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LEKTÜRESCHLÜSSEL
FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Heinrich von Kleist

Prinz Friedrich von Homburg

Von Manfred Eisenbeis

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Heinrich von Kleist: Prinz Friedrich von Homburg. Stuttgart: Reclam, 1968, 2001 [u. ö.]. (Universal-Bibliothek. 178.)

Alle Rechte vorbehalten
© 2010, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2013
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960194-6
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015428-1

Inhalt

1. Erstinformation zum Werk

2. Inhalt

3. Personen

4. Werkaufbau

5. Wort- und Sacherläuterungen

6. Interpretation

7. Autor und Zeit

8. Rezeption

9. Checkliste

10. Lektüretipps / Filmempfehlungen

1. Erstinformation zum Werk

Kleist ist ein Phänomen: Ein Dichter, der zu Lebzeiten und nach seinem Tode umstritten war, der bei seinen Zeitgenossen keine Anerkennung fand und von ihnen abgelehnt wurde, gilt heute als der vielleicht interessanteste Autor des 19. Jahrhunderts, vermutlich weil die heutigen Leser und Zuschauer für das sprunghafte und irrationale Werk Kleists offener denn je sind. Es scheint eher als z. B. die klassischen Dramen Schillers und Goethes wegen seiner Offenheit und Zerrissenheit in die heutige Zeit zu passen und fordert zu immer neuen Auseinandersetzungen heraus, weil seine Figuren vieldeutig und sogar rätselhaft sind.

Kleist irritierte seine Zeitgenossen, und er irritiert uns heute immer noch durch den befremdlichen Subjektivismus seiner Figuren, die Probleme mit ihrer Umwelt haben und sich allen psychologischen und sozialen Kategorien entziehen.

Kleist stammte aus einer alten Adels- und Offiziersfamilie, wurde selbst Offizier, nahm am Krieg gegen Napoleon teil, verließ die Armee, suchte staatliche Anstellung, gab sie wieder auf, war durch und durch Preuße und agitierte gegen Napoleon, kritisierte nichtsdestoweniger das Preußentum seiner Zeit und seinen König, reiste in Europa umher und wurde nirgendwo heimisch. Er schrieb Texte unterschiedlicher Art, verzweifelte am Sinn seines Lebens, litt an seiner Erfolglosigkeit und erschoss sich schließlich mit 34 Jahren.

Kaum ein Drama reizte so sehr zum Widerspruch wie Prinz Friedrich von Homburg, an kaum einem anderen kann man so deutlich den Missbrauch eines literarischen Textes zur Indoktrination zeigen. Was geschieht? Ein verliebter, ehrgeiziger preußischer Reitergeneral aus der Zeit des Großen Kurfürsten (Regierungszeit 1640–88) greift gegen den Befehl des Kurfürsten vorzeitig in die Schlacht ein, siegt, wird aber trotzdem zum Tode verurteilt. Er hat Angst vor dem Tod, erkennt aber schließlich seine Schuld an und wird in letzter Minute begnadigt.

Aber dieser Reitergeneral ist nicht nur eine historische Figur. Er steht als Beispiel für den zeitlosen Konflikt zwischen der individuellen Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen der Gesellschaft. Er verdeutlicht den Wunsch des Autors, dass sich die Gefühle des Einzelnen und die Normen der Gesellschaftsordnung und des Staates auf einer höheren Stufe vereinbaren lassen. Letztlich geht es um eine Utopie, damals und heute, um den Traum vom besseren Staat, vom besseren Leben des Individuums in diesem Staat und von der Möglichkeit, Autorität und Mündigkeit miteinander zu verbinden.

2. Inhalt

Erster Akt: Die Situation

Erster bis vierter Auftritt: Der Traum von Liebe und Ruhm

Die vier Eingangsszenen spielen nachts im Garten des Schlosses von Fehrbellin, der durch eine Rampe mit dem Schloss selbst verbunden ist.

(I,1) Die erste Szene zeigt den Prinzen Friedrich von Homburg, wie er in völlig unmilitärischer Verfassung in schlafwandlerischem Zustand auf einer Bank sitzt und beschäftigt ist, einen Lorbeerkranz zu flechten. Den Abmarschtermin seiner Truppen zur bevorstehenden Schlacht hat er versäumt, wie sein Freund Hohenzollern dem Kurfürsten berichtet.

Der Kurfürst, seine Nichte Natalie und die übrige Hofgesellschaft beobachten besorgt den träumenden Prinzen. Dann nimmt der Kurfürst ihm den Kranz aus der Hand, schlingt seine Halskette darum und reicht ihn der Prinzessin Natalie. Der Prinz wendet sich ihr darauf leidenschaftlich zu, bezeichnet sie als seine »Braut«, nennt den Kurfürsten »Vater« und dessen Frau »Mutter« (65 ff.). Er folgt der ins Schloss zurückweichenden Hofgesellschaft und nimmt Natalie unbemerkt einen Handschuh ab. Der Kurfürst weist den Prinzen schroff zurück.

(I,2) Die stumme Folgeszene besteht ausschließlich aus der Regieanweisung: Der Prinz bleibt verwundert vor der plötzlich verschlossenen Tür stehen, hält sich den Handschuh vor die Stirn und geht über die Rampe in den Garten zurück.

(I,3) Sein Freund Hohenzollern wird durch einen Pagen vom Kurfürsten gebeten, dem Prinzen nichts von dem nächtlichen Scherz zu erzählen.

(I,4) Die längere vierte Szene stellt Homburgs Erwachen und seine Begegnung mit der Realität dar: Als Hohenzollern ihn anspricht, fällt der Prinz in eine Ohnmacht, aus der er aber bald wieder erwacht. Er weiß nicht, wo er ist, und findet nur mühsam wieder in die Wirklichkeit zurück. Er erkennt, dass er wieder als Schlafwandler in der Nacht unterwegs war, will dies aber verbergen und fragt Hohenzollern, ob der Kurfürst von seinem Zustand wisse – was Hohenzollern verneint.

An die Ereignisse, die er dem Freund poetisch ausgeschmückt erzählt, erinnert sich der Prinz wie an einen Traum. Rätselhaft bleibt ihm die Herkunft des Handschuhs, den er noch in der Hand hält, gewissermaßen als Unterpfand für die Realität des Geschehenen. An den Namen der Besitzerin erinnert er sich nicht, obwohl Hohenzollern ihm im Scherz einige Damen nennt, die infrage kommen könnten, nicht aber Natalie. Als Homburg weiter seinen Erinnerungsbildern von Ruhm und Liebe nachhängen will, die Traum und Wirklichkeit vermischen, zieht ihn sein Freund fort, weil die Bekanntgabe des Schlachtplans bevorsteht.

Fünfter und sechster Auftritt: Unaufmerksamkeit

(I,5) In der für das weitere Geschehen sehr wichtigen, ausführlich gestalteten fünften Szene vermischen sich zwei Handlungsstränge. Der Kurfürst ist mit seinem Hofstaat mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt, während der Feldmarschall Dörfling den Offizieren den Schlachtplan erläutert und die Befehle zur Schlacht diktiert.

Bei diesem wichtigen Vorgang ist der Prinz geistesabwesend und immer noch mit dem Geschehen der vergangenen Nacht beschäftigt. Er bemerkt, dass Natalie einen Handschuh vermisst. Als er ihr »seinen« Handschuh zuspielt, gibt sie sich als dessen Besitzerin zu erkennen. Jetzt merkt der Prinz, dass die nächtlichen Traumbilder Realität waren.

Er ist so mit sich selbst beschäftigt, dass er die mehrmals wiederholte Order nicht aufnimmt, auf keinen Fall seine Stellung zu verlassen und nur auf ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten in die Schlacht einzugreifen. Dieser erinnert ihn daran, dass er ihn erst vor kurzem durch seine Ungeduld um zwei Siege gebracht hat. Als Zeichen seines Eingreifens soll er dann »Fanfare blasen lassen« (313). Homburg ist so abgelenkt, dass er nur diesen Satz aufnimmt.

(I,6) Nachdem Kurfürst und Gefolge weggeritten sind, bleibt Homburg allein zurück und ruft im ersten seiner drei Monologe jubelnd das Glück im Bild der auf einer Kugel rollenden Fortuna an, das ihm durch den Sieg gegen die Schweden Ruhm und Liebe gewähren soll.

Zweiter Akt: Sieg und Verhaftung

Erster und zweiter Auftritt: Insubordination

(II,1) Schauplatz ist jetzt das Schlachtfeld bei Fehrbellin. Dem Geschehen ist eine vorbereitende Szene vorangestellt, die die militärischen Abhängigkeitsverhältnisse und die Führungsrolle des Prinzen verdeutlicht: Oberst Kottwitz befehligt die Reiterei, ist aber dem Prinzen unterstellt. Er hat den ihm zugewiesenen Ort erreicht und wartet mit den Offizieren auf Homburg. Es wird berichtet, der Prinz habe einen Unfall gehabt und sei mit seinem Pferd gestürzt. Aber Hohenzollern verkündet, Homburg habe sich nur die Hand verletzt. Von diesem Unfall erfährt der Kurfürst, der deshalb später davon ausgeht, dass Homburg nicht die Reiterei geführt hat (vgl. 742 ff.).

(II,2) Homburg kommt mit verbundener Hand nach einem Besuch der Kapelle eines nahe gelegenen Dorfes zu seinen Truppen. Er ist zerstreut, weil er innerlich immer noch so mit dem Geschehen der Nacht beschäftigt ist, dass er seine Aufgabe im Schlachtplan nicht kennt. Er fragt Hohenzollern danach, nimmt aber dessen präzise Rekapitulation von Plan und Parole wiederum nicht zur Kenntnis.

Die jetzt beginnende Schlacht selbst wird in der Mauerschau (Teichoskopie) vorgeführt, das heißt, der Zuschauer kann sie sich nur anhand der Kommentare der beobachtenden Offiziere vorstellen. Homburgs verwunderte Fragen nach der Aufstellung der einzelnen Truppenteile lassen seine andauernde Befangenheit im Traum und die daraus folgende völlige Hilflosigkeit als höchster militärischer Führer erkennen.

Als die brandenburgischen Truppen ohne sein Eingreifen zu siegen scheinen, gibt er den Befehl zum Angriff. Vergebens versuchen seine Offiziere ihn zurückzuhalten, indem sie ihn an die Order des Kurfürsten erinnern. Ihr Widerstand erreicht seinen Höhepunkt, als Homburg einen Offizier verhaften lässt, weil er seinem Befehl nicht folgen will.

Auch Kottwitz mahnt den Prinzen, den Befehl einzuhalten, wird aber von ihm indirekt der Feigheit bezichtigt und macht trotz massiver Bedenken mit, als der Prinz die Verantwortung übernimmt. Jetzt geschieht genau das, was hatte vermieden werden sollen: Der Prinz greift mit seiner Reiterei in die Schlacht ein, ohne den Befehl des Kurfürsten abzuwarten.

Dritter bis achter Auftritt: Der Erfolg

(II,3) Wegen eines Schadens an ihrem Wagen unterbricht die Kurfürstin in einem Dorf ihre Reise, die wegen des erfochtenen Sieges nicht weitergeführt werden muss.

(II,4) Außer der Siegesnachricht erfährt sie in ihrem Zimmer, dass ihr Mann, der Kurfürst, in der Schlacht gefallen sei, wie Augenzeugen gesehen haben wollen. Sie will den Boten der Schreckensnachricht sprechen.

(II,5) Der Bote, ein Offizier, berichtet, dass der Angriff des Prinzen von Homburg anfangs erfolgreich war, dann jedoch zum Stehen kam. Der in diesem Augenblick hinzukommende Kurfürst sei, von einer feindlichen Kugel getroffen, mit seinem Pferd niedergesunken. Der Prinz habe dies gesehen und in rasender Wut den Feind in die Flucht geschlagen. Erst ein noch nicht gesicherter Brückenkopf habe den vollständigen Sieg verhindert. Die Kurfürstin wird ohnmächtig.

(II,6) Der Prinz kommt hinzu, bestätigt die Todesnachricht und bietet den Frauen seine Hilfe an. Als Vollstrecker des Letzten Willens des Kurfürsten will er die Schweden aus dem Land vertreiben. Natalie, die sich zum zweiten Mal verwaist fühlt, will er nicht nur Freund und Beschützer sein, sondern sie heiraten. Sie lässt sich von ihm küssen, reißt sich aber los. Er wertet ihr Verhalten als Zustimmung und bedauert, dass der Kurfürst ihren Bund nicht mehr segnen kann.

(II,7) In einer knappen Szene wird überraschend das Gerücht übermittelt, dass der Kurfürst doch am Leben sei.

(II,8) Nach dieser unvermuteten Wende wechselt die Stimmung radikal von tiefer Erschütterung zu höchster Freude, als durch einen Augenzeugen die näheren Umstände bekannt werden. Nicht der Kurfürst habe seinen Schimmel geritten, sondern sein Stallmeister Froben, der mit seinem Herrn das Pferd getauscht habe, um ihn zu schützen. Er sei von den Feinden für den Kurfürsten gehalten und von ihnen getötet worden. So habe er durch seine Treue den Kurfürsten gerettet.

Homburg erfährt erstaunt, dass ein Waffenstillstand geschlossen sei, dass Friedensverhandlungen stattfänden und die Generalität dem Kurfürsten nach Berlin folgen solle. Bevor der Prinz sich nach Berlin begibt, bittet er die Kurfürstin, seine Verbindung mit Natalie zu unterstützen, was sie nicht ablehnt. Deshalb ist er überglücklich.

Neunter und zehnter Auftritt: Verhaftung und Verurteilung

(II,9) Die letzten Szenen spielen vor dem Schloss in Berlin. Der Kurfürst verurteilt scharf den zu früh erfolgten Angriff der Reiterei, der die vollständige Vernichtung der Schweden verhinderte. Der Offizier, der das frühe Eingreifen befohlen habe, sei »des Todes schuldig« (720) und werde vor ein Kriegsgericht gestellt. Er vergewissert sich aber, dass der Prinz die Reiterei nicht geführt habe und deshalb den Befehl zum Angriff nicht habe geben können, da er schwer verwundet gewesen sei. Abschließend stellt er fest, dass er einen solchen glänzenden Sieg nicht dem Zufall verdanken wolle und dass das Gesetz allein maßgeblich sei.

(II,10)