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Bock auf Bock?
Ein Vorwort

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Die Jagd in unseren Breiten ist im Jahreslauf so unvergleichlich abwechslungsreich. Die Hauptjagdzeiten für die verschiedenen Wildarten lösen entweder einander ab oder aber sie überschneiden sich.

Bei genauerer Betrachtung ist man eigentlich das ganze Jahr Jäger, denn Jagd ist nicht gleichzusetzen mit »nur Beutemachen«. Der 1. Mai ist mit dem Aufgang der Jagd auf den Rehbock für jede Jägerin und jeden Jäger ein ganz besonders magisches Datum, was nicht heißen soll, dass man bestrebt ist, gleich an diesem Frühsommertag den Finger krumm zu machen. Es bleibt uns bis in den Herbst hinein viel Zeit. Wir sollten uns nicht von der Angst leiten lassen, dass wir vielleicht zu kurz kommen könnten und wir sollten beim Warten auf den heiß ersehnten Bock nicht versäumen, auch einmal links und rechts am Zielfernrohr vorbeizuschauen.

Die Natur hält so viele wunderbare Überraschungen für uns bereit, wir müssen sie nur erkennen. Die Unberechenbarkeit des Erfolgs verleiht der Jagd etwas sehr Geheimnisvolles und weckt in uns immer wieder aufs Neue eine große Leidenschaft und Jagdlust. Einige Böcke werden uns ab dem 1. Mai begegnen und je nach Freigabe und Größe des Reviers werden wir wohl Bock auf Bock erlegen. Und dennoch ist es nicht ein volles Schussbuch, das uns am Ende des Jagdjahres dankbar zurückschauen lässt. Es sind die vielen aufschlussreichen Beobachtungen, interessanten Begegnungen und wunderbaren Augenblicke, die uns die Jagd schenkt.

Den Titel des Buches habe ich mit einem Fragezeichen versehen. Umgangssprachlich sagt man heute »auf etwas Bock haben« wenn man meint »auf etwas Lust haben«. So gibt das hintangestellte Fragezeichen dem Titel des Buches eine ganz besondere Bedeutung. Haben Sie Lust auf Bock? Sie sind herzlichst eingeladen.

Jörg Mangold
Hof Blumental im Februar 2018

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Hubertuserlebnis

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Die Natur kann grausam sein. Durch Naturkatastrophen wird uns das ja immer wieder ganz besonders bewusst und drastisch vor Augen geführt. Oder betrachten wir die Tierwelt, wo das Recht des Stärkeren gilt und das Fressen- und Gefressenwerden ein unumstößliches Naturgesetz ist, weil oft nur der Tod des einen Individuums das Leben oder Überleben eines anderen möglich macht.

Als Jäger töten wir heutzutage Wildtiere, aber nicht unbedingt zu unserem Schutz und auch nicht, um unser Überleben zu sichern, was den Menschen vor tausenden von Jahren die einzige Triebfeder war, dem Wild nachzustellen. Wir tun dies mit präzisen, schnell tötenden Waffen, immer darauf bedacht, dem Wildtier kein Leid und keine unnötigen Schmerzen zuzufügen. Die Realität sieht dabei aber leider oft ganz anders aus, meist unverschuldet, leider aber oft genug auch aus reiner Gier.

Aus der Jagd, so schreibt Ludwig B. von Cramer-Klett in einem seiner Bücher, lasse sich die Grausamkeit nicht ganz verbannen. Wir können, so der Jagdschriftsteller, ein angeschossenes Tier nicht um Verzeihung bitten, wir können es nicht in die Arme nehmen und heimtragen. Wir müssen als Jäger unsere Pflicht tun und dem leidenden Geschöpf den Fangschuss geben.

Mitansehen zu müssen, wie ein angeschossenes Stück Wild, egal ob Hirsch, Reh, Fuchs oder Hase im Todeskampf leidet, ist so ziemlich das Grausamste, was uns auf der Jagd widerfährt, besonders dann, wenn wir selbst dieses Leid verschuldet haben. Oft aber sehen wir nicht oder wollen wir es nicht sehen, wie die krankgeschossene Kreatur im Wundbett leidet. Es ist üblich und es ist sinnvoll das Tier, sofern es sich nach dem Schuss nicht in Sichtweite niedergetan hat, erst so richtig krank werden zu lassen, damit man es durch eine zu frühe Nachsuche nicht aufmüdet und ihm durch das Auftauchen des Erzfeindes Mensch unnötig Stress macht. Führt einen der Schweißhund schließlich nach einer Stunde sicher zum Stück und wir finden es bereits verendet vor, dann fällt uns ein Stein vom Herzen. Wir freuen uns über die Beute und verdrängen dabei gerne das Leid, dem das Tier in der letzten Stunde ausgesetzt war. Die Jagd ist nicht nur äußerlich der Schauplatz eines dramatischen Geschehens, wie der Jagdphilosoph Eugen Wyler sagt, sie ist es auch im Inwendigen durch den Zusammenprall zweier gegensätzlicher Impulse. Es ist schon so, und ich spüre das mit zunehmenden Alter oder zunehmender Reife immer mehr: Da ist auf der einen Seite die große Jagdpassion, der Drang Beute zu machen und auf der anderen Seite zugleich die Ehrfurcht vor dem Geschöpf.

Es ist eine Binsenweisheit, dass man aus Fehlern lernt. Voraussetzung ist dabei, dass man dazu bereit ist. Solche Momente der Begegnung mit einer geschundenen Kreatur dürfen uns nicht kalt lassen. Sie sollen uns lehren, noch verantwortungsvoller mit den uns als Jägern anvertrauten Geschöpfen umzugehen. Es muss uns nicht der weiße Hirsch mit dem Kreuz zwischen den Stangen begegnen, der uns dazu ermahnt. Spätestens, wenn wir nach einem Schuss, der durch Unachtsamkeit, Leichtsinn oder zügellose Gier nicht tödlich getroffen hat und dem Tier großes Leid zufügt, sollten wir zur Besinnung kommen. Solche Erlebnisse, ich nenne sie »Hubertuserlebnisse«, können und sollen dazu beitragen, dass wir bessere Jäger werden. Es soll uns zuversichtlich stimmen, dass der Heilige Hubertus nach der Begegnung mit dem weißen Hirsch nicht, wie man fälschlich glaubt, aufgehört hat zu jagen. Er hat weiterhin gejagt, aber nachhaltig und mit großer Ehrfurcht vor den Geschöpfen.

Das Erlegungsdatum des Rehbockes, von dem ich erzählen will, der 2. Juni 1987, ist mir deshalb in so genauer Erinnerung, weil ich über einen langen Zeitraum für Versicherungen unzählige Formulare, Anträge, Gutachten, Unfallberichte bearbeiten, ausfüllen, diktieren und lesen musste, deren Betreff immer den gleichen Wortlaut hatte: Jagdunfall vom 2. Juni 1987.

Dieser besagte Tag im Juni war schwül, die Biergärten in der Umgebung luden zu fröhlichem Umtrunk ein, was meinem Revier und meinem jagdlichen Vorhaben insofern sehr zugute kam, dass Jogger, Radler und Spaziergänger eher den Drang nach einer kühlen Maß Bier verspürten als sich in der schattigen Kühle des Waldes zu erfrischen. So konnte ich mit meiner Deutsch-Drahthaar-Hündin Asta ungestört das von kleinen Bächen und Gräben durchzogene Herz meines Reviers aufsuchen. Einen bereits vollständig verfärbten Knopfbock hatte ich in letzter Zeit dort nahe der Waldstraße mehrfach gesehen. Ihm galt unsere Pirsch und tatsächlich, ob der Menschenleere des Waldes völlig unbekümmert, äste in etwa hundert Metern Entfernung das Böcklein exakt am Rand des Weges, wo ich es vermutet hatte. Schnell den Hund an der Leine herbeigezogen und die Büchse an einer starken Fichte angestrichen, dabei etwas unsicher im morastigen Graben der Waldstraße Halt suchend, schoss ich auf den bereits mit langem Träger zu uns her sichernden Bock.

Alles, was dann geschah, ist mir ebenso fest in Erinnerung wie das Datum, denn ich musste den Hergang mehrfach und immer wieder erzählen. Zuerst meiner besorgten Frau, dann am Telefon dem Assistenzarzt in der chirurgischen Ambulanz des Kreiskrankenhauses, wo man mir nicht helfen konnte, dann dem diensthabenden Chirurgen im Klinikum der Kreisstadt, der sich nicht zuständig fühlte, schließlich der Schwester in der Notaufnahme einer weiteren Klinik, dann dem Pfleger, der meine dreckigen Jagdklamotten in einem blauen Müllsack verstaute und mir ein weißes, viel zu kleines OP-Hemd anzog, dann dem Anästhesisten und schließlich dem Handchirurgen, der sich erst einmal freute, mich wiederzusehen, da ich vor vielen Jahren drei Jahre lang sein Assistent war. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, obwohl er dienstfrei hatte, selbst den chirurgischen Eingriff vorzunehmen. Ein letztes Mal musste ich dann die unrühmliche Geschichte einem Gutachter erzählen, dessen Attest die Berufsgenossenschaft überzeugte und bewog, mir für ein Jahr eine Rente von monatlich ein wenig über hundert Mark zu gewähren. Den Hergang dieses Jagdunfalls immer wieder zu schildern, wurde dadurch erschwert, dass die zum Teil verständnisvollen, aber zum Teil auch nur kopfschüttelnden Menschen, die mich zur Anamnese befragten oder die meinen Bericht forderten, allesamt (außer meiner Frau natürlich) von Jagd keine Ahnung hatten, nicht wussten, was man unter einem bereits verfärbten Knopfbock versteht! Oder was es heißt, die Büchse am Baum anzustreichen, was man sich unter einem Stecher, einer eingestochenen Büchse und schließlich unter einem hohen Vorderlaufschuss vorzustellen hat.

Einen hohen Vorderlaufschuss hatte ich, vor lauter »schnell, schnell« dem schwachen Knopfer angetan. Ich konnte den Beschossenen noch zeichnen und mit schlenkerndem linken Vorderlauf im hohen Farnkraut abspringen und schließlich in der Fichtendickung untertauchen sehen. Das sind Momente, in denen man jeglichen Anstand verliert, gepresst, aber zornig flucht und Ausdrücke gebraucht, derer man sich, wenn überhaupt, nur ganz selten bedient. Ich raufte mir die Haare und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie kann man nur so dumm sein und glauben, einen schwachen Jährling einfach so »mit links« beinahe so, wie aus der Hüfte heraus, tot zu schießen?

Am Anschuss fand ich, wie zu erwarten, keinen Schweiß, nur den Splitter eines Röhrenknochens. Jetzt musste Asta ran, die an meinem Verhalten (kein Abliebeln nach dem Schuss) genau spürte, dass jetzt etwas nicht so wie sonst gelaufen war. Hoher Vorderlaufschuss. Ich schnallte sie. Es war nicht weit, vielleicht gerade einmal hundert Meter, da hatte die Hündin den schwachen Bock in einer total verfilzten Dickung eingeholt und schon am Träger niedergezogen. Ich kämpfte mich, immer wieder die Augen zukneifend, durch das sperrige, stachelige Unterholz, verlor dabei meinen Hut und zog die Kipplaufbüchse hinter mir her. Schnell war ich bei der Hündin, lobte sie und drückte mit der linken Hand das Haupt des laut klagenden Rehs gegen den Waldboden. Ein ekliger, nervenaufreibender Moment! An einen Fangschuss war in diesem Augenblick nicht zu denken. Asta ließ von dem Bock ab, ich zog den scharfen Nicker aus der Lederhose, holte kräftig aus, um die leidende Kreatur abzufangen. In dem Moment, in dem ich mit voller Wucht zustechen wollte, glaubte der Hund auch wieder den Bock beuteln zu müssen, packte ihn am Hinterlauf, riss an ihm und zog damit meine, das Haupt des Bockes niederdrückende Hand genau in die Stichrichtung. Natürlich hätte man das alles anders und auch vielleicht tierschutzgerechter anpacken können. Im Nachhinein ist man ja immer klüger, aber in solch einer Situation kommt man nicht groß zum Überlegen.

Ich rammte mir die wirklich scharfe Klinge ungebremst in die Basis des linken Daumens und glaubte für ein paar Sekunden der Blitz wäre aus heiterem Himmel in meinen Daumen gefahren. Intuitiv stach ich, die linke Hand zum Schutz der Finger zur Faust geballt, noch einmal zu und konnte das arme Geschöpf erlösen. Was nun geschah, war in vielerlei Hinsicht sehr verwunderlich und beeindruckend. Ich hüllte die Hand so gut es ging in ein ehrlich gesagt dreckiges Taschentuch. Die anfangs starke Blutung stand. Ich spürte keinen Schmerz mehr. Die treue Asta, und das war ein Verhalten, was mich fortan mit meiner Hündin noch mehr zusammenschweißte, hatte mitbekommen, dass etwas Schreckliches passiert war, und ich glaubte zu spüren, dass sie sich schuldig fühlte. Wir ließen den erlösten Bock liegen, nicht ohne ihm noch einen letzten Bissen in den Äser geschoben zu haben und eilten zum Auto. Der Hund, sonst immer freudig vorauseilend, trottete mit eingezogener Stummelrute hinter mir her und verkroch sich auf den Rücksitz, während ich aus einem meiner drei stets mitgeführten Notfallkoffer umständlich Verbandsmaterial herauskramte und so gut es eben ging meine Hand dick in sterile Kompressen einpackte. Mein Daumen fühlte sich taub an. Ich konnte ihn zwar strecken, aber nicht mehr abbiegen. Da war mir die Diagnose klar.

Was ich anfangs durch Leichtfertigkeit sozusagen »versaubeutelt« hatte, versuchte ich durch vielleicht übertriebenes Pflichtbewusstsein wieder wettzumachen.