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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart

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Juli 2017

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
Ein Tochterunternehmen der Haufe Gruppe

Vorwort

Das Spiel beginnt von vorne – für einige zumindest. In vielen Unternehmen, die sich in dynamischen Märkten bewegen, stehen Personalabteilungen und -teams vor einem Neuanfang. Oder sie sind mittendrin im Veränderungsprozess. Der Ausgang ist ungewiss, die Chancen aber sind groß.

Bis Ende Februar 2017 war ich Chefredakteur des „Human Resources Manager“. Und in den sieben Jahren, in denen ich das Magazin leiten durfte, war der notwendige Wandel der HR-Funktion immer wieder ein Thema. Es gab zahlreiche Diskussionen zu ihrer Zukunftsfähigkeit, die mich in der Zeit begleitet haben: HR muss digitaler werden, strategischer, muss besser das Business verstehen, HR muss dies und muss das. Die Frage nach der Zukunft des Personalmanagements war die zentrale Frage, die alle umgetrieben hat (und es noch heute tut) – Personaler, aber natürlich auch Berater und Wissenschaftler. Und ich wette, dass Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, das Thema ebenfalls schon mehrmals begegnet ist. Vielleicht sind Sie sogar ganz persönlich von anstehenden Veränderungen betroffen? Oder Sie wollen selbst völlig neue Wege im HR-Management gehen?[2]

All die Jahre habe ich mich in Bezug auf dieses Thema immer wieder gefragt, warum viele Personaler eigentlich so wenig Wert auf die Kommunikation legen. Sie gelten so gar nicht als Kommunikationsprofis. Aber warum eigentlich nicht? Was im HR-Bereich dominiert, ist das Bild des Prozess- und Standardisierungsexperten. Anforderungsprofile der Personaler sehen Kommunikationsstärke vor allem dann vor, wenn es um Employer Branding oder Personalmarketing geht. Doch ich meine mit Kommunikation nicht nur eine zielgruppenadäquate Ansprache und eine gute Ausdrucksweise. Ich rede ebenfalls vom Zwischenmenschlichen: aktives Zuhören, Fragen stellen und Stimmungen aufnehmen können, sich auf Feedback verstehen. So vieles ist in einer Organisation abhängig von guter Kommunikation: die Zusammenarbeit in Projekten, die Führung von Menschen, Mitarbeiter- und Bewerbergespräche, Leistung und Engagement. Sie ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und ihre Bedeutung wird zunehmen. Denn Kommunikation ist generell die Voraussetzung dafür, dass eine effektive interne und externe Vernetzung gelingt, und damit, ob das Unternehmen als Ganzes reüssiert oder nicht.[3]

Nun könnte man sagen, jeder in einer Organisation muss sich auf Kommunikation verstehen. Doch was man beobachten kann, ist eher das Gegenteil, nämlich Nicht-Kommunikation. Sie findet ganz oft einfach nicht statt und somit fehlen beispielsweise wichtige Informationen und Orientierung, generelle Klarheit oder Wertschätzung. Und wenn kommuniziert wird, redet man nicht selten aneinander vorbei, behandelt einander respektlos, kommuniziert kompliziert oder unklar. Kommunikation ist schwierig, weil es eben nicht nur darum geht, schlicht zu senden, was einem gerade durch den Kopf geht.

Mir kommen nur ganz wenige Personalmanager in den Sinn, die von sich das Selbstverständnis eines Kommunikationsprofis haben. Ist das nicht merkwürdig? Diejenigen, die sich um die Menschen und ihre (Zusammen-)Arbeit kümmern sollen, behandeln ihre kommunikativen Fähigkeiten stiefmütterlich.

Ich bin überzeugt davon, dass sich das ändern muss, dass Kommunikationsstärke mit all ihren Facetten zum zukünftigen Profil der Personalmanager gehören sollte. Nicht zuletzt deswegen, weil das Fördern von Vernetzung und das Beraten der eigenen Mitarbeiter noch viel mehr zum Aufgabengebiet vieler Personaler gehören wird.[4]

Natürlich leitet mich bei dieser These auch die eigene Leidenschaft für die Themen Kommunikation und Collaboration, die ich als gelernter Journalist sowie ausgebildeter Organisationsberater selbst lebe. Doch um ein Buch zu schreiben, reicht das nicht. In den Jahren als Chefredakteur des „Human Resources Manager“, in denen ich hautnah diese hochinteressanten Umbruchzeiten für das Personalmanagement beobachten konnte, reifte in mir ebenso eine Überzeugung. Die Überzeugung, dass sich erstens Personalmanager in komplexen Zeiten neu erfinden müssen und diese Neuerfindung zweitens sehr viel mit Vernetzung und Kommunikation zu tun haben wird. Auch in digitalen Zeiten bleiben Beziehungen so wichtig: in Kontakt bleiben, zuhören, aufeinander eingehen. Das gilt für den beruflichen Alltag, jedoch genauso für den privaten, ja für das ganze gesellschaftliche Leben.

Veränderungen passieren meist, weil es von irgendwoher einen Druck gibt. Dieses Buch richtet sich an all diejenigen, die als Personaler oder Geschäftsführer einem solchen Druck ausgesetzt und auf der Suche nach Ideen sind, um ein neues Personalmanagement zu gestalten – und zwar vor allem deswegen, weil eine herkömmliche Sichtweise auf HR-Management in dynamischen und komplexen Zeiten wenig befriedigende Antworten liefert. Was Sie, liebe Leserinnen und Leser, hier also nicht finden werden, ist die Beschreibung von klassischem HR-Management. Wenn Sie aber offen an die Lektüre herangehen, dann, so hoffe ich es zumindest, werden Sie zu dem einen oder anderen guten Gedanken inspiriert, Personalmanagement neu zu denken. Das würde mich wahnsinnig freuen. Vielleicht sehen Sie die Thematik allerdings auch ganz anders und reiben sich an meinen Überlegungen. Das würde mich ebenfalls freuen. Denn da kommt der Journalist in mir durch, der viel übrig hat für ein gutes Streitgespräch. Lassen Sie uns diskutieren. Sie erreichen mich am besten über die sozialen Netzwerke.[5]

Berlin, April 2017 Jan C. Weilbacher

Prolog

Das Personalmanagement als Anwalt und Kämpfer für die Freiheit in Organisationen? Zugegeben, das klingt erst einmal etwas verrückt, ist das People Management doch eher für das Gegenteil bekannt. Nämlich als eine Funktion, die sich auf klar definierte, in der Zentrale ausgedachte Prozesse versteht, die möglichst genau eingehalten werden müssen. Der Begriff der Prozess-Polizei wird gerne auch mal für das Personalmanagement verwendet. Die Rolle als Hüter der Prozesse war früher die richtige, als Optimierung noch das oberste Gebot war. Das gilt nun jedoch immer weniger – zumindest in den Unternehmen, die sich einer wachsenden Komplexität und einem hohen Veränderungstempo ausgesetzt sehen. Und das sind zunehmend alle, die sich in freien Märkten bewegen. Wir sehen, wie sich die Unternehmen um Transformation bemühen, Prozesse, Geschäftsfelder, Strukturen neu erfinden wollen. Wir leben in Umbruchzeiten. Auch das Personalmanagement muss sich wandeln – und das radikal, sonst wird es in naher Zukunft kaum Bedeutung im Unternehmen haben. In manchen Firmen ist das schon heute so. Dort können sich die Personaler zumindest auf die administrativen Tätigkeiten zurückziehen. Doch sie bringen keinen echten Mehrwert für das Geschäft. Schon heute sind die Verwaltungsprozesse weitgehend automatisiert. Und mit dem Trend der Digitalisierung findet mehr Self Service statt. Die Mitarbeiter machen vieles selbst, wofür man früher in die Personalabteilung laufen musste, um höflich nach einer Bescheinigung oder einer Auskunft zu fragen. Heute sehen die Mitarbeiter selbst mit ein paar Klicks, wie viel Urlaub sie noch haben, können ihre Stammdaten ändern oder bekommen als Hiring Manager einen schnellen Überblick darüber, wie der Stand bei einem bestimmten Recruiting ist.[6]

Für viele lautet die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Personalmanagements ganz einfach: Strategie. Und am besten viel davon. Aber was bedeutet das, strategische Personalarbeit? Wenn damit zum Beispiel eine auf zehn Jahre angelegte Personal- oder Nachfolgeplanung gemeint ist: Vergessen Sie es! In zehn Jahren gibt es das jeweilige Unternehmen vielleicht gar nicht mehr oder die ganzen Talente sind längst woanders. Ja, man kann auch in Szenarien planen. Aber ganz ehrlich: Da stimmt der Kosten-/Nutzenaufwand nicht, der Mehrwert wird fragwürdig. Das Personalmanagement kann an anderen Stellen viel Wichtigeres leisten. Nichtsdestotrotz: People Management muss sich mit den zukünftigen Herausforderungen des eigenen Unternehmens auseinandersetzen und entsprechend aktiv werden. Ja, es muss strategisch denken und handeln. Aber es ist ein flexibles strategisches Handeln mit kurzen Zeithorizonten.[7]

Es braucht unter den Personalern die Lust auf Zukunft und die Auseinandersetzung mit ihr, die Lust auszuprobieren und Neues zu entdecken, die Lust auf das Lösen von Problemen und gleichzeitig die Bereitschaft, auf Sicht zu fahren. In überschaubaren Zeiträumen agieren, immer wieder anpassen, verwerfen, neu machen. Das Personalmanagement muss sich öffnen, muss wirklich zu einem Teil der Organisation werden – mittendrin, ein Knotenpunkt im Netzwerk. Das verlangt, das Business zu kennen und zu verstehen. Und es bedeutet, Personalarbeit im Dialog mit den Fachbereichen, mit den Mitarbeitern, den Führungskräften und Teams zu entwickeln – mit dem internen Kunden also.

Ich sehe auf dieser Basis für das People Management zwei wesentliche Rollen, die einen echten Mehrwert für ein Unternehmen bringen können und die sich ergänzen: eine zentrale und eine dezentrale. Auf diese beiden Rollen und deren wichtigste Aufgaben werde ich mich in diesem Buch fokussieren. Mir geht es nicht darum, ein ganzes HR-Organisationsmodell darzustellen, sondern die entscheidenden Bereiche, in denen sich das Personalmanagement neu erfinden muss. Diese Neuerfindung des People Management halte ich für die geeignete Antwort auf die Herausforderungen, die das Zeitalter der Vernetzung mit sich bringt.[8]

Förderer der kollektiven Intelligenz

Die meisten Unternehmen beschäftigen sich derzeit mehr oder weniger mit der Digitalen Transformation. Und was man neben einer zunehmenden Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen beobachten kann, ist – zumindest bei manchen Unternehmen – die Einsicht, dass die Komplexität nicht mit der gegenwärtigen Kultur und Struktur gemeistert werden kann. Menschen müssen zusammengebracht, das Trennende muss überwunden und die kollektive Intelligenz bestmöglich genutzt werden. Diese Entwicklung voranzutreiben und zu begleiten, ist Aufgabe des Personalmanagements. Es muss sich verantwortlich fühlen für eine effektive Zusammenarbeit – über sämtliche Grenzen hinweg. Das erfordert etwas, das bislang kein Markenzeichen der Personaler gewesen ist: Kommunikation.

Ein Personalmanagement, das sich radikal verändert und einen komplett neuen Aufgabenfokus hat, sollte dies meiner Meinung nach durch eine Namensänderung klar nach außen kommunizieren und damit auch für Mitarbeiter und Führungskräfte ein Zeichen setzen. Es ist ein Schritt mit großer Symbolik, der anfänglich viel Energie erzeugen kann. Human Collaboration Management (HCM) oder Human Relations Management drückt diesen neuen Fokus auf Vernetzung für mich am besten aus. Es geht um Zusammenarbeit, die auch gegenseitige Abhängigkeiten impliziert. Führungskräfte, Teams und Mitarbeiter sind aufeinander angewiesen, um zukünftig Erfolg zu haben. Diese Zusammenarbeit muss aber zum Teil noch zentral mit einem strategischen Blick gefördert werden, deshalb der Begriff des Managements.[9]

Da HCM etwas fremd klingt, werde ich hier in der Regel von Personalmanagement oder People Management sprechen. Auf den Begriff Human Resources oder Human Resources Management möchte ich verzichten, weil er für mich zu sehr nach Verwaltung klingt, eben die Verwaltung von Ressourcen ohne den Blick für den Menschen als Ganzes und seine Individualität. Seine Erfahrungen und Kompetenzen, seine Fähigkeit zu lernen, Beziehungen einzugehen und mit anderen zusammenzuarbeiten, sind es aber, die am Ende über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden. Letztlich ist die Begriffswahl allerdings auch eine Frage des Geschmacks.

Damit die Individualität und das Zusammenspiel der Menschen im Unternehmen sich bestmöglich entfalten können, braucht es eine gewisse Freiheit und das eigenverantwortliche Handeln erwachsener Männer und Frauen, das in vielen Organisationen zugunsten einer zentral verordneten Unmündigkeit verloren gegangen ist.

Das People Management kann deshalb nicht nur zentral agieren, sondern muss die verschiedenen Einheiten im Unternehmen als Partner begleiten. Der größere Teil der Personalarbeit wird sich zukünftig dezentral abspielen. Aber sowohl die zentrale als auch die dezentrale Arbeit zahlt auf das große Ziel eines Human Collaboration Management ein, nämlich die kollektive Intelligenz im Unternehmen bestmöglich zu nutzen.[10]

Ein Weg dahin führt über die Kulturveränderung, flankiert von der Organisationsentwicklung und den notwendigen technischen Tools. Diese zentrale Rolle habe ich Community-Gestalter genannt, weil es unter anderem um das Fördern von Beziehungen geht, aber vor allem darum, Bedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass sich über einzelne Silobereiche und Hierarchiegrenzen hinweg eine Gemeinschaft entwickeln kann, die eine gemeinsame Vision verfolgt.

Förderer von Eigenverantwortung

Zusammenarbeit braucht starke Individuen. Von der kollektiven Intelligenz kann ein Unternehmen nur dann wirklich profitieren, wenn die jeweiligen Mitarbeiter sich auch einbringen. Zusammenarbeit braucht starke Individuen. Deshalb ist es eine weitere Aufgabe des People Management, Mitarbeiter und Führungskräfte auf dem Weg zu mehr Selbstorganisation zu begleiten. Das passiert in der Regel dezentral. Diese Rolle habe ich Performance Consultant genannt. Hier ist der People Manager Berater und macht Führungskräften, Mitarbeitern und Teams Angebote, die diese annehmen – oder auch nicht.

In Zukunft sehe ich den Personaler als Teil eines Netzwerks, der mit den Business-Einheiten nach Lösungen sucht. Das erinnert natürlich an den Business Partner. Doch der Performance Consultant ist mehr als ein Personalreferent mit modern klingendem Etikett. Er oder sie arbeitet in Organisationen, die dabei sind, mehr und mehr auf Selbstorganisation zu setzen – und auf eine moderne Führung, die Orientierung bietet. Und als Consultant bringt der Personalmanager Kenntnisse mit, von denen die Mitarbeiter, Führungskräfte und Teams gerne profitieren: zum Beispiel Moderationskompetenzen, Coaching-Kenntnisse oder Expertenwissen zu agilem Arbeiten. Er muss jedoch auch entsprechend die Werbetrommel rühren und sich als Marke positionieren.[11]

Mitarbeiter, Teams und Führungskräfte entscheiden, ob sie in der Arbeit des People Managers einen Mehrwert sehen. Wenn er sich mit seinem Angebot nicht behaupten kann, bleibt ihm als Aufgabe zumindest noch die Standardisierung von Prozessen und deren Überwachung. Das wird es immer in Unternehmen geben. Aber ein solcher Beitrag macht in einer komplexer werdenden Umwelt nicht den Unterschied. Die Rolle als Prozess-Polizei bedeutet für HR keine gewinnbringende Zukunft.

Teil 1 Die neue Arbeits- und Wirtschaftswelt

1   Die Grundidee wiederentdecken. Eine Einleitung

Warum tun sich Menschen zusammen, um ein Unternehmen zu gründen oder aufzubauen? Sich mit anderen abstimmen zu müssen, ist schließlich mühselig, und den (zukünftigen) Erfolg muss man auch teilen, wenn man einen oder mehrere Partner an der Seite hat. Andere Menschen können anstrengend sein, sind anders als man selbst. Sie gefährden die eigene Selbstbestimmung.

Es gibt also Gründe, Solo-Selbstständiger zu bleiben, und deren Zahl hat ja auch in den vergangenen Jahren zugenommen. Aber die Wachstumsmöglichkeiten und die Chance auf hohe Erträge sind begrenzt. Das hat mit der quantitativen Größe der Ressourcen und damit auch der Zahl der Arbeitskräfte zu tun. Aber es geht ebenfalls um die Bündelung von Talenten und Fähigkeiten. Und die ist bei der Gründung eines Unternehmens notwendig: kaufmännische Fähigkeiten zum Beispiel, kreatives Talent sowie Vertriebs- und Marketingkenntnisse. Selten bringt ein einzelner Mensch das alles alleine mit.[12]

Menschen gründen in der Regel zusammen, weil sie von einer Idee überzeugt sind, weil sie gemeinsam etwas erreichen wollen, weil sie eine Vision haben. Und die Mitarbeiter der Anfangszeit teilen diese. Wer mit Menschen in jungen Start-ups spricht, sieht häufig diese Begeisterung, diese Überzeugung, am richtigen Ort zu sein – auch wenn es nur ein einziges Loft ist – und an der richtigen Sache zu arbeiten. Sie alle wollen ein Ziel erreichen und sie wissen, sie können es nur zusammen. Das Problem ist ein gemeinsames Problem, die Herausforderung ist eine gemeinsame Herausforderung. Die wenigsten werden auf Dauer erfolgreich sein. So ist das Spiel.

Dennoch: Der Zweck der gemeinsamen Unternehmung ist Zusammenarbeit. Die meisten Unternehmen verlieren diesen Zweck mit der Zeit und zunehmender Größe aus den Augen. Irgendwann haben Führungskräfte nicht mehr im Bewusstsein, dass ihre Unternehmen eigentlich um die Idee herum gebaut wurden, gemeinsam etwas zu erreichen. „Sie sind auf Zusammenarbeit angelegt. Unternehmen sind Kooperations-Arenen.“ (Sprenger 2012, S. 54)

Leider sind sie es aber nicht oder die Zusammenarbeit bezieht sich nur auf das eigene Team. Die Gründe hierfür sind vielfältig und ich werde später genauer darauf eingehen. Klar ist: Eine über lange Jahre gewachsene funktionale Arbeitsteilung erschwert das gemeinsame Arbeiten über Grenzen hinweg. Hinzu kommt eine Kultur, die stark das Individuum im Fokus hat. Leistung wird in der Regel eher dem Einzelnen zugerechnet als einem Team.[13]

Gleichzeitig hat die Loyalität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den vergangenen Jahren abgenommen. Die Beschäftigten müssen immer wieder im Blick haben, was ihrer Arbeitsmarktfähigkeit dienlich ist. Die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen ist nicht mehr so stark wie vor Jahren, als es noch hieß: „Ich schaff’ beim Daimler.“ Arbeitgeber werden – gerade von der Generation Y und jünger – schneller gewechselt, als das noch bei den Babyboomern der Fall gewesen ist. Das bedeutet auch, dass an der eigenen Marke gearbeitet werden muss – sowohl in Bezug darauf, wie der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens wahrgenommen wird, als auch auf dem externen Arbeitsmarkt. Somit besteht bei vielen Beschäftigten ein starker Fokus auf der beruflichen Selbstoptimierung.

Natürlich gibt es kaum ein Unternehmen, das sich nicht ein Wir-Gefühl auf die Fahnen schreibt oder von seinen Mitarbeitern Teamfähigkeit verlangt. Doch in der Praxis wird dieses Wir in den meisten Fällen wenig gelebt. Was schon daran zu sehen ist, dass das Postulat nicht von den Strukturen und Prozessen widergespiegelt wird. Und noch entscheidender: Die gelebte Unternehmenskultur gibt andere Signale – unausgesprochen oder nicht.[14]

Ein produktives Wir braucht starke Ichs

Die Zusammenarbeit, die in Organisationen nötig ist, kann ohnehin keine verordnete sein. Dem großen Ganzen kann sie nur nutzen, wenn sie die Individualität der Mitarbeiter nicht nur anerkennt, sondern sie als befruchtend betrachtet. Ein produktives Wir braucht starke Ichs. Diese sind oftmals jedoch nicht gewollt. Vielen Führungskräften sind heute noch starke Mitarbeiter eher unangenehm. Sie haben nicht gelernt, sich mit ihnen – von Erwachsenem zu Erwachsenem – auseinanderzusetzen. Ein weiteres Problem ist, dass der Mehrzahl der Beschäftigten in großen Konzernen nicht klar ist, wohin die Reise geht und wer sich eigentlich noch so im Boot befindet. Welche Leute sitzen da in der Marketing-Abteilung? Was haben die eigentlich für Stärken und woran arbeiten die? Im schlimmsten Fall ist es dem Vertriebsmanager oder dem Softwareentwickler egal. Es fehlt in nicht wenigen Unternehmen an der Transparenz in Bezug auf die genauen Ziele und Strategien und noch viel mehr an Interesse und Verständnis für andere Teams und Unternehmenseinheiten.

„Die Manager und Mitarbeiter eines Teilbereichs kümmern sich nicht angemessen um die anderen Bereiche, die ihnen folglich fremd sind. Und im Endergebnis kennen sie das Ganze nicht.“

(Dueck 2015, S. 19)

Gunter Dueck, der ehemalige Chief Technology Officer von IBM, spricht von Schwarmdummheit, die in vielen Unternehmen vorherrsche. Sie entsteht, wenn das Ganze nicht klar verstanden ist und kein Ganzes das Team einigt.[15]

Die Frage ist, wie kann dieses Ganze entstehen? Und wie kann es gelingen, dass sich Menschen mit all ihrer Energie, ihrer Kreativität und generell ihren besonderen Stärken für dieses Ganze einsetzen? Wie kann die Zusammenarbeit von Individuen gelingen? Den Blick auf heutige Start-ups zu richten, ermöglicht eine erste vielversprechende Anregung. Denn Menschen, die am Anfang einer Unternehmung stehen, mögen ihre individuellen Stärken haben - und doch übernehmen sie in der Regel auch immer Verantwortung für das Ganze, verfolgen gemeinsam eine Idee, ein Ziel und jeder gibt sein Bestes, dieses zu erreichen. In einem Start-up, das von einer Handvoll leidenschaftlicher Menschen betrieben wird, zieht sich für gewöhnlich keiner auf einen festdefinierten Aufgabenbereich zurück. Das Gefühl der Verantwortung primär für das Unternehmen ist die treibende Kraft. Deshalb diskutiert man permanent, wie die nächsten Schritte aussehen könnten, hält man sich auf dem Laufenden, woran jeder gerade arbeitet, mit welchen potenziellen Kunden man in Kontakt steht. Es gibt keine Silos in einem Start-up mit einer Handvoll Leuten. Jeder weiß meistens, was die anderen im selben Raum machen. Und jeder ist höchstwahrscheinlich motiviert, die gemeinsame Vision für das Unternehmen Wirklichkeit werden zu lassen.

Ich gehe von einem Ideal aus. Natürlich gibt es etliche Fälle, die genau das Gegenteil beweisen. Dennoch sage ich ganz bewusst: In manchen Bereichen sind Start-ups die neuen Vorbilder. Große Unternehmen sollten sich von der Art, wie Menschen in Start-ups an Aufgaben herangehen, wie sie zusammenarbeiten, zumindest inspirieren lassen – und einen gewissen Start-up-Spirit wieder heraufbeschwören. „Unternehmen müssen wieder zu Unternehmungen werden: eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam eine Idee verfolgen.“ (Frank/Hübschen 2015, S. 137)[16]

Dieser Start-up-Geist, dieses gemeinsame leidenschaftliche Verfolgen einer großen Idee, das ist auch etwas, was sich viele Firmen im Silicon Valley in Teilen bewahrt haben.

Groß denken im Silicon Valley

Seit einigen Jahren nun schon pilgern deutsche Manager an die amerikanische Westküste, um herauszufinden, was das Besondere von Google, Facebook und Co ist. Und was sie erleben, sind zum einen Gründer, die ganze Branchen verändern, ja unsere Wirtschaft und Gesellschaft verändern wollen, dieses „Think big“. Und sie erleben zum anderen Unternehmen, in denen es kein Makel ist, zu scheitern, in denen es in Ordnung ist, immer und immer wieder auszuprobieren, zu verwerfen und es wieder zu versuchen. Und das in einem Tempo, das für deutsche Führungskräfte bislang neu ist.

„Innovation entsteht durch den freien, ungehemmten Austausch von Menschen auf kleinstem Raum. Alle Firmen, die ich besuche, legen Wert auf Dichte. Physische Nähe, glauben sie, ist so wichtig wie die Abwesenheit allzu strenger Regeln. Räumliche Distanz behindert Kreativität, ebenso wie steifer gesellschaftlicher Umgang oder soziale Konvention. Vorschriften töten Ideen.“[17]

(Keese 2014, S. 35)

Was die Innovationsfähigkeit der Unternehmen im Silicon Valley ausmacht, liegt insbesondere in ihrer Kultur begründet. Neben der Lust am Experimentieren spielt die große Autonomie der Mitarbeiter sowie die Art des Zusammenarbeitens eine große Rolle. Der ständige Austausch von intelligenten, kreativen Menschen, die Verantwortung übernehmen, führt zu Innovation. Und die Unternehmen schaffen die notwendigen Bedingungen, dass dieser Austausch, diese Zusammenarbeit bestmöglich gelingen kann.

2   Komplexe Umwelten und vernetztes Arbeiten

2.1   Das Problem der klassischen Unternehmensmodelle

In den meisten Unternehmen findet sich immer noch eine ausgeprägte funktionale Arbeitsteilung und ein damit einhergehender hoher Spezialisierungsgrad. Die dadurch existierenden Schnittstellen sind zunächst keine guten Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg. Nicht selten stehen auch funktionale Ziele im Widerspruch zur Unternehmensstrategie und es herrscht ein ausgeprägtes Abteilungs- und Fachbereichsdenken, was gerade in den letzten Jahren vor allem in Großunternehmen gefördert wurde. Denn viele Fachbereiche wurden darauf ausgerichtet, wie ein Profitcenter zu agieren. „Mit der aktuellen Betriebsstruktur stehen sich Unternehmen im digitalen Zeitalter nun selbst im Weg.“ (Hays/PAC 2015, S. 11)

In der klassischen pyramidalen Struktur ist das Weiterkommen auf der Karriereleiter ein wesentlicher Anreiz für viele Mitarbeiter und Führungskräfte, was zu einem (impliziten) Wettbewerb um die nach oben weniger werdenden Führungspositionen führt. Auch die meisten Instrumente des Personalmanagements wie Zielvereinbarungen und Anreizsysteme im Rahmen des Performance Management „sind auf die Aufrechterhaltung der Pyramide“ ausgerichtet (Häusling et al. 2016, S. 11). Vor allem sind sie häufig der Zusammenarbeit abträglich, insbesondere wenn sie über Abteilungsgrenzen und den originären Aufgabenbereich hinausreichen sollen. Grundsätzlich bilden Instrumente und Prozesse des durchschnittlichen Performance Management die Einstellung ab, dass Leistung in der Regel dem Einzelnen zuzurechnen ist und nicht einem Team oder einer sonstigen Gemeinschaft. Doch dort, wo schnelle kreative Problemlösungen gefragt sind, sind Anreiz- und Beurteilungssysteme, die auf die Leistungsoptimierung des Individuums zielen und dessen Motivation auf die Erreichung der individuellen, mit Boni verknüpften Ziele lenken, nicht mehr zeitgemäß (vgl. Weinberg 2015). Bosch hat beispielsweise die individuelle variable Vergütung abgeschafft, weil sie unter anderem die Zusammenarbeit mit anderen eingeschränkt habe (vgl. Kübel 2016). Nun setzt man mehr auf die intrinsische Motivation der Führungskräfte. Variable Vergütung gibt es weiterhin, allerdings nur noch gekoppelt an Unternehmens- und Bereichsziele.[18]

Bosch ist eine der wenigen Ausnahmen. Immer noch setzen viele Unternehmen sogar auf das Gegenteil einer Zusammenarbeitskultur, nämlich auf Wettbewerb zwischen Mitarbeitern. Ausdruck davon ist insbesondere das von GE einst populär gemachte Stack Ranking oder auch die Forced Distribution, die erzwungene Normalverteilung im Rahmen von Beurteilungen. Danach muss eine Führungskraft die zu Beurteilenden in eine Reihenfolge bringen (Stack Ranking) beziehungsweise die Teammitglieder in verschiedene Leistungsklassen einordnen, wobei sich die Einordnung in der Regel nach der gaußschen Normalverteilung richtet und nicht unbedingt nach der tatsächlichen Performance des Mitarbeiters.[19]

Auch Führungskräfte befinden sich untereinander nicht selten im Wettbewerb um Budgets und Anerkennung. Letzteres bekommt man am häufigsten für den eigenen Status im Unternehmen sowie für das Fachwissen, das man sich über Jahre erworben hat. Deshalb ist Wissen immer noch für viele ein wichtiges Instrument, um sich Einfluss und Macht zu sichern. Führungskräfte werden noch zu oft nach ihrer vorhandenen Expertise ausgewählt und weniger danach, wie gut sie Menschen führen können.

Mittlerweile wird das ausgeprägte Silo- und Konkurrenzdenken zum echten Problem für die Unternehmen. Das Bewusstsein der Führungskräfte ist diesbezüglich jedoch vorhanden. Die große Mehrheit nennt das Silo- und Konkurrenzdenken als wesentlichen Grund für die Nicht-Umsetzung notwendiger Verbesserungsmaßnahmen (vgl. Hays/PAC 2015, S. 11). Zu viele Interessengruppen verfolgen unterschiedliche Ziele. Das jeweilige Unternehmen beschäftigt sich in solchen Fällen mehr mit sich selbst als mit den Kundenbedürfnissen und dem Verfolgen einer gemeinsamen Vision.[20]

Die Funktionssilos schränken die Potenziale der Zusammenarbeit ein und fördern vor allem die Trägheit einer Organisation. Diese kann sich zum Beispiel in mangelnden Investitionen, fehlendem Know-how oder innerem Widerstand gegen Veränderung zeigen (vgl. Häusling et al. 2016, S. 8). Träge Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich an Veränderungen in ihrem Umfeld anzupassen, vor allem, wenn diese eine gewisse Dynamik aufweisen. Lange Zeit war das für die meisten Unternehmen kein großes Problem, weil die jeweiligen Märkte eine gewisse Übersichtlichkeit und die Geschäftsfelder klare Grenzen hatten. Veränderungen passierten, aber langsam, und sie konnten leichter vorausgesehen werden. Als Beispiel sei an dieser Stelle der Journalismus genannt. Bis zum Internet hat sich die Tageszeitungsbranche kaum verändert, die Grenzen waren eindeutig. Heute konkurrieren die Verlage im Netz mit anderen Medienunternehmen wie Fernsehanstalten, Bloggern oder sozialen Netzwerken wie Facebook, das mittlerweile das größte Medienunternehmen ist. Nachrichten können heute auf dem Handy gelesen werden, es gibt News-Aggregatoren und sogar Algorithmen, die Texte schreiben können. Diese Entwicklung hat nur wenige Jahre gedauert. Und sie geht in hohem Tempo weiter.

2.2   Veränderungen mit enormer Geschwindigkeit

Mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft wird für die Wirtschaft der technische Fortschritt immer wichtiger. Dieser führt auch zu immer kürzeren Produktionszyklen. Dauerte es Mitte des 20. Jahrhunderts noch Jahrzehnte von der Idee bis zur Massenproduktion, wird der Zyklus heute eher in Monaten oder gar Wochen gemessen. Und die technologische Entwicklung macht immer größere Sprünge beziehungsweise geht immer schneller vonstatten. Sie wächst exponentiell (vgl. Petry 2016, S. 26). Heute ist die Digitalisierung die strukturprägende Basisinnovation, die durch die intelligente Vernetzung und Kombination bereits bestehender Technologien alle Bereiche des Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens beeinflusst (Apt et al. 2016, S. 28). Die Unternehmen agieren im digitalen Zeitalter, und Geschäftsmodelle und -prozesse werden zunehmend geprägt von digitalen Megatrends wie Social Media, Cloud Computing, Big Data, Mobile und vor allem durch das Internet der Dinge. Weiteres großes Potenzial wird bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz gesehen.[21]

Das Besondere des digitalen Zeitalters gegenüber materiellen Technologien ist, dass digitale Produkte und Dienstleistungen sehr schnell und leicht skalierbar sind aufgrund von beinahe null Grenzkosten. Das führt zu radikalen Veränderungen auf bestehenden Märkten.

Plattformen und Disruption

Insbesondere Unternehmen aus den USA und dort im Speziellen aus dem Silicon Valley haben große Veränderungen gebracht – auch für deutsche Firmen. Dort versteht man die Grundgesetze der Digitalökonomie besser als nirgendwo sonst. Und zwei davon kann man betiteln mit: Disruption und Plattformen (vgl. Keese 2014).[22]

Digitalunternehmen wie Facebook, Airbnb oder Uber stellen selbst keine Produkte her und mischen doch die Medien-, Hotel- und Taxibranche auf. Und sie tun das im Vergleich beispielsweise zu deutschen Unternehmen mit relativ geringen Kapitalinvestitionen: Uber besitzt keine Autos, Airbnb keine Hotels.

Die größere Gefahr besteht aber in disruptiven Innovationen, die dank der Digitalisierung heute in immer schnelleren Abständen erscheinen. Disruption ist, wie Christoph Keese in seinem Buch „Silicon Valley“ (2014) schreibt, die beliebteste Vokabel an der amerikanischen Westküste. Eine disruptive Innovation wäre beispielsweise das Aufkommen des ersten Musik-Streaming Dienstes Spotify, hingegen nicht die CD, „weil sie den Markt für physische Tonträger intakt ließ“ (ebd. S. 111). Eine disruptive Innovation war auch die Plattform für den Buchkauf von Amazon. Sie kam nicht von den Buchhändlern, genauso wie Spotify nicht von der Musikindustrie gekommen ist. Das ist normal, weil Unternehmen in der Regel nicht in der Lage sind, einander disruptiv anzugreifen. Sie treffen rationale Entscheidungen und beliefern ihre Kunden mit dem, was diese wünschen (ebd.). Für eine disruptive Innovation müssten sie fähig sein, eigene Ineffizienzen im System zu erkennen und gegenwärtige Kundenbedürfnisse ein Stück weit zu ignorieren. Disruptive Innovationen funktionieren nicht auf Basis von Marktforschung.

Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass Branchen- und Industriegrenzen immer mehr verschwimmen. Unternehmen aus der einen Branche können zunehmend auch Produkte in einer anderen anbieten. Unternehmen müssen sich deshalb anders als früher bewusst sein, dass sich mögliche Wettbewerber nicht nur in der eigenen Branche befinden. „Digitale Angreifer“ mit ganz anderen Geschäftsmodellen könnten für sie gefährlich werden. Mehr und mehr Top-Managern ist dieser Wandel klar. Das zeigt eine weltweite Befragung von IBM unter Spitzenmanagern. Auf die Frage, von wo sie zukünftig mehr Wettbewerb erwarten, aus der eigenen Industrie oder anderen Branchen, waren die Antworten 2013 diesbezüglich noch weitgehend ausgeglichen. Zwei Jahre später ist für die Befragten wesentlich eindeutiger, dass mehr Wettbewerb aus anderen Industrien droht (vgl. IBM 2015).[23]

Für die Unternehmen ist dabei eine wesentliche Herausforderung, die technologischen Entwicklungen im Blick zu behalten, wie die Studie von IBM zeigt. Von den externen Faktoren ist Technologie derjenige, der Organisationen am meisten beeinflusst. Es ist der wesentliche Game Changer, sagen Top-Manager weltweit – knapp vor Marktentwicklungen und weit vor regulatorischen Veränderungen. Ihrer Einschätzung nach sind die drei wichtigsten Technologien für die nächsten Jahre: Cloud Computing, mobile Lösungen und das Internet der Dinge.

Technologie ist also der wichtigste Treiber für die ansteigende Dynamik und Komplexität, die die Umwelten prägen. Hinzu kommen jedoch noch andere Trends wie die Veränderungen der Demografie und ein gesellschaftlicher Wertewandel. Gerade junge Menschen legen heute tendenziell mehr Wert auf Sinnstiftung und Autonomie im Job als Beschäftigte in früheren Zeiten. Die Erwartungen der Mitarbeiter an Führung sind anspruchsvoller geworden.[24]

Zudem stehen den Unternehmen heute besser informierte Kunden gegenüber, die erwarten, dass ihre sich schneller ändernden Bedürfnisse zeitnah befriedigt werden.

Die VUCA-Welt

Die Digitalisierung und ihre beschleunigte Entwicklung, aber auch andere genannte Veränderungen führen zu einer Umwelt, die allgemein als VUCA bezeichnet wird und der sich Unternehmen und Führungskräfte immer häufiger ganz oder teilweise gegenübersehen. VUCA steht für Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität), Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Das heißt, auf dem Markt herrscht eine dynamische Entwicklung, die enorme Kraft haben und sprunghaft in jede Richtung gehen kann. Es gibt also häufige Veränderungen und keine Beständigkeit (Volatilität). Für die Unternehmen entstehen unklare und nicht berechenbare Situationen (Unsicherheit). Es gibt keine einfachen Ursache-Wirkung-Zusammenhänge und dem Unternehmen oder der Führungskraft fällt es immer schwerer, eine Situation zu bewerten. Nicht selten bewegen sie sich sogar in einer Umwelt, die widersprüchlich ist beziehungsweise bei den Akteuren eine ambivalente Haltung hervorruft (Mehrdeutigkeit).

Das Akronym VUCA ist ein beliebter Begriff in der Managementwelt geworden, um die relevanten Veränderungen für Unternehmen und Führungskräfte zu umschreiben. Doch um die für die Unternehmen relevanten Entwicklungen deutlich zu machen, reicht es, sich auf den Begriff der Komplexität zu fokussieren - er ist der wichtigste, auch weil er die anderen weitgehend umfasst. Denn komplexe Problemsituationen sind per se dynamisch. Das heißt, die Situation ändert sich von selbst mit der Zeit ohne das Einwirken eines Akteurs. Zudem herrscht Intransparenz in Bezug auf die Situation. Es liegen nämlich nie alle erforderlichen Informationen vor. Außerdem schließt der Begriff der Komplexität durchaus auch wechselseitige Abhängigkeiten mit ein. In der Regel existieren mehrere Ziele, die miteinander in Konflikt stehen können (Weilbacher 2016, S. 42). Komplexe Situationen machen es nötig, dass man Prioritäten setzt und Entscheidungen auf Basis von Informationen trifft, die nie vollständig sind. Und die Entscheidungen müssen manchmal ziemlich schnell getroffen werden.[25]

Die Komplexität, mit der sich Unternehmen und Gesellschaft konfrontiert sehen, wächst rasant. Sie wächst sogar noch schneller als die Rechenleistung der Supercomputer. Es ist die Vielzahl an technologischen Entwicklungen und deren Kombinationen, die die Beschleunigung vorantreibt: die exponentiell wachsende Rechenleistung, die explodierende Datenmenge und eine rasant wachsende Anzahl der Dinge, die mit dem Internet verbunden sind. Die Frage ist, wie geht man als Unternehmen mit dieser Komplexität, die die Umwelten prägen, um? Die Herausforderung liegt zum einen darin, mit der Dynamik einigermaßen mithalten zu können und Entscheidungen schnellstmöglich zu fällen. Zum anderen müssen diese trotz Komplexität und Unübersichtlichkeit eine gewisse Qualität haben. Eine Antwort auf die Herausforderung ist in der Regel ein Mehr an dezentralen Entscheidungen und Autonomie in den Organisationen sowie eine bestmögliche Nutzung der kollektiven Intelligenz. Dafür ist es zwingend nötig, dass zwischen Menschen, die sich für den Unternehmenserfolg einsetzen, eine positive Beziehung besteht und sie effektiv zusammenarbeiten.[26]

2.3   Das Zeitalter der kollektiven Intelligenz

Es sind einige Indizien und Entwicklungen dahingehend zu beobachten, dass wir ein neues Zeitalter betreten haben. Es ist allerdings nicht nur das digitale Zeitalter, sondern auch das der Zusammenarbeit und Netzwerke. In dynamischen Märkten ist zentrale Steuerung und Problemlösung nicht mehr effizient. Auch um heutzutage zu innovieren, braucht es die Zusammenarbeit, die ich hier auch Social Collaboration nenne und damit mehr als das Agieren auf Social-Media-Plattformen meine.

2.3.1   Netzwerkstrukturen als Treiber

Die Fähigkeit, Netzwerke auszubilden und in solchen Systemen interagieren zu können, ist für viele Unternehmen schon heute ein entscheidender Faktor, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die Komplexität von Produkten hat zum Teil so stark zugenommen, dass sie nur in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen oder Institutionen erfolgreich bearbeitet werden kann. Konkrete Gründe, die Unternehmen motivieren, eine solche Kooperation einzugehen, können unter anderem sein, dass man alleine nicht genügend Know-how mitbringt, die eigenen Ressourcen nicht ausreichen oder man im Alleingang schlicht nicht schnell genug am Markt wäre mit einem Produkt. Schon lange ist die enge Zusammenarbeit mit den Wertschöpfungspartnern gang und gäbe in der deutschen Wirtschaft. Gleichzeitig wird es zunehmend wichtiger, Kooperationen einzugehen, die über diese klassische Zusammenarbeit hinausgehen, um innovationsfähig zu bleiben. Wobei der Engpass dabei meist nicht in der fehlenden Verfügbarkeit guter Ideen liegt, sondern in deren erfolgreicher und schneller Umsetzung in marktgängige Produkte und Dienstleistungen (vgl. Fit für Innovation 2011). Aufgrund der steigenden Dynamik ist die Innovationsfähigkeit entscheidend für den Erfolg oder gar für das Überleben von Unternehmen.[27]

„Die Fähigkeit von Unternehmen zur Ausbildung von Netzwerken wird künftig über wirtschaftlichen Erfolg und Misserfolg entscheiden. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die Komplexität von Produkten und Prozessen so stark zunimmt, dass diese nur durch kooperative Formen der Arbeitsteilung, also kollaborativ, zu beherrschen ist. Hinzu kommt, dass Netzwerke Problemstellungen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und Bedürfnisse von Kunden und Kooperationspartnern identifiziert werden können.“

(Fit für Innovation 2011, S. 10)

Doch nur mit der eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung radikale Neuerungen schnell zu entwickeln und umzusetzen, wird zunehmend schwieriger, weil innerhalb der eigenen Unternehmensnetzwerke die Perspektiven zu wenig divers sind und die Ressourcen nicht ausreichen.[28]

Man denke an die Bankenbranche und die Herausforderung durch die Fintechs als Beispiel. Früher waren strategische Allianzen mit branchenfremden Unternehmen so gut wie unmöglich. Heute kooperieren die großen Geldhäuser mit Start-ups, um an innovativen Technologien zu partizipieren, die das traditionelle Geschäft irgendwann obsolet machen können. Früher wurden Fintech-Unternehmen als Bedrohung wahrgenommen. Heute schließt eine Deutsche Bank beispielsweise keinen Weg der möglichen Zusammenarbeit aus. In neuen Kreativzentren arbeitet sie auch mit Technologieunternehmen wie Microsoft und IBM zusammen, die Expertise, Ressourcen und Geschäftskontakte einbringen (De la Motte 2015).

Spitzenmanager sind sich der Bedeutung von solchen Partnerschaften für die Innovationsfähigkeit bewusst. Laut der weltweiten Befragung von IBM (2015) wollen sie sowohl ihre Partnerschaften aktiver und intensiver gestalten, um an externe Innovationen zu kommen, als auch bestehende Netzwerke ausbauen.

Technologische Entwicklungen und Innovationen sind die Haupttreiber dieser Notwendigkeit. Dabei sind die Grenzen zu sozialen Innovationen oftmals schwierig zu ziehen. Neue Technologien können neue Arbeitsabläufe oder Strukturen, neue Kompetenzen und neue Berufsbilder notwendig machen.[29]

Wertschöpfung in Netzwerken mit Partnern

Der Einzelne, der für sein Unternehmen in solchen Kooperationssystemen mit externen Partnern tätig ist, muss sich einbringen, offen sein, zuhören und zur Empathie fähig sein können. Es wird in diesen Systemen in der Regel hierarchieübergreifend zusammengearbeitet. Diese Erfahrung – und damit auch gewisse Erwartungen an die eigene Kultur und Entscheidungsprozesse – nimmt das Individuum mit in den betrieblichen Alltag seines Unternehmens.

Entscheidender für einen von den Netzwerkkooperationen ausgehenden Veränderungsdruck ist allerdings die Tatsache, dass konventionelles hierarchisches Management nicht mehr als geeignet erscheint, wenn der Großteil der Wertschöpfung abhängig ist von Unternehmensnetzwerken und weniger von den Ressourcen, die ein Unternehmen besitzt. Und wenn Vertrauen ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit externen Partnern ist, ist es kontraproduktiv, wenn in den internen Beziehungen im Unternehmen kaum Vertrauen herrscht.

Interessanterweise sind vor allem große Unternehmen mehr und mehr bereit, ihre Innovationsprozesse ganz zu öffnen. In einer Studie des Fraunhofer IAO und der UC Berkeley (2013) wurde erstmals repräsentativ erhoben, wie große Unternehmen Open Innovation anwenden. 78 Prozent der befragten Führungskräfte gaben an, dass ihr Unternehmen seit mehreren Jahren diesen Ansatz praktiziere. Sie realisieren gemeinsam mit Kunden Innovationen, pflegen informelle Netzwerke oder arbeiten mit Universitäten zusammen. Crowdsourcing war damals noch kein großes Thema, doch das dürfte heute anders sein.[30]

Mehr dezentrale Entscheidungsfindung

Zunehmend lässt sich beobachten, wie Unternehmen oder Teileinheiten sich bemühen, netzwerkartige Strukturen zu entwickeln – das gilt auch für große Konzerne. Die Komplexität und Volatilität des Umfeldes zwingt dazu, mehr Entscheidungen dezentraler zu treffen. Zumindest die Einsichten sind bei den Spitzenmanagern da (vgl. IBM 2015). Denn „dem Subsidiaritätsprinzip folgend ist die Komplexität unserer Wirtschaft nur beherrschbar, wenn sich die Teileinheiten eines Unternehmens in hohem Maße selbst organisieren und damit vernetzen können“ (Anderson/Uhlig 2015, S. 274).

Nichtsdestotrotz lassen sich über Jahrzehnte gewachsene hierarchische Gebilde und die dazugehörige Führungskultur nicht über Nacht verändern und so manche Ankündigung kann man auch als Schaufensterpolitik betrachten (vgl. Kühl 2016).

Trotzdem geht es darum, Anpassungen an Marktveränderungen möglichst schnell vorzunehmen und Entscheidungen dort zu treffen, wo die Expertise ist. Laut einer Studie der Beratung Deloitte (2016) zieht gar ein neues Organisationsmodell herauf in der Wirtschaftswelt, nämlich das „Netzwerk der Teams“. Danach entstehen derzeit in den Unternehmen flexible, cross-funktionale Teams zu speziellen Projekten und Herausforderungen, die miteinander interagieren. Und je agiler und kundenfokussierter ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher sei es, dass es sich in die Richtung Teamnetzwerk bewegt.

2.3.2   Projektarbeit, agile Methoden und Social Software

Seit Jahren nehmen Projekte an Bedeutung zu, weil traditionelle Organisationsformen mit der Bewältigung komplexer Aufgaben überfordert sind und die Zusammenarbeit verschiedener Fachbereichsmitglieder in einer Linienorganisation zu viele Reibungsverluste mit sich brächte. Die können sich Unternehmen aufgrund des hohen Tempos auf den Märkten immer weniger leisten. Projektorganisationsformen werden deshalb auch teilweise oder ganz aus der bestehenden Linienorganisationsform herausgelöst. Die Arbeitszeit, die Mitarbeiter durchschnittlich in Projekten verbringen, nimmt zu. In der Studie von Hays und PAC (2015) ist von 35 Prozent die Rede. Noch wichtiger ist allerdings, dass 62 Prozent der befragten Fachbereichsleiter eine Zunahme in den vergangenen zwei bis drei Jahren konstatieren. Als Grund hierfür wird zumeist direkt oder indirekt auf den digitalen Wandel verwiesen. Herausforderungen der Digitalisierung wie die Einführung IT-gestützter Prozesse und Produkte können kaum durch vordefinierte Routinen bewältigt werden. Selten wird die Bedeutung der Produkte in den Organigrammen abgebildet. Auch bei Beurteilungen im Rahmen von Performance-Management-Systemen wird Projektarbeit selten adäquat berücksichtigt, da sich das System auf die bilaterale Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter fokussiert.[32]

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Bei allen agilen Methoden spielt eine partnerschaftliche Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Sie finden zunehmend auch außerhalb der Softwareentwicklung Verbreitung: bei IT-nahen Themen und ohne besonderen IT-Bezug. Nutzer bewerten sie bei fast allen Kriterien grundsätzlich besser als klassische Projektmanagement-Methoden. Ob Ergebnisqualität, Mitarbeitermotivation, Teamwork oder Effizienz – überall haben laut einer Studie der Hochschule Koblenz und der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement GPM (2015) die agilen Methoden die Nase vorn. Das gilt insbesondere für die iterative Methode Scrum, die auch am weitesten verbreitet ist. Bei Scrum wird im Gegensatz zur sogenannten Wasserfall-Methode kein fertiges Produkt geplant, sondern es geht um kontinuierliche Verbesserung, wobei der Fokus auf dem Kunden und seinen Bedürfnissen liegt. Scrum setzt unter anderem auf selbstorganisierte Teams, enge Feedback-Schleifen und klare Verantwortlichkeiten. Damit ist Scrum nicht einfach nur eine Methode, sondern sie einzusetzen, hat Einfluss auf die Unternehmenskultur. Mitarbeiter bekommen weitgehende Freiheiten eingeräumt durch Führungskräfte und brauchen deren Vertrauen. Das ist eine Frage des Mindsets. Führungskräfte müssen lernen, loszulassen.

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Web-2.0-Technologien

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