Meine Treue schwöre ich dem König des Winters, meine Fähigkeiten unterwerfe ich seiner Krone.
Dieser eine Satz hatte mein Leben verändert. Lautlos kamen mir die Worte über die Lippen, während ich mit den Fingern durch mein helles Haar fuhr, das nicht einmal mehr bis zu meinen Schultern reichte. Der Kampf vor vier Tagen … Ich hatte mich selbst verbrannt. Meine Haut, mein Haar, meine Seele.
Dennoch stand ich nun vor dem Spiegel in Graus gewaltigem Schlafgemach. Unversehrt – aber auch verändert. Meine Haut war noch immer von einem goldunterlegten Braunton, die Haare dagegen nun von einem kupferdurchzogenen Blond. Meine Augen leuchteten in einem irisierenden Grün, das mich ganz und gar gefangen nahm. Wie ein Fenster zum Innersten meiner Aura, die in genau jener Farbe schillerte.
Zaghaft ließ ich meinen Blick an mir hinabgleiten. Was ich entdeckte, ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken rinnen.
Eine tiefrote Narbe zog sich über meine Kehle. Von einer Seite zur anderen. Zaghaft legte ich die Fingerkuppen daran, befühlte die Erhebung, die unbestreitbare Echtheit.
Ich war gestorben. Und wieder auferstanden.
Mit zitternden Lippen senkte ich den Kopf, hob den Arm, zog den Ärmel zurück. Statt der tiefschwarzen Schneeflocke, die ich mir einst bei einem Kampf gegen Estre verdient hatte, prangte dort eine verschnörkelte, nicht weniger auffällige schwarze Sonne. Doch diese war nicht irgendein Symbol.
Ein Widerhall ging durch meinen Körper, als ich den Ärmel wieder nach unten schob.
Ich war eines der sechzig Gallyx-Wesen. Vier davon hatte man tot geglaubt, doch drei dieser eigentlich vergangenen Symbole waren geraubt worden. Mit ihrer Hilfe hatte man die Energien uralter Elemente zu Lebewesen geformt und erweckt. Eine dieser drei Kreaturen war ganz und gar vom Feuer erfüllt, und genau jenes wohnte in mir.
Mit zusammengepressten Lippen starrte ich auf meine erhobene Hand. Mir gelang es nicht, die Flammen anzurufen. Dabei war der Grund nicht die Schwäche, die mir noch in den Gliedern steckte nach diesem verheerenden Kampf, sondern die Angst. Angst vor dem, was in mir war.
Angst vor dem, was ich nun in der Lage wäre zu beschwören.
Keuchend wandte ich mich herum, tat ein paar Schritte durch den Raum. Ich war allein. Vage erinnerte ich mich noch an die Stimmen meiner Freunde und die von Grau. Gemeinsam hatten sie über mich gewacht, während ich geschlafen hatte. Tagelang. Die Rückkehr in diese Welt nach meinem Tod hatte mich viel Kraft gekostet. Wieder und wieder hatte ich mich von einer Seite des Bettes auf die andere gewälzt, unfähig, ein vernünftiges Wort zu sprechen. Naesh hatte mir leise Geschichten über die große Winterkönigin erzählt, der Schöpferin der Gallyx-Symbole. Sazel hatte immer wieder die kunstvoll gegossenen Kerzen auf dem Nachtkasten für mich entzündet und ihre Flammen tanzende Schatten über mein Gesicht werfen lassen, während Grau neben mir gesessen und meine Hand ergriffen hatte. Selten einmal hatte er meine Wange berührt, so sanft, dass ich zunächst geglaubt hatte, ein Windhauch würde mich streicheln.
Mein Herz klopfte heftig, als ich den Blick zur Tür schweifen ließ. Ich musste zu ihnen. Musste sie sehen. Jetzt sofort.
Voller Eile hastete ich in den Flur; weit kam ich allerdings nicht, denn prompt stellte sich mir ein fremder Krieger in den Weg. Rötliches Haar fiel ihm in die gerunzelte Stirn, die blauen Augen wirkten hart und unnachgiebig, die rechte Hand glitt bereits zum Griff seines Schwertes.
»Halt!«, zischte er mit tiefer Stimme.
»Wer seid Ihr denn?«
»Filder«, antwortete er. »Eure Wache.«
Das erstaunte mich. »Ich habe eine Wache? Seit wann denn das?«
»Seit Ihr nach Obsydian zurückgekehrt seid. Eure Hoheit hat mich beauftragt, nicht von dieser Tür zu weichen und Euch mit meinem Leben zu beschützen.«
»Ich will zu ihm.« Mein Puls stieg abermals an. »Wo ist er?«
Filder zögerte, richtete sich endlich wieder auf. »In einer wichtigen Besprechung. Seid Ihr denn sicher, dass Ihr wohlauf seid? Ihr wirkt sehr … angeschlagen, wenn ich das so sagen darf.«
Unverhohlen wanderte sein Blick zu meinem Hals. Mühevoll widerstand ich dem Drang, die Fäuste zu ballen. Mir schwindelte es. Mit einer schnellen Bewegung riss ich eines der schmückenden schwarzen Bänder meines Gewandes ab und band es mir um den Hals.
»Ist es so ein wenig besser?«, fragte ich grimmig.
Filder sagte nichts. Es wirkte, als bisse er sich gerade auf die Zunge.
»Los jetzt, bringt mich zum König«, forderte ich.
Tatsächlich neigte er daraufhin ergeben das Haupt und setzte sich in Bewegung. Ich folgte ihm durch die Korridore Wallhalls, dem prunkvollen Quartier des Königs und seiner Elite. Es dauerte nicht lang, bis wir im nicht weniger beeindruckenden Palast angekommen waren, dem Herzstück der Hauptstadt des Winterreiches, Obsydian.
Weitere Wachen kreuzten unseren Weg. Jede einzelne von ihnen stierte mich voller Unglauben an, manche blieben sogar stehen, froren regelrecht fest und hielten den Atem an. Kalter Schweiß sammelte sich auf meinen Handflächen. Kaum hatten wir die große Pforte des Ratssaals erreicht, die der des Thronsaals erstaunlich ähnelte, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ein seltsamer Stoß ging durch mich hindurch, genauer gesagt durch meine Aura.
Da war etwas. Hinter dieser Pforte. Es rief nach mir.
Die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren, ganz ohne Zutun von Filder, der einfach davor stehen geblieben war. Er trat zur Seite und offenbarte mir einen gewaltigen Raum, der von bodentiefen Bogenfenstern gesäumt war. Dunkelblaue Fliesen, erfüllt von der Reflexion riesiger Kronleuchter, wiesen mir den Weg zu einem großen, elliptisch geformten Tisch. Ich zählte sieben Leute, die um ihn herum saßen, wobei eine Person gerade in die Höhe schoss.
»Eure Majestät, die … die … Sommerprinzessin«, kündigte Filder mich stockend an.
Sommerprinzessin. So hatte man mich einst gerufen. Und heute? Wer war ich nun? Die Seele des Feuers? Die Geliebte des Winterkönigs? War ich überhaupt noch so etwas für ihn? Eine Geliebte, eine Freundin?
»Ciara.« Graus Stimme klang heiser.
Ich betrachtete die kreidebleichen Gesichter der anderen. »Was glotzt ihr alle so? Stimmt etwas nicht mit meinen Haaren?«
Keine Antwort. Dann sah ich ein schwaches Grinsen auf Sazels Gesicht. Meine Aufmerksamkeit richtete sich alsbald auf Grau, der den Tisch umrundete. Mein Winterkönig. Silberaugen unter schneeweißem Haar. Der mit einem onyxschwarzen Stein besetzte Handschuh, der die Krone des Winterreiches symbolisierte. Hinter all dem strahlte eine Aura, so kalt und machtvoll, dass ich früher einmal zu Boden gegangen wäre, hätte ich sie in dieser nahezu ungezügelten Form zu spüren bekommen.
Heute war es anders. Mein Feuer loderte stark, meine Magie vermochte sich mit der eines Königs zu messen. Wenn nicht gar dagegen zu gewinnen.
Kurze, dunkle Erinnerungen stiegen in mir auf. Der Kampf … Ich konnte von Glück sagen, Grau nicht schwer verletzt zu haben. Mithilfe meines Feuers hätte ich es gekonnt, denn er war weitaus anfälliger dafür als normalen Flammen gegenüber.
Die perfekte Waffe gegen den Winterkönig – genau das sollte ich sein. Genau für diesen Zweck war ich erschaffen worden. Um ihn zu vernichten.
»Du bist wach«, vernahm ich seine gesenkte Stimme.
Vorsichtig hob ich den Kopf. Er stand vor mir, blickte auf mich herab. »Und ihr heckt gerade etwas aus«, stellte ich fest. »Nicht wahr?«
»Das kommt darauf an, wen du fragst.«
Ein schwaches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich Kazra entdeckte, der trotz der gefesselten Hände in seinem Stuhl lümmelte wie der Prinz, der er tatsächlich war.
»Seit gestern führen wir … Verhandlungen«, kam es von Naesh, der die Freude deutlich ins Gesicht geschrieben stand, während sie mich betrachtete. »Es geht um die Dämonen.«
»Kazra hat uns bereits aufgeklärt, wer ihnen die Befehle erteilt hat und was deren Absichten sind«, führte Azaldir genauer aus.
»Ebenso über ihre Vergangenheit, ihre wahre Herkunft.«
Mein Herz tat einen kleinen Sprung, als ich der Sprecherin des letzten Satzes in die grünen Augen sah. Es war Aïrael. Ein sanftes Schmunzeln zierte ihr wunderschönes Gesicht. Die spitzen Ohren der Fae waren dank eines hohen Zopfes gut zu sehen. Ihre hellbraunen Siegelmale zogen sich über die glatte Haut bis hinab zu ihrem Hals, wo sie unter dem Kragen ihrer Robe verschwanden.
Wäre sie nicht gewesen, stünde ich vielleicht gar nicht mehr hier …
»Und?« Mein Blick richtete sich wieder auf Grau. »Was sagst du?«
Anstatt mir eine Antwort zu geben, umfasste er mein Gesicht, schloss die Augen und lehnte seine Stirn an meine.
Du weißt nicht, wie sehr ich dich vermisst habe.
Verblüfft rang ich nach Luft. Du sprichst in meinem Kopf?
Einer der Vorzüge unserer neuen Verbindung.
Er musste von meinem Gallyx-Symbol sprechen.
Kazra hat mir davon erzählt. Dass du und zwei andere Seelen erschaffen worden sind und eine Gestalt erhalten habt mithilfe der Symbole.
Ich schluckte. Wusstest du davon? Dass sie noch existieren?
Er löste sich von mir, strich sachte mit den Daumen über meine Wangen. Ja. Allerdings war ihre Macht gebunden an jene Wesen, denen sie einst verliehen worden sind. Ich sah in ihnen keine Gefahr. Sie sind von den Weisen des Winterreiches an einem ganz besonderen Ort verwahrt worden. Da sie jedoch für bedeutungslos gehalten worden sind, fiel ihr Diebstahl auch niemandem auf.
Nickend presste ich meine Lippen zusammen. Womöglich war dies Kazras Werk gewesen. Er als Graus Bruder und meisterhafter Illusionist war in der Lage, sich unbemerkt im Winterreich zu bewegen. Womöglich hatte er sogar eine Illusion an dem Aufbewahrungsort der Symbole hinterlassen, um keinen Verdacht zu erregen.
Ändert es etwas für dich? Was ich nun bin? Ich traute mich kaum, diese Frage auszusprechen.
»Was auch immer gerade bei euch vorgeht – verschiebt es auf später«, fuhr Sazels Stimme dazwischen.
Ich warf ihm einen gereizten Blick zu, ließ mich dann von Grau zu einem freien Stuhl geleiten. Verunsicherung zog ihre brennenden Kreise durch meinen Bauch. Er hatte mir keine Antwort gegeben.
»Ich halte Aïrael für vertrauenswürdig. Sollte sie Zuflucht in meinem Reich suchen, so gewähre ich sie ihr selbstverständlich. Sollte sie dagegen den Wunsch hegen, Arkasia zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren, werde ich mich auch in diesen Belangen für sie einsetzen«, erklärte Grau. »Was ihn allerdings betrifft«, er sah hinüber zu Kazra, der eine gelangweilte Miene aufgesetzt hatte, »bin ich mir nicht so sicher.«
Meine Brauen zuckten. »Aber wieso? Hat er dir nicht alles erzählt? Wie er Aïrael und mich gerettet hat?«
»Wer sagt, dass all dies nicht Teil eines gut ausgefeilten Plans ist? Warum sollte er zu mir kommen und mich darum bitten, ihm Asyl zu gewähren und seinen Worten Gehör zu schenken? Ist es ein Zeichen von Läuterung? Das bezweifle ich. Er kann nach wie vor einer jener Dämonen sein, die dem Heerführer und der Königin der Knochen treu ergeben sind.«
Schlagartig lehnte ich mich nach vorn. »Dämon? Du hast es ihm noch nicht gesagt?«, fuhr ich Kazra an.
Der schielte kurz zu seinem Bruder, dann schaute er mich an. Zuckte mit den Schultern. »Nein, bisher hatte ich nicht das Bedürfnis danach.«
Stöhnend rollte ich mit den Augen. »Bei der ewigen Sonne, Kazra!«
»Was meint ihr?« Grau sah zwischen uns hin und her.
»Sag es ihm!«, forderte ich.
Kazra seufzte und hob die gefesselten Hände, um sich über das Gesicht zu reiben. »Nicht so stürmisch, Wölfin, ich habe gerade höllische Kopfschmerzen. Seit zwei Tagen durfte ich keinen Traum mehr lesen, allmählich macht mich das ganz mürbe.«
»Nehmt ihm die Fesseln ab.«
Estre, die direkt neben Kazra saß, starrte mich ungläubig an. »Ganz sicher nicht.«
Ich ignorierte sie und widmete mich weiterhin dem Traumweber. »Wenn du es ihm nicht sagst, werde ich es tun.«
Er lächelte schwach. Seine blauen Augen blitzten raubtierhaft. Da war sie wieder, die Unberechenbarkeit, die ihn so gefährlich machte. »Gerade erst erwacht und schon auf Streit aus? Das wird noch amüsant, glaube ich.«
Wütend kniff ich die Lippen zusammen. »Ihr hättet auf mich warten sollen. Ohne mein Beisein mit ihm zu sprechen, hat keinen Zweck. Er reitet sich nur selbst in den Untergang. Ihr dürft ihm das nicht übel nehmen, das ist seine Art.«
»Hm, was für ein Glück, dass eine formvollendete Diplomatin wie du bereit ist, ihre Hand für mich ins Feuer zu legen.« Jedes Wort glich einem verheißungsvollen Raunen.
»Genug«, sprach Grau eine leise Warnung aus.
Ein letztes Mal versuchte ich, Kazra mit Blicken zu durchbohren, ihn stumm anzuflehen, er möge die folgenden Worte selbst aussprechen. Doch er tat es nicht. Also blieb es an mir.
»Kazra ist dein Bruder, Grau. Dein Zwillingsbruder.«
Auf einmal wurde es in der Halle totenstill. Nicht einmal einen Atemzug vermochte ich noch zu vernehmen. Unbeirrt sprach ich weiter.
»Er wurde einst von der Königin der Knochen und dem Heerführer der Dämonen nach Under geholt. Sie haben ihn großgezogen und ihn und seine Fähigkeiten benutzt, um meine Schwestern und mich zu erschaffen. Er ist gekommen, weil ich ihn überredet habe. Meine Flucht gelang allein wegen ihm, denn er hat bereits seit meiner Erschaffung dort unten ein doppeltes Spiel gespielt. Er ist kein Anhänger der Königin, glaub mir. Er will einen anderen Weg finden, um den Dämonen von Under eine neue Heimat zu geben. Ohne Krieg und Gewalt. Darum sitzt er heute hier. Er spricht in ihrem Namen und bittet für sie um Hilfe. Deine Hilfe.«
Es kostete mich Mühe, in Graus Gesicht zu sehen. Doch mit dem, was ich dort fand, hatte ich nicht gerechnet: Es war nichts als blankes Entsetzen. Seine geweiteten Winteraugen starrten hinüber zu Kazra, dessen dunkler Blick nichts von den Emotionen preisgab, die ihn gerade beherrschten.
Sazel stand der Mund offen, Estre schienen die Augen fast aus den Höhlen zu fallen, Naesh war zu einer stocksteifen Statue erstarrt und Azaldir schüttelte langsam den Kopf. Nur Aïrael war ruhig geblieben und wartete ab.
»Ich habe keinen Zwillingsbruder«, war das Erste, was Grau von sich gab. Noch immer zeigte er keinerlei Regung.
»Du hattest keine Ahnung, dass es mich gibt«, entgegnete Kazra. »Warum auch? Du hattest dein nettes Leben hier in Obsydian. Deine warmen Kleider, deine Diener, deine dich liebenden Eltern.« Ein grausamer Ausdruck eroberte sein Gesicht, abgerundet von einem freudlosen Schmunzeln. »Du warst ein kleiner wohlbehüteter Prinz, dem womöglich jeden Abend eine nette Gutenachtgeschichte erzählt wurde, ehe du friedlich in deinem Bett eingeschlummert bist und von Schneedrachen und Eisleoparden geträumt hast. Jemand wie ich war viel zu unbedeutend, zu glanzlos für eine kleine Hoheit wie dich. Ein schmuddeliger Junge, der jede Nacht neben dem Kamin geschlafen und von verbeulten Zinntellern gespeist hat. Das Wissen um meine Existenz hatte keinerlei Vorteile für dich, also wurde sie schlichtweg verschwiegen. Doch von wem? Glaubst du, alle außer dir wären eingeweiht gewesen? Oh nein, lieber Bruder, die Anzahl der Menschen, die von uns beiden wusste, ließ sich damals an einer Hand abzählen. Die, die das Lügengeflecht so verzweifelt aufrechterhielt, war unsere Mutter. Die edle Winterkönigin. Die gerechte, liebende Dame, wie man sie früher nannte. Sie hat dir die Schmach eines abtrünnig gewordenen Bruders erspart, wie ich glaube. Bevor du fragst: Ja, ich bin mir mehr als sicher, dass sie um meine Reise nach Under Bescheid wusste. Aber ich schätze, sie hatte nicht mehr genug Kraft, um dem etwas entgegenzusetzen. Vielleicht hat es sie auch nicht gekümmert. Möglicherweise war es ihr sogar recht. Ich weiß es nicht.«
Jeder einzelne dieser Sätze hatte mir mehr und mehr das Herz gebrochen. Wie konnte Kazra so etwas sagen? Seine Mutter hatte ihn geliebt, zweifellos.
Es schepperte. Grau stand auf. Obwohl ich zunächst damit rechnete, er würde Kazra mit Worten des Hasses bewerfen, tat ich nichts. Stattdessen sah ich einen Wimpernschlag später dabei zu, wie er mithilfe schwarzer Nebel aus dem Saal verschwand.
Kazra, der sich während seiner bösartigen Ansprache ein Stück aufgerichtet hatte, sank wieder in den Stuhl zurück, gab sich so gelangweilt wie zuvor. Allerdings spürte ich das Wogen seiner Aura, was mir wiederum verriet, dass ihn Graus Reaktion nicht kaltgelassen hatte.
»Idiot«, war das Erste, was ich zu ihm sagte.
Erstaunt zog er eine Braue nach oben. »Wie hätte ich ahnen sollen, dass er ein solch empfindliches Seelchen ist?«
»Es gibt Tausende Arten, sich seinem Bruder das erste Mal vorzustellen. Tausende! Und du wählst diese? Am liebsten würde ich dir die Augenbrauen dafür abfackeln, aber ich kann nicht!«, donnerte ich und fuhr nach oben. Dann wandte ich mich an die anderen. »Diese verdammte Durch-den-Raum-Dringerei geht mir auch auf den Geist! Wohin, bei allen Sternen, ist er verschwunden?«
»In den Thronsaal«, kam es kleinlaut von Sazel.
Kazra schnaubte. Es klang belustigt. Blitzschnell hatte ich den Tisch umrundet und ihm meine Hand über den Hinterkopf gezogen. Dann machte ich mich an seinen Fesseln zu schaffen. »So, und jetzt kümmere dich um deine Magie. Vielleicht bist du ja weniger garstig, wenn du einen Traum gelesen hast.«
Es dauerte keine zwei Sekunden, da leuchteten zwei hellblaue Zeichen auf seinen Handrücken auf. Symbole des Traumwebers. Kurz danach fiel Filder einfach in sich zusammen. Kazra atmete hörbar durch.
»Ja, das war nicht schlecht«, meinte er.
Ich rollte mit den Augen. »Musstest du ihn dafür wirklich seines Bewusstseins berauben?«
»Nein, aber es war lustig. Außerdem war es vermutlich vonnöten, seine Erinnerungen zu löschen. Wer weiß, ob der Junge nicht geplaudert hätte. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie mein Bruder weiter vorgehen will. Ob ich ihm ein Dorn im Auge bin, ein Übel, das er lieber vor seinem Volk geheim zu halten wünscht?«
»Du«, ich deutete auf den Traumweber, »reißt dich jetzt gefälligst zusammen. Ich werde mal wieder versuchen, deinen Hintern zu retten. Gib dir bitte Mühe, dich in der Zwischenzeit nicht umbringen zu lassen. Die Kraft der Wiedererweckung mag vielleicht Karulath gewährt worden sein, ich kann deine Überreste allerhöchstens zu einem Häufchen Asche verbrennen.«
Kazras Mundwinkel zuckte. »Ist ja gut, geh zu deinem traurigen König. Ich versuche, mir Mühe zu geben.«
Mit diesen Worten begab ich mich aus dem Saal, kam jedoch nicht umhin, die letzten Worte des Prinzen zu hören, die mich innerlich die Fäuste ballen ließen.
»Vielleicht sollten wir die uns zuteilgewordene Zeit der Besinnung sinnvoll nutzen. Wie wäre es mit einer kleinen Vorstellungsrunde? Du da, Einfaltspinsel mit den roten Brauen, wer warst du noch gleich?«