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Claudia Hammann

 

Bei Stimme bleiben

 

Ein Ratgeber für Lehrer
und Berufssprecher

 

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Die Autorin

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Dr. Claudia Hammann
studierte von 1987-1992 Sonderpädagogik (Sprachheilpädagogik und Lernbehindertenpädagogik) an der Universität zu Köln. Nach ihrer Promotion zum Thema „Vermeidung berufsbedingter Stimmstörungen“ absolvierte sie ihr Referendariat an einer Schule für Sprachbehinderte in Bergisch-Gladbach. Von 1997-1998 war sie Lehrerin an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Lemgo, danach Sonderschullehrerin im Hochschuldienst am Seminar für Sprachbehindertenpädagogik der Universität zu Köln. Seit 2003 unterrichtet sie an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sprache in Lage/ Lippe. Parallel dazu war sie von 1994-2008 Lehrbeauftragte der Universitäten Köln und Dortmund. Seit 1994 führt sie kontinuierliche Fortbildungstätigkeiten für Berufsverbände (dgs, vds), Fortbildungsverbände, Kommunen und Schulen durch. Claudia Hammann veröffentlichte bereits zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften zum Thema „Berufsbedingte Stimmstörungen“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

1. Auflage 2011

Auch als Buch erhältlich unter der ISBN 978-3-8248-0879-3

| Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Einführung

Der Alltag der Sprechstimme – Leistungssport

Callcenter-Agenten

Dolmetscher

Lehrer / Kindergärtner

Welche Baustellen gibt es?
Hauptursachen für Stimmbeeinträchtigungen

Umgebungsgeräusche

Tonlage/Stimmhöhe

Sprechdauer

Raumatmosphäre

Situationsverbunden – partnerbezogen - stimmungsgetragen

Stimmausdruck – die eigene Stimme finden

Die Stimme als Geschlechterkampf – wer ist besser dran?

Die Atmung

Verhalten – was haben wir bisher erfahren?

Symptome einer belasteten Stimme

Unsere „Stimmorgane“ – ein paar Hintergrundinformationen und etwas Anatomie

Was ist mein stimmliches Ziel?

Wer spielt mit? – 6 Freunde müsst ihr sein!

Die Wahrnehmung

Die Spannung

Die Körperhaltung

Die Atmung

Die Stimme

Indifferenzlage

Stimmkräftigungsübungen

Resonanz

Das Sprechen

Die Artikulation

Situationsverbunden – partnerbezogen – stimmungsgetragen

Schlusswort

Literaturhinweise

An wen Sie sich wenden können

| Vorwort zur Reihe

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie und Medizin. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren in der Therapie, in der Beratung und in der Aus- und Weiterbildung tätig sind.

Unsere Stimme ist etwas, über das wir uns normalerweise nur dann Gedanken machen, wenn sie nicht gut funktioniert: Ansonsten scheint sie uns selbstverständlich und jederzeit zur Verfügung zu stehen. Die Autorin dieses Ratgebers zeigt eindrucksvoll auf, dass das so selbstverständlich nicht ist: Die Stimme ist vergleichbar mit einem Marathonläufer, der sich vorbereiten und trainieren lässt, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen.

Mit einer Einführung in die normalen Stimmfunktionen wird die Bedeutung der Stimme im kommunikativen und beruflichen Alltag erläutert: Vor allem Angehörige von Berufen mit hoher Sprechbelastung werden hier wertvolle Hinweise finden. Das betrifft bei Weitem nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ wie Schauspieler oder Fernseh-/Rundfunksprecher, sondern auch Lehrer, Erzieher, Anwälte, Pastoren, Callcenter-Mitarbeiter, Psychotherapeuten, Sprachtherapeuten und viele andere, hoch kommunikative Berufe. Der Ratgeber gibt Hinweise auf die spezifischen beruflichen Belastungen und erklärt, bei welchen Symptomen man zur Selbsthilfe schreiten kann und welche behandlungsbedürftig sind, d. h. medizinischen und stimmtherapeutischen Sachverstand erfordern.

Ein Schwerpunkt des Ratgebers liegt auf der Vorstellung von Übungen zur Pflege und Erhaltung gesunder Stimmfunktionen und zur Vorbeugung von Stimmproblemen. Diese alltagsnahen, im Beruf umsetzbaren Vorschläge werden von Wahrnehmungs- und Selbsterfahrungsübungen ergänzt, die als Hördatei-Download zur Verfügung stehen. Die Leserinnen und Leser können mit diesen Übungen die Bandbreite und Ausdrucksvielfalt des Kommunikationsmittels Stimme besser kennen lernen und ihren beruflichen Alltag um stimm-schützende Maßnahmen erweitern.

Dr. Claudia Iven
Herausgeberin

| Einführung

Der Alltag hält uns gefangen. Ansprüche werden gestellt. Erwartungen müssen erfüllt werden. Fremd- oder eigengesteuert streben wir einem Ziel entgegen und fordern uneingeschränkten Einsatz von uns und anderen. Termine müssen eingehalten werden, Deadlines dürfen nicht verstreichen, Arbeitspläne müssen erfüllt werden. Hinter jeder erledigten Arbeit, hinter jedem erklommenen Berg wartet schon die nächste Aufgabe, das nächste Hinaufklettern. Wer könnte in diesem unerbittlichen Klammergriff schon auf Kleinigkeiten wie persönliche Bedürfnisse nach Ruhe oder Erholungsphasen Rücksicht nehmen? Wer hat schon die Zeit, ausreichend oft und intensiv in sich hinein zu horchen, um zu ergründen, wie lange unsere „Maschine“, unser „Motor“ und das mitgelieferte „Equipment“ diese Dauerleistung noch erbringen können? Wer denkt daran, regelmäßig „aufzutanken“? So kann es geschehen, dass sich unser Körper zur Wehr setzt, Signale sendet, die oft genug ungehört verstreichen. Ein kurzer Schnupfen, ein kleiner Husten – das wird so schlimm nicht sein. Das bekommt jeder einmal. Der Husten bleibt mit der Zeit immer länger – merkwürdig. Aber mit den richtigen Medikamenten bekommt man auch das wieder in den Griff. Der Husten ist überwunden, aber die Stimme ist belegt, nun ja, erst die Erkältung und dazu das viele Sprechen, da dauert es eben etwas länger, bis der Hals sich so richtig erholt. Ein paar Bonbons werden schon Erleichterung bringen. So war es ja immer. Aber die belegte Stimme lässt sich dieses Mal nicht bestechen. Sie bekommt Gesellschaft von einem hartnäckigen Räuspern. Das Sprechen wird immer wieder unterbrochen. Das stört dann doch. Der erste Arzt wird konsultiert, empfiehlt andere Bonbons und dazu noch Inhalationen und vielleicht etwas Ruhe. Inhalieren ist kein Problem, die Ruhe muss warten – bald ist ja sowieso Wochenende. Das Inhalieren tritt nach einigen Tagen in den Hintergrund, die Ruhe auch. Das Räuspern wird etwas weniger, lässt sich aber nicht ganz vertreiben. Die nächste Erkältung lässt nicht lange auf sich warten und mit ihr wird auch das Räuspern wieder stärker. Immer häufiger schleicht es sich in das Sprechen ein, macht die Stimme heiser. Und dann kommt der Tag, an dem die Stimme ihren Dienst quittiert, sich nicht mehr an den Terminplan hält, Anforderungen nicht mehr erfüllt und ihrem Besitzer sehr nachhaltig in Erinnerung ruft, dass es Zeit ist, sich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren – die eigene Gesundheit, das persönliche Wohlbefinden und die grundsätzliche Lebensstimmung, die die Basis sind für eine gesunde, leistungsfähige und angemessen einsetzbare Stimme.

So oder so ähnlich ergeht es unzähligen Menschen immer wieder. Wir nehmen unsere Stimme als etwas naturgegeben Präsentes, etwas, das immer funktionieren muss, etwas, das einfach da zu sein hat, ohne Bedingungen zu stellen, ohne Ausnahme.

Dabei vergessen wir, dass unsere Stimme das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ist, von denen nur einer „aus der Reihe tanzen muss“, um unser wichtigstes Ausdrucksmittel scheitern zu lassen.

Wir müssen unsere Stimme und alle an ihr beteiligten Komponenten sehr bewusst schützen, pflegen und wertschätzen, damit sie uns dauerhaft und in befriedigender Qualität zur Verfügung stehen.

Viele Menschen sind in ihrem Beruf auf ihre Stimme angewiesen. Nicht nur für Sänger oder Schauspieler stellt die Stimme ein „Berufswerkzeug“ dar. Anwälte, Pastoren, Verkäufer, Callcenter-Mitarbeiter, Ärzte, in besonderer Weise Lehrer und Kindergärtner sind stimmlich hoch belastet und ohne ihre Stimme berufsunfähig.

Aber nicht nur aus beruflicher Sicht, sondern auch im Alltag sind wir alle auf unsere Stimme angewiesen. Wie arm wäre unser Leben ohne die Kommunikation mit unserer Umwelt, mit Nachbarn, Freunden und Familie. Wie traurig, wenn Kontakte abgebrochen, Vereine verlassen, Verabredungen abgesagt werden, weil normale Unterhaltungen nicht mehr möglich sind, weil die Stimme versagt.

Dieser Ratgeber soll Ihnen helfen, dies zu vermeiden, soll Sie einführen in die Arbeit Ihrer Stimme, in ihre Belastungen, ihre Pflege und ein mögliches Training zur dauerhaften Gesunderhaltung bieten. Er soll Ihnen aber auch Hinweise darauf geben, wann es Zeit ist, einen Fachmann aufzusuchen oder eine angeleitete Therapie zu beginnen.

Vor allem aber soll er Ihnen Ihre Stimme als ein wunderbares Mittel näher bringen, das Ihre Wünsche, Ihre Bedürfnisse, Ihre ganze Persönlichkeit auf „einmalig stimmige“ Weise sehr individuell zum Ausdruck bringen und Sie Ihrer Umwelt mitteilen kann.

Die Nennung der grammatisch männlichen Form geschieht aus stilistischen Gründen und beinhaltet jeweils auch die weibliche Form.

Danksagung:

Mein Dank gilt vor allen anderen meinen Eltern und dann allen Freunden, die mit Ratschlag und tatkräftiger Unterstützung zur Entstehung des Buches beigetragen haben – hier insbesondere Monika, Stefan und Timon, der mit dem Buch gewachsen ist, und – auf vielfältigen Wunsch – Andrew (für neue, positive Sichten auf das Leben) sowie dem Zeichner Hans-Peter Wiegard für die künstlerische und bewundernswert zeitnahe Arbeit und dem Schulz-Kirchner Verlag für die Geduld.

| Der Alltag der Sprechstimme – Leistungssport

So wie wir in unserem Alltag Phasen höherer Anforderungen und Entspannung erfahren, so erlebt auch unsere Stimme Zeiten größerer und geringerer Belastung. Allerdings kann die Stimme oft auch bei den Gelegenheiten, bei denen ihr Besitzer entspannt, nicht ausruhen. Sitzen wir gelassen mit Freunden oder Familie beisammen und „relaxen“, wollen wir uns dennoch unterhalten, wollen Freude oder Frust los werden, wollen singen oder beim Fußballspiel enthusiastisch jubeln. Wir entspannen – unsere Stimme nicht. Dennoch erleben wir diese Aktionen oft als nicht so belastend wie unseren Berufsalltag. Dieser verlangt unserer Stimme häufig Leistungen ab, die sie überfordern. Dabei gibt es unterschiedliche Erwartungen an Stimmen. Während z. B. bei Schauspielern, Sängern und Moderatoren die Stimmqualität – also die Ästhetik – sehr im Vordergrund steht, geht es bei Lehrern, Kindergärtnern, Callcenter-Agenten, Verkäufern etc. oft mehr um eine dauerhaft leistungsfähige Stimme. Dennoch müssen auch diese Berufsgruppen mit ihren Stimmen repräsentieren und ihre Zielgruppen, also Kinder oder Kunden, angemessen und um sympathische Wirkung bemüht ansprechen. Dabei kommt es oft auch auf die Arbeitsumgebung an, wie belastet die Stimme durch den Beruf ist. Schauen wir uns einmal unterschiedliche, typische Berufsfelder exemplarisch an.

Callcenter-Agenten

Menschen, die in Callcentern arbeiten, finden ihren Arbeitsplatz oft in Großraumbüros, in denen dicht nebeneinander Kollegen und Kolleginnen sitzen und parallel in Gespräche verwickelt sind. Durch die große Anzahl der gleichzeitig sprechenden Mitarbeiter, durch Telefone und Arbeitsgeräusche entsteht ein Geräuschpegel, der meist deutlich über 60 dB (Dezibel – ein Maß für Lautstärkemessungen) liegt (vgl. CCall-Projektteam). Dies führt dazu, dass der einzelne Mitarbeiter unbewusst die eigene Sprechlautstärke erhöht, um den Lärmpegel zu übertönen. Da alle anderen Kollegen dies auch so machen, erhöht sich die Gesamtlautstärke weiter. Die jeweilige Berufsgenossenschaft empfiehlt, darauf zu achten, dass der Lärmpegel nicht über 70 dB ansteigt. Darüber hinaus gibt es oft wenig Pausen zwischen den einzelnen Gesprächen, sodass bei einer Arbeitszeit von 8 Stunden die Dauer der Sprechbelastung die Leistungsfähigkeit mancher Stimme übersteigt. Dazu kommt eine häufig ungesunde Körperhaltung, die den Atem nicht richtig fließen lässt und somit der Stimme ihre „Lebensgrundlage“ weitgehend entzieht. Da der Callcenter-Mitarbeiter oft mit zahlender Kundschaft spricht, muss er einen sympathischen, freundlichen Eindruck mit rein stimmlichen Mitteln ausstrahlen. Während in einem direkten Gespräch Mimik und Gestik dabei helfen, einen „guten Eindruck“ zu machen, kann der Mitarbeiter eines Callcenters darauf nicht zurückgreifen. Jedes Räuspern, jede Heiserkeit kann zu einer negativen Empfindung beim Gesprächspartner und damit zu einem negativen Geschäftsergebnis führen. So verwundert es dann auch nicht, dass bei einer Befragung 60% der Callcenter-Agenten angaben, durch Stimmbeschwerden belastet zu sein.

Dolmetscher

Dolmetscher haben eine gänzlich andere Belastungssituation als Callcenter-Mitarbeiter. Sie haben in der Regel einen ruhigeren Arbeitsplatz, arbeiten meist allein in einer Übersetzungskabine und werden wenig durch Außengeräusche beeinträchtigt. Allerdings müssen sie in einer Sprache sprechen, die oft eine Fremdsprache für sie ist, die eine andere Sprechmelodie und einen anderen Sprechrhythmus beinhaltet als die eigene Muttersprache. Darüber hinaus sind Dolmetscher in ihrer Sprache nicht „frei“. Sie können nicht selbstständig entscheiden, wann sie etwas sagen, welche Worte sie wählen, wie sie etwas ausdrücken. Sie sind wie Marionetten durch die Person gelenkt, für die sie dolmetschen sollen. Dazu kommt ein vollkommen unnatürlicher Sprechablauf. Es kommt kein wirklicher Sprechfluss zustande, da der Dolmetscher immer für eine Weile dem Originalsprecher lauschen muss, um dann die Übersetzung zu liefern. Dadurch stockt die Atmung und der Übersetzer verkrampft. So wundert es auch hier nicht, dass Befragungen unter Dolmetschern eine fast ebenso hohe Belastung ergaben, wie bei den Callcenter-Agenten.

Lehrer / Kindergärtner