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Inhaltsverzeichnis

Erinnerung an Prag
VORGESCHICHTE
TEIL I - Vor dem 15. März 1939
1 - EIN UNWILLKOMMENER GAST
2 - GESCHICHTEN AUS BÖHMEN
3 - DER WETTSTREIT
4 - DIE LINDE
5 - EIN POSITIVER EINDRUCK
6 - HINTER DEN SIEBEN BERGEN
7 - »WIR MÜSSEN WEITER FEIGLINGE BLEIBEN«
8 - EINE ZUM SCHEITERN VERURTEILTE AUFGABE
TEIL II - April 1939 – April 1942
9 - EIN NEUER ANFANG
10 - BESATZUNG UND WIDERSTAND
11 - DIE LICHTER GEHEN AUS
12 - DIE UNWIDERSTEHLICHE KRAFT
13 - FEUER AM HIMMEL
14 - DAS BÜNDNIS WIRD GESCHMIEDET
15 - DIE WENZELSKRONE
TEIL III - Mai 1942 – April 1945
16 - DER TAG DER ATTENTÄTER
17 - VORBOTEN DES VÖLKERMORDS
18 - THERESIENSTADT
19 - DEN BOGEN ÜBERSPANNT
20 - VERWEINTE AUGEN
21 - HEULER UND ALBATROSSE
22 - HITLERS ENDE
TEIL IV - Mai 1945 – November 1948
23 - KEINE ENGEL
24 - UNGEFLICKT
25 - EINE WELT GROSS GENUG FÜR UNS BEIDE
26 - EIN LABILES GLEICHGEWICHT
27 - RINGEN UM DIE SEELE EINER NATION
28 - EIN VERHÄNGNISVOLLES VERSÄUMNIS
29 - DER STURZ
30 - DIE ZEIT LÄUFT AB
DAS NÄCHSTE KAPITEL
DANK
ANHANG
LISTE DER AKTEURE
ZEITTAFELN
ANMERKUNGEN
Motto
Vorgeschichte
Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
BILDNACHWEIS
REGISTER
Copyright

DANK

Einmal abgesehen von meinen Memoiren, die im Jahr 2003 abgeschlossen waren, ist dies mein persönlichstes Buch, ein Buch, das ich unbedingt schreiben wollte und vor dem ich gleichzeitig fast schon Angst hatte, weil ich fürchtete, dass es viele Gefühle wachrufen würde. Von Anfang an bestand die große Schwierigkeit darin, die Erzählung meiner Familiengeschichte mit einer Darstellung jener furchtbaren Ära zu kombinieren. Ich selbst war wegen meines zarten Alters alles andere als ein zuverlässiger Augenzeuge, insbesondere vor dem Krieg und in den ersten Kriegsjahren. Hinzu kam der Umstand, dass ich in den ersten sechs Jahrzehnten meines Lebens von der jüdischen Abstammung meiner Familie und von der Tragödie, die so viele Verwandte von mir durchgemacht hatten, überhaupt nichts wusste. Ich musste vieles nachholen. Für das Sammeln der Fakten und die Einordnung in den zeitlichen Kontext habe ich viele helfende Hände gebraucht.

Das Ganze begann mit meiner Familie: Ich bin meiner Schwester Kathy, meinem Bruder John und meiner Schwägerin Pamela für ihre Bemühungen, die Spuren vergangener Ereignisse zu entdecken, zutiefst dankbar. Wir haben gemeinsam viel Neues gelernt und teilen auch viele Erinnerungen miteinander. Außerdem möchte ich mich bei ihnen dafür bedanken, dass sie als Erste die Entwürfe durchgesehen und Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Auch die herzliche Unterstützung meiner Töchter Anne, Alice und Katie und ihrer Familien weiß ich sehr zu schätzen. Von allen Rollen, die ich in meinem Leben spielte und spiele, sind mir die der Mutter und Großmutter die liebsten.

Bei der Arbeit an diesem Buch erhielt ich Gelegenheit, meiner Cousine Alena in London und meiner Cousine Dáša, bis zu ihrem Tod, näher zu kommen. Im Oktober 2011 traf ich zum ersten Mal einen weiteren entfernten Vetter, Pedro Mahler, der in Brasilien zur Welt kam und aufwuchs. Pedros Großmutter war eine ältere Schwester meines Großvaters väterlicherseits, Arnošt Körbel; sein Vater war unter den Exiltschechen, die im Krieg für die britische Royal Air Force gedient hatten.

Bei Nachforschungen zur Geschichte der Tschechen und Slowaken sowie zur Laufbahn meines Vaters hat mir die Unterstützung des tschechischen Außenministeriums sehr geholfen, insbesondere Jiří Kuděla, Martina Tauberová, Ivan Dubovický, Tomáš Pernicky und Robert Janas – darüber hinaus lieferten mir auch Jan Havranek aus dem Verteidigungsministerium, Daniel Herman und Pavel Zacek von dem Institut zur Erforschung totalitärer Regime nützliche Informationen und halfen mir bei der Beschaffung von Dokumenten. Ausdrücklich möchte ich Dr. Oldřich Tůma vom Institut für Zeitgeschichte danken, weil er sich die Zeit für ein Treffen mit mir nahm und mir seine Gedanken über die Männer mitteilte, denen mein Vater diente; sowie dem jungen Wissenschaftler Tomáš Bouška für seine Erkenntnisse.

Das Schicksal der jüdischen Gemeinde in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg ist absolut verheerend, die bitteren Erfahrungen hinterließen unzählige Narben. Mein teurer Freund Tomáš Kraus lud Kathy und mich während unserer Nachforschungen einmal zu sich ein und erzählte uns die unvergessliche Geschichte seines Vaters in Theresienstadt. Seiner Assistentin Alena Ortenová bin ich ebenfalls außerordentlich dankbar für ihre Hilfe, genau wie den Mitarbeitern bei der Föderation jüdischer Gemeinden, weil sie uns kurzfristig eine Mahlzeit organisierten, als uns der Hunger plagte. Dr. Vojtěch Blodig und Jan Munk waren unsere ausgezeichneten Führer in der Gedenkstätte Theresienstadt und im Museum. Ein Dank gebührt auch den vielen Schriftstellern, Künstlern und Archivaren, die dazu beitrugen, das Andenken an jene zu bewahren, die im Krieg durch die Tore des Gefangenenlagers gegangen waren. Erst durch ihre Anstrengungen war es mir möglich, mehr über die Geschichte meiner Familie zu erfahren.

Mit Worten lässt sich nicht wiedergeben, was ich Václav Havel verdanke, der mir wie ein Angehöriger war und dessen Ansporn, umsichtige Beobachtungen (und Zeichnungen aus der Kindheit) diesem Buch Tiefe und Farbe verliehen. Wenn dieses vielschichtige Buch eine einzige Botschaft hat, so lautet sie, die Weisheit dieses unvergleichlichen Menschen zu achten.

In England gebührt Isobel Alicia Czarska ein besonderer Dank, die mich in ihrer Wohnung im Princes House herzlich empfing und mir half, Näheres über das Gebäude zu erfahren, aus dem einige Erinnerungen meiner frühesten Kindheit stammen. Libby Cook und Sonia Knight, Freundinnen und Nachbarinnen von Isobel, möchte ich ebenfalls danken, weil sie sich bereit erklärten, Mrs. Orlow Tollett in ihrem Pflegeheim zu interviewen; und meine Hochachtung und mein Dank an Mrs. Tollett selbst, weil sie mir ihre Erlebnisse mitteilte. Es betrübte mich, als ich im November 2011 hörte, dass sie im Alter von 103 Jahren und neun Monaten verstarb.

Mit der Recherche fängt ein Buch wie das vorliegende natürlich an, aber das Wissen in einen ansprechenden Text umzuwandeln, erfordert eine gehörige Portion Kreativität, unzählige Arbeitsstunden und ein gutes Team.

Bill Woodward war maßgeblich an den Nachforschungen beteiligt und, wie schon bei meinen früheren Büchern, unterstützte er mich als Co-Autor beim Schreiben. Immer wieder drängte er mich, grundlegende Annahmen neu zu überdenken – wie ich umgekehrt seine Unfähigkeit, tschechische Wörter auszusprechen, strapazierte. Elaine Shocas, eine weitere langjährige Mitarbeiterin, war mir bei der Überarbeitung der Entwürfe eine große Hilfe und gab mir gute Ratschläge. Wie stets, blieb sie immer ruhig und hatte eine sichere Hand.

Wenn er nicht gerade selbst ausgezeichnete Bücher schrieb (über Schwerter, die Sonne und, in Kürze, Historiker), fand Richard Cohen Zeit, jedes meiner Bücher zu redigieren. Ich kann nicht sagen, ob es ganz normal ist, dass man den eigenen Lektor mag, aber Richards unglaublicher Vorrat an Talent und Witz macht ihn zugleich unbezahlbar und entzückend. Wenn er aufhört zu redigieren, höre ich auf zu schreiben, aber nicht früher.

Lauren Griffith widmete einen großen Teil ihrer Energie der Recherche, Überprüfung von Fakten und der Suche nach anschaulichem Bildmaterial für den jeweiligen Text. Ihr ausgezeichnetes Urteilsvermögen, ihre Sorgfalt und ihr organisatorisches Talent und Humor leisteten einen unverzichtbaren Beitrag.

Mag sein, dass es Unternehmen, die echte Bücher mit richtiger Bindung, Einband, Papier und allem drum und dran veröffentlichen, heutzutage schwer haben, aber Tim Duggan von Harper-Collins ist ein ausgezeichneter Lotse, selbst in dieser Zeit des rasanten technologischen Wandels. Herzlich danke ich auch Emily Cunningham, die unzählige Stunden für dieses Projekt investiert hat, sowie dem ganzen Team von Harper-Collins, einschließlich Brian Murray, Michael Morrison, Jonathan Burnham, Kathy Schneider, Tina Andreadis, Beth Harper und Fritz Metsch; ihnen allen bin ich für ihr anhaltendes Vertrauen und die Anleitung dankbar.

Meine Rechtsberater Bob Barnett und Deneen Howell sind auf ihrem Gebiet die besten der Welt. Bob war von Anfang an eine treibende Kraft dieses Buches gewesen; ich bezweifle stark, dass ich ohne seinen Antrieb diese Mammutaufgabe bewältigt hätte.

Wie die meisten Bücher durchlief auch dieses mehrere Fassungen. Ich stehe tief in der Schuld derjenigen, die sich die Zeit nahmen, einen oder mehrere Teile zu bearbeiten und Anregungen zu geben, darunter die Botschafter Wendy Sherman, Jiří Kuděla, Michael Žantovský und Martin Palous, sowie Daniel Herman, Evelyn Lieberman und Alan Fleischmann. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber für alle noch enthaltenen Fehler trage selbstverständlich ich die volle Verantwortung.

Die Zusammenstellung der Fotos zum Text war ein Liebesdienst, aber dennoch war es Arbeit. Neben Lauren Griffith und Elaine Shocas verdanke ich meiner Familie sehr viel, darunter meinen Cousinen Alena, Dáša und meinem Vetter Pedro sowie dem Journalisten Michael Dobbs, der mir großzügig Bilder und anderes Material zur Verfügung stellte, das er im Zuge seiner eigenen Nachforschungen gesammelt hat; ferner Jakub Hauser und Michaela Sidenberg aus dem Jüdischen Museum in Prag; Martina Šiknerová von der Gedenkstätte Theresienstadt; Daniel Palmieri und Fania Khan Mohammad vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes; Andrej Sumbera für das Bild von der Wenzelskrone; Marcela Spacková aus der Staatsgalerie in Prag; Robin Blackwood dafür, dass er mit der Kamera in der Hand durch ganz London lief; und dem quirligen Jan Kaplan, der ein erstaunliches Archiv zur tschechischen und slowakischen Geschichte besitzt. Schon früh hielten wir Ausschau nach jemandem, der die richtigen Karten zeichnete; unsere Gebete wurden von der jungen und talentierten Laura Lee erhört.

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Bild 52

Die Autorin vor dem Princes House, 2010

Die Arbeit an einem Buch nimmt viel Zeit in Anspruch und lenkt einen unter Umständen von anderen Verpflichtungen ab. Ich habe das Privileg, jeden Tag unter einem verständnisvollen Team in der Albright Stonebridge Group mitzuarbeiten, zusammen mit meinen Kollegen Sandy Berger, Tony Harrington, Jim O’Brien, Anne Fauvre, Jen Friedman, Wyatt King, Sarah Lincoln, Matt McGrath und Fariba Yassaee. Ganz besonders möchte ich mich bei Suzy George für ihre scharfsinnigen Erkenntnisse und Hilfe, die unzähligen Aufgaben dieses Unternehmens zu koordinieren, bedanken, bei Mica Carmio, die ein besonderes Interesse an dem Thema hatte, bei Erin Cochran, die eng mit Harper-Collins zusammenarbeitete und während des gesamten Zeitraums wohlüberlegte Kommentare beisteuerte, und bei Juliana Gendelman und Robyn Lee, die viele Stunden ihrer Zeit opferten, damit ich meine Zeit effektiver nutzen konnte.

Schließlich möchte ich anderen, die mich im Lauf meiner Arbeit unterstützten oder die so freundlich waren, mir ihre eigenen Familienerinnerungen mitzuteilen, herzlich danken, unter anderen Jan Drabek und Veronika Herman Bromberg. Die unveröffentlichten Memoiren von Renata Kauders und Hana Stránská gehören ebenfalls in diese Kategorie. Bei Helen Epstein bedanke ich mich dafür, dass sie mir den Text von Jan Masaryks Rundfunkansprachen während des Krieges schickte; sie war außerdem die Übersetzerin von Heda Margolius Koválys ausgezeichneter Geschichte der Tschechoslowakei um die Mitte des Jahrhunderts ins Englische: Under a Cruel Star. Rachelle Horowitz steuerte jene objektiven Ratschläge bei, die nur sie geben kann. Leslie Thompson war mir in der Anfangsphase der Materialsuche eine große Hilfe. Anne Furlong von der Sacred Heart (Herz Jesu) Church in Berkhamsted bestätigte die Informationen zu meiner Taufe. Helen Fedor aus der Library of Congress antwortete stets prompt und umfassend auf meine Anfragen. Jeff Walden vom Schriftenarchiv der BBC im Caversham Park verschaffte mir Zugang zu Dokumenten im Zusammenhang mit der Rundfunkkarriere meines Vaters. Stephen Plotkin in der Kennedy Library antwortete freundlich auf Fragen zu Botschafter Joseph Kennedy. Schließlich möchte ich ganz besonders Petr Vitek danken, dem Besitzer des Hotels Sax, nicht nur dafür, dass er mir in Malá Strana schöne Zimmer reservierte, sondern auch dafür, dass er mich persönlich zu jedem Termin fuhr.

ANHANG

LISTE DER AKTEURE

Böhmen

König Václav (Wenzel oder Wenzeslas) (gest. 935)

Karl IV. (1316–1378), Kaiser und Baumeister

Johannes von nepomuk (um 1345–1393), katholischer Märtyrer

Jan Hus (um 1371–1415), religiöser Reformer und Märtyrer

Jan Žižka (um 1360–1424), Feldherr der Hussiten

Jan Komenský (Comenius) (1592–1670), Lehrer

Joseph II. (1741–1790), österreichischer Kaiser und Reformer

Božena němcová (1820–1862), Schriftstellerin und Dichterin

Karel Havlíček (1821–1856), Journalist

Jan neruda (1834–1891), Schriftsteller und Dichter

 

Tschechoslowakische Republik,
Protektorat und Exilregierung

edvard Beneš (1884–1948), Außenminister und Präsident

Hana Benešová (1885–1974), seine Frau

Karel Čapek (1890–1938), Schriftsteller

Vlado Clementis (1902–1952), stellvertretender Außenminister

Prokop Drtina (1900–1980), Justizminister

Alois eliáš (1890–1942), Regierungschef, von den Nationalsozialisten hingerichtet

Zdeněk Fierlinger (1891–1976), Botschafter in Moskau, Regierungschef

Karl Hermann »K. H.« Frank (1898–1946), Führer der Sudetendeutschen unter der NS-Besatzung der Tschechoslowakei

eduard Goldstücker (1913–2000), Diplomat

Klement Gottwald (1896–1953), Führer der kommunistischen Partei, Regierungschef

emil Hácha (1872–1945), Präsident während der deutschen Besatzung der Tschechoslowakei

Václav Havel (1936–2011), Schriftsteller, Revolutionär, Präsident

Konrad Henlein (1898–1945), Führer der Sudetendeutschen vor dem Krieg

Josef Korbel (1909–1977), Botschafter in Jugoslawien und Albanien

Jan Masaryk (1886–1948), Botschafter in Großbritannien; Außenminister

Tomáš G. Masaryk (1850–1937), Staatsgründer und erster Präsident

General František Moravec (1895–1966), Chef des Nachrichtendienstes

Marie Moravcová (unbekannt – 1942), Aktivistin im antifaschistischen Widerstand

Gonda (egon) Redlich (1916–1944), Führer der Jugendlichen in Theresienstadt (Terezín)

Hubert Ripka (1895–1958), Staatssekretär, Handelsminister

eduard Táborský (1910–1996), Privatsekretär von Beneš

JozefTiso (1887–1947), Präsident der Slowakei im Zweiten Weltkrieg

 

Tschechoslowakische Fallschirmspringer

Karel Čurda (1911–1947) (Vrbas)

Jozef Gabčík (1912–1942) (Kleiner Ota)

Jan Kubiš (1913–1942) (Großer Ota)

Adolf Opálka (1915–1942)

Josef Valčík (1914–1942) (Zdenda)

 

Großbritannien

Clement Attlee (1883–1967), Premierminister nach dem Krieg

Alexander Cadogan (1884–1968), Staatssekretär im Foreign Office

neville Chamberlain (1869–1940), Premierminister vor dem Krieg

Winston Churchill (1874–1965), Premierminister während des Krieges

Shiela Grant Duff (1913–2004), Journalistin

Anthony eden (1897–1977), Außenminister während des Krieges

Lord Halifax (1881–1959), Außenminister vor dem Krieg

Bruce Lockhart (1887–1970), Verbindungsmann zur tschechoslowakischen Exilregierung

 

Frankreich

Édouard Daladier (1884–1970), Präsident

 

Deutschland

Hermann Göring (1893–1946), Reichsmarschall, Befehlshaber der Luftwaffe

Reinhard Heydrich (1904–1942), stellvertretender Reichsprotektor

Heinrich Himmler (1900–1945), Reichsführer SS, Chef der Sicherheitskräfte

Adolf Hitler (1889–1945), Reichskanzler, Diktator

Konstantin von neurath (1873–1956), Reichsprotektor

 

Sowjetunion

Wjatscheslaw Molotow (1890–1986), Außenminister

Josef Stalin (1878–1953), Generalsekretär der kommunistischen Partei, Diktator

ZEITTAFELN

Tschechische Geschichte

8. november 1620 Schlacht am Weißen Berge

1836–1867 František Palackýs Geschichte von Böhmen erscheint

7. März 1850 Geburt von Tomáš Masaryk

28. Mai 1884 Geburt von Edvard Beneš

28. Oktober 1918 Die Tschechoslowakei erklärt sich für unabhängig

11. november 1918 Waffenstillstand, Ende des Ersten Weltkrieges

14. november 1918 Tomáš Masaryk wird Präsident

1. Juni 1925 Jan Masaryk wird Botschafter in Großbritannien

 

Vorspiel zum Krieg

30. Januar 1933 Hitler kommt an die Macht

16. Mai 1935 Beistandspakt zwischen Tschechoslowakei und UdSSR unterzeichnet

19. Mai 1935 Wahlen in der Tschechoslowakei; große Gewinne für deutsche Nationalisten

18. Dezember 1935 Beneš wird Präsident

14. September 1937 Tod von Tomáš Masaryk

15. September 1938 Erstes Treffen zwischen Hitler und Chamberlain, Berchtesgaden

22. September 1938 Zweites Treffen zwischen Hitler und Chamberlain, Godesberg

30. September 1938 Drittes Treffen zwischen Hitler und Chamberlain, gemeinsam mit Daladier und Mussolini, Münchner Abkommen

1. Oktober 1938 Deutsche Truppen marschieren im Sudetenland ein

5. Oktober 1938 Beneš tritt zurück

22. Oktober 1938 Beneš geht ins Exil

14. März 1939 Slowakei erklärt sich für unabhängig

15. März 1939 Deutschland marschiert im restlichen Gebiet der Tschechoslowakei ein und richtet das Protektorat Böhmen und Mähren ein

23. August 1939 Hitler-Stalin-Pakt

 

Zweiter Weltkrieg

 

1939

1. September Deutschland marschiert in Polen ein

3. September Großbritannien und Frankreich erklären Deutschland den Krieg; tschechoslowakischer Nationalrat gebildet

30. november Sowjetunion marschiert in Finnland ein

 

1940

 

9. April Deutschland besetzt Norwegen und Dänemark

10. Mai Winston Churchill wird Premierminister

10. Mai Deutschland marschiert in den Niederlanden und Belgien ein, anschließend in Frankreich

22. Juni Kapitulation Frankreichs

21. Juli Briten erkennen provisorische tschechoslowakische Exilregierung an August Luftschlacht um Großbritannien beginnt

7. September Bombardierung verlagert sich von Küstenregionen nach London; der »Blitz« beginnt

13. november Beneš zieht nach Aston Abbotts

 

1941

 

22. Juni Deutschland marschiert in die UdSSR ein

18. Juli Großbritannien und Sowjetunion erkennen tschechoslowakische Exilregierung an

27. September Reinhard Heydrich wird zum stellvertretenden Reichsprotektor ernannt

7. Dezember Japan greift Pearl Harbor an; die Vereinigten Staaten treten einen Tag später in den Krieg ein

 

1942

 

27. Mai Anschlag durch tschechoslowakische Attentäter auf Heydrich

4. Juni Heydrich stirbt

10. Juni Zerstörung von Lidice

18. Juni Attentäter in den Katakomben der Kirche gefangen; erschossen oder Selbstmord begangen

5. August Großbritannien widerruft offiziell das Münchner Abkommen

 

1943

 

Januar Treffen zwischen Churchill und Roosevelt in Casablanca

12. Mai Beneš beginnt Besuch in Washington

10. Juli Invasion der Alliierten in Sizilien

3. September Italien kapituliert

28. november – 1. Dezember Treffen der Großen Drei in Teheran

12. Dezember Beneš unterzeichnet in Moskau Vertrag mit UdSSR

 

1944

 

6. Juni Landung in der Normandie, »D-Day«

13. Juni Deutschland beginnt V1-Angriffe

1. August Warschauer Aufstand

25. August Befreiung von Paris

29. August Beginn des slowakischen Aufstands

3. September Alliierte nehmen Brüssel ein

12. September Erste V2-Rakete gegen Großbritannien gestartet

16. Dezember Beginn der Ardennenschlacht

 

1945

 

4. – 11. Februar Treffen der Großen Drei in Jalta

11. März Beneš fliegt nach Moskau

4. April Beneš verkündet in Košice das Programm der tschechoslowakischen Nachkriegsregierung

12. April Tod Franklin D. Roosevelts

25. April In San Francisco beginnt Gründungskonferenz der Vereinten Nationen

28. April Mussolini wird erschossen

30. April Hitler begeht Selbstmord

5. Mai Beginn des Prager Aufstands

8. Mai Kriegsende in Europa

 

Nachkriegszeit

 

1945

 

9. Mai Einmarsch der Roten Armee in Prag

16. Mai Rückkehr der Exilregierung nach Prag

17. Juli – 2. August Konferenz von Potsdam der Staatschefs der alliierten Mächte

Dezember Abzug der amerikanischen und sowjetischen Truppen aus der Tschechoslowakei

 

1946

 

5. März Churchills Rede vom »Eisernen Vorhang«

26. Mai Sieg der tschechoslowakischen Kommunisten bei Parlamentswahl

29. Juli – 15. Oktober Friedenskonferenz in Paris

 

1947

 

5. Juni Marshallplan wird angekündigt

9. Juli Stalin verbietet tschechoslowakische Teilnahme am Marshallplan

 

1948

 

25. Februar Putsch der Kommunisten

10. März Jan Masaryk tot aufgefunden

13. März Jan Masaryks Begräbnis

7. Juni Beneš tritt zurück

3. September Tod Beneš’

 

1952

 

3. Dezember Vlado Clementis und weitere tschechoslowakische Regierungsvertreter werden verurteilt und hingerichtet

 

Körbel (Korbel)-Spiegel-Chronologie

 

7. Juni 1878 Arnošt Körbel wird geboren

20. September 1909 Josef Körbel wird geboren

11. Mai 1910 Anna Spiegelová wird geboren

1933 Josef Körbel schließt Doktorarbeit ab

22. november 1934 Josef Körbel im tschechoslowakischen Außenministerium angestellt

20. April 1935 Hochzeit von Josef Körbel und Anna Spiegelová

Januar 1937 Josef Körbel versetzt an Botschaft in Belgrad

15. Mai 1937 Geburt von Maria Jana »Madlenka« Körbelová

november 1938 Josef Körbel wird aus Belgrad abberufen

25. März 1939 Familie Körbel flüchtet aus Prag

Mai 1939 Ankunft der Familie Korbel in England

1. Juli 1939 Dáša Deimlová steigt in Prag in den »Winton«-Zug ein

September 1939 Erste BBC-Rundfunksendungen der tschechoslowakischen Exilregierung

Sommer 1940 Umzug von Familie Korbel ins »Princes House«, 52 Kensington Park Road, Notting Hill Gate

Mai 1941 Familie zieht für kurze Zeit zur Familie Jan »Honza« Körbels

11. Juni 1942 Růžena Spiegelová kommt nach Theresienstadt; wird drei Tage später mit einem Transportzug nach Osten deportiert, vermutlich nach Trawniki

30. Juli 1942 Arnošt und Olga Körbel kommen nach Theresienstadt

18. September 1942 Arnošt Körbel stirbt in Theresienstadt

7. Oktober 1942 Kathy Korbelová wird geboren; Madeleine geht in den Kindergarten (Kensington High School for Girls)

26. november 1942 Rudolf Deiml, Greta und Milena Deimlová kommen nach Theresienstadt

15. Februar 1943 Greta Deimlová stirbt in Theresienstadt an Flecktyphus

Mai 1943 Familie Korbel zieht nach Walton-on-Thames (gemeinsames Haus mit Familie Goldstücker); Madeleine besucht Ingomar-Schule

28. September 1944 Rudolf Deiml wird nach Auschwitz deportiert

23. Oktober 1944 Olga Körbelová und Milena Deimlová werden nach Auschwitz deportiert

Mai 1945 Rückkehr Josef Korbels nach Prag

Juli 1945 Mandula, Madeleine und Kathy Korbelová und Dáša Deimlová wieder in Prag

28. September 1945 Ankunft der Korbels in Belgrad

June – August 1946 Josef Korbel nimmt an Friedenskonferenz in Paris teil

15. Januar 1947 Jan »John« Korbel wird geboren, Belgrad

5. Februar 1948 Josef Korbel wird von tschechoslowakischer Regierung gebeten, sie in der UN-Kommission zur Lösung des Kaschmirkonflikts zu vertreten

13. Mai 1948 Josef Korbel offiziell in die UN-Kommission zu Kaschmir berufen

11. november 1948 Ankunft der Familie Korbel (außer Josef) in den Vereinigten Staaten von Amerika

Dezember 1948 Josef Korbel in den Vereinigten Staaten mit Familie wiedervereint

7.Juni 1949 Familie Korbel erhält in den Vereinigten Staaten politisches Asyl

DAS NÄCHSTE KAPITEL

Kaum eine Empfindung wird häufiger geäußert als Dankbarkeit für die Opfer, die frühere Generationen gebracht haben. Nun, dann soll es so sein, Originalität ist nicht alles. Ich stehe tatsächlich tief in der Schuld meiner Eltern für die Liebe und den Schutz, die sie mir gaben, und für das Vermächtnis, das ich empfing – darunter ein Engagement für die Freiheit und die Erkenntnis, dass deren Andauern nicht als gegeben angesehen werden kann. Darüber hinaus bin ich für das Vorbild meines Vaters dankbar; ohne ihn hätte ich niemals den Eifer für die Politik entwickelt, der mich zeit meines Lebens antrieb, geschweige denn das Selbstvertrauen, darauf zu bestehen, dass meine Stimme Gehör findet. Wie inzwischen deutlich geworden sein sollte, war er kein Mensch, der sich damit begnügte, im Lehnstuhl sitzend über die Weltpolitik zu lesen. Er hatte den Wunsch, jedes einzelne Detail zu kennen, in die Motive der Staatschefs und Länder einzutauchen, ihre Geschichte zu lernen, die Meinungen aller Menschen zu sammeln, denen er begegnete, und nach Lösungen zu suchen, die seinem hohen Standard entsprachen. Viele Kinder lehnen sich gegen ihre Eltern auf; ich wollte meinen Vater stolz machen und so handeln, wie er unter vergleichbaren Umständen gehandelt hätte – sei es als Diplomat, Lehrer oder Bürger.

Nach unserer Ankunft in den Vereinigten Staaten begann mein Vater eine zweite Karriere als Professor an der University of Denver, wo das Institut für internationale Politik heute seinen Namen trägt. Nach seinem Tod im Jahr 1977 veröffentlichte das Institut einen Gedenkband mit Aufsätzen zur tschechoslowakischen Geschichte. Der Band enthält Beiträge von ehemaligen Schülern, die Professor Korbels »Leidenschaft für die Lehre [und] Hingabe für die Wahrheit« anpriesen.62 Im Jahr 2011 ehrte ihn auch das tschechische Außenministerium, in diesem Fall mit einem Film mit dem übersetzten Titel: Der Mann mit der Pfeife. Eine Dokumentation über das Leben Josef Korbels.

Der Film feierte im Herbst 2011 Premiere, als ich mich zur Einweihung einer Statue Woodrow Wilsons in Prag aufhielt. Eine ältere, in den zwanziger Jahren angefertigte Statue hatte vor dem Bahnhof gestanden, bis sie auf Befehl Reinhard Heydrichs zerstört wurde. Die neue hat mit einem vergleichbaren Denkmal für Tomáš Masaryk in Washington, D.C., ein Gegenstück, das ein Licht auf die tiefen historischen Bande wirft, die Tschechen und Slowaken mit den Vereinigten Staaten verbinden, ein Band, das auch Teil meines Vermächtnisses ist. Jahrelang rief meine Mutter am 4. Juli an und fragte, ob wir uns die Paraden und das Feuerwerk ansehen und patriotische Lieder singen würden. Sie war der Beweis (genau wie ihre Kinder und Millionen anderer Einwanderer), dass die Vaterlandsliebe von einem Land zu einem anderen übergreifen kann. In dem Dokumentarfilm berichtet mein Bruder, dass meine Mutter, obwohl mein Vater als der Intellektuelle und sie als die Temperamentvolle galt, von den beiden häufig die vernünftigere war. Letztlich vermissen wir sie, weil wir sie geliebt haben, beide gleich und für immer.

 

Ich stehe tief in der Schuld all jener, die mir halfen, mehr über meine Familie und ihre Erlebnisse in Erfahrung zu bringen. Während des Holocaust entstanden viele bewegende Darstellungen von Überlebenden – sei es im Konzentrationslager oder im Versteck. Dazu kommen die Tagebücher all jener, die selbst nicht überlebten. Die Geschichten sind zwar alle für sich genommen wichtig, darüber hinaus aber vermitteln sie uns eine bessere Vorstellung von den Geschichten, die wir niemals hören werden, die Geschichten all jener, die nicht die nötigen Mittel, Kraft oder Gelegenheit hatten, ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Die Angehörigen meiner Familie, die durch die Kugel oder das Gas oder Krankheiten ermordet wurden, hinterließen nur einen kleinen Stapel Briefe. Dieses Buch habe ich nicht zuletzt deshalb geschrieben, weil ich mehr erfahren wollte. Aus diesem Grund danke ich den bemerkenswerten Menschen, die gemeinsam mit meinen Angehörigen in Theresienstadt lebten, und den vielen, die es sich seither zur Aufgabe gemacht haben, die Toten zu ehren. Das Andenken ist das Mindeste, das wir ihnen schulden.

Wenn ich auf die Geschichten zurückblicke, die diese Seiten füllen, bin selbst ich von dem Ausmaß unserer Schuld gegenüber den Männern und Frauen beeindruckt, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft und gesiegt haben und die Einrichtungen geschaffen haben, die den Kommunismus eindämmten und letztlich besiegten. An erster Stelle ist hier der Nordatlantikpakt (NATO) zu nennen, dessen Ursprünge sich direkt bis zum Sturz Jan Masaryks aus dem Fenster des Außenministeriums in der Nacht des 9. März 1948 zurückverfolgen lassen. Sein Tod löschte den letzten Rest von Hoffnung aus, dass eine Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und dem Westen, die im Krieg so wichtig gewesen war, selbst in verwässerter Form weiterhin Bestand haben würde. Der europäische Winter, der mit Hitlers Besetzung von Prag begann, brach ein Jahrzehnt später mit dem Verlust des Lieblingssohns der Demokratie erneut aus. Heute wissen wir, was damals »hinter den sieben Bergen« lag. Die NATO sollte sich ihrer Aufgaben würdig erweisen; der Westen blieb standhaft; und der Eiserne Vorhang sollte eines Tages von beiden Seiten durch eine Revolution zerrissen werden, die Polen innerhalb von zehn Tagen, Ungarn in zehn Monaten, Ostdeutschland in zehn Wochen, die Tschechoslowakei in zehn Tagen und Rumänien in zehn Stunden befreite.63 Während meines Lebens hat Mitteleuropa zwei Mal die Freiheit verloren und danach wieder zurückgewonnen; das ist ein Grund zum Feiern – und zur Wachsamkeit. Die Aufgabe der NATO ist noch längst nicht erledigt.

 

Verglichen mit unseren Eltern und Großeltern, leben wir dennoch in einer völlig veränderten Welt. Zum großen Teil dank der Technologie sind die Mittel der Diplomatie revolutioniert worden, der geopolitische Schwerpunkt hat sich vom Westen nach Osten und Süden verlagert, und neue Bedrohungen der internationalen Sicherheit sind entstanden. Zum Glück hat sich die Rolle unseres Hauptgegners im Zweiten Weltkrieg grundlegend gewandelt. In den Jahrzehnten nach Hitler richtete das deutsche Volk sein Land in hervorragender Weise zu neuer Größe auf, als ein Bollwerk der Demokratie, als guter Nachbar und als Vorbild beim Schutz der Menschenrechte. Es ist eine Ironie unserer Zeit, dass die Vereinigten Staaten heute ihren Verbündeten in Berlin auffordern, auf dem internationalen Parkett bestimmter aufzutreten, nicht zurückhaltender. Und es ist eine weitere Ironie, dass im Jahr 2011, zum 72. Jahrestag der deutschen Invasion in Prag, der Botschafter des Landes anrief und fragte, ob ich eine Auszeichnung (das Bundesverdienstkreuz) für meine Leistungen im Namen der amerikanisch-deutschen Beziehungen akzeptieren würde. Ich sagte: »Ja, natürlich, es wäre mir eine Ehre«, und dachte bei mir, dass inzwischen selbst meine Mutter dies gutheißen würde.

Die Partnerschaft zwischen Tschechen und Slowaken überstand heiße wie kalte Kriege, aber am 31. Dezember 1992 trennten sich die beiden friedlich in der sogenannten Samtenen Scheidung. Wie meine Eltern hatte ich immer den Gedanken einer vereinten Tschechoslowakei befürwortet, aber vielleicht hatte es niemals sein sollen. Die Mehrheit der Slowaken sehnte sich wirklich nach einem eigenen Staat – ein Gefühl, das tschechische Nationalisten zwar bedauern mögen, wofür sie aber eigentlich Verständnis haben müssten.

Das soll nicht heißen, dass die neue Ära völlig frei von Nachklängen der alten wäre. Wir haben unsere Lektionen des Zweiten Weltkrieges und seines Nachspiels bestenfalls unvollständig gelernt. Kleinere Irritationen lassen häufig genug mittelalterliche Ressentiments im Zusammenhang mit den slawischen Völkern und ihren Nachbarn oder zwischen Ost und West wiederaufleben. In Moskau haben die Behörden durchgesetzt, dass gestürzte Stalin-Denkmäler ersetzt werden und dass den Schülern und Studenten eine sogenannte »positive Geschichte« beigebracht wird, sprich: eine rein russozentrische Version historischer Wendepunkte. Diese Doktrin verbreitet etwa die Vorstellung, dass Stalin praktisch im Alleingang den Zweiten Weltkrieg gewann, während britische und amerikanische Führer feige versucht hätten, Hitler für einen Separatfrieden zu gewinnen. Kaum eine Entscheidung hat sich als schädlicher für die Zukunft erwiesen, als den Kindern beizubringen, die Vergangenheit zu verabscheuen. In Europa wird die Politik noch heute von extremistischen, teils offen antisemitischen, teils antimuslimischen Parteien beschmutzt, welche die nationale Identität höher als das Engagement für demokratische Werte stellen. Linke Parteien halten sich ebenfalls immer noch: in der Tschechischen Republik sind die Kommunisten die drittgrößte Partei, in Russland die zweitgrößte.

Die Menschen in allen Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, neigen immer noch dazu, Klischeevorstellungen zu akzeptieren. Bereitwillig glauben sie tendenziell das, was sie glauben wollen (etwa hinsichtlich der globalen Erwärmung), und warten ängstlich ab, bis andere die Führung übernehmen – versuchen damit vergeblich, sowohl die Verantwortung als auch jedes Risiko zu vermeiden. Wenn in einem fernen Land Schwierigkeiten auftreten, verstecken wir uns immer noch gerne hinter dem Prinzip der nationalen Souveränität, »kümmern uns um die eigenen Angelegenheiten«, wenn es uns in den Kram passt, und stellen uns die Demokratie wie einen Sommeranzug vor, den man bei schönem Wetter trägt, aber im Schrank lässt, wenn Gewitterwolken drohen.

Genau wie extremer Nationalismus, Scheinheiligkeit und Rassismus weiterhin Bestandteil des heutigen Lebens sind, trifft das auch auf Folter, ethnische Säuberungen und Völkermord zu. In einer der unzähligen Kisten in meiner Garage stieß ich auf ein Zitat, das Otokar Březina, einem mährischen Dichter des 19. Jahrhunderts, zugeschrieben wird: »Es ist nicht länger möglich«, versicherte er, »die eigenen Brüder ungehört zu morden. Irgendjemand wird immer den Todesschrei hören und ihn von Mund zu Mund durch das ganze Land weitereilen lassen, wie ein Sturmwind, der das heilige Feuer zu einer Flamme entfacht.« Inzwischen können die Meldungen eines Völkermordes zwar den Wind überholen, und dennoch kann es versäumt werden, rechtzeitig Aktionen einzuleiten, um Menschenleben zu retten. Menschen mit den besten Absichten versuchen seit Generationen, eine wirksame Garantie gegen menschliche Gräueltaten zu schaffen, aber davon sind wir noch weit entfernt.

 

Der unveröffentlichte Roman meines Vaters endet mit einer Mahnung, und zwar zwischen dem Protagonisten Peter und einem Freund: »Die Hauptsache ist, man selbst zu bleiben, unter allen Umständen; das war und ist unser allgemeines Ziel.« Als Peter allein ist, wiederholt er dieses Mantra, als suche er eine Quelle der Sicherheit in einer Welt, in der angebliche, absolute Wahrheiten ihre Bedeutung verloren haben: »Die Hauptsache ist, man selbst zu sein.«64

Beim ersten Lesen fragte ich mich, was mein Vater mit diesem Satz wohl gemeint haben mochte. Spielte er womöglich indirekt auf das jüdische Erbe unserer Familie an? Inzwischen bin ich mir sicher, dass es nicht darum ging. Als er über die Zeit nach dem Krieg schrieb, eine Zeit, in der seine Landsleute untereinander gespalten waren, wie er erkannte, hatte er wahrscheinlich nicht die religiöse, geschweige denn ethnische Identität im Sinn. Für ihn hieß »man selbst sein« oder sich treu sein, den humanitären Wertvorstellungen entsprechen, die in der ersten Tschechoslowakischen Republik verfochten wurden. Die Ethik eines Tomáš G. Masaryk brannte am stärksten im Kopf und Herzen meines Vaters. In diesem Sinn ist die Vorstellung, »sich treu zu sein«, nicht etwa einengend, was für die Kategorien Nation und Glaube naturgemäß gilt. Genaugenommen spiegelt schon die Überzeugung an sich, dass »man selbst sein« ein lohnendes Ziel sei, einen tiefen Optimismus wider – insbesondere nach den Ereignissen, die Europa und die ganze Welt zwischen 1937 und 1948 erschütterten.

Es wäre tatsächlich eine gute Nachricht, wenn Menschen gegen ihre Natur gehandelt hätten, als sie unter dem Druck der Kriegsbedingungen mehr Grausamkeit als Mitgefühl und mehr Feigheit als Zivilcourage an den Tag legten; oder wenn jene, die begeistert Hitler und Stalin feierten, zunächst zu etwas anderem als »sie selbst« gemacht worden wären. Mit diesen Worten habe ich keineswegs die Absicht, eine philosophische oder gar theologische Diskussion über den Charakter des Menschen anzufangen. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, über das hinauszugehen, was wir wissen und mit eigenen Augen gesehen haben.

In Anbetracht der in diesem Buch beschriebenen Ereignisse kommen wir an der Erkenntnis nicht vorbei, dass uns Menschen die Fähigkeit zu einer unaussprechlichen Grausamkeit oder – um den Rechtschaffenen gerecht zu werden – zumindest bis zu einem gewissen Grad zu einer moralischen Feigheit gegeben ist. In den meisten von uns steckt ein Stück weit der Verräter, der Ansatz eines Kollaborateurs, eine Neigung zur Beschwichtigung, der Hauch des gefühllosen Gefängniswächters. Wer von uns hat noch nie andere entwürdigt, wenn nicht mit Worten oder Taten, so zumindest in Gedanken? Von der Wiege bis zum Grab ist in unserer Brust nicht alles eitel Sonnenschein. Manche sind deshalb zu dem Schluss gelangt, dass wir von unseren Führern eine eiserne Hand brauchen, eine Ideologie, die alles erklärt, oder einen historischen Groll, der als Dreh- und Angelpunkt für unser Leben dienen kann. Wieder andere untersuchen die Vergangenheit und zweifeln, ob wir jemals etwas daraus lernen werden. Stattdessen vergleichen sie uns Menschen mit einem Versuchstier im Labor in einem Laufrad, das rennt und rennt und nie vom Fleck kommt.

Wenn ich dieser trostlosen Prognose zustimmen würde, wäre ich heute morgen gar nicht erst aufgestanden, geschweige denn hätte dieses Buch geschrieben. Ich ziehe die Diagnose Václav Havels vor, dessen Schlussfolgerungen über das menschliche Verhalten im Kalten Krieg geprägt wurden. Mitten in der Unterdrückung jener Jahre machte er zwei verschiedene Typen von Hoffnung aus. Die erste verglich er mit der Sehnsucht nach »einer Form von Rettung von außen«. Diese ließ die Menschen abwarten und nichts unternehmen, weil sie »das Gefühl verloren hatten, dass es irgendetwas gab, das sie tun könnten … Also warteten sie [im Grunde] auf Godot. … Aber Godot ist eine Illusion. Er ist das Produkt unserer eigenen Hilflosigkeit, ein Flicken auf einem Loch im Geist … die Hoffnung von Menschen ohne Hoffnung.«

»Auf der anderen Seite des Spektrums«, sagte Havel, gebe es jene, die hartnäckig behaupteten, sie würden »die Wahrheit sagen, einfach weil sie es für richtig hielten, ohne darüber nachzudenken, ob es morgen oder übermorgen oder irgendwann auch irgendwohin führen wird«. Auch dieser Drang ist absolut menschlich, genau wie die Neigung zur Verzweiflung. Ein solcher Wagemut, argumentierte Havel, erwächst aus dem Glauben, dass eine Wiederholung der Wahrheit an sich bereits sinnvoll ist, unabhängig davon, ob sie »geachtet oder erfolgreich oder zum hundertsten Mal unterdrückt wird. Zumindest heißt das, dass jemand nicht die verlogene Regierung unterstützt.«65

Es gibt unzählige Fälle von Grausamkeit und Verrat in diesem Buch, aber das ist nicht das Vermächtnis, das ich mitnehme, wenn ich in das nächste Kapitel meines Lebens wechsle. In der Welt, die ich mir zu meiner Heimat auserwählt habe, muss sich selbst der kälteste Winter unweigerlich den Kräften des Frühjahrs beugen, und die düsterste Sichtweise der menschlichen Natur macht früher oder später Sonnenstrahlen Platz.

Richten wir deshalb das Augenmerk nicht auf den hartgefrorenen Boden, sondern auf die keimenden grünen Blätter, auf die Männer und Frauen, die jeder Unbill auf die richtige Weise, nämlich mit Mut und Zuversicht, begegnen. Denken wir an jene, die durch Hitlers Bomben enger zusammenrückten und in der Krise den Mut und die Stärke fanden, die sie fast vergessen hatten. Ehren wir die Soldaten, die an der Küste der Normandie ihr Leben riskierten und die sich in den Ardennen durch den Schnee kämpften, um einen Tyrannen zu besiegen. Erinnern wir uns an die Flieger und Soldaten, die in ihrem Exil darum kämpften, die Ehre ihres Landes wiederherzustellen  – sowie an die Ladenbesitzer, die in dem wahnwitzigen Unterfangen, ihre Heimat zurückzufordern, Pflastersteine gegen Panzer warfen. Feiern wir den stillen, englischen Makler, der, während andere untätig blieben, auf eigene Faust Wege fand, das Leben meiner Cousine und Hunderter unschuldiger Kinder zu retten. Denken wir an die Courage einer Frau mittleren Alters, die mit Schmuggelware in der Handtasche, das Schicksal mutiger Männer im Sinn und Zyanid in ihrer Jackentasche durch die Straßen des besetzten Prags schlich. Erinnern wir uns an die Jungen und Mädchen, die den Mut hatten, Gedichte zu schreiben und Kunstwerke zu schaffen, sowie an die Erwachsenen, denen das Leben so wichtig war, dass sie über Philosophie diskutierten, sich der Heilkunst widmeten und ihre wenigen Habseligkeiten teilten – und das in einem Gefängnis, das ausdrücklich das Ziel hatte, ihren Geist zu brechen. Erquicken wir unsere Sinne mit dem Bild Jan Masaryks, der aus der Gesellschaft der Beschwichtiger, Faschisten und Kommunisten ausscherte, um einen Witz zu erzählen, auf dem Klavier zu klimpern und aus vollem Hals Lieder über Waldnymphen und Wassergeister zu schmettern. Stellen wir uns die leise Stimme eines jüdischen Gefangenen vor, der unter den Sternen ein Requiem sang, während er neben einer eingestürzten Kirche in Lidice Erde schaufelte.

»Die Seele wird von Unglück und Kummer gereinigt, wie das Gold vom Feuer.« Das sagt die Großmutter in Božena Němcovás Roman. »Ohne Kummer gibt es auch keine Freude.«

Mein Leben lang habe ich nach Mitteln gegen alle Arten von Problemen gesucht, persönliche, soziale, politische, globale. Ich hege ein tiefes Misstrauen gegen Menschen, die simple Lösungen und Erklärungen von absoluter Gewissheit anbieten oder die von sich behaupten, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Allerdings bin ich ebenso skeptisch gegen all jene geworden, die andeuten, alles sei viel zu facettenreich und komplex, als dass wir daraus etwas lernen könnten, dass alles und jedes so viele Seiten habe, dass wir unser Leben lang tagtäglich forschen können und am Ende doch nichts mit Sicherheit wissen. Ich bin überzeugt, dass wir die Wahrheit erkennen, wenn wir sie sehen, allerdings nicht sofort und nur wenn wir niemals in unseren Bemühungen, Neues zu lernen, nachlassen. Das liegt daran, dass wir das Ziel, das wir anstreben, und das Gute, auf das wir hoffen, nicht als eine Art letzter Belohnung erreichen werden, sondern als der heimliche Begleiter unseres Strebens. Nicht das, was wir finden, sondern der Grund, weshalb wir nicht aufhören können, zu suchen und zu streben, sagt uns, warum wir hier sind.