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Susanne Wiborg

Gäste in meinem Garten

Bienen, Amseln, Huhn und Star

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Bilder von Rotraut Susanne Berner

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

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Regina und ihr Hofstaat

Wieder mal neue Mitbewohner, hochadlige sogar: Königin Regina 59. samt Hofstaat schlug ihre Residenz in meinen Garten auf. Die Bienen sind da, und, ich gesteh’s offen: Ihr Einzug war für mich zunächst durchaus eine Überwindung. Mein Verhältnis zu Insekten blieb nämlich nachhaltig gestört, seit ich in der Schule Kafkas »Verwandlung« lesen musste, diese Horrorgeschichte, in der sich ein Mann in einen chitinraschelnden Käfer verwandelt. So waren Bienen für mich bisher keine näheren Bekannten, sondern einfach Teil des großen Gesummes, das hier in der Gartensaison die Luft erfüllt. Persönliche Kontakte zu Apis mellifica beschränkten sich auf weit zurückliegendes Gestochenwerden auf der Freibadwiese und waren folglich von Distanz geprägt. Anders als die runden, puscheligen, immer ein bisschen sympathisch verbummelt wirkenden Hummeln haben Bienen, diese gestreiften kleinen Torpedos, etwas distanzierend Preußisches: uniformiert, effizient und durch und durch diszipliniert. Respekteinflößend, aber unheimlich. Andererseits scheinen mein Gartengeschmack und der der Bienen ziemlich identisch zu sein: Üppig, ein bisschen wild, mit vielen ungefüllten Bauerngarten-Blüten. Auf unserer Straße stehen überdies mehrere mächtige Linden – und all das zog das Auge eines begeisterten Neu-Imkers auf sich: ein ideales Revier für einen kleinen Schwarm seiner Mädels.

Bienen? Bei mir?! Zu Hund und Hühnern auf dem Minigrundstück in der Stadtmitte? Unvermeidbar dicht an den Nachbarn? Schrie das nicht geradezu nach Komplikationen? Da drängten sich einer wespengeprüften Comicleserin doch unwillkürlich Visionen von wütenden Schwärmen auf, die Terrier Erbse, die Hühner und mich slapstickreif ums Revier jagten oder gleich zu Streuselkuchen zerstachen. Dennoch: die begeisterten Erzählungen des Imkers hatten meine Neugier natürlich längst geweckt – und Tiere, um die sich jemand anders kümmert, während ich beobachten darf, sind immer verlockend. Kurz und gut: Eines Tages, direkt nach der Rapsblüte, zogen sie ein: Regina 59., die ihren Titel dem winzigen Zahlenschildchen verdankt, mit dem Züchter eine Königin kennzeichnen, und ihre Mädels. Ganz unköniglich reisten sie im Kofferraum an, in einem verschlossenen großen Holzkasten, aus dem ein sonderbarer Ton erklang: ein Vibrieren, eine Art raschelndes Summen, ein Geräusch, das eher zu fühlen als zu hören war. Sie bezogen den letzten halbwegs freien Platz direkt neben dem Gewächshaus, der ihnen so viel Licht wie möglich und mir einen bestechenden Vorteil bot: Ich konnte dem Imker notfalls aus sicherer Deckung, nämlich aus dem Gewächshausfenster, zusehen.

Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich als überflüssig erwies: Als das Flugloch des Kastens offen war, krabbelten statt eines zornigen Schwarms nur ruhige Einzelbienen ins neue Revier, stiegen hoch auf und verschwanden im blauen Himmel. Gegen das latent aggressive Gewimmel an einem Wespennest wirkten diese Hautflügler gelassen und – mir fällt kein anders Wort ein – kultiviert. Genau so ging es dann auch weiter: Ich war verblüfft, wie friedlich diese Bienen waren. Der herumwuselnde Hund, die unter dem Kasten pickenden Hühner, mein ständiges neugieriges Beobachten: auf nichts reagierten sie irgendwie aggressiv, sondern flogen einfach ungerührt ihrer Wege. Dass ich dann doch schon in der ersten Woche gestochen wurde, war mein eigener Fehler: An einen sehr schwülen Tag ging ich, intensiv nach einem schicken Duschgel duftend, zum Gewächshaus – und hatte eine heranschießende Wächterbiene im Haar und einen Stich im Hals, bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah. Es stimmt also: Bienen mögen kein aufdringliches Parfum.

Natürlich wäre es verlockend, jetzt eine so richtig aufregende Geschichte aufzutischen: Wahnsinnsschmerzen, Riesenschwellung, spektakuläre Allergie, allein: das Drama hielt sich in Grenzen. Es tat, mit entsprechender Salbe, einige Stunden weh, juckte nach einer Woche heftig nach, und dann war alles vergessen. Und: Dieser so prompt bestrafte Anfängerlapsus ist bisher nicht nur der einzige Stich, sondern auch die einzige überhaupt irgendwie kritische Situation zwischen mir und Reginas Volk geblieben. Inzwischen kennen wir uns: Solange die Bienen in den üblichen entspannten Bögen um ihr Flugloch wimmeln, ist alles in Ordnung. Einzelne, in pfeilgerader Linie auf mich zuschießende Wächterinnen dagegen signalisieren ein deutliches »Hau ab!« – was ich dann auch schleunigst tue. Andererseits habe ich mehrmals im Meterabstand neben dem geöffneten Kasten gestanden, während der Imker daran hantierte, ohne je angegriffen zu werden. Ich habe völlig unbelästigt (und natürlich unparfümiert!) regelmäßig dicht am Stock Ramblerund Weinranken geschnitten und täglich Blumentöpfe gegossen. Nur beim Gierschbuddeln fast direkt unter dem Flugloch erschien es mir doch ratsam, die Nachtruhe von Queen & Co abzuwarten. Insgesamt aber sind Regina und ihre Mädels eine ebenso faszinierende wie empfehlenswerte Mitbewohnerschaft mit nahezu makellosen Manieren, für die Platz tatsächlich im kleinsten Revier ist. Und so gibt es jetzt wieder etwas, worauf ich mich in der düsteren Jahreszeit freuen kann: Nicht nur auf ein neues Garten-, sondern auch auf ein neues Bienenjahr!

Die Qual der Vorfreude

Vorfreude, so heißt es immer, sei die schönste Freude. Und kaum eine ist schöner als die auf den Frühling, mit dem alles, was uns an den Garten fesselt, von neuem beginnt: die Chancen und die Enttäuschungen, die Erfüllung und der Ärger, kurz: das ganze volle Leben, komprimiert und symbolisiert im grünen Revier. Doch gemeinerweise kann dieses erwartungsvolle Kribbeln auch in schiere Qual umschlagen – dann nämlich, wenn das so sehnsüchtig erwartete Objekt der Gärtnerbegierde es vorzieht, sich lange nicht blicken zu lassen. So lange, dass sich die schreckliche Frage auftut: Kommt es überhaupt noch, oder hat die Natur hier mal wieder mit all der Gemeinheit zugeschlagen, mit der sie auch fette Nacktschnecken erfunden oder Schadpilze auf unschuldige Rosen losgelassen hat? Zu so einer Qual wurde mir letztes Frühjahr das Warten auf die große Krokus-Pracht. Kündigen die ersten zarten Schneeglöckchen an, dass auch dieser Winter unglaublicherweise doch ein Ende finden könnte, so gehen die fröhlichen Krokusse gleich noch einen großen Schritt weiter: Mit ihrem Auftritt ist der Frühling da – ganz egal, wie rauh das Wetter dann noch wird.

Diesen Garten-Festtag wollte ich genießen wie noch nie, denn lange war meine Zuneigung zu den zierlichen botanischen Krokussen eher einseitig gewesen. Die kleinen Schwertliliengewächse erwiderten sie nicht. Aus gutem Grund: Viele von ihnen stammen ursprünglich aus warmen Gegenden, und mein bindiger, nasser Boden vertrieb sie alle. Mit einer Ausnahme: Der Elfenkrokus, ursprünglich ein Laubwaldbewohner, kommt hier prima zurecht und hat in seiner amethystfarbenen Niedlichkeit das ganze Revier erobert. Und nun schien endlich die Zeit gekommen, ihm Gesellschaft zu geben und einen Krokus-Neustart zu wagen. Unter dem großen Kirschbaum gab es, nachdem ich jahrelang das Laub, bedeckt von Kompost, dort hatte verrotten lassen, inzwischen wunderbar lockeren Humus für kleine, frühe Zwiebelpflanzen.

Außerdem waren die Gast-Bienen eingezogen, und die schätzen Krokusse ganz besonders, als eine der ersten Futterquellen des Jahres, die sie reichlich mit Pollen versorgt. So lag es nahe, ihre Interessen und meine perfekt zu kombinieren: Ich bestellte 600 botanische Krokuszwiebeln – mit bemerkenswerter Selbstbeschränkung übrigens. Früher wären es bei all den verlockenden Sorten und Farben sicher noch deutlich mehr geworden. Aber einige wirklich unfreundliche Dezembertage mit eisigem Schneeregen und reichlich Blumenzwiebeln, die dringend noch in die Erde wollten, haben mich da doch eine gewisse Beherrschung gelehrt. Auch so reichte es für einen üppigen Kragen rund um den Baum, ein perfektes Bühnenbild für den großen Auftritt der ersten Insekten der Saison.

Einen langen Winter über sah ich sie bei jedem Blick in diese Ecke schon erwartungsfroh vor mir: die Bienen und die Hummelköniginnen, die gaukelnden Zitronenfalter und vielleicht sogar das erste Pfauenauge. Doch allmählich wich die Vorfreude der Beklemmung: Es wurde nicht richtig Winter, es wurde nur furchtbar nass. Wochenlang. Genau das Wetter, das die meisten Zwiebelpflanzen wirklich hassen, alle Schimmelpilze dagegen wirklich lieben. Würden meine Krokusse das überleben, oder würden sie wegsterben wie so oft zuvor? Als sich der März näherte, umkreiste ich Tag für Tag den Kirschbaum. Tag für Tag dieselbe Enttäuschung: Nichts zu sehen, nicht eine Spitze. Würde es vielleicht – ein finsterer Verdacht, der mich nach einer Überdosis Winter aller Erfahrung zum Trotz regelmäßig beschleicht – überhaupt nicht Frühling werden? Nie? Einfach immer so weitergehen mit dem klammen Grau, das über uns zu lasten schien wie ein Fluch? Die erste Märzwoche verging, die zweite – nichts. Warum tat ich mir das an, alle Jahre wieder? Wäre es nicht besser gewesen, zur Flucht aus dem Winterfrust statt auf den Garten lieber auf eine Reise in freundlichere Gefilde zu setzen?

Und dann passierte eben doch, was sich zwar alljährlich wiederholt, was ich aber immer erst wirklich glauben kann, sobald es soweit ist: Mehrere Tage nacheinander schien die Sonne. Überall schoben sich wie im Zeitraffer dicke Spitzen aus der Erde – und da waren sie plötzlich, die bunten Krokusse! Zwar längst nicht alle sechshundert, aber doch genug für ein prachtvolles Bild: Büschel an Büschel, cremegelb, violett, lavendelfarben, blauweiß, und golden. Ein zarter, süßer Duft hing in der Luft, überall in den strahlenden, offenen Kelchen tummelten sich pollengepuderte Bienen und Hummeln, und auch die ersten Schmetterlinge waren zur Stelle. Als die überschwängliche Pracht verblüht war, hatte der Frühling endgültig gesiegt. Es ging tatsächlich alles wieder los, endlich, und doch: Inmitten dieser bunten Explosion war schon wieder etwas vorüber, für ein ganzes langes Jahr. Für einen kurzen, verrückten Moment wünschte ich sie mir zurück, diese ebenso kribbelnde wie frustrierende Vorfreude, mit der auch der längste Winter irgendwann endet. Bis jetzt jedenfalls…

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Bringt Legen Segen?

Eier frisch aus dem eigenen Garten sind zwar ein kulinarischer Traum, aber: Es gibt sie nicht jederzeit in beliebiger Menge. Massenproduktion rund ums Jahr ist Sache der industriellen Legehybriden. Rassehühner wie meine Zwergwyandotten haben sich – wenn man beim Haushuhn überhaupt noch davon sprechen kann – einen halbwegs natürlichen Zyklus bewahrt: Sie legen in der hellen Saison und nehmen, sobald die Tage kürzer werden, ihre wohlverdiente Ruhepause in Anspruch. Dann wechseln sie das Gefieder und stellen das Eierlegen währenddessen komplett ein. Genau das ist der Moment, in dem ihre bedauernswerten Kolleginnen aus Wirtschaftsbetrieben entsorgt werden, denn ob Bio oder nicht: kein Betrieb kann es sich leisten, Tausende von Hennen wochenlang in die Ferien zu schicken. Meine verwöhnten Gartentiere dagegen bekommen sogar eine noch längere Pause, weil ich im Winter darauf verzichte, sie mit künstlichem Licht anzuregen. Sie dürfen mit der forcierten Höchstleistung also gleich für einige Monate aussetzen, was mir einen zusätzlichen Frühlingsspaß einbringt: Sobald die Sonne endlich wieder höher steigt, warte ich nicht nur sehnsüchtig auf das erste Schneeglöckchen, sondern ebenso auf das erste Ei der Saison. Eine deutlich geschärfte Sicht der Dinge gibt es dabei gleich dazu: Plötzlich kann ich all die alten Oster- und Frühlingsbräuche rund ums Ei wirklich verstehen. Eier sind ein mindestens ebenso mächtiges Symbol des wiederkehrenden Lebens wie Sonne und Blumen. Dazu haben sie diese magische Dimension: der ganze Neubeginn, verpackt in eine perfekte Form. In Vor-Supermarkt-Zeiten muss das wirklich immer ein kleines Wunder gewesen sein – und dazu noch eins, das nach der öden Winterkost unvergleichlich gut schmeckte.

Mit meiner Vorfreude bin ich nicht allein. Auch die Hennen scheinen zu wissen, dass der Wiedereintritt in die Berufstätigkeit ein großes Ereignis in ihrem kleinen Leben bedeutet: Waren sie über Winter eher zurückgezogen, werden sie sie jetzt deutlich lebhafter und schmücken sich, wie es die Wildvögel zur Fortpflanzungszeit auch tun: Das frisch gewechselte, makellose Gefieder glänzt in der Frühlingssonne, Kamm und Kehllappen färben sich leuchtend rot. Besonders niedlich ist diese Verwandlung, wenn es auch noch ganz junge Hennen sind, die sich auf den ersten Legebeginn vorbereiten. Hier waren es diesmal die Neuzugänge Ida und Irmchen,