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ÜBER DIE AUTORIN

Barbara Schmutz, geboren 1963, ist Journalistin, Autorin und Drehbuchautorin. Sie besuchte die Schweizer Journalistenschule MAZ, die Drehbuchschule SAL in Zürich und hat einen MAS in Applied Ethics der Universität Zürich. Sie arbeitet für verschiedene Schweizer Zeitungen und Magazine. 1997 gewann sie für eine Artikelserie den Swiss Press Award. 2006 drehte sie für das Schweizer Fernsehen SRF einen Dokumentarfilm über das Attentat von Zug, dem 14 Politikerinnen und Politiker zum Opfer fielen.

ÜBER DAS BUCH

Was ist ein Geistesblitz? Wie kommt es zu falschen Erinnerungen? Sitzt das Bauchgefühl im Kopf? Was passiert beim Tagträumen? Können wir bewusst vergessen? Gibt es im Gehirn Raum für eine Seele?

Gespräche mit 17 führenden internationalen Gehirnforscherinnen und Gehirnforschern zu Bewusstsein und künstlicher Intelligenz, Traum und Schlaf, Sucht und Drogen, Lernen und Gedächtnis und zur Zusammenarbeit zwischen Gehirn und Darm.

Kein & Aber

 

Für meinen Bruder Christoph

Vorwort

Ursprünglich hätte es für ein Schweizer Magazin einen längeren Text zum Gehirn geben sollen: fünfzig Fragen zu unserem Denkorgan, sechs bis acht Seiten, illustriert mit Bildern.

Ich vertiefte mich in Lektüre über das Gehirn, las Bücher, studierte Studien. Schrieb Fragen über Fragen auf. Mich interessierte Alltägliches, das, was uns allen passiert: Ein Wort liegt uns auf der Zunge, aber wir können es partout nicht sagen. Weshalb nicht? Was ist in unserem Gehirn blockiert? Und Allnächtliches: Wieso verlieren wir im Schlaf das Bewusstsein? Ich schrieb die Frage auf den Block, die Neurowissenschaftler und Philosophinnen möglicherweise bis in alle Ewigkeit beschäftigen wird: Wie entsteht Bewusstsein?

 

300 Fragen hatte ich zusammengetragen. Für die Antworten suchte ich nach Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Auf Universitäts-Homepages, in Neuro-Sciences-Netzwerken und in Studien recherchierte ich Spezialistinnen und Spezialisten. Fürs Gedächtnis, für Lernprozesse, für psychische Krankheiten, für Sucht, für Schlaf, für Neuroplastizität, für neurophilosophische Fragen, für das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Darm. Mit 17 Frauen und Männern konnte ich über das Gehirn diskutieren. Rund zwanzig Fragen bekamen mehrere Wissenschaftler gestellt. Die einen antworteten auf dieselbe Frage ähnlich, andere komplett unterschiedlich, und eröffneten mit ihren Ansichten immer wieder neue Welten.

 

Es gab intensive Gespräche, anregende, inspirierende, zuversichtlich und nachdenklich stimmende. Und überraschende. Mit dem Neurologen, der die Idee eines Bewusstseins außerhalb des Gehirns verfolgt, weil er überzeugt ist, dass es noch andere Erkenntiswege gibt als die Naturwissenschaft. Und mit dem Neurobiologen, der ein erstaunliches Thema aufs Tapet brachte: Unser Gehirn funktioniert mit einer Zufallskomponente.

Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklärten ihre Forschung und die Erkenntnisse, die sie daraus gewonnen hatten, so detailliert und verständlich, dass ich nur weniges für Laien übersetzen musste. Wurde es kompliziert, bekam ich einen Sachverhalt nochmals geschildert, Grafiken gezeigt und Hirnmodelle auseinandergenommen. Und weiß nun: Unser Kopf beherbergt ein Wunderwerk.

01
 
»Theoretisch könnte man das Gehirn aus dem Körper entfernen und in einer Nährlösung lagern.«

Der Neuropsychologe Peter Brugger sagt, weshalb es für das Gehirn schwierig wäre, den Körper zu verlieren. Warum er das Bauchgefühl in der rechten Hirnhälfte verortet und was im Gehirn von Menschen passiert, die erklären, sie seien hellsichtig.

 

Wieso haben wir zwei Hirnhälften?

Das ist ein Rätsel, über das Wissenschaftler seit Längerem streiten. Wäre es nicht besser, wir hätten nur ein motorisches Zentrum statt zwei, die koordiniert werden müssen? Andererseits ist es immer gut, etwas doppelt zu haben, falls ein Teil ausfallen sollte. Wir haben ja auch zwei Augen, die doppelte Anlage brauchen wir für das Tiefensehen. Das bringt mich auf einen Gedanken: Möglicherweise dienen unsere beiden Hirnhälften auch einer Art vertieftem Sehen, sodass wir in der Tiefe des Gehirns einen Sachverhalt auf zwei Arten betrachten können.

Was passiert, wenn einem Menschen eine Hirnhälfte entfernt wird?

Erwachsene wären auf der Körperseite, die von der entfernten Hirnhälfte gesteuert wird, gelähmt. Kindern, die an schwerer Epilepsie leiden, wurde früher manchmal eine Hirnhälfte herausoperiert, damit sich die Anfälle nicht mehr über das ganze Gehirn entladen. Sie konnten danach immer noch beide Körperhälften bewegen, waren aber auf derjenigen Seite, welche von der entfernten Hirnhälfte gesteuert wurde, ein wenig behindert.

Ist eine Hirnhälfte dominant?

Dominant wofür? Beim Rechtshänder ist die linke Hirnhälfte besser in der sprachlichen Verarbeitung, also sprachdominant. Die rechte Hirnhälfte hingegen erkennt besser Gesichter. Die Sprachverarbeitung selbst ist noch mal unterteilt in verschiedene Dominanzen oder besser: Kompetenzen. Die linke Hirnhälfte ist bestimmend, wenn es um klare, enge Assoziationen geht, wie »Tisch und Stuhl«. Sind die Assoziationen aber viel weiter, zum Beispiel »Tisch und Blume«, weil die Blume in einer Vase ist und diese auf dem Tisch steht, ist die rechte Hirnhälfte aktiv. Wer bei Fluss an Wasser denkt, hat die linke Hirnhälfte aktiviert, wem bei Fluss Reise in den Sinn kommt, arbeitet mit der rechten Hirnhälfte.

Wieso sind die meisten Menschen Rechtshänder?

Das ist nicht bekannt. Wohl aber, dass es in allen Kulturen und in allen Zeiten der Menschheitsentwicklung mehr Rechtshänder gab. Das zeigen uns Handabdrücke bei Höhlenmalereien, wir sehen, mit welcher Hand sich der Mensch abgestützt hat, und mit welcher er malte. Meistens mit der rechten. Aber auch an Gebrauchsinstrumenten erkennt man, dass bereits in frühen Zeiten auf zehn Rechtshänder gerade ein Linkshänder kam.

Rechtshändigkeit überwiegt auch in Kulturen, die von rechts nach links schreiben. Wieso das?

Das ist eine große Frage – wie kommen Kultur und Natur zusammen? Die Schreibrichtung ist dafür das schönste Beispiel. Wir wissen, dass Angehörige von Kulturen, die von rechts nach links schreiben, ein bisschen anders reagieren bei Aufgaben, bei denen es um rechts und links geht, etwa dann, wenn sie eine Linie halbieren müssen.

Wie sieht denn ihre halbierte Linie aus?

Die gesehene Mitte ist ein wenig zur rechten Seite hin verschoben, also zum Zeilenanfang hin. Interessant ist aber, dass bei Menschen, die von rechts nach links schreiben, die Sprachdominanz genauso in der linken Hirnhälfte angesiedelt ist wie in unserer Kultur. Wir haben alle das gleiche Gehirn. Auffallend ist auch, dass die meisten horizontal orientierten Sprachen von links nach rechts geschrieben werden. Weshalb dies so ist, ist mir nicht bekannt. Ich weiß nur, dass auch Tiere, zum Beispiel Küken, von links nach rechts zählen: Kleine Körnermengen sind für sie eher mit links assoziiert, große mit rechts.

Es gibt eine Entwicklungsphase, während der Kinder aus Kulturen, in denen die Schrift von links nach rechts verläuft, plötzlich von rechts nach links schreiben. Warum tun sie das?

Das ist in der Tat eine spannende Beobachtung. Sie führte zu anhaltenden Kontroversen. Einerseits gehen uns Bewegungen von der Körpermitte nach außen hin einfacher von der Hand als solche in umgekehrter Richtung. Dies führt dazu, dass gerade linkshändige Kinder im Vorschulalter vermehrt von rechts nach links, also in Spiegelschrift schreiben. Es gibt aber auch noch einen anderen Faktor, der Fünf- bis Sechsjährige dazu verführt, spiegelbildliche Buchstaben zu schreiben: Die Tatsache, dass unser Zeichensystem mehr nach rechts hin ausgerichtete Buchstaben und Ziffern hat – zum Beispiel die Buchstaben B, C und F und die Ziffern 5 und 6 – als nach links hin orientierte wie etwa der Buchstabe J oder die Ziffern 3 und 7. Unabhängig davon, ob ein Kind Links- oder Rechtshänder ist, treten Spiegelschriftfehler vor allem in der letzteren Kategorie auf, allerdings nur, solange das Kind noch nicht flüssig schreiben kann.

Der Körper braucht das Gehirn. Wie ist es umgekehrt, braucht das Gehirn auch einen Körper?

Theoretisch könnte man das Gehirn aus dem Körper entfernen und es in einer guten Nährlösung lagern. In Roald Dahls Küsschen, Küsschen gibt es dazu eine wahnsinnig schöne Geschichte von einem Gehirn, das auf einem Bücherregal lebt. Künstlich ernährt bräuchte es keine Hand, um das Essen zu greifen, keine Füße, um irgendwo hinzugehen, wo es Essen findet und Sachen pflücken kann, und verdauen müsste es auch nicht. Physisch ließe sich ein Leben ohne Körper wohl vorstellen. Trotzdem wäre es für das Gehirn, das an den Körper gewöhnt ist, wahrscheinlich schwierig, Letzteren zu verlieren. Es gäbe keine Sozialkontakte mehr …

… und keine Berührungen.

Doch, Phantom-Berührungen, den Körper würden wir noch spüren, als Phantom. Aber hoffentlich keine Schmerzen mehr. Das wäre die Hölle, weil wir nicht fähig wären, jemanden zu bitten, die Schmerzen zu lindern. Aber ja, die Frage ist interessant, wozu ein Körper biologisch da ist. Als Neurowissenschaftler könnte ich sagen, um das Gehirn rumzutragen, es an die Futterplätze zu bringen, in die Gesellschaft zu tragen und zu künftigen Partnern.

Dafür müsste der Körper aber nicht so groß sein.

Das stimmt. Obwohl: Zum Laufen brauchts ein Herz-Kreislauf-System und zum Ernähren einen Verdauungstrakt. Das braucht Platz.

Ab und zu hört man, Menschen würden nur rund zehn Prozent ihres Gehirns nutzen.

Das ist Unsinn. Teilweise verbreitet von Gruppen wie Scientology. Wir brauchen immer das ganze Gehirn. Aber nicht immer zu hundert Prozent bewusst. Beim Autofahren zum Beispiel laufen in unserem Gehirn viele Prozesse ab, die wir größtenteils gar nicht wahrnehmen. Unser Gehirn arbeitet so, dass einmal dieses Areal mehr genutzt wird, ein anderes Mal ein anderes. Und je nach Fertigkeiten sind bei manchen Menschen bestimmte Hirnareale ausgeprägter als bei anderen. Ein Langstreckenläufer braucht seine Beinareale im Gehirn häufiger als ein Nichtsportler und setzt sie deshalb geschickter ein. Menschen, die viel lesen und viel schreiben, benutzen die entsprechenden Areale mehr als diejenigen, die kaum schreiben und selten lesen. Und dann passiert es auch immer wieder, dass bestimmte Areale plötzlich Aufgaben von anderen übernehmen. Zum Beispiel bei Menschen, die erblinden. Der visuelle Cortex, der bisher für das Sehen zuständig war, wird nun für anderes eingesetzt.

Wofür denn?

Zum Beispiel für Berührungseindrücke. Denken Sie an die Brailleschrift, diese wird ja via Fingerspitzen gelesen.

Wird das Bauchgefühl vom Kopf gesteuert?

Ja. Das Bauchgefühl ist gleichbedeutend mit Intuition, ich verorte es in der rechten Hirnhälfte. Die rechte Hemisphäre, das ist bei allen Menschen so, ist zuständig für Wachsamkeit, für Vorsicht, für das Negative, die Angst. Mein Bauchgefühl sagt nicht: »Geh in dieses oder jenes Land in die Ferien.« Wenn sich das Bauchgefühl meldet, dann häufig, weil es mir signalisieren will, dass ich in einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten Menschen gegenüber vorsichtig sein soll. Das Bauchgefühl sagt: Aufpassen!

Was passiert im Gehirn von Menschen, die überzeugt sind, sie seien hellsichtig?

Menschen, die von sich sagen, sie seien hellsichtig, beurteilen Situationen anders. Sie erzählen von Begebenheiten, die andere als unglaublichen Zufall schildern würden. Ein Beispiel: Sie träumen, dass Sie in einem Wettbewerb ein rotes Auto gewonnen haben, und gewinnen dann wenig später tatsächlich ein rotes Auto. Kehrte dieser Traum jede Nacht wieder, würde jeder glauben, dass er hellsichtig oder prophetisch begabt sei. Wird nun aber dem Menschen, der vom roten Auto geträumt hat, am nächsten Tag sein grünes Fahrrad gestohlen, kommt er nicht unbedingt auf die Idee, dass Traum und Diebstahl etwas miteinander zu tun haben. Es sei denn, er glaubt an Übersinnliches und sagt: »Das kann kein Zufall sein!« Etwas nüchternere Menschen würden höchstens denken: »Interessant, dieser Symbolismus – ich träume von einem roten Auto und anderntags wird mir mein grünes Fahrrad gestohlen.« 1

Mit beidem ist man unterwegs, mit dem Auto und dem Fahrrad.

Genau, und Rot und Grün sind Komplementärfarben. Nun gibt es aber noch eine dritte Gruppe von Menschen und für die ist klar: Dieser Traum war kein Zufall, sondern ein Wink – ich hätte mein Fahrrad besser abschließen müssen. Wir konnten hier, am Institut für Neuropsychologie, zeigen, dass Menschen, die von sich sagen, sie seien hellsichtig – ich nenne sie Gläubige –, weiter assoziieren als andere. Dafür machten wir folgenden Versuch: Wir teilten den Versuchsteilnehmern das Wort »Löwe« mit und baten sie, einen Knopf zu drücken, wenn sie ein nächstes Wort hören, das einen Sinn ergibt, zum Beispiel »Bauch«. Also, auf »Löwe« folgt »Bauch«, die Teilnehmer drücken den Knopf. Auf »Löwe« folgt »Mähne«, die Teilnehmer drücken den Knopf schneller, weil »Mähne« mit »Löwe« assoziiert wird. Folgte auf »Löwe« »Streifen« drückten sie ebenfalls schneller.

Afrika, Zebra …

… und Tiger. Das schnelle und weite Assoziieren sind Eigenschaften eines kreativen Geistes. Allerdings besteht die Gefahr, dass Sachen gesehen und miteinander in Verbindung gebracht werden, die objektiv keine Verbindung haben. Es ist bekannt, dass auch paranoid schizophrene Menschen schneller und weiter assoziieren. Die Mechanismen im Gehirn der Gläubigen sind dieselben wie bei Menschen mit paranoider Schizophrenie.

Hirnforschung gibt es schon lange. Aber bei der Behandlung von psychischen Krankheiten oder von chronischen Schmerzen ist die Wissenschaft noch nicht viel weiter. Weshalb nicht?

Interessant, dass Sie sagen: Hirnforschung gibt es schon lange, Fortschritte bei psychischen Erkrankungen aber noch nicht viele. Sie bringen Gehirn und Psyche zusammen und sagen damit, dass psychische Erkrankungen Krankheiten des Gehirns sind. Ich erforsche Menschen mit Xenomelie, das sind Menschen, die einen Arm oder ein Bein als nicht zu ihrem Körper gehörend betrachten und die Extremität amputiert haben wollen. Ich stellte fest, dass gewisse Areale in ihrem Gehirn anders sind als bei Kontrollpersonen. Und doch würde ich daraus nicht schließen, dass der Amputationswunsch rein neurologisch bedingt ist, er hat eine neurologische Mitbedingung.

Und der Rest?

Internet, Kommunikation, Kultur, Forschung. Ich komme mir manchmal ethisch ein bisschen grenzwertig vor, denke, am besten würde ich mit dieser Forschung aufhören.2

Weil es dann die Krankheit nicht mehr gäbe?

Das ist eben die Frage. Züchten wir eine Störung heran, indem wir darüber reden? Vor hundert Jahren gab es das Krankheitsbild der Xenomelie noch nicht, beziehungsweise der Amputationswunsch wurde als sexuelle Perversion betrachtet, weil mehr als die Hälfte der Betroffenen amputierte Glieder sexuell anziehend findet. In Japan und China kennt man Xenomelie auch heute noch nicht. Wenn man in diesen Ländern jemanden fragt, ob er das Gefühl habe, dass ein bestimmter Körperteil nicht zu ihm gehöre, hält er einen für verrückt. Und ich mache jede Wette, dass in Ländern, in denen Krieg herrscht und viele Menschen wegen Landminen Arme und Beine verloren haben, kein Einziger einen gesunden Körperteil amputiert haben will.

Zurück zur ursprünglichen Frage. Weshalb gibt es trotz Hirnforschung bei der Behandlung von psychischen Krankheiten oder von chronischem Schmerz nicht mehr Fortschritte?

Weil in der Forschung mit jeder Frage, die beantwortet wird, mindestens fünf neue, wesentliche Fragen entstehen und dazu noch fünfhundert am Rand, für die man keine Zeit hat. Immer mehr Fragen heißt, die Erkenntnisse werden stetig präziser. Dank der Hirnforschung wissen wir heute, dass für Halluzinationen und Wahn, die bei Schizophrenie auftreten, im Gehirn andere Areale zuständig sind als für die Lethargie, die bei dieser Krankheit ebenfalls vorkommt. Aus diesen Erkenntnissen kann die Pharmazie bessere Medikamente machen, das sind Riesenfortschritte. Psychische Probleme wird es immer geben, aber man betrachtet sie differenzierter. Die Fragen ändern sich, aber sie werden nicht kleiner.

Der Computer hat die Handschrift mehr oder weniger aus dem Alltag verdrängt. Wird sich das auf unser Gehirn auswirken?

Ziemlich sicher, ja. Schreiben mit einem Computer ist völlig anders als schreiben von Hand. Vor allem, wenn es darum geht, ein kompliziertes Problem zu skizzieren. Ich notiere mir dann jeweils die einzelnen Sachverhalte auf ein Papier oder zeichne sie gar auf. Verbinde mit Pfeilen gewisse Wörter, streiche andere durch, aber so, dass ich sie immer noch lesen kann. Der Rückgang der Handschrift wird mit Sicherheit große Veränderungen im Gehirn bewirken.

Welche?

Das wäre eine spannende Frage für die Forschung.

Kurzbiografie Peter Brugger

Peter Brugger, geboren 1957 in Zürich, ist Professor für Verhaltensneurologie und Neuropsychiatrie an der Universität Zürich. Von 2003 bis 2019 leitete er die Abteilung Neuropsychologie der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich, dann hat er die Leitung der Neuropsychologie an der Rehabilitationsklinik Valens übernommen. Brugger konzentriert sich in seiner Forschung darauf, wie Raum, Körper, Zahl und Zeit im Gehirn repräsentiert sind. Er untersucht Halluzinationen und Identitätsstörungen, interessiert sich dafür, wie außerkörperliche Erfahrungen zustande kommen und welche psychologischen und neuronalen Grundlagen der Glaube ans Übersinnliche hat. Zudem erforscht er Menschen mit Xenomelie. Diese Menschen betrachten einen Arm oder ein Bein als nicht zu ihnen gehörig und wollen die Extremität amputiert haben.

Peter Bruggers Forschung: www.tinyurl.com/peterbrugger

1Peter Brugger publizierte in verschiedenen Zeitschriften zu Hellsichtigkeit und zum Glauben an Außersinnliches, beruhend auf Studien und Experimenten. Eine Auswahl:

»Ich seh etwas, was du nicht siehst«, Psychologie Heute (September 2006)

»Wo glauben Sie hin?«, Gehirn & Geist (März 2007)

»Moderner Aberglaube und seine biologischen Wurzeln«, Reinhard Neck, Christiane Spiel (Hg.) Wissenschaft und Aberglaube (2020).

2P. Brugger: »Der Wunsch nach Amputation. Bizarre Macke oder neurologische Störung?«, Ars Medici, (Februar 2011).

P. Brugger et al: »Limb amputation and other disability desires as a medical condition«, www.thelancet.com/psychiatry (Dezember 2016), Vol 3., S. 1176–1186.