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Die Autorin

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Ulla Beushausen

Prof. Dr. Ulla Beushausen ist Logopädin und Psycholinguistin. Sie lehrt an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen in den Studiengängen für Logopädie und ist in eigener Praxis tätig. Zum Thema Sprechängste hat sie im Rahmen ihrer Promotion geforscht und zahlreiche Bücher und Artikel dazu geschrieben. Sie bietet unter dem Titel „Sicher reden“ Trainings zum Abbau von Sprechängsten an (www.sicher-reden.de).

Ulla Beushausen

Sprechangst

Ein Ratgeber für Betroffene,
Therapeuten und Angehörige
pädagogischer Berufe

Title

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

Auch als Buch erhältlich unter der ISBN 978-3-8248-0639-3
Auch als E-Book (PC-PDF) erhältlich unter der ISBN 978-3-8248-0713-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Einleitung

Sprechangst – Was ist das?

Sprechangst als Situationsangst

Analyse von Sprechangst

Häufigkeit von Sprechängsten

Symptome

Ursachen

Angeborenes Verhalten

Erworbenes Verhalten

Angstkreislauf

Innere Bewertungsprozesse

Die Person des Sprechers

Die Sprechsituation

Test zur Sprechangst

Auswertung

Was tun?

Therapiebausteine

Sprechangst und Kommunikationsstörungen

Sprechangst und Stimmstörungen

Sprechangst und Stottern

Sprechangst bei Kindern

Was Eltern, Lehrer und Erzieher tun können

Spiele zur Kommunikationsförderung in Kita und Schule

Wo finde ich eine Therapeutin oder einen Therapeuten?

Sprachtherapie

Stottern

Psychotherapeuten

Literatur

Quellenangaben

Zum Weiterlesen

Für Eltern/Erzieher/Pädagogen

Materialsammlungen für Kommunikationstraining

Bilderbücher für Kinder, die Mut machen

Internetquellen

Vorwort zur Reihe

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse auf wissenschaftlicher Basis und sie geben Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie, Physiotherapie und Medizin. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren in Therapie, Beratung, Forschung und Lehre tätig sind.

Sprechangst, das Thema des vorliegenden Ratgebers, betrifft fast jeden Sprecher einmal, wenn er vor einer großen Gruppe etwas vortragen soll, vor einem eventuell kritischen Publikum spricht, in Prüfungen sprechen muss etc. Diese in der jeweiligen Situation fast schon normale Aufgeregtheit kann dazu führen, dass die Kommunikation nicht gut gelingt, dass mündliche Leistungen nicht ausreichend gut erbracht werden können oder dass die sprechende Person als inkompetent wahrgenommen wird. Dies geschieht besonders dann, wenn die Sprechängste ein normalerweise akzeptiertes Maß überschreiten und zum Problem in vielen alltäglichen Kommunikationssituationen werden.

Der vorliegende Ratgeber geht den Fragen nach, was Sprechangst überhaupt ist, wann sie normal ist und ab wann sie Probleme bereitet. Die Leser finden vielfältige Hinweise auf mögliche Ursachen und Entwicklungsprozesse sowie auf Möglichkeiten der psychologischen und kommunikationstherapeutischen Behandlung. Auch die Nähe zu anderen Störungsbildern, wie z.B. Stottern und Stimmstörungen, wird angesprochen. Darüber hinaus werden Ratschläge zur Kommunikationserleichterung für sprechängstliche Kinder gegeben und Tipps zur Therapeutensuche. Damit gelingt es dem Ratgeber, diesem Störungsbild an der Grenze von Sprachtherapie und Psychologie mehr öffentliche und therapeutische Aufmerksamkeit zu sichern.

Prof. Dr. Claudia Iven
Herausgeberin

Einleitung

So ein mulmiges Gefühl in der Magengegend oder einen „Kloß im Hals“ kennen wir wohl alle, wenn wir vor der Situation stehen, einer Gruppe von Menschen etwas erzählen zu müssen. Mit einem Auftreten von 41–51% ist Sprechangst – also das Aufgeregtsein in Sprechsituationen – die häufigste Angst in der Bevölkerung.

Sprechängste belasten nicht nur private Beziehungen, sie stören auch im Berufsleben und können sogar brillante Karrieren gefährden. Sprechen, d.h. informieren, miteinander reden, sich mitteilen ist ein wesentlicher Vorgang im zwischenmenschlichen Kontakt. Wer Kritik, seine Einstellungen und Gedanken nicht äußert, Gespräche vermeidet, in den alltäglichen Sprechsituationen nicht mithält, wird von seiner Umwelt nicht verstanden, setzt sich nicht durch und wird schließlich falsch beurteilt. In Beruf und Bildung werden die persönlichen Fähigkeiten auch an der sprachlichen Mitteilung gemessen. Eine Rede oder Referate, die trotz guter Vorbereitung nicht den eigenen Fähigkeiten entsprechend präsentiert werden, wirken wenig überzeugend. Wer sich diese Probleme bewusst macht und die innewohnenden Mechanismen begreift, wird ihnen nicht mehr hilflos ausgeliefert sein. Aber wie viel von diesem Gefühl des Aufgeregtseins ist normal? Welche Symptome zeigen sich? Wann macht eine therapeutische Intervention Sinn und wo findet man geeignete Therapeuten? Welche Therapieverfahren stehen uns zur Verfügung, um die Ängstlichkeit vor oder während einer Rede zu vermindern? Was sind hilfreiche Tipps und welche schaden eher? Diesen Fragen soll in diesem Ratgeber nachgegangen werden.

Neben isolierten Sprechängsten treten Sprechängste auch im Rahmen von Kommunikationsstörungen wie Stottern, Poltern oder Stimmstörungen in Erscheinung. Und nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder leiden immer mehr unter Sprechund sozialen Ängsten. Dieser Ratgeber richtet sich deshalb nicht nur an Betroffene, sondern auch an Eltern, Erzieherinnen und Erzieher sowie Pädagogen. Denn sie alle können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Kinder sicherer werden und sich besser sprachlich mitteilen können – ja dass Sprechängste vielleicht gar nicht erst entstehen.

Hildesheim im Mai 2009
Ulla Beushausen

Sprechangst – Was ist das?

Was ist eigentlich Sprechangst? Was unterscheidet sie von Redeängstlichkeit, Logophobie, Mutismus, Publikumsangst, Lampenfieber oder kommunikativer Befangenheit?

Unterschiedliche Fachbegriffe stehen uns in Wissenschaft und Alltag zur Verfügung. Manch einer sagt von sich auch, er habe Redehemmungen oder sei aufgeregt, wenn er vor anderen sprechen soll. Sprechangst bezeichnet eine relativ starke Angst/Unsicherheit in Situationen, die Sprechen oder Reden vor einem Publikum erfordert. Diese Angst kann auch zu Vermeidungsverhalten führen, also zum Verlassen der unangenehmen Situation. Die in dieser Situation empfundene Angst, Beunruhigung oder Unsicherheit ist eine emotionale bzw. psychophysiologische Reaktion auf eine zu vollbringende Redeleistung. [6]

In der Angstforschung unterscheidet man schließlich zwischen einer generellen überdauernden Eigenschaft im Sinne einer erhöhten Angstbereitschaft und dem in einzelnen Situationen variierenden aktuellen Angsterleben eines Sprechers (Zustandsangst). Die generelle Angstbereitschaft in Sprechsituationen wird auch als habituelle Sprechangst bezeichnet. Die situative Sprechangst kann dagegen von Situation zu Situation unterschiedlich stark empfunden werden.

Sprechangst, als in konkreten Situationen durchaus berechtigte Angst, ist eine Störung des „normalen Sprechers“. In der Psychologie wird Sprechangst manchmal auch als leichte Form von Sozialangst gewertet. Allen Varianten von sozialer Angst ist gemeinsam, dass Beklemmungen in Gegenwart anderer Personen bestehen.[3]

Sozialangst

Das Gemeinsame der Varianten von Sozialangst sind Beklemmungen in Gegenwart anderer Personen durch die Erfahrung, ein soziales Objekt zu sein. Die soziale Phobie ist die dauerhafte Angst vor sozialen Begegnungen mit anderen Menschen und vor allem vor dem Bewertetwerden durch andere. Menschen mit sozialer Phobie meiden gesellschaftliche Zusammenkünfte, da sie fürchten, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und auf Ablehnung zu stoßen. Sie fürchten, dass ihnen ihre Nervosität oder Angst angesehen werden könnte, was ihre Angst oftmals noch weiter verstärkt. Begleitet wird die Angst oft durch körperliche Symptome wie Erröten (Erythrophobie), Zittern, Herzrasen, Schwitzen oder Atemnot. Um all das zu vermeiden, gehen Menschen mit sozialen Ängsten Situationen, in denen sie der Bewertung durch andere ausgesetzt sind, oft von vornherein aus dem Weg, was ein berufl iches und privates Weiterkommen sehr erschweren und mitunter zu vollkommener Isolation führen kann. Man unterscheidet vier Formen sozialer Ängste:

Image Leistungsangst

Image Behauptungsangst

Image Kontaktangst

Image Beobachtungsangst

Sprechangst wird dabei als diskrete Form von Sozialangst gewertet, bei der die Besonderheiten des Publikums, die Sprecherpersönlichkeit oder nonverbale kommunikative Aspekte von Interesse sind. [5: 289]

Die extreme Ausprägung von Sprechangst, d.h. ihre „krankhafte“ Form, wird als Logophobie, also als pathologisch übersteigerte, situationsunangemessene Angst, bezeichnet und ist gekennzeichnet durch das konsequente Vermeiden von Situationen, die öffentliches Sprechen erfordern. Die Übergänge zwischen „ein bisschen aufgeregt sein“ und einer Logophobie sind jedoch fließend und machen deshalb eine Abgrenzung schwierig. Logophobie kann als eigenständiges Störungsbild auftreten oder aber als Komponente bei verschiedenen Sprach-, Sprech-, Redefluss- und Stimmstörungen enthalten sein, insbesondere bei Stottern und Stimmstörungen, aber auch bei Mutismus. Das Gegenteil der Logophobie ist die Logorrhö, ein aktives Vermeidungsverhalten in Form von angstmotiviertem Reden. Mutismus meint den Zustand des Stummseins, ein Verhalten des Schweigens oder Nichtsprechens, das allerdings über einen größeren Zeitraum (von einigen Tagen bis zu mehreren Jahren) anhalten kann und nicht freiwillig erfolgt. Trotz intakter Sprech- und Hörorgane werden keinerlei verbale Äußerungsformen – auch kein Flüstern oder andere modifizierte Formen des Sprechens – verwendet. Man unterscheidet die totale Form des Mutismus, die situations- und personenunabhängig ist und üblicherweise lange andauert, von der partiellen Form, die zeitlich begrenzt ist oder nur in bestimmten Situationen bzw. gegenüber bestimmten Personen auftritt, dem sogenannten elektiven Mutismus. Als Ursache für Mutismus wird häufig zur Erklärung ein Angstkonzept eingesetzt, sodass auch Sprechängste als eine Ursache für Mutismus in Betracht gezogen werden sollten. Die Begriffe Lampenfieber oder Publikumsangst beziehen sich auf Bühnensituationen, z.B. bei Musikern oder Schauspielern. [6]

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Sprechangst als Zustand bezeichnet die Angst, die in einer spezifischen Redesituation empfunden wird (situative Sprechangst). Sprechangst als individuelle Eigenschafteines Sprechers beschreibt dagegen situationsübergreifende Sprechängste (habituelle Sprechangst). Ausgeprägte Sprechangst ist häufig mit einem starken Vermeidungs- oder Fluchtverhalten assoziiert, sie wird dann als Logophobie bezeichnet und als klinisch relevante Störung den Sozialphobien (ICD 10: F10.1) zugeordnet.

Sprechangst als Situationsangst

Image„Ich habe einen Horror vor Referaten; davor, im Seminar meine Meinung zu sagen, also vor mir unbekannten Menschen zu sprechen. Ich merke jedes Mal, wie mein Blutdruck steigt, die Hände zittrig werden und ich total Angst kriege, dass meine Stimme versagt und ich vor lauter Hemmung nicht mehr geordnet denken kann“. Paul K., Student

Betroffene beschreiben ihre Angst meistens als abhängig von bestimmten Situationen, in denen sie erfahrungsgemäß immer wieder auftritt. Man könnte daher auch von einer „Sprechsituationsangst“ reden. Sprechsituationen, die zu Sprechängsten führen, lassen sich folgendermaßen einteilen:

image   Sprechen vor Gruppen (z.B. Referate, Präsentationen, Reden halten)

image   Gespräche mit Autoritätspersonen

image   Gespräche mit bekannten oder mit unbekannten Personen

image   Soziale Situationen (sich verbal durchsetzen, Forderungen stellen und ablehnen, Kritik äußern, Gefähle äußern, Small Talk etc.)

image   Diskussionsbeiträge in Gruppen (Fachgruppen, Teams, Seminare usw.)

Analyse von Sprechangst