VVorwort

Das Thema Innovation ist wie eine Zwiebel: Hat man eine Schale des Eindringens hinter sich gebracht, stößt man auf die nächste.

Viele Unternehmensführer sind noch mit der ersten Schale beschäftigt, nämlich die Schumpeter’sche Bedeutung von Innovation zu verinnerlichen – zu erkennen, warum das entscheidende Merkmal von wirklichen Unternehmern darin besteht, mit neuen Kombinationen von Ressourcen und Fähigkeiten im Markt Bestehendes zu verdrängen und mit größerem Kundennutzen ein gutes Geschäft zu machen.

Die zweite Schale steht für die Herausforderung, vom Erkennen und Wollen zum Können und Tun zu gelangen. Da geht es um die Stimmigkeit zwischen Innovation und Unternehmensstrategie, um die Formulierung einer wirklichen Innovationsstrategie, darum, ein Innovationssystem zu organisieren, das wirksam Neues hervorbringt, das bei der systematischen Ideenfindung beginnt und bei einem passenden Innovationsmarketing endet.

Ist das geschafft – und immer mehr Unternehmen sind hier auf einem guten Wege –, dann kommt die dritte Schale, bei der einem schon die Augen tränen können: Es gilt zwischen Innovation und Innovation zu unterscheiden. Und eben diese dritte Schale geht das vorliegende Buch an:

Das eine ist die sukzessive Innovationsführerschaft mit Generationen von evolutionären Weiterentwicklungen des bisherigen Produkt- oder Dienstleistungsangebots. Und in der Tat, mit exzellentem Innovationsmanagement erzielen Unternehmen heute deutliche Wettbewerbsvorsprünge, besonders im internationalen Markt, die ihnen Wachstum und gute Margen bescheren. Und an diese Erfolge kann man sich selbstbewusst gewöhnen. Genau hier liegt die Gefahr. Der Erfolg mit exzellentem Innovationsmanagement kann nämlich den Blick für eine andere Art von Innovation verstellen: Die Rede ist von den disruptiven Innovationen, die die sequentielle Innovationslogik und die dafür geschaffenen Routinen über den Haufen werfen, weil sie eben nicht aus dem (inzwischen etablierten) Innovationsmanagement hervorgehen.

Das vorliegende Buch greift anschauliche Beispiele auf und analysiert, warum „verlässlich innovative“ und damit „verlässlich erfolgreiche“ Unternehmen disruptiv aus der Bahn geworfen werden. So etwa Digital Equipment Corp., in den 1980er Jahren äußerst erfolgreicher Pionier der Minicomputer, und doch heute ebenso vergessen wie Wang und Nixdorf. Hatte man zuvor noch die Mainframe-Hersteller IBM oder Siemens aus weiten Teilen des Marktes verdrängt, wurde man selbst Opfer der Disruption. VIÄhnlich Xerox, einst marktbeherrschend mit Kopiermaschinen, mittlerweile längst disruptiv verdrängt von Canon, Brother und anderen mit ihren multifunktionalen Tischgeräten.

Aus der Analyse entwickeln die Autoren ein Muster des Scheiterns gerade jener innovations- und erfolgsverwöhnter Unternehmen. Damit dringen sie zur vierten Schale der Innovationszwiebel vor: Es geht ihnen darum, Bewusstsein für die Potenziale disruptiver Innovationen zu schaffen. Es geht ihnen darum, unsere Sensorik für das wirklich Neue zu schärfen, unser Denken und Handeln vor diesem Hintergrund zu reflektieren, um schließlich einen weiteren Schritt in Richtung der hohen Schule der Innovationsstrategie zu gehen.

Zu dieser hohen Schule gehört es, unterschiedliche Typen von Innovation unterschiedlich zu nutzen: Die das laufende Geschäft erfolgreich vorantreibenden Innovationen, um immer bessere Autos, immer bessere Kraftwerke, immer bessere Laptops, immer bessere Kaufhäuser anbieten zu können. Und die das laufende Geschäft kannibalisierenden, disruptiven Innovationen, die längerfristig zweifellos die größeren Chancen bieten, die wir aber auch ganz anders „managen“ müssen. Beispielsweise die neue Welt der e-Mobilität, der gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung im Haus, der situativen ubiquitären Informations- und Kommunikationssysteme und des Cloud Computing, der virtuellen Shopping-Zentren und andere Dinge, für die uns heute oft sogar noch die Namen fehlen.

Wie gelingt der Ritt auf disruptiven Innovationspotenzialen, ohne die Pferde des laufenden Innovationsportfolios scheu zu machen, die uns ja erst einmal weiter voranbringen müssen – besonders dann, wenn sich die eine oder andere Disruption als enttäuschend erweisen sollte?

Aus den Erfahrungen mit disruptiven Innovationen leitet das vorliegende Buch Prinzipien ab, die bei dem Umgang mit der vierten Schale der Innovationszwiebel helfen. Es geht insbesondere um die organisatorische Behandlung dieser „anderen“ Innovationen, um die eher explorativen Führungsanforderungen, die sie stellen und um die Abstimmung mit der Aufnahmebereitschaft des Marktes.

Angesichts der Endzeitsituationen und des erkennbaren Ablaufdatums vieler jener „Logiken“, nach denen die Geschäfte in vielen Industriefeldern heute betrieben werden, kommt dieses Buch genau zur richtigen Zeit: Endzeit der Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie, Endzeit der Kernkraftwerke und der fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle, Endzeit des Ausbaus der terrestrischen Telekom-Strukturen, Endzeit des Nachfragewachstums in vielen etablierten Konsum- und Investitionsgütermärkten, in denen Verbesserungen einen immer marginaleren Charakter annehmen.

Viele unserer Industriefelder schreien geradezu nach Disruption – und die Potenziale sind Legionen. Aber der Durchbruch, den es in den Feldern erfordert, setzt die Beherrschung eben dieser vierten Schale der Innovationszwiebel VIIzwingend voraus. Das vorliegende Buch erweist sich dabei als wertvoller Pfadfinder, denn es reicht dem Leser die Hand, sich aus dem „Innovator’s Dilemma“ zu befreien.

Tom Sommerlatte

VIIIVorwort zur deutschen Ausgabe

Unternehmen scheitern aus vielen Gründen. Dass führende Unternehmen aber scheitern, weil sie im Grunde alles richtig machen, klingt paradox – zumindest auf den ersten Blick. Kundenorientierung, Innovation, Ertrags- und Wachstumsorientierung sowie Planungs- und Entscheidungssysteme gehören zum Repertoire richtigen und guten Managements. Nun gibt es aber Konstellationen, in denen sich klassische Erfolgsfaktoren in „Miss-Erfolgsfaktoren“ verkehren – und geradewegs in den Untergang führen. So etwa bei bahnbrechenden, technologischen Veränderungen, die wir im Folgenden als disruptive Innovationen bezeichnen. In eben diesem Fall, so stellen wir fest, ist es besser, einmal nicht auf seine Kunden zu hören. In diesem Fall ist es besser, auf Produkte von niedrigerer Qualität mit bescheidenen Margen zu setzen und es ist besser, aggressiv in kleine anstatt in große Märkte zu stoßen. Diese revolutionären Gedanken formulierte Clayton M. Christensen erstmals in seinem Bestseller „The Innovator’s Dilemma“, der 1997 im Harvard Business Press Verlag erschien. Damit beeinflusste er die Managementforschung – und nach und nach auch die Unternehmenspraxis. Und doch versuchen Unternehmen immer noch den Pfad des wirklich Neuen auf traditionelle Weise zu managen. Zugleich wirken in immer mehr Bereichen disruptive Kräfte, die neue Geschäftslogiken entstehen lassen. Die Aktualität des Werks, das nun erstmals in einer deutschsprachigen Auflage vorliegt, ist ungebrochen. Aufbauend auf dem Gedankengut von Clayton M. Christensen veranschaulichen europäische Branchen- und Unternehmensbeispiele die Thesen zum wirksamen Umgang mit disruptiven Innovationen. Im Kern geht es uns darum, beim Leser das Bewusstsein zu schärfen: Jede Zeit fordert ihr Management. Was sich unter stabilen Vorzeichen als richtig und gut erweist, erweist sich bei Disruption als fatal. Wir wollen Hilfestellungen geben, wann klassische Grundsätze richtigen und guten Managements anzuwenden sind – und wann richtiges und gutes Management von uns fordert, von eben diesen Grundsätzen abzurücken.

Bei diesem Projekt standen uns zahlreiche Personen als Diskussionspartner zur Verfügung. Ihnen schulden wir Dank: Marcus Fehling (Siemens AG), Andreas Kaufmann (ACM und Leica Camera AG), Professor Ronald Maier, Dr. Gerald Wissel, Professor Michael Mirow und Professor Tom Sommerlatte. In unseren Recherchen und Analysen leisteten Andre Breuer, Stefan Fässler, Stefanie Nadine Keller, Harald Oberparleiter, Bruno Siegele, Philipp Stampflund Felix Wallner einen wertvollen Beitrag. Wir bedanken uns auch beim gesamten Team des Instituts für Strategisches Management, Marketing und Tourismus der Universität Innsbruck, vor allem bei Andrea IXMayr, Dagmar Abfalter, Julia Hautz, Katja Hutter, Julia Müller und Melanie Zaglia. Unser Dank gilt darüber hinaus dem Beratungsunternehmen Innovative Management Partner (IMP) für unzählige Stunden der Diskussion, des Feedbacks und der Unterstützung in unseren Recherchen. Schließlich gilt besonderer Dank Klaudia Weber für die Unterstützung bei der sorgfältigen Fertigstellung des Manuskripts.

Kurt Matzler und Stephan Friedrich von den Eichen

Innsbruck und München im Mai 2011

1Einführung

Worum geht es in diesem Buch? Es geht um Scheitern – und zwar um das Scheitern von Erfolgreichen! Konkret geht es um Unternehmen, die über Jahre hinweg ihre Branche angeführt hatten, die aber scheiterten, als sie mit großen Umwälzungen und Marktveränderungen konfrontiert waren. Es geht nicht um die allgegenwärtigen Misserfolge von irgendwelchen Unternehmen, sondern um das Scheitern von Unternehmen, die von vielen bewundert und deren Strategien von vielen nachgeahmt werden. Um Unternehmen, die nicht zuletzt für ihre Innovationsfähigkeit und ihre Umsetzungsstärke bekannt sind. Die Empirie lehrt: Unternehmen kommen aus mannigfaltigen Gründen ins Wanken: Bürokratie, Arroganz, Führungsschwäche, schlechte Planung, kurzfristige Investitionshorizonte, unzureichende Fähigkeiten und Ressourcen, aber auch einfach durch Pech – um nur einige Gründe zu nennen. Das alles wollen wir in diesem Buch einmal außer Acht lassen. Unser Augenmerk richtet sich auf gut geführte Unternehmen. Unternehmen, die ihre Antennen ausfahren, die akribisch die Bedürfnisse ihrer Kunden analysieren, aggressiv in neue Technologien investieren und dennoch ihre vormals dominierende Stellung einbüßen.

Derartiges passiert in dynamischen Branchen, aber auch in Branchen, die sich eher langsam verändern. Es passiert genauso in Branchen, die auf elektronische, chemische oder mechanische Technologien setzen. Es passiert im produzierenden Gewerbe genauso wie auch in der Dienstleistungswirtschaft. Blicken wir zurück auf Sears Roebuck: Sears Roebuck galt über Grenzen und Dekaden hinweg als eines der bestgeführten Handelsunternehmen der Welt. Immerhin erwirtschaftete dieses Unternehmen in seinen Glanzzeiten zwei Prozent des amerikanischen Handelsumsatzes. Zahlreiche Innovationen, die noch heute zu den kritischen Erfolgsfaktoren eines Handelsunternehmens gehören – wie etwa Supply Chain Excellence, Etablierung von Handelsmarken, den Versandhandel oder die Ausgabe von (Kunden-)-Kreditkarten – gehen auf Sears Roebuck zurück.

Für all das zollte man dem Management von Sears große Anerkennung. Dazu ein Fortune-Artikel aus dem Jahre 1964:

How did Sears do it? In a way, the most arresting aspect of its story is that there was no gimmick. Sears opened no big bag of tricks, shot off no skyrockets. Instead, it looked as though everybody in its organization simply did the right thing, easily and naturally. And their cumulative effect was to create an extraordinary powerhouse of a company.“1

Mitte der 90er Jahre sprach man anders über Sears. Das Unternehmen hatte wichtige Trends verschlafen: Etwa den zum Discount-Handel oder den Trend hin zu den Baumärkten. Sears zentriert sich um sein Geschäftsmodell 2– den boomenden Versandhandel – ohne dessen Zukunftsfähigkeit zu reflektieren. Das Presseecho von Sears ist durchweg negativ: „Sears‘ Merchandise Group lost $ 1.3 billion (in 1992) even before a $ 1.7 billion restructuring charge. Sears let arrogance blind it to basic changes taking place in the American marketplace.“2 An anderer Stelle heißt es:

Sears has been a disappointment for investors who have watched its stock sink dismally in the face of unkept promises of a turnaround. Sears‘ old merchandising approach–a vast, middleof-the-road array of mid-priced goods and services–is no longer competitive. No question, the constant disappointments, the repeated predictions of a turnaround that never seems to come, have reduced the credibility of Sears‘ management in both the financial and merchandising communities.3

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass man Sears genau zu dem Zeitpunkt das höchste Lob zollt, als das Unternehmen den Trend zum Discount-Handel und den Baumärkten ignoriert und es obendrein zulässt, dass Visa und MasterCard das Kreditkartengeschäft an sich reißen.

In anderen Branchen sind ganz ähnliche Muster zu beobachten. Etwa in der Computerbranche. IBM dominierte den Markt für Großrechner und verschlief darüber den Trend zum Minicomputer, der – technologisch betrachtet – weit simpler war. Ein Blick in die Runde zeigt zudem, dass kein einziger Hersteller von Großrechnern den Sprung zu einem bedeutenden Anbieter von Minicomputern schaffte. Digital Equipment Corporation (DEC) kreiert zwar den Markt für Minicomputer, sah sich dort aber bald von einer Reihe agiler Konkurrenten umgeben: Data General, Prime, Wang, Hewlett-Packard und Nixdorf. Drehen wir die Zeit etwas weiter, stellen wir wiederum fest, dass keines dieser Unternehmen den Sprung zum Desktop-PC schaffte. Es waren Apple, Commodore, Tandy und IBM, die diesen Markt entwickelten. Insbesondere Apple setzte in der Folge einen einzigartigen Standard für benutzerfreundliche PCs. Dabei hinkten Apple und IBM ihrerseits in der Einführung von tragbaren Computern der Konkurrenz (zunächst) deutlich hinterher. Analogien zu Sears werden greifbar. Wie Sears werden viele Unternehmen der Computer-Branche von Journalisten und Managementforschern zum Vorbild stilisiert. Nur exemplarisch heißt es über Digital Equipment im Jahre 1986: „Taking on Digital Equipment Corp. these days is like standing in front of a moving train. The $ 7.6 billion computer maker has been gathering speed while most rivals are stalled in a slump in the computer industry“4. Von Peters und Waterman 1984 im Rahmen der McKinsey Studie In Search of Excellence5 noch hoch gelobt, spricht man nur kurze Zeit später ganz anders über DEC:

Digital Equipment Corporation is a company in need of triage. Sales are drying up in its key minicomputer line. A two-year-old restructuring plan has failed miserably. Forecasting and production planning systems have failed miserably. Cost-cutting hasn’t come close to restoring profitability. (...) But two years trying halfway measures to respond to the lowmargin personal the real misfortune may be DEC’s lost opportunities. It has squandered computers and workstations that have transformed the computer industry.6

3In beiden Fällen – bei Sears und bei DEC – werden die Entscheidungen, die schließlich zum Niedergang der Unternehmen führen, genau zu dem Zeitpunkt getroffen, an dem die Unternehmen für so viele als besonders nachahmenswerte Muster gelten.

Und damit sind sie nicht alleine. Xerox etwa dominierte den Markt für große Kopiermaschinen, die an Kopierzentren vertrieben wurden. Zugleich versäumte man aber den wachsenden und vielversprechenden Markt für die kleineren Tischkopiergeräte. In der Stahlindustrie stören die „Minimills“ – gemeint sind Stahlhersteller, die auf das Elektroverfahren anstatt auf das Sauerstoffverfahren setzen – die Kreise der etablierten, integrierten Stahlhersteller erheblich. Bereits Mitte der 90er Jahre stehen sie für 40 % der amerikanischen Stahlproduktion. Und doch hatte keiner der etablierten Stahlhersteller weder in den USA, Europa noch in Asien zu diesem Zeitpunkt einen Fuß in der Minimill-Technologie. Heute steht diese Technologie immerhin für etwa 60 % der amerikanischen und etwa 40 % der europäischen Stahlproduktion7. Die Liste der Beispiele ließe sich nahezu beliebig fortsetzen, richtet man etwa den Blick auf die Schweizer Uhrenindustrie, den Übergang zur Digitalfotografie oder auch die Low Cost Airlines. Die großen Musiklabels ignorierten den Trend zu den Musikdownloads und überließen das Terrain einem Branchenneuling. Die deutsche Markenikone Leica verschlief die Digitaltechnologie und kämpft heute ums Überleben. Aktuell stellen viele disruptive Innovationen etablierte Unternehmen auf die Probe: die digitale Zeitung, Software-as-a-Service, das Elektroauto – um nur einige zu nennen.

Die Liste jener Unternehmen, die scheitern, sobald sie einem technologischen Umbruch mit einem entsprechenden Wandel ihrer Markstruktur gegenüberstehen, ist lang. Prima vista scheint es zwischen den Veränderungen, die diese Unternehmen ein- und dann auch überholten, keine Gemeinsamkeiten zu geben. In einigen Fällen kam der technologische Wandel quasi über Nacht. In anderen Fällen zieht sich der Übergang über Jahrzehnte hin. Bisweilen waren die neuen Technologien komplex und ihre Entwicklung aufwändig. Andernorts handelte es sich lediglich um Weiterentwicklungen von dem, was die führenden Unternehmen bereits besser beherrschten als jeder andere. Eines eint unterdessen all jene Unternehmen, die letztlich scheitern: Die Entscheidungen, die ursächlich für ihren Niedergang sind, werden zu einem Zeitpunkt getroffen, an dem diese Unternehmen als die besten ihrer Branche gelten.

Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Paradoxon aufzulösen: Da ist zum einen der einfache Schluss, dass Unternehmen wie Sears, Digital, Xerox, Leica, Nixdorf im Grunde nie gut geführt worden sind. Glück statt richtiges und gutes Management gilt dann als Erklärung für ihren Erfolg. Kamen sie am Ende nur deshalb in Schwierigkeiten, weil sie eben dieses Glück verließ? Vielleicht! Wir bieten noch eine andere Erklärung an: Die Unternehmen wurden so gut geführt, wie sie von Managern nur eben geführt werden 4können. Aber erfolgreiche Unternehmen neigen in ihren besten Zeiten zu Entscheidungen, die den Grundstein für ihren späteren Niedergang legen. Unsere Forschungsarbeiten unterstützen Letzteres: Sie belegen, dass in all den untersuchten Fällen richtiges und gutes Management letztlich zum Scheitern führte. Gerade weil sich diese Unternehmen kundenorientiert zeigen, weil sie aggressiv in neue Technologien investieren, um ihren Kunden leistungsfähigere Produkte zu liefern, weil sie sehr akribisch Markttrends analysieren und ihre Budgets stringent auf jene Innovationen lenken, die die höchsten Erträge versprechen, verlieren sie ihre führende Position.

Im Kern bedeutet das, dass vieles von dem, was man allgemein als richtiges und gutes Management wertet, nur unter bestimmten Konstellationen zum Erfolg führt. Es gibt Zeiten, in denen es besser ist, gerade nicht auf Kunden zu hören, in denen es besser ist, auf Produkte von niedrigerer Qualität mit niedrigeren Margen zu setzen und in denen es besser ist, aggressiv in kleine anstatt in große Märkte zu stoßen. Und hieraus ergibt sich auch der leitende Gedanke des vorliegenden Buches: Es geht darum, beim Leser das Verständnis zu schärfen, dass jede Zeit ihr Management kennt. Wir wollen Hilfestellungen geben, wann die klassischen Grundsätze richtigen und guten Managements anzuwenden sind. Wir wollen aber auch aufzeigen, wann von diesen abzuweichen und alternativen Grundsätzen Vorrang zu geben ist. Diese Grundsätze, wir nennen sie „Prinzipien der disruptiven Innovation“, lassen den Leser besser verstehen, warum führende Unternehmen scheitern. Weil sie diese Prinzipien entweder ignorieren oder sogar bekämpfen. Umgekehrt lassen sich die schwierigsten Herausforderungen in puncto Innovation meistern, wenn man diese Prinzipien wirklich versteht und für sich zu nutzen weiß. Wie bei anderen, großen Herausforderungen auch, ist es von zentraler Bedeutung zu verstehen „wie die Welt funktioniert“. Dann und nur dann ist es möglich, jene Kräfte zu beeinflussen oder sogar nutzbar zu machen, die hinter diesen Herausforderungen wirken.

Dieses Buch richtet sich an eine breite Zielgruppe. Es richtet sich an Wissenschaftler, an Berater und an Führungskräfte, ganz gleich ob sie im produzierenden Gewerbe oder in der Dienstleistungswirtschaft zu Hause sind, ob man sich eher langsam oder schnell verändernden Märkten gegenüber sieht, ob es sich um High Tech oder Low Tech handelt. Dabei verwenden wir den Begriff „Technologie“ in einem sehr breiten Verständnis. Technologie steht für alle jene Prozesse, deren sich ein Unternehmen bedient, um seine Ressourcen in Produkte oder Dienstleistungen und damit in Kundennutzen umzuwandeln. Insofern verwendet jedes Unternehmen, selbst ein Discounter, eine Technologie, um seine Kunden zu befriedigen. Technologie beinhaltet weit mehr als Entwicklung und Produktion, es schließt Marketing-, Investitions- und Managementprozesse mit ein. Daraus leitet sich dann auch das Innovationsverständnis dieses Buches ab: Innovation steht hier für ein Verändern einer solchen Technologie.

5Das Dilemma

Um das Kernanliegen dieses Buches in ausreichender Breite und Tiefe darzustellen und um die Allgemeingültigkeit unserer Aussagen zu begründen, teilen wir dieses Buch in zwei Teile. Der erste Teil – das sind die Kapitel 1 bis 4 – entwickelt einen theoretischen Bezugsrahmen. Er erklärt, warum „an sich vernünftige Entscheidungen“ von „an sich fähigen Führungskräften“ dennoch Unternehmen zum Scheitern bringen können. Das Bild, das nach und nach entsteht, macht das Innovator’s Dilemma greifbar: Entscheidungen, die nach all unserem Wissen richtig und gut für den Erfolg des Unternehmens sind, erweisen sich zugleich als Entscheidungen, die den Niedergang besiegeln können. Der zweite Teil des Buches – also die Kapitel 5 bis 9 – löst dieses Dilemma auf. Auf Basis unseres Bezugsrahmens entwickeln wir Prinzipien, die diesem Dilemma entgegenwirken. Prinzipien, die zeigen, wie sich Führungskräfte einerseits auf die kurzfristige Entwicklung ihres Unternehmens konzentrieren können und zugleich ausreichend Ressourcen auf jene disruptive Technologien lenken, die bei Nichtbeachtung den Niedergang des Unternehmens verursachen können.

In diesem Buch graben wir tief in der Geschichte von Unternehmen und Branchen, bevor wir allgemeine Schlussfolgerungen ziehen. Kapitel 1 und 2 wenden sich der Computer Hardware Industrie zu. Besonderes Augenmerk dient der Produktion von Festplattenlaufwerken. Gerade hier sind führende Unternehmen in arge Bedrängnis geraten. Diese Branche erscheint geradezu ideal für unsere Analysen, da (1) die Entwicklungen gut dokumentiert sind und (2) diese Branche „schnelle Geschichte“ schreibt (wie es einst Kim B. Clark, Dekan der Harvard Business School, treffend formulierte). Innerhalb von wenigen Jahren sind neue Marktsegmente, neue Unternehmen und Technologien entstanden, zur Reife gelangt und auch wieder verschwunden. In nur zwei von sechs neuen Hardware-Technologien nimmt das vormals führende Unternehmen auch im nächsten Technologiezyklus eine dominierende Rolle ein. Dieses vergleichsweise stabile Muster des Scheiterns erlaubt es uns, eine vorläufige „Logik des Scheiterns“ zu entwickeln, um diese dann an anderen Zyklen der Industriegeschichte auf Schlüssigkeit und Robustheit zu testen.

Kapitel 3 und Kapitel 4 vertiefen unser Verständnis vom Scheitern führender Unternehmen der Computer-Branche und testen zugleich die Gültigkeit des Bezugsrahmens für die Erklärung des Niedergangs von führenden Unternehmen anderer Branchen. Kapitel 3 wendet sich der Baumaschinenindustrie – im Speziellen der Herstellung von Baggern – zu. Es belegt, dass es in dieser Branche genau die gleichen Kräfte waren, die den Führenden zum Verhängnis wurden, obgleich sich die Branchen hinsichtlich Wettbewerbskonstellationen und Technologieintensität unterschieden. Kapitel 4 ergänzt unser Modell des Scheiterns. Es zeigt, wie innovative Minimills die 6integrierten Stahlhersteller aus ihrer vormals marktbeherrschenden Stellung vertreiben.

Warum richtiges und gutes Management zum Scheitern führen kann

Unsere „Logik des Scheiterns“ beruht auf drei Erkenntnissäulen: Die erste ist die Unterscheidung zwischen evolutionären und disruptiven Technologien. Um es vorweg zu nehmen: Diese Begriffe unterscheiden sich von der häufig verwendeten Einteilung in inkrementelle und radikale Innovationen. Wir kommen darauf zurück. Die zweite Erkenntnis betrifft den technologischen Fortschritt – genauer seine Charakteristik: Technologien entwickeln sich oftmals schneller als das Marktbedürfnis. Damit ändern sich die Relevanz und die Wettbewerbsfähigkeit von Technologien im Zeitablauf. Die dritte Säule betrifft die Kundenstruktur sowie die Instrumente, die im Zuge der Investitionsentscheidung zur Anwendung kommen. Beides, die Kundenstruktur und die Managementinstrumente haben starken Einfluss auf die Art und Weise, wie neue Investitionsmöglichkeiten identifiziert und bewertet werden.

Evolutionäre versus disruptive Technologien

Die meisten neuen Technologien sind darauf ausgerichtet, Produkte zu verbessern. Diese Technologien nennen wir evolutionäre Technologien. Manche evolutionäre Technologien können durchaus radikaler Natur sein, während andere eher inkrementellen Charakter haben. Allen evolutionären Technologien ist aber gemein, dass sie darauf gerichtet sind, die Leistungsfähigkeit von vorhandenen Produkten entlang der zentralen Kundenanforderungen in bestehenden Märkten zu steigern. Der Großteil des technologischen Fortschritts einer Branche beruht auf eben diesem Technologietypus. Eine wichtige Erkenntnis dieses Buches liegt für uns darin, dass evolutionäre Technologien – und seien sie noch so radikal – selten den Niedergang von führenden Unternehmen verursachen.

Von Zeit zu Zeit entstehen aber disruptive Technologien. Sie führen zunächst zu schlechteren Produkten. Paradoxerweise sind sie es, die bislang führende Unternehmen zu Fall bringen. Sie sprechen einen anderen Kundennutzen an. In aller Regel können Produkte, die auf Basis disruptiver Technologien entstehen, nicht mit der Leistungsfähigkeit etablierter Produkte Schritt halten. Dafür haben sie andere Qualitäten. Und gerade deshalb werden sie von einer kleinen Gruppe neuer Kunden geschätzt. Produkte auf der Grundlage disruptiver Technologien sind oftmals billiger, einfacher und nicht selten bequemer. So etwa im Fall der Desktop-PCs, 7Transistoren (im Vergleich zu Röhren), mp3-Musikdownloads, Software-as-a-Service oder der digitalen Fotografie (im Vergleich zur klassischen analogen Kamera).

Technologieentwicklung versus Marktbedürfnisse

Die Beobachtung, dass sich Technologien schneller als die Marktbedürfnisse entwickeln können, bildet die zweite Säule der „Logik des Scheiterns“. Abbildung 0.1 stellt die Zusammenhänge dar: Im Bestreben, bessere Produkte als ihre Wettbewerber zu entwickeln und damit höhere Margen zu erzielen, schießen Unternehmen über das Ziel hinaus. Sie bieten ihren Kunden mehr als sie brauchen und auch mehr als sie dafür zu bezahlen bereit sind. Das schafft Raum für disruptive Technologien. Sie liegen zunächst noch weit hinter der Leistungsfähigkeit einer evolutionären Technologie zurück, können aber über die Zeit durchaus volle Wettbewerbsfähigkeit erlangen.

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Abbildung 0.1: Die Entwicklung evolutionärer versus disruptiver Technologien

Um ein Beispiel zu geben: Kunden, die für ihre Zwecke einst einen Mainframe Computer benötigten, stellen schon einige Jahre später fest, dass ein Desktop-PC ihre Bedürfnisse vollkommen befriedigt. Der Entwicklungspfad der Technologie ist ein anderer als der Entwicklungspfad des Kundenbedürfnisses. Die Leistungsfähigkeit von Mainframe Computern wächst wesentlich schneller als die Nachfrage nach Computerleistung. Analoges spielt sich in anderen Branchen ab. So etwa im Handel. Kunden, die einst nur im Fachhandel ihre Ansprüche nach Qualität und Sortiment erfüllt sahen, sind heute mit dem Leistungsniveau eines Discounters voll zufrieden.

8Disruptive Technologien versus rationale Investitionsentscheidungen

Die dritte Säule unserer „Logik des Scheiterns“ betrifft die Art und Weise, wie etablierte Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen treffen. Für diese Unternehmen macht es prima vista wenig Sinn, in disruptive Technologien zu investieren. Das hat drei Gründe: Erstens sind disruptive Produkte einfacher, billiger und lassen eher niedrigere als höhere Margen erwarten. Zum Zweiten finden disruptive Produkte zunächst nur den Weg in unbedeutende Marktsegmente. Und drittens haben die profitablen Stammkunden keine Verwendung für diese Produkte. Eine disruptive Technologie wird – in aller Regel – zunächst von wenig attraktiven Kunden nachgefragt. Unternehmen, die auf ihre wichtigsten Kunden hören, setzen primär auf Innovationen, die hohe Gewinne und Wachstum versprechen. Investitionen in disruptive Technologien lösen die Versprechen nicht ein.

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Abbildung 0.2: Thomas W. Lawson (1902 – 1907) 8

Die Dynamik disruptiver Technologien veranschaulicht das folgende Beispiel: Am 10. Juli 1902 lief die Thomas W. Lawson vom Stapel. Sie war das größte je gebaute Segelschiff ohne Hilfsantrieb, der größte je gebaute Schoner 9und der einzige Siebenmaster überhaupt. Ohne jeden Zweifel eine Meisterleistung der Schiffsbaukunst, realisiert von der Fore River Ship & Engine Building Co. in Quincy, Massachusetts. Mit ihren 25 Segeln konnte sie eine Geschwindigkeit von 14 Knoten erreichen. Ihre maximale Ladekapazität betrug 11 000 Standardtonnen. Bei ihrer ersten Atlantiküberquerung geriet die Thomas W. Lawson in einen Sturm. In den frühen Morgenstunden des 14. Dezember 1907 kenterte das Schiff vor den Scilly-Inseln und ein Großteil der Besatzung kam ums Leben.

Mit der Thomas W. Lawson war nicht nur ein Schiff, sondern eine ganze Branche untergegangen. Das Dampfschiff löste das Segelschiff ab. Kein einziger Hersteller von Segelschiffen meisterte diesen Technologiesprung, obgleich sich der Aufstieg des Dampfschiffes über Jahrzehnte hinzieht. Was war der Grund dafür?

Blicken wir zurück: Im Jahre 1783 wurde das erste funktionsfähige Dampfschiff vom Franzosen Claude François Jouffroy d’Abbans gebaut. Fünf Jahre später ließen sich Isaac Briggs und William Longstreet das erste Dampfschiff patentieren. Danach dauerte es aber Jahrzehnte, bis das Dampfschiff wirklich mit dem Segelschiff konkurrieren konnte. Ende des 19. Jahrhunderts überstieg die Population der Dampfschiffe die der Segelschiffe. 1902, im Jahr des Stapellaufs der Thomas W. Lawson, waren Segelschiffe längst in der Minderheit. Dennoch investierte die Fore River Ship & Engine Building Co. 258 000 US-Dollar in den Bau dieses Schiffes – und das im festen Glauben, durch sieben Masten mit den Dampfschiffen mithalten zu können. Auch andere versuchten durch Verbesserung der Segelschiffe dem Dampfschiff Paroli zu bieten, was am Ende nicht gelang. Wie konnte man nur so kurzsichtig sein, auf eine veraltete Technologie setzen und dabei die Entwicklung hin zum Dampfschiff verschlafen?

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Abbildung 0.3: Antriebskonzepte in der Schifffahrt 9

10Als Robert Fulton im Jahre 1819 mit seinem Dampfschiff den Hudson River befuhr, waren Dampfschiffe den Segelschiffen in fast jeder Hinsicht unterlegen: Die Kosten pro zurückgelegter Meile waren höher, die Schiffe waren langsamer und sehr viel anfälliger. Prinzipiell galten Dampfschiffe für Ozeanfahrten als vollkommen ungeeignet und konnten nur in einem gänzlich anderen Markt Fuß fassen. Ihr Markt war zunächst die Binnenschifffahrt. Hier galten ganz andere Leistungsmaßstäbe. Auf Flüssen und Seen geht es darum, gegen den Wind und auch bei Windstille zu fahren. Und eben hier waren Dampfschiffe den Segelschiffen überlegen.

Das eigentliche Problem war nicht das Wissen um die neue Technologie der Dampfschiffe. Das Problem lag vielmehr darin, dass die Hersteller von Segelschiffen auf ihre Kunden hörten. Die Reedereien konnten Dampfschiffe für die Ozeanfahrten lange Zeit nicht gebrauchen. Die ersten Dampfschiffe waren langsam und unzuverlässig. Sie brauchten Segel zur Unterstützung. Erst im Jahre 1889 wurde der erste Hochseedampfer ohne jegliches Segel in den Dienst gestellt. Mit seinen 20 Knoten wurde das Dampfschiff nun zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für das Segelschiff.

Um sich auch im Markt für Dampfschiffe erfolgreich zu behaupten, hätten sich die Hersteller von Segelschiffen auf die Binnenschifffahrt konzentrieren müssen. Denn das war der einzige Markt, in dem Dampfschiffe seinerzeit von Nutzen waren. Was aber taten sie? Sie ignorierten die neue Technologie und konzentrierten sich auf die Weiterentwicklung des Segelschiffs – und damit auf den weit größeren und attraktiveren Markt. Schritt für Schritt verbesserte sich die Leistungsfähigkeit der neuen Technologie. Bald waren Dampfschiffe genauso zuverlässig und genau so schnell wie Segelschiffe und damit nicht mehr aufzuhalten. Das siebte Segel der Thomas W. Lawson steht damit für eine bestimmte Art der Innovation. Es steht für die evolutionäre Innovation, die – entweder auf inkrementelle oder radikale Art – darauf abzielt, Bestehendes zu verbessern. Märkte, Kunden und Leistungsparameter sind bekannt. Das Dampfschiff indes steht für die Disruption. Zunächst hinsichtlich der zentralen Leistungsparameter unterlegen, erweist sich eine disruptive Technologie in anderen Märkten, in denen andere Leistungsparameter zählen, als interessant. Dort kommt die Technologie dann auch zum Einsatz, wird weiterentwickelt bis sie schließlich ein Leistungsniveau erreicht, mit dem sie die etablierte Technologie angreifen und abzulösen vermag. Dieses Muster werden wir in allen unseren untersuchten Branchen wiederfinden. Wenden wir uns aber vorher den einer disruptiven Innovation innewohnenden Prinzipien zu.

11Die „Logik des Scheiterns“ auf dem Prüfstand

In Kapitel 1 und 2 entwickeln wir die „Logik des Scheiterns“ – und das im Kontext von Festplattenlaufwerken. Zu Beginn der Kapitel 4 bis 8 kommen wir immer wieder auf diese Branche zurück, um unser Verständnis Schritt für Schritt zu schärfen, warum es für Führungskräfte so schwierig ist, das Phänomen der Disruption zu meistern. Der Grund, warum wir diese Branche so genau und umfassend analysieren, liegt darin, dass wir die Erklärungskraft unseres Bezugsrahmens sicherstellen wollen. Wenn ein Bezugsrahmen nicht zuverlässig erklären kann, was innerhalb einer Branche passiert ist, kann er kaum auf weitere Branchen übertragen werden. Nach der Analyse der Computerbranche untersuchen wir disruptive Innovationen jüngerer Zeit. Wir zeigen, dass die gleichen Prinzipien, die führende Hersteller von Computerlaufwerken zu Fall brachten auch dafür verantwortlich waren, warum ein einst so erfolgreicher Hersteller von Filmkameras den Trend zur Digitalkamera so lange ignorierte und deshalb beinahe seine Tore schließen musste.

Die Erkenntnisse aus der Computerbranche spiegeln wir schließlich mit dem Untergang der Schweizer Uhrenindustrie in den 1970er und 1980er Jahren und erklären, warum es den damaligen Herstellern nicht gelingen konnte, auf die disruptive Innovation der Quarzuhren zu reagieren und warum Fluglinien mit ihrem Geschäftsmodell im Preiskampf gegen Low-Cost-Airlines klein beigeben müssen.

Kapitel 3 und die Ausführungen in den Kapiteln 4 bis Kapitel 9 prüfen die Allgemeingültigkeit der Aussagen. Kapitel 3 wendet den Bezugsrahmen auf die Frage an, warum führende Hersteller von Seilbaggern durch die Hydrauliktechnologie aus dem Markt gedrängt wurden. Kapitel 4 blickt auf die Stahlindustrie, insbesondere auf die disruptive Minimill-Technologie. Kapitel 5 untersucht auf Basis des Modells den Erfolg der Discount-Händler im Vergleich zu den traditionellen Kaufhäusern und analysiert wie disruptive Technologien die Märkte für Drucker veränderten. Kapitel 6 beschäftigt sich mit den Personal Digital Assistants (PDA). Kapitel 7 beschreibt, wie neue Wettbewerber mit disruptiven Technologien führende Hersteller von Motorrädern und Logikschaltkreisen entthronten. Kapitel 8 zeigt, wie und warum führende Computerhersteller Opfer disruptiver Technologien wurden und wie mp3 die Musikbranche revolutioniert. Kapitel 9 beleuchtet dasselbe Phänomen für Accounting Software und die Insulinbranche. Wir diskutieren auch wie Software-as-a-Service als disruptive Innovation die Softwarebranche verändern kann. Kapitel 10 fasst die Erkenntnisse des Buches zusammen.

12Wie die Prinzipien disruptiver Innovation genutzt werden können

Die ersten Veröffentlichungen der Forschungsergebnisse zu disruptiven Innovationen erregten große Aufmerksamkeit10. Wenn richtiges und gutes Management erfolgreiche Unternehmen bei disruptiven Veränderungen zum Scheitern bringt, dann verstärken die klassischen Reaktionsmuster – stringente Investitionsplanung, härteres Arbeiten, höhere Kundenorientierung – das Problem anstatt es zu lösen. Effektive Umsetzung, Schnelligkeit, Total Quality Management, Prozessmanagement und -effizienz – alles das erscheint plötzlich in einem anderem Licht. In der Tat finden wir im Standardrepertoire der Managementmethoden keine passende Antwort auf die disruptive Herausforderung. Die Kapitel 5 bis 9 zeigen mögliche Auswege aus dem Dilemma auf. Jedes Unternehmen, ganz gleich welcher Branche, unterliegt dem Einfluss einiger weniger Kräfte, die bestimmen, was Führungskräfte in bestimmten Situationen tun oder auch nicht und was sie als richtig oder falsch erachten. Diese Gesetze sind organisationaler Natur. Nehmen diese Kräfte bei disruptiven Innovationen überhand, scheitern Manager und letztlich ganze Unternehmen. Erinnern wir uns zurück an die Anfänge des Fliegens: Man scheiterte kläglich, als man gefederte Flügel an die Arme band, von einer Anhöhe sprang und mit aller Kraft versuchte, sich Flügel schlagend in der Luft zu halten. Allen Träumen und Anstrengungen zum Trotz unterliegt man den Kräften der Natur. Niemand war stark genug, den Kampf gegen die Naturgesetze zu gewinnen. Der Traum vom Fliegen wurde erst wahr, als man die Naturgesetze erkannte und für sich nutzte: die Schwerkraft, das Gesetz von Bernoulli, das Zusammenwirken von Auftrieb, Vortrieb, Widerstand und Gewicht. Als man schließlich Fluggeräte baute, die sich genau dieser Kräfte bedienten – anstatt sie zu bekämpfen – war man in der Lage bis dahin unvorstellbare Flugleistungen zu erbringen.

Kapitel 5 bis Kapitel 9 beschreiben fünf Prinzipien der disruptiven Innovation. So wie die ersten Flugversuche des Menschen scheiterten, weil man gegen die Naturgesetze ankämpfte, scheitern Führungskräfte an disruptiven Innovationen, wenn sie gegen diese Prinzipien ankämpfen. Dabei geht es uns mehr um das generelle Reflektieren dieser Prinzipien als um einfache Kochrezepte. Dahinter steht unsere Überzeugung, dass jeder aufmerksame Leser – sobald er ein Verständnis für die Problematik entwickelt hat – bestens gerüstet ist, für sich selbst und seine jeweilige Situation passende Antworten zu finden. Das setzt allerdings ein tieferes Verständnis darüber voraus, was (a) in der eigenen Branche zum Phänomen der disruptiven Innovation geführt hat und (b) welche Kräfte die Gegenmaßnahmen im spezifischen Fall beeinflussen.

131. Prinzip: Unternehmen hängen von ihren Kunden und ihren Investoren ab!

Die Geschichte der Computerlaufwerke zeigt, dass etablierte Unternehmen bei „Innovationswellen“ solange an der Spitze bleiben, solange es sich um evolutionäre Technologien handelt. Indes bringt die einfachste disruptive Innovation führende Unternehmen zum Scheitern. Dieses Phänomen steht in Einklang mit der Theorie der Ressourcenabhängigkeit. Diesem Ansatz zur Folge unterliegen Führungskräften der Illusion, dass sie es sind, die in ihrem Unternehmen über Ressourcenströme entscheiden. Tatsächlich sind es aber die Kunden und die Kapitalgeber. Unternehmen, die ihre Mittel so einsetzen, dass sie weder Kunden noch Investoren zufriedenstellen, werden nicht überleben. Umgekehrt sind die Unternehmen am erfolgreichsten, denen eine Allokation im Sinne von Kunden und Kapitalgebern gelingt. Dabei entwickeln sie Entscheidungsroutinen, die systematisch jene Ideen verwerfen, die ihre Kunden nicht wollen. Das wiederum hat zur Folge, dass es diesen Unternehmen unendlich schwer fällt, ausreichend Ressourcen für disruptive Technologien bereit zu stellen. Zumindest solange, bis die bestehenden Kunden schließlich Interesse an der disruptiven Technologie zeigen. Aber dann ist es in aller Regel zu spät.

Und doch gibt es einen Ausweg, den etablierte Unternehmen – mal mehr, mal weniger – bestreiten. Führende Unternehmen sind dann auch bei disruptiven Technologien erfolgreich, wenn sie dafür eigene Organisationseinheiten schaffen und diesen Einheiten den klaren Auftrag erteilen, sich um das Disruptive zu kümmern. Eine solchermaßen unabhängige Organisationseinheit unterliegt nicht dem gleichen Einfluss der Kunden, wie der Rest des Unternehmens und kann sich folglich auf neue Kundensegmente konzentrieren, die bereits Interesse für die disruptive Technologie zeigen. Kurzum: Auch führende Unternehmen können disruptive Technologien meistern, wenn sie sich so organisieren, dass das Prinzip der Ressourcenabhängigkeit nicht überall in gleichem Maße gegen sie wirkt.

Dabei können Führungskräfte nicht erwarten, dass freiwillig Ressourcen dafür verwendet werden, um in neue, noch unbedeutende Märkte zu stoßen. Für ein Unternehmen, dessen gesamte Kostenstruktur auf den Wettbewerb in einem „High-End Segment“ des Marktes ausgerichtet ist, erweist es sich als ausgesprochen schwierig, im „Low-End Segment“ Zählbares zu erwirtschaften. Will sich ein etabliertes Unternehmen auf den Wettbewerb rund um eine disruptive Technologie einlassen, reicht es nicht aus, eine unabhängige Organisationseinheit zu schaffen. Diese braucht zugleich entsprechend ausgerichtete Strukturen und Prozesse, um sich mit dem Prinzip der Ressourcenabhängigkeit zu arrangieren.

142. Prinzip: Kleine Märkte befriedigen nicht das Wachstumsbedürfnis großer Unternehmen

Disruptive Technologien kreieren neue Märkte. Unternehmen, die frühzeitig in diese Märkte eintreten, genießen sogenannte „First Mover Advantages“. Wenn diese Unternehmen nun aber wachsen, wird es für sie zunehmend schwieriger als „First Mover“ das Spiel in neu entstehenden Märkten zu wiederholen. Doch erfolgreiche Unternehmen müssen wachsen, um ihren Aktienkurs hochzuhalten und um ihren Führungskräften Perspektiven zu bieten. Während ein Unternehmen, das 40 Mio. Umsatz erwirtschaftet, lediglich einen 8 Mio. Markt braucht, um ein Umsatzwachstum von 20 % auszuweisen, braucht ein 4 Mrd. Unternehmen für das gleiche Umsatzwachstum einen 800 Mio. Markt. Doch kein neuer Markt hat ein solches Volumen. Je größer also ein Unternehmen wird, umso unattraktiver stellen sich aus seiner Perspektive kleine, neu entstehende Märkte dar. Die Folge: Große Unternehmen nehmen eine Position des Wartens ein. Sie warten bis neue Märkte jenes Volumen aufweisen, das sie interessant macht. Wir kommen darauf zurück, warum das meist keine erfolgreiche Strategie ist.

Was zeichnet führende Unternehmen aus, die auf Basis disruptiver Technologien erfolgreich in neuen Märkten agieren? Sie haben in aller Regel die Verantwortung für Einführung und Vermarktung dieser Technologie auf eigene Organisationseinheiten übertragen, die in Größe und Agilität auf die Bedingungen eines neuen Marktes ausgerichtet sind. Kleine Einheiten können wesentlich besser die Wachstumschancen von kleinen Märkten nutzen. Indes machen es formelle und informelle Zwänge bei der Ressourcenallokation großen Unternehmen nahezu unmöglich, ausreichend Energie und Managementkapazitäten in kleine Märkte zu investieren, auch wenn der Verstand sagt, dass sich diese einmal zu interessanten Zukunftsmärkten entwickeln werden.

3. Prinzip: Märkte, die (noch) nicht existieren, können nicht analysiert werden

Marktforschung, gepaart mit guter Planung und konsequenter Umsetzung, sind Eckpfeiler richtigen und guten Managements. Ihnen ist es zu verdanken, dass etablierte Unternehmen evolutionäre Technologien weiterentwickeln und damit ihre Positionen festigen können. Marktforschung, Planung und Umsetzung sind bei evolutionären Technologien nützlich, weil die Größe und Wachstumsraten der Märkte bekannt, Entwicklungspfade und technologischer Fortschritt gegeben und die Bedürfnisse der wichtigsten Kunden klar artikuliert sind. Die Welt disruptiver Innovationen ist eine andere: Marktforscher und Planer versagen. Die Erfahrungen, die wir bei Computerlaufwerken, Mikroprozessoren und Kameras sammeln konnten, lehren uns, dass das Einzige, was wir als sicher annehmen dürfen, die 15Unsicherheit sämtlicher Prognosen über das Marktpotential ist. Unbeschadet dessen, ob ein Unternehmen eine führende Position einnimmt oder nicht, liegen im Fall der evolutionären Technologie ausreichend Marktinformationen vor. Es kann geplant werden. Unter diesen Bedingungen sind technologische „Fast Follower“ meist ähnlich erfolgreich wie „First-Mover“. Anders bei disruptiven Innovationen. Hier wissen wir wenig über Märkte. „First-Mover“-Vorteile sind entscheidend. Einmal mehr zeigt sich das Innovator’s Dilemma. Denn Unternehmen, die Investitionsentscheidungen nur auf Basis eindeutiger Quantifizierungen von Marktpotential und Renditeabschätzungen treffen, sind bei disruptiven Innovationen wie gelähmt oder machen entscheidende Fehler. Sie fordern Marktdaten, wo solche (noch) nicht vorhanden sind, treffen Entscheidungen auf Basis von Finanzprognosen, wo weder Umsätze noch Kosten schätzbar sind. Marketing- und Planungstechniken, die sich beim Management evolutionärer Innovationen bewährt haben, verkommen bei disruptiven Innovationen zu einem Muster ohne Wert.

Wir plädieren für einen anderen, „explorativen“ Ansatz. Er berücksichtigt, dass der richtige Markt und die passende Strategie, um diesen wirksam zu bearbeiten, nicht im Voraus bekannt sind. Ein solches „discovery-based planning“ fordert von Führungskräften eine Bewusstseinsleistung ein: Sie sollen (a) annehmen, ihre Prognosen seien eher falsch als richtig, auch sollen sie (b) nicht davon ausgehen, dass ihre Strategien greifen. Schließlich müssen Führungskräfte (c) abseits von bislang Gelerntem lernen, was mit der Entwicklung des Marktes noch gelernt werden muss. Damit stehen die Chancen gut, die Herausforderungen, die mit disruptiven Innovationen verbunden sind, tatsächlich zu meistern.

4. Prinzip: Die Fähigkeiten einer Organisation erweisen sich zugleich als ihre Unzulänglichkeiten

Geht es um die Lösung eines Innovationsproblems, suchen Führungskräfte instinktiv nach besonders fähigen Mitarbeitern. Gelingt ihnen die Wunschbesetzung, verfestigt sich das Bild, dass die Organisation, für die sie arbeiten, auch die Fähigkeit besitzt, die richtigen Leute für die richtigen Aufgaben zu betrauen. Erfolg verkürzt sich auf das richtige Zuweisen der richtigen Leute. Das ist eine gefährliche Annahme. Die Fähigkeiten des Unternehmens sind unabhängig von den Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter. Organisationale Fähigkeiten gibt es auf zwei Ebenen: Auf Ebene der Prozesse und auf Ebene der Werte. Prozessuale Fähigkeiten betreffen die Art und Weise, wie Mitarbeiter die vorhandenen Ressourcen nutzen, um Resultate zu erzielen. Organisationale Werte betreffen die Kriterien, die Führungskräfte heranziehen, um Prioritäten zu setzen. Menschen indes sind relativ flexibel. Sie können sensibilisiert, geschult und weiterentwickelt werden, um in unterschiedlichen Situationen ihre Aufgaben erfolgreich zu meistern. 16Ein Mitarbeiter eines Großunternehmens kann seinen Arbeitsstil anpassen, um in einem Start-up-Unternehmen erfolgreich zu agieren. Prozesse und Werte hingegen sind starr: Ein Prozess, der sich in der Entwicklung eines Laptops als erfolgreich erweist, mag für die Entwicklung eines Smartphones ungeeignet sein. Ähnlich verhält es sich mit Werten. Werte, die dazu führen, dass Mitarbeiter Entwicklungsprojekte priorisieren, die hohe Margen versprechen, lassen sich über Nacht nicht so verändern, dass nunmehr Projekte mit niedrigen Margen zum Zuge kommen. Prozesse und Werte, die in einem bestimmten Kontext als Stärken eines Unternehmens gelten, können sich in einem anderen Kontext als Schwäche oder gar als Unfähigkeit erweisen.

Wir zeigen wie Führungskräfte erkennen, wo ihr Unternehmen Fähigkeiten, aber auch Unzulänglichkeiten im Umgang mit disruptiven Innovationen aufweist. Ein anschauliches Beispiel liefern einmal mehr die Hersteller von Computerlaufwerken in ihrem Bemühen, die Prozesse und Werte ihres Unternehmens auf die geänderten Herausforderungen disruptiver Innovationen anzupassen.

5. Prinzip: Technologien entwickeln sich schneller als Kundenbedürfnisse