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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

München 2019

© 2019 arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Gina Mayer

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung einer Illustration von Gloria Jasionowski

Innenillustration: Gloria Jasionowski

Das Projekt wurde vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga.

ISBN eBook 978-3-8458-3522-8

ISBN Printausgabe 978-3-8458-3396-5

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Ein Star in der Stadt

Das Traum-Hotel

Gemüsesuppe und Albträume

Das schwarze Schaf

Und noch ein Schaf

Bastelarbeiten

O du lieber Augustin!

Liebe macht blind

Annabells Tagebuch

Drrrrringggg!

Magie um Mitternacht

Das Anti-Blender-Pulver

Prost!

Endlich Ruhe

Über die Autorin

Weitere Titel

Leseprobe zu "Das Hotel der verzauberten Träume - Annabells Tagebuch"

Ein Star in der Stadt

Frau Lieblich hatte mich in die Falle gelockt.

Seit September war die Pastorin hinter mir her. Sie wollte unbedingt, dass ich bei dem Musical mitmachte, das sie mit ihrem Chor auf die Bühne bringen würde.

Aber im Gegensatz zu meiner besten Freundin Flora war ich keine begeisterte Sängerin. Jedenfalls nicht in diesem Chor. Alles, was Frau Lieblich mit ihren Sängern einstudierte, klang fürchterlich schief und schrill. Mir war klar, dass ich bei diesem Musical nur eine Rolle übernehmen würde: die der Zuschauerin.

Doch gestern hatte die Pastorin mich gefragt, ob ich mir die alten Bücher in der Pfarrbibliothek anschauen wollte, die sie aussortieren würde. »Du kannst mitnehmen, was du möchtest.«

Also war ich heute Nachmittag ins Gemeindezentrum marschiert, in dem die Bücherei untergebracht ist. Ich hatte meinen Bruder Lancelot und seinen Freund Benny mitgenommen, die mal gucken wollten, ob unter den aussortierten Büchern ein paar Glibberman-Action-Bände waren. Die finden sie nämlich total gut.

Wir liefen gerade mit einem ganzen Stapel Bücher die Treppe runter und waren allerbester Laune. In diesem Moment kam die Pastorin aus ihrem Büro und stellte sich uns in den Weg. Frau Lieblich ist sehr groß und ziemlich dick, man kommt nicht so leicht an ihr vorbei.

»Na, ihr habt ja ordentlich zugeschlagen!«, sagte sie.

»Ist das zu viel?«, fragte ich nervös.

»Nein, nein. Ich freu mich ja, dass ihr so gerne lest«, versicherte die Pastorin. »Hört mal, wo ihr gerade hier seid …«

Bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, fiel mir plötzlich wieder ein, dass heute die erste Probe für das Musical stattfinden sollte. Aus dem Gemeindesaal drangen laute Stimmen und aufgeregtes Gelächter und Gekicher. Flora und die anderen waren alle schon drin und warteten auf Frau Lieblich. Und auf uns, denn Frau Lieblich würde nicht ohne uns in den Saal gehen, das war mir klar.

Lancelot und Benny protestierten wie wild, als sie begriffen, dass sie an der Chorprobe teilnehmen sollten. Benny versuchte sogar zu fliehen, aber Frau Lieblich hielt ihn fest, legte ihm einen Arm um die Schulter und steuerte ihn mit sanftem Druck in den Saal. »Wir brauchen dringend noch ein paar Jungs«, sagte sie. »Es ist ganz wunderbar, dass ihr dabei seid.«

Nun saß ich neben Flora, die sich wie verrückt freute, mich zu sehen. »Ich hab gar nicht gewusst, dass du mitmachen willst«, flüsterte sie mir zu. »Das ist ja fantastisch!«

Ich zog eine Grimasse, aber bevor ich antworten konnte, ging die Tür des Gemeindesaals erneut auf. Ein sehr großer, breitschultriger Mann mit wallendem braunem Haar streckte den Kopf in den Raum.

»Bin ich hier richtig bei der Chorprobe?«, fragte er.

»Und ob!« Frau Lieblich, die sich gerade hingesetzt hatte, sprang auf, als ob sie jemand mit einer Nadel in den Po gepikst hätte. »Hallo, hallo! Was für eine Freude.«

Sie rannte zur Tür und zog den Mann in den Saal.

»Kinder, jetzt habe ich eine riesige Überraschung. Darf ich euch Herrn Capriccio vorstellen? Er ist ein weltberühmter Tenor und hat sich bereit erklärt, uns in diesem Jahr bei unserem Musical zu unterstützen«, erklärte sie stolz. »Herr Capriccio wird euch zeigen, wie ihr noch toller singen könnt.«

»Wir werden eine Menge Spaß miteinander haben«, erklärte Herr Capriccio. Seine Stimme war so laut, als ob er ein Mikrofon in den Händen hielte.

»Das ist ein Wahnsinnsglück für unsere Gemeinde«, jubelte die Pastorin. »Applaus!« Sie begann zu klatschen und wir alle fielen ein.

»Danke, danke.« Herr Capriccio hob abwehrend die Arme und schüttelte die braunen Locken. »Jetzt ist es aber genug. Ich bin doch kein Star.«

»Natürlich sind Sie das«, sagte Frau Lieblich. »Hach, ich bin total durcheinander. Wie geht’s denn jetzt weiter?«

»Sie machen einfach eine ganz normale Probe.« Herrn Capriccio lächelte sanft. »Tun Sie so, als ob ich gar nicht da wäre.«

»Ja, also, hm.« Die Pastorin fuhr sich nervös durch die kurz geschnittenen Haare. »Wie Sie meinen. Ich würde dann jetzt die Rollen verteilen.«

Herr Capriccio steuerte gerade auf einen freien Stuhl zu, nun hielt er inne. »Wäre es nicht besser, die Rollen nach dem Vorsingen zu verteilen?«

»Vorsingen?«, fragte Frau Lieblich verwirrt.

»Na, ich muss die Stimmen doch erst einmal hören, bevor ich mit den Kindern arbeiten kann.«

Was? Vorsingen? Jetzt reichte es aber wirklich. Das würde ich nicht mitmachen! Ich stand abrupt auf. Lancelot und Benny waren ebenfalls aufgesprungen und ein paar weitere Kinder wollten auch sofort die Flucht ergreifen.

»Was ist denn jetzt los?«, fragte Flora und schob verwundert ihre Brille hoch, die ihr ständig nach unten rutschte.

»Keine Panik!« Frau Lieblich ruderte mit ihren Armen durch die Luft. »Alle setzen sich wieder! Bitte beruhigt euch. Ihr müsst natürlich nicht alleine vorsingen.«

»Aber selbstverständlich muss jeder –«, begann Herr Capriccio, doch nun fiel ihm die Pastorin ins Wort.

»Wir machen es so«, sagte sie bestimmt. »Wir singen jetzt alle gemeinsam. Und Herr Capriccio geht zwischen den Reihen durch und hört sich die einzelnen Stimmen an.«

Herr Capriccio fand den Vorschlag der Pastorin überhaupt nicht gut, das sah man ihm ganz deutlich an. Während wir »Ich bin so fröhlich und vergnügt« sangen – das war Frau Lieblichs absolutes Lieblingslied –, schob er sich durch die Stuhlreihen und sah dabei überhaupt nicht fröhlich und vergnügt aus. Er machte ein Gesicht, als hätte er aus Versehen eine verschimmelte Zitrone gegessen.

Lancelot und Benny schmetterten aus vollem Halse mit. Das war erstaunlich, weil sie das Lied doch gar nicht kannten. Ich selbst hielt mich zurück, das war auch kein Problem, weil Flora neben mir alles gab. Sie schraubte ihre Stimme in höchste Höhen und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Für Flora gab es nichts Schöneres, als zu singen.

Die Chorprobe war für sie das absolute Highlight der Woche. Und sie fieberte seit Wochen darauf hin, dass es endlich mit dem Musical losging. Auch wenn sie es nie erwähnte, wusste ich ganz genau, dass sie davon träumte, die Hauptrolle zu spielen: das schwarze Schaf, das am Anfang von allen anderen Schafen gemobbt wird, aber am Ende die ganze Herde vor dem Wolf rettet.

Ich war mir total sicher, dass sie die Rolle auch kriegen würde. Flora war nämlich Frau Lieblichs absolute Lieblingssängerin.

Jetzt stand Herr Capriccio vor uns, so dicht, dass mich sein Rasierwasser in der Nase kitzelte. Es roch ein bisschen nach alten Mottenkugeln und Hustensaft. Ich bewegte jetzt nur noch den Mund und ließ keinen Ton raus, aber Flora schmetterte aus voller Brust. Herr Capriccios Miene verriet keine Regung. Hoffentlich war er genauso beeindruckt von Floras Stimme wie Frau Lieblich. Ich wünschte ihr die Hauptrolle so sehr.

Nun war das Lied zu Ende und diesmal applaudierte Herr Capriccio uns.

»Vielen Dank!«, dröhnte seine Lautsprecherstimme durch den Gemeindesaal. »Das genügt fürs Erste.«

Das Traum-Hotel

Die Rollen wurden dieses Mal noch nicht vergeben. Herr Capriccio überzeugte Frau Lieblich, dass es besser wäre, wenn sie sich dazu abstimmten. »Ist ja nicht jeder für eine Hauptrolle geeignet«, sagte er.

Dann fragte er, wer denn überhaupt an einer Sing- und Sprechrolle Interesse hätte. Floras Hand schoss so blitzartig in die Höhe, dass sie fast vom Stuhl fiel. Eine Handvoll anderer Kinder meldete sich auch noch. Die Pastorin notierte sich die Namen.

Danach studierte Herr Capriccio zwei Lieder mit uns ein, die im Musical vorkamen. Er sang sie uns erst mal vor – und das war wirklich beeindruckend. Seine Stimme war so laut und klangvoll, sie brachte fast die Vorhänge zum Wackeln. Und er ließ die R wunderbar rollen. Es klang wie ein Hubschrauber im Tiefflug. Nach der Probe rannten wir zusammen nach Hause: Flora, Benny, Lancelot und ich. Unsere Häuser liegen nämlich genau nebeneinander in den Dünen. Das ist wirklich praktisch. Lancelot und ich wohnten erst seit drei Wochen in unserem Haus. Es musste nämlich ewig renoviert werden, bis wir endlich einziehen konnten. Dafür ist es jetzt aber auch das hübscheste der drei Häuser.

»Wie sieht’s aus?«, fragte Flora, als wir unser Haus mit den blauen Fensterläden fast erreicht hatten. »Habt ihr Lust auf eine Runde Frisbee am Strand?«

Lancelot und Benny waren dafür. Normalerweise gingen sie sofort segeln, wenn nicht gerade ein Unwetter über dem Meer tobte. Doch die kleine Jolle von Bennys Vater wurde gerade repariert, deshalb konnten sie heute nicht aufs Wasser.

»Ich kann leider nicht«, sagte ich. »Ich muss gleich noch ins Traum-Hotel. Ich hab den Apfel-Schwestern versprochen, dass ich ihnen ein bisschen helfe.«

»Was – schon wieder?«, fragte Flora. »Du warst doch erst letzte Woche bei ihnen.«

»Im Moment gibt es eben viel zu tun«, sagte ich.

»Und Joëlle braucht dringend Kohle«, ergänzte Lancelot. »Sie hat Schulden bei mir, weil sie ihr Taschengeld immer für irgendwelchen Schwachsinn verplempert.«

Das war eine glatte Lüge – der Einzige, der sein Geld zum Fenster rauswirft, ist mein Bruder selbst –, dennoch war ich Lancelot dankbar. Schließlich konnte ich Flora nicht sagen, warum ich wirklich zu den Apfel-Schwestern ging. Der wahre Grund war geheim. Nur Lancelot kannte ihn. Und die Apfel-Schwestern natürlich.

Es ist so: Ich habe eine spezielle Gabe. Ich bin eine Traumdeuterin. Das heißt, dass ich die Träume anderer Menschen in mich aufnehmen kann, als wären es meine eigenen. Und ich kann gefangene Träume befreien und böse Träume vertreiben.

Wie das Ganze eigentlich funktionierte, wusste ich selbst nicht so genau. Ich hatte nämlich erst im Sommer von meiner magischen Fähigkeit erfahren. Mama hatte unser Navi falsch programmiert und wir landeten aus Versehen in Korbutz und im Traum-Hotel der Apfel-Schwestern. Dort wurden Lancelot und ich in ein irres Abenteuer verwickelt, das für mich um ein Haar schlimm geendet hätte. Die Traumdeuterei kann nämlich ganz schön ins Auge gehen, wenn man sich nicht damit auskennt.

Und damit ich mich in Zukunft besser damit auskannte, hatten Fräulein Rose und Fräulein Linde – so hießen die Apfel-Schwestern – beschlossen, dass sie mich in ihre Geheimnisse einweihen und richtig ausbilden würden.

Die beiden waren selbst keine Traumdeuterinnen. Sie konnten die Träume zwar einfangen, aber nicht lesen. Deshalb war es natürlich sehr praktisch, dass ich ihnen ins Haus geschneit war.

Mein Spezialunterricht bei Fräulein Rose und Fräulein Linde fand einmal die Woche statt. Wenn ich öfter ins Traum-Hotel marschiert wäre, hätten sich meine Eltern gewundert – und ich durfte ihnen doch nichts über die Ausbildung erzählen. Darum war uns die Ausrede mit dem Nebenjob gekommen.

Bisher hatte ich schon drei Stunden gehabt und nach jedem Unterricht hatten mir fast die Ohren geschlackert. Es war ja alles so spannend und interessant!

Die Apfel-Schwestern stammten aus einem uralten Traumfänger-Geschlecht, in dem das geheime Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Schwestern hatten keine Kinder, die Familiengeschichte würde also mit ihnen zu Ende gehen, aber zum Glück gab es noch andere Traumfänger-Familien auf der Welt. Traumdeuterinnen wie mich gab es dagegen nur ganz wenige. Die letzte Traumdeuterin, die die Apfel-Familie bei ihrer Arbeit unterstützt hatte, hieß Annabell und war vor sieben Jahren gestorben. Da war sie allerdings auch schon hundert Jahre alt gewesen.

Seitdem hatten die Apfel-Schwestern auf ihre Nachfolgerin gewartet und nun war ich da.