image

OTTO VON BISMARCK (1815–1898) ist angesichts aktueller politischer Problemsituationen gefragter denn je – nicht nur im Gedenkjahr 2015 anlässlich seines 200. Geburtstages. Seine politische Karriere beginnt 1847 mit einer Mitgliedschaft im Vereinigten Landtag. Im Mai 1851 wird er zum Legationsrat und Gesandten am Frankfurter Bundestag berufen. Nach kurzen Stationen als Gesandter in St. Petersburg und Paris erfolgt 1862 die Ernennung zum Preußischen Ministerpräsidenten, mit der Reichsgründung am 18. Januar 1871 schließlich bekleidet er das Amt des Reichskanzlers. Bis zu seiner Entlassung durch Wilhelm II. im Jahre 1890 wird er maßgeblich die Innen- und Außenpolitik des Kaiserreichs gestalten.

DR. KLAUS KREMB, geb. 1950, studierte Geschichte, Wissenschaftliche Politik sowie Geographie an der TU Darmstadt. Seinen Schuldienst begann er 1978 im Gymnasium Weierhof. 1993 wurde er zum Oberstudiendirektor am Wilhelm-Erb-Gymnasium Winnweiler ernannt, das er bis 2011 leitete. Im Hochschuldienst ist er seit 2004 als Lehrbeauftragter im Fachgebiet Politikwissenschaft der TU Kaiserslautern tätig.

Zum Buch

»Es ist schwer, unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.«

Wilhelm I.

Otto von Bismarck (1815–1898) hat bis heute nichts von seiner Strahlkraft und Bedeutung verloren. Noch immer gilt er als einer der wichtigsten, aber auch konfliktbereitesten Staatsmänner der deutschen Geschichte. Wie kein zweiter hat er die deutsche Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestaltet.

Die wesentlichen Grundlagen seines politischen Handelns wurden jedoch schon deutlich früher, in den 1830/40er Jahren gelegt. Hier setzt der vorliegende Band an. Er zeigt auf, wie das politische Denken Bismarcks geprägt wurde und sich entfaltete. Die Kanzlerjahre von 1871 bis 1890 gewinnen so ihr Profil. Anhand einer Auswahl zentraler Texte aus Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« erhält der Leser die Möglichkeit, sich ein eigenständiges Bild von Bismarcks politischer Ideenwelt zu machen.

Otto von Bismarck

Politisches Denken

Otto von Bismarck
Politisches Denken

Ausgewählt und kommentiert von
Klaus Kremb

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015 Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015 Covergestaltung: network! Werbeagentur GmbH, München Bildnachweis: Anton von Werner, »Fürst Bismarck am Bundesratstisch«. Gemälde 1888, Berlin © akg-images GmbH, Berlin eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0509-4

www.verlagshaus-roemerweg.de

»Bismarck, das ist der Mensch mit seinem Widerspruch; und jene, die meinen, diesen Widerspruch zur Einheit auflösen zu können, werden sich immer über ihn streiten.«

Golo Mann

INHALT

VORWORT

1. POLITISCHES DENKEN IM 19. JAHRHUNDERT

2. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN

2.1. Politische Prägungen

2.2. Politische Professionalisierung

2.3. Deutsche Frage

2.4. Politisches System des Kaiserreiches

2.5. Internationale Beziehungen

2.6. Konstanten in Bismarcks politischem Denken

3. OTTO VON BISMARCK IN SEINEN GEDANKEN UND ERINNERUNGEN

3.1. Politische Prägung

3.1.1. Politische Sozialisation im »Vormärz«

3.1.2. Politische Ausformung in der Revolution von 1848/49

3.2. Politische Professionalisierung

3.2.1. Parlamentarische Stationen

3.2.2. Diplomatische Stationen

3.2.3. Preußischer Verfassungskonflikt von 1862

3.3. Deutsche Frage

3.3.1. Nationale Idee von 1864

3.3.2. Nationale Weichenstellung von 1866

3.3.3. Reichsgründung von 1871

3.4. Politisches System des Kaiserreiches

3.4.1. Kanzlerregime und Volksvertretung

3.4.2. Kirche und Staat

3.4.3. Kapital und Arbeit

3.4.4. Nationalgedanke und Partikularinteressen

3.5. Internationale Beziehungen

3.5.1. Österreich

3.5.2. Russland

3.5.3. Frankreich

3.5.4. Großbritannien

3.5.5. Vereinigte Staaten von Amerika

3.5.6. Afrika

4. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN IM URTEIL DER NACHWELT

5. ANHANG

5.1. Anmerkungen

5.2. Glossar

5.3. Literatur

5.4. Abbildungen

5.5. Editorische Notiz

image

Abb. 1: Bismarck-Denkmal in Berlin (1901–1938/39 vor dem Deutschen Reichstag, seither am »Großen Stern« platziert)

VORWORT

»Wir stehen vor einer neuen Welt.« Als Premierminister Benjamin Disraeli dies am 9. Februar 1871 im britischen Unterhaus äußerte, bezog er sich auf die Deutsche Reichsgründung vom 18. Januar 1871; denn: »Was hat sich jetzt ereignet?« – seine Antwort: »Das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört.«1

Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches war also nicht nur ein nationales Ereignis, sondern in gleicher Weise auch ein internationales. Für Otto von Bismarck, den deutschen Reichskanzler, verschoben sich damit die Gewichte: von der militärisch grundgelegten Staatsbildung zur bündnispolitisch abgesicherten Konsolidierung und Bewahrung unter der Maxime »Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine Sicherheitspolitik.«2

Das war jedoch eine Kehrtwende ohne großen Entscheidungsspielraum, denn sie resultierte aus einem Sicherheitsdilemma, dem potenziellen Mehrfrontenrisiko des neuen Staates. In einem Tischgespräch Anfang Dezember 1870 brachte Bismarck es auf den Punkt: »Wir balancieren auf der Spitze eines Blitzableiters.«3

Vor einem ähnlichen Balanceakt stand er innenpolitisch. Denn das Deutsche Kaiserreich war nicht nur eine »verspätete Nation«4, sondern genau dadurch auch als zukunftsfähiger Wirtschaftsraum ein Nachzügler. »Nachholende Entwicklung« wurde so zum Leitziel. Für Bismarck gab es dafür nur einen politischen Rahmen: ein kaisergebundenes charismatisches Kanzlerregime.

Einblicke in sein politisches Selbstverständnis ermöglichen damit Einsichten in politisches Denken allgemein.

Zentrale Quelle dafür sind seine Gedanken und Erinnerungen, deren zwei Hauptbände ein halbes Jahr nach seinem Tod erschienen und zahlreiche Auflagen erlebten. Ein dritter Band folgte 1919.

Bismarcks Gedanken und Erinnerungen trugen zusammen mit zahlreichen Denkmälern (Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine, Obelisken etc.), die ihm im Kaiserreich gesetzt wurden, zu einem folgenreichen Mythos bei, der nicht erst in heutiger Distanz höchst ambivalent erscheint.

So notierte der damals junge Theaterkritiker Alfred Kerr auf die Nachricht vom Tod Bismarcks am 30. Juli 1898: »In dieser Sekunde fühlt man, mag [auch] eine Art Haß die Grundempfindung gegen ihn gewesen sein, wie tief man ihn immer grollend verehrt hat.«5

1. POLITISCHES DENKEN IM 19. JAHRHUNDERT

Das politische Denken im Europa des 19. Jahrhunderts war hauptsächlich von drei Grundrichtungen bestimmt: Konservativismus, Liberalismus und Sozialismus.1 Entsprechend standen sich drei politische Grundpositionen gegenüber: die Überzeugung, dass »Veränderungen notwendig bleiben, aber langsam und mit Augenmaß erfolgen müssen«2; die Forderung »persönlicher Freiheit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Repräsentation«3; die Idee einer »Nivellierung der gesellschaftlichen Unterschiede«, um eine »gerechtere Wirtschafts- und Sozialordnung« zu erreichen4.

Entsprechend weit gespannt waren die daraus abgeleiteten politischen Programme. Eine Ausdifferenzierung erfuhren sie in Deutschland insbesondere im Kontext der Revolution von 1848/49 und in den vorausgehenden »vormärzlichen« Diskussionen. Dabei standen v.a. zwei Schlüsselbegriffe – und damit politische Hauptziele – im Mittelpunkt: Einheit und Freiheit. Sollte nämlich eines der Ziele vorrangig sein? Und wenn ja, dann welches? Oder sollten beide gemeinsam angestrebt werden? Daraus folgte eine breite Antwortpalette: »Freiheit für alle, aber des Vaterlandes Kraft und Wohlfahrt über alles«5; »Durch Einheit zur Freiheit«6; »Der deutsche Staat und die deutsche Einheit müssen gleichzeitig mit denselben Mitteln erreicht werden.«7

Für Johann Gustav Droysen, einen der wichtigsten deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts, war dabei entscheidend, dass es »so sehr […] auf Macht und nur auf Macht an[kommt], daß selbst die Freiheit wertlos ist ohne sie.«8 Pointierter lässt sich der Gedanke der Realpolitik – im Innen- wie Außenpolitischen – kaum formulieren.

Richtungsweisend entfaltet wurde der Gedanke der Realpolitik 1853 durch den Publizisten Ludwig August von Rochau. Dessen »Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands« waren der Versuch, Folgerungen aus der Revolution von 1848/49 zu ziehen. Rochau ging darin vom Gedanken aus, dass »das Gesetz der Stärke über das Staatsleben eine ähnliche Herrschaft ausübt wie das Gesetz der Schwere über die Körperwelt«, woraus er gefolgert hat: »Nur als Macht ist das Recht zur Herrschaft berufen [… und je vollständiger dies gelingt,] desto gesunder ist der politische Körper.«9

Somit sind es weniger Ideen, die wirksam werden, als vielmehr das »reale« Handeln von Staaten bzw. »Staatsmännern«, deren Denken und Handeln von Machtinteressen und Machtrivalität bestimmt ist. Internationalpolitisch wird durch die sich aus dem zwischenstaatlichen Sicherheitsdilemma ergebende Sicherheitskonkurrenz zu einem entscheidenden Faktor. Denn Maßnahmen eines Staates, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, werden von anderen Staaten als Sicherheitsgefährdung wahrgenommen. Zweckmäßig lösbar ist dieses Problem nur durch ein international vereinbartes Machtgleichgewicht mit dem Ziel der kollektiven Sicherheit.

Für das 19. Jahrhundert war dieses Konzept mit den Verträgen des Wiener Kongresses 1814/15 grundgelegt worden und fand in Formulierungen wie »concert européen, concert diplomatique, système européen« seinen sprachbildlichen Ausdruck.10 Dieses europäische Konzert umfasste zunächst als Hauptakteure die Großmächte Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen. Als fünfte Großmacht kam 1818 Frankreich dazu. Damit war ein System konzipiert, das als »Pentarchie« firmierte. 1856 wurde zusätzlich die Türkei aufgenommen. Formalisiert in zwei Kongressen (1856 in Paris, 1878 in Berlin) und insgesamt 24 Konferenzen (letztmals 1912/13 in London),11 erwies sich dieses System durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch als insgesamt stabilisierendes Instrument der kollektiven Sicherheit.

Zentrales Thema politischer Theorie im 19. Jahrhundert war jedoch weniger das internationale Beziehungssystem, sondern ganz allgemein der Staatsgedanke. Hervorzuheben sind dabei besonders Georg Friedrich Hegel und Alexis de Tocqueville.

Hegels Staatslehre zielt darauf ab, dass der einzelne Bürger sich in seinem Staat heimisch und geborgen fühlt und dass er den Institutionen vertraut. Damit wird die Gesinnung zum entscheidenden Faktor für die normative Integration der Gesellschaft. Als Sinnstifter gegenüber den Bürgern, »die selbst nur wenig partizipieren«, fungiert dabei der Monarch »durch die symbolische Darstellung des Gemeinwesens«.12

Ganz andere Akzente hat Tocqueville gesetzt. In seiner 1835–40 veröffentlichten Analyse der amerikanischen Verfassung geht er von der konstitutionell »gesicherten und in den Gewohnheiten stabilisierten Volkssouveränität« aus.13

Hegel und Tocqueville haben damit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Staatskonzepte vorgelegt, die für das politische Denken in der Folgezeit eine ganz wesentliche Folie darstellten.

Beider Themen war die Suche nach konstruktiven Ideen eines »bürgerlichen« Staates. Das betraf bei Hegel – im Bewusstsein der Amerikanischen und Französischen wie der Industriellen Revolution – aber nicht allein die politische, sondern auch die ökonomische Ebene. Denn in seinen 1820 erschienenen »Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse« sah er die »bürgerliche Gesellschaft, […] in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen«, von einer Kollision zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen der »Anhäufung der Reichtümer« und einem »Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise« bestimmt.14 Damit war zugleich der Sozialismus Marx’scher Prägung vorbereitet.

Otto von Bismarck, der wie kein zweiter das politische Denken im Deutschland der 1860er bis 80er Jahren prägte und dafür Zustimmung wie Widerspruch erfuhr, hatte es demzufolge mit einem vielschichtigen Reservoir politischer Denkmuster zu tun, die im »Schachbrett der Politik«15 Faktoren darstellten. Sein Aktionsfeld sah er auf dem »europäischen Schachbrett«.16 Denn Politik verstand er als Spiel, als Schach- und »europäisches Kartenspiel«.17Wohlüberlegte Spielzüge waren also ebenso gefragt wie der ergebnisorientierte Umgang mit »Veto-Spielern«.18

Im 19. Jahrhundert erfolgte dabei – so der amerikanische Politikwissenschaftler und Weltpolitiker Henry Kissinger – eine grundlegende Gewichtsverlagerung »in der europäischen internationalen Ordnung«. Als deren Protagonisten stellt er Bismarck und Klemens von Metternich heraus.

Die Leitlinie gab Metternich vor: »Wo alles wankt, ist vor allem nötig, daß irgendetwas beharre, wo das Suchende sich anschließen, das Verirrte seine Zuflucht finden kann.«19 Als österreichischer Staatskanzler von 1821 bis 1848 resultierte für ihn daraus die Bewahrung der bestehenden Ordnung.

Bismarck interpretierte denselben gedanklichen Ausgangspunkt dagegen ganz anders. Für ihn war eine zukunftsfähige staatliche Ordnung in Deutschland vor ihrer Bewahrung erst noch zu schaffen.

Kritisch begleitet wurde Bismarck in seiner hierauf ausgerichteten Ordnungsstrategie vom Kladderadatsch, dem in Berlin herausgegebenen politisch-satirischen, national ausgerichteten Wochenblatt. Eine der insgesamt rund 300 Karikaturen, die Bismarcks politischer Arbeit galten,20 personifizierte ihn 1887 als »Europas Central-Weichensteller«.

image

Abb. 2: Otto von Bismarck als »Europas Central-Weichensteller«

2. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN

Das politische Denken Bismarcks, aus dem er ab 1862 als preußischer Ministerpräsident und ab 1871 als deutscher Reichskanzler seine Entscheidungen ableitete und das ihn auch noch nach seinem 1890 erfolgten Abschied aus beiden Ämtern bis zu seinem Tod 1898 bestimmte, hat seine wesentlichen Prägungen in den 1830/40er Jahren erfahren.

Für seinen Weg in die Politik wegweisend waren die Jahre 1847–49 und damit der »Aufruhr gegen die Ordnung der Dinge«.1 Denn zwischen der 1815/16 geschaffenen politischen Ordnung und der seitherigen sozialökonomischen Entwicklung war eine gefährliche Asymmetrie entstanden. Bismarcks Weg in die Politik hat hier ihre entscheidenden Wurzeln.

Das Verändern stand dabei aber nur an zweiter Stelle. Entscheidender war das Bewahren. Das zeigen v.a. seine Handlungsmuster im und nach den militärischen europäischen Konflikten von 1866 und 1870/71 sowie in den innenpolitischen Spannungsfeldern und den internationalen Beziehungen des Deutschen Kaiserreiches in den 1870/80er Jahren.

2.1. POLITISCHE PRÄGUNGEN

Wenn es zutrifft, was Bismarck in einem Brief vom Mai 1860 schrieb, »daß niemand den Stempel wieder verliert, den ihm die Zeit der Jugendeindrücke aufprägt«, dann war die Prägung seiner Sichtweise »mit den Augen meiner Standesgenossen, der Ritterschaft« erfolgt.2 Die Folge daraus hat Bismarck im gleichen Brief auf einen klaren Nenner gebracht: »Mit meinem eigenen Lehnsherrn stehe ich und falle ich, auch wenn er sich meines Erachtens thöricht zu Grunde richtete.«3

Zeittafel I (1815–1849)

1. April 1815: Geburt Otto von Bismarcks in Schönhausen bei Stendal

8. Juni 1815: Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress

1832: Abitur Bismarcks im Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin

Mai 1832: Hambacher Fest (»Nationalfest der Deutschen«)

1832: Immatrikulation Bismarcks an der Universität Göttingen. Studium der Rechts- und Staatswissenschaften

1833: Wechsel zur Universität Berlin

1835: Erstes juristisches Staatsexamen; anschließend Referendariat in Berlin, Aachen und Potsdam

1838: Abbruch des Referendariats; Verwaltung der pommerschen Familiengüter

1846: Übernahme des Gutes Schönhausen; Deichhauptmann von Jerichow für das rechte Elbufer

1847: Abgeordneter im Vereinigten Preußischen Landtag; Vermählung mit Johanna von Puttkamer

1848/49: Deutsche Revolution

28. April 1849: Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch den preußischen König

Die monarchisch-ritterschaftliche Prägung seines Elternhauses hat Bismarck nicht nur in seinen Studienjahren, sondern darüber hinaus sein Leben lang bewahrt. Eine wichtige Facette kam in seiner Referendarszeit dazu. So schrieb er in einem Brief im September 1836 an den Vater: »Die Wirksamkeit des einzelnen Beamten bei uns ist wenig selbstständig, auch die des höchsten, und bei den andern beschränkt sie sich schon wesentlich darauf, die administrative Maschinerie in dem einmal vorgezeichneten Gleise fortzuschieben. Der preußische Beamte gleicht dem Einzelnen in einem Orchester; mag er die erste Violine oder den Triangel spielen: ohne Übersicht und Einfluß auf das Ganze, muß er sein Bruchstück abspielen, wie es ihm gesetzt ist, er mag es für gut oder schlecht halten. Ich aber will Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine.«4

Sein Ausscheiden aus dem juristisch-administrativen Staatsdienst war für Bismarck deshalb nur folgerichtig. Dadurch widmete er sich für insgesamt ein Jahrzehnt der Verwaltung der Familiengüter, heiratete Johanna von Puttkamer (1847), betätigte sich aber auch – in allerdings sehr engem Rahmen – im öffentlichen Leben: als Deputierter in der Selbstverwaltung des Naugarder Kreises (60 km nordöstlich von Stettin) und »vertrat in dieser Funktion gelegentlich seinen Bruder Bernhard in landrätlichen Geschäften.«5 Zudem berichtet er in einem Brief vom Jahresanfang 1847 aus Schloss Schönhausen, dem Familiensitz bei Stendal im heutigen Sachsen-Anhalt, von der ihm in diesem Winter wegen des erhöhten Eisgangs und Wasserstandes der Elbe sehr zeitaufwändigen Tätigkeit als Deichhauptmann.6

Bismarcks politische Betätigung war bis zum Winter 1846/47 deshalb beschränkt auf das Kommunale. Dann wurde Bismarck jedoch als Nachrücker für einen erkrankten Abgeordneten des Sächsischen Provinziallandtages in den Vereinigten Landtag in Berlin berufen. Mit diesem preußischen Gesamtlandtag versuchte König Friedrich Wilhelm IV. die lauter werdenden Forderungen nach einer grundlegenden Staatsreform zu unterlaufen. Das gelang jedoch nicht, denn »die Eigendynamik der Verhandlungen führte rasch zur Formierung einer provinz- und ständeübergreifenden liberalen Fraktion und drängte damit auch die Gegenseite stärker zur konservativen Partei- und Fraktionsbildung als es vom König gewollt war.«7 Einen plastischen Eindruck von der damit entstandenen Konfliktlinie gibt ein Brief Bismarcks vom 18. Mai 1847. Tags zuvor hatte er seine erste Landtagsrede gehalten und sich mit ihr klar für die »Regierung« positioniert. Aber – so Bismarck – die »befindet sich, bei vollständigem Recht, stets in der Minderheit.«8 Das monarchisch-ritterschaftliche Ideal war damit in Gefahr.

Für Bismarck erwuchs daraus eine Lebensbestimmung: »Die Sache ergreift mich vielmehr als ich dachte.«9 Am Ende der zweimonatigen Sitzungsperiode hatte er »sich einen Namen gemacht als unbedingter Vorkämpfer der Krone, seinen Einfluss unter den hochkonservativen Kreisen der Hofpartei ausgebaut und selbst dem König war er aufgefallen.«10

Im Folgejahr begann dann die Deutsche Revolution. Freiheit und Einheit wurden nun zum politischen Generalthema – zunächst im Parlament. In der von der Deutschen Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche erarbeiteten Verfassung sah Bismarck in seiner Rede am 21. April 1849 in der Preußischen Zweiten Kammer eine »konstituierte Anarchie« und das aus gleich mehreren Gründen: Die »Verfassung bringt uns unter ihren Gedanken zuerst das Prinzip der Volkssouveränität. [… Sie] veranlaßt den [preußischen] König, seine bisher freie Krone als Lehen von der Frankfurter Versammlung anzunehmen, und wenn diese Volksvertreter es dreimal beschließen, so hat der König wie jeder andere Fürst, der Untertan des […] Bundesvolkes geworden ist, aufgehört zu regieren. [… Das nächste] Übel, welches uns die Frankfurter Verfassung bringt, ist die jährliche Bewilligung des Budgets. Durch diesen Paragraphen ist es in die Hände derjenigen Majorität, die aus dem Lottospiel dieser direkten Wahlen hervorgehen wird […], in die Hände dieser Majorität ist es gelegt, die Staatsmaschinerie in jedem Augenblick zum Stillstand zu bringen, indem sie das Budget nicht wieder bewilligt und so als Konvent die ganze königliche und jede andere Macht im Staate neutralisiert und das scheint mir in hohem Maße gefährlich. […] Die Frankfurter Versammlung verlangt ferner von ihrem zukünftigen Kaiser, daß er ihr das ganze Deutschland schaffe. […] Es wird also der König, wenn er Kaiser würde, genötigt sein, nach Österreich usw. Kaiserlich deutsche Kommissare zu schicken, um dort das Zoll- und Münzwesen usw. zu regulieren, die dortigen Armeen in Eid und Pflicht zu nehmen. […] Es wäre [aber] möglich, daß Österreich oder ein Staat wie Bayern sich dem nicht unterwerfen möchte; dann würde der Kaiser genötigt sein, die dortigen Fürsten als Rebellen zu behandeln. […] Die deutsche Einheit will jeder, den man danach fragt, […] mit dieser Verfassung aber will er sie nicht. […] Die Frankfurter Krone mag sehr glänzend sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit verleiht, soll erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone gewonnen werden und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der Form dieser Verfassung gelinge.«11 Eine Woche später lehnte der preußische König die Deutsche Kaiserkrone ab.

Die nationale Idee blieb jedoch weiter bestehen: »Wir alle wollen, daß der preußische Adler seine Fittiche von der Memel bis zum Donnersberge schützend und herrschend ausbreite, aber frei wollen wir ihn sehen, nicht gefesselt von einem neuen Regensburger Reichstag und nicht gestutzt an den Flügeln von jener gleichmachenden Heckenschere aus Frankfurt.«12 Ein Deutschland also von Ostpreußen (Memel) bis zum Bayerischen Rheinkreis (Donnersberg in der Pfalz) war die Vision, aber nicht als parlamentarische, sondern als obrigkeitsstaatliche, preußisch dominierte Ordnung. Denn »Preußen sind wir und Preußen wollen wir auch bleiben.«13

Der Frankfurter Weg zu einer deutschen Nation war für Bismarck deshalb unannehmbar. Gangbarer war vielmehr ein Weg auf der Grundlage des Dreikönigsbündnisses vom 26. Mai 1849 zwischen Preußen, Hannover und Sachsen. Ziel war eine »Deutsche Union«, zu deren Schaffung im April 1850 in Erfurt ein »Deutsches Parlament« beraten sollte. Aber auch dieses Projekt scheiterte. Am 29. November 1850 einigte sich Preußen daraufhin in Olmütz mit Österreich, den Deutschen Bund von 1815 fortzuführen. Die dabei zu verfolgende politische Maxime brachte Bismarck am 3. Dezember 1850 in der Preußischen Zweiten Kammer auf den Punkt: »Ich suche die preußische Ehre darin, daß Preußen vor allem sich von jeder schmachvollen Verbindung mit der Demokratie entfernt halte.«14

Und »preußische Ehre«, das hieß »vereinigt mit Gott für König und Vaterland« – gemäß dem Leitspruch der ultrakonservativen Neuen Preußischen Zeitung, die im Juni 1848 begründet worden war. Bismarck hatte daran »erheblichen Anteil. Er gehörte von Anfang an zum engsten Mitarbeiterstab.«15

Die erste Karikatur auf Bismarck, vom 4. November 1849 in der Satirezeitschrift Kladderadatsch, nimmt u.a. darauf Bezug. Denn die Neue Preußische Zeitung, wegen ihres Titelsignets auch als Kreuzzeitung bezeichnet, und mit ihr der preußische politische Konservativismus waren bestimmt von Hermann Wagner, dem Chefredakteur, sowie Bismarck und den Brüdern Ernst Ludwig und Leopold von Gerlach. Dargestellt werden sie in Anspielung auf die Romanfigur des Don Quichotte und den sieglosen mittelalterlichen Kreuzfahrer Peter von Amiens.

image

Abb. 3: Erste Karikatur auf Otto von Bismarck, Kladderadatsch, 1849

2.2. POLITISCHE PROFESSIONALISIERUNG

Spätestens mit der Gegenrevolution von 1849 war Bismarcks Weg in die Politik eine Richtung gegeben. Zwei Jahre später begann er in diplomatischen Diensten weitere Schritte: als preußischer Gesandter beim Bundestag in Frankfurt, gefolgt von Stationen in St. Petersburg und Paris.

1862 – als neuberufener preußischer Ministerpräsident – präzisierte Bismarck dann seine politische Programmperspektive: »Blut und Eisen« entscheiden die großen Zeitfragen.

Zeittafel II (1849–1862)

5. Februar 1849: Wahl Bismarcks in die Zweite Kammer des Preußischen Landtages

28. März 1849: Verkündigung der Reichsverfassung durch die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt a.M.

28. April 1849: Scheitern der Reichsverfassung in Folge der Ablehnung der Kaiserkrone durch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen

23. Juli 1849: Kapitulation badisch-pfälzischer Revolutionäre in der Festung Rastatt vor preußischen Truppen (Ende der Deutschen Revolution)

31. Januar 1850: Wahl zum Abgeordneten des Erfurter Unionsparlamentes

15. Juli 1851: Ernennung zum Preußischen Bundestagsgesandten in Frankfurt a.M.

21. November 1854: Berufung in das Preußische Herrenhaus

29. Januar 1859: Ernennung zum preußischen Gesandten in St. Petersburg

22. Mai 1862: Ernennung zum preußischen Gesandten in Paris

23. September 1862: Beginn des Verfassungskonfliktes in Preußen

8. Oktober 1862: Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen

1849 waren die großen Zeitfragen für Bismarck noch primär Fragen der preußischen bzw. preußisch-deutschen Politik. Als sein Aktionsfeld sah er dabei die Zweite Kammer des Preußischen Landtages an. Dessen Grundlage war die durch König Friedrich Wilhelm IV. am 5. Dezember 1848 oktroyierte Verfassung. Die Zweite Kammer – gewählt auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechtes – bildete dabei das Gegengewicht zur durch Erbvertretung gebildeten Ersten Kammer. Beide Kammern zusammen bildeten die Legislative. Dass Bismarck dabei in die Zweite Kammer gewählt wurde, basiert auf seiner Zugehörigkeit zum Niederadel. Wie sehr er sich allerdings für adlige Belange insgesamt einsetzte, bewies er in einer Kammerrede am 24. Oktober 1849 in der Debatte um die Erblichkeit der Mitglieder »im Oberhause«, denn er argumentierte: »Wenn ich in dem Grade ein Gegner verfassungsmäßiger Zustände wäre, wie mir und meinen politischen Freunden von mancher Seite gern untergeschoben wird, so würde ich mich mit Entschiedenheit gegen eine erbliche Pairie erklären, denn ich glaube, daß gerade in dieser Institution die Bürgschaft zu suchen ist, daß die preußische Verfassung zwischen der Scylla eines wohltuenden Säbelregiments und der Charybdis der Jakobinerherrschaft glücklich hindurchgeschifft ist.«16 Die Erbvertretung der Ersten Kammer war für Bismarck damit ein Garant der staatlichen Stabilität. Eine demokratische Besetzung des Oberhauses lag also völlig außerhalb seines Denkens.