Herman Melville

Das Paradies der Junggesellen und der Tartarus der Mädchen

I
Das Paradies der Junggesellen

Es liegt nicht weit von Temple Bar.

Geht man auf dem gewöhnlichen Wege hin, ist es, als komme man aus einer heißen Ebene allmählich in ein kühles, tiefes, schattig zwischen beschützenden Hügeln gelegenes Tal.

Ganz elend von dem Lärm und bespritzt mit dem Schmutz von Fleet Street – wo die unverheirateten Geschäftsleute mit Hauptbuchfurchen zwischen den Brauen vorbeieilen, über das Steigen des Brots und die geringe Nachfrage nach Babys nachdenkend – biegst du geschickt um eine geheimnisvolle Ecke – keine Straße –, wandelst einen düsteren, mönchischen Weg hinunter, der von dunkeln, ruhigen, feierlichen Pfeilern flankiert ist, und immer weiter gehend, kehrst du der ganzen sorgenvollen Welt den Rücken und stehst befreit zwischen den stillen Kreuzgängen des Paradieses der Junggesellen.

Schön sind die Oasen der Sahara, bezaubernd die Bauminseln der Prärien im August, lieblich ist reine Wahrhaftigkeit unter tausend Perfidien, aber schöner, bezaubernder, lieblicher ist das träumerische Paradies der Junggesellen in dem steinernen Herzen des betäubenden London.

Geh in milder Nachdenklichkeit durch die Kreuzgänge, erfreue dich, genieße deine Muße in den Gärten nach dem Wässer zu, verweile in der alten Bibliothek, verrichte deine Andacht in der mit Skulpturen geschmückten Kapelle, aber mit alledem hast du noch wenig gesehen, weißt noch gar nichts, hast den lieblichen Kern noch nicht gekostet, bis du mit den vereinten Junggesellen diniert, ihre festlichen Augen und Gläser hast funkeln sehen: Diniere nicht im Semester in dem geschäftigen gemeinsamen Eßsaal in der Halle, sondern in Ruhe, persönlich aufgefordert, an einem privaten Tisch, gastfreundlich eingeladen von einem kultivierten Templer.

Templer? Das ist ein romantischer Name. Laß sehen. Brian de Bois Gilbert war ein Templer, glaube ich. Will jemand behaupten, diese berühmten Templer lebten noch in unserm modernen London? Kann man noch ihre Sporen klirren, ihre Schilde rasseln hören, wenn die mönchischen Ritter in ihrer Rüstung betend vor der geweihten Hostie knieen? Gewiß wäre es ein sonderbarer Anblick, einen mönchischen Ritter den Strand hinunter gehen zu sehen, während sein schimmernder Panzer und sein schneeweißer Waffenrock von einem Omnibus bespritzt würden. Dazu noch, der Ordensregel entsprechend, langbärtig – wie würde der finstere Geist sich unter den kurzgeschnittenen, glattrasierten Bürgern ausnehmen? Traurig erzählt es die Geschichte, und wir wissen in der Tat, daß ein moralischer Makel zuletzt die Brüderschaft befleckte. Kein feindliches Schwert konnte im Kampf ihrer Herr werden, aber der Wurm der Üppigkeit kroch unter ihren Panzer, nagte an ihrer Ritterehre, nagte an ihrem Mönchsgelübde, bis schließlich die mönchische Enthaltsamkeit zur Schwelgerei erschlaffte und aus den geschworenen ritterlichen Junggesellen Heuchler und Lumpen wurden.

Doch bei alledem sind wir gar nicht darauf vorbereitet, zu erfahren, daß sich die Tempelritter (wenn es überhaupt noch welche gibt) so verweltlicht haben, daß sie, anstatt das Schwert zu schwingen, um in glorreichem Kampf um das heilige Land unsterblichen Ruhm zu erwerben, sich damit begnügen, am Eßtisch einem Hammelbraten mit dem Tranchiermesser zu Leibe zu gehen. Halten es diese degenerierten Templer von heute, wie Anakreon, für schöner, bei einem Bankett unter den Tisch, als in der Schlacht zu fallen? Aber wie kann es überhaupt noch einen Überlebenden des berühmten Ordens geben? Templer im modernen London! Templer mit rotbekreuzten Mänteln Zigarren rauchend im Gasthaus zum Diwan? Templer, die sich so dicht in der Eisenbahn drängen, bis der ganze Zug vor lauter Eisenhelmen, Speeren und Schilden wie eine verlängerte Lokomotive aussieht!

Nein! Der echte Templer ist langst verschwunden. Besieh dir die wundervollen Gräber in der Templerkirche. Betrachte dort die steif-hochmütig ausgestreckten Gestalten, die Arme über dem stillen Herzen gekreuzt, in ewiger, raumloser Ruhe. Die tapferen Tempelritter gehören ebenso der Vergangenheit an, wie die Jahre vor der Sintflut. Nichtsdestoweniger ist geblieben der Name, die mit ihm benannte Gesellschaft, die alten Grundstücke und einige der alten Gebäude. Doch aus dem Eisenschuh ist ein Lackschuh geworden, aus dem langen zweihändigen Schwert ein einhändiger Gänsekiel. Der einst als eine Art Mönch gratis geistliche Ratschläge gab, berät jetzt gegen ein Honorar. Der Verteidiger des Sarkophags (wenn waffengeübt) hat jetzt mehr als einen Fall zu verteidigen. Der kühne Befreier und Wächter aller Heerstraßen zum Heiligen Grabe hat jetzt die besondere Aufgabe, an allen Gerichtshöfen und auf allen Wegen des Gesetzes hemmend, störend, hindernd und verwirrend zu wirken. Der ritterliche Bekämpfer der Saracenen, der in Akka den Speerspitzen die Brust bot, ficht jetzt mit Spitzfindigkeiten in Westminster Hall. Aus dem Helm ist eine Perücke geworden. Berührt vom Zauberstab der Zeit hat sich der Templer heute in einen Juristen verwandelt.

Doch wie es vielen andern geht, die von der stolzen Höhe des Ruhms abgestürzt sind – wie der Apfel am Ast hart, auf dem Erdboden mürbe ist – hat sein Sturz aus dem Templer nur einen wertvolleren Menschen gemacht.