Kontrolle des internationalen Verkehrs bestimmt. Doch an die Stelle der Inlandspässe traten in Deutschland die Personalausweise, bzw. ihre historischen Vorläufer. Da es sich auch bei dem Personalausweis um ein Identifizierungsdokument und innerhalb der Europäischen Union sogar um ein Reisedokument handelt, soll im Folgenden auch immer wieder die parallele Entwicklung der Personalausweise behandelt werden.

Frühe Formen der Pässe und Praktiken der Identifikation

Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit

Im Mittelalter waren Reisen meist beschwerlich, dauerten lange und bargen zahlreiche Gefahren für den Reisenden. Auch waren die Straßen teilweise in schlechtem Zustand. Etwa seit dem 9. Jahrhundert wurden die ehemals römischen Straßen nicht mehr unter staatlicher Aufsicht gepflegt, nur gelegentlich wurden sie ausgebessert oder neue angelegt. Erst ab dem 12. Jahrhundert begannen die Fürsten und Könige wieder verstärkt mit dem Unterhalt der Straßen. Dennoch reisten viele Menschen im Mittelalter: Könige durchquerten ihr Reich, Kaufleute und Boten reisten zwischen den Städten, Handwerker und Künstler zogen auf der Suche nach Arbeit durch die Lande. Auch Pilger, Bettler und Räuber bevölkerten die mittelalterlichen Straßen. Mit zunehmender Zahl der Reisenden entstanden Gasthäuser und Hospitäler, zunächst an besonders verkehrsreichen Pässen und Flussübergängen. Neue Brücken und Fähren ergänzten ab dem 12. Jahrhundert zunehmend die Straßen und erleichterten das Reisen in Mitteleuropa.6

Die erste Verordnung zur Reisekontrolle im mittelalterlichen Europa war der Befehl des langobardischen Königs Ratchis von 746, der es jedem Reisenden verbot, das Königreich ohne die schriftliche Genehmigung des Königs zu verlassen. Inwieweit diese Verordnung praktisch umgesetzt werden konnte, ist jedoch fraglich, wenn überhaupt fanden entsprechende Kontrollen wahrscheinlich nur entlang wichtiger Straßen statt.

Eine besondere Reiseerleichterung für königliche Boten stellten ab dem 9. Jahrhundert die sogenannten „tractoria“ dar. Diese Dokumente verpflichteten alle Amtsleute des fränkischen Reiches, dem Boten eine Unterkunft zu stellen und ihm eine sichere Passage zu ermöglichen.

Als weiteren Schutz für die Reisenden entstand im Hochmittelalter das Geleit. Das Geleit war ein spezieller Rechtsfriede, der seinen Inhaber unter den Schutz eines Territorialfürsten stellte. Das Geleit konnte schriftlich (durch einen mitzuführenden Geleitbrief) oder lebendig (durch einen einzelnen Geleitknecht oder ganze Geleitmannschaften) wahrgenommen werden. Manche Reisende, wie Fürsten, aber auch Gesandte und Pilger hatten ein Recht auf freies Geleit. Kaufleute mussten jedoch für ihr Geleit bezahlen und waren zudem meist gezwungen, im Rahmen des Geleits die Zollstellen der Fürsten zu passieren.7

Im Zusammenhang mit der Geschichte der Pässe und Ausweise ist der Geleitbrief von besonderem Interesse. Denn der Geleitbrief war bereits eine Bescheinigung über die Person und enthielt den Verweis auf eine zwar abwesende, jedoch in Text und Siegel präsente Autorität, die den Träger des Dokuments mit besonderem Schutz ausgestattet hatte. Wie heutige Ausweise hatte der Geleitbrief auch eine beschränkte Gültigkeit. Diese konnte von mehreren Tagen bis zu einigen Jahren reichen. Die Gebühren für den Geleitbrief waren entweder bei der Ausstellung oder aber jährlich zu entrichten. Ein wichtiger Unterschied zu späteren Identifizierungsdokumenten ist jedoch festzustellen: Der Geleitbrief wurde durch die aufgeprägten Siegel und Zeichen echt und damit wirksam. Diese waren weitaus wichtiger als der Text des Dokuments, seine Träger wurden meist nicht einmal mit Namen genannt.

Manche Reisende trugen auch königliche Empfehlungsschreiben, welche ihnen freie Passage und den Schutz vor den Kontrollen der Grenzwachen gewährleisten sollten. Die Träger solcher wertvollen Dokumente waren meist adelige Reisende, die als Gesandte oder Spione (oder häufig auch beides gleichzeitig) im Auftrag ihres Herrschers durch Europa reisten. Boten und Pilger waren meist durch ihre Kleidung oder spezielle Abzeichen als solche zu identifizieren. Soldaten waren hingegen meist in geschlossen Gruppen unterwegs. Reiste ein Soldat alleine, etwa wenn er nach Kriegsende entlassen worden war, so war es nötig, ihn zu identifizieren, um ihn von Deserteuren zu unterscheiden. Daher hatte der französische König Ludwig XI 1462 alle entlassenen Soldaten verpflichtet, einen von ihren Offizieren ausgestellten Ausweis mitzuführen. Diese Entwicklung stellt einen grundlegenden Wandel dar: Waren zuvor Empfehlungsschreiben und Geleitbriefe teure Privilegien gewesen, so wurde nun erstmals ein Ausweis für eine ganze Gruppe von Menschen zur Pflicht. Diese Entwicklung setzte sich weiter fort, so dass bis Anfang des 16. Jahrhunderts immer weitere Gruppen verpflichtet waren, Dokumente zu ihrer Identifizierung zu tragen. So wurde von Kaufleuten und privaten Reisenden verlangt, ein Dokument ihrer Stadt mitzuführen, das ihren Namen nannte und dem Reisenden Rechtschaffenheit attestierte. Auch Pilger waren oft verpflichtet, einen Ausweis mitzuführen. Dieser wurden ihnen von ihrem lokalen Pfarrer oder Bischof ausgestellt.8

Welche Ausmaße dies annehmen konnte, zeigt beispielsweise der Bericht des Reisenden Anselme Adorno aus dem Jahr 1470, der drei separate Geleitbriefe benötigte, nur um von Köln nach Aachen zu reisen.9

Trotz des solcherart bereits aufgeblähten Ausweiswesens kann von einer vollständigen Erfassung aller Personen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit keine Rede sein. Denn die vormodernen Ausweise bescheinigten dem Träger stets, eine berechtigte Ausnahme zu sein. Diese Dokumente legitimierten, so Valentin Groebner, das „Nicht-am-Platz-sein“ einer Person. Eine permanente Zugehörigkeit schrieben sie jedoch, anders als moderne Ausweisdokumente, nicht fest.

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