Christoph Reicho, Schlaraffenland

© 2016, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

 

 

Lektorat: Nadine Kube

Umschlag: Jürgen Schütz

Umschlagfoto: © Fotolia – sehbaer_nrw

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-26-2

 

 

Printversion: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen

ISBN: 978-3-902711-53-3

 

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Christoph Reicho

wurde 1984 in Graz geboren. Seit seinem Journalismus- und Kommunikationsstudium publiziert er als freier Autor und Redakteur in verschiedenen Zeitschriften und betreut laufend internationale Projekte im Bereich Kunst- und Kulturmanagement. Als Rapper und Singer/Songwriter »Calim« hat er seit 2005 mehrere Studioalben veröffentlicht und tourt mit seiner deutsch-italienischen Musik regelmäßig in Deutschland, Italien und Österreich. Der Sänger und Autor lebt, komponiert und schreibt in Wien, Rom, Orvieto und Berlin.



Infos zu Christoph Reichos Musik unter www.calim.at

 

Klappentext

»Wir wissen weder, was wir wollen, noch was wir haben, und alles, was wir haben, wollen wir nicht mehr.«

In einer Zeit, in der ganz Europa wirtschaftlich kollabiert und die Jugendarbeitslosigkeit rasant steigt, scheint die Indifferenz junger Menschen, denen alle Wege offenstehen und die dennoch unglücklich sind, geradezu paradox. 
Der Roman behandelt den Zeitgeist einer Generation, die Kindheit und Jugend in Übersättigung verbracht hat und nun zwischen Identitätsfrage, Versagensängsten und Beziehungsunfähigkeit hin und her springt. Alle Möglichkeiten sind zu viele Möglichkeiten und das Glück verbirgt sich hinter einer von Tausenden Türen. 



Lea, Adriano und Butler – drei Freunde auf der Suche, jeder auf seinem Weg, der weder klar erkennbar ist noch in eine Richtung weist. 
Sie wollen alles, und das sofort und möglichst gleichzeitig: Party, Karriere, Liebe. Dabei sind sie sich ihrer eigenen Bedürfnisse kaum bewusst. Die Frage nach der eigenen Identität und dem eigenen Lebensmodell spült sie durch ein wildes Szenario der Gefühlswelten, Abhängigkeiten und Perspektiven.


Die Flucht vor der Realität führt schließlich zum emotionalen Supergau, der das fragile Konstrukt ihres Lebens und ihrer Verbindungen sprengt.

 

Christoph Reicho

Schlaraffenland

Roman | Septime Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für alle Suchenden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Handlungen und Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

 

 

 

 

Identitätshülle

 

Jacqueline Leaburg – das ist der Name, der in meinem Pass eingetragen ist. Wie der Stempel eines zur Schlachtung freigegebenen Jungschweines in der Massentierhaltung. Allein das Schreiben dieses Namens verursacht bei mir aggressive Gänsehaut. Wenn ich mir nur den Namensstempel wie einen Hautlappen aus dem Körper schneiden könnte.

 

Meine Freunde nennen mich Lea. Meine Familie nicht. Die ist auch kein Freund. In diese Menschenansammlung wurde ich hineingeboren. Und gleich beim ersten Babyschrei wurde mir meine Identität gestohlen und eine fremde, unerwünschte aufgezwungen: »Jacqueline!«

Wie ein junger Apfelbaum gesetzt und nun – Jahrzehnte später, tief verwurzelt – zur Identitätsernte bereit. Zwanzig Jahre Jacqueline-Investition. Hier kommt die Lea-Rechnung.

 

»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, so sagt man. Ich aber falle viel weiter und tiefer. Ich entbinde mich der Verantwortung, ein fremdes Leben zu führen – eines, das von meinen Eltern herangezüchtet wurde. Da hättet ihr euch schon einen charakterlosen Menschen ausbilden müssen, einen Ja-Sager, einen Mitschwimmer, einen Zweibeiner, der in die müffelnde Identitätshülle einer Eltern-Generation schlüpft. Nicht mit mir, nicht mit Lea! Selbst, wenn ich auf der Suche nach meinem wahren Ich alles verlieren sollte.

 

Sie blickt auf das Küchenmesser.

»Die Wurzeln zerschneiden.«

 

*

 

»Bitte Ihren Namen und Ihre Kreditkartennummer.«

»Ja, einen Moment. Ähm, Thompson, Lea Thompson wäre mal der Name …« Sie kramt nach ihrer Geldbörse. »Und die Nummer …« Der Rezeptionist lässt sich nichts anmerken, dennoch spürt sie seine Ungeduld. Endlich. Sie zieht die Karte aus dem Lederfach. »2687 … und dann noch die 6725.« Es schnauft am anderen Ende der Leitung. »Danke Frau Thompson! Nun bräuchte ich noch das Datum der Gültigkeit. Dann hätten wir es geschafft.« Seinen gequälten Tonfall ignoriert sie und kramt erneut nach der bereits wieder in die Handtasche geworfenen Kreditkarte.

»Hallo?«

»Ja, Frau Thompson! Ich bin noch da und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir Ihre Reservierung nun abschließen könnten!«

»Ja, natürlich. Also 03 18 steht da geschrieben.«

»Ok. Das Zimmer ist für Sie reserviert und ab 15.00 Uhr beziehbar.«

 

Es klingelt an der Wohnungstür. Oh, Shit, das hat sie ganz vergessen: Ihr Bruder kommt ja, um Fat Tom abzuholen. Sie hat ihm gesagt, dass sie ein paar Tage absolute Ruhe braucht. Fat Tom läuft grunzend und schnaufend zur Wohnungstür, sie hinterher, um ihn einzulassen.

Ihr Bruder sieht sie fragend an. »Verreist du?« Er zeigt auf den halb gefüllten Koffer beim Eingang des Schlafzimmers.

»Ja, ich hab mir gedacht, ich mach einen kleinen Ausflug aufs Land. Ein paar Tage weg vom Großstadtlärm.«

»Und warum nimmst du dann nicht Fat Tom mit? Das würde ihm doch guttun. Ich kann mit ihm ja auch nur im Stadtpark ein paar Runden drehen!« Scheiße, darauf ist sie nicht vorbereitet gewesen. Eigentlich ist sie die Journalistin, doch auch ihr Bruder kann ungemütliche Fragen stellen. Sie hockt sich auf den Boden und streichelt die dicke, röchelnde Bulldogge.

»Ich weiß, aber ich arbeite da an einer neuen Story und brauche einfach etwas Ruhe.«

»Etwa an dieser hier?« Er hält ihr ein paar Blätter Papier unter die Nase. »Generation der Problem… Den Rest kann ich nicht lesen!« Abrupt richtet sie sich auf und reißt die Blätter an sich. Der Stapel fällt zu Boden, hysterisch schreit sie ihn an: »Musst du immer in meinen Unterlagen herumwühlen? Das ist noch nicht fertig! Ich hasse es, wenn unfertige Texte gelesen werden. Jetzt nimm bitte endlich den Köter und hau hier ab!«

Genervt hebt er den Hund auf und fragt ungeduldig: »Wo ist die Leine?«

»Dort wo sie immer ist!«, schallt es zurück.

 

Wie unglaublich dreist. Fuck you! Das sind ihre Gedanken, ihre Seele. Verdammter Seelenklauer. Soll er doch in seinen eigenen Innereien wühlen, sich um seine Scheiße kümmern! Oder seine Finger in die von Fat Tom stecken! Obwohl er längst weg ist, spürt sie noch seine Anwesenheit, seine gierige Aura. Neugier ist ihr eine Todsünde. Der Beginn allen Übels. Die Gier nach etwas Neuem macht alles, was ist, wertlos. Typisch. Wütend hockt sie sich auf den Boden und versucht die Blätter zu sortieren – gedankenverloren …

 

 

Problemarchitektur

 

Wir sind alles und noch mehr und haben mehr und noch alles. Außer Probleme, ernstzunehmende Probleme. Die haben wir nicht. Kein Krieg, der vor unserer Haustür aufmarschiert, keine Umweltkatastrophe, die unser Land wegspült und auch kein Hunger, der an uns nagt. Es hat uns gut zu gehen. Vorgelebt das ständige Lächeln einer heilen Welt. Wir müssen Spaß haben unter leichtlebigen Gesten einer für so viele weit entfernten Realität. Wir dürfen die Kinder unserer Eltern sein und müssen uns nur darum bemühen, uns zufriedenzugeben, mit allem und noch mehr. Und genau darin liegt es nun, unser fein gewobenes Dilemma: Wir versagen.

Nichts verkraften wir und schon gar nicht alles. Um Zufriedenheit zu erlangen oder einen Weg dorthin zu suchen, entwerfen wir unsere Dramen selbst: Ein Problem wird über dem anderen errichtet, bis sich ein mächtiger, wuchtiger, glanzvoller Bau erhebt, eine genial umgesetzte Problemarchitektur, die unserem Leben einen Sinn verleiht.

Es ist nicht etwa ein Streben nach Glück, nein, ein Streben nach mehr. Die so greifbar nahe Zufriedenheit wird in unseren allumfassenden Katalog der Lebensfreuden aufgenommen – doch empfinden können wir sie nicht. Das Glück selbst ist nur eine der vielen Leichen, über die wir hinwegschreiten, und längst abgelöst von latenter Unzufriedenheit als Motor, sich in sich selbst zu verlieren:

Wir wissen weder, was wir wollen, noch, was wir haben, und alles, was wir haben, wollen wir nicht mehr.

 

Ein Leben voll angesetzter, aber nicht vollzogener Schritte. Wir bewegen uns im Kreis. Kein Vorwärtskommen, kein Ausbrechen aus den starren Strukturen einer verkauften Jugend. Ein Lebenslauf in Plastik, zum Auspacken und Zusammenbauen bereitgestellt. Selbstzerstörung unsere Anleitung, Spaß unser Betäubungsmittel. Gefangen in uns selbst, werden wir süchtig nach Unterhaltung, nach fremdem Leben. Lethargisch ohnmächtig zucken wir nur mehr selten in unserem Netz des Wohlstands, das die Spinnen unserer Zeit gewoben haben. Wir sind zu schwach Ja zu sagen und zu gehemmt für ein Nein. Entscheidungen schnellen an uns vorbei, ohne je getroffen zu werden. Unzufrieden sträubt sich unser Körper gegen Bewegung, gegen ein Handeln. Unausgeglichen treibt unsere Seele auf dem versalzenen Wasser eines Vielleichts. Alles wollen wir uns offenhalten. Möglichkeiten stapeln sich in Aktenschränken einer grenzenlosen Freiheit, die uns gefangen hält.

 

Ich zähle zu den Jugendlichen, die keine Probleme hatten. Ich musste keinen Hunger leiden, ich musste nie schwer arbeiten, nie auf Müllhalden Müll trennen, nie Fußbälle nähen oder von Pestiziden überzuckertes Obst pflücken. Ich wurde nicht vergewaltigt und anschließend zur Strafe erhängt. Ich musste nicht einmal lange Wunschlisten an das Christkind schreiben, denn ich bekam sowieso alles, was ich wollte und sogar noch mehr. Ich musste nicht um Liebe betteln, denn ich hatte neben Eltern auch zweifache Großeltern, Onkel, Tanten, Geschwister und Freunde, die immer da waren und liebten. Ich musste mich nie mit anderen Kindern vergleichen, weil ich ohnehin das bessere Spielzeug besaß, die teurere Kleidung, den spannenderen Urlaub, mehr Erlaubnisse und das größere Selbstvertrauen, weil mir ständig alle erzählten, wie gut ich sei. Ich musste niemals um eine Schulbildung bangen, weil meine Familie mich finanzierte und von klein auf förderte. Ich musste auch nicht während des Studiums arbeiten gehen, sondern bekam neben Fahrzeug und Wohnung auch noch Geld, das ich an Wochenenden in Clubs verprasste. Ich musste nichts – und bekam alles.

Unzählige gab es von meiner Sorte. Nur damit unser Leben an Spannung gewann, bildeten wir uns jene Probleme selbst, denen Millionen andere beim Kaffeekränzchen mit dem Schicksal ausgeliefert waren. Erfinden, was nicht da war. Die totale Hingabe an eine Illusion. Reingesteigert, bis sie zur Realität wurde.

Die einen gaben sich den Drogen hin, die anderen der Magersucht. Die einen wurden aus Jux beim Diebstahl erwischt, andere holten sich den Kick beim Graffitisprayen. Die einen schissen auf Bildung und Arbeit, die anderen auf Luxusyachten. Die einen verfielen Depressionen und der Pillensucht, andere krachten mit ihrem Neuwagen wegen überhöhter Geschwindigkeit in einen Baum. Die einen brachten sich wegen Marihuana-Anbau in Schwierigkeiten, die anderen aus Langeweile um. Die einen sahen stundenlang fern, die anderen schossen tausende virtuelle Menschen tot. Die einen wurden aus Bewegungsmangel krank, die anderen machten sich mit Hochleistungssport kaputt. Die einen wurden schwanger und konnten ihr Kind nicht finanzieren, die anderen ließen abtreiben, um ihre Freiheit zu retten. Die einen gaben sich der anspruchslosen Wollust hin, die anderen ihren Angstzuständen.

 

Ängste kennen nur jene, die die Furcht zu ihrer Droge, ihrer Sucht, zu ihrem Problem erklären. So auch ich. Geplagt von Sorge, in die ich mich hineinfresse, verbeiße und von der ich nicht mehr loskomme. Eine Fantasie ohne Grenzen, die ich oft hasse wie der Papst die Abtreibung. Wenn ich sie und alle anderen Sorgen abtöten könnte, würde ich es sogar tun. Egal ob mit einer Stricknadel oder mit Medikamenten. Eine geborene Hypochonderin, die stärker aussieht, als sie ist und schwächer, als sie sich eingesteht.

Angst ist mein persönliches Hobby. Sie bindet mir die Arme auf den Rücken und meine Beine zu einem Knoten:

Wenn ich mich schlecht ernähre, habe ich Angst vor Magengeschwüren. Wenn beim Sex das Kondom reißt, habe ich Angst vor Aids und davor, schwanger zu werden. Wenn ich mit - egal welchem Menschen - im Auto mitfahre, habe ich Angst, in die Leitplanke zu krachen oder von der Fahrbahn abzukommen. Wenn ich in der Disco tanze, habe ich Angst, eine der großen Boxen könnte umfallen und mich erdrücken. Wenn ich im Kino sitze, habe ich Angst, ein Erdbeben könnte die Decke über mir einstürzen lassen. Wenn ich auf einem Popkonzert zwischen tausenden Menschen stehe, habe ich Angst vor Massenpanik und zu kollabieren. Wenn ich im Flugzeug sitze, Angst abzustürzen. Wenn ich im Zug sitze, Angst zu kollidieren. Wenn ich Schwammerln in einem Restaurant esse, Angst vor Vergiftung. Wenn mich ein Insekt sticht, Angst vor allergischen Reaktionen. Wenn ich weiter als 200 Kilometer von einer Zivilisation entfernt bin, Angst krank zu werden und keinen Arzt zu finden. Wenn ich meine Wohnung nur einmal zusperre, Angst vor Einbrüchen. Wenn ich nachts durch die Stadt gehe, Angst vor Schlägereien. Wenn ich einen hübschen Jungen sehe, Angst mich zu verlieben. Wenn ich einen Vortrag halte, Angst mich zu versprechen. Wenn ich mit fremden Menschen spreche, Angst ungesteuert Worte wie »Arsch«, »Ficken« oder »Schwein« loszuschreien. Wenn ich Kerne verschlucke, Angst vor Blinddarmdurchbruch. Wenn ich Volleyball spiele, Angst vor schweren Knochenbrüchen. Wenn ich wütend bin, Angst jemanden umzubringen. Wenn ich blutrünstige Horrorfilme sehe, Angst die Bilder nicht mehr zu vergessen. Wenn ich meine Großeltern länger nicht treffe, Angst, sie würden vor einem Wiedersehen sterben. Wenn ich meine Freundinnen rauchen sehe, Angst, sie würden daran zugrunde gehen. Wenn ich eine Nacht nicht schlafen kann, Angst vor andauernden Schlafstörungen. Wenn ich in einer Beziehung bin, Angst vorm Alleinsein. Wenn ich getrennt bin, Angst vor Beziehungsunfähigkeit. Wenn ich zu viel Angst habe, habe ich Angst vor Depressionen. Und sowieso habe ich Angst vor Krebs.

 

 

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Okay, Butler

 

Die Tür öffnet sich abrupt und er erhebt sich automatisch von der billigen Kunstledercouch. Sie schütteln sich die Hände und setzen sich beide. Sie hat auf dem Ohrensessel ihm gegenüber Platz genommen. Ein kurzer Blick auf das weiße Formular auf ihrem Schoß, dann ein ebenso kurzes Lächeln.

 

»Ihr erstes Mal bei mir?«

»Jaaa«, schnauft er aus. Er ist außer Atem wie bei einem Marathonlauf. Allerdings scheint sein Laufen kein Ende zu nehmen.

»Kevin Breitenmüller, nicht wahr?«

»Butler.«

»Wie bitte?«

»Butler ist mir lieber.«

Sie überlegt kurz, dann: »Okay, Butler.«

»Alle sagen Butler zu mir.«

Sie fischt nach dem Papier und sieht ihn an.

 

»Woher kommt das … Butler?«

»Adriano … Adrianos Großvater hat mich so genannt.«

»Adriano?«

»Klamminger. Mit dem bin ich aufgewachsen.«

»Soso.«

»Er war der Meinung, ich sei sein Butler. Überall, wo Adriano war, war ich auch. Er fand das lustig.«

»Der Großvater?«

»Ja.«

 

Ihr Blick zeigt keine Reaktion.

 

»Sie sind freiwillig hier bei uns?«

»Ja.«

»Warum?«

»Wegen Adriano.«

 

 

Unbequemes Wiedersehen

 

Die zwei großen Reisetaschen sind endlich abgestellt. Das Handgepäck liegt neben ihm. Das Mistding ist fast schwerer als die Reisetasche selbst. Die paar Flaschen billiger Lambrusco wiegen einfach zu viel, aber irgendwie müssen sie die Zeit ja verflüssigen. Vierzehn lange Stunden liegen noch vor ihnen. Eine Nacht mit nicht verschiebbaren Nackenstützen, ratternden Gleisen und abgestandener Luft, klappernden Lüftungen und ausweglosen Schlafversuchen. Dann sind da noch die Gespräche und das gelegentliche Schweigen.

 

Zu erzählen haben sie sich nicht viel – trotz der langen Zeit. Sie wissen Bescheid über ihr Leben, haben die wichtigsten Stationen durch andere übermittelt bekommen, von Freunden oder Exfreundinnen. Das kann in einer Stadt schon passieren, wenn sich Menschen aus den Augen verlieren. Und das haben sie.

Er hat von Butlers romantischen Eskapaden gehört, von seinen selbstzerstörerischen Liebesexzessen, den Enttäuschungen und dem Scheitern. Er hat auch überlegt sich bei ihm zu melden. Doch bevor er jemandem hilft, muss er sich selbst helfen. Ist ja nicht so, dass er es leichter hat. Was bringen einem One-Night-Stands, wenn sie einen langweilen?

Da wäre er lieber auch ein Nerd, so ein einfacher Typ, der sich einfach verliebt. Dann würde er endlich zur Ruhe kommen. Stattdessen stürmt er durch die Welt und scheitert am Versuch, schneller als er selbst zu sein. Butler hat umgekehrt sicher von seinen Schlafzimmer-Reisen gehört, seinem nächtlichen Vagabundenleben, seinen Fluchtpunkten. Vielleicht hat er auch Angst um ihn gehabt und überlegt sich bei ihm zu melden. Doch bevor der jemandem hilft, muss er sich selbst helfen.

 

Und heute, nun fast ein Jahrzehnt später, sitzen sie in einem übel riechenden Zugwaggon einander gegenüber und ähneln sich noch immer kein bisschen. Im Prinzip scheint alles gleich wie damals, außer: mehr Falten im Gesicht, mehr Erfahrung im Leben, mehr nackte Frauen in seinen, mehr Beziehungsversuche in Butlers Betten. Das, was sie verbindet, scheint der Alkohol im Blut. »Prost!« Laut klirren die beiden Flaschen Lambrusco aneinander.

Er weiß nicht, ob er sich auf diese Reise freuen oder sich vor ihr fürchten soll. Ein alter Freund hört plötzlich mit dem Suchen auf. Verzogen in die große fremde Weltstadt und mit ihm das Liebesglück. Der Versuch, in einem Jetzt zu leben. Seit zwei Jahren tat er das glücklich in einer Beziehung. Schön für ihn, wenn er daran glaubt. Dieser antireligiöse Waldorfschüler und Liebesanbeter. Eine alte, längst erstorbene Flamme noch dazu. Butler und Lea passen ungefähr so gut zueinander wie Ballettschuhe und Kampfhubschrauber. Das ist ja schon einmal schiefgegangen. Doch diese Sorge ist nicht sein Problem.

Er selbst steckt fest in seinen Kinderschuhen, lacht noch immer über billige Witze, kann weder ernsthafte Gespräche noch ernsthafte Beziehungen führen. Das weibliche Streicheln seiner Hoden ist ihm wichtiger als gemeinsame, monogame Zukunftsplanung. Ein Grund dafür, dass er nicht den Fensterplatz, sondern die Sitze bei der Abteilverglasung wählt, um ständig nach potenziellen Zugbegleiterinnen Ausschau zu halten. Doch vergebens: Die einzige Konversation, die er mit einer weiblichen Erscheinung hat, ist die mit einer auf jung geschminkten Sechzigjährigen im falschen Pelzmantel. Sie fragt sie – naja, eigentlich ihn, ob er ihr nicht mit dem schweren Gepäck helfen könne? Sein Charme scheint die falschen Frauen zu erreichen. Butler grinst – wie er es schon immer getan hat, wenn ihm etwas Unangenehmes passiert – und liest gemütlich in seinem Buch Liebe dich selbst und alles wird gut weiter. Scheiß Nerd!

 

Endstation Berlin: Es wird Zeit auszusteigen und das stickige Abteil mit den unbequemen Nackenstützen hinter sich zu lassen. In Berlin können sie beinahe keine Wege zurücklegen, ohne die U- oder S-Bahn zu nehmen. Das zeigt ihm die Größe, die er sonst nicht bemerkt. Alles ist weitläufig: Die Bauten breit und nicht verschachtelt, die Straßen mehrspurig und die Menschen aufgesplittert, selten in großen dichten Gruppen. Er weiß nicht, wie seine vorläufige Bleibe aussieht. Er weiß nur, dass sie bei einem schwulen marokkanischen Tänzer wohnen werden, der die meiste Zeit in Paris lebt.

Butler will auch nach der Hochzeit keinen zweisamen Haushalt führen. Einmal WG, immer WG. Hochzeit ja, aber das Häuschenbauen und Kinderkriegen kann noch warten. »Man darf Beziehungen nicht überstrapazieren. Jeder braucht seinen Freiraum. Die Gefahr ist immer, dass man in einem Jahr schon all das erlebt, wofür andere siebzig Jahre brauchen.« Butler gibt seine Binsenweisheiten von sich, während er durch die angekritzelten Fenster der S-Bahn auf Berlin blickt.

Die Stadt strahlt eine tiefe Einsamkeit aus. Triste Bilder, die sich auf sein Gemüt legen wie Teer. Der erste Eindruck von Berlin Mitte und Umgebung lässt ihn nicht mehr los. Hohe Plattenbauten ragen dort aus dem Boden wie überdimensionierte Militärbunker, große kahle Laubbäume und fette schwarze Vögel überall. Er hat noch in keiner Stadt so viele Krähen gesehen. Straßen voller Geschichte. Er spürt noch die drückende Stimmung der DDR-Zeit. Plattenviertel nennen es die Bewohner, ohne jeglichen Charme, wie ein hingerotztes Stück Schleim. Es macht ihn tatsächlich platt. Er spürt: Wer hierher kommt, braucht Zeit, viel Zeit, um zu erfahren, wie die Stadt wirklich tickt. Das Gesicht ist das eine, die Seele das andere.

Die Wohnung von Butler und seinem marokkanischen Mitbewohner scheint geräumig, aber bescheiden. Die Einrichtung ist eine Sammlung alter, teils kaputter Möbel und selbst zusammengeflickter Einrichtungsgegenstände. Erstandenes vom Flohmarkt im Gesamtwert von hundert Euro. Viel mehr kann es nicht wert sein. Die Wände und Decken sind noch in den gleichen Farben wie aus der Zeit, als das Haus gebaut worden ist. Spinnweben lassen die Räume unbewohnt erscheinen. Die Laden in der Küche haben ihre Schiebemechanik verloren und stecken spontan eingelegt in ihrem Gehäuse. Auf die Couch in der Küche will er sich nicht hinsetzen, weil sie aus dem 18. Jahrhundert zu stammen scheint und mit einem Stoff bezogen ist, in dem sich in Hunderten von Jahren so einiges angesammelt haben muss. Es gibt nur wenige Lampen und die werfen fast kein Licht. Butler hat aus einem für ihn nicht nachvollziehbaren Grund alle Heizungen abgedreht. Wahrscheinlich waren sie abgedreht, als er herzog und er war letztendlich zu träge und unbeholfen, um auf die Idee zu kommen sie aufzudrehen.

Das ist einer seiner Charakterzüge: Dinge passieren zu lassen, bloß nicht aktiv werden. Seine Bewegungen finden grundsätzlich nur in Zeitlupe statt. Sein Fortbewegungsstil erinnert stark an den eines Brachiosaurus, der einen tonnenschweren Hals mitziehen musste. Butler geht nicht, sondern zerrt sich dahin. Ja, es scheint so, als wenn er sich selbst nachzieht – Hoppla! Und dann noch dieser ständig überraschte Gesichtsausdruck. Zeit spielt in Butlers Leben keine Rolle. Seine Passivität hat ihn schon zu oft zur Weißglut gebracht. Adriano dreht alle Heizkörper der Wohnung auf und zieht sich noch ein paar Socken und einen Pullover an. Natürlich mag er Butler trotzdem, er war lange Zeit sein bester Freund.

 

*

 

Berlin ist eine dreckige Stadt, zumindest auf den Nebenstraßen. Dort begegnen ihnen zahllose Hundehaufen, kaputte Fahrräder und Autoteile, abgestellte Waschmaschinen, nasse alte Zeitungen, Müllsäcke und Christbäume. Am Rande jeder Straße liegen Tannen und Fichten, die dort von den Bewohnern einfach abgelegt wurden. Auf die Idee sie wegzuräumen kommt keiner, nicht einmal das Straßenamt. Das findet er sympathisch. In einer Seitengasse treffen sie auf eine verlassene Schule, der Schulhof voller Dreck und Schlamm. Vor dem Tor liegt eine Doppelmatratze, auf der Hundepfoten und Urinflecken zu sehen sind. Natürlich steigt Butler in Hundescheiße, während er hinter einem Müllcontainer auf das Schulgelände pinkelt. Butler streift sie beim nächsten Privatzaun ab. Er schießt ein Foto. Wie alle großen Städte boomt Berlin eher durch seine berühmten Geschichten als durch die Realität vor Ort. Reine Fiktion. Er begreift immer mehr, dass der Reiz dieser Stadt mehr am Namen und der damit verbundenen Assoziation hängt, weniger am Flair. Aber es ist erst sein erster Tag.

Butler und er kaufen zwei Schnapsgläser und eine Flasche Wodka. Alle dreißig Minuten machen sie Halt und trinken einen Doppelten. Dazu singen sie regelmäßig »Moskau, Moskau – schmeißt die Gläser an die Wand! Russland ist ein schönes Land!« Nach drei Stunden müssen sie sich aneinander abstützen und die Fotos verwackeln. Siegessäule, Bundestag, Kanzleramt, Brandenburger Tor, gläserner Hauptbahnhof, Kulturbrauerei, Gedenkkirche am Kurfürstendamm …

 

Es hat sich wirklich nicht viel verändert. In ihnen wohnen noch immer dieselben Kinder wie damals. Beim jüdischen Denkmal spielen sie Abfangen und rauchen verbotenerweise. Sie schämen sich nicht. Dazu sind sie zu betrunken und der Zweite Weltkrieg schon zu lange her. Sie fahren schwarz in der S-Bahn und werden nicht erwischt. Als er bei der Warschauer Straße aussteigt, denkt er, er wäre im tschetschenischen Kriegsgebiet. Die S-Bahn-Haltestelle und die umliegenden Abstellgleise stellen gleichwohl eine Müllhalde dar. Die alten Hallen aus Backstein sind flächendeckend mit Graffitis bemalt, teils eingestürzt oder zu Obdachlosenschlafplätzen umfunktioniert. Nur die Wurstfrau beziehungsweise das Wurstfräulein lässt ihn hoffen, nicht im letzten Winkel Russlands zu sein. Eine Schönheit! Zum Einpacken und Mitnehmen. »Bitte 55 Kilo schön geformtes Fleisch mit schwarzem Haar und wunderschönen Augen!« Sie zeigt sich von der Idee weniger begeistert, scheint aber zumindest geschmeichelt zu sein. Für eine Telefonnummer reicht es wieder nicht. Sie schlendern entlang der Spree, die hier ein Zufluchtsort suchender Seelen und eine Sammelstelle für Schweralkoholiker zu sein scheint, wo sie sowohl Leergut als auch Kotze und Pisse abstellen können. Die Spuren der Silvesterpartys sind noch klar zu sehen. Anstatt die Flaschen, Gläser, Feuerzeuge und gebrauchten Leuchtraketen wegzuräumen, hat das Straßenamt Teile mit einem Bauzaun abgeriegelt. Eigenartig. Als die Sonne hinter den Häusern zerschmolzen ist und die Dämmerung einsetzt, beginnt die Stadt plötzlich sympathisch zu werden. Der Dreck wird allmählich vom Mantel der Nacht bedeckt. Die Straßen füllen sich, die Clubs machen die Lichter an.

 

*

 

Zurück zuhause leeren wir den ersten Prosecco und spielen laut auf dem verstimmten Klavier. Kein Nachbar beschwert sich. Nach dem zweiten doppelten Wodka dusche ich und rasiere mir Achseln, Hoden und was sonst noch in die Quere kommt. Ich erwische etwas zu viel Rasierschaum und habe vorne plötzlich den Hintern eines weißen Zwergpudels. Butler bringt den dritten, dann den vierten, dann den fünften Doppelten. Dann sehe ich doppelt – zwei Schwänze hängen zwischen meinen Beinen herab. Meine Augen schwellen an, meine Wangen werden rot, ich finde alles ziemlich lustig. Wir philosophieren über Frauen, Körperbehaarung und Ausscheidungsorgane. Dabei sind wir uns einig, dass stundenlange Klo-Sitzungen mit Zeitung, Bier, einer Zigarette und ohne andere Menschen in der Wohnung das Schönste im Leben sind. Wir verdrängen die Vorstellung, dass das andere Geschlecht auch dazu in der Lage sein könnte. »Dass Frauen wirklich so etwas Widerliches und zutiefst Männliches wie Scheißen tun, glaub ich bis heute nicht. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Das sind einfach Wesen, die das nicht können!«, sage ich zu Butler. Er lacht und nimmt noch einen Schluck.

 

Als die Flaschen leer sind, haben wir die Idee, für den Polterabend von Butlers Frau keinen Stripper einzuladen, sondern es selbst zu versuchen. Es soll eine Überraschung werden, wenn sie durch die Türe tritt. Wir binden uns Leintücher in der Art einer Toga um, setzen uns Pornobrillen aus den 70ern auf, halten in der linken Hand das Glas Wodka und in der rechten die Penisse.

Als Lea die Tür öffnet, werfen wir das Handtuch zu Boden, trinken links und beuteln rechts. Dabei drehen wir uns im Kreis und singen im unverständlichen, gelallten Dialekt »Macarena«. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, greift sie zu ihrer Kamera und filmt uns. Damit haben wir nicht gerechnet. Aber wir spielen mit. Die Bilder wirken wie das Making-of eines schlechten Erotikfilms, bei dem im Vordergrund die beiden Shootingstars Interviews geben und im Hintergrund nackte Nebendarsteller gurren. Wir beschließen, uns für die Nacht nur mehr Rocco und Romano zu nennen. Lea bekommt dann doch noch einen Schreikrampf, bei dem mein Name als Schimpfwort eingesetzt wird. In ihren Augen bin ich der katastrophale Einfluss, der Butler in nur wenigen Tagen wieder zu einem anderen Menschen gemacht hat. Ich schüttle nur den Kopf und gehe. Butler läuft wie immer hinterher.

 

*

 

Die erste Station nennt sich Weekend. Ein Club, der sich im obersten Stock eines Hochhauses befindet, von wo aus Gäste durch riesige Glasfenster über ganz Berlin sehen. Im Sommer steigen die Partys auf der Dachterrasse, doch es ist nicht Sommer. Stattdessen Whirlpool-Separees, Champagner-Logen und private Lapdance-Ecken. Der halbe Club ist eine VIP-Area für Menschen mit Geld oder den richtigen Kontakten. Der Türsteher sieht uns skeptisch an. »Zwei Jungs sind zwei zu viel!« Ich scherze, dass Romano mit seinen langen, lockigen Haaren ohnehin als Frau durchginge. Keiner lacht außer mir. Er lässt uns trotzdem hinein. Wieder einmal der österreichische Mitleidsbonus. Ich frage mich, ob das bei den deutschen Frauen auch so funktioniert. Wir werden von einem Liftwärter, der auf einem Hocker in der Zitty liest, hinaufbefördert. Einer von uns fragt, wie das Geschäft so laufe? Der Liftwärter antwortet knapp: »Auf und ab!«

Oben angekommen, tauchen wir in eine neue Welt: Eine aus Bassisten und Mini-E-Pianisten bestehende Elektro-Band geigt auf und das bunt gestylte Berlin tanzt. Wir benötigen dringend Bier. Ein Typ an der Bar niest Romano zweimal direkt in das Gesicht, hält sich die Nase und hebt entschuldigend die Hand. »Verkühlt?«, fragt Romano mit italienischem Akzent. »Discoschnupfen!«, antwortet der Gesichtsnieser und lächelt uns, seine Nase reibend und verschmitzt zwinkernd, zu.

Entweder sind die deutschen Frauen zu groß oder die Österreicher zu klein – ich komme mir ständig vor, als wäre ich ein Kleinkind. Romano quatscht zahlreiche tanzende und trinkende Schönheiten an und verteilt Visitenkarten und Einladungen in unsere VIP-Lounge, wie wir unsere noch rasch ergatterte Sitzbank nennen. Wenn er Alkohol trinkt, kann er ja. Ein paar Mädchen setzen sich erstaunlicherweise zu uns und halten unsere dämlich improvisierten Geschichten für bare Münze. Zwei geben uns ihre Nummer für den Fall, dass wir wieder einmal Pornodarstellerinnen suchen. Mir wird alles zu blöd und ich drehe Solo-Runden durch den Club. Ein Mädchen auf der Toilette lächelt mich beim Waschbecken an und erzählt mir, dass Menschen ungefähr dreißig Sekunden lang Hände waschen müssen, damit die Bakterien der Fäkalien getötet werden. Wir laufen ihrer Meinung nach alle mit unzählbaren kleinen Krankheitserregern herum. Ich schenke ihr kein Lächeln, gebe ihr weder Hand noch Kuss und suche das Weite.

 

Unsere nächste Station befindet sich in der berühmt-berüchtigten Kulturbrauerei Berlins. Dort – so heißt es in gewissen Kreisen – gibt es ab zwei Uhr nachts das »Restl-Ficken«. Wohlhabende Geschäftsfrauen schnappen sich junge Männer, die nicht schon von jüngeren Frauen mitgenommen worden sind. Für Diskussionen, Anmachsprüche, Alibi-Small-Talks und sonstige überflüssige Konversation fehlt da natürlich die Zeit. Schultertippen, Hallo-Lust-auf-Ficken, Taxipfiff und fertig ist das Kennenlern-Szenario. Es geht zu wie in einem Bordell ohne Bezahlung. Wir ergattern Sitzplätze und beobachten alles aus sicherer Entfernung. Ich rauche Zigarillos und scherze bereits mit den noch einzig übrig gebliebenen jungen Mädchen. Wir sprechen auf Englisch über die harte Pornoindustrie und jammern über die untalentierten Protagonistinnen von heute. Als ich unvorsichtig Romano Butler nenne und auf Deutsch frage, was er als Nächstes trinken will, kassiert er zwei Watschen und sieht den aus der Bar eilenden Mädchen lallend nach. Ich entschuldige mich rülpsend, doch Romano verschwindet bitterböse am Klo. Als er zurückkommt, sitze ich umringt von drei schwergewichtigen Mittfünfzigerinnen und wirke derart klein, dass man mich kaum noch sehen kann. Die eine sitzt auf dem Schoß der anderen und beugt sich regelmäßig zu meinem Ohr, um mir Dinge zuzuflüstern, die ich nicht verstehen will. Die andere greift mir abwechselnd auf meinen Oberschenkel und meine Brust. Romano lacht höhnisch wie Jack Nicholson und vergisst, ein Foto zu machen. Er rettet mich im letzten Moment, indem er sich auf meinen Schoß setzt und mich auf die Wange küsst. »Ist ja nicht gleich ein Grund schwul zu werden!«, bellt die eine los. Romano sieht sie ernst an. »Doch!« Die Plätze können wir nicht zurückgewinnen, unsere Freiheit schon. Trotz Sprachfehler und Bewegungsproblemen lerne ich noch eine hübsche blonde Frau kennen, die mir einen Club empfiehlt, in dem Gäste entweder nackt oder in Kostümen erscheinen müssen. Der Club öffnet erst um fünf Uhr sonntagmorgens und wir wissen, dass wir unbedingt dorthin wollen. Doch heute konzentrieren wir uns auf die Kulturbrauerei: Musik aus den 70ern, 80ern und 90ern dringt aus der lauten Soundanlage. Menschen tanzen unrhythmisch, andere torkeln von Bar zu Bar. Bierbänke und Tische sind auf allen Seiten aufgestellt und dienen Mann und Frau zu ausführlicheren Flirtgesprächen oder Alkoholikern als Schlafplatz. Vor dem Klo steht ein Typ mit einem Körbchen, auf dem in großen Buchstaben »50 Cent für WC-Benutzung« gekritzelt ist. Keiner zahlt außer mir. Da die blonde Frau bereits mit einem der Kellner schmust und außer dem fettleibigen Dreiergespann nichts Weibliches auszumachen ist, ergreifen wir notgedrungen die Flucht. Der Taxifahrer will uns nicht mitnehmen, weil wir zu sehr nach Tanzabend stinken.

 

DISCOSCHNUPFEN – DER PARTY BLOG

#Schlaraffenland #Ego-1-2-3

 

posted by Mexx

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Bei mir ist alles Disco. Ich bin seit ein paar Tagen bei meinem Kumpel in Berlin. Scheiß Hochzeitsvorbereitungen. Heute war ich auf einem Flohmarkt und wollte für Sartre fünf Euro zahlen. Der Verkäufer gab mir ein deutsches Nein. Ich fragte »Wirklich?«, er gab keine Antwort. Also tat ich so, als würde ich das Buch zurücklegen, steckte es jedoch unter meine Jacke und zahlte nichts.

Das Imaginäre – Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft. Unsere imaginäre Welt wäre autonom, weil Zeit und Raum keinen Einfluss hätten. Ein Eintritt in die beiden Welten wäre nur möglich, wenn mein Ich zu einem anderen Ich würde. Zwei getrennte Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Wünschen und Lebensmotoren also – ein imaginäres und ein reales Ich. Sartre behauptet auch, dass das Imaginäre und Reale nicht koexistieren können. Keine Ahnung, wie er darauf kommt. Meine Ichs schaffen das problemlos: Ich gehe nach einer langen S-Bahn-Fahrt in den nächsten Supermarkt. Mein reales Ich entschließt sich sofort, vier Flaschen Prosecco, eine Flasche Wodka und eine Packung Zigarillos für die Party morgen Abend zu kaufen. Mein imaginäres Ich schläft währenddessen mit der hübschen Kassiererin auf dem schwarzen Förderband. Da die Erlebnisse meines imaginären Ichs mein reales Ich etwas aufzuheizen beginnen, muss ich mich mit meinem Einkauf beeilen.

 

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1993younggirl

Mir ist ein Ich schon zu viel.

 

freaky jim

Förderbandsex forever! ROFL

 

der_augenoeffner

Im Übrigen meint Sartre, dass die jeweilige Existenz des einzelnen Menschen auf Zufall beruht und man selbst versuchen muss, seinem Leben einen Sinn zu verleihen. Wenn dein Lebenssinn »Vögeln« ist, dann pass mal auf, dass dir nicht langweilig wird!

 

KillerChiller

Haha, am Flohmarkt hab ich auch schon mal geklaut.

 

KatzenzungeY

Was denn für Hochzeitsvorbereitungen?

 

die_stute11

Heiratest du, Mexx? :-( Noch ein cooler Typ vom Markt.

 

70ies_weltoffener

Who the fuck is Sartre?!

 

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Bettgedanken

 

»Frauen werden immer unbegreifbar bleiben, an unserem Lebensende gleich wie zur Babyzeit. Wir denken schon ein wenig so, wie unsere Geschlechtsteile aussehen.«

»Ja, deshalb gibt es überall Phallussymbole.«

»Stimmt, Kirchtürme, Laternenmasten, Krawattenspitzen, Kugelschreiber, Messer überall. Aber auch Tore, die hineinführen wie Vaginas in die Gebärmutter. Selbst Schwänze wären nichts ohne Öffnung.«

 

Adriano und Butler haben sich in der Wohnung verschanzt, um sich im Kollektiv zu bemitleiden. Sie essen selbstgemachte Space-Kekse und philosophieren über den Sinn des Liebeslebens.

»Warum trennen sich Menschen, wenn sie Lebenshöhepunkte wie einen gemeinsamen Orgasmus erleben?«

»Na ja, das alleine kann keinen Zusammenhalt geben.«

»Aber bedeutet ein gemeinsamer Orgasmus nicht, dass man sich sowohl gedanklich als auch körperlich irrsinnig nahe sein muss?« Butler versteht wieder einmal nicht, worum es bei gedankenlosen Sexspielen geht.

»Nein, natürlich nicht! Wenn ich ein fremdes Mädchen von hinten in den Arsch ficke und mir gleichzeitig die Abendnachrichten durch den Kopf schwirren, bin ich ihr gedanklich sicher nicht nahe.«

»Ich ficke weder Lea noch eine andere in den Arsch!«, antwortet Butler und sieht ihn verständnislos an.

»Und was ist mit den Abendnachrichten?«

Butler sagt nichts und seine Augen funkeln wie die von Dornröschen, das gerade vom Rotkäppchen-Wolf mit Großmuttermütze wachgeküsst wird und ihn darauf hinweist, im falschen Märchen zu sein. Adriano bekommt einen Lachkrampf. Sein irres Grinsen wirkt wie ein Wolfsgebiss. Er spürt Butlers Angst.

»Alter, was hast du denn gefressen?«

»Das Übliche … Kuschelst du eigentlich mit deiner Freundin?«

»Kuscheln klingt komisch! Was meinst du damit? Sich aneinander reiben oder was?«

»Nein, sich umarmen!«

»Ja, das tun wir schon!«

»Und wie?«

»Was heißt wie?«

»Wie heißt wie!«

Die Szene erinnert an die Adventure Camps im Fernsehen, in der reiche Stars auf einer einsamen Insel zum Überleben ausgesetzt werden und alle gespannt darauf warten, wer es am längsten aushalten wird.

»Na ja, ich hinter ihr!«

»Ja, der Mann ist immer beim Arsch. Eine meiner Ex wollte beim Einschlafen ab und zu meine Hoden halten. Einfach halten, in einer ihrer Hände. Ohne mir einen zu blasen, ohne sie zu kraulen, ohne mir einen runterzuholen.«

Butler kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein: »Wieso denn das?«

»Keine Ahnung. Sie hat es nie begründen können. Und ich hab ihr auch immer gesagt, sie kann nicht einfach nur meine Hoden angreifen. Da muss schon mehr passieren, zumindest vorher, sonst halt ich das nicht aus. Scheiße, ich hab schon so lange mit keiner Frau mehr geschlafen, Butler!«

»Wie lange schon nicht?«

»Eine Woche!«

»Trottel! Ich auch, aber ich habe eine Beziehung. Da ist es normal, mit einer Frau regelmäßig zu schlafen. Aber du schläfst regelmäßig mit verschiedenen Frauen!«

»Ja, aber ich führe kein Buch darüber. Die Anzahl ist mir egal! Ich habe mir einfach nur vorgenommen, nie mehr zu wichsen.«

 

Sie schlafen ein.

 

Ihre Gesichter verändern sich im Minutentakt, verformen sich zu Grimassen, erinnern an Dämonen, deren Schatten von Kerzen an die Wand geworfen werden. Adriano wacht neben Butler auf und sieht plötzlich in das Gesicht eines Dobermannes. Doch anstatt zu bellen, gähnt er herzhaft. Wenn er gerade nicht schläft, will er ficken oder ist zu sehr mit Dope zugedröhnt, um noch etwas anderes wahrzunehmen als sich selbst. Ihr Vorrat ist aufgebraucht. Adriano wird leicht nervös, aber keiner will gehen. Sein Gesicht verzerrt sich, sich streckend beginnt er lautstark zu jammern. Es ist inzwischen schon wieder 01.30 Uhr in der Nacht. Butler rollt sich gequält und genervt aus dem Bett. Er will die Diskussion abkürzen. Doch daraus wird nichts. Sein Einkleiden gleicht einem tausend Jahre alten Ritual, ein Einrüsten für die scheinbar unendlichen Gefahren eines verkehrsreichen Alltags. Wer ihn dabei beobachtet, muss annehmen, dass er sich bereit macht für einen kämpferischen Feldzug durch die freie Wildnis der Großstadt.

Nachdem Butler gegangen ist, fordert Adriano sich selbst zum Tanz auf und bewegt sich zu Frank Sinatra im Walzerrhythmus. Sein Körper verwandelt sich in eine Videokamera auf einem drehbaren Stativ. Sein Blick ist starr und eckig, nimmt jedoch jede Bewegung auf. Plötzlich weiß er nicht mehr, wie Atmen funktioniert. Der verinnerlichte Urinstinkt ist wie weggelöscht aus seinem Gedächtnis. Wie kann er nur die verdammte Luft in seine Lungen pumpen? Er wird hysterisch, dreht sich im Kreis und läuft bläulich an. Irgendwann fällt er in Ohnmacht.

 

 

DISCOSCHNUPFEN – DER PARTY BLOG

#Schlaraffenland #RoteLuftballonParty

 

posted by Mexx

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Die rote Luftballon-Party, Startzeit: 20 Uhr

Ort: WG bei Mirko & Ramlé (Partypeople de luxe)

Die ersten zwei Stunden kommen ausschließlich Partyhengste und keine einzige Frau. Wir trinken kontinuierlich und sprechen über die Wirkung von Paracetamol in der Kombination mit hochprozentigen Spirituosen. Es gibt kistenweise Bier, flaschenweise Wodka und plastiktütenweise Rotwein. Der Rotwein erinnert mich an Blutkonserven, die sorglos auf der Fensterbank darauf warten, endlich abgeholt zu werden. Gleich neben dem verwelkten Kaktus. »Es riecht nach Fett, Tschik und Bier – kein Wunder, dass alle hier sind!«

Der Satz am Kühlschrank ist Programm.

 

Zwei Stunden später heißt es plötzlich »80 Prozent Frauenanteil«. Die Folge: sich laut präsentierende Vaginas und nervös von einem Raum zum anderen springende Schwellkörper. Ich hechle hin und her, ohne mich endgültig auf ein Mädchen zu konzentrieren. Sobald ein Drink leer ist, beende ich jegliche Zweisamkeit. Statt zurückzukehren, stelle ich mich zur nächsten Östrogentraube. In allen Zimmern schweben an der Decke rote Luftballone, an denen Schnüre hängen, woran einzelne Zigaretten, Fotos und Kondome befestigt sind. Ich laufe den gesamten Abend mit einer Bierdose in der Hand durch die Menge und schnüre einen roten Ballon daran, damit ich sie nicht verliere. Zwischendurch atmen wir Heliumgas in unsere Lungen und sprechen wie Mickey Mouse. Manche fliegen um, anderen wird schlecht oder kratzt der Hals. Mir geht es gut. Ich fühle mich nur ein wenig bekifft. Zwischendurch setze ich mich zum selbstgebastelten Trinkschlauch, der einem in wenigen Sekunden einen Liter Bier in den Magen pumpt. DJs legen Minimal-Techno auf und bringen das Wohnzimmer zum Vibrieren. Über rhythmische Beats hinweg sagt eine dunkle Männerstimme: »Die mit dem roten Halsband!«

Die Nebelschwaden stammen nicht von der Nebelmaschine, sondern von den unzähligen Joints. Eine Straßenampel, die wir von einer Baustelle mitgenommen haben, schaltet laufend von Grün auf Orange und Rot und wirft gefärbte Schattenspiele an die Wand. Irgendwann betreibe ich etwas Small Talk mit einem inzwischen schöngetrunkenen Mädchen, das mir ständig erzählen will, wie wichtig Sex in einer Beziehung sei. Ich will grundsätzlich dagegen sein und meine nur: »Sex ist absolute Nebensache!« Sie schüttelt den Kopf und erwidert: »Sex ist aber die wichtigste Nebensache einer Beziehung!«

»Wozu sich in einer Beziehung den Stress machen, regelmäßigen und guten Sex zu haben, der nach einem halben Jahr eh nicht mehr spannender ist als Staubsaugen? Vorher lieber andere Frauen ficken, dass der Sex mit der Freundin wieder halbwegs spannend wird«, betone ich und beende das Gespräch, indem ich laut rülpse und aufstehe, um ein neues Bier zu holen.

 

Irgendwann kommt nachts die Polizei, weil sich Bewohner des gegenüberliegenden Hauses über die Festivallautstärke beschwert haben. Manchmal möchte ich ein Diktator sein und alle köpfen lassen. Menschen, die anderen Menschen keinen Spaß gönnen, weil sie der Neid in ihrem trostlosen Leben zerfrisst, hasse ich mit Abscheu. Die Lautstärke hält sich für achtzig Gäste in Grenzen! Einer der Polizisten wird, als er durch die Türe tritt, gleich von drei hübschen Mädchen umarmt, die ihn sanft fragen: »Seid ihr die Stripper, die wir bestellt haben?« Da leuchten die Augen plötzlich auf! Ha, auch nur schwanzgesteuert! Er fragt seinen Kollegen, ob sie nicht doch auf ein Bier bleiben wollen. Der andere gibt sich aber versteinert und fängt an zu toben, als wir die Musik nicht leiser schalten. Mirko fängt an mit ihm zu diskutieren. Der Bulle kristallisiert sich als Neonazi heraus, der sich über die polnische Herkunft Mirkos lustig macht. Das findet Mirko wiederum nicht lustig und wir müssen ihn zurückhalten, damit er dem Nazi nicht eins auf die Fresse gibt. Schließlich will deshalb keiner sein Leben im Knast verbringen, in dem der Tagesablauf aus Schlafen, Arschficken, Essen, Arschficken, Krafttraining, Lesen, Arschficken und vielleicht manchmal Duschen besteht. Irgendwann hauen die Bullenschweine ab und mit ihnen leider auch mehr als die Hälfte aller Chicks. Arschlöcher. Die Beats in Zimmerlautstärke sind wie schlaffe Pimmel – der Saft der Party ist draußen. Ich bilde mir ein, mich in ein Mädchen zu verlieben und sitze zwei Stunden neben ihr, um am Ende zu checken, dass sie einen Stecher hat. Zwei Leute wollen in Mirkos Zimmer vögeln, kommen jedoch nur bis zum Ausziehen, weil Mirko die Zimmertür aufreißt und beide mit Schlagsahne besprüht. Ich mache ein Video und stelle es online. *smiley* Link folgt gleich …

 

Danach sitze ich zwölf Stunden auf dem gleichen Platz, in einem gemütlichen Armsessel voller Schafswolldecken und mit viel Geschichte, von wo aus ich alles überblicken kann. Menschentrauben kommen und gehen, Hände begrüßen und verabschieden, Alkohol und andere Drogen fließen und wirken, Lippen sprechen und küssen, Augen dösen und erwachen. Keiner trägt mehr Schmuck, sondern jeder hat die Unterarme mit Stempeln verziert, die von den nächtlichen Clubbesuchen stammen. Kurzzeit-Tattoos, die die Geschichte einer Nacht eine Woche lang erzählen.

Ich habe ständig das Gefühl, dass neben mir der Tod sitzt, mit seiner schwarzen Kapuze sowie seiner Sense in der einen und einem Bier in der anderen Hand. Er lächelt mir zu und gibt mir unaufhörlich den Tipp, sich für ihn zu entscheiden. Scheinbar provoziere ich ihn, mich auszuwählen, mich zu holen. Aber nein, damit würde er es mir viel zu leicht machen. Ich lache ihn aus, proste ihm zu und gebe ihm zu verstehen, dass er sich schleunigst verpissen soll.

 

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tina21

Ich würde dich gerne mal wie Mickey Mouse sprechen hören!

 

clarafrau1

Rotes Halsband hätte ich für dich, Süßer!

 

wentux1988

Voll eklig! Hast wohl nur Ficken und Saufen im Schädl.

 

freaky jim

Bist du Nonne oder was?

 

wentux1988

Bist du dämlich oder was?

 

sab19

Sex ist das Wichtigste in ’ner Beziehung. Nichts für ungut, aber wenn du das nicht geschnallt hast, dann wundert es mich nicht, wenn du noch immer Single bist.

 

marius1994

Mann ey, warum habt ihr den Scheißbullen nicht geschlägert!

 

ninachjenXY

Das mit dem Helium ist krass! Geile Idee!

 

23stadtkind

Habt ihr nichts Besseres zu tun, als Scheiße zu bauen und dann auch noch drüber zu schreiben??!

 

KillerChiller

Mexx, du Held!

 

schlafes_bruder

wisst ihr, dass es jederzeit vorbei sein kann? das leben ist ohnehin so kurz, aber es kann noch viel kürzer sein. ein guter freund von mir ist vor einem monat abgestürzt. einmal etwas spaß zu viel erwischt. an der eigenen kotze erstickt. mitten im schlaf. das geht schnell. der tod sitzt uns im nacken. und dann fragt man sich: wozu all der scheiß? das lautsein, das feiern, das zudröhnen … das ist doch nicht alles, oder? es kann so schnell kippen. und was bleibt, ist traurigkeit. daran denken wir zu selten. was für eine welt …

 

KillerChiller

Irgendwer ficken?!

 

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Hamsterradlauf

 

Lea ist nicht gerade eine Romantikerin, aber sie kann gewissen Träumen durchaus etwas abgewinnen. Das, was Lea als Realität kennt, steht kurz vor dem Zusammenbruch. Sie sieht es in den Gesichtern der Menschen, im Verhalten bei Einkaufswarteschlangen oder im Straßenverkehr. Es brodelt der Seelentopf, vollgestopft mit aufgestautem Hass, Narzissmus und Depression.

Schnelligkeit wurde zur Ursache, warum Menschen immer weniger Zeit für den komplizierten Gefühlsdusel zwischen sich haben. Sich einander bewusst zu widmen ist zu zeitaufwendig und somit auch zu kostspielig. Denn Zeit ist Geld, wie es so schön heißt. So wurde das Leben, das Persönlichste, das auf dieser Welt existieren kann, zu einem unpersönlichen und trockenen Nebeneffekt des Geldverdienens. Gerade einmal auf die Welt gekommen, wurden wir sofort mitgerissen von diesem Fortschritt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alles übergeht, bis der eine explodiert und der andere kapiert, dass der Hamsterradlauf keinen Sinn mehr ergibt. Und dann wird alles stillstehen, nur die Erdkugel wird sich weiter um die eigene Achse drehen.

 

 

Das digitale Tiefenrauschen