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Alfred Bekker

Krisenfall Methanwelt: Science Fiction Fantasy Großband 9/2020

Krisenfall Methanwelt: Science Fiction Fantasy Großband 9/2020

Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Geschichten

von Alfred Bekker:


Gestrandet auf dem Methan-Planeten

Flucht nach Laika III

Interstellarer Sündenbock

Der Garten der weinenden Seelen

Krisenplanet Elysium

Der finale Absturz



Ein irdisches Raumschiff ist auf der Suche nach erdähnlichen Planeten, die für die Besiedlung durch die Menschheit geeignet sind. So stoßen sie auf Elysium, eine Welt, die geradezu ideale Voraussetzungen aufzuweisen scheint.
Allerdings gibt es bereits mehrere intelligente Spezies auf Elysium.
Eine von ihnen entwickelte in der Vergangenheit eine grausame Waffe Bio-Waffe...
Als die irdischen Raumfahrer davon erfahren, beginnt bereits ihr verzweifelter Kampf ums Überleben.



Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER WOLFGANG SIGL

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Gestrandet auf dem Methan-Planeten

Alfred Bekker




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© by Author /Cover Titelbild: mik38-123RF mit Steve Mayer,2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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Gestrandet auf dem Methan-Planeten


Immer wieder schaute Niuk Wois unruhig auf sein Chronometer. Lena Baa hatte die ganze Zeit über kein Wort gesprochen. Zusammengekauert saß sie da und blickte wartend durch eines der Außenfenster der REGERA.
Aber Don Meech und Alejandra Crane kamen nicht zurück.
Wois zog sich am Getränkeautomaten einen Kaffee und brummte mißmutig vor sich hin.
"Wir hätten nie auf Deneb 3 landen dürfen!" erklärte unterdessen Lena Baa, die noch immer in die giftige Methanatmosphäre hinausblickte. "Ich hatte gleich so ein ungutes Gefühl..."
Unfug, dachte Wois.
Alles Unfug.
Kein Zweifel, Baa war ein überaus labiler Charakter.
Es ist ein Fehler gewesen, sie auf diesen Flug mitzunehmen, überlegte er. Genau wie Meech. Der paßte auch nicht hier her, nicht in die Enge eines Raumschiffs und nicht auf die Methanwelt Deneb 5.
Meech war hitzig, temperamentvoll, leicht erregbar und unkontrolliert. Während der ganzen Reise war er Wois auf die Nerven gegangen - besonders in jenen Perioden, in denen Meech turnusgemäß das Kommando geführt hatte.
Lena Baa war da schon erträglicher.
In ihrer phlegmatisch-depressiven Art störte sie Wois zumindest nicht, wenn man auch stets damit rechnen mußte, daß sie ihre Aufgaben nicht gewissenhaft erfüllte - entweder aus reiner Unachtsamkeit und mangelnder Konzentration oder aber deshalb, weil sie mal wieder der Meinung war, alles habe ohnehin keinen Sinn, das Universum sei leblos und kalt, das Leben fade, es wäre besser, nicht geboren worden zu sein und im übrigen habe sie von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt, welches ihr schon im Vorhinein offenbahrt habe, daß alles mißlingen und in einer Katastrophe enden werde...
Ja, ja dieses verdammte 'ungute Gefühl'!
"Sie werden nicht zurückkehren!" sagte Lena Baa, als sei dies eine unumstößliche Tatsache. "Sie werden längst tot sein", setzte sie noch hinzu und Wois vermutete, daß sie dies nur in der Absicht tat, in ihm die gleiche Hoffnungslosigkeit zu erzeugen, wie sie offensichtlich von ihrem Gemüt Besitz ergriffen hatte.
"Halt's Maul!" brummte Wois.
Er dachte an Alejandra Crane, das vierte Besatzungsmitglied der REGERA. Crane war die einzige an Bord, über die Wois mit ein wenig Wohlwollen - wenn nicht gar Sympathie - dachte. Sie machte einen oberflächlichen, manchmal gar einen unreifen Eindruck, in ihrer albernen Art fast wie ein Teenager, obgleich sie die dreißig schon weit hinter sich gelassen hatte. Aber Wois mochte Crane wegen ihrer unkomplizierten, kumpelhaften Art. Es war einfach, mit ihr umzugehen. Man hatte selten Schwierigkeiten mit ihr.
"Sie sind schon so lange überfällig", begann Baa wieder. "Es muß ihnen da draußen irgendetwas Schreckliches zugstoßen sein! Ich fühle es!"
Alles Unsinn! kommentierte Wois still vor sich hin.
Aber es hatte kaum einen Sinn, diese Litanei unterbinden zu wollen. Baa schien ein hoffnungsloser Fall.
Und doch...
Crane und Meech hätten schon längst zurück sein müssen!

***



"Was ist geschehen?"
"Vielleicht ein Defekt."
"Können wir nichts tun?"
Schulterzucken und Ratlosigkeit.
"Tatsache ist, daß wir nicht mehr zu ihnen durchdringen."
"Ein Programmfehler?"
"Vielleicht."

***



Durch das Außenfenster waren Gestalten zu sehen, die sich durch den aufkommenden Sturm kämpften. Die Gravitationskraft betrug auf Deneb 5 etwa 1.2g, was die Bewegungen beim Gehen nicht gerade erleichterte.
Wois lächelte.
"Siehst du, Lena: Dein ganzer Unsinn von Tod und Verderben hat sie nicht umbringen können!"
Lena Baa sagte nichts.
Schweigend saß sie da, den Blick starr in die mehr und mehr in Bewegung geratende Methanatmosphäre gerichtet. Staub und kleinere Felsbrocken wurden bewegt. Der Sturm nahm langsam Gestalt an.
"Später hätten sie nicht kommen dürfen", meinte Wois, mehr zu sich selbst, als zu Lena.
Nein, später hätten sie wirklich nicht kommen dürfen. Sie hatten bereits einen Sturm auf Deneb 5 erlebt und wußten, daß es in Umkreis von tausend Kilometern oder mehr dann nur einen Ort geben würde, an dem ein Mensch solche Naturgewalten überleben konnte: Die REGERA.
Das war knapp! dachte Wois. Nicht nur wegen des aufkommenden Sturms. Ihre Sauerstoffvorräte müssen nahezu erschöpft sein...
Weshalb waren sie nur so lange dort draußen gewesen?
KOMMT ZURÜCK!
Wois zuckte zusammen.
Aber da war nichts außer Lena und ihm und Meech und Crane, die sich noch immer durch den heftiger werdenden Methanwind kämpften.
KOMMT ZURÜCK! ALLES, WAS IHR SEHT IST...
Der Rest war unverständlich.
Wois meinte für den Bruchteil einer Sekunde irgendwann einmal gewußt zu haben, was...
Aber nein, das war wohl ein Irrtum.
Auf einmal fühlte er sich nicht besonders gut. Ihm schwindelte, die Kaffeetasse fiel ihm aus der Hand und er mußte sich setzen.
Wois rieb sich die Augen.
Lena nahm dies alles scheinbar nicht zur Kenntnis. Starr hing ihr Blick am Fenster, als ginge von diesem eine quasi hypnotische Wirkung aus.

***



Meech und Crane waren wohlbehalten an Bord der REGERA zurückgekehrt, bevor der Sturm seine volle Gewalt zu entfalten begann.
Draußen war nichts als Chaos. Kein Mensch, kein bekanntes, größeres Lebewesen hätte hier eine Chance des Überlebens gehabt.
Von Zeit zu Zeit wurde die REGERA von heftigen Stößen heimgesucht, die das ganze Schiff erschütterten.
"Ihr könnt von Glück sagen, daß Ihr nicht mehr da draußen seid" meinte Wois.
Don Meech ging nicht auf Wois' Äußerung ein. Irgendetwas beschäftigte ihn und beanspruchte seine gedankliche Aufmerksamkeit.
"Wir haben etwas mitgebracht", erklärte er. "Es ist eigentlich völlig absurd, aber es kann kaum ein Zweifel bestehen..." Er schnaufte und mußte erst wieder zu Atem kommen. "Wir sind keineswegs die ersten Menschen, die Deneb 5 angeflogen haben!"
"Was?" Jetzt war Wois ehrlich erstaunt.
"Es befindet sich noch in der Schleuse."
"Was befindet sich noch in der Schleuse?"
"Die Stahlkassette", meldete sich Alejandra Crane zu Wort. "Die Stahlkassette auf der in großen Buchstaben GARRINGTON INC. steht!"
Gerrington! dachte Wois.
Der Name kam ihm bekannt vor, aber es war zu vage, zu verschwommen.
Kein klarer Gedanke wollte sich bilden, nichts abrufbereites war hierzu in seinem Kopf, nur diese seltsame Ahnung...
Ich bin nicht wie Lena! wieß er sich selbst zurecht. Ich halte mich an Fakten, an Dinge, die man sehen kann oder die zumindest von den Sensoren angezeigt werden!
Alles andere existiert nicht.
Jedenfalls nicht so, wie das Tatsächliche existiert.

***



"Waren Ihre Versuche in das System einzudringen erfolgreich?"
"Teilweise."
"Was bedeutet 'teilweise'?"
"Es besteht noch keine richtige Verbindung. Aber wir arbeiten daran."
Eine Pause.
Dann: "Werden wir sie retten können?"
Eine weitere Pause.
Schließlich, sehr leise: "Die Chancen stehen nicht gut."

***



Die Kassette war durch die Schleuse gegangen und auf mögliche Verseuchugen hin untersucht worden. Jetzt lag sie vor ihnen auf dem Tisch und tatsächlich: GARRINGTON INC. war dort deutlich zu lesen. Zu öffnen war dieses so unerwartet aufgetauchte Objekt nur gewaltsam. Der Inhalt setzte jedoch sogar Lena Baa in Erstaunen: Ein Zettel mit der Aufschrift 'KOMMT ZURÜCK!'.
Es versetzte Wois einen Stich.
KOMMT ZURÜCK!
Er erinnerte sich und fühlte sich seltsam unwohl dabei.
Es war mehr als einen Botschaft, es war ein Befehl, eine wichtige Order, so schien es, die unbedingt erfüllt werden mußte...
"Was soll das?" rief Don Meech empört. "Will uns hier jemand einen schlechten Streich spielen?." Er lief puterot an und Wois wußte, das dies ein Warnsignal war. Man durfte ihn jetzt auf keinen Fall provozieren. Deutlich war die Enttäuschung in Meechs Augen zu lesen. Nein, mit etwas so banalem hatte niemand gerechnet! Jemand hatte einen Zettel mit der Aufschrift 'KOMMT ZURÜCK!' hinterlassen. Es war grotesk.
"Ich finde das lustig", sagte Alejandra Crane. "Diejenigen, die vor uns hier waren, haben uns wenigstens einen Gruß zukommen lassen." Sie kicherte. "Aber etwas Besseres hätten sie sich schon einfallen lassen können."
Ein Ruck ging durch den Rumpf der REGERA. Meech verlor fast das Gleichgewicht, Wois kippte der Kaffee auf den Boden und Crane mußte die Kassette festhalten, um zu verhindern, daß sie vom Tisch glitt. Draußen tobte der Sturm und wühlte die Oberfläche von Deneb 5 auf. Es war ein grandioses Schauspiel.
"Scheiße!" sagte Wois.
Crane kicherte schon wieder. Die ganze Angelegenheit schien sie zu erheitern, was sonst niemand an Bord nachvollziehen konnte. Lena Baa fing unvermittelt an zu weinen, wofür sie von Wois einen abschätzigen Blick erntete.
Typisch Lena! dachte er. Ach hätten wir sie doch bloß nicht mitgenommen!
"Wenn du schon unbedingt einen auf depressiv machen mußt, kannst du dir dafür auch eine andere Zeit aussuchen! Wir versu-" Don Meech war dermaßen außer sich, daß er mitten im Wort atmen mußte. Danach war ihm offensichtlich entfallen, wie er den Satz hatten enden lassen wollen. Jedenfalls schwieg er.
"GARRINGTON INC. ...", murmelte Wois nachdenklich. "Mir gehen im Moment zwei Fragen durch den Kopf. Erstens: Was sucht eine solche Firma - denn wir haben es hier wohl ohne Zweifel mit einer Firmenbezeichnung zu tun..." wieder glaubte er, den Namen bereits gehört zu haben, "auf einer Welt wie Deneb 5? Und zweitens: Wie kommt es eigentlich, daß es hier offensichtlich jeder für selbstverständlich hält - ich eingeschlossen -, daß diese Botschaft an uns gerichtet ist...?"
"Eine Antwort auf Frage 1 könnte sein, daß ein Schiff dieser ominösen GARRINGTON INC. auf Deneb 5 notlanden mußte", meinte Crane.
"Dann müßte hier irgendwo in dieser Methanhölle auch noch ein Raumschiff zu finden sein", schloß Wois daraufhin. "Ihr habt aber nur diese 'Kassette' gefunden. Findet ihr das nicht auch seltsam?"
"Das Raumschiff könnte explodiert sein!" erklärte Meech, wobei er wild mit den Armen in der Luft umherfuchtelte.
"Das hätte diese Kassette wohl kaum so heil überlebt!" schüttelte Wois den Kopf. "Und was ist mit meiner zweiten Frage? Weshalb geht hier jeder davon aus, das dieses 'KOMMT ZURÜCK!' an uns, an die Besatzung der REGERA gerichtet ist?"
"Es ist eine Botschaft...", flüsterte Lena Baa. "Eine Botschaft."
Meech zuckte mit den Schultern. "Es ist einfach so ein Gefühl: An wen sollte dieser Zettel sonst gerichtet sein?"
"Es ist ein Gefühl!" nickte Wois. "Ein Gefühl, das in völligem Widerspruch zu jedweder rationalen Erwägung oder irgendeinem Sinn für Wahrscheinlichkeit und Kausalität zu stehen scheint..."
Crane seufzte. "Ja, das stimmt. Eigentlich ist es ziemlich abwegig anzunehmen, daß hier jemand speziell für uns eine Nachricht hinterlassen hat - und doch haben wir alle genau diese Möglichkeit wie selbstverständlich angenommen..."

***



Der Sturm dauerte auch die folgenden Standard-Tage an, ohne an Heftigkeit nachzulassen. Die REGERA war jetzt faktisch manöverierunfähig. Weder Start noch Landung wären bei diesen Witterungsverhältnissen denkbar gewesen.
Meech wurde in der Enge das Schiffes ungeduldig.
Er wollte nach eventuellen Überresten eines havarierten Raumers der GARRINGTON INC. suchen, aber so wie es schien, würde dieses Vorhaben für die nächste Zeit undurchführbar bleiben.
Lena hielt sich zumeist in ihrer Kabine auf. Von den anderen fühlte sie sich (wie stets) unverstanden. Es war alles so schrecklich, so trist, so hoffnungslos...
Das ganze Leben.
Sie waren hier her in die Hölle von Deneb 5 gekommen, nur, so hatte es den Anschein, um eine Kassette mit einer wertlosen Botschaft zu finden...
Nein - Das war einfach grausam und gleichzeitig ein Symbol für das Schicksal allen Seins, für die Ziellosigkeit aller Existens.
Sie nahm ein Antidepressivum, um ihre Stimmung etwas zu stabilisieren. Doch die Gewöhnung an derartige Präparate war bei ihr bereits derart fortgeschritten, daß sie kaum noch Wirkung zeigten.
Sie seufzte schwermütig und begab sich an ihr Lesegerät.
Etwas Religiöses, dachte sie und durchforschte das Verzeichnis der Speicherbank. Irgendetwas Trostspendendes...
Und dann standen dort auf einmal Worte auf dem Bildschirm, die nichts mit dem Verzeichnis der abrufbaren Schriften zu tun hatten: KOMMT ZURÜCK! KOMMT ZURÜCK! KOMMT ZURÜCK!...
Mit Ausrufungszeichen und in Großbuchstaben, so stand es da, vielleicht fünfzig-, vielleicht hundertmal.
KOMMT ZURÜCK! füllte den ganzen Bildschirm.
Lena Baa schrak zusammen.
War das Lesegerät defekt?
War etwas mit dem Speicher nicht in Ordnung?
Oder hatte das alles eine weitergehende Bedeutung?
War es möglicherweise Teil der allgemeinen Verschwörung, die gegen sie in Gange war, einer Verschwörung, die das Schicksal selbst zu inszenieren schien?
KOMMT ZURÜCK!
Es war wie eine dringende, vielleicht letzte Warnung, wie ein verzweifelter Ruf, der jemandem galt, der in der Gefahr stand, sich einen Abgrund hinunterzustürzen...
Ich stehe tatsächlich vor einem Abgrund! dachte sie. Mein ganzes Leben lang habe ich vor einem gähnenden Abgrund gestanden, stets mit einem Fuß bereits in Nichts.
- KOMMT ZURÜCK!
Sie versuchte plötzlich aus irgendeinem, ihr nicht weiter offensichtlichen Impuls heraus, etwas anderes auf den Schirm das Lesegeräts zu bekommen. Irgendetwas anderes, nur nicht
KOMMT ZURÜCK!
Ihre Finger glitten hektisch über die Anwahltastatur, sie fluchte laut, stöhnte, begann zwischendurch zu schluchzen und hysterisch zu schreien, ganz wie es ihre Art war. Doch all ihre Anstrengungen blieben vergebens. Es war unmöglich, irgendetwas anderes auf den Schirm zu bekommen.
KOMMT ZURÜCK!
Nein, es gab vor dieser Botschaft kein Ausweichen, kein Entrinnen. Jemand oder etwas wollte sie um jeden Preis zur Umkehr bewegen.
Gott! dachte sie.
Klang KOMMT ZURÜCK! nicht fast so wie TUT BUßE?
Zurück? Wohin zurück? fragte Lena sich dann verzweifelt. Ein seltsamer Schauder erfaßte sie, kroch ihr den Rücken hinauf und ließ sie zittern. Gott, dachte sie nocheinmal. Es war ein anderes Schaudern als sonst, sie könnte das beurteilen, denn ihr schauderte oft vor irgendwem oder irgendetwas.
Gott!
Vielleicht war dies eine Botschaft jener Entität, die die Geschicke des Kosmos lenkte und die sie in ihrem bisherigen Dasein als ihren Gegner empfunden hatte...
Ihr fröstelte, Schaudern und Unbehagen verstärkten sich.
Wenn es Gott war, der hinter dieser Botschaft steckte, dann hatte sie nichts Gutes zu erwarten. Ein Strafgericht vielleicht...
Die furchtbare Vollendung der lebenslangen Pein, die er ihr zugefügt hatte...
Dann kam der Kollaps. Alles begann zu verschwimmen und sich aufzulösen. Zuerst das Lesegerät, dann die REGERA, dann Deneb 5 und zum Schluß verflüchtigte sich auch ihr Bewußtsein.

***



"Wo steckt Lena eigentlich?" erkundigte sich Alejandra Crane. Niuk Wois zuckte mit den Schultern.
"In den letzten zwei Standard-Tagen habe ich sie nicht mehr gesehen."
"Sie wird sich in ihrer Kabine eingeschlossen haben und heulen!" brummte Meech sarkastisch. "Ist doch immer dasselbe mit ihr. Das ganze Universum ist böse und hat es nur darauf abgesehen, die Magnetverschlüsse ihres Anzugs klemmen zu lassen!"
Der Sturm hatte merklich nachgelassen, aber für die Nachforschungen, die Don Meech anzustellen gedachte, war das Wetter noch immer ungeeignet. Die in ihm aufgestaute Unruhe näherte sich inzwischen dem Siedepunkt. Immer öfter kam es bei Meech zu unbegründeten cholerischen Ausbrüchen, während derer er die anderen Besatzungsmitglieder mit bemerkenswerten Schimpfkanonaden bedachte. Crane machte oft den Fehler, darauf einzugehen und etwas zu erwidern, während Wois sich alles gelassen anhörte und kommentarlos hinnahm. Er wußte, daß diese Anfälle vorübergingen und er wußte ebenbfalls, daß man sie nur verstärkte, wenn man sich auf sie auch noch in irgendeiner Form einließ.

***



Niuk Wois stand (wie so oft) am Getränkeautomaten und zog sich eine Tasse Kaffee, als Alejandra Crane mit ernstem Gesicht an ihn herantrat. Wois schlürfte etwas von dem braunen, synthetisch hergestellten und nicht besonders aromatischen Getränk herunter, bevor er sich Crane zuwandte, die (ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit) noch keine flapsige Bemerkung fallengelassen hatte. Kein joviales Grinsen hatte ihn begrüßt und sie hatte ihm auch nicht kumpelhaft auf die Schulter geschlagen. Wois spürte gleich, daß Crane beunruhigt war...
"Was gibt es, Aleja?"
"Lena ist nicht in ihrem Zimmer."
"Nein?"
Wois schlürfte noch einmal an seinem Kaffee und legte dann die Stirn in Falten.
"Ich bin hineingegangen - sie war nicht da!"
"Vielleicht hat sie sich versteckt!"
"Ich habe das ganze Zimmer überprüft! Sie war nicht dort! Nicht im Kleiderschrank und nicht unterm Bett!"
"Kann es sein, daß sie auf der Toilette sitzt? Möglicherweise ist sie zu dem Schluß gelangt, daß sich Weltschmerz und allgemeine Verzweifelung dort viel besser genießen lassen, als..."
"Ich mache mir Sorgen, Niuk! Ich habe Lena mit den Innensensoren der REGERA vom Bordcomputer suchen lassen!"
"Und? Wo ist sie?"
"Nirgens. Sie ist nicht mehr an Bord."
Das war allerdings eine mehr als erstaunliche Nachricht. Unter anderen Umständen hätte Wois sich wahrscheinlich gefreut, die verrückte Lena endlich außerhalb der REGERA zu wissen, aber so hatte des ganze doch etwas mysteriöses. Es roch nach Wahnsinn - und nach Tragödie.
Aber egal. Es würde sich zeigen.
"Sie kann die Luftschleuse nicht passiert haben", murmelte Wois. "Das hätte der Computer sofort registriert und gemeldet."
"Alle Druckanzüge sind noch an Bord!" setzte Crane hinzu. Sie seufzte.
"Es ist eigentlich unmöglich, aber sie scheint wie vom Erdboden verschluckt!"
"Zauberei!"
Crane entging der sarkastische Unterton in Wois letzter Äußerung nicht, aber sie sagte nichts dazu, obwohl sie ihn insgeheim dafür verwünschte, daß er seinen Zynismus nicht einmal in Situationen wie dieser beurlauben konnte.

***



Niuk Wois hatte einen seltsamen Traum.
Lena, Don, Alejandra und er befanden sich auf einer Straße - irgendwo zu Hause, auf der Erde. Dann tauchte ein Gebäude auf, auf dem in großen, gut lesbaren Buchstaben GARRINGTON INC. stand.
"Wir sollten wirklich mal hineingehen", sagte Don. "Es ist phantastisch! Glaubt es mir! Ich hab's schon auspobiert."
Dann gingen sie hinein.
Es wurde dunkel, Wois konnte nichts mehr erkennen.
KOMMT ZURÜCK! rief es in ihm. KOMMT ZURÜCK!
Und: ERINNERT EUCH!
Wois wälzte sich unruhig in seinem Bett hin und her.
KOMMT ZURÜCK!
Sie befanden sich wieder auf der Straße. Vor ihnen das Gebäude der GARRINGTON INC..
"Wir sollten wirklich mal hineinghen!" sagte Don abermals. "Es ist phantastisch!"
KOMMT ZURÜCK!
Dann befand er sich an Bord der REGERA.
"Wir befinden uns im Orbit von Deneb 5", meldete Alejandra Crane. Und Lena Baa kommentierte: "Ist das ganze nicht völlig sinnlos? Ist diese Expedition nicht ein Gleichnis für die gesamte Existenz, in dem sich die völlige Sinnlosigkeit letzterer offenbahrt? Wir fliegen Deneb 5 an, aber hat sich einer von Euch mal gefragt, weshalb eigentlich? Was wollen wir dort? Was zieht uns dort hin? Ist das, was wir tun denn letztlich nichts weiter, als ein zielloses Umherirren, ein unbestimmtes Suchen?"
KOMMT ZURÜCK!
"Alles fertigmachen zur Landung!" sagte Don Meech.
KOMMT ZURÜCK!
"Landeanflug kann beginnen!" meldete Alejandra Crane.
ERINNERT EUCH!

***



Das Verschwinden Lena Baas war eine unumstößliche Tatsache, die auch Don Meech nicht ableugnen konnte - mochte sie auch jedweder Logik widersrechen.
Unterdessen hatte der Sturm sich endgültig gelegt.
Die furchtbaren Gewalten, die die Atmospäre durcheinandergewirbelt und die Oberfläche umgepflügt hatten, waren zur Ruhe gekommen.
"Ich schlage vor, daß wir die REGERA starten und in einem niedrigen Atmosphäreflug nach eventuellen Überresten eines Transportschiffes der GARRINGTON INC. suchen!" erklärte Meech.
Wois war einverstanden.
"Das wird das Sinnvollste sein", meinte er sachlich.
Crane nickte einfach nur. Seit dem Verschwinden von Lena Baa war sie stiller geworden und hatte eines Teil der ihr sonst eigenen Heiterkeit und Unbeschwertheit verloren. Und wenn auch sowohl Meech als auch Wois - jeder von ihnen aus anderen Gründen - sich hüteten, dies offen zuzugeben, so beschäftigte doch auch sie dieser Vorfall, für den es scheinbar keine rationale Erklärung gab.
Die REGERA hob also alsbald von der planetaren Oberfläche ab und überflog in einer verhältnismäßig geringen Geschwindigkeit die lebensfeindlichen Ebenen und Berglandschaften von Deneb 5.
Crane betätigte die Steuerung, während die beiden Männer darauf warteten, daß die Sensoren dem Bordcomputer irgendetwas Interessantes übermittelten.
Doch zunächst war ihr Warten vergebens.
Alles war so, wie es sein sollte: Methan überall - und unterschiedliche Gesteinsarten. Wertvolles, eventuell industriell Verwertbares war nicht dabei. Es schien sich der Verdacht zu bestätigen, daß diese Welt nichts weiter als ein völlig unbrauchbarer Klumpen Materie war.
"Das ganze führt doch zu nichts!" brummte Crane. "Wir sollten die Sache abbrechen. Fliegen wir zurück zur Erde."
KOMMT ZURÜCK! klang es in Wois' Hirn. KOMMT ZURÜCK!
Was war es, das ihn da peinigte, das ihn wie die Stimme eines Spukwesens schon so oft heimgesucht und den Schlaf geraubt hatte? KOMMT ZURÜCK! ZURÜCK! ZURÜCK! FLIEGEN WIR ZURÜCK!
"Halt's Maul!" war Meechs an Crane gewandte Erwiderung. "Wir suchen weiter, bis wir etwas gefunden haben und damit basta!"
Dieses Raumschiff, dessen Teile hier herumliegen sollen - vielleicht ist das nur ein Hirngespinst von dir, Don!"
"Und die Kassette? Aleja, du vergißt die Kassette! Du hast sie auch gesehen und wenn du willst kannst du jederzeit erneut eines Blick auf sie werfen. Es stand dort groß und deutlich..."
"Ja, ja..."
Natürlich, die Kassette.
Das war auch ein schier unlösbares Rätsel, genau wie die Sache mit Lena Baa.
Meech schien geradezu besessen, seine Augen glänzten, seine Bewegenen waren hektisch und fahrig. Wenn sie Wrackteile eines Raumschiffs finden würden, dann wäre das eine Erklärung - zumindest für eines der aufgetauchten Rätsel. Es würde dann eine logische Erklärung für die Existenz der Kassette geben und - so dachte Meech - es würde endlich die Rationalität wieder an Boden gewinnen, nach dem sich in den letzten Stanardtagen soviel Unerklärliches aneinandergereiht hatte.
Wir müssen dieses verdammte Raumschiff finden! dachte Meech. Es muß Ordnung in dieses Chaos kommen, oder wir werden alle verrückt.
Vielleicht spürte Don Meech, daß er dem Verrücktsein, dem unkontrollierten Irrsinn, um eine Spur näher war als Crane - oder gar Wois, dem nichts etwas anhaben zu können schien.
Dieser eiskalte, gefühllose Lästerer, dachte er.
Aber war wußte schon, was hinter dieser stahlharten Oberfläche steckte?
Vielleicht hat er in Wahrheit noch mehr Angst als ich! kam es Meech in den Sinn. Vielleicht ist Wois' Unbehagen noch viel ausgeprägter als das Meinige!
Es tröstete ihn, daß es diese Möglichkeit gab, auch wenn sie allem äußeren Anschein nach nicht gerade die plausibelste war.
Sie suchten mehrere Standardtage und -nächte lang.
Wois und Crane wechselten sich dabei mit der Steuerung ab, während Meech kaum von den Sensoren wich. Wrackteile eines Raumschiffs wollten sich einfach nicht einstellen. Die Sensoren zeigten dafür etwas anderes an.
"Mein Gott! Was ist das?"
"Was ist los, Don?"
"Einen Moment... Es kommen laufend neue Daten!"
"Nun?"
"Es sieht nach einem Gebäude aus. Wir müssen noch etwas näher heran, dann können wir es durch die Außenfenster sehen!"

***



Einige hundert Meter von dem geheimnisvollen Bauwerk (oder was immer das geortete Objekt auch letztlich sein mochte) entfernt landete Wois die REGERA. Meech verfiel in hektische Aktivität.
"Ich muß dort hin!" erklärte er. "Ich muß dort hin, um es mir genauer anzusehen!"
KOMMT ZURÜCK! schrillte es in ihrer beider Köpfen. Sie wechselten einen verständnislosen Blick miteinander. "Hast du eine Vermutung, was du dort draußen vorfinden wirst?" erkundigte sich Wois.
Meech zuckte mit den Schultern. "Ich hoffe, daß die Ansammlung von Rätseln und Ungereimtheiten sich nicht noch vergrößert!"
Wois nickte.
"Was ist mit Aleja? Soll ich sie wecken?"
"Nein. Ihr beide bleibt hier. Ich werde allein gehen!"
Meech sagte das sehr bestimmt und Wois hielt es für besser, nicht zu widersprechen.

***



"Eine der Persönlichkeiten ist inzwischen desintegriert."
"Welche?"
"Die von Lena Baa."
"Ist sie nicht mehr zu retten?"
"Nein. Ihr Bewußtsein hat sich vollständig aufgelöst."
"Wie konnte das geschehen?"
"Wir untersuchen die Angelegenheit."
"Was ist mit den anderen? Besteht Gefahr für sie, das gleiche Schicksal zu erleiden?"
"Ja."
"Verdammt, so tun Sie doch etwas!"
"Im Moment scheint es so, als könnten wir wenig ausrichten. Aber wir geben uns alle Mühe, die drei Überlebenden zurückzuholen..."

***



Methan! dachte Don Meech, während er dem rätselhaften Bauwerk entgegenschritt, die REGERA im Rücken. Methan ist lebensfeindlich. Wer könnte diese Gebäude errichtet haben? Welche Lebensform existiert hier, ohne daß wir bisher einen Vertreter ihrer Spezies zu Gesicht bekommen haben?
Die 1,2 Gravo machten sich bemerkbar, das Laufen war anstrengender als an Bord des Raumers, wo es Kompensatoren gab.
"Hallo Don!" meldete sich Alejandra Crane über Helmfunk aus der REGERA. "Alles in Ordnung?"
"Alles in Ordnung!" brummte Meech.
"Don! Warum bist du allein gegangen? Ich wäre gerne mitgekommen!"
"Du warst gerade am Schlafen, Aleja. Ich wollte dich nicht wecken."
"Ach, red' doch keinen Unfug, Don! Du weißt doch gar nicht was Rücksichtnahme ist. Das muß einen anderen Grund haben."
Meech antwortete nicht.
"Don?"
Meech unterbrach die Verbindung. Schritt um Schritt näherte er sich dem Gebäude und je näher er kam, desto vertrauter schien es ihm! Die Silhouette...
Nein, das war Unsinn.
Als er nur noch wenige Meter entfernt war, sah er das aufwendige, luxuriöse Portal. Und darüber war deutlich zu lesen: GARRINGTON SIMULATIONSTECH INC.!

***



Alles ist so seltsam, überlegte Alejandra Crane.
Es schien ihr fast so, als habe sich etwas gegen sie und die anderen von der REGERA verschworen, als lauerte da irgendwo im Hintergrund etwas Furchtbares, Kaltes, Destruktives, dessen Ziel es war, sie alle zu peinigen und...
Aber nein! schalt sie sich.
Solche Gedanken hätten zu Lena gepaßt. Aber ich bin nicht depressiv!
KOMMT ZURÜCK!
Sie hatte einen seltsamen Traum gehabt. Sie alle, Meech, Wois, Baa und sie selbst gingen in ein Gebäude, vor dessen Eingang GARRINGTON INC. (oder vielleicht doch GARRINGTON SIMULATIONSTECH INC.) stand.
Irgendwo auf der Erde.
KOMMT ZURÜCK!
Als sie an ihrem Monitor gesessen hatte, darauf wartend, daß die Sensoren endlich etwas über die von Meech vermuteten Wrackteile eines Raumschiffs übermittelten, da war ihr für einen Moment so gewesen, als hätte dort gestanden:
KOMMT ZURÜCK! KOMMT ZURÜCK! KOMMT ZURÜCK!
Es war verrückt. Nein soviel stand für Crane fest. Hier paßte einiges nicht zusammen...
Wois stand am Getränkeautomaten, schaute nervös auf sein Chronometer und Crane wußte auch weshalb. Meech hatte sich nicht mehr gemeldet, seit er den Kontakt abgbrochen hatte.
Und er war jetzt auch schon ziemlich lange da draußen...
"Er müßte längst zurück sein!" murmelte Wois. "Er hätte nicht allein gehen dürfen, aber er mußte ja seinen Dickkopf durchsetzen."
Crane starrte nach draußen, zu dem seltsamen Gebäude hin.
Die Silhouette...
Nein, sie konnte nicht sagen, woran sie sie erinnerte.
"Was schlägst du vor, Niuk?"
Wois zuckte mit den Schultern und schlürfte an seinen Kaffee. Bohrende Kopfschmerzen hatten ihn unvermittelt befallen und so faßte er sich wieder und wieder an die Schläfen. Man sah ihm an, daß er nicht in der besten Verfassung war.
"Wenn etwas defekt wäre, dann wäre Dons automatisches Notrufaggregat aktiviert worden!" meinte Wois heiser.
Der Kopfschmerz umnebelte seine Gedanken, ließ ihn die Außenwelt wie durch einen feurig-roten Schleier wahrnehmenden.
Wären wir nur nicht hier! dachte er. Wären wir nie nach Deneb 5 gekommen! Verdammt, was suchen wir hier?
Don!
Seine Gedanken kehrten zu Don zurück. Er war dort draußen und irgendetwas mußte dort geschehen sein. Wois versuchte, sich zu konzentrieren, so schwer es auch war. Aber es wollte sich in seinen Gedanken einfach keine Klarheit einstellen.
"Fliegen wir zurück!" sagte Alejandra Crane.
"Was?"
Er rieb sich zum tausendstenmal die Schläfen, dann das Nasenbein, dann massierte er sich die Stirn. Cranes Stimme schien so fern, was sie sagte so unsinnig...
"Ich sagte: Fliegen wir zurück!"
KOMMT ZURÜCK! hallte es in seinem Kopf. KOMMT ZURÜCK!
"Du bist verrückt!"
"Nein! Dieser Planet... Irgendetwas stimmt hier nicht... Irgendetwas sehr schreckliches geht hier vor sich!"
"Wovon sprichst du?"
Crane sah ihn mit großen Augen an.
"Spürst du es nicht, Niuk?"
Doch aber...
Nein!
"Wir müssen weg, Niuk!"
"Und was ist mit Don?"
"Wir senden ihm, daß er sofort zur REGERA zurückkehren soll. Andernfalls müßten wir ihn hier zurücklassen..."
"Und... Lena?"
Crane zuckte mit den Schultern.
Wo, so fragte Wois sich, war ihre Flapsigkeit geblieben? Wois spürte die Angst in ihr, sah wie sie förmlich aus ihren Augen herausquoll, wie sie die Linien ihres Gesichts zeichnete.
Und er wußte, daß es diesselbe Art von Angst war, die in ihm schlummerte. Etwas kaltes, glitschiges schien ihn zu berühren, ein eisiger Pesthauch seine Sinne zu peinigen...
Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, aber es reichte, um ihn zutiefst zu erschrecken.
Was waren seine Kopfschmerzen, was war die nervtötende Gesellschaft dieser Psychopathen gegen die kalte Hand, die aus dem Nichts nach seiner Seele gegriffen hatte.
Er spürte den dringenden Wunsch, Alejandra Crane nachzugeben.
Es wäre das Einfachste, dachte er.
Don über Funk anrufen, abwarten (natürlich würde er sich nicht melden) und dann davon fliegen. Richtung Heimat, Richtung Erde.
KOMMT ZURÜCK!
"Wir können das nicht tun, Aleja! Denk an Don! Denk an Lena!"
"Wir können nicht mehr ernsthaft darauf hoffen, erklären zu können, wie Lena verschwinden, einfach verschwinden konnte. Und was Don betrifft: Er hat ja die Möglichkeit zurückzukommen!"
"Das hat er vielleicht nicht! Aleja, ich wußte nicht, daß du dermaßen gefühllos sein kannst!"
Nein, wurde es Wois sogleich klar. Gefühllos war sie nicht. Die Furcht regierte sie.
"Niuk, es geht darum, unser Leben zu retten! Vielleicht existiert Don gar nicht mehr!"

***



Sie versuchten es immer wieder. Aber Don Meech wollte sich einfach nicht melden. Vielleicht konnte er auch nicht. Gott allein mochte wissen, was ihn davon abhielt und was Lena Baa dazu veranlaßt hatte, sich einfach in Nichts aufzulösen.
Wois Kopfschmerzen ließen mit zunehmenden Kaffeekonsum nach und der Schmerznebel vor seinen Augen begann, sich langsam aufzulösen. Während Crane unaufhörlich Meech anzufunken versuchte, starrte Wois hinaus in die Methanwildnis.
Hier sollten sie Meecch zurücklassen?
Es bestand die Möglichkeit, hinauszugehen und nach ihm zu suchen. Crane hatte zuviel Furcht um das Schiff zu verlassen. Also würde er, Wois, es tun müssen und das war ihm entschieden zu riskant. Aleja würde nicht zögern, die REGERA zu starrten und ihn ebenfalls hier zurückzulassen. Nein, Aleja allein an Bord zu lassen, das war gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
"Starten wir, starten wir" sagte er schließich fast tonlos. Crane sah auf.
"Hast du nicht gehört, Aleja?"
Sie nickte.
Wois fühlte sich jetzt, da er dies ausgesprochen hatte, wie befreit. Es war schändlich, wenn man die Sache unter ethischen Gesichtspunkten betrachtete. Aber da war diese unbestimmte, eisig-nagende Furcht, die alles durchdrang, alles kalt und klamm werden ließ.
Sie versuchten, die REGERA zu starten.
Aber es geschah nichts.
"Was ist los?"
"Niuk! Die Instrumente reagieren nicht!"
Wenn ein Maschinenschaden vorliegt, müßte der Computer dies gemeldet haben! dachte Wois. Aber vielleicht war der Computer ebenfalls nicht in Ordnung.
Sie überprüften alles, aber es war kein Fehler zu finden, außer dem, daß sie nicht starten konnten.
"Niuk! Was machen wir jetzt?"
Wois sah Cranes schreckensbleiches Gesicht, von der Furcht gezeichnet, geradeso, als stünde ihr ein abscheuliches Monstrum gegenüber.
Sie wird verrückt! dachte Wois. Sie steht nahe an der Grenze zum Irrsinn. Noch ein Schritt...
Er musterte sie kühl.
Nur die Ruhe bewahren, dachte er. Nur die Ruhe bewahren!

***



Niuk Wois näherte sich dem Gebäude.
Crane hatte er an Bord der REGERA zurückgelassen, da sie völlig hysterisch war. Davonfliegen konnte sie jedenfalls nicht und das beruhigte ihn.
Die Silhouette...
KOMMT ZURÜCK!
Das Gebäude kam ihm bekannt vor. Er versuchte, schneller zu laufen und begann zu keuchen. Die erhöhte Schwerkraft hing wie Blei an seinen Füßen. Dann hatte er das Bauwerk erreicht. Mächtig erhob sich der Methanhimmel darüber und es schien hier irgendwie deplaziert.
Wer um alles in der Welt mochte es gebaut haben?
Er sah das Portal.
Und er sah die Aufschrift: GARRINGTON SIMULATIONSTECH INC.!

***



"Man wird Ihre Simulationstheater schließen, Garrington!"
"Was?"
"Es ist zu gefährlich. Das Risiko für diejenigen, die sich in computersimulierte Fiktivwelten versetzen lassen, ist zu groß."
"Aber bisher..."
"Vier Ihrer Kunden haben nicht mehr aus der von ihnen gewählten Fiktivwelt herausgefunden."
"Ein Programmfehler..."
"Ja, aber folgenschwer. Eines der Bewußtseine ist bereits vollständig aufgelöst, die anderen stehen kurz vor ihrer Desintegration... Und es gibt keine Rettung für sie. Ihre Körper werden als pflanzenhafte Wesen weiterexistieren, aber von ihren Persönlichkeiten wird nichts bleiben."
"Könnten wir uns nicht so einigen, daß wir in Zukunft jeden unserer Kunden einer psychologischen Untersuchung unterziehen?"
"Von Meech und Baa wissen wir zwar, daß sie psychisch labil waren, aber inwiefern dies ausschlaggebend war, ist noch zu untersuchen. Ich für meinen Teil richte mich in meiner Beurteilung nach unserem Gutachter und der hat als vermutliche Hauptursache nicht nur den Programmfehler hervorgehoben, sondern auch auf andere, erhebliche Risikofaktoren bei dem von ihrer Firma angewandten Verfahren hingewiesen."

***



Wois sah eine Gestalt.
Es war Meech, der aus dem Gebäude kam.
"Don!"
Meech wandte sich zu ihm.
"Es ist alles so seltsam, Niuk. Was meinst du?"
Er hielt einen Moment lang inne und fuhr dann fort: "Hier zu stehen und... Ich meine, mich erinnern zu können, daß Deneb 5 eine Methanwelt ist!"
"Hey, Don!"
"Siehst du die Bäume dort? Und die Vögel? Ich dachte immer, so etwas gibt es nur auf der Erde."
Wois sah nichts von alledem.


ENDE