Wo ist das letzte Haus?

Es gibt viel, was ich verpasse. Kurz habe ich geblinzelt und der Mann, der eben noch vor mir ging, befindet sich mitten auf der Straße im Stau, am Rückspiegel eines hupenden Autos und rüttelt kräftig, seine Arme bewegen sich kaum. Der Spiegel zerspringt, das Auto hupt weiter, der Mann lässt leicht gelangweilt vom Spiegel ab, rennt zurück zum Trottoir und geht wie vorher, mit schlenkernden Armen seine gerade Bahn.  


Auch ich gehe meine gerade Bahn. Dabei sehe ich ein Pferd mit dünnem Fell, das zwischen den Autos und Bussen im Stau steht und glänzt. Unter seinem Fell zeichnet sich sein Skelett ab. Es ordnet sich ein. Wenn sich die Autoschlange ein wenig bewegt, geht es ein paar Schritte. Seine Beine suchen den neuen Platz ab, es wirft den Kopf zurück in einem Takt, den es sich gibt; es schnaubt. Es zertritt die Abgaswolke, die vor ihm aus dem Wagen strömt. Hinter sich zieht es einen Wagen, den es nicht sieht. Auf dem Wagen sitzt in einem Berg von Früchten ein dünner Mann, der durch ein Megafon den Namen der Früchte ruft, die er unter Umständen verkauft. Er und das Pferd leben immer unter den Umständen. 


Unter allen Umständen sehe ich die Hunde. Den Hunden gehört die Stadt. Leichtfüßig gehen sie an den Menschen vorbei. Ab und zu halten sie einen Schwatz. Ihre Augen sind treu und wach, das Fell ist rau, ein ewiger Anzug. Wenn es regnet, kringeln sie sich ein. Sie haben Freunde in der Weite. Ihre Ohren sind aufgerichtet. Ein wacher Magen begleitet ihre Schritte. Sie schlafen irgendwo und unsichtbar. In ihrer Haltung ist trotz des Beschwingten etwas Gebücktes. Sie lachen im Schein der Nachtlaternen, schnuppern an den Wänden, gehen weiter in der Teerbucht. Die Häuser umstehen ihren Blick, die Sicht der Hunde geht geradeaus in die dumpfe Dunkelheit. Weit vor ihnen, aufgelöst in der Nacht, sehen sie ein kurzes Stück Horizont. Sie gehen darauf zu. Ab und zu tunken sie die Pfoten in einen Lichtweiher.


Ihr Gang unterbricht vor den dicken Abfallsäcken am Rand der Straße. Die Hunde stutzen, wackeln mit den Ohren, stellen sie aufmerksam auf. Sie sind größer als sonst und gespannt, man sieht es dem Fell an, das leicht vibriert, an der Schnauze, die im Mondschein glänzt. Ein einsames Fest beginnt. Der schmale Kopf neigt sich und nähert sich dem prallen Plastiksack. Die Schnauze mischt sich ein, sie ahnt, wo es sich lohnt. Seitlich werden die Zähne an das Plastik gesetzt. Nichts wird übereilt. Jetzt, in bescheidenem Übermut, wird mit den langen Pfoten in rupfenden Bewegungen der schwarze Plastiksack geöffnet. Es entsteht, von knisternden Geräuschen begleitet, ein schmales Fenster. Sie erblicken eine kantige, unausgerichtete Welt – offen ist sie nicht und heißt niemanden willkommen. Sie hat kein Gespür für die wunden Mägen, die dicht bei ihr stehen. Wer etwas mit ihr anfangen will, muss es selber tun, das wissen die Hunde.


Sie schieben eine lange Pfote zögernd in die Öffnung, die Schnauze folgt ihr dicht, die Pfote schnuppert, die Schnauze tastet und umgekehrt, die Zunge sucht zutraulich, die Pfoten schieben weg. Mit der Zeit werden die Bewegungen der Hunde entschiedener, ungeduldiger, sie wühlen nun ohne Sorgfalt und ja, es kommt dahin, dass sie wütend werden. In den Augen der Hunde blitzt die helle Wut und in ihrem Fell, eben noch glatt, steht jedes einzelne Haar senkrecht in die Höhe. Höhnisch lassen sie all das Nutzlose in hohem Bogen durch die Luft fliegen. Sie haben nichts davon nötig. Und einen kurzen Augenblick zur entschiedenen Stunde jonglieren die Hunde, auf den Hinterbeinen stehend, mit allem, was ihnen nichts nützt.