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Reinhardts Gerontologische Reihe

Band 32

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Dr. paed. Maria Langfeldt-Nagel, Frankfurt/Main, ist Diplom-Psychologin und Krankenschwester und lehrte an Fachseminaren für Altenpflege und an der Fachhochschule Köln für den Studiengang Sozialpädagogik u. a. in den Fächern „Psychologie des Alters“, „Gesprächsführung“, „Supervision“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02697-5 (Print)

ISBN 978-3-497-60393-0 (PDF)

ISBN 978-3-497-60441-8 (EPUB)

ISSN 0939-558X

3., überarbeitete Auflage

© 2017 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Reihenkonzeption Umschlag: Oliver Linke, Augsburg

Covermotiv: © Andre B. – Fotolia.com

Zeichnungen: Julia Langfeldt

Satz: Rist Satz & Druck GmbH, 85304 Ilmmünster

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1     Altenpflege: Unterstützung bei der Bewältigung des Alters

1.1   Alltägliche Gespräche und alltägliche Probleme

1.2   Menschenbilder

1.3   Das Alter leben

1.4   Aufgaben der Altenpflege

1.5   Psychologie als wissenschaftliche Grundlage

2     Der Mensch in seiner sozialen Umwelt

2.1   Verhalten erklären und verändern

2.2   Selbststeuerung durch Erklären

2.3   Personen wahrnehmen

3     Miteinander in Beziehung treten: Kommunikation

3.1   Die Gestaltung der Welt durch die Sprache

3.2   Die Sprache der Pflegenden

3.3   Sprache und Gesprächsthemen alter Menschen

3.4   Nonverbale Kommunikation

4     Gespräche analysieren

4.1   Der Kommunikationsprozess

4.2   Modell einer Kommunikationsanalyse

4.3   Wie Gespräche behindert werden können

5     Basiskompetenzen

5.1   Zuhören

5.2   Verstehen

5.3   Humor

5.4   Sich mitteilen

5.5   Argumentieren

6     Probleme bearbeiten

6.1   Problem beschreiben

6.2   Ziele festlegen

6.3   Ursachen klären

6.4   Lösungen entwickeln

6.5   Umsetzen in die Praxis

6.6   Bewerten

6.7   Der Problemlöseprozess im Überblick

7     Konflikte bewältigen

7.1   Konfliktarten

7.2   Effektive und ineffektive Konfliktlösungsstrategien

7.3  Konflikte auf die Sachebene bringen

8     Unterstützung geben

8.1   Informieren

8.2   Rückmeldung geben

8.3   Anleiten

8.4   Beraten

8.5   In Krisen beistehen

9     Gespräche mit alten Menschen

9.1   Informieren

9.2   Aufnahme in eine Einrichtung der Altenpflege

9.3   Biografiearbeit

9.4   Umgang mit Menschen mit Demenz

9.5   Umgang mit alten Menschen mit Depression

9.6   Umgang mit aggressivem Verhalten

10  Gespräche mit Angehörigen

10.1 Angehörige und professionelle Pflegekräfte

10.2 Informieren

10.3 Anleiten

10.4 Emotionale Unterstützung

10.5 Familienbeziehungen

10.6 Gewalt durch Angehörige

11  Gespräche im Team

11.1 Miteinander im Team

11.2 Informieren

11.3 Anleiten

11.4 Teambesprechungen

11.5 Gewalt in der Altenpflege

11.6 Supervision

12  Grenzen der Machbarkeit

12.1 Die Persönlichkeit des alten Menschen

12.2 Altern, Sterben und Tod

12.3 Reflexion des beruflichen Handelns: Die eigenen Grenzen

Literatur

Sachverzeichnis

Vorwort

Seit der ersten Auflage sind zwölf Jahre vergangen, in denen sich vieles verändert hat und somit eine Überarbeitung des Buches notwendig wurde. Verschiedene Entwicklungen in der Altenpflege machen die Bedeutung der Kommunikation sichtbarer. Das Miteinander-Reden, die Verständigung und das Verstehen werden immer mehr als Basis einer Pflege gesehen, deren Ziel das Wohlbefinden der betreuten Menschen ist.

Die in der ersten Auflage beschriebenen Aufgaben der Altenpflegerinnen sind geblieben, verändert haben sich jedoch einige Rahmenbedingungen. Durch strukturelle Veränderungen wurden Aufgaben wie Informieren, Anleiten und Beraten deutlicher herausgearbeitet. Pflegende Angehörige haben das Recht auf Anleitung und Beratung, die ambulanten Dienste kommen dem nach. Bei der Prävention von Gewalt durch pflegende Angehörige und bei Interventionen werden die Altenpflegerinnen als wichtige Partnerinnen gesehen. Es gibt weitere Veränderungen in der Praxis, dazu einige konkrete Beispiele: Die Einrichtungen der Altenpflege machen ihre Pflegekonzepte transparent, Pflegeziele werden formuliert und überprüft, um die Pflege nachvollziehbarer zu machen. Es werden spezielle Angebote für Menschen mit Demenz gemacht. Die Biografiearbeit ist inzwischen sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis etabliert.

Es bleiben Themen, die immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Das übergeordnete Ziel, die Selbstbestimmung der betreuten Menschen, muss gerade in der Altenpflege jeweils individuell bedacht werden. Es geht um die Gestaltung der Beziehung zwischen pflegebedürftigen alten Menschen und professionell Pflegenden, sie wird in der Sprache sichtbar. Wie bei allen Veränderungen schlägt das Pendel von einer zur anderen Seite aus. Dann und wann dürfte es sinnvoll sein, innezuhalten und zu fragen: Was wollen wir? Und: Was können wir tun? Das berufliche Selbstverständnis erfordert eine ständige Reflexion, die die Veränderungen miteinbezieht.

Die gerontopsychologische Forschung entwickelt sich in verschiedene Richtungen weiter. Für die Praxis der Altenpflege besonders relevant sind neuere Arbeiten zu den Themen Demenz und Depression, aus denen unmittelbar Handlungswissen abgeleitet werden kann.

Ich habe die Gelegenheit genutzt, um entsprechende Aktualisierungen vorzunehmen. Neue wissenschaftliche Untersuchungen wurden aufgenommen und aktuelle Diskussionen in der Altenpflege berücksichtigt.

Bei der Überarbeitung des Buches habe ich mich auch diesmal über die Beiträge meiner ehemaligen Schüler und Schülerinnen gefreut. Ich war wieder beeindruckt von ihrer Zuwendung zu den von ihnen betreuten Menschen, von ihrer Kreativität und ihrem klugen Handeln. Auch ihre Offenheit, Gespräche aufzuschreiben, die sie nicht für gelungen hielten, und die Reflexion ihres Handelns zeigen ihr großes Interesse und ihren Einsatz. Mein Fazit für die Ausbildung ist, dass die angehenden Altenpflegerinnen und Altenpfleger Raum brauchen für ihre eigenen Entwicklungen, für ihre Kreativität, für ihre Spontaneität und ihre Reflexion, für ihre ganz individuelle Art, das Gelernte umzusetzen, um schließlich ihren Weg zu finden.

Ich danke dem Lektorat des Ernst Reinhardt Verlags, Frau Landersdorfer, für die angenehme Zusammenarbeit und Frau Loder für die sorgfältige Betreuung.

Dreieich-Buchschlag, im Dezember 2016

Maria Langfeldt-Nagel

1   Altenpflege: Unterstützung bei der Bewältigung des Alters

Im Alltag der Altenpflege sind die Anlässe, miteinander zu reden, sehr vielfältig. Alte Menschen sollen informiert, aufgemuntert oder getröstet werden, Angehörige beschweren sich, brauchen Anleitung und Unterstützung, im Arbeitsteam sollen Interessen geklärt und Konflikte bearbeitet werden. Meistens verlaufen solche Gespräche ohne besondere Schwierigkeiten.

Manchmal gibt es jedoch Augenblicke, in denen man nicht weiter weiß. Man versteht das Gegenüber nicht, fühlt sich selbst unverstanden oder weiß nicht, was man sagen soll. Um all die Situationen, in denen miteinander geredet wird, zufriedenstellend zu gestalten, sind vorab einige Fragen zu klären. Wie stellt man sich eine gelungene Altenpflege vor? Welche Ziele werden angestrebt? Was braucht ein alter Mensch? Wie stellt man sich die Beziehung zwischen Pflegenden und hilfsbedürftigen alten Menschen vor? Von den Antworten auf solche Fragen hängt die Gestaltung des Miteinander-Redens ab.

1.1   Alltägliche Gespräche und alltägliche Probleme

Altenpflegerinnen müssen in sehr unterschiedlichen Situationen reagieren. Sie kündigen die Körperpflege an und begleiten sie mit Worten. Sie reagieren auf Widerstände. Sie helfen dem neu aufgenommenen Bewohner beim Einleben. Sie versuchen, Menschen mit Demenz zu verstehen und ihre Ängste zu mindern. Sie regen Bewohner, die an einer Depression leiden, an. Sie stehen in Krisen bei. Sie informieren, beraten, trösten, beruhigen, klären; sie freuen sich mit den alten Menschen und nehmen Anteil an dem, was sie bewegt.

Es sind jedoch nicht nur die alten Menschen, mit denen geredet wird. Angehörige werden informiert und angeleitet, ihre Beschwerden werden angehört. Oft sind pflegende Angehörige mit ihrer Aufgabe überlastet und die professionell Pflegenden diejenigen, die ihnen Hilfe bieten können.

Auch im Team wird miteinander geredet. Man kann sich gegenseitig unterstützen oder sich das Leben schwer machen. Teamgespräche können gelingen oder als unangenehm und überflüssig erlebt werden. Beschlüsse können in die Tat umgesetzt oder ignoriert werden. Pflegeziele können miteinander diskutiert werden oder unausgesprochen bleiben. Konflikte können bearbeitet oder unter den Teppich gekehrt werden. Im Team können unterschiedliche Interessen aufeinander prallen, die verhandelt werden müssen. Wie solche Probleme besprochen werden, ist ausschlaggebend für das Arbeitsklima.

Das Wohlbefinden der alten Menschen zu fördern darf nicht auf Kosten des Wohlbefindens der Pflegenden geschehen. Es sind auch Fragen zu klären wie: Was fällt mir schwer? Was wird für mich zur Belastung? Wo muss ich Grenzen setzen? Nur eine gemeinsame Klärung im Team kann zu einer Balance zwischen den Bedürfnissen der alten Menschen und denen der Pflegenden führen.

Eine angemessene sprachliche Formulierung der Aufgaben und Probleme in der Altenpflege ist eine Voraussetzung für deren Bearbeitung. Alltägliche Probleme können nur bewältigt werden, wenn darüber geredet wird. Ein Austausch kann Klärung bringen und als Unterstützung erlebt werden.

 

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Anregung zur Gruppenarbeit: Sammeln Sie Gesprächsanlässe aus dem Altenpflegealltag.

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Anregung zur Selbstreflexion: In welchen Situationen verlaufen Gespräche nicht so, wie Sie es sich wünschen?

1.2   Menschenbilder

Wie die Altenpflege ausgeübt wird, hängt vom Menschenbild ab, das dem Handeln zugrunde liegt. Was ist der Mensch für ein Wesen? Braucht der Mensch Druck, um sich zu einem anständigen Mitbürger zu entwickeln? Ist es angebracht, die Bedürfnisse und die Interessen des Einzelnen zu berücksichtigen oder sollten die der Gesellschaft und ihren Institutionen im Vordergrund stehen? Soll man den Menschen als Produkt seiner Gene oder seiner Umwelt sehen? Oder soll man ihn als den Gestalter seines Schicksals denken?

Die Vorstellung, wie ein Mensch sein soll und wie er zu dem wird, was er ist, ist von der jeweiligen Kultur und Epoche abhängig. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich das Menschenbild in unserer Kultur sehr stark verändert. Diese Entwicklung hat auch enorme Auswirkungen auf die Altenpflege.

Noch in den 1960er Jahren, in einer Zeit, in der die Senioren von heute jung waren, sah das Leben in einem Pflegeheim wie folgt aus:

Frau Krämer, Mitte 70, hatte einen Schenkelhalsbruch und konnte trotz des langen Krankenhausaufenthaltes nicht wieder selbstständig gehen. Als Witwe hatte sie allein gelebt. Kinder hatte sie keine. So siedelte sie in ein Pflegeheim über. Sie bezog ein Dreibettzimmer. Die Möblierung des kahlen Raumes bestand aus drei Betten, drei Nachttischen und drei Stühlen sowie Wandschränken. Auf den Nachttischen durfte nichts liegen, so dass die bettlägerige Frau Krämer nichts selbstständig erreichen konnte. Eine der Mitbewohnerinnen war taub, die andere litt an Demenz. Frau Krämer wurden die Haare abgeschnitten, um die Körperpflege zu erleichtern. Im Krankenhaus hatte sie täglich Gehübungen mit einem Pfleger gemacht, im Pflegeheim wurde ihr das nur zweimal in der Woche angeboten. Sie lag den ganzen Tag im Bett. Außer Besuchen gab es keine Abwechslung. Die letzte Mahlzeit wurde um 16:30 Uhr gereicht.

Es war nicht die Unfähigkeit der Pflegerinnen oder gar deren Bosheit, die zu einer solchen Betreuung führten, es war das Menschenbild dieser Zeit. Der Mensch hatte sich den Gegebenheiten anzupassen, seine Bedürfnisse spielten eine untergeordnete Rolle. Wenn es für jemanden unumgänglich war, in ein Pflegeheim zu gehen, so musste er sich den dortigen Regeln fügen. Das galt nicht nur für Pflegeeinrichtungen, sondern für alle Institutionen, vom Kindergarten angefangen.

Inzwischen wird von den hilfsbedürftigen Menschen nicht mehr verlangt, dass sie sich unterordnen sollen. Es wird viel getan, um den individuellen Bedürfnissen der betreuten Menschen gerecht zu werden. Aber kann man sie als autonome Menschen sehen, die auch in einer Pflegesituation für sich selbst entscheiden? Kann man die Verantwortung beim betreuten Menschen lassen? Das kann schwerfallen, besonders wenn er sich in unseren Augen schadet. Dann besteht die Tendenz einzugreifen. Man will dem Betreffenden nur Gutes tun und scheut auch keine Mühen dafür. So kommt es, dass man festlegt, wohin sich ein Mensch entwickeln soll. Man fragt sich zudem, wie man ihn dazu „motivieren“ kann. Dabei wird zweierlei unterstellt:

images Man weiß, was für den anderen gut ist.

images Die Betroffenen wollen von sich aus nicht das tun, was gut für sie ist.

So wird etwa für einen sozial zurückgezogenen Menschen das Pflegeziel „Nimmt unaufgefordert an Gruppenaktivitäten teil“ (European Nursing Care Pathways – ENP) vorgeschlagen. Eine solche Formulierung besagt, dass die Altenpflegerinnen die Aufgabe haben, auch die sozialen Beziehungen des betreuten Menschen zu ändern.

Bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts nahm man an, dass der Mensch weitgehend durch seine Anlagen, seine Gene, bestimmt sei. Die psychologische Forschung zeigte indessen, dass vieles veränderbar und von der Lernumwelt abhängig – also ein Ergebnis von Lernprozessen – ist. Man untersuchte nicht nur was, sondern auch wie gelernt wurde. Dabei bezog sich Lernen nicht nur auf den Wissenserwerb, sondern auf das gesamte Verhalten des Menschen. Aus den Ergebnissen wurde gefolgert:

images Der Mensch wird durch Lernen zu dem, was er ist.

images Was er lernt, hängt von seiner Lernumwelt ab.

images Wenn Veränderungen stattfinden sollen, wenn bestimmte Lernziele erreicht werden sollen, muss die Umwelt so gestaltet werden, dass das erwünschte Verhalten gelernt werden kann.

Die Betonung des Umwelteinflusses führte zu Anstrengungen, die Lernbedingungen zu verändern. Das führte in vielen Bereichen zu Veränderungen, z. B. in der Erziehung, in der Beratung und auch in der Altenpflege. Der Abbau von Fähigkeiten im Alter wurde in der Gerontologie nicht mehr als biologisch bedingt angesehen. Er wurde nun damit erklärt, dass an alte Menschen keine Forderungen mehr gestellt würden und diese deshalb nicht mehr aktiv genug seien. Das hieß umgekehrt, dass bei entsprechendem Training ein Abbau im Alter zu vermeiden oder wenigstens zu vermindern wäre. In der Altenpflege wurde deshalb die Aktivierung alter Menschen zum vorrangigen Ziel (Lehr 2006).

Man war nahezu unbegrenzt optimistisch und glaubte, mit den richtigen Lernprogrammen alles erreichen zu können. Inzwischen hat sich gezeigt, dass Altersabbau und Alterskrankheiten nicht zu verhindern sind. Das heißt aber nicht, dass nichts getan werden kann. Lernen ist immer möglich; die Grenzen müssen jedoch mitbedacht werden.

Die Ergebnisse der Lernpsychologie hatten auch Auswirkungen auf die Sprache. Es wird nicht mehr gesagt, ein Kind sei „dumm“ (angeboren), sondern es habe „ungünstige Lernbedingungen“ gehabt (die veränderbar sind). Auch in der Altenpflege werden den betreuten Menschen nicht mehr Eigenschaften zugeschrieben, es wird beispielsweise nicht gesagt, jemand sei „aggressiv“ (was als Charaktereigenschaft verstanden werden könnte und negativ bewertet würde), sondern es wird das Verhalten beschrieben, z. B. „er schlägt um sich, wenn er beim Waschen festgehalten wird“.

Es wird die spezielle Situation beschrieben, in der ein bestimmtes Verhalten auftritt. Eine solche Beschreibung liefert oft schon Hinweise auf Veränderungsmöglichkeiten.

Der Auffassung, dass der Mensch weitgehend durch seine Umwelt geformt wird, wurde bald widersprochen. Die Vertreter der „Humanistischen Psychologie“ kritisierten, dass der Mensch von den Lerntheoretikern als ein eher passives Wesen beschrieben werde, das maßgeblich von äußeren Bedingungen abhängig sei. Sie sahen den Menschen nicht mehr nur als Produkt seiner Umwelt, sondern als aktives Subjekt, das sich selbst Ziele setzt, diese verfolgt und damit seine Umwelt beeinflusst und seine eigene Entwicklung mitsteuert. Dabei wird in der Humanistischen Psychologie folgende Grundannahme gemacht: Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln, seine Fähigkeiten zu entfalten, Wissen zu erwerben und kreativ zu sein.

Die Entwicklung zu einem wissbegierigen, kreativen und einfühlsamen Menschen hängt allerdings von bestimmten Voraussetzungen ab. Grundbedingung ist, dass sich ein Mensch so akzeptiert fühlt, wie er ist, und nicht, wie er sein sollte. Macht er diese Erfahrung, wird er sich selbst akzeptieren und sich positiv entwickeln. Kinder brauchen keine strenge Erziehung oder gar Druck, sondern emotionale Wärme und Wertschätzung, um sich entfalten zu können. Fehlentwicklungen, wie die Tendenz zu Hass und Zerstörung, werden durch fehlende Wärme und fehlende Wertschätzung erklärt.

Die Annahmen der Humanistischen Psychologie hatten Auswirkungen auf viele Bereiche der Praxis. Um 1970 veränderten sich die Erziehungsziele in Westdeutschland; ab diesem Zeitpunkt wurden „Selbstständigkeit“, „freier Wille“ und „individuelles Glück“ wichtig, vorher waren es „Gehorsam“ und „Unterordnung“. Vor allem die Beratung im sozialen Bereich wurde von diesem Menschenbild stark beeinflusst. Es wird angenommen, dass jeder in der Lage ist, seine Probleme zu meistern und dass es die Entwicklung behindere, wenn fertige Lösungen – und seien sie noch so vernünftig – vorgeben werden. Wenn jemand sich akzeptiert fühlt, wenn er Achtung und Wertschätzung erfährt, kann er Energien freisetzen, die ihn befähigen, die ihm angemessene Lösung zu finden. Die Aufgabe der Helfer ist es also nicht, Ziele und Lösungen zu präsentieren, sondern betreute Menschen zu akzeptieren und ihnen Wärme und Wertschätzung zu vermitteln.

Diesem Buch liegen folgende Annahmen zugrunde: Der Mensch hat von sich aus die Tendenz, seine Fähigkeiten zu entfalten, sich in jeder Phase seines Lebens weiterzuentwickeln und nach befriedigenden sozialen Beziehungen zu suchen. Er braucht dazu nicht angetrieben zu werden, er kann aber daran gehindert werden. Eine optimale Entwicklung ist nur möglich, wenn sich Menschen geborgen fühlen können und Achtung und Wertschätzung erfahren. Das gilt für jedes Lebensalter. Die Entwicklung eines Menschen hängt auch von seiner speziellen Lerngeschichte ab. Wie er in der Welt agiert, ist ein Ergebnis vielfältiger Lernprozesse, die auch noch im hohen Alter ablaufen.

 

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Anregung zur Gruppenarbeit: Sammeln Sie Pflegeziele, die in Ihrer praktischen Arbeit vorkommen.

images Wer bestimmt die Pflegeziele?

images Wie werden sie begründet?

4

Anregung zur Gruppendiskussion: Man sagt zwar: „Ich will die alten Menschen nicht erziehen.“ Man will aber häufig, dass sie ihr Verhalten ändern, z. B. selbstständiger werden. Wann, glauben Sie, sind solche „erzieherischen“ Pflegeziele geboten?

5

Anregung zur Gruppenarbeit: Sammeln Sie schwierige Situationen aus Ihrem Pflegealltag. Beschreiben Sie die jeweilige Situation. Überlegen Sie, ob man die Situation hätte ändern können.

6

Anregung zur Gruppendiskussion: Die Humanistische Psychologie macht zwei zentrale Annahmen:

images Jeder Mensch hat die Tendenz, sich weiterzuentwickeln.

images Weiterentwickeln kann sich nur, wer sich akzeptiert, wie er ist.

Können Sie diesen Sätzen zustimmen?

7

Anregung zur Selbstreflexion: Wenn in der Humanistischen Psychologie angenommen wird, dass jeder Mensch seine Probleme selbst lösen kann, so setzt das viel Vertrauen in andere voraus. Wo fällt es Ihnen schwer, dieses Vertrauen aufzubringen?

1.3   Das Alter leben

Schon immer wurde das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tod in Stufen oder Phasen wie Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und Alter eingeteilt. In jeder Stufe oder Phase sind spezielle Aufgaben, Entwicklungsaufgaben, zu bewältigen. Jede bewältigte Aufgabe bringt die Entwicklung einen Schritt weiter. Ein Misslingen dagegen kann die weitere Entwicklung hemmen.

Entwicklungsaufgaben sind nicht wissenschaftlich begründet, sie werden von der Gesellschaft gestellt. Sie sind daher kulturspezifisch und verändern sich. Während z. B. in der westlichen Welt ein Jugendlicher die Aufgabe hat, sich von seinen Eltern zu lösen und selbstständig zu werden, ist in traditionellen Gesellschaften die Autonomie des Einzelnen kein Ziel.

Havighurst (1972) formulierte in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts Entwicklungsaufgaben, wie sie sich in der westlichen Kultur stellen. In der frühen Kindheit lernt das Kind u. a. die Körperausscheidungen zu kontrollieren und zu sprechen. In der mittleren Kindheit lernt es z. B. sich mit Gleichaltrigen zu vertragen und die Kulturtechniken Lesen und Schreiben zu beherrschen. Im Jugendalter geht es u. a. darum, sich von den Eltern zu lösen. Im frühen Erwachsenenalter steht die Berufsausübung an. Im mittleren Erwachsenenalter ist eine der Aufgaben, den eigenen Kindern zu helfen, verantwortungsbewusste und glückliche Erwachsene zu werden.

Auch im Alter sind Aufgaben zu bewältigen. Man muss sich darauf einstellen, dass

images die Funktion der Sinnesorgane abnimmt, dass die Körperkraft nachlässt, Krankheiten zunehmen und es zu deutlichen Einschränkungen im täglichen Leben kommen kann,

images die sozialen Rollen sich ändern, der Beruf aufgegeben wird, die Kinder aus dem Haus gehen,

images nahestehende Personen sterben und die Einsamkeit zunimmt.

Havighurst versteht das Alter als eine Phase, in der Verluste und Belastungen überwiegen. Die alten Menschen, mit denen professionelle Pflegekräfte zu tun haben, haben besondere Verluste zu verkraften. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Beim Umzug in eine Institution der Altenpflege müssen sie ihre Wohnung, ihre Umgebung und auch viele soziale Kontakte aufgeben. In einer Phase, in der die Kräfte nachlassen, müssen besonders viele Veränderungen und Einschränkungen bewältigt werden.

In den letzten Jahrzehnten wurden umfangreiche psychologische Untersuchungen zum Thema „Alter und Altern“ durchgeführt. Ein Aspekt, der untersucht wurde, ist die Lebenszufriedenheit im Alter. Dabei hat sich herausgestellt, dass manche alte Menschen gut mit den Belastungen des Alters umgehen können, sich als zufrieden bezeichnen und Freude am Leben haben, während andere sich langweilen, über Belastungen klagen, resignieren, verbittert und einsam sind. Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Folgende Faktoren haben einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit (Godde et al. 2016, Tenzer 2003):

images das Selbstbild,

images der subjektive Gesundheitszustand,

images die Biografie,

images Familie und Freunde und

images soziale Aktivitäten.

Selbstbild. Das Selbstbild bezieht sich auf Fragen wie: „Wer, wie, was bin ich?“ „Was kann ich?“ „Was will ich?“ „Was will ich noch sein?“ Ein Mensch mit einem positiven Selbstbild hat ein Gefühl von Optimismus, er fühlt sich nicht anderen ausgeliefert, sondern ist davon überzeugt, dass er sein Leben noch selbst gestalten kann. Es gibt einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, der unabhängig von gesundheitlichen und anderen Gegebenheiten ist: Männer z. B. haben ein positiveres Selbstbild. Auch der Bildungsgrad spielt dabei eine Rolle, weniger gut Ausgebildete haben ein eher negatives Selbstbild.

Subjektiver Gesundheitszustand. Der tatsächliche Gesundheitszustand hat weniger Einfluss auf die Lebenszufriedenheit als das subjektive Gefühl, gesund oder krank zu sein. Einem Teil der älteren Menschen gelingt es, ihre Erwartungen der Realität anzupassen. Obwohl sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert hat, fühlen sie sich so gut wie jüngere Menschen. Wer sich gesund fühlt, ist in besserer Stimmung und aktiver. Wer sich hingegen krank fühlt, ist in schlechter Stimmung, unternimmt weniger und wird leichter depressiv.

Biografie. Ob das Alter als Chance oder als Beschränkung gesehen wird, hängt von den Erfahrungen ab, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gemacht hat. Wer in seinem Leben über längere Zeiträume Belastungen zu ertragen hatte, neigt zu Rückzug und Depression. Das gilt besonders dann, wenn er wenig Unterstützung erlebt hat. Hat ein Mensch in seinem Leben Förderung erhalten, sieht er sein Leben als sinnvoll an.

Familie und Freunde. Für die Lebenszufriedenheit spielt das soziale Netzwerk eine Rolle. Es kommt darauf an, Personen zu haben, mit denen man sich verbunden fühlt, auf die man sich verlassen kann und mit denen man Freuden und Sorgen teilen kann. Menschen, die Kinder haben, sind im Alter eher zufrieden. Dieser Zusammenhang ist aber nicht in jeder Gesellschaft deutlich ausgeprägt. In Norwegen z. B. spielt es für die Lebenszufriedenheit alter Menschen weniger eine Rolle, ob sie Kinder haben oder nicht. Hier wird dieser Befund mit den vorbildlichen Altendiensten erklärt (Daatland et al. 2002). Das zeigt, dass auch eine gute Altenpflege die Lebenszufriedenheit der Menschen im Alter beeinflussen kann.

Soziale Aktivitäten. Die Lebenszufriedenheit wird auch von Kontakten und Beschäftigungen beeinflusst, denen alte Menschen nachgehen (Staudinger et al. 1999). Die sozialen Aktivitäten im Alter sind eine Fortsetzung dessen, was im früheren Leben unternommen wurde, und hängen daher auch von Ausbildung und Status ab.

Mehr als die Hälfte (63 %) der Menschen, die an der „Berliner Altersstudie“ (Lindenberger et al. 2010) teilnahmen, waren mit ihrem Leben zufrieden und blickten optimistisch in die Zukunft. Im hohen Alter nimmt jedoch das Wohlbefinden ab. Für Hochbetagte (über 85 Jahre) wird das Alter zunehmend zur Belastung (Baltes 2004, Smith et al. 2010). Die körperlichen Behinderungen werden mehr und mehr zum Thema. Die biologischen Grenzen werden deutlich. Aber auch die psychischen Veränderungen werden zum Problem. Auch ohne Demenzen lässt das Lernpotenzial nach. Hochbetagte können sich nur schwer neue Inhalte aneignen. Die Lebenszufriedenheit sinkt. Wie Baltes (2004) sagt, gerät „der Lebensweg im hohen Alter zunehmend zum Leidensweg“.

Altenpflegerinnen kümmern sich vorwiegend um Menschen, bei denen der Altersabbau so gravierend ist, dass sie ihr Wohlbefinden nicht mehr selbst sichern können. Es hängt sehr stark von der Kommunikation in der Pflege ab, ob sich alte Menschen trotz aller Einschränkungen ausgeliefert fühlen oder nicht. Kommunikation kann so gestaltet werden, dass das Selbstbild gestärkt und die Zufriedenheit erhöht wird. Pflegende können Familie und Freunde nicht ersetzen, sie können jedoch die Personen sein, auf die man sich verlassen kann und die für Freuden und Sorgen ein offenes Ohr haben.

 

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Aufgabe: Denken Sie an einen alten Menschen, den Sie betreuen.

images Welche Verluste hat er zu bewältigen?

images Wie geht er damit um?

9

Anregung zur Selbstreflexion:

images Denken Sie an einen zufriedenen alten Menschen. Wie erleben Sie ihn?

images Denken Sie an einen resignierten, verbitterten alten Menschen? Wie erleben Sie ihn?

1.4   Aufgaben der Altenpflege

Was braucht der Mensch? Was sind seine Bedürfnisse? Was kann in der Altenpflege getan werden, um Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, so zu unterstützen, dass sie trotz aller Verluste und Behinderungen ihr Leben noch als sinnvoll ansehen können?

Der humanistische Psychologe Maslow hat in den 1950er Jahren ein System von Bedürfnissen formuliert, das als „Bedürfnispyramide“ (Abb. 1) bekannt wurde. Er beschreibt eine Hierarchie von Bedürfnissen und geht davon aus, dass die Bedürfnisse der unteren Stufen zumindest zum Teil befriedigt sein müssen, damit die nächste erreicht werden kann. Dieses Modell der Bedürfnisse gilt für alle Altersstufen, also vom Säugling bis zum Hochbetagten, gleichermaßen (Maslow 2002).

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Abb. 1: Bedürfnispyramide nach Maslow (2002)

Physiologische Bedürfnisse wie Hunger und Durst, wie die nach Schlaf, Ruhe und Bewegung sowie Schmerzfreiheit drängen am stärksten nach Befriedigung. Wer in einer extremen Mangelsituation ist, wird erst alle Energie darauf verwenden, Hunger und Durst zu stillen. Erst wenn die physiologischen Bedürfnisse einigermaßen befriedigt sind, werden die der nächsten Stufe bestimmend.

In der Pyramide folgt die Stufe der Sicherheitsbedürfnisse. Jeder möchte sich seines Lebens sicher sein und seinen täglichen Aufgaben ohne große Risiken nachkommen können. Ist das Leben in Gefahr, steht das Bedürfnis im Vordergrund, ihr zu entgehen oder sie zu überwinden. Das Sicherheitsbedürfnis drückt sich auch als Suche nach Stabilität, Ordnung und Übersicht aus. Menschen möchten ihre Umwelt als zuverlässig und vorhersehbar erleben.

Für eine gesunde Entwicklung braucht jeder Zuneigung und das Gefühl, zu jemanden oder zu einer Gruppe zu gehören, jeder Mensch hat Zugehörigkeitsbedürfnisse. Für das kleine Kind ist es die Familie, zu der es gehört und von der es ein Teil ist. Später kommen Freunde, Partnerschaften, Gruppen und auch das Arbeitsteam dazu.

Alle Menschen haben das Bedürfnis, von anderen als einzigartig wahrgenommen, geschätzt und geachtet zu werden. Jeder möchte sich selbst als stark, leistungsfähig, kompetent, unabhängig und frei erleben. Man kann diese Bedürfnisse als Geltungsbedürfnisse, Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung zusammenfassen. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse führt zu Selbstvertrauen.

Wenn die Bedürfnisse der unteren Stufen befriedigt sind, entsteht der Drang, seine Fähigkeiten zu entfalten. Jeder möchte das aktualisieren, was er an Möglichkeiten besitzt und sich Aufgaben zuwenden, die für ihn eine Bedeutung haben. Dies wird Bedürfnis nach Selbstverwirklichung genannt.

Maslows Bedürfnispyramide ist vor allem für diejenigen hilfreich, die andere unterstützen, seien es Eltern, Lehrer, Mitarbeiter sozialer Einrichtungen oder Altenpfleger. Anhand des Systems lässt sich besser beschreiben, was die betreuten Menschen im Alter brauchen. Bei Problemen kann nachgeforscht werden, wo Mängel aufgetreten sein könnten und wo zur Verbesserung der Situation Veränderungen vorgenommen werden sollten.

Wie können die von Maslow formulierten Bedürfnisse in der Altenpflege berücksichtigt werden?

Physiologische Bedürfnisse. Die betreuten alten Menschen sind nicht immer in der Lage, ihre physiologischen Bedürfnisse selbstständig zu befriedigen. Die Pflegenden tragen dafür Sorge, dass genügend Nahrung und Flüssigkeit aufgenommen werden, die Temperatur reguliert, dass Bewegung ermöglicht oder durch entsprechende Lagerung das Wohlbefinden erhöht wird. Sie helfen auch, Schmerzen zu reduzieren, denn diese überschatten oder verhindern andere Aktivitäten.

Sicherheitsbedürfnisse. Je mehr Fähigkeiten Menschen einbüßen, desto abhängiger werden sie von anderen. Das Gefühl der Sicherheit hängt deshalb von der Hilfe ab, die sie erleben. Ein Umzug ins Altenheim resultiert meistens aus einem Bedürfnis nach Sicherheit. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe der Altenpflege, Sicherheit zu vermitteln. Für betreute alte Menschen bedeutet es viel, wenn ihre Umwelt verlässlich und überschaubar ist. Sie müssen informiert sein über das, was mit ihnen und um sie herum geschieht. Sicherheit hängt auch vom Vertrauen in die Pflegenden ab. Dieses kann sich entwickeln, wenn die Altenpflegerinnen als zuverlässig und kompetent erlebt werden. Ist jemand zur Stelle, wenn Not ist? Tun die Altenpflegerinnen in kritischen Situationen das Richtige? Menschen mit Demenz, die Informationen und Verabredungen schnell vergessen, fühlen sich leicht verunsichert. Doch auch sie können die Erfahrung machen, dass immer jemand da ist, auf den sie sich verlassen können.

Zugehörigkeitsbedürfnisse. Alte Menschen verlieren Partner, Verwandte, Freunde. Bei einem Umzug in ein Altenheim ist ein Gefühl der Zugehörigkeit zu den Menschen der neuen Umgebung erst einmal nicht gegeben. Gewöhnlich sind das Personal und die anderen Bewohner fremde Menschen. Der Kontakt wird durch Behinderungen der Informationsaufnahme und –verarbeitung wie Schwerhörigkeit oder Demenz erschwert. Die Einstellung alter Menschen, nur die anderen seien alt und man selbst nicht, trägt nicht dazu bei, sich zugehörig zu fühlen. Die Befriedigung der Bedürfnisse nach Zuwendung und Zugehörigkeit hängt daher weitgehend von den Pflegenden ab. Sie können den betreuten alten Menschen vermitteln, dass sie zu einer Gemeinschaft gehören und dort ihren Platz haben.

Geltungsbedürfnisse. Jeder Mensch möchte wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Gerade beim Nachlassen von Fähigkeiten befürchten Menschen, nicht mehr geachtet zu werden. Besonders für diejenigen, die ihr Selbstwertgefühl vor allem aus ihrer Leistung oder aus ihrer Fürsorge für andere bezogen haben, ist es schwer zu verkraften, wenn sie nichts mehr tun können, sondern selbst auf Hilfe angewiesen sind. So ist es für die betreuten alten Menschen wichtig, sich von den Pflegenden trotz aller Abhängigkeit wertgeschätzt zu fühlen. Die Achtung vor dem Anderen drückt sich im sprachlichen Umgang miteinander aus. Auch „niedrige“ Tätigkeiten wie „Po wischen“ können so gestaltet werden, dass der Betroffene sich respektiert fühlt. Durch rücksichtsvolle und sorgfältige Körperpflege kann Wertschätzung vermittelt werden. Aufmerksames Zuhören und der Versuch des Verstehens, das Eingehen auf Gedankengänge – auch auf die der Menschen mit Demenz – werden als Achtung erlebt.

Selbstverwirklichung. Der Entfaltung von Fähigkeiten werden im Alter mehr und mehr Grenzen gesetzt. Tätigkeiten, die früher Befriedigung schenkten, müssen aufgegeben werden. Selbstverwirklichung kann jetzt heißen, die verbleibenden Fähigkeiten optimal zu nutzen. Es kann aber auch heißen, das Bisherige aufzugeben und in der neuen Situation einen Sinn zu suchen. Die Altenpflegerinnen haben nicht die Aufgabe, die betreuten Menschen „zu etwas zu bringen“, und sei es noch so sinnvoll. Sie können jedoch zu den Voraussetzungen der Selbstverwirklichung beitragen: die Befriedigung der Bedürfnisse der unteren Stufen, die mehr oder weniger in ihrer Hand liegen kann. Sie können außerdem Unterstützung bieten, indem sie informieren, Angebote machen, Gelegenheiten schaffen oder Lernprozesse ermöglichen. Wie ein alter Mensch mit Einbußen und Verlusten umgeht, wie er soziale Kontakte pflegt, ob er an kulturellen Veranstaltungen teilnimmt, ob er aktiv ist oder passiv bleibt, kann nur er selbst bestimmen, und nur er selbst kann dafür die Verantwortung übernehmen.

 

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Anregungen zur Gruppenarbeit: Sammeln Sie Situationen, in denen sich alte Menschen unsicher fühlen (auch wenn es Ihrer Meinung nach unbegründet ist). Was können Sie tun, um das Gefühl der Sicherheit zu erhöhen?

11

Anregungen zur Gruppenarbeit: Sammeln Sie Vorschläge, wie es Menschen im Heim leichter gemacht werden kann, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln.

12

Aufgabe: Stellen Sie sich einen Menschen mit Demenz vor. Wie können Sie ihm vermitteln, dass Sie ihn achten und wertschätzen?

1.5   Psychologie als wissenschaftliche Grundlage

Professionelles Handeln muss rational begründet und nachvollziehbar sein. Für die Altenpflege werden dazu Erkenntnisse aus den Humanwissenschaften Medizin, Psychologie und Soziologie herangezogen. Die Wissenschaft, die sich mit dem Verhalten und Erleben von Menschen befasst, ist die Psychologie. Sie untersucht u. a. die Entwicklung von der Geburt bis zum Tod. Sie untersucht, wie Menschen miteinander in Beziehung treten, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen, wie sie sich beeinflussen, was Gespräche behindert und was unterstützend wirken kann. Andere Forschungsgegenstände der Psychologie sind z. B. Lernen, Gedächtnis und Denken.

Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft, d. h., ihre Aussagen werden an der Realität überprüft. Sie hat folgende Aufgaben:

images Beschreiben, was ist.

images Erklären, warum es so ist.

images Vorherzusagen, wie etwas sein wird.

images Interventionen zu entwickeln, wie etwas verändert werden kann.

Beschreiben. Das, was untersucht werden soll, muss zunächst genau beschrieben werden. Betrachtet man den Forschungsgegenstand „Gedächtnis“, dann stellen sich Fragen wie: Wie kann man Gedächtnisleistungen erfassen? Welche Gedächtnisleistungen erbringen Kinder, Erwachsene, alte Menschen? Wie verläuft die Entwicklung des Gedächtnisses im Alter? Wann kann man davon sprechen, dass das Gedächtnis nachlässt? Nimmt bei allen alten Menschen das Gedächtnis ab oder gibt es Unterschiede?

Erklären. Nachdem ein psychologisches Phänomen beschrieben worden ist, wird gefragt, warum es so ist. Was sind die Ursachen für einen Gedächtnisabbau? Wo treten die Probleme auf, beim Einspeichern neuer Informationen oder beim Abrufen aus dem Gedächtnis? Handelt es sich um krankhafte Prozesse? Ist der Abbau auf mangelnde Übung zurückzuführen?

Es wird nach Regeln oder Gesetzen gesucht, mit denen Verhalten und Erleben erklärt werden können. Systeme von Sätzen, die etwas erklären, werden Theorien genannt. Der Begriff „Theorie“ wird hier in diesem Sinne gebraucht: Theorien sind Aussagensysteme zur Klärung von Ursachen. Ob sie richtig sind, wird an der Realität überprüft. Deshalb sind Theorien keine weltfremden Aussagen, sondern haben einen Bezug zur Praxis. Sie sagen nicht aus, was sein soll, sondern erklären, warum etwas so oder so ist. Was sein soll, wird nicht von der Wissenschaft festgelegt, sondern von der Gesellschaft.

Vorhersagen. Wenn man die Ursachen für einen psychologischen Tatbestand kennt, kann man Vorhersagen machen. Wenn eine Ursache des Gedächtnisabbaus im Alter mangelnde Übung wäre, könnte man Folgendes vorhersagen: Wenn ein Mensch sein Gedächtnis nicht übt, nimmt seine Gedächtnisleistung im Alter ab.

Interventionen. Wenn Vorhersagen auf Entwicklungen hinweisen, die nicht gewünscht sind, wird man versuchen, Interventionen zu entwickeln, mit denen man sie verhindern oder wenigstens mildern kann. Da ein Gedächtnisabbau die Lebensqualität beeinträchtigt, haben die meisten Menschen das Ziel, einen solchen Abbau zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Deshalb werden auf der Grundlage der Erklärungen von Gedächtnisleistungen Strategien entwickelt, um dieses Ziel zu erreichen. So werden z. B. Gedächtnistrainingsprogramme erstellt. Deren Wirksamkeit muss belegt werden. Führt die Anwendung eines solchen Programms tatsächlich zu einer Verhinderung oder Verzögerung des Abbaus? Das ist keine Frage des Glaubens, sondern der empirischen Überprüfung. Die Psychologie hat für solche Überprüfungen Regeln und Methoden entwickelt.

Aus den Ergebnissen der Forschung kann Handlungswissen für die Praxis abgeleitet werden. Aus einer Wissenschaft wie der Psychologie kann jedoch nicht abgeleitet werden, wie etwas sein soll. Das muss jeder für sich selbst festlegen. Die Psychologie kann jedoch Wissen und Strategien bereitstellen, wie das, was sein soll, die Ziele, die wir formuliert haben, erreicht werden können.

2   Der Mensch in seiner sozialen Umwelt

Auf die Frage, was ein hilfreiches Gespräch sei, wird meistens geantwortet: „Wenn man sich verstanden fühlt.“ Das Verstehen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gelungene Kommunikation. Dafür brauchen wir Wissen über die psychischen Prozesse, die bei den Gesprächspartnern ablaufen. Die Psychologie stellt Wissen bereit, das für eine bewusste Gestaltung unserer Interaktionen nützlich ist. Aber nicht nur Wissenschaftler formulieren Theorien: Jeder Mensch macht sich Gedanken darüber, warum er selbst und andere etwas tun oder auch lassen und steuern damit ihr eigenes Verhalten.

Die Erkenntnisse der Psychologie machen aber auch unsere Beschränkungen deutlich. Wenn zwei Personen eine dritte beurteilen, werden sie immer zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das Urteil hängt also auch von der beobachtenden Person ab. Dieses Wissen hilft uns, uns der eigenen Subjektivität bewusst zu werden. Das erleichtert es, die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen und ihn besser zu verstehen.

2.1   Verhalten erklären und verändern

Die Psychologie wird als die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben bezeichnet. Verhalten ist einer der wichtigsten Begriffe. Jede nach außen gerichtete Aktivität wird Verhalten genannt. Der Mensch verhält sich immer in irgendeiner Weise, z. B. er redet, schweigt, sitzt, fällt hin, schreit, schlägt um sich, streichelt jemanden, geht aus dem Raum usw. Dabei wird keine Aussage darüber gemacht, ob das, was jemand gerade tut, mit Absicht geschieht oder nicht, ob es bewusst geschieht oder nicht. Im Gegensatz dazu wird von Handlung gesprochen, wenn eine Aktivität bewusst, zielgerichtet und gesteuert ist.

Verhalten kann sich ändern. Eine Altenpflegeschülerin wird sich am Ende ihrer Ausbildung anders verhalten als am Anfang. Sie wird geschickter sein, sie hat möglicherweise Ängste abgebaut oder auch neue entwickelt. Diese Veränderungen sind Ergebnisse von Lernprozessen. In diesem Abschnitt sollen Ergebnisse der Lernpsychologie beschrieben werden, um Lernprozesse besser verstehen und beeinflussen zu können.

In der Umgangssprache wird unter „Lernen“ meistens „Wissen einspeichern“ verstanden. Man lernt den Stoff des Unterrichts. Man kann auch kochen lernen oder Ski fahren, Klavier spielen oder Thrombosestrümpfe anziehen. Gewöhnlich denkt man beim Lernen an eine Verbesserung von etwas, man weiß nachher mehr oder kann etwas besser. In der Psychologie wird Lernen umfassender definiert. Unter Lernen wird jede Veränderung des Verhaltens verstanden, die durch Erfahrung zustande kommt. Das kann auch Verhalten sein, das nicht erwünscht ist, z. B. störendes Verhalten oder Ängste. Gelernt wird das ganze Leben lang, das Neugeborene lernt und der Hochbetagte noch immer.

Wie im ersten Kapitel beschrieben, wird in der Psychologie nach Erklärungen für psychische Tatbestände gesucht. In der Lernpsychologie werden verschiedene Arten des Lernens formuliert, mit denen Verhalten erklärt werden kann. Eine dieser Lernarten, das „Lernen durch Konsequenzen“, soll hier beschrieben werden. Viele Probleme im Alltag können mit dieser Art des Lernens erklärt werden. Diese Erklärungen helfen, Verhalten zu verstehen und Interventionen zu entwickeln, wenn Verhalten verändert werden soll.

Verhalten hat immer Konsequenzen, die das zukünftige Verhalten beeinflussen – selbst wenn auf ein Verhalten nicht reagiert wird. An den folgenden Beispielen soll das Lernen durch Konsequenzen erklärt werden:

Eine Mutter mit Kleinkind wartet an der Supermarktkasse. Dort sind in Augenhöhe des Kindes Süßwaren gestapelt. Das Kind möchte einen Schokoriegel. Die Mutter will keinen kaufen. Das Kind quengelt und fängt an zu schreien. Die entnervte Mutter kauft schließlich den Schokoriegel. Wenn das Kind wieder einen Schokoriegel haben will, was wird es tun? Es wird quengeln und schreien, denn das letzte Mal bekam es auf dieses Verhalten hin einen Schokoriegel. Das war die angenehme Konsequenz des Schreiens.

Wird die Konsequenz als positiv erlebt, wird das Verhalten häufiger auftreten. Dies wird in der psychologischen Fachsprache „Verstärkung“ genannt. In der Umgangssprache sagen wir „Belohnung“. Belohnt wird ein Verhalten, das als wünschenswert angesehen wird. Belohnungen erfolgen also absichtlich. Von Verstärken wird aber auch dann geredet, wenn gar nicht die Absicht besteht, etwas zu belohnen. Die Mutter hatte in diesem Beispiel keineswegs die Absicht, das Schreien des Kindes zu belohnen. Es kommt aber nicht darauf an, was beabsichtigt wird, sondern wie die Konsequenz erlebt wird. Eine Verstärkung muss nicht immer von außen kommen. Wenn sich jemand eine Aufgabe stellt, sie erfolgreich ausführt und sich darüber freut, wirkt dieses Gelingen auch als Verstärkung.

Es gibt noch weitere Arten von Konsequenzen. Eine Konsequenz kann sein, dass ein Mangelzustand beendet wird. Jemand wacht in der Nacht auf und hat Schmerzen in der Schulter. Er macht einige kreisende Bewegungen, die Schmerzen hören auf. Treten erneut Schmerzen auf, wird er wieder die Arme kreisen. Ein unangenehmer Zustand wird durch ein bestimmtes Verhalten beendet. Auch dies ist eine Verstärkung, denn das Verhalten wird in Zukunft häufiger auftreten. Es gibt also zwei Arten von Verstärkung:

images Auf ein Verhalten erfolgt etwas Angenehmes, dies wird Verstärkung 1 genannt.

images Durch ein bestimmtes Verhalten hört ein unangenehmer Zustand auf. Dies wird Verstärkung 2 genannt.

Eine Konsequenz kann auch unangenehm sein, dann handelt es sich um eine „Strafe“. Ein Verhalten, das eine unangenehme Konsequenz zur Folge hat, tritt seltener oder gar nicht mehr auf. Wenn ein Kind auf eine heiße Herdplatte fasst, tut es sich weh. Das Verhalten „auf die Herdplatte fassen“ zieht eine unangenehme Konsequenz nach sich, wird also bestraft. Verhalten wird damit gehemmt.

Schließlich kann es vorkommen, dass auf ein Verhalten gar nichts erfolgt, es zieht keine Konsequenz nach sich. Ein Kind hat in der Schule immer etwas vergessen und wird vom Lehrer ermahnt. Als es alles mitbringt, sagt der Lehrer gar nichts, denn für ihn ist es selbstverständlich, dass die Schüler ihre Sachen dabei haben. Auf das Verhalten „alle Sachen dabeihaben“ erfolgte gar nichts, es zog keine Konsequenzen nach sich. Verhalten, dem keine Konsequenzen folgen, tritt in Zukunft seltener auf. Dies wird „Löschung“ genannt. Das Verhalten des Kindes wird gelöscht, obwohl dies keineswegs im Sinne des Lehrers war.

Wir haben also vier Formen des Lernens durch Konsequenzen: Zwei dienen dazu, Verhalten aufzubauen, zwei führen zum Abbau von Verhalten (siehe Tabelle 1).

Manches Verhalten der betreuten alten Menschen lässt sich durch Lernen durch Konsequenzen erklären.

Tab. 1: Lernen durch Konsequenzen

Aufbau Abbau
Verstärkung 1
(angenehme Konsequenz)
Bestrafung
(unangenehme Konsequenz)
Verstärkung 2
(unangenehmer Zustand wird beendet)
Löschung
(keine Konsequenzen)

Verstärkung 1: Frau Metzinger kann aufstehen, muss aber zur Toilette gebracht werden. Mit ihren Bemühungen um soziale Kontakte hatte sie bisher wenig Erfolg. Wenn sie eine Altenpflegerin ansprach, war diese gerade in Eile, es war gerade ein ungünstiger Moment; man hat sie auf später vertröstet. Wenn Frau Metzinger jedoch sagte, sie müsse zur Toilette, wurde prompt reagiert. Inzwischen bittet sie jede halbe Stunde, zur Toilette gebracht zu werden. Frau Metzinger erlebt, dass die Äußerung „ich muss zur Toilette“ eine positive Konsequenz nach sich zieht, sie sagt es also häufiger.

Verstärkung 2: