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PROF. DR.
THOMAS SÖREN HOFFMANN

ist Inhaber eines Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Fernuniversität Hagen und hat zuvor an den Universitäten Bonn und Bochum gelehrt. Er wurde 1990 mit einer vergleichenden Arbeit zu Kant und Hegel promoviert und hat sich 1999 mit einer Studie zum Begriff der Natur in der europäischen Philosophie habilitiert. 2007 hat ihm die Universität Oldenburg den Karl-Jaspers-Förderpreis verliehen. Internationale Gastdozenturen und -professuren hatte Hoffmann in Kroatien, Österreich und Argentinien inne.

Zum Buch

Hegel, der „Meisterdenker des Deutschen Idealismus“, ist der letzte große Systematiker der europäischen Philosophie. Hoffmanns Einführung in das Gesamtwerk Hegels, im Jahre 2005 von der FAZ-Literaturbeilage unter die „Jungen Hoffnungen“ gewählt, erscheint jetzt in zweiter, erweiterter und aktualisierter Auflage. Sämtliche Themen der Hegelschen Philosophie – Denken und Natur, Geschichte und Geist, Recht, Religion und Wissenschaft – werden umfassend erschlossen und dem heutigen Leser nahegebracht. Das Buch ist eine persönliche Einladung zum philosophischen Gespräch mit einem der ganz Großen aus der Geschichte des Denkens.

Aus den Besprechungen der ersten Auflage:

¨Thomas Sören Hoffmann hat eine hervorragende Hegel-Darstellung verfaßt. ... Bei Hoffmann darf Hegel er selbst sein.¨

Prof Dr. Michael Pawlik in Frankfurter Allgemeine Zeitung

¨Diese Propädeutik kann als exemplarisch für dasjenige, was eine Denkermonographie ist und sein soll, gelten.¨

Dr. Dr. Max Gottschlich in Synthesis philosophica

¨Kein Hegel-Kommentar war bisher ein solches Lesevergnügen.¨

Felix Heidenreich in Deutsche Allgemeine Zeitung

¨Grâce à son style alerte et à son mode de présentation intéressant, Hoffmann montre la vitalité de la pensée hégélienne et incite le lecteur à un contact neuf ou renouvelé avec cette œuvre.¨

PD Dr. Annette Sell in Bulletin de Littérature Hégélienne

Thomas Sören Hoffmann

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Eine Propädeutik

Thomas Sören Hoffmann

Georg Wilhelm Friedrich
Hegel

Eine Propädeutik

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
https://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8438-0085-3

www.marixverlag.de

Inhalt

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

Allgemeine Literaturhinweise

Zur Einführung

Eine Philosophie der Freiheit

Vorurteile und Irritationen

a)Totalität

b)System

c)Dialektik

d)Logozentrismus

e)Philosophie in ihrer Zeit

f)Das Absolute

Erster Teil:
Jugendschriften und Jenenser Debüt

Schule, Stift, Systemprogramm

a)Ein Lernbeflissener

b)Ein dreifaches Interesse

c)»Ältestes Systemprogramm«

Hegels Apokryphen

a)Eine Wiederentdeckung

b)»Volksreligion und Christentum«

c)Ein »Leben Jesu«

d)»Die Positivität der christlichen Religion«

e)»Glauben und Sein«

f)»Der Geist des Christentums und sein Schicksal«

g)Das »Systemfragment« von 1800

Erste politische Schriften

Jena, exoterisch

a)Der spekulative Begriff des Lebens

b)Die »Differenzschrift«

c)Die Habilitationsschrift

d)Habilitationsthesen

e)Das »Kritische Journal«

f)Skeptizismus, einst und jetzt

g)Krugs Schreibfeder

h)»Glauben und Wissen«

i)Naturrechtsaufsatz

Jena, esoterisch

a)Der Systemzyklus von 1803/04

b)Der Systemzyklus von 1804/05

c)Der Systemzyklus von 1805/06

d)Das »System der Sittlichkeit«

Zweiter Teil:
Phänomenologie und Wissenschaft der Logik

Anamnese des menschlichen Geistes: Phänomenologie

a)Einleitungswissenschaft und Systemteil

b)»Vorrede« und »Einleitung«

c)Die Sinnlichkeit kommt zu Verstand

d)Das Selbstbewußtsein kommt zur Vernunft

e)Der Geist erreicht absolutes Wissen

Das Reich des Begriffs: Wissenschaft der Logik

a)Das Zentrum des Systems

b)Der Anfang beim Sein; Endlichkeit und Unendlichkeit

c)Fürsichsein, Zahl und Maß

d)Mitte in Wesen und Reflexion

e)Wesentliches und absolutes Verhältnis

f)Das Ziel im Begriff

g)Objektivität und Idee

Dritter Teil:
Das Berliner System

Naturphilosophie

a)Natur und Idee

b)Natürliche Natur

c)System der Natur

Philosophie des subjektiven Geistes

a)Manifestation, subjektiv

b)Anthropologie und Bewußtseinslehre

c)Psychologie

Rechts- und Geschichtsphilosophie

a)Abstraktes Recht und Moralität

b)Die sittliche Welt

c)Geschichtsphilosophie

Philosophie der Kunst

a)Vergangenheitscharakter der Kunst

b)Begriff der Kunst

c)Kunstideal und System der Künste

Philosophie der Religion

a)Die Konkordanzthese

b)Hermeneutik der Religion

c)Offenbare als absolute Religion

Philosophie in ihrem Begriff und ihrer Geschichte

a)Die drei Schlüsse

b)Philosophiegeschichte als Entwicklungskontinuum der Idee

c)Nachbemerkung zur Dialektik samt Epilog

Anmerkungen

Personenregister

Sachregister

Vorwort zur zweiten Auflage

Die vorliegende Propädeutik zu Hegel hat bei den Rezensenten, aber auch bei den Lesern, die sich beim Verfasser erfreulich rege gemeldet haben, eine äußerst günstige Aufnahme gefunden. Wiederholt wurde dabei bemerkt, daß man eine Einführung in die Hegelsche Philosophie, die einerseits nicht bloß ein beliebiges akademisches Konstrukt mit Hegelbezug sei, sondern Hegel selbst zu Wort kommen lasse, und die andererseits versuche, Hegel auch philosophisch Interessierten nahezubringen, die nicht schon »Hegelianer« seien und darum auf deren Fragen und Vorbehalte eingehe, schon länger vermißt habe. In der Tat hat dieses Buch, wenn es Hegel denkend zu vergegenwärtigen statt nur zu besprechen vermochte, seinen entscheidenden Dienst getan – und soll nichts anderes auch in der zweiten Auflage tun. Nötig ist eine neuerliche Vergegenwärtigung Hegels, dessen Bild heute oft nur mehr verblaßt, wenn nicht verzerrt vor Augen steht, allemal. So gibt es gerade in der neuesten Sekundärliteratur die Tendenz, Hegel auf ein verstandesphilosophisches Niveau, das nicht das seine ist, hinab zu projizieren und ihn dort sehr kleine Fragen beantworten zu lassen, die naturgemäß ebenfalls nicht die seinen sind. Zugleich geistern, durch eine so beschaffene Literatur ganz unbehelligt, weiterhin Vorurteile gegen Hegel und sein »System« durch die Köpfe, die zu ihrer Behebung zunächst einer ganz elementaren philosophischen Schulung bedürfen, jedenfalls aber nur auf der Basis der Bereitschaft, sich selbst die relative Beschränktheit eines bisherigen Standpunkts (sagen wir eines naturalistischen, eines subjektivistischen, eines pragmatischen) einzugestehen, ausgeräumt werden können. Das vorliegende Buch hat es sich insoweit – ganz im Sinne der Hegelschen »Phänomenologie« – zur Aufgabe gemacht, dazu einzuladen, Standpunkte möglichst in Bewegung zu bringen und sie sich auf jeweils größere Perspektiven hin entwickeln zu lassen – also dazu aufzufordern, »dialektischer« zu werden und gerade so an Inhalt und Intensität zu gewinnen.

Die Neuauflage ließ eine moderate Erweiterung zu: Ergänzungen finden sich zum einen in den Literaturlisten, die aktualisiert worden sind, ebenso an verschiedenen Stellen im Text, wo eine vormals allzu knappe Darstellung jetzt mitunter ein wenig ausführlicher ausfallen konnte. Größere Revisionen hat es dagegen nicht gegeben, und es hätte sie – etwa im Sinne einer fundierteren Entfaltung des Hegelschen Logik-Konzepts – auch nur um den Preis der Sprengung des Formats dieser Propädeutik geben können. Kleinere Versehen, die die erste Version enthielt, sind – hoffentlich möglichst vollzählig – jetzt getilgt worden. Allen, die dabei mitgeholfen haben, das Buch jetzt in erneut und verbessert vorzulegen, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Hagen, im Frühjahr 2012

Thomas Sören Hoffmann

Vorwort zur ersten Auflage

Das vorliegende Buch handelt von einem Philosophen, der wie kaum ein zweiter für Philosophie »großen Stils« steht. Es sind die ganz großen Worte, die bei Hegel wie selbstverständlich fallen und um die sich alles gruppiert: Worte wie Freiheit und Vernunft, Geist und Geschichte, das Absolute und das absolute Wissen – Worte, welche zusammen mit dem Anspruch aufs umfassende System Hegel als philosophischen »Maximalisten« ausweisen, der sich mit weniger als dem für alles nur irgend Einholbare offenen philosophischen Standpunkt nicht zufriedengibt. Wer Hegel verstehen will, wird ohne den Versuch, seinerseits Philosophie als das größtangelegte Geschäft des menschlichen Geistes zu betreiben, nicht weit gelangen.

Gewiß: Hegel ist inzwischen nicht zuletzt deshalb, weil er die Philosophie auf die größte ihr mögliche Form verpflichten, weil er sie als Wissenschaft der Totalität, als alles »usurpierendes« System hat ausführen wollen, zum Stein des Anstoßes geworden – die Zeiten des philosophischen »Maximalismus«, des »Vernunftoptimismus«, des »geschlossenen Systems« scheinen nämlich unwiederbringlich passé, sie haben kleineren Formaten – dem Skeptizismus etwa und der verständigen Haushaltung in einem Denken von bewußt beschränkter Reichweite – Platz gemacht. Hegels Philosophie, die so wenig beliebig gestückelt wie in beliebige Denk-Formate transformiert werden kann, bildet, soweit noch präsent, unter diesen Umständen eine dauernde Provokation: sie bildet sie auch deshalb, weil sie in eins mit der Entfaltung ihres eigenen, universell ausgelegten Standpunkts eine offensive Kritik der kleinen Formate des Denkens von Herzen ist. Denn die großen Worte, die bei Hegel fallen, sind immer auch genaue Resultate der Kritik des kategorialen Zuschnitts minderbestimmter, scheinbar »natürlicher« Intuitionen und Vorurteile, Resultate, die ihre Evidenz gerade aus dem methodischen Vollzug der Kritik endlicher Formen des Meinens und Wissens ziehen. Hegel weiß, daß sich in der offensiven Bejahung von Endlichkeiten aller Art gerade der Versuch verbergen kann, eigene Vorurteile der Kritik, die eigene Beschränktheit ihrer Überwindung zu entziehen. Zwar nicht das Faktum, wohl aber das Pochen auf die »Endlichkeit« des Wissens steht immer in Gefahr, ein Dogmatismus zu sein, gegen den Hegel sowohl die methodische Destruktion aller nur positionellen Wahrheit wie eben auch die Systemform, den Großhorizont des Wissens im ganzen, aufbietet. Mit Hegel denken und seinem Denken nachdenken meint dann immer auch, die gewohnten Denkhorizonte in Bewegung zu setzen und den Versuch zu wagen, das Denken selbst sich als Letzthorizont menschlichen Selbst- und Weltverständnisses entfalten zu lassen. Weil es aber um diese »Dynamisierung« unserer Denkhorizonte geht, erledigt sich gleich auch die Vormeinung, mit Hegel oder »dem System« verfalle das lebendige Philosophieren notwendig in paragraphenmäßige Leichenstarre – es war nicht nur Kierkegaard, dem sich die Sache so dargestellt hat und dem Hegel schon nicht mehr ein Odysseus des Denkens, sondern ein gesetzter Archivar des Gewußten zu sein schien. In der Tat kann bei Hegel zumindest für den, der einmal mit ihm auf Gedankenfahrt war, von einem Erliegen des philosophischen Impulses unterm Systemzwang im Ernst die Rede nicht sein. Hegels Philosophie ist vielmehr jederzeit und bei jedem Gegenstand, den sie aufgreift – wenn man das abgenutzte Wort hier gestattet –, ein »engagiertes« und dabei in oft sehr pointierten, niemals nur schalen Sachaussagen terminierendes Denken. Und nicht alle, die kein »System« haben, sind darum auch geistreicher als der Systematiker, der nach Hegel doch immer nur »wissen« will, »was er selbst schon gesagt hat«.

Die hier gebotene »Propädeutik«, die sich eher als eine Anleitung zur – allerdings konzentrierten und womöglich auch wiederholten – Lektüre denn als abschließende Darstellung Hegels versteht, möchte dazu verhelfen, sich gerade heute durch das Hegelsche Erbe neu inspirieren zu lassen. Hegel zählt, mehr, als man auf den ersten Blick meinen sollte, zu den Schlüsseldenkern der neueren Zeit und ist vielleicht gerade in dieser Eigenschaft inmitten der Krise der Moderne neu zu entdecken. Und er ist darüber hinaus ein Denker, dem gerade ein Denken, das Selbstdenken werden möchte, sich mehr als anderen anvertrauen kann. Das vorliegende Buch, das entstanden ist, weil die Lücke zwischen den nur die gröbsten Skizzen und Informationen bietenden Einführungen und der Spezialliteratur zu Hegel nur allzu fühlbar ist, möchte entsprechend eine für das nachdrückliche Gespräch mit Hegel genügend Anschub bietende Darstellung sein, und es möchte darüber hinaus aus dem Anschub, den Hegel selbst zu bieten vermag, Ertrag ziehen. Auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit der – längst uferlosen – Sekundärliteratur wurde gemäß dem Rahmen, den eine »Propädeutik« sich zu stecken hat, fast durchgängig verzichtet, auch wenn so mitunter unmittelbar ungenannt bleibt, wer oder was die hier vorgetragene Sicht der Dinge angeregt oder begründet hat. Da man freilich die Sekundärliteratur gerade auch für die Optionen aktueller Anknüpfung an Hegel nicht einfach wird missen wollen, folgen zu ihr wie auch zu den Quellen sogleich die wichtigsten Hinweise. Im Gang der Darstellung werden dann zu jedem größeren Sinnabschnitt in repräsentativer Auswahl speziellere Titel genannt. Die Zitationsweise der Originaltexte ergibt sich aus den Hinweisen bei der Nennung der Ausgaben; zitiert wird dabei in durchweg modernisierter Orthographie. Die Bezugstexte dann aber auch in der Nähe zu haben, dürfte sich für den Leser in jedem Fall lohnen.

Bochum, im Herbst 2003

Thomas Sören Hoffmann

Allgemeine Literaturhinweise

Ausgaben

Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 22 Bde., Hamburg 1968 ff. (GW – die maßgebliche kritische Ausgabe aller Schriften Hegels. Im folgenden wird, wo bereits möglich, nach dieser Ausgabe mit Angabe einer römischen Band- und folgenden arabischen Seitenzahl zitiert).

Hauptwerke. Auf der Grundlage der »Gesammelten Werke« und der »Philosophischen Bibliothek« mit, soweit die Vorlage bereits vorhanden, seitengleichem Abdruck der Texte aus den Gesammelten Werken, 6 Bde., Hamburg 1999.

Studienausgaben auf der Grundlage der »Gesammelten Werke«, versehen mit zumeist nützlichen Einleitungen und Sachkommentaren sowie in modernisierter Orthographie, erschienen in der »Philosophischen Bibliothek« des Felix Meiner Verlags, Hamburg (die im folgenden verwendeten Seitenangaben nach den »Gesammelten Werken« sind auf die Studienausgaben leicht übertragbar).

Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt 1969–1971 (verbreitete Leseausgabe, in der Hauptsache auf der Grundlage der ersten Gesamtausgabe, der sogenannten »Freundesvereinsausgabe«, Berlin 1832–1845, jedoch in modernisierter Orthographie und mit von den Herausgebern geänderter Interpunktion; bietet in der Rechtsphilosophie auch die handschriftlichen Zusätze Hegels, in den Bänden zur Enzyklopädie auch die Zusätze aus den Vorlesungen nach der »Freundesvereinsausgabe«. Im folgenden wird, wo zuverlässigere Ausgaben fehlen, nach dieser Edition mit Angabe einer arabischen Band- und folgenden Seitenzahl zitiert).

Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe, hrsg. von Hermann Glockner, 26 Bde., 4. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964 ff. (auf der Grundlage der »Freundesvereinsausgabe«, jedoch mit einigen Ergänzungen, darunter dem Text der Enzyklopädie von 1817; umfaßt außerdem das unten angegebene Hegel-Lexikon sowie die Hegel-Monographie Glockners).

Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, 14 Bde., Hamburg 1983 ff.

Briefe von und an Hegel, hrsg. von Johannes Hoffmeister und Friedhelm Nicolin, 4 Bde., Hamburg 1969–1981.

Einführungen und Gesamtdarstellungen

Bourgeois, Bernard: Hegel. Les actes de l’esprit, Paris 2001. – Fetscher, Iring (Hrsg.): Hegel in der Sicht der neueren Forschung, Darmstadt 1973. – Fischer, Kuno: Hegels Leben, Werke und Lehre, 2 Bde., Heidelberg 1901 (ND Darmstadt 4. Aufl. 1972). – Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003. – Glockner, Hermann: Hegel, 2 Bde., 4. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964–1968. – Haering, Theodor: Hegel. Sein Wollen und sein Werk, 2 Bde., Leipzig 1929/1938 (ND Aalen 1979). – Heimann, Betty: System und Methode in Hegels Philosophie, Leipzig 1927. – Helferich, Christoph: G. W. Fr. Hegel, Stuttgart 1979 [bietet insbesondere Realien; auch zur Wirkungsgeschichte]. – Hösle, Vittorio: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2. Aufl. Hamburg 1998. – Houlgate, Stephen: Freedom, Truth, and History. An Introduction to Hegel’s Philosophy, London 1991. – Kroner, Richard: Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921, 3. Aufl. 1977. – Pöggeler, Otto (Hrsg.): Hegel. Einführung in seine Philosophie, Freiburg/München 1977. – Rosenkranz, Karl: G. W. F. Hegels Leben, Berlin 1844 (ND Darmstadt 1998). – Schnädelbach, Herbert: Hegel zur Einführung, 4. Aufl. Hamburg 2011. – Stanguennec, André: Hegel. Une philosophie de la raison vivante, Paris 1998. – Taylor, Charles: Hegel, Cambridge 1975 (ND 2005), dt. 5. Aufl. Frankfurt am Main 2006. – Verra, Valerio: Introduzione a Hegel, 13. Aufl. Rom/Bari 2010. – Vetö, Miklos: De Kant à Schelling. Les deux voies de l’Idéalisme allemand, 2 Bände, Grenoble 1998/2000; dt. Von Kant zu Schelling, Berlin 2011 – Wiedmann, Franz: G.W.F. Hegel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten 21. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2010.

Publikationsreihen

Hegel-Deutungen, Hamburg 1996 ff. – Hegel-Forschungen, Berlin 1994ff. – Hegeliana. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Wien 1991 ff. – Hegel-Studien Beihefte, Bonn 1964 ff./Hamburg 1998 ff. – Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986 ff.

Dokumentationen

Hoffmeister, Johannes (Hrsg.): Dokumente zu Hegels Entwicklung, Stuttgart 2. Aufl. 1974. – Nicolin, Günther: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, Hamburg 1970. – Sziborsky, Lucia/Schneider, Helmut (Hrsg.): Friedhelm Nicolin, Auf Hegels Spuren. Beiträge zur Hegel-Forschung (Hegel-Deutungen Bd. 1), Hamburg 1996.

Hilfsmittel

a) Zeitschriften: Annalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie Societas Hegeliana, Köln 1983-1988. – The Bulletin of the Hegel Society of Great Britain, Oxford 1980 ff. – Hegel-Jahrbuch, München 1961-1964, Meisenheim am Glan 1965–1972, Köln u.a. 1973 ff., Berlin 1993ff. (mit Unterbrechungen) – Hegel-Studien, Bd. 1–32, Bonn 1961–1997; Bd. 33 ff., Hamburg 1998 ff. – Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus, Berlin/New York 2003 ff. – Jahrbuch für Hegelforschung, Sankt Augustin 1995 ff. – The Owl of Minerva. Biannual Journal of the Hegel Society of America, Villanova (Pa) 1969 ff. – Recherches Hégéliennes, Poitiers 1970 ff.

b) Bibliographien: Bulletin de Littérature Hégelienne (Beilage der Archives de philosophie), Paris 1970ff. – Gloy, Karen/Lambrecht, Rainer (Hrsg.): Bibliographie zu Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse«. Primär- und Sekundärliteratur 1817–1994, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. – Steinhauer, Kurt (Hg.): Hegel. Bibliographie – Bibliography. Materialien zur Geschichte der internationalen Hegel-Rezeption und zur Philosophie-Geschichte, 1. Band (1802 bis 1975), München/New York/London/Paris 1980; 2. Band (bis 1990) München 1998. – Fortlaufende Bibliographie in den Hegel-Studien.

c) Lexika: Cobben, Paul/Cruysbergh, Paul/Jonkers, Peter/de Vos, Lu (Hrsg.): Hegel-Lexikon, Darmstadt 2006. – Glockner, Hermann: Hegel-Lexikon, 4 Bde., 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1957 (bezieht sich auf die »Jubiläumsausgabe«). – Jaeschke, Walter: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2. Aufl. Stuttgart 2010. – Reinikke, Helmut: Register zur Werkausgabe in zwanzig Bänden, 4. Aufl. Frankfurt am Main 2000.

Zur Einführung

Eine Philosophie der Freiheit

Philosophie ist kein akademisches Glasperlenspiel und wäre, als solches betrieben, schon mißverstanden. Auch Hegel hat nicht etwa für die gelehrten Bücherregale – sein eigenes findet man heute im Bochumer Hegel-Archiv nachgestellt – und das professionelle Büchermachen geschrieben. Was Hegels wirklicher Impetus war, mag fürs erste anhand eines Wortes erläutert sein, das man wie kein anderes als Grundwort seines Denkens ansehen kann – das schillernde und doch so starke Wort »Freiheit«.

Hegel hat die Aufgabe der Philosophie und den zwingenden Grund für ein vitales Interesse an ihr in der Tat darin gesehen, daß gerade sie, die Philosophie an der Befreiung des Denkens wie auch der Praxis des Menschen arbeite. Das eine hängt mit dem anderen inniger zusammen, als man vielfach glaubt; es kann so wenig eine nicht freiheitlich denkende Freiheitspraxis wie ein praktisch konsequenzenloses Freiheitsdenken geben. Aber wie dem auch sei: das Grundwort »Freiheit« teilt Hegel zunächst mit Kant und den anderen Vertretern des Deutschen Idealismus, deren Ansätze allesamt um eine »Grammatik der Freiheit« als Schlüssel zu einer wahrhaft humanen, nicht-entfremdeten Welt kreisen. Ohne diese Grammatik, diese Weise der Welterschließung gibt es zwar immer eine »Welt« als ein Anderes und Draußen, freilich nur als eine uns fremde und undurchschaute, nicht als eine erschlossene, menschlich bewohnbare Welt. Hegel und der junge Schelling haben in ihren Anfängen beide von einem »Schrecken der objektiven Welt«1 gesprochen, unter den das sich nicht aus seiner Freiheit heraus verstehende Bewußtsein notwendig geknechtet ist. Ihre Philosophien verstanden sich nicht zuletzt als – theoretischer wie auch praktischer – Ausgang aus der Herrschaft einer in diesem Sinne opak bleibenden Unmittelbarkeit. Daß die »Schrecken der Objektivität« dabei noch immer viele und auch immer neue Gesichter haben, dafür lassen sich an den Entfremdungssymbolen und »Dystopien« der modernen Welt, deren sich verbreiternde Spur sich ebenso durch die Literatur wie durch die Geschichte, durch das Denken wie die Kunst zieht, leicht Beispiele ablesen. Daß, um die Dinge ins Lot zu setzen, um so mehr ein energisches Philosophieren vom Standpunkt der Freiheit aus nötig sein könnte, liegt vielleicht weniger klar auf der Hand. Aber wie ist es auch zu verstehen?

Die Philosophie des Deutschen Idealismus und dabei zuletzt diejenige Hegels hat ihren Standpunkt immer aus dem Axiom gerechtfertigt, daß alles Nur-Gegenständliche, Nur-Objektive und Gegenständliche seinen letzten Sinn in einem Reflexiven, einem Selbstverhältnis haben und darstellen können muß. In der Freiheit, der Autonomie des Begriffs, über die wir nicht nur verfügen, sondern die wir als Subjekte selbst sind, liegt darum auch der Schlüssel zur Auflösung des Externen, das der Macht des Reflexiven nicht standhält. Aus allem »Es«, allem Drittpersonalen, soll »Ich«, Erstpersonales oder doch »Du« und auch »Wir« werden, zumindest im Sinne eines »Resonanzraums« der Freiheit, als der sich in gewissem Sinne nach Hegel auch die Natur wird verstehen lassen. Damit ist gewiß nicht versprochen, daß mentale, soziale oder szientifische Entfremdung faktisch auf immer schon ausgeräumt sei. Die Erwartung ist nicht, daß Formationen und Gehäuse der Unfreiheit historisch keine Macht mehr erlangen könnten, sondern viel eher die, daß es einer beständigen Arbeit am »Reiche der Freiheit« bedarf. Autonomie des Denkens und Handelns ist nur als kontinuierlich errungene, für-uns-je-werdende wirklich. Wenn diese Arbeit erlischt und das Denken sich seiner Selbstmacht begibt, überläßt es nach Adornos Worten zugleich das Wirkliche »mit respektvoller Illusion den Höchstbezahlten und macht dafür sich selber meßbar«2: es tritt aus der mit Leben erfüllbaren Welt heraus und macht sich zum Ding, zum Hirn zum Beispiel, in welchem Objekt Freiheit verschwinden soll. Wo immer freilich der Mensch sich und seinesgleichen in diesem Sinne aus der Wirklichkeit nimmt und ins Objektive versetzt – sich zum Beispiel mit dem Genom oder »seinem« Hirn verwechselnd –, geschieht dies nicht anders als im Gebrauch von Denkbestimmungen, Kategorien, die ihrerseits Funktionen der ursprünglichen Selbstbestimmung des Menschen oder des Erkennens sind, das er wesentlich ist. Das »Schicksal« des Menschen liegt entscheidend auch in den Kategorien und kategorialen Niveaus, in und auf denen er denkt.

Die Denkbewegung von Kant bis Hegel ist eben deshalb zentral Kategorienkritik. Sie ist der Versuch, die Logik der Abdankung eines freiheitlichen Selbstverständnisses zu durchbrechen, indem sie – nicht nur aus praktischen, sondern durchaus auch aus noch zu thematisierenden logischen Gründen – den Wurzelgrund aller Logik im reflexiven Selbstverhältnis und darin im daseienden Erkennen erkennt. Kant hat so als erster den »Dingen an sich« die Reverenz verweigert und das philosophische Augenmerk vielmehr auf die theoretischen wie praktischen Formkonstituentien gelenkt, aus denen Dinge in vernünftiger Bestimmtheit erst sind, was sie sind. Fichte hat den fundamentalphilosophischen Primat des »Sehens des Sehens« gegenüber dem dinglich gebundenen Sehen und der Herrschaft der dritten Person gelehrt; Philosophie war ihm Vollzugswissen von Verstehen, das niemals unter den Bann und Zwang des Verstandenen fallen kann. Schelling hat, was sich im Erkennen vollzieht, dann als Unbedingtes von seiner subjektiven Auffassungsweise zu lösen versucht und den Begriff eines »absoluten Erkennens«, das selbst die Idee, die absolute Wirklichkeit ist, propagiert: einen Begriff, den Hegels dialektische Logik des Selbsts und Selbstseins aufnimmt und mit den Formen der Konstitution bestimmter Objektivität wie auch ebenso bestimmter Subjektivität verbindet.

Auf diesem Wege ist aus dem Unternehmen der Reduktion des Objektiven aufs Reflexive eine Einsicht in die bestimmte Objektivität, die die Reflexion sich selbst gibt, geworden, oder es ist die Erkenntnis zutage getreten, daß Reflexivität eben nicht nur auf die Welt des Denkens gehen kann, sondern, sofern sie denn einen Inhalt hat, ebensosehr und simultan die Reflexion des Andern des (bloßen) Denkens, des Ansichs oder der Substanz, sein muß. Es geht insofern dann gerade nicht mehr um die »Reflexion« im Sinne der Reflexionsphilosophien, zu denen Hegel auch Fichte noch zählt. Es geht um den Begriff, das wahrhaft sich selbst, weil auch den Gegensatz, den die Reflexionsphilosophie unmittelbar stehen läßt, in sich tragende Erkennen. »Erkennen« meint hier nicht mehr (wie noch bei Kant und in der Erkenntnistheorie) nur eine »Leistung« des Subjekts. Erkennen ist in dem emphatischen Sinne, in dem Hegel es verstehen kann, primär nicht ein Thema der Philosophie des subjektiven Geistes, der Psychologie. »Erkennen« ist vielmehr der absolute Boden, der »Seinsgrund« der Subjektivität wie auch ihrer Welt. Der Mensch existiert nicht erst und erkennt dann auch: er ist existierendes Erkennen, und dies nicht etwa nur in explizit kognitiven Vollzügen, sondern in jeder Hinsicht, schlechthin. Freilich, in expliziter »Kognition«, als gesetzte und explizite Subjektivität, kommt Erkennen zu sich, ist es als reines, sich selbst klares Medium, das dann auch die Mitte bewußter Erkenntnis ist3. Aber Erkennen ist, wie Hegel seit den Jenenser Systementwürfen sagen kann, eben auch diesseits dieser Selbstbewußtheit: es ist überhaupt als Beziehen, als wirkliches Sich-Verhalten, als differente Einheit.

Hegel hat gerade von dieser Seite her, nicht etwa durch einen gesuchten Anschluß an historisch bereits Dagewesenes, den griechischen Begriff des Logos, der sammelnden Beziehung, als Fundamentalbegriff philosophischen Denkens zurückgewonnen. Denn der griechisch gedacht immer ebenso »objektive« wie »subjektive« Logos ist primär das sich in sich gründende Verhältnis, die Selbstentfaltung eines intelligiblen Einen als Vielheit wie auch die Restitution des Einen aus dieser. Und wie der griechische Logos dem subjektiven Erkennen vorausliegt, von ihm daher zunächst nur in seiner Anerkenntnis erkannt wird, so liegt auch im Hegelschen Sinne das Erkennen, verstanden als in Manifestation kulminierendes Sich-Verhalten, dem einzelnen Erkenntnisakt voraus – freilich so, daß der philosophische Erkenntnisakt weiß, daß er erkennend eben nicht ein Fremdes erkennt, sondern sein eigenes Selbst ausspricht: daß er (dies nun anders als bei den Griechen) dem Erkennen seinerseits nicht etwa akzidentell angehört, sondern dessen eigenes Sein, sein Zur-Welt-Kommen, ist.

Die Hegelsche Philosophie hat von diesem, hier vorab nur kurz referierten Grundansatz aus auch das Thema Freiheit gedacht. In kritischer Absicht hat sie dies, wie gesagt, getan in bezug auf die Formen veräußerten Seins, die Formen der Abstraktion, der Vorstellung, der angemaßten Autorität. Sie hat den Weg der »Entzweiung« des Selbsts in allen seinen Formen als Weg der Selbstverleugnung des Erkennens, des Verlassens des Bodens des seienden Selbsts, enttarnt. Man kann insofern in der Tat noch die logischen Texte Hegels auch in geistphilosophischer Dimension, also in realphilosophischen Bezügen lesen, wie es vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerne geschehen ist4. Entscheidend ist jedoch zuletzt nicht die kritische, sondern die affirmative Dimension des Hegelschen Denkens. Diese Dimension speist sich aus dem, was (wie der Logos) das sich selbst Affirmierende ist: und dies eben ist das sich in differenter Selbstbeziehung aufbauende Erkennen selbst, ist das in sich Transzendente, das darum auch Freie und Absolute, der in der »Spitze« der Individualität, wie Hegel gerne sagt, bei sich seiende Begriff als solcher. Die anarchische, weil ihre eigene, unter kein fremdes Prinzip zu subsumierende Arché, ihre Anfänglichkeit selbst enthaltende und auch erhaltende Dimension der Subjektivität hat am Ende niemand so entschieden gedacht wie Hegel. Auch darum sind die bekannten Vorbehalte gegen den Totalitätsgedanken und Systemanspruch Hegels ganz fehl am Platze; sie gehören zuletzt immer einer verbliebenen »Furcht vor der objektiven Welt« an, die meint, Subjektivität nur gegen das Ganze des Wahren, nur als eingehegte Unmittelbarkeit retten zu können. Hegels gesamte Philosophie ist der Nachweis, daß eben in dieser Vorstellung ein abstrakter, romantischer oder auch nihilistischer Begriff der Subjektivität liegt, ein Begriff der Subjektivität, der diese nicht in der Radikalität ihrer »Negativität« und eben wesentlich auch nicht als den Ort absolut reellen Erkennens ansetzt. Die Hegelsche Pointe ist hier, daß die wahrhaft nicht nur als begriffsfähig, sondern als daseiender, als begreifender Begriff aufgefaßte Subjektivität in der Koinzidenz von Totalität und Individualität besteht – so wie das Wort »Ich« bekanntlich immer alle und einen meint, so wie qualifizierte Freiheit immer die Freiheit aller und jedes einzelnen ist, so wie Erkenntnis ihrer Natur nach immer zugleich allgemeiner und doch auch nur Besitz des einzelnen, des sie Vollziehenden, ist. Es ist leicht ersichtlich, daß, wo die Hegelsche Gleichzeitigkeit von Totalisierung und Individualisierung preisgegeben ist, sich auch die Ontologien und Axiologien ändern; es kommt zu einer Auswanderung des Wirklichen aus dem Begriff, das jetzt in angeblich harten, äußeren Fakten zu finden sein soll, und es kommt nicht minder zu einer Verflüchtigung des Guten zum empirischen Vorsatz, in die abstrakte Moral, die in jedem Fall eine eigene Wirklichkeitsmacht des Guten leugnet, ja ihren Stolz dareinsetzt, es (in bestimmter Hinsicht sogar mit einem gewissen Recht) unter den Fakten nicht zu finden. Das Unverständnis, das Hegels bekannter Doppelsatz aus der Vorrede der Rechtsphilosophie – »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« (XIV/1, 14) – längst provoziert hat, so als meine er die Verklärung und Absegnung alles Faktischen und auch faktisch Unvernünftigen, ist der gleiche Einspruch der empirischen Subjektivität, die sich (auch das in gewisser Hinsicht durchaus zu Recht) ihre »Werturteile« über »Tatsachen« nicht allgemein vorschreiben lassen will. Daß sie dabei in Kauf nimmt, Vernunft als Ohnmacht und die Verwirklichung von Vernunft als subjektives Tun, also als Tun einer Macht, die nicht selbst Vernunft ist, zu denken, damit aber den inkriminierten Weltzustand, in dem die Vernunft nicht das Mächtige sein soll, zu affirmieren, kommt ihr womöglich nicht in den Sinn5. Die Hegelsche Philosophie ist eine entschiedene Bestreitung der Irrealität von Vernunft, ja sie ist, wenn man unter »Idealismus« utopistisches Träumen versteht, gerade kein »Idealismus«, sondern ein Realismus der Vernunft. Diese Philosophie sagt, daß wir in die Wirklichkeit immer schon ganz anders involviert sind, als wir es uns »träumen« lassen. Was wir sind und sagen, leben und tun, ist wirklicher, als wir meinen, und in seinem Kern eben nicht nur äußere Reflexion eines »ganz Anderen« des Denkens. Hegel trägt gerade dem mit der dialektischen Methode Rechnung, die nichts anderes als die Bewußtmachung von Beziehungsmacht, von »Sein als Beziehung« und aller Bestimmtheit als aus Beziehung gezeugter ist. »Dialektik« meint hier nicht den Universalschlüssel zu allen Problemen, so wenig systematisches Denken die Absicht auf Omniszienz meint. Es geht ihr indes um konkretes Denken, um ein Denken, das Differenz als Beziehungspotential auslegt und daher aus ihr gerade Erkennen aktualisiert: auch im Blick auf den »höchsten Gegensatz«, den von Denken und Sein, auch und nicht zuletzt im Blick auf Totalität, die niemals in einfacher »Abbildung«, in der kompakten Formel zu haben ist. Dialektik ist, wenn man so will, methodisch gebrochene Totalität und eben darin die Vermeidung sowohl ihrer Verleugnung wie ihrer unangemessenen Usurpation. Allerdings ist sie auch die Aufforderung zu genauer philosophischer Arbeit, die sich mit den schnellen Auskünften wie auch den handlichen Formeln nicht begnügt.

Wir werden im Verlauf dieser Darstellung Hegel als Begriffsarbeiter kennenlernen und wollen dabei nach Kräften zu vermeiden suchen, das, was er sagt, auf solche Formeln zu bringen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat ein wacher Denker, Karl Joël, darüber geklagt, daß wir uns im Gefolge der historisierenden Schubladenwissenschaften angewöhnt haben, »mit unsern Bädekern durch die Literaturen der Zeiten und Völker zu fahren« und dabei »von allen Dornröschenschlössern nur die Dornenhecken und Spinnweben« zu sehen. Als Beispiel für diese Haltung in der Philosophie führt Joël den Umgang mit Hegel an. Es heißt bei ihm wörtlich: »dem Examinanden mundets wie die bitterste Pille, wenn er sich Hegel einprägen muß als ›den Philosophen des absoluten Geistes in der Form dialektischer Entwicklung‹. Wer«, so fragt Joël weiter, »wird noch Flaschen anbrechen wollen mit solchen Etiketten?«6 Es wird im folgenden nicht zuletzt darum gehen, den Grundimpuls des Hegelschen Denkens nicht in Flaschen zu sperren, sondern noch für den Examinanden als lebendige Inspiration zur Sprache zu bringen – nicht nur, weil dieser Grundimpuls ein freiheitlicher ist und, da Gleiches bekanntlich nur von Gleichem erkannt wird, es um ein freies Auffassen gehen muß, sondern auch, weil nur so Aussicht bestehen kann, Hegel als Zeitgenossen, als auch unser Gegenüber kennenzulernen.

Vorurteile und Irritationen

Die bereits angesprochene Tatsache, daß die Philosophie Hegels heute auf recht breiter Front für Irritationen sorgt und einer Skepsis begegnet, die der unbefangenen Kenntnisnahme dessen, was Hegel eigentlich zu sagen hat, jedenfalls nicht förderlich ist, läßt es geraten erscheinen, vorab einige der zumeist namhaft gemachten Anstößigkeiten ins Auge zu fassen – wohl wissend, daß sich die umfassend begründete Antwort auf die zu erörternden Zweifel nur erst aus der Einsicht in die größeren systematischen Zusammenhänge, mithin erst aus dem, was in der Folge anhand der Hegelschen Texte zu entwickeln sein wird, ergeben kann. Wir greifen hier dennoch vorab einige jener Stichworte auf, an die sich die geläufigen Vorurteile knüpfen.

a) Totalität

Hegel verficht in der Vorrede seines ersten Hauptwerks, der Phänomenologie des Geistes, das nicht nur für dieses Buch zentrale Theorem »das Wahre ist das Ganze« (IX, 19), ein Theorem, das, indem es Wahrheitsanspruch und Totalitätsgedanken verschränkt, die philosophischen Hürden so hoch anzusetzen scheinen kann, daß sie menschliches Maß notwendig überfordern. Hatte nicht Kant die Uneinlösbarkeit theoretischer Totalitätsbegriffe gerade ins Zentrum seiner Metaphysikkritik gestellt, und ist von Kierkegaard bis Lévinas nicht darüber hinaus auch das praktische Entfremdungsmoment, der »Unernst« und die »Gewaltsamkeit« schon aller Richtungsnahme »aufs Ganze« aufgezeigt worden? Gibt es so Totalität nicht immer nur in Form der Erschleichung, womöglich der Ideologie? Adorno hat in diesem Sinne Hegel sein eigenes »das Ganze ist das Unwahre« entgegengestellt7 – einen Satz, der keine »apodiktische«, ohne weiteres »wahre« Aussage über »das Ganze« sein kann, sondern als Gegen-Satz zu Hegel im Sinne eines Einspruchs gehört werden muß und der sich insbesondere auf historisch gemachte Erfahrungen mit der politisch werdenden »Totalität« stützen zu können glaubt. Die Frage, die Adornos Gegen-Satz zuletzt zur Debatte stellen will, ist die, ob nicht ein aufs Ganze verweisendes Denken, damit dann aber auch ein »Systemdenken«, wie Hegel es in der Tat vertritt, nicht immer schon das Individuelle verraten, die reellen Härten geschönt, die bleibenden Risse verdeckt und dafür nur ein vermeintlich Umgreifendes installiert hat, das eher Allmachtsphantasien des Denkens als seinem kritischen Gebrauch entstammt. Wenn unser Denken aber immer von Endlichkeit, Vorläufigkeit und den Narben des Hier und Jetzt gezeichnet ist: wozu dient dann der Hinweis auf die Meilenstiefel eines Weltgeists, in dem sich spiegeln zu wollen ohnehin nur einen blendenden Schein erzeugen könnte? Wenn das Ganze das wesentlich Undurchschaute und Undurchschaubare ist: welche Option bleibt dann als einzig die, ihm in jedem Fall zu mißtrauen?

Wir werden in späteren Zusammenhängen, insbesondere anhand des Durchgangs durch die Phänomenologie, sehen, daß diesem Einwand eine bestimmte Voraussetzung zugrunde liegt, die so alles andere als eine Hegelsche ist: die Voraussetzung nämlich, daß Individualität und Totalität, Einzelheit und Allgemeinheit im letzten unvermittelbare Disjunkte seien und nicht etwa (was Hegels Auffassung wäre) ihre Realisierung, ihren Vollsinn nur an- und durcheinander gewinnen. Nach Hegel wäre das vom Ganzen tatsächlich ausgeschlossene Einzelne – ein »Lebendiges« etwa außerhalb des Lebens, ein konkretes »Vernunftwesen« ohne die allgemeine Vernunft – nur ein »abstraktes«, »unwahres« Etwas, das nur für eine bestimmte, isolierende Vorstellungsweise existiert; zugleich vermag ein Ganzes, das nur das Andere und Jenseits der Einzelnen wäre, natürlich gerade kein Ganzes, sondern selbst nur ein Gegensatzglied, ein anderes Einzelnes zu sein. Man mag, um sich dem Hegelschen Gedanken hier vorläufig zu nähern, auch etwa an das Beispiel des einzelnen Sprechers im Verhältnis zur Sprache denken. So klar es ist, daß nicht einfach »die Sprache« als Allgemeines, sondern nur ein individueller Sprecher spricht – wer »die Sprache« anstelle der Sprecher sprechen läßt, ist bereits auf ein Hypostasieren von Momenten verfallen, das in der Tat ein unwahres Ganzes fingiert –, so steht dieser Sprecher doch auch nicht etwa »außerhalb« der Sprache oder ihr gegenüber. Er ist, was er ist – Sprecher der Sprache, und zwar auch seiner Individualität nach –, nur in Kraft der Sprache (ihrer Grammatik, Semantik oder auch ihrer Klänge zum Beispiel, ihrer Potenzen und Traditionen), die er seinerseits in sein Sprechen hinein »aufhebt«, so jedoch auch erst existent werden läßt. Das Individuum, das sich dem Allgemeinen der Sprache »aus Prinzip« verweigern wollte, müßte dagegen unmittelbar verstummen – und könnte schon dies nicht eigentlich mehr als Individuum tun. Kurz also: so, wie die Sprache ohne den Sprecher als Sprache verstummt, ebenso bleibt der sprachlose Sprecher nicht nur stumm, sondern gerade kein Sprecher. Sprache und Sprecher, Allgemeines und Einzelnes, sind wahr und wahrheitsfähig nur miteinander, nur in Einheit. Im Rücken von Adornos Einspruch gegen die Wahrheit der Totalität, insofern er beide Seiten prinzipiell auseinanderzuhalten versucht, liegt entsprechend eine »Romantik« unvermittelten Wahrheitsbesitzes, welcher im Zweifel lieber die Vermittlung verweigert, als sich durch diese und ihre Dynamik in Frage stellen zu lassen8; in ihm liegt in gewisser Weise noch immer die Furcht der Schillerschen schönen Seele, in der »Auslieferung« ans Allgemeine die eigene Schönheit zu riskieren. Es liegt in ihm ein verbliebener »Schrecken der Objektivität«, der nicht bewältigt ist und der die durchgeführte Kategorienkritik – hier etwa den Gebrauch der Begriffe des Einzelnen und des Allgemeinen betreffend – noch vor sich hat. Was in ihm sonst liegen könnte – der Wille zum »Standpunkt« etwa, der in Reserve gegen seine Vermittlung bleibt und dann als durchaus dogmatisch anzusehen wäre –, muß an dieser Stelle nicht interessieren; von Interesse ist hier nur, daß Hegel selbst kritischer als die Kritik an ihm gedacht haben könnte, wenn sein Ansatz Wahrheit besitzende »Standpunktlichkeit« und das Insistieren auf ihr jedenfalls nicht als philosophisch letztes betrachtet hat.

Die historischen Erfahrungen freilich, an die Adorno anknüpft, sind bei näherem Zusehen eben nicht Erfahrungen mit »lebendiger« Totalität im Sinne Hegels, nicht Erfahrungen abschließend aufgehobener Entfremdung, sondern gerade Entfremdungserfahrungen mit gesellschaftlich installiertem, nur mit Gewalt aufrechterhaltenem Schein. Hegels Philosophie will dem einen Totalitätsgedanken entgegensetzen, der im Sinne des Gleichklangs von Totalisierung und Individualisierung nicht auf ein Ganzes zielt, das sich dem Einzelnen nur etwa von außen oktroyiert und bedrohlich zeigt, sondern das Einzelne wie auch sich selbst in der Individualisierung erst vollendet. Das gilt, ganz elementar, für den Begriff des Lebens, der nicht die »Unwahrheit«, sondern die »Substanz« des Lebendigen, seine allgemeine Beziehungsmacht meint und seinerseits ohne das konkrete Lebendige nicht existierte; es gilt ebenso für den Begriff des Geistes auf seinen unterschiedlichen Stufen, für den Begriff der Sitte, der Geschichte oder der Religion wie zuletzt für den Begriff der Vernunft, die ebenfalls nur als in sich allgemeine und zugleich individuell gewordene, nicht etwa als partout partikuläre, wahrheitsfähig zu sein vermag. Wahrheit selbst ist nichts anderes als die Erfüllung des Allgemeinen im Einzelnen, des Individuellen an der Totalität, wobei nur freilich das Allgemeine und Einzelne, das Individuelle und das Ganze eben nicht als seiende »Entitäten« neben ihrer einander erfüllenden Beziehung festgehalten werden dürfen; Wahrheit ist die »Beziehungspotenz«, die eine Bestimmtheit wirklich hat und »bewährt«, Unwahrheit die isolierte oder gewaltsame Selbsterhaltung derselben. Gerade darin liegt schlechte Metaphysik, beispielsweise ein Ich auch ganz unabhängig von seiner Beziehung auf andere Ich wie auf Nicht-Ich überhaupt fürsichseiende Einheit und Existenz sein zu lassen; darin besteht Dogmatismus, Begriffen ansichseiende Bedeutungen zuzuschreiben, ohne sie doch zugleich als die Exponenten bestimmter oder sich selbst bestimmender logischer Beziehungen auf Anderes zu verstehen. Eine schlechthin fixe Bedeutung hat nicht der Begriff, sondern die Vorstellung; der Begriff hingegen ist immer auch Vorstellungskritik durch den Aufweis von Beziehungs- und Bedeutungsdialektiken. Hegels Satz, daß das Wahre das Ganze ist, ist so gesehen nichts anderes als die entschiedendste Kampfansage an das vorstellende Denken; er ist die Aufforderung an dieses Denken, seine Hypostasen verschwinden zu sehen, aber darin auch sich selbst als beziehende, als logische Macht neu zu erkennen. Die Stichworte »System« und »Dialektik« schließen hier unmittelbar an.

b) System

Auf Totalität hin zu denken, ist nach Hegel nicht nur eine Möglichkeit, es ist Verpflichtung des philosophischen Denkens, ja sein eigentlicher Selbstausweis. Seine Berliner Vorlesungen begann Hegel bewußt mit der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, weil die »Begründung« der Philosophie nur »in ihrem ganzen systematischen Umfang« gefunden werden könne: »es ist kein erstes und kein letztes, sondern alles ist getragen und gehalten – gegenseitig und in Einem«9. Systematisches Philosophieren hat so nicht nur die »horizontale« Dimension der größtmöglichen Extension und »Syntaxe« der verschiedenen Gegenstände. Es ist auch in »vertikaler« Hinsicht, als universale Geltendmachung des »intensiven« Grundes der Philosophie, der in sich selbst manifesten Vernunft, zu sehen. Man kann das eine nicht von dem anderen lösen, so wenig sich in der Philosophie Form und Inhalt in einer letzten Hinsicht trennen lassen. Systematisches Denken ist nach Hegel das Bewußtsein dafür, daß Philosophie sich selbst kontinuierlich ist, indem sie es in allen ihren Gegenständen zu sein vermag. Systematisches Denken ist insofern ein Philosophie fortwährend generierendes Prinzip und von ihr unabtrennbar.

Gewiß: »systematisches« Denken ist nicht etwa ein ausschließendes Privileg philosophischer Vernunft. Schon der noch außerphilosophische Verstand empfindet das »Bedürfnis der Totalität«, auch er denkt auf Vollständigkeit, auf Konsistenz, ja auf Exklusivität seines Standpunkts hin. Dafür gibt es die verschiedensten Beispiele: Ideen wie die einer anzustrebenden Einheitswissenschaft oder einer alles erklärenden Physik etwa gewinnen ihre relative Plausibilität gewiß nicht von ihren Gegenständen, sondern von einem ihnen als Denken. Allerdings kann die Totalität, die »das Wahre« sein soll und die in der Philosophie alleine in Betracht kommt, keine nur vom Denken »gemachte«, vom Verstand konstruierte, sie muß »das Erste der Erkenntnis«11Erkennenskontinuumsynthetischenanalytischen