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Alexander Klose, Doris Liebscher

Antidiskriminierungspolitik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft

Stand, Defizite, Empfehlungen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
Verantwortlich: Dr. Orkan Kösemen
Lektorat: Heike Herrberg
Herstellung: Christiane Raffel
Umschlaggestaltung: Elisabeth Menke
Umschlagabbildung: instamatics/iStockphoto.com
ISBN 978-3-86793-716-0 (Print)
ISBN 978-3-86793-722-1 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Vorwort

Zusammenfassung

1 Diskriminierungsrealitäten in der Einwanderungsgesellschaft

1.1 Relevante Diskriminierungskategorien

1.2 Diskriminierungsrelevante Lebensbereiche

2 Von Diskriminierung zu Inklusion

2.1 Exklusionsbereiche und Wirkebenen von Diskriminierung

2.2 Teilhabegerechtigkeit und Inklusion

3 Das geltende Antidiskriminierungsrecht

3.1 Die Diskriminierungsverbote des Völkerrechts und des Grundgesetzes

3.2 Das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union

3.3 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

4 Erfahrungen mit Antidiskriminierungspolitik

4.1 Erfahrungen in Deutschland

4.2 Von anderen lernen: Erfahrungen in Europa und Nordamerika

5 Reformbedarfe und Handlungsempfehlungen

5.1 Reformen und Empfehlungen: Europäisches Recht

5.2 Reformen und Empfehlungen: Bundesrecht

5.3 Reformen und Empfehlungen: Landesrecht

5.4 Reformen und Empfehlungen: Wirtschaft

5.5 Reformen und Empfehlungen: Verwaltung und Justiz

5.6 Reformen und Empfehlungen: Kosten und Nutzen

Literatur

Der Autor und die Autorin

Abstract

Vorwort

Ein Einwanderungsland braucht eine aktive Antidiskriminierungspolitik

Im Frühjahr 2015 machte eine Meldung Schlagzeilen: Deutschland sei endlich in die Top Ten der Länder aufgerückt, die sich durch gute Integrationspolitiken auszeichnen. Der Migration Policy Index (MIPEX) 2015 eines Brüsseler Thinktanks stellte dem Land, das lange Zeit ein »Einwanderungsland wider Willen« war, beim Politikvergleich von 38 Staaten in Europa, Nordamerika und Südostasien dieses gute Zeugnis aus.

Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren hierzulande vieles geändert. Der Anwerbestopp, längst mit vielen Ausnahmen durchlöchert, wurde durch die Einführung der »Blauen Karte« und die Änderung der Beschäftigungsverordnung endgültig zu Grabe getragen. Und inzwischen hat sich Deutschland nicht nur für qualifizierte Arbeitsmigranten geöffnet, sondern lässt sich auch stärker auf die humanitäre Zuwanderung ein und schiebt den schwarzen Peter der Flüchtlingsaufnahme nicht mehr den Grenzstaaten der EU im Süden und im Osten zu: Flüchtlinge werden willkommen geheißen – nicht von allen und jedem, aber doch von der Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Spitze.

Das Wort »Willkommenskultur« erlebt hier freilich nicht erst seit den massiv gestiegenen Asylbewerberzahlen in den letzten beiden Jahren eine Konjunktur. Ursprünglich ging es dabei um die erfolgreiche Gestaltung des Zusammenlebens der autochthonen Bevölkerung und den Einwanderern der vergangenen fünf Jahrzehnte. Anschließend wurde der Begriff ein Synonym für die Bestrebungen, das Land attraktiver für ausländische Fachkräfte zu machen. Derzeit steht Willkommenskultur für die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen aus den Krisenregionen des mittleren Ostens und dem Kaukasus sowie für die gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen, die Situation zügig, unkompliziert und menschlich zu bewältigen

Doch Willkommenskultur ist noch mehr als das. Sie sollte auch auf Strukturen (Ausländerämter, Migrationsdienste, Welcome Center) und Prozesse (Anerkennung, Unterstützung, Umgang) wirken, sodass diese Kultur nicht nur eine abstrakte Haltung des Mitgefühls oder der Barmherzigkeit darstellt, sondern – für jede Migrantin und jeden Migranten in Deutschland nachvollziehbar und spürbar – vor sichtbarer oder verdeckter Ungleichbehandlung bewahrt.

Denn Willkommenskultur bedeutet eben nicht nur, Fremden Schutz. B.w. Arbeitsmöglichkeiten im Land zu bieten, sondern sie zielt auf umfassende Integration und Teilhabe und will Einwanderern, seien es bleibeberechtigte Flüchtlinge oder aber Arbeitsmigranten im Rahmen der EU-Binnenmobilität oder aus Drittstaaten, einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft ermöglichen. Nur so können langfristig soziale Spannungen und Entfremdungstendenzen in der Gesamtbevölkerung verhindert werden. Das erfolgreiche Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft bedeutet, nicht nur die funktionale Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt sicherzustellen oder den Zugang zu Sprache und Bildung zu ermöglichen, sondern auch die Rechte jedes Einzelnen zu schützen, die aufgrund von Vorurteilen oder Unwissenheit gefährdet sein könnten. Die Einhaltung dieser Rechte kommt langfristig der gesamten Bevölkerung zugute: Sie ermöglicht erst, dass aus Migranten, ausländischen Fachkräften oder Flüchtlingen selbstbewusste Staatsbürger werden, die die gemeinsamen Werte von Pluralität, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit im Kleinen wie im Großen verteidigen.

Deshalb braucht ein Einwanderungsland eine starke Antidiskriminierungspolitik. Bisher wird diese Politik in Deutschland aber eher vernachlässigt. Zwar gibt es bereits rechtliche und soziale Errungenschaften in der Gleichstellung von Frauen, von behinderten Personen sowie von Schwulen und Lesben; aber im Kontext der Einwanderungsgesellschaft – also bei den Merkmalen »Ethnie« und »Religion« –galt Antidiskriminierungspolitik in der Öffentlichkeit lange als ungerechtfertigte Sonderbehandlung einer Gruppe. Die eher zögerliche Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) aufgrund der Umsetzung von EU-Richtlinien hat die Wahrnehmung hierzulande bisher nicht verändert. Dies ist auf die reaktive Ausgestaltung der deutschen Antidiskriminierungspolitik und ihrer Behörden sowie den Mangel an aktiver Fürsprache seitens der Politik zurückzuführen.

Der Migrant Integration Policy Index 2015 kommt denn auch zu einer ernüchternden Einschätzung: Nimmt Deutschland in der MIPEX-Gesamtbewertung hinsichtlich seiner Integrationspolitiken noch den guten zehnten Platz ein, landet seine Antidiskriminierungspolitik nur auf Rang 22. Offensichtlich herrscht hier im Gegensatz zu den klassischen Einwanderungsländern noch Nachholbedarf.

Daher hat die Bertelsmann Stiftung die vorliegende Studie in Auftrag gegeben. Neben einem vertiefenden Situationsbericht werden internationale Praxisunterschiede herausgearbeitet, um explizite Handlungsempfehlungen zu einer Verbesserung der deutschen Antidiskriminierungspolitik geben zu können. Dazu gehören die rechtliche und finanzielle Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und ihrer Kompetenzen. Dies wäre ein Paradigmenwechsel beim Verständnis von Antidiskriminierungspolitik: nicht mehr reaktiv und beobachtend sowie mit einem Fokus auf individuelle Entschädigung bei Diskriminierungsfällen zwischen Privatpersonen, sondern hin zu einer proaktiven Politik, die struktureller Diskriminierung – auch und besonders von staatlichen Stellen gegenüber Einzelpersonen – vorbeugen und diese ahnden soll.

Die Bertelsmann Stiftung dankt Alexander Klose und Doris Liebscher, die diese Studie verfasst haben, für ihre Arbeit. Sie wird dazu beitragen, dass die Antidiskriminierungspolitik in der öffentlichen Wahrnehmung den Stellenwert erhält, der ihr im Rahmen einer neuen deutschen Willkommenskultur zusteht und der ein selbstbewusstes Einwanderungsland auszeichnet.

Ulrich KoberDr. Orkan Kösemen
DirectorProject Manager
Programm »Integration und Bildung«Bertelsmann Stiftung
Bertelsmann Stiftung

Zusammenfassung

Es existieren Anhaltspunkte für Diskriminierung in allen relevanten Lebensbereichen (Bildung, Arbeit, Wohnen, Justiz und Polizei) in Deutschland. Die deutsche Antidiskriminierungspolitik weist jedoch Schutzlücken auf: Nicht in allen Lebensbereichen wird durchgängig und für alle Diskriminierungskategorien Schutz gewährt. Zudem vermag die weitverbreitete Terminologie »Menschen mit Migrationshintergrund« den Umfang rassistischer Diskriminierung nur unzureichend darzustellen – so sind z. B. westliche Migrant_innen weniger von Diskriminierung betroffen, Afrodeutsche, Jüdinnen und Juden sowie viele Sinti und Roma entsprechen hingegen nicht der Definition von Migrationshintergrund – und sie stimmt auch nicht mit den Kategorien des internationalen, europäischen und deutschen Antidiskriminierungsrechts überein.

Das deutsche Antidiskriminierungsrecht ist nicht so konzipiert, dass es strukturelle oder in der Breite existierende Diskriminierung verhindern oder abschaffen soll. Es zielt vielmehr darauf ab, dass Betroffene von der diskriminierenden Person oder Institution Unterlassung oder Entschädigung auf dem individuellen Klageweg verlangen. Entsprechend sind deutsches Antidiskriminierungsrecht und die deutsche Antidiskriminierungspolitik durchgehend reaktiv (und nicht proaktiv) ausgestaltet, beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Privatpersonen (nicht zwischen Einzelpersonen und staatlichen Stellen, es sei denn als Arbeitgeber), sind nur auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt und sehen keine institutionelle Rechtsdurchsetzung (durch Verbände o. Ä.) vor.

Dies spiegelt nicht nur die öffentliche Wahrnehmung von Antidiskriminierungspolitik als eher überflüssiges Minderheitenprivileg statt gesamtgesellschaftlicher Aufgabe wider, sondern ist auch begründet in der Genese des deutschen Antidiskriminierungsrechts: Sie beruht auf verschiedenen internationalen Abkommen und europäischen Vorgaben und ist Ausdruck der (widerwilligen) Umsetzung verschiedener europäischer Richtlinien, die in ihrer Gesamtheit zu einer Art Flickenteppich im Diskriminierungsschutz geführt haben. Eine europäische Gleichbehandlungsrichtlinie zu verabschieden, die die bestehenden Schutzlücken schließen würde, lehnt die deutsche Regierung bislang ab. Zudem sind deutsche Richter_innen zum großen Teil zurückhaltend bis konservativ im Umgang mit Diskriminierungsklagen, was auch an der äußerst geringen interkulturellen Öffnung der deutschen Justiz liegen mag.

Der Rechtsweg ist für die Betroffenen aufgrund zahlreicher Hürden schwierig. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) existieren diverse Ausnahmen und Einschränkungen, die den Diskriminierungsschutz mindern. Ein Verbandsklagerecht in Diskriminierungsfällen fehlt. Die Sanktionen bei der Feststellung von Diskriminierung sind niedrig und nicht abschreckend, die Viktimisierung und Stigmatisierung von Opfern spielt keine Rolle in der Antidiskriminierungspolitik. Staatliche (oder staatlich finanzierte) Maßnahmen beschränken sich auf die Bereitstellung von nach wie vor unzureichenden Beratungsmöglichkeiten für Betroffene und auf das Mandat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, »eine gütliche Einigung anzustreben« (§27 Abs. 2 Nr. 3 AGG). Die meisten Bundesländer haben keine Equality Bodies und es fehlt an einer flächendeckenden Struktur niedrigschwelliger, unabhängiger, nicht staatlicher, aber staatlich geförderter Beratungsstellen.

Im Unterschied zu Deutschland besitzen sowohl europäische als auch nordamerikanische Staaten große, von Migrationsbehörden unabhängige Equality Bodies in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Bildung und Polizei mit einem – im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl – weitaus umfangreicheren Haushalt und mit größeren Kompetenzen. Die Equality Bodies sind ausgestattet mit Untersuchungskompetenzen (z. B. Überprüfung von Einstellungsverfahren), Vertretungskompetenzen (z. B. in Schieds- und Gerichtsverfahren), Entscheidungskompetenzen (z. B. Anordnung positiver Maßnahmen, [Mit-] Entscheidung über Vergabe öffentlicher Aufträge), Sanktionskompetenzen (z. B. Verhängung von Bußgeldern) und Kontrollkompetenzen (z. B. Durchführung von Befragungen und von Trainings).

Hierzulande gibt es bisher keine Verpflichtung zu positiven/proaktiven Maßnahmen, um strukturelle Diskriminierungen von Menschen aus Einwanderungsfamilien, People of Color, Sinti und Roma etc. auszugleichen und deren Partizipation und Repräsentation in zentralen gesellschaftlichen Bereichen zu erhöhen. Rechtlich verankerte positive Maßnahmen im öffentlichen Dienst und entsprechende Erfahrungen mit deren Wirkungen gibt es nur in den Bereichen Gender und Behinderung. Solche Regelungen sollten auf rassistische bzw. migrationsspezifische Diskriminierung ausgeweitet werden. Wichtige Anregungen für erfolgreiche Maßnahmen liefern beispielsweise die public sector equality duty in Großbritannien und der Federal Employment Equity Act in den USA. In beiden Fällen sind Behörden und staatliche Stellen verpflichtet, erstens Equality-Daten über ihre Beschäftigten und Kund_innen zu erheben, zweitens Equality-Pläne mit konkreten Maßnahmen zu etablieren, um Ungleichbehandlungen und Unterrepräsentation abz. B.uen, und drittens ein transparentes Controlling durchzuführen.

1 Diskriminierungsrealitäten in der Einwanderungsgesellschaft

Fast zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) existiert eine Fülle von rechts- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Antidiskriminierungspolitik beschäftigen. In vielen Studien, die sich mit der deutschen Einwanderungsgesellschaft befassen, steht der Aspekt der Integration im Vordergrund – Fragen der Diskriminierung werden nur nebenbei behandelt. Während sich rechtswissenschaftliche Untersuchungen in der Regel mit der Interpretation einzelner Normtexte befassen, ohne dabei die Rechtswirklichkeit in den Blick zu nehmen, weisen sozialwissenschaftliche Studien häufig eine gewisse »Rechtsferne« auf. In jedem Fall fehlt es bisher an dem Versuch, die an verschiedenen Stellen ausgemachten Lücken und Probleme der deutschen Antidiskriminierungspolitik zu systematisieren und daraus die notwendigen Schlüsse für eine gute, zumindest bessere Politik zu ziehen.

Die vorliegende Expertise hat den Anspruch, die wesentlichen rechtsdogmatischen und rechtstatsächlichen Erkenntnisse zum Stand der deutschen Antidiskriminierungspolitik im Kontext der Diskriminierungsdimensionen Einwanderung, Rassismus und Religion so zusammenzuführen, dass sich daraus konkrete Änderungsvorschläge ableiten lassen. Ausgehend von den Diskriminierungsrealitäten in der Einwanderungsgesellschaft, die in Bezug auf Diskriminierungskategorien und Lebensbereiche nachgezeichnet werden, geht es um die verschiedenen Wirkungsweisen von Diskriminierungen und es wird aufgezeigt, wie eine inklusive Politik zu mehr Teilhabegerechtigkeit führen kann.

Genügt die deutsche Antidiskriminierungspolitik diesem Anspruch? Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst das geltende Antidiskriminierungsrecht auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene skizziert. Diesem normativen Anspruch werden die faktischen Erfahrungen gegenübergestellt, die insbesondere von Diskriminierung Betroffene mit diesem Recht gesammelt haben. Lösungsansätze für die dabei zutage tretenden Probleme lassen sich in anderen Rechtskreisen finden: in Schweden, Nordirland, Großbritannien, Kanada und den USA. Die dort identifizierten »guten Beispiele« werden abschließend auf die deutsche Rechtsordnung übertragen und münden in Reformvorschläge und Handlungsempfehlungen für die deutsche Antidiskriminierungspolitik.

1.1Relevante Diskriminierungskategorien

Zur Beschreibung der Diskriminierungsrealitäten in der deutschen Einwanderungsgesellschaft werden im politischen und juristischen Diskurs keine einheitlichen Begriffe und Kategorien verwendet.

In einem Land mit jahrhundertelanger Einwanderungsgeschichte sind Diskriminierungsrealitäten historisch spezifisch geprägt. Prägend für Deutschland waren insbesondere der deutsche Kolonialismus, der Nationalsozialismus, die Arbeitsmigration in die DDR und die Bundesrepublik, internationale politische und ökonomische Fluchtgründe, der internationale Antiterrordiskurs nach dem 11. September 2001 sowie die wirtschaftliche Krise in Süd- und Südosteuropa. Daraus ergeben sich besondere Diskriminierungsrisiken für People of Color (unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus1), Sinti und Roma (verschärft durch aufenthaltsrechtliche Status und Diskurse), Juden und Jüdinnen, Menschen aus türkischen und arabischen Einwanderungsfamilien, Muslime und Muslimas. All diese Diskriminierungsrealitäten lassen sich im Einzelfall nicht immer sauber unter die juristischen Kategorien des Antidiskriminierungsrechts subsumieren. In diesen Regelwerken verweisen die Kategorien »Rasse« (= rassistische Diskriminierung), »ethnische Herkunft« und »Religion« auf Diskriminierungsrealitäten im Kontext der Einwanderungsgesellschaft.

Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus z. B. zeichnen sich durch die Überschneidungen jeweils spezifischer rassistischer Zuschreibungen und religionsspezifischer Ressentiments und Benachteiligungen aus. Wenn im Folgenden von rassistischer Diskriminierung die Rede ist, spielt Religion oft eine prägende Rolle. Hinzu kommt die unter dem Stichwort Intersektionalität in der Sozial- und Rechtswissenschaft diskutierte Überschneidung mit anderen Diskriminierungsdimensionen. Geschlecht, Lebensalter und sozialer Status sind auch im Zusammenhang mit Menschen aus Einwanderungsfamilien oder People of Color für spezifische Lebenslagen verantwortlich. So ist die Arbeitslosenquote bei älteren Migrantinnen besonders hoch und muslimische Frauen haben ein höheres Diskriminierungsrisiko auf dem Arbeitsmarkt als muslimische Männer. Andererseits sehen sich gerade junge Migranten oft diskriminierenden Klischees, sie seien besonders aggressiv und frauenfeindlich, ausgesetzt, was dazu führt, dass sie mehr Diskriminierung im Freizeitbereich (z. B. Zugang zu Diskotheken) und im Rahmen von »Racial Profiling« durch die Polizei erfahren.

Der vom Statistischen Bundesamt und auch im Alltag verwendete Begriff »Menschen mit Migrationshintergrund«2 wird von den so bezeichneten Menschen zunehmend als stigmatisierend empfunden, weil damit mittlerweile vor allem (muslimische) »Problemgruppen« assoziiert werden. Die Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland der Neuen deutschen Medienmacher schlagen deshalb die Bezeichnung »Menschen aus Einwanderungsfamilien« oder »Migrant_innen« vor, die im Folgenden auch verwendet werden.

Da in Deutschland die meisten Datenerhebungen auf Basis der Erhebungen des Statistischen Bundesamtes erfolgen, wird die Bezeichnung »Menschen mit Migrationshintergrund« an diesen Stellen übernommen. Darüber hinaus bildet der Begriff Diskriminierungsrealitäten nur ungenügend ab, weil Diskriminierung erstens nicht alle Menschen mit statistisch erfasstem Migrationshintergrund trifft (weiße Menschen mit US-amerikanischer Einwanderungsfamilie machen in der Regel keine Diskriminierungserfahrungen), weil zweitens auch Menschen von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, die nicht der Definition entsprechen (z. B. Afrodeutsche und Jüd_innen), und weil er drittens nicht mit den Kategorien des internationalen, deutschen und europäischen Antidiskriminierungsrechts übereinstimmt.

Auch der UN-Antirassismusausschuss (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) kritisiert in seinem aktuellen Staatenbericht ausdrücklich, dass in Deutschland die Terminologie »Menschen mit Migrationshintergrund« in der Antidiskriminierungspolitik und im öffentlichen Diskurs genutzt wird: Sie sei nicht geeignet, Menschen zu beschreiben, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, weil die Definition zum einen Menschen umfasst, die als weiße Deutsche nicht von Rassismus betroffen sind, und zum anderen Minderheiten nicht erfasst, die seit Jahrhunderten in Deutschland leben, wie beispielsweise Sinti (CERD 2015: 2).

1.2Diskriminierungsrelevante Lebensbereiche

Diskriminierungen durch den Staat